long forgotten von RY0 (past days) ================================================================================ Kapitel 1: no one's listening ----------------------------- Ein monotones Piepen. Der Raum schien im sterilen Weiß. Alles ist weiß, so furchtbar erdrückend. Nicht so, wie es nach seinem Fall war. Es war ein starker Kontrast. Von schwarz zu weiß. Von Dunkelheit zu Licht. Von Stille zu Lärm. Von Leere und Geborgenheit zu Verlorenheit und Hass. Von Freiheit zur Versklavung. Von Träumen zur Realität. Ein grausamer Gedankenstreich, der ihm gespielt wurde. Aber vielleicht wäre jetzt alles zu Ende. Vielleicht würde die Tour abgebrochen werden, weil er gestürzt war und sich den Kopf am Podest gestoßen hatte? Er war umgekippt, hatte sich dennoch auf die Beine gekämpft und dann weiter gesungen. Er wollte doch auch keine Anerkennung dafür, sondern nur Verständnis. Niemals. Das Piepen hallte in seinen Ohren wider, machte ihn wahnsinnig. Es war wie Lärm. Unerträglich. Kyo schloss seine Augen und seine Gedanken schweiften zurück. Zurück zu ihrem Traum. Dem Traum der Freiheit. Der Traum, glücklich zu sein. Der Traum, Musik zu machen. Der Traum, den sie leben wollten. Am Anfang baute sich alles auf eben diesem Traum auf. Glück. Sie waren unglaublich glücklich, bei ihrem Auftritt in der Osaka jo Hall gewesen. Die Rührung, das Glänzen in den Augen der Bandmember und letztendlich auch vereinzelte Tränen, die sie nicht zurückhalten konnten. Natürlich es war Dir en greys Anfangszeit. Schminke, feminine Kleidung und gefärbte Haare. Doch jeder merkte, wie viel Spaß es ihnen machte. Wie viel Mühe sie sich gegeben hatten, um ihren Traum zu leben. Und endlich wurde er erfüllt. Dieser Auftritt ließ Hoffnung in ihnen aufkeimen. Die Fans würden sie so akzeptieren, wie sie sind. Auch ohne Schminke, ohne auffällige Haarfarben und aufwendige Outfits. Doch dann kam ein kritischer Wendepunkt. Daisuke wurde von den so genannten Fans verurteilt. Er sei zu dick. Er hätte nicht einen so hübschen Oberkörper wie Kyo, keinen Sixpack. Er sollte doch bitte auch ein Schönheitsideal sein. Perfekt sein. “Perfekt“, wie leicht sie dieses Wort aussprachen. Doch wie definiert man “perfekt“? Dünn? Nein, eher traf es wohl dürr und mager. Nie war ein Gramm Fett zuviel an ihrem Gitarristen. Warum achteten die Fans eigentlich auf so etwas? War es nicht die Musik, mit der sie Aufsehen auf sich lenkten? Die Texte, die Niemand nachvollziehen konnte? Oder war es letztendlich nur ihr Aussehen? Warum glaubte man an das Gute im Menschen, wenn sie doch eh allesamt oberflächlich waren? Kyo schüttelte den Kopf, seufzte genervt und versuchte das Alles noch einmal nachzuvollziehen. Was würde er jetzt für eine Zigarette geben? Einige Zeit verging nachdem Daisuke so drastisch an Gewicht verloren hatte. Es dauerte fast ein halbes Jahr an, bis er von sich aus wieder begann normal zu essen und die Worte der Fans für gleichgültig empfand. Hoffnung. Hoffnung, dass das alles nur ein böses Gerücht war. Sie gaben den Fans eine Chance. Bei dem 5 Ugly Kingdom Auftritt waren sie wie ausgewechselt. Natürliche Haarfarben, Männerkleidung und fast ungeschminkt. Sogar die Musik hatte sich verändert. Nachdem Kyo sich bei –mushi- das Mikrofon gegen die Brust schlug, zerrissen sich alle die Münder. Aufmerksamkeit. Show. Keiner machte sich Gedanken um die wahre Bedeutung. Für den Blondhaarigen entstanden zu dem Zeitpunkt noch mehr Zweifel gegenüber der Masse, des Publikums, der so genannten Fans. Wieso versuchten sie nicht einmal zu verstehen? Er hatte sich wohl doch nicht getäuscht. Es war das Aussehen, was für die Fans zählte. Man durfte nicht sein, wie man wollte. Man musste einem bestimmten Ideal entsprechen. Sein Kopf schmerzte. Und dann fragten sich so viele Menschen, warum Musiker immer tiefer rutschten. Anfingen Drogen zu nehmen, Magersüchtig zu werden oder in der Öffentlichkeit begannen Ärger zu erregen. Diese Frage war einfach nur lächerlich. “Warum?“ Der Zwang. Die Enttäuschung. Der Perfektionismus. Das Ideal. Schließlich änderte sich Alles. Keiner wollte mehr diesen Schein bewahren – diese Fassade. Ab “Withering to Death“ wurden auch ihre Alben, sowie es viele sagten, härter. Ausdrucksstark. Doch “The Marrow of a Bone“ ging ins aggressive. Viele wendeten sich ab, “da Kyo ja nur noch schreien könne.“ Unverständnis. Immer und immer wieder stießen sie auf Verachtung, Oberflächlichkeit und Vorurteile. Und warum? Nein, es lag nicht mal an ihrer aggressiveren Musik. Den Fans passte ihr natürliches Aussehen nicht. Auf Kyo traf wohl die meiste Kritik. Er war nicht mehr “kawaii“ genug, da er jetzt einen Bart hatte und unrasiert war. Was sie mit diesem Album aussagen wollten, zählte nicht. Ja genau, wen interessierte schon die Lage von Dir en grey? Für viele war es eine Selbstverständlichkeit, dass es sie noch ewig geben würde. Er wollte schreien. Zeigen, wie er sich fühlte. Aber er konnte nicht. Und letztendlich wäre es ja wieder nur “Show“. Schmerz. Nein, “Berühmtheiten“ durften keinen Schmerz fühlen. Keinen Schmerz zeigen. Strahlen ihre Augen immer noch vor Glück? Sind sie berührt, wenn man ihre Texte mitsingen kann? Begeistert davon, dass man sich vor ihren Augen verletzt? Fröhlich, dass sie sich bis aufs Letzte verausgaben müssen? Diese Fragen sind genauso überflüssig, wie der Versuch zu verstehen, warum viele sich das “alte“ Dir en grey zurückwünschen. Wieso merkte Niemand, dass es reichte? Hätte man nicht nach diesem Vorfall einen Schlussstrich ziehen können? Wenigstens eine Pause? Nein, es geht immer weiter. Unaufhörlich. Bis sie zerbrechen. Innerlich. Kyo wollte viel lieber diese angenehme Leere zurück. Die Stille. …ihr Glück. Doch da war eine Frage, die er sich immer wieder stellte. “Können Träume so leicht zerreißen? Wie ein Luftballon zerplatzen? Sind Träume vergänglich wie eine Rose, die irgendwann verblüht?“ Wenn ja, dann war ihr Traum wie ein Spiegel in tausend kleine Stücke zerbrochen, unfähig wieder repariert zu werden. Denn sie waren auch nur Menschen mit normalen Gefühlen, normalen Bedürfnissen und einem gewissen Pegel an Ausdauer. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)