Die letzten Jahre von Rejah ================================================================================ Kapitel 13: Körperlos, geistlos ------------------------------- Kapitel XII : Körperlos, geistlos Für Alexis war das Gefecht kein Kinderspiel, doch es kümmerte ihn nicht. Hätte er in diesem Moment in seinem Kopf Platz für nur einen weiteren Gedanken gehabt, wäre ihm wahrscheinlich eingefallen, dass er sowohl seine Ausdauer als auch seine außergewöhnliche Wendigkeit nur dem Training, das ihm als Sucher zuteil wurde, zu verdanken hatte. Doch die massive Anzahl der Flüche, die an seinem Körper vorbeisausten und seine Kleidung und Haut ansengten, ließ ihm dafür nicht genug Freiraum. Als er den Zauberer mit dem Schwebefluch nach oben gerissen hatte, hatten die anderen nach oben gesehen und für wenige Augenblicke ihre Angriffe unterbrochen, doch als die ersten Äste auf sie hinunterrieselten, fiel ihnen wieder ein, wozu sie dort waren. Alexis sprang hoch, als er einem niedrig geratenen Fluch auswich und suchte nach dem Verursacher. Es einer der verhüllten Gestalten, doch dieser hatte sich wohl bisher im Hintergrund versteckt. Alexis kam auf ihn zu, mit immer schneller werdenden Schritten. Doch der Andere rührte sich nicht von der Stelle, richtete nur seinen Zauberstab auf ihn. “Imperio!” Die Worte hallten klar und deutlich durch den Wald und auf einmal war es vollkommen still um ihn. Still, bis auf das leise Flüstern einer Stimme, die aus allen Richtungen zu kommen schien. Komm auf meine Seite … Die Stimme war unmenschlich hell und zischelnd. Komm … Du willst doch …, Alexis schüttelte den Kopf, als wollte er sie dadurch loswerden, etwas erreichen? Sie hatte an Schärfe zugenommen, verbesserte sich jedoch sofort und redete leise zischelnd weiter. Worauf wartest du noch? Zusammen können wir stark werden … “Nein!” Alexis kniff die Augen zusammen, doch das Bild des Waldes blieb bestehen, ebenso wie die unbekannte Stimme, die ihm doch vertraut vorkam. So vertraut, als hätte er sie schon einmal gehört. Irgendwann einmal - hatte er diese Zeit verdrängt? Diesen Tag? “Wer … bist du?” Oh, du weißt, wer ich bin, flüsterte die Stimme, fuhr mit unsichtbaren Händen schmeichelnd um ihn, erinnerst du dich nicht mehr? “Nein …” antwortete Alexis. Das ist schade, die Stimme machte eine Pause, dann lass mich dir deine Erinnerungen in dein Gedächtnis rufen … Harry Potter. Alexis riss die Augen auf. Hektisch sah er sich um, die Arme nutzlos an den Seiten hängend. “Verdammt … sag, wer bist du?” Er wurde zunehmend verzweifelter; diese Stimme kam ihm so vertraut vor, doch mit jeder Sekunde, die er sie hörte, wurde sie ihm verhasster. Ich würde sagen, dass es mich verletzt … dass du mich nicht erkennst, antwortete die Stimme. Sie war lauter geworden, als sei ihr Besitzer näher gekommen, wenn du mir glauben würdest. “Zeig dich.” Alexis konnte nicht anders, als diesen Wunsch - denn mehr war es nicht, kein Befehl - auszusprechen, obwohl er, wenn er es zugegeben hätte, Angst davor hatte, wer sich hinter dieser Stimme verbergen könnte. Von weit hinten, zwischen den Bäumen, an deren Wurzeln sich weißer, fasriger Nebel gebildet hatte, bildete sich eine dunkle Gestalt heraus. Sie erschien ihm von der ersten Sekunde an unwirklich; ihr Anblick ließ ihm seine Augen schmerzen. Erinnerst du dich immer noch nicht? Obwohl er deutlich sehen konnte, dass sie Gestalt auf ihn zuging, kam sie kein bisschen näher. Außerdem bemerkte er, dass ihr Umhang, der von dem Nebel so nass sein musste, dass er tropfte oder zumindest, dass er feucht glänzte, vollkommen trocken war. Doch auch trocken war das falsche Wort. Die ganze Gestalt kam ihm unwirklich vor. “Nicht echt …” Alexis überfuhr ein Schauer. “Das alles ist nicht echt - aufwachen! Wach auf!” appellierte er an sich selbst. Doch natürlich funktionierte es nicht. Du hast doch nicht geglaubt, dass so etwas den Fluch aufheben könnte, oder? Er konnte das Grinsen beinahe wahrnehmen. Du unterhältst mich wirklich hervorragend … doch dafür bin ich nicht hier … Alexis begann sich ein weiteres Mal wild umzusehen, diesmal, um einen möglichen Ausweg, eine Fluchtmöglichkeit zu erhaschen. Nach einigen Sekunden stellte er fest, dass es keine gab und wandte sich wieder der fremden Gestalt zu. Hast du Angst, Harry? Er schüttelte den Kopf. Bildete er es sich nur ein, oder konnte er tatsächlich Lachen hören? Deine Eltern waren genauso. Mutig bis zum Ende … und doch haben sie um ihr Leben gebettelt, als es dr- “Sei still!” Der Fremde tat es. Alexis’ Atem ging schnell und abgehackt, doch er hatte sich wieder unter Kontrolle. Er richtete seinen Zauberstab auf die verschwommene Person, genau da, wo er das Herz vermutete. “Sag mir endlich, wer du bist!” zischte er mit zusammengepressten Zähnen, obwohl er schon längst eine Vermutung hatte. Doch noch, wo er nicht den endgültigen Beweis hatte, wagte er es noch nicht einmal, es für möglich zu halten. Eine Weile lang tat sich gar nichts und Alexis bekam das Gefühl, als sei die Zeit stehen geblieben. Es hätte ihn nicht verwundert; er traute ihm alles zu, wenn es denn tatsächlich er war. Ich … bin … Die Gestalt bekam Konturen; Alexis wusste, dass dieser Prozess Minuten um Minuten dauerte, dennoch konnte er dabei zusehen und es kam ihm nur wir der Hauch einer Sekunde vor. Dort, wo das Gesicht sein musste, wurden die Farben heller und bleicher, und dort, wo die Augen sein sollten, war das, vor dem er sich so sehr fürchtete. Er schrie. Aus seinem Zauberstab brach ein grelles, weißes Licht heraus, das auf den Anderen zuschoss und ihn in der Brust traf. Die Gestalt erstarrte kurz, dann fiel sie in sich zusammen wie eine schlecht gemachte Puppe. Plötzlich konnte Alexis wieder alle Geräusche um ihn herum hören. Er sah auf und sah überall auf dem feuchten Waldboden dunkle Gebilde, die sich, als er sie eine Weile betrachtet hatte, als die anderen Zauberer herausstellten. Sie sahen nicht sehr lebendig aus. In einem Anflug von Angst, der ihn durchzuckte, ließ er seinen Kopf hochschnellen und blickte zu der Stelle, wo eben noch der Besitzer dieser Stimme gestanden hatte. Auch dort war ein dunkler Haufen aus Kleidern. Darunter blitze eine regungslose Hand hervor. Doch sie war nicht so bleich, wie sie ihm eben erschienen war. “Alles klar?” Als er aufsah, bemerkte er, dass John an seiner Seite erschienen war. Die Haut über einem seiner Augen war blutig und würde bald verkrusten und anschwellen, doch abgesehen davon sah er relativ unversehrt aus. Als John ihn immer noch fragend ansah, nickte Alexis kurz, obwohl er sich noch nie so schlecht in seinem Leben gefühlt hatte. Ihm schmerzten alle Knochen im Leib, doch trotzdem stemmte er sich auf und wankte zu der am Boden liegenden Gestalt. Er musste sich vergewissern. Es konnte nicht sein. Nicht mit einem einzigen Fluch. Wieso kam es ihm bloß so vor, als wäre der Weg, den er zwischen John und dem Unbekannten zurücklegte, der Weg, den ein zum Tode Verurteilter zu seiner Hinrichtung beging? Er musste tot sein. Niemand konnte so still daliegen - oder? Er stand vor der gestalt und sah auf sie hinab. Schritte erklangen hinter ihm. “Alexis” Jakob tauchte urplötzlich an seiner Seite auf. “Warte. Lass mich das machen.” Und damit beugte er sich ohne zu zögern hinunter und drehte den leblosen Körper um. “Sauber” sagte er anerkennend. “Ist glatt durchs Herz gegangen.” Doch Alexis nahm seine Worte kaum wahr. Seine Ohren waren von einem Rauschen erfüllt und ihn durchfuhr eine Eiseskälte. Er kannte den Toten nicht. ~~~~~*~~~~~ Die meisten Zauberer waren tot, doch es gab zwei Verletzte, einer davon derjenige, den Alexis durch die Luft gewirbelt hatte. Die Toten ließen sie im Wald zurück; die Wölfe würden sich um sie kümmern, so Jakob. Sie konnten von Glück reden, dass es immer noch stockdunkel war, denn ansonsten wäre es nicht so leicht gewesen, die beiden Männer zu transportieren. Alexis fror. Jetzt, wo die Hitze des Kampfes vorüber war, spürte er die Kälte, die ihm unter seinen Umhang und durch dessen Brandlöcher und Risse, die er sich zwischendurch eingefangen hatte, kroch. Es ging ihm miserabel und er fragte sich, wieso ausgerechnet er dafür zuständig war, die beiden Zauberer vor sich in der Schwebe zu halten. Er war erleichtert darüber, dass sie ohnmächtig waren, denn dies machte es ihm ein wenig leichter. Er ging immer langsamer und sein Abstand zu ihnen wurde immer größer. Doch je mehr er sich anstrengte, sie einzuholen, desto schwächer fühlte er sich. Dann dachte er, sein Herzschlag würde aussetzen. Für den Bruchteil einer Sekunde spürte er nichts mehr um sich herum, seine Augen sahen Farben, ohne Zusammenhänge zwischen ihnen herzustellen und seine Ohren waren taub; dann keuchte er auf, stolperte, versuchte sich noch auf den Beinen zu halten, fiel dann jedoch schmerzhaft auf die Knie. Die zwei Verletzten krachten zeitgleich auf den harten Boden. “Alexis?” Es war John, der sich zuerst umblickte; Jakob folgte im nächsten Augenblick. Alexis achtete nicht auf sie. Wieder raste sein Herz, schneller und schneller, er versuchte rasselnd nach Luft zu ringen, doch es war, als atmete er nur Sand, der seine Kehle zerriss und von dort aus seinen Körper von innen zerstörte. Er sackte auf den Boden, Arme und Beine wie bei einem hilflosen Säugling angezogen, und fing an zu zucken. “Was? Was passiert mit-” John brach ab. Man konnte ihm ansehen, dass er helfen wollte, sich der Unerfüllbarkeit dieses Wunsches beinahe bewusst. Hastig kniete er sich neben ihn und versuchte ihn festzuhalten. Jakob kam zu ihm. “Ich hab mich kurz um die zwei da gekümmert.” sagte er und nickte zu den Zauberern, die von einem Fluch an den Boden gefesselt waren. Er sah zu John. “Mach dir keine Sorgen.” Verblüfft sah John zu ihm auf. “Was? Wieso?” fragte er hektisch. “Es ist normal.” Obwohl Jakobs Stimme keinerlei Zweifel oder gar Mitgefühl preisgab, konnte John diese Gefühle nur zu gut an seinem Gesicht ablesen. Dies war der Anstoß dafür, dass er es mit der Angst zu tun bekam, denn Jakob zeigte selten außerhalb der Nische solche Emotionen, die ihn schwächer aussehen ließen. “Wieso ist es normal?” fragte John und ließ seine Hände langsam von Alexis’ Körper hinunter gleiten. Jakob schüttelte den Kopf. “Nicht hier.” sagte er. “Warten wir, bis es vorbei ist, dann bringen wir sie in die Nische”, plante er, “und dann kümmern wir uns um Alexis. Obwohl man nicht viel mehr tun kann, als ihm ein Glas Wasser zu geben.” Er lachte leise und zynisch auf, dann fing er an, seinen Zauberstab in den Händen zu drehen, als wäre ihm langweilig. “Ich dachte mir schon, dass ich es dir und dem Clan irgendwann erzählen müsste. Besonders dir.” John, der die Gelegenheit ergriff, um nicht weiter auf den sich am Boden windenden Alexis achten zu müssen, hob die Augenbrauen. “Du hast wirklich ein Talent dafür, Leute neugierig zu machen.” sagte er tadelnd, wandte sich Alexis jedoch sofort wieder zu, als dieser zu husten anfing. Einige Tropfen Blut spritzten auf den Boden und vermischten sich mit der Eisschicht darauf. “Ist das auch noch normal?” fragte er zweifelnd. “Nein” sagte Jakob und starrte wie gebannt auf die kleinen Blutkleckse. “Ist es nicht.” Er streckte eine Hand nach Alexis aus, wie um ihn an der Schulter zu berühren, als ob er ihm Mut oder etwas in der Art geben wollte - dann stockte er. “Jakob?” John blickte ihn besorgt an. Er war vollkommen verwirrt: Alexis’ Zustand, einen solchen, wie er ihn noch nie gesehen hatte, dann auch noch Jakobs merkwürdiges Verhalten. Was hatte dies zu bedeuten. Alexis hörte auf zu zucken. “Ist er-” begann John entsetzt. “Nein, sieh doch hin!” Alexis’ Atem ging keuchend und abgehackt, doch regelmäßig und mit jedem weiteren Male kräftiger. John kam es so vor, als nähme er sein Leben aus der Luft. Mit einem Zucken seines Zauberstabes und dem dazugehörenden Spruch ließ Jakob ihn in der Luft schweben. “Komm” befahl er John. “Und nimm die zwei da mit.” ~~~~~*~~~~~ Alexis bekam zwar mit, was um ihn herum passierte, doch seltsamerweise hatte er nicht das Gefühl, als würde ihn dies etwas angehen. Mit trägen Augen beobachtete er, wie die Häuser an ihn vorbei glitten, während er in der Luft hing. John, der hinter ihnen ging, blickte immer wieder zu ihm. Als sie endlich in der ‘Nische’ ankamen, war es ihm unglaublich kalt und wäre er religiös gewesen, hätte er Gott oder Merlin dafür gedankt, dass ein Feuer in dem sonst meist kaltem Kamin angezündet worden war. Als hätte man sie bereits erwartet. “Jakob! John! - Und … Alexis?” Es war Thomas, auch bekannt unter dem Spitznamen ‘Tüte’, der aufsprang, als sie in die Küche eintraten. “Was in Hufflepuffs Namen ist passiert?” “Das erkläre ich gleich. Ruf alle zusammen.” sagte Jakob, während er Alexis vorsichtig auf einem der Stühle ablud und ihm dann ein Glas Wasser reichte. Er trank es beinahe gierig, die Flüssigkeit rann ihm an beiden Mundwinkeln vorbei. Es wurde laut, als Schritte und Stimmen erklangen, sich der Küche, in der sie saßen, näherten; doch als die Verursacher des Lärms ihre Köpfe durch die Türe steckten, wurde es stiller. “Wow, Alexis sieht ganz schön mitgenommen aus.” meinte Richard grinsend. “Sei still!” forderte Jakob ihn auf. “Das ist kein Kinderspiel und außerdem möchte ich euch etwas Wichtiges sagen.” Er schwieg sich so lange aus, bis es tatsächlich vollkommen ruhig war. Zum Glück gab es keine entnervende Wanduhr. “Also …” begann er. “Ihr habt sicher schon bemerkt, dass … Alexis manchmal ein wenig … nun ja, sagen wir - seltsam ist.” Er machte eine Pause, in der die anderen zustimmend nickten. “Ich wurde vergiftet.” Die Stimme kam aus der hintersten Ecke der Küche, wo Alexis in sich zusammengesunken saß, in den Händen das leere Glas. “Deswegen habe ich mich euer Gruppe angeschlossen.” Dann schwieg er wieder, sodass Jakob wieder das Sprechen übernahm. “Es wird … nach meinen Einschätzungen nicht allzu lange dauern, bis es … vorbei ist.” sagte er zögerlich. Alexis vermutete, dass er entweder nicht gerne über den Tod seines Bruders sprach, oder dass die anderen gar nichts darüber wussten. Er tippte auf Letzteres. Es gab keinen Grund für ihn, es ihnen zu erzählen. “Trotzdem …” Er wandte sich Alexis wieder zu und legte ihm eine Hand auf die Schulter. “Ich denke, früher oder später wärst du trotzdem auf die gleiche Idee gekommen. Denn dies ist die richtige Seite.” Er wusste es auch so. Wäre er sich nicht sicher gewesen, dass das, was er vorhatte zu tun, das Richtige war, hätte er sich nie darauf eingelassen. So ein Mensch war er nicht. Er fragte sich jedoch, ob unter den Werwölfen auch nur ein Einziger war, der in dieser Hinsicht zögerte. Er bemerkte, dass Richard ihn beobachtete. “Was?” fragte er gereizt, als er den Blick nicht senkte, obwohl er ihn erwiderte. Richard grinste. “Ich frage mich nur gerade … ob es wahr ist, was du Jakob erzählt hast.” Alexis kniff die Augen zusammen und wollte gerade zu einer verteidigenden Antwort ansetzen, als er ein ihm wohl bekanntes Prickeln spürte. Für einen Augenblick sah er Jakob erschrocken an, dann sprang er auf. “Was-” Jakob unterbrach sich selbst, denn er verstand nun endlich, was geschah: Die Illusion hatte das Ende ihrer Wirkung erreicht. Er nickte ihm zu, von den anderen unbemerkt. Alexis rannte aus der Küche. Die anderen Werwölfe wollten ihm folgen, allen voran Richard, doch Jakob sprach ein Machtwort. “Wartet, verdammt!” Sie blieben so abrupt stehen, als seien sie eingefroren. Nur Richard hatte ihn wohl entweder nicht gehört - was bei seiner Lautstärke eher unwahrscheinlich war - oder ignorierte den Befehl einfach. “Richard, bleib stehen! Ich warne dich!” Und wider seines eigenen Erwartens tat er es tatsächlich. Richard drehte sich um, den Kopf gesenkt. Jakob bezweifelte jedoch, dass er es aus Gehorsam tat, denn seine Hände waren zu Fäusten geballt. Er war wütend. Mit schweren Schritten ging er auf Jakob zu, der immer noch auf seinem Stuhl saß. “Kannst du mir endlich mal sagen, was hier los ist, verflucht noch mal!” Jeder andere wäre von der puren Gewalt, mit der er diese Worte aussprach, wenn man es denn sprechen nennen wollte, überwältigt gewesen. Doch Jakob war daran gewöhnt. Er hob die Hände. “Beruhige dich erst einmal.” sagte er, auch wenn er sich bewusst war, dass es bei Richard nichts nützen würde. “Verdammt, red hier nicht um den heißen Brei herum!” zischte Richard, doch er entspannte zur Überraschung aller seinen Körper und ließ sich auf die knarrende Sitzbank neben dem Tisch fallen. “Du lässt ihm viel zu viel durchgehen - mit keinem von uns hast du dir so viel Mühe gegeben wie mit ihm! Warum?” Er nahm sich ein Messer und fing an, einer seiner Lieblingsbeschäftigungen, wenn er wütend war, nachzugehen und schnitzte an einer seiner Holzfiguren weiter. Er hatte Dutzende davon. Jakob sah ihn an; seine Augen wirkten auf einmal müde. In diesem Moment konnte man ihm mehr als sonst ansehen, wie erschöpft er wirklich war. Ob es an diesem Tag lag, wusste selbst er nicht. Er seufzte, als er sah, dass jeder von ihm die Antwort erwartete. “Weil ich ihn dabei haben möchte.” sagte er schlicht und schloss die Augen. Was er besser nicht getan hätte, denn schon im nächsten Moment hörte er ein dumpfes Geräusch und als er erschrocken die Augen aufriss, sah er nicht nur Richard, der sich so weit es ging zu ihm hinübergebeugt hatte, sondern auch dessen Schnitzmesser, das vor ihm zitternd im Tisch steckte. “Pass auf, Richard”, sagte er ernst, “sonst könnte dieses Messer noch jemandem wehtun.” “Da könntest du Recht haben …” sagte Richard ohne die Miene zu verziehen. Er lehnte sich wieder zurück und griff nach dem Messer. Es steckte tief in dem Holz, ließ sich aber leicht herausziehen. Eine Pause entstand. Dann mischte sich jedoch auch Ismael ein, der sich bis dahin vollkommen ruhig verhalten hatte. “Wieso willst du ihn dabei haben?” fragte er. Jakob sah ihn von der Seite her an, ohne den Kopf zu drehen. “Reicht es, wenn ich dir sage, dass ich glaube, dass noch eine ganze Menge in ihm steckt?” “Nur wenn du es auch selbst glaubst.” erwiderte Ismael mit hochgezogenen Augenbrauen. Es ärgerte Jakob schon lange nicht mehr, dass dieser seine zweideutigen Kommentare nicht unterdrücken konnte. Dafür war er ein viel zu guter Berater und Freund. Er antwortete nicht. Ismael hatte ihm mit diesem Satz eine Möglichkeit gegeben, sich ohne weiter etwas sagen zu müssen anderen Dingen zuzuwenden, welchen, die möglicherweise wichtiger sein könnten als diese Frage. “Also gut.” Andreas, der sonst immer sehr schweigsam war, ergriff den verloren gegangenen Faden. “Dann schildere uns, wieso du mitten in der Nacht auf einmal verschwunden warst. Du musst wissen, dass ich euch gesehen habe, wie ihr zwei die Nische verlassen habt … ihr habt wahrhaftig so ausgesehen, als hättet ihr etwas Ungutes vor! Ich war ziemlich besorgt, weil du nur Alexis dabei hattest …” sagte er. Jakobs Mundwinkel verzogen sich nach oben. “Ich bin beeindruckt, so viel hast du schon seit langem nicht mehr gesagt!” meinte er sarkastisch, doch man konnte ihm ansehen, dass er davon nichts bemerkt hatte. Er seufzte und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. “Okay … um es kurz zu machen, Alexis hatte eine kleine Bekanntschaft, bevor er zu uns gestoßen ist.” “Eine Bekanntschaft?” unterbrach Richard ihn. “Ja” Jakob sah ihn an, als wollte er ihm allein durch seinen Blick mitteilen, dass er gefälligst zu schweigen hatte. “Einen Kobold, um genau-” “Ein Kobold? Doch nicht etwa aus Gringotts?” “Ich würde es vorziehen, wenn du einfach mal deine Klappe hältst und zuhörst, sonst kann ich es auch für mich behalten - klar?” Jakobs Nerven waren merklich angespannt. “Also …” sagte er gedehnt. “Ein Kobold. Ja. Und ja, aus Gringotts. Ich war überrascht, als Alexis mir davon erzählte. Dummerweise …”, sagte er und seufzte noch einmal - er tat dies ziemlich oft an diesem Tag, “hat er uns verraten. Den Kobold meine ich!” fuhr er auf, als Richard schon empört zu irgendetwas wie ‘hab ich’s doch gewusst!’ ansetzen wollte. “Nun ja, es gab ein kleines Gefecht, aber niemand wurde ernsthaft verletzt. Außer unsere Feinde natürlich. Es waren Todesser. Ich habe mir ihre Arme angesehen.” Er stockte kurz, als wollte er noch etwas sagen. “So. Das war’s. Ich hoffe, ihr seit jetzt zufrieden.” Man konnte ihnen ansehen, dass sie dies keinesfalls waren, doch Jakob hatte vorerst nicht vor, weiter darüber zu reden. Mit geraden Schultern ging er aus der Küche. Er hatte noch etwas Wichtiges mit Alexis zu besprechen. ~~~~~*~~~~~ Zusammen saß Alexis als Harry Potter mit John in seinem kleinen, leicht staubigen Zimmer. Er war vollkommen erschöpft von dieser Nacht; erst die Konfrontation mit den Todessern, dann die Begegnung mit dieser seltsamen Gestalt, schließlich wieder dieses verfluchte Herzrasen und letzten Endes musste er sich auch wieder zurückziehen, um nicht entlarvt zu werden. Wie sollte das nur weitergehen? Er hatte sich wirklich Hoffnungen gemacht, dass der Kobold ein guter Verbündeter für ihn und später auch für die Werwölfe werden könnte. Was war nur mit dem Kobold los gewesen? In der Gringottsbank hatte er einen völlig anderen Eindruck von ihm bekommen - leicht verschüchtert, jedoch aufgeweckt, wie es seinem jungen Alter entsprach und abenteuerlustig, wie er ihm ja auch offenbart hatte. Es war ihm wirklich ein Rätsel. Doch bevor er damit beginnen konnte, sich weiter darüber den Kopf zu zerbrechen, klopfte es an die Tür. Harry rief “Herein!”, senkte jedoch den Kopf, denn er wusste, wer der Besucher war. “Kann ich mit dir sprechen?” fragte Jakob in einem Ton, der keinen Zweifel daran ließ, dass es alles andere als eine Frage war, die er stellte. “John, du gehst raus.” Der Junge erhob sich und schlenderte zur Tür, nicht ohne Harry noch einen kurzen Blick über die Schulter zuzuwerfen. “Er kann bleiben.” Harry hatte sich aufgesetzt und blickte Jakob aus ernsten Augen an. “Ich weiß worum es geht. Und es geht den ganzen Clan was an.” Er schluckte. “Aber ich danke dir, dass du allein zu mir gekommen bist.” In seinem Gesicht hätte nicht deutlicher stehen können, dass er damit eine ganz bestimmte Person meinte. Jakob sah für einige Sekunden zwischen John und ihm hin und her und entschied dann, dass, wenn Harry damit einverstanden sei, er selbst es auch sein konnte. Er nickte John zu, der daraufhin lächelte und leicht hüpfend wieder zurückkam und sich neben Harry auf dessen Bett setzte. “Alexis-” begann Jakob, doch die letzte Silbe seines Namens klang seltsam abgehackt und unvollendet. “Sag, sollte ich besser Harry sagen?” Harry verneinte durch ein Kopfschütteln. “Nein … die Anderen könnten es vielleicht hören, wer weiß. Außerdem möchte ich mir das abgewöhnen.” Jakob sah ihn an, seine Züge verrieten kaum, dass er über etwas nachdachte. “Nun gut!” fuhr er dann fort, als sei nichts geschehen, doch anstatt weiterzureden, wie die beiden es erwartet hatten, kam er abermals ins Straucheln. “Hm …” murmelte er. “Wie soll ich anfangen? Du hast”, er sah Harry durchdringend an, “dich ja wirklich tapfer geschlagen.” Er ließ den Satz unheilvoll im Raum schweben. “Aber irgendetwas war nicht in Ordnung, nicht wahr? - Was ist passiert, Alexis? Du hast dich so seltsam benommen.” Harry zögerte zuerst, ihm von seiner Begegnung zu erzählen. Natürlich war ihm bewusst, dass er dieses Geheimnis nicht einfach mit sich herumtragen durfte, ohne, dass es jemand anderes wusste - und wenn es nur um seiner selbst willen war, denn er spürte jetzt schon, wie sehr es ihn belastete. “V-Voldemort.” sprach er den Namen zum ersten Mal in seinem Leben voller Ehrfurcht und Angst aus. “Ich habe ihn gesehen. - I-Ich weiß, dass du mir nicht glaubst, Jakob, aber-” Er verzweifelte und verstummte. “Hey, immer mit der Ruhe.” Jakob senkte die Stimme. “Du meinst also, du hast … ihn gesehen? - Wieso?” Harry zögerte. Würde Jakob ihn für verrückt halten, wenn er es ihm erzählte? Je mehr Zeit zwischen dem Vorfall und dem Hier und Jetzt verstrich, desto weniger glaubte er an sich selbst. Mehr und mehr hatte er das Gefühl, in einem Traum gefangen zu sein, aus dem es kein Aufwachen gab. Er wusste nicht, wieso er den Dunklen Lord, wie ihn seine Gefolgsmänner nannten, als den Besitzer dieser Stimme identifiziert hatte. Er konnte es doch nicht gewesen sein. Voldemort war irgendwo da draußen, weit entfernt, aber doch sicher nicht in einem benachbarten Wald. Das wäre selbst für ihn viel zu gefährlich. Und außerdem hatte die Leiche alles andere als nach ihm ausgesehen. Ihm wurde schlecht, als er an das bleiche Gesicht des Mannes zurückdachte, des Mannes, den er getötet hatte. Und er würde nicht der Einzige bleiben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)