One and a half Lovesong von -Yue (Wie alles begann) ================================================================================ Kapitel 5: ----------- Ungläubig blickte Reita auf den jungen Mann, der für ihn mehr und mehr zu einer Erinnerung verblasst, zu einem Phantom geworden war. So schnell wie er vor kurzem in sein Leben getreten war, war er auch wieder daraus verschwunden. Der unrealistische Fall, der Reitas Kalkulationen in sich zusammenbrechen ließ, war in diesem Moment eingetreten. Die Beine übereinander geschlagen, die schlanken Finger um den Hals der Gitarre gelegt, saß Uruha vor ihm auf dem schwarzen Verstärker, sah ihn mit seinen braunen Augen fragend an. „Kann ich dir irgendwie helfen?“ Reita brauchte einen Moment um zu verstehen, dass Uruha ihn wegen des Nasenschmuckes womöglich nicht erkannt hatte. Er fühlte sich unsicher, ein Gefühl, das ihn nicht oft überkam, doch er wollte nicht, dass ein falsches Wort den anderen dazu veranlassen würde zu gehen. Sein Herz pochte schnell in seiner Brust und sein Mund war unangenehm trocken. Ihm war als hätte man ihn aus der Realität gerissen, so als ob der gleichmäßig dahin rauschende Fluss anschwoll und ihn unbarmherzig einen tiefen Wasserfall hinab riss. „Ich bin zum proben hergekommen“, hörte er sich sagen und seine Augen beobachteten den Brünetten wachsam dabei wie er aufstand und die Gitarre zurück in den dafür vorgesehenen Ständer stellte. Als er die Gummisicherung daran schloss überkam Reita siedendheiß die Erkenntnis, dass er genau die falschen Worte gewählt hatte. „Ich war so vertieft, ich hab gar nicht auf die Zeit geachtet“, entschuldigte sich der Gitarrist lächelnd, „Ich habe schon gehört, dass jemand den Raum mit angemietet haben soll.“ Er schulterte seinen Rucksack. In Reitas Kopf überschlugen sich die Gedanken. Wie sollte er ihm sagen, dass er bleiben konnte ohne dass es lächerlich wirkte, ohne dass er sich erklären musste. Denn er hatte keine Erklärung dafür. Etwas wollte den jungen Mann nicht ziehen lassen. Dieses seltsame Gefühl, das er auslöste, das Reita im Nachhinein als so aufregend empfand, ihm aber im entscheidenden Moment die klaren Gedanken stahl, packte ihn wie schon bei ihrer ersten Begegnung. Er wusste nicht wie er es anders angehen sollte und so sah er den anderen noch einmal gespielt prüfend an bevor er sich vorwagte. „Du bist Uruha, nicht wahr?“ Er kam sich selbst so albern dabei vor, denn schließlich wusste er genau wen er vor sich hatte. Der Angesprochene sah ihn überrascht an bevor er leicht nickte. „Kennen wir uns?“ Uruha strich sich eine lange Haarsträhne hinter das Ohr und sah fast ein wenig bestürzt aus als es an Reita war ihm seine Frage mit einem Nicken zu bestätigen. Nach und nach gewann der Blonde seine Selbstkontrolle wieder und schmunzelte. „Du hast neulich Abend meinen Freund umgerannt weil du es eilig hattest deine Bahn noch zu erreichen.“ Auf Uruhas Gesicht machte sich Erkenntnis breit und er öffnete den Mund um etwas darauf zu antworten, schloss ihn jedoch wieder und kniff musternd die Augen zusammen. „Damals hast du aber noch kein Stofftuch über der Nase getragen“, stellte er irritiert fest, „Wie war dein Name noch gleich?“ Er versetzte Reita, aus Gründen, die er selbst nicht kannte, einen Stich, dass er dem Brünetten so schlecht in Erinnerung geblieben war, doch er antwortete ihm. Uruha schnippte mit dem Finger. Das Geräusch verhallte leise in dem schalldichten Raum. „Stimmt… Reita“, murmelte er, „Tut mir leid, dass ich dich nicht gleich erkannt habe.“ Abwehrend schüttelte der Blonde den Kopf. Er wusste nicht was er weiter hätte sagen sollen und zog sich erst einmal seine Jacke aus, die er über den Stuhl hinter dem Mischpult hängte. Überrascht sah er auf als er bemerkte wie Uruha sich in Richtung der Tür begab. „Du gehst?“ „Du wolltest doch proben“, lächelte er, „Ich möchte nicht stören.“ „Das tust du nicht.“ Reita war verwirrt über das Verhalten des Brünetten. Mit keinem Wort hatte er Rukis Angebot erwähnt. Es schien ihm fast so als wollte er flüchten bevor Reita es zur Sprache bringen konnte. Doch diesen Gefallen wollte er ihm nicht tun. „Wir können zusammen proben und du zeigst mir was du drauf hast.“ „Aber Ruki ist doch nicht hier…“ Auf diese Bestätigung hatte Reita gewartet. Uruha hatte das Angebot keinesfalls vergessen, denn nicht mit einem Wort hatte Reita dieses angesprochen. Doch wieso wich er so auffällig aus? Er beschloss sich später mit der Frage auseinanderzusetzen, denn jetzt da es um nichts anderes als um Uruhas zukünftige Position in der Band ging, wollte er alles auf eine Karte setzen. Noch einmal würde er ihn nicht gehen lassen. Es war richtig, sie hatten einen Gitarristen, die Band war komplett, doch was sprach dagegen es musikalisch mit zwei Gitarren zu versuchen? Es war zwar nicht der ursprünglichen Plan gewesen, doch wenn er einen weiteren Gitarristen – Nein! Wenn er Uruha für die Band gewinnen könnte- wäre es sicherlich nicht von Nachteil. Angestachelt von seiner Ehrgeizigkeit eine professionelle Band auf die Beine zu stellen überwand er die unsichtbare Barriere zwischen ihm und Uruha, die er unwissentlich selbst errichtet hatte, und nahm den Brünetten sanft am Arm. „Ruki vertraut mir. Wenn ich sage, dass du genau der Richtige bist wird er nichts dagegen haben. Außerdem war es doch sein Vorschlag dich vorspielen zu lassen!“ Reita führte den überrumpelten Japaner zurück zu der Gitarre, die er noch Minuten zuvor in den Händen gehalten hatte. „Na los, komm! Rausnehmen und einstöpseln! Und dann zeig mir was du drauf hast!“ Uruha gluckste leise bei den Worten des Bassisten, doch überrascht von soviel Enthusiasmus tat er wie ihm geheißen. Reita hin dessen schnappte sich den Bass und nahm gespannt auf dem einsamen Hocker gegenüber des Gitarrenverstärkers platz. Zum ersten Mal sah er Uruha live und in Farbe an dem hölzernen Instrument Position beziehen und es war besser als er es sich in seiner Fantasie ausgemalt hatte. Mit sicheren Griffen und geschmeidigen Akkordwechsel spielte er ein rockiges Musikstück aus seinem Repertoire und ließ auch ein Solo nicht aus. Reita war schlichtweg begeistert. „Das war umwerfend!“, strahlte er als Uruha geendet hatte und mit der Hand die letzten Töne abdämpfte, „Lass uns was zusammen versuchen!“ Es war lange her seit er wieder bei so guter Laune gewesen war. Es war kurz nach 22 Uhr als Uruha auf die Uhr sah. Knappe zwei Stunden hatten sie zusammen gesessen und einen bekannten Song nach dem anderen gespielt bis der Gitarrist Reita schließlich seine eigenen Stücke gezeigt hatte. Sie versuchten verschiedene Varianten, schrieben einige Zeilen um und fügte den Basspart hinzu sodass sie am Ende die Rohfassung von zwei Liedern vor sich hatten. Die Zeit war wie im Flug vergangen und beide hatten sie kaum miteinander gesprochen. Die Kommunikation hatte aus Tönen und Noten bestanden, die vollkommen ausreichend waren und Reita ein Gefühl der Verbundenheit zu Uruha gaben, das er in solch einer Form noch nie empfunden hatte. „Für heute sollten wir es gut sein lassen.“ Reita hatte den Verstärker ausgestellt und den Bass an seinen angestammten Platz zurück degradiert. Auch Uruha erhob sich nun, trennte die Geräte vom Strom und streckte sich ausgiebig. Der blonde Bassist beobachtete ihn stumm. Die ganze Zeit über war er so von der Musik abgelenkt gewesen, dass er der Attraktivität des Brünetten kaum Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Doch genau jetzt, in diesem Moment, spürte er wie sich sein Puls beschleunigte, seine Gedanken sich in Fantasien wandelten, in denen er sich vorstellte, was sich unter dem Pullover und der eng anliegenden Jeans befanden. Er konnte die nackte, weiße Haut schon fast vor sich sehen als ihn Uruhas Stimme zurück an Ort und Stelle zog. „Was genau meintest du damit, dass wir es gut sein lassen sollten für heute?“ Er verlieh den beiden letzten Worten eine besondere Betonung und Reita verstand nicht auf was der Gitarrist hinaus wollte. Für ihn war es schon längst beschlossene Sache, dass Uruha bei ihnen einsteigen würde, doch allem Anschein nach hatte dieser das noch nicht begriffen. „Morgen Abend wollen wir uns hier als Band das erste Mal zusammenfinden. Wir sehen uns also morgen wenn du nichts anderes vor hast.“ Woher Reita in dem Moment diese Selbstsicherheit nahm wusste er selbst nicht, aber er hatte das Gefühl Uruha wollte in eine Band, nur irgendetwas schien ihn zurückzuhalten. Denn jemand der neben seinem Talent als Musiker auch noch gutes Aussehen besaß, dem müsste es nicht schwer fallen eine geeignete Band zu finden. Er hoffte wenn er ihn einfach in die Rolle eines Bandmitgliedes drängte, würde es ihm leichter fallen und tatsächlich stimmte Uruha einige Sekunden später zu, morgen zu erscheinen. Reitas Herz hüpfte freudig als er sich die Handynummer des Gitarristen notierte bevor er in seine Jacke schlüpfte. An der Tür wartete er auf Uruha, der einige Schwierigkeiten mit seinem Zipper zu haben schien. Nachdem er ihn auch bei mehrmaligen Versuchen nicht geschlossen bekam resignierte er seufzend. „Zeig mal her.“ Mit einer Handbewegung forderte er den Brünetten auf zu ihm zu kommen, damit er sich das widerspenstige Stück Kunststoff näher ansehen konnte. Als Uruha vor ihm stand nahm er es in die Hand und unterzog es einem prüfenden Blick bevor er selbst versuchte die Jacke zu schließen. „Ha!“ Reita grinste triumphierend als er den Zipper nach oben hin schloss. „Mit ein wenig Gefühl geht alles.“ Als er den Kopf hob fand er sich in Uruhas braunen Augen wider, die ihn bei seinem Tun eingehend beobachtet hatten. Er hatte das Gefühl in kaltes Wasser geworfen zu werden als er den Atem des anderen so nah an seinen Lippen fühlte, dass er sogar den feinen Minzegeruch wahr nahm. Alle Geräusche schienen um sie herum verstummt zu sein, so erschien es dem Blonden und die einzige Lösung etwas daran zu ändern war irgendwas zu sagen, doch seine Kehle fühlte sich viel zu rau an als dass er ein Wort heraus gebracht hätte. Er räusperte sich leise, löste seine Finger, die den Zipper noch immer umfassten und war froh, dass man dank seiner Nasenbinde die Röte auf seinen Wangen nicht erkennen konnte. Ganz im Gegensatz zu Uruha, dessen Wangen in einem gesunden rosa leuchteten, wie Reita es heute schon zuvor bei Aoi gesehen hatte. Doch diesmal war nicht die Kälte dafür verantwortlich sondern er, Reita. Ein minimales Gefühl der Genugtuung schlich sich ein und er empfand es als falsch es in diesem Moment zu spüren. Unwillig schüttelte er den Kopf, löste sich aus dem tiefen Blick des anderen. „Wollen wir dann?“ Er öffnete die Tür und ein Schwall kühler, abgestandener Kellerluft drang in den Raum, schien das eben Geschehene zu vertreiben als wäre es nie gewesen und von einem Moment auf den anderen spürte Reita die Leere, die sich sonst nur nach dem Sex mit Ruki eingestellt hatte und er fragte sich innerlich ob ein Kuss ihm Linderung verschaffen würde. Die Straßenlaternen warfen ihr Licht auf den nassen Boden, der es in verschiedene Richtung verschwimmen ließ und seltsam verzerrte. Es hatte geregnet als die beiden Musiker so beschäftig gewesen waren und noch immer fiel ein feiner Nieselregen auf die Straßen. Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander her. Es war Uruha, der das Wort als erster ergriff. „Ich wollte dich schon die ganze Zeit fragen weswegen du deine Nase versteckst.“ Seine vollen Lippen entließen bläulichen Rauch während er sprach. „Arbeitsunfall“, antwortete Reita. Es würde an seinem Ego kratzen müsste er ihm gestehen, dass ihn die Faust eines Musiker aus reiner Unachtsamkeit getroffen hatte. „Hab mir das Nasenbein gebrochen.“ „Das ist ja lustig.“ Reita wusste nicht was er für eine Reaktion erwartet hatte, doch so etwas ganz sicher nicht! Als Uruha die entgleisten Gesichtszüge des Bassisten bemerkte wurde er rot. „Entschuldige.“ Er lächelte schief. „Es ist nur so, dass ein Freund von mir neulich jemandem unabsichtlich das Nasenbein gebrochen hat.“ „Oh.“ Was für ein Zufall, dachte der blonde Bassist bitter als er sich an den Vorfall zurückerinnerte. „Ich muss hier auf die Bahn.“ Reita blickte neben sich und musste enttäuscht feststellen, dass der Brünette an der Treppe, die zu den Stationen führte, stehen geblieben war. Es war dieselbe Stelle an der sie sich das erste Mal über den Weg gelaufen waren. „Es hat wirklich Spaß gemacht“, fügte Uruha lächelnd hinzu, als er die Enttäuschung auf Reitas Gesicht bemerkte, die er nur schwer zuordnen konnte. „Fand ich auch. Bis morgen.“ Reita setzte an um die Hand zum Abschied zu heben und realisierte kaum was im nächsten Moment geschah. Alles was er wahrnahm war der feine Geruch von Freesien, der sich mit dem Rauchgeruch vermischte, die Wange des anderen an der seinen und ein leises Wispern, das ungehört verklang bevor Uruha sich aus der Umarmung löste. Er lächelte, winkte ihm im Laufen zu und war im nächsten Moment schon aus Reitas Blickfeld verschwunden. Als Reita die Wohnungstüre aufschloss sah er den feinen Lichtschimmer, der unter dem Türspalt des Wohnzimmers hindurch drang. Nachdem er Schuhe und Jacke ausgezogen hatte klopfte er leise an. Normalerweise war Ruki um diese Uhrzeit längst schlafen, wenn er am nächsten Tag zur Arbeit musste. Als auf sein Klopfen niemand antwortete, öffnete er die Tür und trat in den Raum. Ruki saß auf dem Sofa, hob den Kopf als er ihn bemerkte und blickte Reita niedergeschlagen an. Der Blonde schloss die Tür leise hinter sich und sah auf seinen aufgelösten Freund. Er rechnete schon nicht mehr damit, dass Ruki etwas sagen würde, doch seine Lippen zuckten leicht und schließlich öffnete er sie um mit rauer Stimme zu sprechen. „Ich konnte nicht schlafen.“ Langsam ging Reita auf ihn zu, setzte sich neben ihn. Er wusste wie sensibel Ruki war, dass er es nicht ertrug einen Streit schweigend auszutragen und dass er die Stunden ausgeharrt hatte um auf ihn zu warten. „Es war falsch dir nicht die Wahrheit zu sagen.“ Seine Augen suchten Reitas Blick, versuchten zu erkennen ob er auf dem richtigen Weg war. „Ich war einfach sauer. Ich meine er hat dir das Nasenbein gebrochen, das ist schließlich keine Lappalie!“ Reita spürte die Wut, die erneut in Ruki aufstieg und er wuschelte ihm freundschaftlich durch sein Haar, sodass es danach in noch wilderen Strähnen in sein Gesicht hing. „Der springende Punkt, Ruki, ist, dass der Schlag nicht mir gegolten hat und es keine Absicht war. Aoi hat sich entschuldigt und ich habe seine Entschuldigung angenommen. Ein Teil seiner Wiedergutmachung ist der Einstieg in unsere Band, verstehst du?“ Ruki sah ihn mit großen Augen an. In seinem Kopf begann es zu arbeiten und nach und nach wurde ihm klar, dass es zwischen den beiden eine Abmachung gab, etwas von dem er nichts gewusst hatte und etwas, das für beide von großer Wichtigkeit war. Langsam brachte er ein Kopfnicken zustande. „Es tut mir leid, Rei.“ Reita lächelte und in stummem Einvernehmen versiegelte das Band ihrer Freundschaft die aufgerissene Naht. Angestrengt lauschte er in die Dunkelheit, die den Raum erfüllte, als Ruki das Licht gelöscht hatte. Schlanke Arme legten sich um seinen Hals und Reita vermeinte Uruhas geflüsterte Worte zu vernehmen, die unverständlich blieben wie von Wellenrauschen übertönte Hilferufe. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)