Ani - Hu! von RayDark ================================================================================ Kapitel 2: Begegnung -------------------- Begegnung Siebzehn Jahre später rannte ein Kind voller Panik in eine enge, dunkle Seitenstraße, wo es sich außer Atem hinter einer alten und rostigen Mülltonne versteckte. "Komm schon, Junge. Wir tun dir doch nichts!", ein grölendes Lachen folgte den Worten und die Gruppe, die ankam, warf rücksichtslos alle Tonnen mit lauten Gepolter um. Das Kind zitterte vor Angst, da es wusste, dass es jetzt vorbei war. Diese Straße war eine Sackgasse und der einzige Weg raus führte an der Gruppe gewalttätiger Männer vorbei, die sich selber die "Gefährlichen Ehemänner" nennen. Jeder Einzelne von ihnen hatte eine Familie, die sie schikanierten wo sie nur konnten. Diese gingen aus Angst vor den Männern nicht zur Polizei. Allerdings sind sie auf "Befehl" von ihnen in die Stadt Qutran gezogen, da sich die Männer Ruhm, Macht und vor all Dingen Sex versprachen. Mit einem lauten Knall kippte der letzte Mülleimer um und der kleine Junge rutschte verschreckt dichter an die Wand. Er zog die Knie noch weiter an, hielt voller Angst die Luft an und sah die Männer mit weit aufgerissenen Augen an, aus denen dicke Tränen schossen. Seine blonden Haare fielen in Strähnen in sein Gesicht und klebten an seinen nassen Wangen. Mit einem grausigen Lachen bückte sich der Mann, der am nächsten stand und hauchte dem Jungen seinen alkoholisierten Atem ins Gesicht. Das Kind fing an zu wimmern, als er grob am Hemdkragen in die Luft gehoben wurde. Die anderen aus der Gruppe fingen lauthals an zu triumphieren: "Hey Georg! Lass uns auch noch was von dem Jungen!" Um zu zeigen, wie der Ausspruch gemeint war, griff er an seinen Gürtel und löste ihn. Das Kind sah mit schreckensgeweiteten Augen zu dem Mann mit der schmierigen Glatze hin und weinte vor sich hin. "Schaut doch nur, der will das auch! Da muss ich ja später kein schlechtes Gewissen haben!", drauf folgte allgemeines Gelächter und der robuste Mann, zog sich die Hose herunter. Danach schnappte er sich den Jungen zerrte an seinem T-Shirt, sodass es in viele Fetzen zerriss. Der Schock lähmte den Jungen und er konnte nicht verhindern, dass auch seine neue Hose, die er erst am diesem Tag von seiner Mutter bekommen hatte, dem Müll zum Opfer fiel. Der ältere Mann streichelte gespielt liebevoll über das blonde Haar des Jungen und säuselte in sein Ohr: "Du brauchst doch keine Angst haben. Das macht ganz viel Spaß. Du musst nur tun, was dir der liebe Onkel sagt, dann passiert dir auch nichts!" Mit diesen Worten griff der Mann grob zwischen die Beine des Jungen. Dieser schrie vor Schmerz und Entsetzen laut auf, als der Gegenüber ihm die Unterhose, das Letzte Kleidungsstück, was er noch anhatte, ausziehen wollte, schloss er voller Angst vor der kommenden Situation die Augen. Erschrocken öffnete er diese wieder, als ihn der Mann mit einem gequälten Schmerzensschrei losließ. Er sah über ihm eine Gestalt stehen, deren lange blaue Haare im Wind wehten, der auf einmal gefährlich stark durch die Gasse fegte. Die fremde Person hielt dem muskulösen Mann mit einer Hand am Hals, wo er nach Luft schnappte und in ebendieser mit seinen Beinen zappelte. Im nächsten Moment schleuderte sie ihn an die nächste Wand, wo er reglos liegen blieb. Die blauhaarige Person ging näher auf die Männer zu, während ihr weißer Umhang im Wind aufging und eine wohlgeformte weibliche Gestalt zeigte, die in Schwarz und mit vielen Gürteln und Schnallen gekleidet war. Ein Gürtel lag quer oberhalb des schwarzen Tops und darunter kreuzten sich zwei weitere, die weiter zur Hüfte schlangen und sich dort wieder überquerten. An den Seiten der Gürtel von der Hüfte ab hingen zwei Taschen unbekannten Inhaltes. Der untere Teil des Gesichtes war bandagiert, sodass man ihre Mimiken, die sie mit dem Mund machen konnte, nicht sah. Oberhalb der Verbände schauten eiskalte Augen hervor und drangen in die Blicke der Männer. Dann vernahmen die Männer ihre wütende Stimme, die so leise war, dass sie fast zischelte: "WER hat euch Idioten erlaubt, das Kind anzugreifen?!" Doch bevor die Männer antworten konnten, verschwand sie plötzlich, als hätte sie sich in Luft aufgelöst. Im nächsten Moment, drang ein gepeinigter Schrei von hinten an ihre Ohren. Entsetzt drehten sich die Männer um und sahen sich in der Falle. So wie sie dem Jungen zuvor noch den Weg raus aus der Sackgasse versperrten, verschloss jetzt die junge Frau den Ausgang. Ihr Gesicht lag im Schatten, doch die Männer konnten die eiskalten Augen genau sehen. Den Männern blieb keine Zeit mehr, um sich zu überlegen, wie sie entkommen sollten, denn im Nu hatte sie die nächsten Männer erledigt. Vollkommen regungslos starrten die übrig gebliebenen Männer auf ihre Kameraden. Die meisten von ihnen waren mit einem einfachen Hieb zu Boden gefallen, während sich die Frau völlig geräuschlos und blitzschnell bewegt hatte, sodass man den kommenden Angriff nicht sah. Doch das wollten sie nicht so leicht auf sich sitzen lassen. "Los Männer, das ist doch nur ne halbstarke Frau! Die kann doch nicht so schwer sein!" Mit neuem Mut rannten zwei der Männer auf den Gegner zu. Diese sah mit einem verächtlichen und gelangweilten Blick, der jedoch nichts an Kälte verloren hatte zu den Heranrasenden und machte dann einen eleganten Salto nach hinten, während sich die Angreifer selbst überrannten. Nachdem das Mädchen wieder auf den Beinen gelandet war, machte sie keine Pause und sprang vor. Über die beiden Männer, zu den Übrigen. Diese sahen den Angriff zu spät, da sie vorher von den beiden zusammengeprallten Männern verdeckt wurde. Ihre Hand sauste pfeilschnell runter und lähmte den Rest der Männer. Als sie wieder festen Boden unter den Füßen hatte, lagen ihr die "gefährlichen Ehemänner" zu Füßen. Der Junge blickte auf das kleine Schlachtfeld und sah dann zu seiner Retterin hoch. Doch als er sich bedanken wollte, bemerkte er den kalten Blick, der ihm zugeworfen wurde. "Ein kleiner Junge hat in diesen Gassen nichts zu suchen. Ich kann nicht überall sein!", mit diesen Worten, die an Kühle nichts verloren hatten, warf sie dem Kind ein Tuch hin, in das es sich wickelte und schnell aus der Gasse verschwand, um weinend nach Hause zu rennen. Die junge Frau sah gen Himmel und starrte die Sterne an. Sie versuchte einen bestimmten Stern zu finden, doch vermochte sie es nicht zu schaffen, da es inzwischen zu viele Sterne am Himmel gab. Sie schloss für einen Augenblick die Augen und sprang dann über die hohe Mauer, die den meisten den Weg versperrt. Auf der anderen Seite der Wand drehte sie sich zu eben dieser um und sah direkt in das Gesicht eines jungen Mannes mit etwa schulterlangen schwarzen Haaren. Sie sah in tiefbraune Augen, die abwesend wirkten. Der junge Mann hatte eine lange Narbe über dem linken Auge und seine Unterarme, sowie Füße waren in Bandagen eingewickelt. Ob das nur der Stil des Jungen war oder wegen Verletzung vermochte man nicht zu sagen. Den muskulösen Oberkörper zierte eine dunkle, violette Jacke, deren Ärmel abgerissen worden waren. Außerdem schien der junge Mann einen Tick mit Kreuzen zu haben. Er trug eine Kette sowie Ohrringe mit einem Kreuzanhänger. Des Weiteren hatte er auf dem rechten Oberarm ein Kreuz tätowiert. Seine blaue Hose war an einigen Stellen zerrissen und auch sein linker Schenkel zierte eine Bandage. Ohne dass sie etwas sagen musste, wusste der Unbekannte, was die junge Frau dachte; ihr Blick verriet es: ´Hallo Victor! Was ist los?´ Victor lächelte leicht und legte seinen Arm um ihre Schultern. Das Mädchen sah leicht zur Seite, doch sagte sie nichts dagegen. Er war der Einzige, der sich das erlauben durfte. "Ich muss dir jemanden vorstellen. Sie sind wie wir!", der schwarzhaarige Mann sah gen Himmel und seufzte, während das Mädchen mehr oder weniger verblüfft zu ihm aufsah. ´Wie wir? Du meinst, es gibt noch andere, die überlebt haben?´ Er lachte, diese Frage schien ihr direkt auf dem Gesicht geschrieben zu stehen. Er kannte sie schon sehr lange und wusste daher sehr genau, was sie dachte. "Ja... eigentlich haben alle von uns überlebt...das ist jetzt aber egal...! Gehen wir...!" Während die Jugendliche erstaunt eine Augenbraue hob und sich fragte, was er mit ALLE meinte, zog Victor sie einfach mit. Sie wand sich geschickt aus seinem Griff `Tut mir Leid, Bruderherz! Ich hab noch etwas zu erledigen! Geh schon mal vor, ich komme später hinterher!´ Sie nahm die Adresse des Treffpunktes entgegen und verschwand dann. Der Zurückgelassene sah seiner Schwester noch eine Weile hinterher und ging dann ebenfalls. Gegen Mitternacht, als der Vollmond den Himmel im Zenit erstrahlte, fiel sein Licht auf ein altes, heruntergekommenes Fabrikbauwerk, das im Herzen der Stadt Qutran lag. Das Dach war an einigen Stellen undicht und hier und da zierte Rost die verdorbene Fassade. In dem etwa 9900 m² große Gebäude waren alle Fenster ausnahmslos von Roadies zerstört worden. An einigen wurden Bretter vorgenagelt, um vor unbefugten Blicken abzuschirmen. Auch schon in seinen Betriebszeiten wurden ständig die Fenster eingeschmissen, sodass man schon damals Bretter vor die Fenster setzte, da es so oder so nichts brachte, neue Fenster einzubauen. Das Gelände selber war ziemlich groß und überall wuchs das Unkraut aus den Rissen der brüchigen Bodenplatten. Überall verstreut lagen verschiedene alte und rostige Teile von Maschinen, die nicht mehr gebraucht wurden, da es inzwischen neuere und bessere Modelle gab. Der Gelände war mit einem riesigen stachelbesetzten Zaun umgeben, der von unerwünschten Ankömmlingen schützen sollte. An dem großen Tor, welches der einzige Zugang zu dem Gelände war, hing ein Schild: Unbefugtes Betreten verboten! Betreten auf eigene Gefahr -Eltern haften für ihre Kinder!- Doch das schien den nächtlichen Besucher nicht zu stören. Mit einem gekonnten Sprung überwand er das Tor mit seinen gefährlichen Spitzen und landete sicher auf den Füßen auf dem Betriebsgelände. Er sah sich zu allen Seiten um und ging dann zu dem alten Fabrikgebäude. Die Tür ging schwerfällig auf und der Besucher kam nicht ohnehin zu denken, dass jeder im Haus den Besuch bemerkt haben musste, so laut wie die Tür in den Angeln knarrte. Diese Tür war anscheinend nach der Schließung nicht oft benutzt worden und auch die Halle dahinter nicht. Überall lag Dreck rum und an vielen Ecken hingen Spinnenweben mit riesigen, fetten Spinnen im Zentrum. Wasser tropfte aus den Löchern im Dach und vermischte sich mit dem Dreck und dem Staub auf dem Boden zu Matsch. Die fremde Person ging einige Schritte vorwärts und hielt mitten in der Halle an, um sich den Ort etwas genauer anzusehen. Dabei fiel ihr auf, dass der Fußboden durch den Schlamm leicht rutschig geworden war. Die Kälte der Nacht drang durch alle Ritzen in den Wänden und dem Dach. Sie durchdrang den nächtlichen Besucher und ließ ihn frösteln. Dieser schloss die Augen und genoss den leichten Wind, der diese Kälte mit sich brach. Dann wurde ihm jedoch wieder bewusst, weshalb er hergekommen war und deswegen ließ er die Halle mit Bedauern hinter sich. Die Person lief quer durch den Raum und fand an dessen Ende eine Tür, die sich in außergewöhnlich gutem Zustand befand. Ihre Hand ergriff die Türklinke und drückte sie herunter. Es passierte jedoch rein gar nichts. Der Fremde zog seine Hand mit emporgezogener Augenbraue zurück und dachte sich: ´Komisch... wieso ist die Tür denn verschlossen?!´ Während er noch den Kopf schüttelte, ging er weiter um einen anderen Eingang zu finden, als kurz ein Licht rechts von ihm erstrahlte und ihn so auf einen dunklen Gang aufmerksam machte. Der Besucher stellte sich direkt vor den Gang und wartete, ob etwas passieren würde. Doch wider Erwarten geschah nichts. Es kam niemand, das Licht war weg - es kam einem nur Schweigen entgegen. Er seufzte kurz, da ihm bewusst wurde, dass das Licht aus seinem Unterbewusstsein gekommen war und so ging er in die Dunkelheit hinein. Was nicht viele wussten war, dass er auffällig gut im Dunkeln sehen konnte. Das hatte er einem Fluch zu verdanken, den ihm egoistische Menschen auferlegt hatten, dem er nicht entkommen konnte, egal, was er machte. Er stützte sich an der Wand ab und versuchte die Erinnerungen, die ihm kamen, wieder abzuschütteln und nach einer Weile schaffte er es wieder ruhig zu atmen und den Zustand völliger Gleichgültigkeit zu erreichen. Etwas, was er seit seinem vierten Geburtstag beherrschte. Bisher hat es nur ein Wesen geschafft, diese Gefühllosigkeit zu durchdringen. Der Gast ging weiter und stand plötzlich einem jungen Mann mit kurzen, schwarzen Haaren gegenüber. Vielmehr stand er über ihm, da der schwarzhaarige Mann am Boden hockte und anscheinend irgendetwas suchte. Als dieser bemerkte, dass er nicht mehr alleine war, sah er nach oben und starrte seinen Gegenüber entsetzt an. Der junge Mann hielt eine Taschenlampe in der Hand, dessen Licht den Ort ein wenig erhellte und freien Einblick in das Gesicht des Gegners ließ. Doch dieser Anblick gefiel dem hockenden Mann gar nicht, er sah eiskalte Augen, die gefühllos zu ihm herunterstarrten. Doch derjenige, dem diese Augen gehörten, ignorierte ihn, ging an ihm vorbei und ließ den jungen Mann einfach dort sitzen, wo er war - verschwendete keinen Gedanken mehr an den schwarzhaarigen Typen. Der Gast lief noch eine Weile, bis er eine weitere Tür in der Dunkelheit ausmachte. Mit einem erneuten Versuch legte er seine Hand auf die Klinke und drückte sie herunter. Unerwartet leise ging die Tür auf und öffnete so einen Raum voll von gleißendem Lichtes. Der Ankömmling schloss entsetzt die Augen, da ihm die plötzliche Helligkeit in den Augen stach. Als er die Hand wieder vom Gesicht abließ, erkannte er nach einer Weile wieder die Umrisse und Formen in dem Raum. "Du musst Silence sein! Wir haben schon auf dich gewartet!" Der Angesprochene konnte inzwischen wieder sehen und sah den jungen Mann, der sie so eben angesprochen hatte, auf sich zu kommen. Er strich sich die langen, blauen Haare aus dem Gesicht und musterte ihn von oben bis unten, da der nächtliche Besucher mit den blauen Haaren nicht wusste, ob er ihm vertrauen konnte. Der Gegenüber hatte lange, blonde Haare, die er zu einem Zopf geflochten hatte. Seine grünen Augen sahen den Gast freundlich an, doch er sah in ihnen nicht nur die Freundlichkeit, sondern auch ein Geheimnis... ein gefährliches Geheimnis. "Wo warst du?" Silence sah sich um und entdeckte denjenigen, der gesprochen hatte. Es war niemand anderes als Victor, der schon seit geraumer Zeit wartete und nun auf die weibliche Besucherin zuging. "Hm, verstehe. Du hast noch einmal die Straßen im Westviertel kontrolliert, ob alles in Ordnung ist. Allerdings ist nichts passiert. Das hattest du doch so erwartet!?! Nachts streunen nur Todessehnsüchtige und Verbrecher rum. Inzwischen hat sich jedoch die Zahl der Verbrecher verringert...seit dem du das Viertel bewachst! Genauso wie wir..." "...", die junge Frau sah sich nun den ihr fremden Mann mit den blonden Haaren genauer an. Dieser bemerkte den Blick auf sich ruhen und ging nun wieder auf die Frau mit den blauen Haaren zu und streckte ihr seine Hand entgegen: "Ich bin übrigens Ray - 20 Jahre alt. Ich bin der "Wächter des Nordens"! Freut mich, dich kennen zu lernen!" Aus irgendeinem Grund fühlte Silence sich plötzlich unwohl und ging an ihm vorbei an ein Fenster, welche in diesem Raum merkwürdigerweise alle heil waren; auch die Elektrizität funktioniert nur in diesem Raum. Ray schaute ihr irritiert hinterher, es war noch nie vorgefallen, dass man ihn einfach so ignorierte, erst recht keine Frau. Diese widerrum blickte nachdenklich aus dem Fenster in die schwarze Nacht, die durch den Vollmond und den vielen Sternen am Himmel erhellt wurde. "Hm, sieh mal einer an, es gibt also noch Menschen, die sich deinem Charme entziehen können!" Silence drehte sich nach der Stimme um und sah, dass vom anderen Ende her, ein weiterer Mann auf die Mitte des Raumes zukam. Er hatte langes braunes Haar, das er zu einem Pferdeschwanz gebunden trug. Kurze Hosen und ein enges, schwarzes, ärmelloses T-Shirt trug, welche die Konturen seiner Muskeln anzeichnete. Seine blauen Augen leuchteten amüsiert auf, doch die Frau mit den blauen Haaren wandte ihren Blick wieder ab und sah wütend aus dem Fenster und dachte sich: ´Menschen?! Weiß der nicht, WAS ich bin?! Was soll das, wieso hat Victor mich hierher gebracht?!´ Sie schloss ihre Augen um ihre Wut unter Kontrolle zu bekommen; atmete ruhig und bestimmt und der Druck im Gefühlsleben schwand wieder. Sie hatte wieder den Zustand erreicht, indem sie keine Gefühle besaß. Etwas, dass sie sich vor langer Zeit hart antrainiert hatte, etwas dass sie gnadenlos - gefühlskalt wirken lies. Sie drehte sich wieder um und hob ihre Lieder unter denen ihre grünen Augen matt aufleuchteten. Sie würdigte der drei Herren keinen Blick mehr und ging zur Tür. Als sie diese öffnete, legte sich eine Hand fest und bestimmend auf ihre Schulter und zog sie sanft zurück. "Ich weiß, was du gerade dachtest... Aber du musst es so sehen, Kai ist sehr optimistisch, im Gegensatz zu dir, weshalb ihr wahrscheinlich noch öfter aneinander ecken werdet... doch vielleicht können die beiden dir unter anderem helfen, dein Gefühlsleben unter Kontrolle zu behalten...", Victor zog sie herum, sodass sie in seine Augen sehen konnte. Jetzt erst bemerkte die junge Frau, dass ihr Bruder offener wirkte und sein Blick nicht mehr so abwesend war. Hatten das wirklich diese beiden Männer hingekriegt? Wieso hatte sie solange nichts davon mitbekommen? Silence schüttelte den Kopf und ihr Bruder wusste wieder einmal, was sie dachte und er wiederholte unbewusst ihre Gedanken laut: "Nein. Du weißt genau, weshalb ich so denke und mich so verhalte. Ich WILL nicht anders sein. Das musst du begreifen! Ich bin so wie ich bin und daran wird sich nie was ändern. Nicht weil ich es nicht kann... sondern weil ich einfach nicht will. Und jetzt lass mich gehen. Die Beiden wissen doch gar nicht, warum wir so denken... ja, du hast auch einmal so gedacht, kannst du dich vielleicht noch daran erinnern?!" Seit klein auf, hatte Victor ihre Gedanken entschlüsselt und musste diesen der Familie im genauen Wortlaut wiedergeben. Mit einem weiteren Kopfschütteln drehte sie sich wieder um und zog die Tür auf, doch diesmal stoppte sie von alleine. Ihr lief ein Schauer über den Rücken. Sie kannte dieses Gefühl, diese Art von Aura ganz genau. ´Das kann nicht sein! Das gibt es nicht, wie viele haben so was denn erlebt, wie viele müssen diese Hölle durchmachen?!´, während sie das dachte, mischten sich ihre Gefühle, die sie zuletzt vor dreizehn Jahren gespürt hatte: Trauer, Mitleid für jemand andern. Ihr Herz hämmerte ihr hart in der Brust, sie traute sich nicht, sich umzudrehen. Geschockt hob sie ihre Hand an ihre Stirn und prüfte, ob diese erhitzt war und sie nur halluzinierte. Doch nichts dergleichen, ihre Stirn war kühl und die Aura blieb unverändert. Sie spürte die Angst leise in ihr hochdringen, sie wollte das alles nicht, sie wollte einfach sterben. In dieser Welt gab es keinen Platz für sie... für die anderen. Würden die Menschen mitbekommen, was sie waren, so würden die vier gejagt werden, würden gefoltert werden und einen qualvollen Tod sterben müssen. Wieso waren die beiden ihr fremden Männer dann so optimistisch? Machen sie sich nicht solche Gedanken? Sind die beiden einfach nur naiv? Tausende von Fragen rasten durch den Kopf der jungen Lady. Hinter ihr blickten sich die Männer fragend und besorgt an. Sie spürten sehr wohl die Gefühlswelt des Mädchens. Ray strich sich eine blonde Strähne aus dem Gesicht und räusperte sich: "Du brauchst vor uns keine Angst haben, du bist eine von uns. Du brauchst dich nur umzudrehen und schon hast du Gewissheit. Wir werden nichts verraten..." Mit einem leichten Lächeln und Sarkasmus vollendete er den Satz: "Schließlich wollen wir nicht wie die Hexen im Mittelalter verbrannt werden!" Bei diesem Satz blieb Silence das Herz stehen und sie drehte sich mit rasanter Geschwindigkeit um, ihre blauen Haare wirbelten um sie herum und legten sich erst langsam wieder. In ihren Augen lag tiefe Wut mit einer Spur von Hass. In ihren grünen Augen glitzerten Tränen, welche bei ihrer Umdrehung ebenfalls davon geschleudert wurden und sich nun auf ihre Haare legte. Sie konnte es nicht fassen. Die Männer standen alle gelassen da und waren sich anscheinend der Gefahr gar nicht bewusst. Diesmal wussten die Männer wie Victor die Gedanken des Mädchens entschlüsseln konnte. Inihnen lag nicht nur die Wut und der Schock, man konnte auch genau sehen, was sie dachte: ´W... wie könnt ihr darüber scherze machen?! Seid ihr wahnsinnig?!´ "Nein, das sind wir nicht! Sieh uns an, wir sind alle Projekte aus einem Wissenschaftsprojekt, indem keiner von freiwillig mitmachen wollte. Doch wir sehen es nicht nur negativ, was mit uns gemacht wurde...", sagte Ray nach einem Moment der Verblüffung, strich sich den Mantel glatt und Kai vollendete den Satz, "Wir sehen es auch positiv, jedem von uns sind Fähigkeiten geschenkt worden, die einem richtigen Menschen verwehrt bleiben! Würdest du das wirklich opfern, nur um das Leben eines normalen Menschen zu leben?" Silence fasste es nicht, was sie da hörte, als sie jedoch über die letzte Frage nachdachte, lächelte sie leicht und die anderen sahen sich geschockt an, als ihr Blick erwiderte: ´Wer sagt denn, dass ich überhaupt leben möchte... vielleicht wäre es das Beste, ich gehe zu einem Menschen und zeige ihn meine wahre Gestalt!´ Mit diesen Worten drehte sie sich um und wollte aus der Tür verschwinden, weg von diesen Wesen, weg von diesen fremden Gefühlen, doch ihr wurde die Tür hart vor der Nase zugeschlagen. "Glaubst du wirklich, dass das das Beste wäre? Einfach zu sterben? Keine Frage - sicher hat sich jeder der hier Anwesenden diese Frage schon gestellt, aber wir sind alle darauf gekommen, dass das Leben wunderschön sein kann, wenn man es zulässt: Für JEDEN! Auch für dich - doch wenn du dich der Schönheit dieser Welt verwehrst, so wirst du es niemals sehen, niemals spüren! Du musst dich mehr öffnen, öfters mal positiv denken. Von mir aus, bleib ein Pessimist, das ist deine Entscheidung, wer oder was du bist! Da kann dir keiner was einreden. Doch... sei ein bisschen offener der Welt gegenüber... nur ein paar Minuten und du kannst sehen, was sie für dich übrig hält..." der junge Mann mit den blonden langen Haaren sah ihr tief in die Augen. Wenn sie anfangs auch noch so etwas wie gefährliche Wut in ihnen gesehen hatte, sah sie jetzt in ihnen, dass er wusste, wovon er sprach. Es lag aber noch etwas in seinen Augen, dass ihr sehr bekannt vorkam. Auf einmal war ihr zum Heulen zumute, doch sie wollte keine Schwäche zeigen. Ray wusste anscheinend, was sie dachte und nahm sie in den Arm. Zuerst wehrte sie sich dagegen, doch dann gab sie auf und ihr Körper verlor sämtliche Kraft. Ihre Knie knickten ein und sie hing schlaff in den Armen des jungen Mannes. Sie konnte nicht weinen, auch wenn sie es in dem Moment gewollt hätte, denn auch dafür fehlte ihr jegliche Kraft. Hinter der Tür im Dunklen verborgen, hyperventilierte ein junger Mann mit schwarzen Haaren. Er war in dieses alte Fabrikgebäude wegen einer Mutprobe gekommen. Seine Mitschüler meinten, er wäre zu ängstlich. Deswegen hatte er den Vorschlag gemacht, in das Gebäude zu gehen, in dem es angeblich spuken sollte. Die Bevölkerung meinte, nachts würden schaurige Geräusche aus den Hallen der Fabrik nach außen dringen. Für einige war es einfach nur der Wind, der durch die vielen Löcher und Ritzen drang, doch niemand wagte sich auch nur einen schritt auf das Gelände. Tagsüber nicht und erst recht nicht nachts. In den Schulen wurden gerne Mutproben veranstaltet, doch es wurde niemals in Betracht gezogen, eine Mutprobe auf diesem Hof zu machen. Jeder, der das versucht hatte, war nie wieder gekommen. Manche meinen, ihre Geister würden noch ruhelos auf dem Gelände herumspuken und die Lebenden, die es wagten, dieses Grundstück zu betreten, mit in die Unterwelt ziehen. Der Kopf wird von deren Körper getrennt und wenn die Sonne untergeht werden mit den abgerissenen Köpfen Ballspiele von den Geistern veranstaltet. Die Menschen, die an diesem Gelände vorbeigingen, fanden morgens des Öfteren Blutspuren auf dem Grund und dem Schrott der hier und da herumlag. Seit dieser Entdeckung machten die Menschen einen großen Bogen um die Fabrik. Doch manchmal kam es vor, dass Größenwahnsinnige zeigen wollten, welchen Mut sie doch haben oder welche, die als Feiglinge abgestempelt wurden und beweisen wollten, dass auch sie Mut besitzen, hierher. Doch keiner von ihnen ist jemals wieder gesehen worden. Der schwarzhaarige Mann beruhigte sich wieder und machte sich auf dem Weg nach draußen. Ihm wäre um alles in der Welt lieber gewesen, dass die Gerüchte um die Geister in diesem Haus gestimmt hätten. Die wären ihm viel angenehmer gewesen, als dieses Wissen, was hier wirklich vor sich ging. Er war nur froh, dass die vier jungen Erwachsenen in der hellerleuchteten Halle ihn nicht bemerkt hatten. Nachdem dieses Mädchen mit den seltsam blauen Haaren und dem gefährlich kalten Blick an ihm vorbei gegangen war und sie später in einen Raum ging, aus dem Licht in dieses Dunkel drang, folgte er ihr. Er hatte gehofft, dass die Dunkelheit aufhören würde, er nur in das Licht gehen müsse. Doch ihn hatte ein Gefühl zurückweichen lassen. Was wenn jetzt dort drinnen eine Geisterparty mit rollenden Köpfen veranstaltet wurde und diese Frau eine gefährliche Hexe war? Er zog sich an die wand zurück und flüsterte: "Nein, mich werden sie nicht kriegen..." Zehn Minuten später wurde die Tür geöffnet und für einen kurzen Augenblick setzte sein Herz aus. Er hörte die Stimme der jungen Frau, die anscheinend wütend klang. Er vernahm die Worte "Wer sagt denn, dass ich überhaupt leben möchte... vielleicht wäre es das Beste, ich gehe zu einem Menschen und zeige ihn meine wahre Gestalt!" Was sollte das heißen? War sie etwa kein Mensch, war sie vielleicht tatsächlich eine Hexe? Eine alte, bucklige Hexe mit einer fetten Warze auf der großen Hackennase und einem Raben auf der Schulter sowie einer schwarzen Katze mit leuchtend grünen Augen, die ihn sogleich verrät? Doch dann realisierte er, was er gerade gesehen hatte. Die Männer im Hintergrund hatten ihr Aussehen verändert. Sie waren keine Menschen mehr, war sie etwa eine von ihnen? Im nächsten Augenblick sprang ein junger Mann mit langen, blonden Haaren, die zu einem dichten Zopf geflochten waren auf ihn zu. Der schwarzhaarige Mann wusste gar nicht, wie ihm geschah, unwillkürlich hielt er den Atem an. Und blickte dem entgegenkommenden mit entsetztem Blick an. Dann knallte die Tür zu und er saß wieder allein in der Dunkelheit. Eine Minute später begriff er erst wieder, was passiert war. Er versuchte wieder zu Atem zu kommen und fing plötzlich unwillkürlich an zu hyperventilieren. Er nahm sich eine Tüte aus der Tasche, die er mitgenommen hatte um Beweise zu sammeln, dass er hier war. Diese setzte er sich jetzt an den Mund und atmete in die Tüte ein und wieder aus. Dies wiederholte er so lange, bis sein Atem sich wieder normalisiert hatte. Er stand auf und ging auf wackeligen Beinen den dunklen Gang entlang zum Ausgang. Er konnte nicht schnell genug wieder hier heraus sein. Als er aus dem Gebäude raus ging, rannte er wie von einer Biene gestochen vom Gelände, kletterte flink über den Zaun und rannte einige Meter weiter, bevor er sich erlaubte, die frische Luft einzuatmen. Er hatte es geschafft. Er war da wieder heil herausgekommen. Seine Mitschüler kamen von allen Seiten auf ihn zu gerannt. "Was ist passiert? Gibt es dort wirklich Geister?!" Die Fragen drangen alle in ihn ein, doch er verstand keine Einzige davon. Er war einfach nur froh, da wieder raus zu sein. Es war kurz vor halb Eins und der Vollmond erleuchtete die Wiese auf der die Kinder standen. Plötzlich drang erst leicht und dann immer lauter das schaurige Geheul eines Wolfes an die Ohren der Jugendlichen, die erschrocken aufschauten und panisch aneinander festhielten. "Aber es gibt hier in der Nähe doch keine Wölfe...?!" Nur ein einziger wusste, woher es kam: "Die Gruselgeschichten sind wahr..." Das waren die letzten Worte, die der junge Mann mit den schwarzen Haaren in dieser Nacht sagte. Er stand auf und ging wieder nach Hause. Die Anderen wollten zwar wissen, was er meinte, doch das verschoben sie auf den nächsten Tag; sie wollten ausnahmslos alle so schnell wie möglich in ihre warmen, weichen und sicheren Betten zurück. Hier haben wir mein neues Kapitel! Ich hoffe sehr, es hat euch gefallen und es ist wenigstens ein bisschen Spannung drinne. Sagt mir eure Meinung dazu. Kritik und schreibstilistische Vorschläge sind gerne gesehen!!! Bis zum nächsten Kapitel bei ANI - HU! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)