Mondzeiten von risuma (Eine Drachengeschichte) ================================================================================ Kapitel 8: Kleiner weißer Blauaugendrache II. --------------------------------------------- Das erste Mal in seinem Leben konnte Seth es nicht mehr erwarten, sich zu verwandeln. Immer wieder wachte er auf, und als die Verwandlung zu Sonnenaufgang vollzogen war, konnte vor lauter Aufregung und Vorfreude auch gar nicht mehr einschlafen. Außerdem hatte er viel zu viel Angst davor, den Augenblick zu verpassen, an dem Schwarze erwachte und sah, wer da neben ihm lag. Jono hatte ihm immer noch nichts von dem Kummer, der ihn plagte, erzählt, von dem er ihn heute erlösen würde. Draußen ging langsam die Sonne auf und Seth wusste, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis Jono erwachte. Er war ganz hibbelig und es kostete ihn viel Mühe und Beherrschung still liegen zu bleiben, um den anderen nicht zu wecken. Gespannt ließ er seinen Blick nicht von Jonos Gesicht. Da, endlich war er da, der Moment, den er herbeisehnte, den er kaum noch erwarten konnte. Der Moment an dem Jono sein Geschenk entdecken würde. Langsam öffnete Jono die Augen. Er hatte gerade eben sehr intensiv von dem kleinen Weißen geträumt, und wollte noch gar nicht die Welt der Träume verlassen. Er erblickte kurz den kleinen weißen Drachen, um seine Augen niedergeschlagen wieder zu schließen. Das musste ein schlechter Scherz sein. Nur weil er von dem kleinen Weißen geträumt hatte, halluzinierte er jetzt, dass ein kleiner weißer Blauaugendrache neben ihm in der Höhle lag. Ein kleiner weißer Blauaugendrache lag neben ihm in der Höhle…? Langsam sickerte diese Information in Jonos Gehirn und ungläubig riss er im nächsten Moment seine Augen wieder auf. Das war kein Traum, keine Halluzination, da lag er, SEIN kleiner weißer Blauaugendrache. Der Geruch war unverkennbar. Fassungslos blickte Jono den kleinen Weißen an. Total erschüttert war Jono nicht in der Lage sich zu rühren oder gar etwas zu sagen. Langsam füllten seine Augen sich mit Tränen und mit ihnen floss auch das Leid aus seinem Herzen. Er war so fest davon überzeugt gewesen den kleinen weißen Blauaugendrachen niemals wieder zu sehen, und nun lag er hier, in seiner Höhle, bei ihm. Gespannt beobachtete Seth den Gefühlsausbruch von Jono. Er hatte erwartet, dass er heftig sein würde, aber so sehr, überraschte auch ihn. Und doch hatte es etwas Befreiendes an sich, das spürte er. Und so wartete er und ließ Jono alle Zeit, die er brauchte. Trotzdem machte ihn dieser heftige Gefühlsausbruch glücklich, zeigte es ihm doch, wie viel er Jono bedeutete. Als Jono sich wieder beruhigt hatte, blickte er in erwartungsvolle blaue Augen. „Du bist wieder da?“, fragte er heiser. „Ich war niemals fort.“, antwortete der Weiße zärtlich mit seiner samtenen Stimme. „Niemals fort?“ Unglaube spiegelte sich in Jonos Augen. „Aber wo…?“, langsam begann Jono zu begreifen. „Du … bist Seth?“, fragte er vorsichtig nach. „Ja“, nickte der Weiße und strahlte ihn an. Wäre er jetzt ein Mensch, dann würde er ihm überglücklich um den Hals fallen. Erst nachdem der Weiße ihm bestätigt hatte, Seth zu sein, konnte Jono sich endlich freuen, und tief in seinem Inneren sammelte sich diesmal bei ihm ein Schrei, vielmehr ein Gebrüll. Jono verließ kurz die Höhle und ließ ein Brüllen los, so laut und heftig, so gewaltig, so glücklich, dass alle Tiere im Tal erschrocken davon stoben. Lächelnd erwartete ihn Seth, als er wieder in die Höhle zurückkehrte. Und nun konnte er seine Nüstern nicht mehr von dem Kleinen lassen. Aber dieser auch nicht von ihm. Ausgiebigst rochen sie an einander, nahmen den Geruch des anderen immer wieder in sich auf und begannen so langsam einen Tanz. Keiner von beiden konnte jetzt noch still liegen bleiben. Nach einer Weile des Tanzens, dämmerte es Jono langsam, was sie im Augenblick taten. Sie vollführten den Paarungstanz. Errötend senkte er seinen Blick (können Schwarze Rotaugendrachen eigentlich erröten?) und stockte in seinen Bewegungen. „Was ist los?“, fragte Seth, der diesen wunderschönen Tanz noch nicht beenden wollte. Er fühlte sich in diesem Augenblick einfach so … intensiv. Er konnte das Gefühl, das im Moment in ihm vorherrschte, nicht beschreiben. Er wusste nur, dass es sehr intensiv war, dass er mehr davon haben wollte, dass Jono mit dem Tanz nicht aufhören sollte. „Weißt du eigentlich, was wir hier gerade tun?“, fragte Jono leise. „Nein, aber es gefällt mir sehr!“, antwortete Seth atemlos. „Wir tanzen gerade den Paarungstanz.“ „P – a – a – r – u – n – g – s – t – a – n – z?“ Ungläubig blickten zwei ziemlich verwirrte blaue Augen in unsicher blickende rote Augen. Geschockt plumpste Seth auf seine Hinterbeine, diese Information musste er erst einmal verdauen. Sie wirkte wie eine kalte Dusche auf ihn. Dass Seth so reagieren würde, hatte Jono sich schon fast gedacht. Immerhin war er ja fast noch ein Babydrache, von seiner Lebensdauer als Drache her gesehen. Seth wusste nichts über Drachen, jedoch seine Instinkte waren gut ausgeprägt. Sie hatten gemeinsam den Paarungstanz getanzt, ohne es beabsichtigt zu haben. Seth konnte über den Paarungstanz ja noch gar nichts wissen, aber der Tanz mit ihm war so süß, so unschuldig, so verheißungsvoll. Es hatte ihn ja fast selbst umgehauen, als er merkte, was sie gerade taten. Wenn Jono nicht so erstaunt über diese Erkenntnis gewesen wäre, dann hätte er sicher nicht den Tanz unterbrochen, viel zu sehr sehnte er sich nach dem Kleinen. Doch es war schon besser so, er hätte es später vielleicht nicht mehr bremsen können. Denn der Kleine war doch noch so unschuldig, er hätte es sich niemals verzeihen können. Seth roch so süß nach Unschuld, aber dass Jono ebenfalls den Duft der Unschuld an sich trug, war ihm nicht bewusst, denn sein Duft war jetzt kaum wahrzunehmen. Er würde erst zu Vollmond voll ausgeprägt sein. Auch wenn Seth noch immer ziemlich geschockt über das eben erfahrene war, so schlug sein Herz trotzdem noch wahnsinnig schnell. Aufgewühlt wusste er nicht mit den, in ihm tosenden, Gefühlen umzugehen. Ihm war heiß, so furchtbar heiß, und selbst der Schock darüber gerade den Paarungstanz getanzt zu haben, konnte diese Hitze nicht löschen. Drachen tanzten also einen Paarungstanz. Wieder etwas neues, dass er über Drachen erfuhr. Tanzten sie, um ein Weibchen für sich zu gewinnen, wie bei einer Balz, oder tanzten sie um sich in Stimmung zu bringen, oder war der Tanz bereits Bestandteil des Liebesspiels? Wenn das der Fall wäre,…nein, darüber wollte Seth lieber nicht weiter nachdenken. Es würde nämlich bedeuten, dass er Jono auf unmissverständliche Art und Weise dazu aufgefordert hätte, sich mit ihm zu paaren. Wenn er jedoch genauer darüber nachdachte, dann war das Gefühl, als Jono den Tanz unterbrach, genau das gleiche Gefühl, wie wenn eine Frau ihn erst ganz heiß machte, um dann kurz vor dem letzten Schritt einen Rückzieher zu machen. Es fühlte sich ganz genauso an. Und so konnte sich Seth auch die Hitze erklären, die in ihm tobte, und das starke Herzklopfen. Sein Körper war bereits für den nächsten Schritt bereit gewesen. Deshalb auch die Enttäuschung. Aber wollte er überhaupt, überlegte Seth. Wenn er ehrlich war, JA. Sie waren einander in solch tiefer Liebe zugetan, wie er es niemals für möglich gehalten hätte. Auch wenn sie sich noch so gut wie überhaupt nicht kannten. Es war ihm so, als könnte nur der andere die tiefe Sehnsucht, die in ihm war, stillen. Seth musste lächeln, als er daran dachte, wie sehr ihn die unschuldige Musterung Jonos erregt hatte. Schweigend saßen sich die Beiden gegenüber und versuchten, das so eben geschehene zu verdauen. Nach einiger Zeit erhob sich Jono und fragte Seth: „Kommst du mit frühstücken?“ Seth konnte nur nicken. Jetzt etwas ganz banales und alltägliches zu tun war keine schlechte Idee. Erleichtert darüber jetzt etwas ganz unverfängliches tun zu können, begaben sich Jono und Seth hinunter zum See und jagten sich erst einmal ausreichend Fische. Gesättigt ließen sie sich am Ufer nieder und hatten all ihre Befangenheit abgelegt. „Du verwandelst dich also immer bei Neumond?“, begann Jono das Gespräch. „Ja.“ „Und wie lange schon?“ „Seit meinem 15.Geburtstag, das sind jetzt also etwas mehr als 5 Jahre.“ „Und wie ist es dir ergangen?“ „Meine Eltern haben mich angesehen, als hätte ich die Pest, und meine Mutter schrie, dass sie keinem Monster das Leben geschenkt hätte. Ich durfte mir wenigstens noch ein paar Sachen aus der Hütte holen, bevor sie mich mit Steinen davon jagten.“ „Wie hast du es gemerkt?“ „Ich war mit Freunden jagen, wir blieben über Nacht im Wald. Ich erwachte davon, dass sie schreiend davon liefen. Und dann kamen sie mit den Dorfbewohnern wieder, die beschuldigten mich, mich aufgefressen zu haben. Sie konnten doch nur meine zerrissene Kleidung sehen. Vor lauter Furcht konnte ich sie nur anbrüllen und sie zogen sich erschrocken zurück. Als ich am nächsten Tag nackt vor unserer Hütte stand, hielt meine Mutter mich für einen Geist, mich hatte ja ein Drache aufgefressen, und all meine Versuche ihr zu erklären, dass ich der Drache war, brachten sie nur dazu mich ein Monster zu nennen. Ordentliche Menschen verwandeln sich nicht in irgendwelche Tiere. Und so wurde ich davon gejagt. Die Drachenjagd, die das Dorf am nächsten Tag startete verlief erfolglos, wie du dir ja wohl denken kannst.“ Jono legte mitfühlend einen Flügel um Seth. „Sind die Menschen denn mit ihrem 15.Geburtstag ausgewachsen?“ „Nicht ganz, etwas bin ich noch gewachsen. Das Hemd das ich trug, als ich fort ging, wurde mir zu klein und die Hose zu kurz.“ Jono wand sich etwas. „Nein, ich wollte wissen, ob du schon geschlechtsreif warst.“ „Geschlechtsreif?“ Seth dachte nach. „Wenn du den ersten Samenerguss meinst, ja den hatte ich schon.“ Jono war immer noch nicht mit der Antwort zufrieden. „Durftest du dich schon paaren?“ Endlich fiel bei Seth der Groschen. „Offiziell noch nicht, aber in einem Jahr wäre ich ein Mann gewesen und hätte heiraten dürfen.“ „Also hat man dich auch fortgejagt, bevor du eine Partnerin hattest.“, seufzte Jono traurig. „Und wie war das bei dir?“, wollte Seth wissen. „Vom Prinzip her genauso, nur dass bei Drachen alles etwas später ist. Bis zu meinem 50.Geburtsmond durfte ich mich den geschlechtsreifen Weibchen nicht nähern. Die Alten haben schrecklich genau aufgepasst, die letzten 2 Jahre waren furchtbar. Ab dem 50.Geburtsmond gelten Drachen als geschlechtsreif und dürfen sich paaren, wenn das Weibchen es auch will. Ich kann dir sagen, es ist gar nicht so leicht von einem Drachenweibchen erhört zu werden. Aber ich hatte keine Möglichkeit es zu versuchen, drei Tage nach meinem Geburtsmond war Vollmond… Ich wurde genauso wie du aus meiner Gemeinschaft vertrieben. Ein Ältester hatte genau wie bei dir vor mir bemerkt, dass ich meine Gestalt geändert hatte. Er war sogar Zeuge meiner Verwandlung gewesen. Am nächsten Tag, als ich wieder ein Drache war, verjagte man mich mit den Worten, dass ich unreines Blut in die Kolonie bringen würde.“ „Hast du dich jemals gepaart?“, fragte Seth mitfühlend. „Nein.“, schüttelte Jono traurig den Kopf. „Alle Weibchen, die ich später traf, wollten mich nicht. Sie spürten, das irgendetwas mit mir nicht stimmte. Sie wollten mich nicht für ihre Jungen.“ „Dann bist du also gänzlich unberührt.“, stellte Seth fest. „Und du?“, wollte Jono wissen. „Ich hatte etwas mehr Glück. Die Menschen haben nicht so ein feines Gespür, wie die Tiere, also auch Drachen. Sie sondern andere nicht gleich aus Fortpflanzungsgründen aus. Im Gegenteil, mir liefen die Frauen und Mädchen, also die Weibchen, regelrecht hinterher. Was mir dafür stets Ärger mit den Männern einbrachte. So konnte ich zwar meine Triebe befriedigen, aber so viel besser war das auch nicht.“ „Aber du durftest deine Triebe wenigstens befriedigen.“, erwiderte Jono darauf traurig. Danach schwiegen sie eine ganze Weile. Es war für Beide immer wieder ein schmerzhaftes Ereignis an ihre Vergangenheit erinnert zu werden. „Und wie bist du dann in dieses Tal gekommen?“, stellte Jono die Frage, die Seth bisher noch nicht beantwortet hatte. „Ich war total am Ende, und wollte so nicht mehr weiterleben. Überall, wo ich hinkam, stand ich im Mittelpunkt, erst, weil ich so klug, hübsch und hilfsbereit war, und dann weil man mein Geheimnis entdeckt hatte. Und als ich mir schwor, noch vor dem nächsten Neumond mein Leben zu beenden, befand ich mich in diesem Wald, und an diesem See. Als ich mich ans Ufer setzte und den Vollmond betrachtete, der sich im Wasser spiegelte, wurde mir so wohl. Ich fühlte mich auf einmal getröstet, und beschloss hier zu bleiben. Doch da wusste ich noch nichts von dir. Als du dann auf einmal auftauchtest, erschrak ich fürchterlich. Doch dann wollte ich bleiben, in der Hoffnung, von dir etwas über Drachen zu lernen.“ „Ich war in einer ähnlichen Stimmung, als ich das Tal erreichte. Auch für mich hatte das Leben keinen Sinn mehr, von allen vertrieben und als schadhaft betrachtet, für den Nachwuchs nicht geeignet. Auch ich hatte gerade beschlossen, meinem Leben ein Ende zu setzen, wenn ich das nächste Mal ein Mensch sein würde, als ich mich in diesem Tal befand und vor diesem See stand. Ich fühlte mich seltsam getröstet, und auf einmal hatte es keine Eile meinem Leben ein Ende zu setzen. Auch meine Triebe meldeten sich nicht mehr, bis über Nacht ein gewisser kleiner weißer Blauaugendrache auftauchte, und mein ganzes Leben durcheinander wirbelte. So wie ein Frühlingssturm.“ „Wenn ich nicht in diesem Tal hätte bleiben können, dann wollte ich nicht mehr weiterleben.“, sagte Seth nachdenklich. „Und mein Leben hatte endgültig seinen Sinn verloren, als ich dich nicht finden konnte, mein kleiner Drache.“, fügte Jono hinzu. „Aber jetzt wird mich nichts und niemand mehr aus diesem Tal und von deiner Seite vertreiben können.“, bestätigte Seth. Gedankenverloren blickten sie in den See und genossen die Stille in ihrem Tal. Als die Sonne schon am untergehen war, meinte Jono nur: „Komm, lass uns den Sonnenuntergang vor der Höhle genießen.“ „Und vorher noch eine Portion Fische verdrücken.“, stimmte Seth zu. So ausgelassen sie die letzten Tage waren, umso nachdenklicher verbrachten sie den heutigen Tag. Zuviel war in den letzten Tagen geschehen. Alles hatte heute einen Sinn bekommen, und etliche Fragen wurden beantwortet. Natürlich blieb noch so einiges offen, aber zwei Leben lassen sich nun mal nicht an einem Tag bearbeiten. Wunden, die geschlagen wurden, konnten nun verheilen und sehnsüchtiges Verlangen würde gestillt werden, jedoch nicht heute. Nicht diese Nacht. Als die Sonne endlich untergegangen war und die Nacht Einzug ins Tal hielt, zogen Jono und Seth sich in ihre Höhle zurück. Jono begab sich auf das Lager und Seth legte sich an seine Seite. Wie schon am Ufer legte Jono einen Flügel über Seth und Seth kuschelte sich ganz dicht an seine Seite. Jono versteckte seinen Kopf an Seths Hals, um seinen Geruch ganz tief in sich aufzunehmen. Es würde wieder bis zum nächsten Neumond dauern, bis er diesen unschuldigen, süßen, betörenden Duft würde einatmen können und er wollte ihn als letzte Erinnerung an diesen Tag mitnehmen. Vertrauensvoll in die Zukunft blickend, schliefen sie Seite an Seite, fest aneinander geschmiegt, ein. 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