kagerou in deutschland von -Hikki- ([29.4. Kapitel 3 hochgeladen ^^ ]) ================================================================================ Kapitel 1: lost in thoughts --------------------------- Gedankenverloren strich er über das kalte Fensterglas, das ihn nur wenige Millimeter trennte von der Außenwelt. Es regnete draußen leicht, alles in seinem Blickfeld war leicht verschwommen und doch schien er mehr zu sehen als die Menschen, die direkt unten über den Asphalt hasteten, ohne einen Gedanken daran, wohin sie eigentlich schlussendlich gehen würden. Daran dachte er aber auch nicht in diesem Moment. Vom Flur aus drangen die Stimmen seiner Bandkollegen und Freunde zu ihm ins Zimmer, ein flüchtiges Lachen, ein leichtes Grummeln als Antwort. Aber auf das achtete er eher weniger. Sie würden sicherlich noch einen Moment auf ihn warten können. Warten, damit sie alle zusammen in die Stadt gingen. Diese Stadt, die ihm so fremd schien. Er kannte sie nicht, weder ihre Straßen, Häuser, Menschen oder ihre Sprache. Und doch...fühlte er sich nicht außerordentlich fremd. Schließlich waren seine Freunde bei ihm. Und außerdem...wo war der Unterschied, ob er unter ihm fremden Menschen in Japan war oder hier in Deutschland. Es änderte nichts an diesem Gefühl, dass sein Leben unbedeutend war... So fremd jedoch waren sie gar nicht in diesem Land. Sonst hätten sie jedenfalls nicht die Möglichkeit hier ein Konzert zu geben. Also gab es auch hier, wo ihre Sprache nicht verstanden wurde, Menschen, die ihre Musik verstanden. Ein leichtes Lächeln huschte über Yuanas Gesicht. Es war ein schönes Gefühl, verstanden zu werden, auch wenn es nicht ihm persönlich, sondern nur seiner Musik galt. Es war immerhin etwas...mehr, als andere von sich sagen konnten... „Manchmal...wenn du so völlig abwesend scheinst, wüsste ich gerne, wo du mit deinen Gedanken bist...“ sagte plötzlich eine Stimme ruhig neben ihm und er drehte sich erschrocken zu Shizumi um, der ihn leicht anlächelte. „Nirgendwo...“, antwortete er ihm achselzuckend, „nirgendwo und überall...wobei, eigentlich geht ja keines davon, oder? Niemand kann überall gleichzeitig sein, jedoch auch nicht nirgendwo, denn so lange wir leben gibt es immer einen Ort, an dem wir uns aufhalten...ob in Gedanken oder physisch. Irgendwo sind wir immer...nur ist die Frage nach dem genauen „wo“ schwer zu beantworten, wenn man es selber nicht genau weiß..." Shizumi hörte seinem Freund interessiert zu, grinste dann schief und legte einen Arm um ihn, während er ihn mit sich aus dem Zimmer zog. „Komm Kleiner, genug philosophiert für heute, jetzt wird erst mal die Stadt erkundigt...“ Draußen vor dem Hotel wartete bereits eine Mitarbeiterin des NeoTokyos auf sie. Eine Japanerin, die sich ihnen freundlich vorstellte und ihnen anbot sie etwas durch die Innenstadt zu begleiten. Die Jungs nahmen dieses Angebot gerne an, denn trotz des Stadtplans bezweifelten sie, dass sie sich wirklich alleine zurechtfinden würden. Shizumi lief freudig neben der jungen Frau und fragte sie dies und jenes, während die anderen drei dahinter folgten. Kazu und Daisuke hatten angefangen über das kommende Konzert zu reden. Yuana hingegen beteiligte sich nicht an dem Gespräch, sondern hörte unauffällig den beiden vor ihnen zu. Nicht, dass ihn interessiert hätte, was Shizumi tat...aber es interessierte ihn, was genau die junge Japanerin nach Deutschland verschlagen hatte, was genau sie in ihrem Laden alles verkauften, etc. Man sollte es nicht meinen, doch Yuana war äußerst neugierig. Und es wunderte ihn etwas, dass die junge Frau zwar neben ihrer Muttersprache auch fließend Englisch sprach, sich mit Deutsch jedoch schwer tat. Etwas, dass auch Shizumi überraschte. Yuana musste unwillkürlich lächeln. Ihr Drummer hatte bereits Tage vor ihrem 2-wöchigen Deutschlandaufenthalt sich ein kleines Reisewörterbuch besorgt und sie immer wieder mit deutschen Wörtern genervt. Dabei war zu beachten, dass weder er noch die anderen drei wirklich wussten, was er da von sich gab. Yuanas Gedanken drifteten ab und er versuchte Gesprächsfetzen der vorbeilaufenden Menschen aufzuschnappen. Doch größtenteils waren es nur Deutsche, auch noch Bayern, und er verstand kein einziges Wort. Hin und wieder jedoch hörte er auch etwas Englisches oder Französisches. Es war erstaunlich, wie viele Gesichter diese Stadt besaß im Gegensatz zum einseitigen Japan. Aber nein, hier tat er seinem Heimatland unrecht. Nur, weil es für ihn in letzter Zeit grau in grau wirkte, bedeutete dies nicht, dass es auch der Wirklichkeit entsprach. Er wusste genau, dass Japan genauso viele, wenn nicht noch mehr, Farben zeigte, wenn man sich nur daraufeinließ sie neben allem Normalen zu sehen. Und war nicht auch er eine dieser Farben? Ein etwas anders scheinender Fleck in einer Welt von Gleichheit und Anpassung. Er hatte es nie verstanden, warum alle Leute bestrebt waren so zu sein wie die breite Masse. Obwohl, als er noch jünger war, hatte auch er versucht, "normal" zu sein. Bis er auf auf drei gewisse Chaoten getroffen war, bei denen er merkte, dass es ok war, anders zu sein. Aber ob dieses Leben wirklich glücklich machte? Der leichte Nieselregen, in dem sie ohne Schirm aufgebrochen waren, nahm langsam zu und ihre Begleiterin schlug vor in ein Restaurant zu flüchten. Yuana sah sich kurz um. Er hatte gar nicht gemerkt, wie weit sie schon gelaufen waren, so sehr war er wieder seinen Gedanken nachgehangen. Daisuke neben ihm fasste ihn in dem Moment auch schon bei der Hand und zeigte mit leuchtenden Augen auf eine Pizzeria. „Yu-chan, da gibt's Pizza!“ Der Braunhaarige nickte nur lächelnd und folgte seinem Freund, der auch die anderen in diese Richtung dirigierte. Beim Betreten des Restaurants strömten tausend Eindrücke gleichzeitig auf sie ein. Wortfetzen, viele Gerüche unterschiedlichster Speisen und Zigarettenrauch. Yuana und Daisuke blieben verwirrt stehen und sahen sich nach einem freien Platz um. Der Laden war bis zum Bersten voll und irgendwie hatte Yuana das ungute Gefühl, dass sie hier nicht wirklich ins Bild passten, als er mehrere Tische mit jungen Leuten sah, die eindeutig der Musikrichtung HipHop nachhingen. Auch bemerkte er nun, dass eben diese "Musik" im Hintergrund lief. Nein, eindeutig nicht sein Geschmack. Aber die anderen schien das eher weniger zu stören, denn Shizumi deutete nach einer Weile in die hinterste Ecke des Raumes, wo gerade mehrere Leute im Begriff waren aufzustehen. Und tatsächlich, kurz darauf räumten sie den Tisch und stattdessen setzen sich Kagerou samt Anhang - der inzwischen um einen Mitarbeiter des NeoTokyos angewachsen war; wann dieser gekommen war, vermochte Yuana nicht zu sagen, wahrscheinlich, während er die Leute hier mit den Leuten, die er von "zuhause" kannte, verglichen hatte. Als sie nun endlich saßen, kam Yuana dazu die Einrichtung des Restaurant auch näher zu betrachten. Sie erinnerte stark an einen dieser Ami-Filme, die versuchten, die ach so tollen 60er und 70er Jahre zu immitieren. Die Sitzpolster und Lehnen der Bänke und Stühle waren mit rotem Leder überzogen, es hingen rote, altmodische Lampen von der Decke und die Tischdecke ließ Yuana an Plastik denken, bis er mit einer flüchtigen Berührung sie als eine dieser Wachsdecken identifizierte, die man kleinen Kindern zum Malen über den Tisch legte aus Angst, sie könnten den Tisch anmalen. Und man sollte es nicht glauben, aber auch die Tischdecken waren rot. Tomatenrot. Yuana verdrehte genervt von dieser seiner Meinung nach zu aufdringlichen Farbe die Augen und griff dann ebenfalls wie seine Freunde zu einer der Speisekarten. Dabei streifte sein Blick auf dem Tisch den kleinen Blumenstrauß, der für ihn, obwohl man an seinen schon halb welken und den Kopf hängenden Blüten die Natürlichkeit deutlich erkennen konnte, genauso künstlich wirkte wie das aufgesetzte Lächeln der Kellnerin, die gerade an den Tisch getreten war, um das Geschirr ihrer Vorgänger abzuräumen. Nein, Yuana war sich ganz sicher...dieses Lächeln war noch künstlicher... Die Kellnerin war schnell wieder verschwunden, als sie gemerkt hatte, dass noch niemand etwas zu bestellen hatte. Trotzdem hing noch leicht ihr Parfümgeruch in der Luft. Yuana rümpfte angewidert die Nase. Er konnte so aufdringliches Parfüm nicht leiden. Überhaupt mochte er diese Art von Frauen nicht. Aber er sollte vielleicht lieber still sein. Schließlich war bis jetzt jede seiner Beziehung schon in der Anfangsphase gescheitert, weil er seine jeweiligen Freundinnen nicht wirklich an sich ranlassen wollte. Er fasste nunmal nicht so schnell Vertrauen. Doch das schien sie nicht interessiert zu haben. Sie hatten nur seine abweisende Art, sein gleichgültiges Verhalten und seine scheinbare Gefühlslosigkeit gesehen und waren schnell wieder aus seinem Leben verschwunden. Genauso wie jegliches Anzeichen von Liebe, das sein Herz dabei berührt haben könnte. „Was möchtest du denn gerne essen?“ fragte ihn auf einmal das junge Mädchen vom NeoTokyo-Team. Erst jetzt bemerkte er, dass er nicht wusste, wie sie hieß. „Hm...ich hätte gerne nur ein Glas Wasser, mir ist nicht so nach Essen zumute. Danke...“ erwiderte er freundlich und sie schenkte ihm ein schüchternes Lächeln. Sie war wirklich sehr nett... „Entschuldige die Frage, aber...wie heißt du noch mal?“ fragte Yuana etwas beschämt und sah sie dabei entschuldigend an. „Schon ok.“ Sie nickte leicht als Bestätigung ihrer Aussage. „Ich heiße Michiko.“ „Ah...ja. Danke...“ Yuana ließ sich den Namen kurz durch den Kopf gehen. Er passte zu ihr, ja. Im Gegensatz zu vielen anderen Dingen mit unpassenden Namen. Warum z.B. hatte die jap. Sprache für fast alles einen wohlklingenden Namen? Selbst die Einsamkeit, Trauer oder Verzweiflung...irgendwie war doch alles in einem schönen Begriff verpack, der nicht annähernd den Menschen darauf vorbereitete, wie schrecklich diese Dinge in Wahrheit waren. Aber vielleicht waren sie doch ganz passend. Denn mit der Zeit gewöhnte man sich nach und nach an die negativen Aspekte. Und irgendwann war man gar nicht mehr fähig ohne sie zu leben, ja liebte sie sogar. So war es bei ihm mit der Einsamkeit. Er verfluchte sie, hasste sie...aber gleichzeitig suchte er sie unbewusst, indem er jeden von sich schob, der ihm zu nahe kam. Warum seine drei Freunde, mit denen er nun hier saß, sich davon nicht hatten verscheuchen lassen, verstand er bis heute nicht. Sie akzeptierten einfach die Tatsache, dass er ihnen nie ganz vertrauen würde, ließen ihn jedoch nicht allein wie es andere vor ihnen getan hatten. Und er war glücklich darüber...sehr sogar... Nur manchmal zweifelte er etwas daran, ob er wirklich so vorbehaltlos zu ihnen gehörte. Manchmal, in so Momenten wie diesem, während er als einziger still dasaß und sie beobachtete, obwohl sie selbst lachend und enthusiastisch am Diskutieren miteinander waren. In solchen Momenten fragte er sich dann wieder, was sie vier eigentlich zusammenhielt und wer ihnen garantierte, dass sie nicht bereits am nächsten Tag getrennte Wege gehen würden. Er schämte sich für diese Zweifel an ihrer Freundschaft, aber noch mehr dafür, dass er selber daran schuld wäre, wenn so etwas geschehen würde. Denn er kapselte sich in letzter Zeit immer mehr von ihnen ab, auch wenn das anscheinend niemand bemerkte. Es waren Kleinigkeiten, fast schon unbedeutend, doch für ihn entscheidend. Wie etwa die Tatsache, dass seine drei Freunde alle Bier bestellt hatten, während er selber bei stillem Wasser geblieben war. Die Kellnerin, die ihnen die Getränke an den Tisch brachte, schien dies auch zu verwundern, doch sagte nichts. Und selbst wenn, er hätte es sowieso nicht verstanden. Shizumi jedoch fiel ihr kurzes Zögern auf und er konnte es wie immer nicht lassen einen Kommentar dazu abzugeben. „Ne, Yuana, du blamierst und ja richtig, warum hast du kein Bier bestellt?“ Er lachte und gab ihm einen leichten Klaps auf die Schulter. „Ich möchte mein Gehirn lieber noch etwas länger benutzen können, weißt du...“, konterte der Gitarrist kühl, doch an seinem Unterton hätte man merken können, dass er genervt war. Hätte man...nur Shizumi war eben nicht „man“ und schon gar nicht darin zu bremsen, Yuana auf die Nerven zu gehen. „Du hast ja nur Angst, dass du dich wieder verplapperst!“ Damit wandte er sich an das Mädchen am Tisch und erzählte glucksend weiter: „Das letzte Mal, als wir ihn abgefüllt haben, hat er sich nämlich benommen wie ein Teenager, verrückt herumgetanzt, gekichert und jeden vollgelabert, dem er begegnete. Ich hab ihn grad noch davon abhalten können, bei so einer alten Schrulle mitzufahren und dann hat er plötzlich angefangen zuheulen und wirres Zeug verzählt, wie z.B. dass er mich liebt und-“ Knarrend schob Yuana seinen Stuhl plötzlich zurück und stand auf. Seine Schultern bebten, doch ansonsten war ihm nichts von seiner inneren Unruhe anzumerken. „Ich bin kurz auf dem Klo...“, murmelte er gelassen und mit ruhigen, gezielten Schritten, als wäre er hier schon öfters gewesen, ging er direkt auf die Toiletten am anderen Ende des Raums zu. Nur keine Unsicherheit anmerken lassen, alles, nur das nicht... Shizumi zuckte irritiert mit den Achseln und setzte an, weiterzuerzählen, wurde jedoch von Daisuke zurückgehalten. „Shizu, das ging zu weit.“ „Eh?“ Der Drummer sah erstaunt in die ernsten Augen seines Bandkollegen, verstand nicht ganz, was dieser ihm sagen wollte. „Hast du nicht gemerkt, dass du ihn durch dein unbedachtes Blabbern verletzt hast?!“, wandte sich nun auch Kazu an ihn. Der Bassist seufzte, als er enttäuscht feststellte, dass Shizumi es wirklich nicht mitgekriegt hatte. „Wenn er zurückkommt, entschuldigst du dich wohl besser mal bei ihm...“, riet ihm daraufhin ihr Sänger, was Shizumi nur noch zu einem Nicken bewegte. Er hatte den Jüngeren doch nur aus der Reserve locken wollen, ihn ein bisschen ärgern und necken. Ihn zu verletzen war nie seine Absicht gewesen, aber anscheinend war ihm genau das passiert, weil er wie immer zu erst geredet und danach gedacht hatte. Eigentlich hatte er ja auch danach nicht nachgedacht... Shizumi blickte beschämt aus dem Fenster auf die Straße hinaus. Es regnete inzwischen in Strömen, kaum eine Menschenseele war auf der Straße zu sehen. Er hatte gesehen, dass Yuana einsam dasaß. Er hatte gesehen, wie der andere immer mehr in seinen Gedanken versunken war und hatte ihn wieder daraus hochziehen, ihm eine helfende Hand geben wollen. Leider hatte er ihn dabei im entscheidenden Moment fallengelassen... Kapitel 2: hiding rain ---------------------- hallöchen, da bin ich wieder ^___^~ gomen an alle, die das hier lesen und lieber bei unbreakable ein Update haben wollten T___T es kommt bald, versprochen! Dieses Kapitel hier ist...seltsam ^^;;; vor allem zum Schluss....und es ist kurz *drop* aber ich wollte an der Stelle aufhören ^^, Vielen lieben Dank an tsukasa-to-yuri und Sonny für eure Kommentare *___*~~ hab mich gefreut wie sonst was x3~ Jedenfalls allen viel Spaß beim Lesen des 2. Kapitels und Kommis net vergessen ^.~ ------------- Ein kleiner, heruntergekommener Hinterhof eines Restaurants in München. Zum Schutz vor dem Regen bemühte sich ein junger Mann so nah wie möglich an der Hauswand entlang zu gehen, dabei ging er schnell, als wäre er auf der Flucht vor etwas. Vielleicht hätte alles anders kommen können an jenem Tag. Unter anderen Umständen wäre er längere Zeit vor dem Spiegel im Waschraum gestanden, seinen Gedanken nachhängend und doch aufmerksam genug, um jedes Geräusch vor der Tür wahrzunehmen, und schließlich, als wie immer leider niemand kam und ihn zurückholen wollte, wäre er einfach von sich aus zurückgekommen, schweigend und ohne sich seine Enttäuschung anmerken zu lassen. Nur war es dieses Mal eben nicht wie immer gekommen. Obwohl er bei weitem nicht so empfindlich war, um nicht über sich selber lachen zu können, hatte es ihn diesmal extrem verletzt, dass der Drummer sich über ihn lustig gemacht hatte. Er sollte sich eigentlich inzwischen daran gewöhnt haben...doch dass er ausgerechnet über diesen einen Satz von damals lachen musste, hatte Yuana innerlich zerrissen. Deshalb trank er keinen Alkohol mehr. Erstens, weil er es wirklich nicht vertrug und am nächsten Tag immer einen tierischen Kater hatte, und zweitens, weil er in betrunkenen Zustand dazu neigte, Dinge zu tun und zu sagen, die er im nüchternen Zustand nie getan hätte... Yuana erschauderte beim Gedanken an den Abend, von dem Shizumi zuvor gesprochen hatte. Die Erinnerung daran hatte er bisher immer gut verdrängen können, doch nun erinnerte er sich wieder, was ihn dazu bewegt hatte, so viel Alkohol zu trinken. Das gleiche Gefühl, weshalb er hier die Straßen entlang lief, immer weiter entfernt von seinen Freunden. Er hatte gespürt, wie ihm immer mehr die Luft wegblieb, wie er langsam aber sicher dabei war, an seiner Einsamkeit und seinen Ängsten zu ersticken. Damals hatte ihn der Alkohol zur Flucht aus diesem Zustand verholfen. Diesmal war es das Fenster über dem Klo gewesen, durch das nun der Regen und der Wind ungehindert ins warme Innere des Hauses gelangte. Aber das kümmerte Yuana nun nicht. Der Restaurantbesitzer war selber schuld, wenn nun seine Heizungskosten anstiegen, weshalb baute er auch so große Fenster ein? Fenster, so groß wie das allerletzte Schlupfloch einer Maus. Und diese Maus flüchtete gerade vor einer Katze namens „Gesellschaft“ durch die verregneten Straßen einer fremden Stadt. Oder sollte man diese Katze eher „Shizumi“ nennen? Der Drummer jedenfalls bekam mit jeder Sekunde, in der Yuana nicht wieder auftauchte, ein noch schlechteres Gewissen. Als schließlich ihr Essen kam, hielt er es nicht mehr aus und verließ wortlos ihren Tisch in Richtung Klo. Seine beiden Bandkollegen nickten sich daraufhin erleichtert zu. So langsam machten sie sich nämlich auch einige Gedanken, da Yuana schon seit einer Viertelstunde nicht wieder von den Toiletten zurückgekehrt war. Auf dem Weg zu diesem wunderte sich Shizumi nicht schlecht, denn eine ziemlich rundliche, kleine Frau kam ihm direkt aus dem Herrenklo entgegen. Schnell fiel ihm aber ein, dass dies wohl die Putzfrau sein musste. Er grüßte sie freundlich, trotzdem blieb sein Gruß unerwidert, gar völlig ignoriert. Mit ein paar wütend vor sich hingemurmelten Worten, von denen Shizumi nur „eisige Kälte“, „Idiot“ und „Fenster“ verstand, passierte sie den jungen Japaner, der wiederum ihr nur verwundert hinterher sah. Manchmal hatten die Deutschen eine für ihn unverständliche Art an sich... Doch sobald er die Toilettenräume betrat, konnte er ihre Wut nachvollziehen. Im ganzen Raum herrschte eine Kälte wie im Winter, die Fließen waren schon leicht angelaufen, ebenso die Fensterscheibe. Der Dunkelhaarige erschauderte kurz durch den Temperaturwechsel bestimmt, bis ihm plötzlich etwas Entscheidendes auffiel: Der Raum war kalt und leer. Leer. Niemand außer ihm war hier. Niemand. Es dauerte etwas, während ihm die Bedeutung dieser Erkenntnis immer klarer wurde, dann jedoch schreckte Shizumi wie vom Blitz getroffen aus seinen Gedanken und rannte durch den Raum. Er durchsuchte wirklich jeden Winkel nach ihrem Gitarristen. Und wäre es möglich gewesen, er hätte bestimmt auch noch die Fließen von der Wand gerissen. Aber es blieb dabei. Yuana war nicht mehr da. Ein Seufzen entwich letztendlich dem Drummer, seine Stirn lehnte an der kalten Fließwand, seine Gedanken rasten. Wie konnte das sein, sie hätten es doch gemerkt, wäre er gegangen?! Oder nicht? Waren sie schon so weit, dass sie nicht einmal bemerkten, wenn einer von ihnen am Tisch vorbeilief und ging? Nein, eigentlich nicht... Yuana war schon öfters einfach so verschwunden, er wusste wie er es unauffällig anstellen konnte. Doch dieses Mal war das erste Mal, dass sie einen Grund dafür kannten. Auch wenn Shizumis Aktion wahrscheinlich nicht der ganze Grund seines Handelns war... Dennoch machte sich dieser erneut Vorwürfe und rätselte über einen möglichen Fluchtweg. Sein Blick glitt durch den Raum, blieb resignierend am Fenster hängen. Yuana würde sich nicht durch so ein kleines Quadrat zwängen...Shizumi schüttelte sicher den Kopf. Aber Moment...was hatte die Frau gemurmelt? Da war doch auch ein Fenster dabei gewesen! Und ein geöffnetes Fenster würde auch diese schreckliche Kälte und die Wassertropfen auf dem Fensterbrett erklären. Regentropfen...langsam ging er näher an das Fenster, schätzte in Gedanken die Länge und Breite der Öffnung. Es war ziemlich klein, er würde nicht hindurchpassen. Andererseits war ihr Gitarrist auch klein...und deshalb würde dieser im Gegensatz zu ihm hindurchkommen. Das musste er enttäuscht einsehen, während er dem angeblichen Fluchtweg wieder den Rücken kehrte und zögernd zu den anderen zurückkehrte. „Baka...“, meinte er leise, bevor er den Raum verließ, wobei ihm selber nicht einmal klar war, ob er sich oder den Flüchtling meinte. Zutreffen würde es auf sie beide. Wenigstens eine Kleinigkeit, die sie gemeinsam hatten...Dabei wäre er ihm so gerne etwas ähnlicher. Und wenn es nur so viel wäre, dass er ihn verstehen konnte, dass er ihm helfen könnte und ihn nicht ständig unbeabsichtigt verletzten würde. Jedoch konnte er nicht aus seiner Haut wie auch Yuana, der inzwischen bis auf jene durchnässt war. Dies kümmerte den Gitarristen herzlich wenig, eher im Gegenteil: Die Kälte auf seiner Haut und das stetige Prasseln der Regentropfen hatten etwas Beruhigendes an sich. Ebenfalls genoss er es durch die leeren Straßen zu laufen, ungeachtet der Blicke, die auf ihm lagen, wenn er an unter einem Vordach Schutz suchenden Passanten vorbeilief. Sie fürchteten sich doch nur vor einer Erkältung oder davor, nass zu werden und dadurch ihr Outfit, ihre Frisur oder gar ihr Make-up zu zerstören. Wie oberflächlich die Menschheit doch war... Im Vorübergehen erhaschte Yuana einen Blick auf sich in einem der grell beleuchteten Schaufenster. Er hielt in der Bewegung inne und trat näher, obwohl ihn das Licht schrecklich blendete. Durchnässt bis auf die Knochen, das bisschen Schminke, das er trug, hatte sich verflüssig und lief seine Wangen hinab. Fast wie Tränen, schwarze Tränen...Ein trauriges Lächeln huschte auf sein Gesicht, als er die Konturen dieser Tränen am spiegelnden Glas nachfuhr. Das war er...nicht das vorgetäuschte Lächeln, nicht die höfliche Schüchternheit oder die gespielte Gleichgültigkeit Shizumi gegenüber, nein, das alles entsprach nicht ihm, nicht dem, was er im Herzen fühlte. Doch diese bis auf die Knochen durchnässte Gestalt, mit den nass ins Gesicht hängenden Haarsträhnen und der verlaufenen Schminke, dies schien ihm viel eher er selber zu sein. So erfüllte ihn trotz seiner Traurigkeit plötzlich ein Gefühl von Freude und mit einem von Melancholie erfüllten Lächeln ging er weiter die Straße entlang, ohne Ziel, aber auch ohne das Bedürfnis, eines zu haben... „Und er ist einfach so durch das Klofenster geklettert?!“ Daisuke sah entgeistert seinen Bandkollegen an, nachdem er ihnen allen seine Vermutung geschildert hatte. „Wir hätten es gemerkt, wenn er durch den Raum gegangen wäre...“, gab Kazu zu Bedenken, stimmte damit Shizumis Vermutung zu. „Aber eins versteh ich nicht ganz...“, mischte sich nun auch die junge Frau am Tisch ein, „Wie kommt ihr überhaupt darauf, dass er einfach so verschwinden könnte ohne Bescheid zu sagen?“ Die drei Freunde sahen sich plötzlich grinsend an, kurz darauf begann Daisuke es ihr zu erklären. „Weil er das öfters macht. Er hat mir einmal erklärt, dass ,bei zuviel Stress oder wenn ihn zu viele Gedanken beschäftigen, er von einem Moment auf den anderen plötzlich seine Vernunft ignoriert und instinktiv flüchtet. Bisher ist er aber immer nach spätestens vier Stunden wieder aufgetaucht, also müssen wir uns keine weiteren Sorgen wegen seinem Verschwinden machen. Trotzdem...“, er sah Shizumi ernst in die Augen, „du solltest ihn suchen gehen, schließlich warst du der Auslöser dafür und wolltest dich ja sowieso bei ihm entschuldigen, oder?“ Letzteres klang eher wie eine Aufforderung als wie eine Frage oder Feststellung. Shizumi legte nachdenklich den Kopf schief, betrachtete Daisuke, der ihm grad unmissverständlich zu verstehen gegeben hatte, was er dessen besten Freund schuldig war. Aber nur wegen einer Entschuldigung jetzt in den Regen und dem Kleineren hinterher, wo er doch gar keine Ahnung hatte, wie weit dieser schon gekommen sein konnte. Außerdem würde er ja eh wieder kommen, dann konnte er sich immer noch bei ihm entschuldigen. Der Drummer schwieg noch immer, als draußen plötzlich ein lautes Donnergrollen erklang. Etwas später folgte ein resigniertes Seufzen. Shizumi hatte sich entschieden. Mit knappen Worten verabschiedete er sich von seinen zwei Freunden und Michiko, bevor er sich raus in den Regen stürzte und loshastete. Der Regen nahm inzwischen immer mehr zu, schon nach wenigen Minuten war Shizumi patschnass. Dennoch lief er weiter, denn er wusste, Yuana würde sich auch nicht um den Regen kümmern, und nur ein paar Minuten zu lang nass in dieser Kälte und ihr Gitarrist hatte eine saftige, wenn nicht sogar gefährliche Erkältung. Und er wäre daran schuld...Shizumi schüttelte innerlich den Kopf über ihr Verhalten. Wie die kleinen Kinder...wirklich... Umso weniger verwunderlich also, dass das zweite dieser beiden „Kinder“ gerade einen Kinderspielplatz betrat. Nur war es nicht unbedingt die Rutsche gewesen, die ihn angelockt hatte, sondern ein leises Miauen, das er ihm vorbeilaufen wahrgenommen hat. Er spitzte die Ohren, um durch den prasselnden Regen hindurch besser hören zu können, doch nur leise drang das klägliche Fiepsen an sein Ohr. So leise, dass ein normaler Passant es überhort hätte, jedoch laut genug, um Yuana aus seinen Gedanken zu reißen. Langsam näherte er sich den Bänken neben dem Sandkasten, wo das Weinen leicht lauter zu werden schien. Vielleicht hatte die Katze Schutz unter dem Holz gesucht? Auf eine unerklärliche Weise beschäftigte sie Yuana, sodass er bald auf dem Boden kniete und unter jeder Bank nachsah. Aber dort saß nirgendwo ein vom Regen verschrecktes Tier. Nirgends. Verwirrt sah sich der Braunhaarige um, fixierte schlussendlich den runden Mülleimer neben einer der Bänke. Konnte es etwa sein...!? Fast schon ängstlich näherte er sich dem Gefäß, schluckte, als er das Kätzchen deutlicher hören konnte. Zitternd hob er den Deckel an, der Regen gelangte sofort in den Eimer, doch das nahm Yuana gar nicht mehr wahr. In seinen Ohren hallte verstärkt das Scheppern des Deckels, als er ihn geschockt fallen ließ, in sein Gedächtnis brannte sich der Anblick der kleinen Gestalt vor ihm, abgemagert und teilweise verletzt. So sehr, dass sie sich anscheinend nicht mehr bewegen, sondern nur noch weinen konnte. Ohne es zu bemerken liefen Yuana augenblicklich Tränen über die Wangen. Er nahm das Kätzchen vorsichtig auf den Arm, berührte unsicher das an den meisten Stellen mit Blut verkrustete Fell. Seine Füße trugen ihn wie von selbst mit dem Wesen im Arm zur Schaukel, wo er sich trotz der nassen Sitzfläche hinsetzte. Die Katze hatte inzwischen aufgehört zu weinen, schmiegte sich kaum merklich an ihren Retter, der sich selber gar nicht so fühlte. Schnell öffnete er seine Jacke und legte das Kätzchen an seine Brust bevor er die Jacke wieder halb schloss, sodass der Regen dem Tier nichts anhaben konnte. Ein leises Schnurren war zu hören, dann Yuanas Schluchzen. Er wusste nun, warum er dem Weinen gefolgt war, warum ihn der Anblick der Katze so traf. Sie war wie er selber früher und zum Teil auch noch heute. Verletzt, allein gelassen, weggeworfen... Und doch nur auf der Suche nach ein bisschen Liebe... Kapitel 3: a kitten needs comfort --------------------------------- Dass der Regen mit der Zeit nachgelassen hatte, war ihm nicht aufgefallen. Auch dass das kleine Kätzchen unter seinem Jackenpulli eingeschlafen war, entging seinem in Gedanken versunkenen Geist. Er hatte das Zeitgefühl verloren, an seinem inneren Augen huschten Erinnerungen aus seiner Kindheit und Jugend vorbei, schreckliche Erinnerungen, beängstigende Erinnerungen...er hatte nicht unbedingt sehr viel Schönes aus dieser Zeit vorzuweisen. Immer schon war er der stille, zurückgezogene Freak gewesen, immer. Warum dann störte es ihn ausgerechnet jetzt so sehr, wo er doch gar nicht mehr deswegen gehänselt wurde? War es, weil er sich dadurch so sehr von seinen Freunden entfernte? Oder...weil er sich deswegen von einer ganz bestimmten Person entfernte...? Das Quietschen der zweiten Schaukel neben ihm riss ihn schließlich aus seinen Gedanken. Unbeachtet von ihm, war eine weitere Gestalt auf den Spielplatz gelangt und hatte sich neben ihn gesetzt. Er schloss die Augen, wollte seinen Blick nicht wenden, nur um jemand anderen vorzufinden als den, den er sich so sehr wünschte. Doch die Stimme des anderen ließ ihn zusammenschrecken. „Du bist wirklich ein Dummkopf, weißt du das? Einfach so in einer fremden Stadt, noch dazu in einem fremden Land, wegzulaufen!“ Shizumi versuchte seine Stimme ungehalten klingen zu lassen, doch man hörte ihm trotzdem an, wie erleichtert er war, nachdem er Yuana endlich gefunden hatte. Dieser saß immer noch unbewegt auf seinem Platz, während sein Bandkollege sich langsam erhob. Yuana konnte es nicht fassen, er war tatsächlich gekommen, hatte ihn wirklich gesucht... „Du hast dich sicherlich erkältet mit dieser leichtsinnigen Tat...“, murmelte der Größere vor sich hin, zog dabei seinen langen Mantel aus. Es spritzte etwas, und Yuana spürte einen leichten Sprühregen auf seinem Gesicht, obwohl es doch vom Regen schon ganz nass war. „Es tut mir leid,“ meinte Shizumi leise an ihn gewandt, gleichzeitig trat er hinter ihn und legte den Mantel um seine schmalen Schultern. Wofür entschuldigte er sich nur? Für das bisschen Wasser auf seiner eh schon durchweichten Haut? Oder wollte er sich für vorhin entschuldigen, wo er ihn mit seinen Worten verletzt hatte? Yuana sah verwirrt zu ihm auf, stellte ihm stumm aus seinen leicht geröteten Augen diese Frage. „Für beides,“ erklärte der Drummer verlegen und zog ihm im gleichen Atemzug auf die Beine. Einen Arm als Halt an dem Kätzchen unter seinem Pulli, den anderen zum Zusammenhalten der beiden Kragenstellen des viel zu großen Mantels folgte Yuana dem anderen, wobei er plötzlich dessen Wärme spürte, die noch immer im Kleidungsstück hing und nun sofort an seine durchnässten Glieder drang. Er fühlte es plötzlich ganz deutlich, diese Wärme in sich drin, während Shizumi einen Arm um ihn gelegt hatte und ihn so zurück lotste. Und ganz allmählich stiegen die Tränen in ihm auf, brachen kurz darauf aus seinen sowieso schon verheulten Augen. Er weinte stumm, nur hin und wieder konnte er das Schluchzen nicht ganz unterdrücken. Das Zittern seines ganzen Körpers konnte Shizumi jedoch nicht entgehen. Dennoch lief er stumm weiter und begann wie zufällig eines ihrer Lieder zu pfeifen, während er fast wie zufällig den Kleineren fester an sich drückte. Diesmal würde er ihm Halt geben können...wenigstens dieses eine Mal... Die anderen begrüßten ihn, als sei nichts weiter vorgefallen. Als sei das rätselhafte Verschwinden nicht geschehen, oder zumindest nicht in einer völlig fremden Stadt, denn das Yuana ab und zu verschwand, war ja eigentlich nichts Außergewöhnliches. Genauso wie seine Stimmungsschwankungen, durch die er binnen weniger Sekunden von einem Extrem ins andere verfallen konnte. Kindisch war er dabei jedoch nie. Entweder zynisch und depressiv, oder aber sarkastisch und versaut, fast schon zwingend lustig durch den Widerspruch an sich. Dennoch entsprach keiner dieser Zustände alleine seinem ganzen Wesen. Vielmehr war es die stetige Abwechslung zwischen den beiden. Einen Mittelweg hierbei zu finden, fiel daher deutlich schwer... Yuana jedenfalls konnte dies nur selten und wenn, dann nur bei seinen Freunden, wo er sich wohl und akzeptiert fühlte. Ansonsten, so nahm er an, war es seine ewige Angst, sich zu blamieren, die ihn sich extrem verhalten ließ. Und doch...irgendwie war auch dies ein Teil vom ihm und er würde nicht unbedingt sagen, dass er sich zwangsläufig verstellte, nur weil er etwas anders handelte, als er es vielleicht im bloßen Kreis seiner Freunde getan hätte... „Na, da hast du es wohl um einiges leichter, ne?“ Mit schief gelegtem Kopf beobachtete der Gitarrist sein neues kleines Kätzchen, das gerade Anstalten machte, an einem der Holzstühle hochzuklettern. Er selber lag bäuchlings ausgestreckt auf seinem Bett, den Rücken zum Fenster, an dem immer noch die Regentropfen ihre Bahnen zogen, die Beine in der Luft angewinkelt, den Kopf voller Gedanken über sich selbst. Sollte er sich deshalb egoistisch vorkommen? War er zu sehr auf sich selbst fokussiert? Wahrscheinlich waren auch das Gedanken, die im Endeffekt überflüssig waren. Die Realität sah immer anders aus und in dieser wusste sowieso niemand, was er gerade dachte, also konnte ihm auch niemand diese Gedanken vorwerfen. Ja, seine Gedanken konnte ihm niemand vorwerfen. Aber galt das auch für Gefühle, die leider bekannt waren, jedoch nicht ernst genommen wurden? Würde er jemals deswegen Probleme haben oder würde es ewig so weitergehen? Er am Rande der depressiven Phase, wann immer er an ihn und seine unerwiderten Gefühle dachte, und der andere, der trotz seiner Frechheit zu schüchtern war, ein Mädchen aufzureißen, und durch sein trampelhaftes, schusseliges Wesen nie mitbekam, was für Gefühle ihm entgegengebracht wurden... Irgendwie schien das ganze doch traurig... Mit zittrigem Arm lockte er vorsichtig das noch namenlose Kätzchen zu sich, hob es auf das Bett und legte es auf sein Kopfkissen, wo es sich sofort schnurrend zusammenrollte und sich von ihm kraulen ließ. Es war schon seltsam. Obwohl das kleine Ding so sehr von Menschen verletzt und verraten worden war, hatte es so leicht wieder Vertrauen zu einem von ihnen fassen können. Denn, obwohl es Shizumi zuvor misstrauisch beäugt hatte, während er Yuana geholfen hatte, die Wunden des Tieres zu desinfizieren und zu versorgen, schien es keinerlei Bedenken zu haben, jederzeit zu dem braunhaarigen Gitarristen zu laufen und ihm ohne jegliches Misstrauen zu begegnen. Seufzend vergrub Yuana sein inzwischen durch silberne Bahnen durchnässtes Gesicht im Fell seines kleinen Schützlings und legte sich neben ihn. Warum fiel es ihm nur so schwer, anderen Vertrauen zu schenken, wo doch seine Verletzungen schon längst verschlossen waren. Lag es daran, dass sie niemand versorgt hatte und sie deshalb nie ganz verheilen konnten? Und wenn dies der Fall war...konnte man solche Wunden nicht auch nachträglich noch heilen? Wenigstens eine geringe Hoffnung in diese Richtung besaß Yuana und diese ließ seine Tränen bald versiegen und ihn selber in einen schönen Traum verfallen. Zur gleichen Zeit saßen Daisuke und Shizumi zusammen im Cafe gegenüber ihres Hotels, tranken beide jeweils einen Milchkaffee und versuchten sich in Smalltalk. Dass die aber nicht der Grund für Daisukes Einladung gewesen war, schien Shizumi bereits Minuten später offensichtlich, sodass es ihn eher weniger wunderte, als Daisuke abrupt das Thema wechselte. „Gut, dass du ihn so schnell gefunden hast...“ In seiner Stimme lag etwas Lauerndes, während seine Augen herausfordernd blitzten. Irgendetwas führte der kleine, unschuldige Dämon vor ihm im Schilde, doch Shizumi hatte keinerlei Vermutungen, was dies sein könnte. Irritiert zuckte er mit den Achseln, trank schnell einen Schluck Kaffee, als könne er dadurch mehr Zeit gewinnen, bevor er seine Antwort geben musste. „Es war nicht allzu schwer. Ich habe ein paar Leute gefragt und er fiel doch relativ auf, da er als einziger den Regen nicht beachtet hatte und mit verlaufener Schminke herumlief...“ „Was ist das für ein Kätzchen?“, fuhr der Sänger unbeirrt fort. „Er hat es gefunden, anscheinend von irgendwelchen Kindern oder Jugendlichen gequält. Abscheulich so was!“ Abscheu machte sich in Shizumis Ausdruck bemerkbar. Unwohl schüttelte er sich, wollte dieses Gefühl wieder loswerden. Zurück blieb ein Gefühl von Unwohlsein, ein schlechtes Gewissen, als wäre er es gewesen, der das Kätzchen so behandelt hatte. „Es erinnert mich ein bisschen an Yuana...“, meinte er schließlich zögernd, sah Daisuke unsicher an, der jedoch keine Miene verzog anhand dieses doch etwas komischen Vergleichs. „Nur dass er im Gegensatz zu dem kleinen Ding, das ihm nun so sehr vertraut, niemanden hat, dem er so sehr vertraut...“ „Er vertraut dir,“ wandte der Kleinere ein und mit einem Mal fühlte sich Shizumi noch unwohler in seiner Haut. Nervös zupfte er mit seinen Fingern an seinem Hemdärmel, lachte gekünstelt auf. „Er vertraut uns allen.“ „Nein, ich denke dir vertraut er am meisten.“ Daisukes Blick war durchdringend, nach einer Weile jedoch grinste er leicht und nickte dem Drummer zu. Er schien genau zu wissen, dass dieser unbewusst sehr wohl wusste, worauf er hinaus wollte, doch dies würde er nicht so schnell zugeben. „Worauf willst du damit hinaus?“, fragte er daher nervös, seine Stimme etwas zu hoch aufgrund seiner Unsicherheit und des Unglaubens. „Nun, meiner Meinung nach solltest du mal darüber nachdenken, dass Yuana vielleicht die Wahrheit sagt, wenn er betrunken ist...“ „Du spinnst!“ Wie um sich selbst davon zu überzeugen, wie lächerlich dieser Gedanke wäre, lachte Shizumi erneut auf. „Das kann doch unmöglich sein...“ Seine Stimme war fast schon flehend, ja, wenn er ehrlich war, wollte er über so eine Möglichkeit gar nicht so genau nachdenken. Yuana ernsthaft in ihn verliebt? Nie im Leben! Aber... „Möglich ist alles,“ wandte Daisuke seufzend ein, „Ich glaube auch, dass du das bereits weißt, also tu dir und ihm einfach den Gefallen und denk einmal ernsthaft darüber nach.“ Mit diesen Worten erhob er sich und verließ seinen Bandkollegen, um diesem zu ermöglichen, alleine über das ganze nachzudenken. Er hatte hiermit sich genug eingemischt, nun müssten seine beiden Freunde selber sehen, was sie aus ihrer jetzigen Situation machen würden. Nun müssten sie sich beide bald der Wahrheit stellen. Zufrieden mit sich selbst lief der kleine Sänger zurück ins Hotel, wo ihm im Eingangsbereich zufällig Kazu über den Weg lief. „Oi, Kazu! Lass uns shoppen gehen!“, rief er sogleich lachend und zog den durch seine gute Laune total verwirrten Bassisten widerspruchslos hinter sich her in Richtung Innenstadt. Und ganz langsam ließ der unheilverkündende Regen nach... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)