Mondzeiten von risuma (Eine Drachengeschichte) ================================================================================ Kapitel 38: Eine Lektion für Shisara ------------------------------------ Kisara war ziemlich überrascht, als sie von dem kleinen Drachenmädchen als Mama angesprochen wurde. Dieses Kind war wohl alles andere, als das, was sie so von jungen Drachen wusste und kannte. „Ja, endlich kann ich dich kennen lernen, Shisara.“, sagte Kisara mit Tränen in den Augen. „Aber Mama, du musst doch nicht weinen.“, sagte Shisara treuherzig und schaute sie mit ihren blauen Augen an. Shisara legte ihren Kopf schief und betrachtete ihre Mutter einen Augenblick ganz ernst. „Bleibst du jetzt bei uns?“ Kisara blieb fast das Herz stehen. Wie kam ihre Tochter jetzt nur darauf? „Sie kann einem ganz schön Angst machen, nicht wahr?“, vernahm sie die angenehme Stimme von Shizuka, die etwas oberhalb einen Landeplatz gefunden hatte. Kisara drehte ihren Kopf und schaute Shizuka mit fragenden Augen an. „Komm erst mal runter zur Höhle, da lässt es sich leichter reden.“, forderte Shizuka die Weiße auf ihr zu folgen. „Ich bleib bei Mama, ja?“, fragend schaute Shisara zu ihrer zweiten Mutter. Shizuka nickte. „Aber pass gut auf dich auf.“ Shizuka erhob sich und flog schon mal zur Höhle vor. „Ich flieg aber vor.“, bestimmte Kisara, und ließ keinen Widerspruch gelten. Shisara fügte sich gehorsam und so kamen sie nacheinander zur Höhle geflogen. „Du bist gewiss hungrig und müde. Ruh dich erst einmal ein wenig aus, ich bin gleich wieder zurück.“, sagte Shizuka zu Kisara. „Und du, kleine Dame, machst ihr bitte keinen Ärger, während ich jagen gehe.“ Streng blickte Shizuka ihre Tochter an und Shisara zuckte ein wenig unter ihrem Blick zusammen. „Ja, Mama.“ Kisara schaute lächelnd diesem kleinen Disput zu, es war schön, sie kennen zu lernen. Sie schien ein recht eigenwilliges Persönchen zu sein. Kisara schaute sich in der Höhle um, nachdem Shizuka zum jagen los geflogen war, dabei fiel ihr das Nest am Eingang auf. Neugierig ging sie darauf zu. „Das hab ich ganz alleine gemacht.“, sagte Shisara stolz und schaute ihre Mutter auffordernd an. Kisara kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Was konnte dieses kleine Drachenmädchen denn noch alles? „Ähm, was ich kann?“, meldete sich Shisara nachdenklich, „Lass mich kurz überlegen… zuerst hab ich mir das Nest aus dem Lager meines Bruders gemacht, dann hab ich jagen gelernt und jetzt kann ich fliegen… das war alles.“ Zustimmend nickte sie zu ihren Ausführungen. Kisara war jetzt gänzlich verwirrt. Hatte sie eben laut gedacht? „Nein, das hast du nicht.“, antwortete ihr Shisara auf die unausgesprochene Frage. „Ach ja, das habe ich ganz vergessen – ich bin eine Bewahrerin und kann Gedanken hören.“ Erschrocken wich Kisara einige Schritte zurück. Dieses Kind war ihr unheimlich. Sie hatte keine Ahnung, wie sie damit umgehen sollte. Ein unangenehmes Schweigen breitete sich zwischen den Beiden aus. „Magst du mich nicht?“, fragte Shisara nach einer Weile zögerlich nach. Dieses Schweigen und diese verworrenen Gedanken verwirrten sie, und sie wusste nicht, wie sie damit umgehen sollte. „Doch, ich mag dich schon“, antwortete Kisara zögernd, „doch du bist auch ziemlich beängstigend.“ „Gehst du wieder?“, wollte Shisara enttäuscht wissen. „Ich weiß noch nicht.“, antwortete Kisara ehrlich. Sie wusste es wirklich nicht, denn sie hatte ja noch nicht mit Shizuka gesprochen, und das kleine Drachenmädchen flößte ihr irgendwie Angst ein. „SHISARA!“, ertönte es streng vom Höhleneingang, „Hab ich dir nicht schon oft genug gesagt, dass es sich nicht gehört, anderer Personen Gedanken zu lauschen?“ Shizuka war gerade sehr ärgerlich über ihre Tochter. Sie konnte sich sehr gut vorstellen, wie verwirrt, und vielleicht auch verängstigt, Kisara sein mochte. „Ich hatte dir doch gesagt, du sollst keinen Ärger machen!“ Shisara wurde ganz klein unter den strengen Blicken ihrer Mutter. So hatte sie ja noch nie mit ihr gesprochen. Betreten senkte sie ihren Kopf. „Tut mir Leid, Mama, ich wollte doch keinen Ärger machen.“ Geknickt schlich Shisara zu ihrem Nest und krabbelte hinein. Kisara konnte nicht anders, als sie das kleine Häufchen Elend sah, das gerade ausgeschimpft davon schlich, wurde ihr ganz warm, und ihr Herz ging ihr auf. Egal was ihre Tochter noch alles konnte, und wie anders sie auch sein mochte, man musste sie einfach lieb haben. Doch während Kisara ihrer Tochter gerade alles verzieh, war Shizuka richtig böse auf sie. Eigentlich zum ersten Mal. Bisher hatte sie Shisaras Eigenheiten auch immer lächelnd hingenommen, doch diesmal hatte sie nicht beschwichtigend eingreifen können, wie bei Jono oder Katsuya. „Gib ihr nicht so schnell nach.“, bat sie leise Kisara, „sie muss es wirklich lernen.“ Kisara nickte. Ja, das war wirklich kein kleines Problem, erkannte sie. „Komm, ich hab ein Reh für dich gejagt, lass es dir schmecken, und dann reden wir über alles.“, forderte sie freundlich ihren Besuch auf. Kisara nickte, und ließ es sich erst einmal schmecken. Shizuka war es nur zu deutlich bewusst, dass Shisara alles hören konnte, doch das konnte sie ruhig auch. Sie sollte wissen, dass ihre Fähigkeit anderen wirklich Angst machen konnte. Ihr Bruder und ihr Sohn hatten nach einem kurzen verblüfften Moment gelächelt, aber Kisara hatte wirklich angefangen sich zu fürchten. Sie wollte nicht, dass Kisara ihre Tochter als ein Monster betrachtete, sie sollte sie lieben… Denn genau diesen starken Rückhalt würde ihre Tochter noch brauchen… „Nun erzähl mal, was führt dich zu uns?“, begann Shizuka, nachdem Kisara fertig mit Essen war. Kisara holte tief Luft und begann mit leisen Worten zu erzählen, wie es ihr seit Shizukas Weggang ergangen war. „Dann…“ Shizuka unterbrach ihre Tochter in Gedanken: >Was hab ich dir gerade gesagt?< Erschrocken verstummte Shisara wieder und hörte nur zu. „Und was willst du jetzt tun?“, erkundigte sich Shizuka mitfühlend. Kisara hatte ja wirklich die Hölle erlebt, und trug von diesem Mistkerl auch noch ein Ei. „Ich würde gerne für eine Weile hier bleiben, wenn du gestattest.“, meinte Kisara leise. „Bitte, Mama, bitte… sie darf doch bleiben?“, bettelte Shisara, sich keiner Schuld bewusst, denn diesmal hatte ihre andere Mama doch laut gesprochen. „Ich will nicht, dass mein Brüderchen bei dem Mistkerl aufwachsen muss.“ „Oh, Shisara“, schüttelte Shizuka verzweifelt ihren Kopf, „was soll ich nur mit dir machen?“ „Komm mal her meine Kleine.“, rief Kisara ihre altkluge Tochter. Ja, das war sie wirklich, erkannte Kisara, also wollte sie von Erwachsener zu fast Erwachsener mit ihr reden. Shisara kam neugierig aus ihrem Nest geklettert, setzte sich erwartungsvoll vor ihre echte Mama und schaute sie mit großen Augen an. „Pass mal auf“, begann Kisara, „wenn andere, und ganz besonders Erwachsene, sich unterhalten, dann darf man sich nicht einfach so in ihr Gespräch einmischen. Und wenn man dazu noch so eine besondere Gabe hat, wie du, dann muss man damit auch noch vorsichtig umgehen. Du bist zwar einerseits noch ein ganz kleines Drachenmädchen, doch andererseits kannst du schon viel mehr, als ein Drache deines Alters kann. Du wirst es sehen, wenn dein Geschwisterchen da sein wird. Kannst du das verstehen?“ Kisara betrachtete aufmerksam ihre kleine Tochter. Sie konnte deutlich sehen, wie es hinter ihrem kleinen Köpfchen zu arbeiten begann. „Aber wenn man etwas ganz dringend dazu sagen will, was muss man dann machen?“, fragte sie verwirrt. Das war schwierig zu erklären, Kisara konnte sich nur zu gut daran erinnern, wie sie von den Erwachsenen immer ausgebremst und mit Nichtbeachtung gestraft wurde. Was hatte ihr die Älteste geraten, als sie sich einmal bei ihr darüber beschwert hatte? „Höre aufmerksam zu, und wenn du etwas zu sagen hast, dann suche den Blickkontakt zu einem der Anwesenden, und sprich erst, wenn du dazu aufgefordert wirst. Es kostet Disziplin, doch wenn du dich nicht ständig einmischst, und das Gespräch unterbrichst, dann wird man dich und deine Meinung ernst nehmen, und immer öfter in ein Gespräch mit einbeziehen.“ Oh, das war eine schwere und bittere Lektion gewesen, war sie doch lange Zeit der jüngste Drache in der Kolonie gewesen, niemand da, mit dem sie spielen oder herumtollen konnte, nur die beiden Rüpel, von denen sie eines Tages einen zum Gefährten wählen musste. Wie glücklich war sie, als schließlich, sie war gerade 20 Monde alt, ein kleiner Junge geboren wurde. Mit ihm konnte sie sich hemmungslos beschäftigen, und ihr war überhaupt nicht mehr langweilig. Umso trauriger war es, als er von einem Jagdausflug nicht mehr zurückkam, da er sich zu dicht an die Menschensiedlung herangewagt hatte. 10 Monde nach seinem Tod wurde der Kolonie wieder ein Mädchen geboren, doch um dieses durfte sie sich nicht kümmern, es gab einige die ihr die Schuld zu sprachen, dass der kleine Junge sich den Menschen zu dicht genähert hatte. Aber das stimmte nicht, er war viel zu sehr von Gozaburo beeindruckt gewesen und versuchte dessen Aufmerksamkeit zu erringen, doch dieser nahm überhaupt keine Notiz von ihm. So flog er ihm einfach hinterher, um zu sehen, wohin er mit seinen Freunden immer flog, und kam so in die Nähe der Menschensiedlung. Mit Verwunderung sah er zu, wie sie sich an den Tieren der Menschen bedienten, und eines Tages beschloss er, dass er so die Aufmerksamkeit Gozaburos erringen könnte, wenn er auch ein Menschentier erlegen würde. Er wollte es ihm zum Geschenk machen, doch er kam von diesem Ausflug nicht mehr lebend zurück. Gozaburo schimpfte nur über diesen Trottel, denn nun mussten sie sich eine andere Menschensiedlung suchen, weil die Menschen dort nun wussten, wer ihre Tiere stahl. „Und mit deiner ganz besonderen Fähigkeit“, fügte Kisara noch hinzu, „musst du ganz besonders sorgsam umgehen. Du wirst später merken, wenn du mit vielen Drachen zusammenlebst, dass es viele Gedanken gibt, die dir überhaupt nicht gefallen, oder die du kennen willst. Manches gibt es, dass nicht für deine Ohren bestimmt ist, und von dem du besser nichts wüsstest. Und vor allem darfst du andere nicht so mit deiner Fähigkeit überfallen, sie bekommen nur Angst vor dir, und bezeichnen dich als Monster.“ „Aber mein Bruder und mein Papa haben keine Angst vor mir.“, versuchte Shisara aufzutrumpfen. Kisara blickte fragend zu Shizuka. „Mein Bruder.“, antwortete diese und Kisara nickte. „Das ist schön für dich, und so soll es auch sein, aber andere Drachen finden es überhaupt nicht schön, wenn sie feststellen müssen, dass es jemanden gibt, der ihre Gedanken lesen kann.“, erwiderte Kisara ernst. „Hören, nicht lesen.“, schmollte Shisara. Diese Richtung des Gespräches behagte ihr so überhaupt nicht. Sie hatte gedacht, dass ihre wirkliche Mama mehr wie eine große Schwester für sie wäre, mit der sie herumtollen konnte, stattdessen war sie ja noch strenger als ihre Mama. Shizuka hatte lächelnd dem Ganzen zugesehen, und sie bekam langsam eine Ahnung davon, dass Mutter und Tochter sich ziemlich ähnlich waren, und dass Kisara sich all diese Belehrungen als Drachenmädchen auch hatte anhören dürfen. „Du kannst nichts für deine Gabe, meine Kleine.“, meinte sie zärtlich, „und hier kannst du sie auch gerne benutzten. Nur rede nicht einfach dazwischen, wenn sich andere unterhalten und warte bis du gefragt wirst. Und überfalle unsere Besucher nicht jedes Mal mit deiner Gabe, bisher ging es glimpflich aus. Du darfst eines nämlich nie vergessen: du bist ein Mischling, und es wird genügend Drachen geben, die dir deshalb nachstellen und nach deinem Leben trachten werden. Nutze deine Gabe, um heraus zu finden, wer dir wohl gesonnen ist, und wer nicht. Prüfe die Emotionen dir gegenüber, und dann wirst du immer den Vorteil der ersten Reaktion haben, wenn du dich nicht verrätst.“ „Du meinst, ich soll nur auf die Gefühle hören?“, fragte Shisara nach. „Ja“, nickten ihre Mütter gleichzeitig. „Und wenn einer böse Gefühle hat, dann soll ich genauer hinhören?“ „So ist es“, sagte Kisara, „das wird dir das Leben retten.“ „Und wenn jemand so tief traurig ist wie Seth, darf ich dann auch hinhören?“ „Es gibt niemanden, der den Grund der Traurigkeit besser herausfinden kann, als du.“, meinte Shizuka stolz. „Nur rede erst mit mir darüber, wenn diese Person überhaupt nicht ansprechbar ist, und gemeinsam werden wir versuchen eine Lösung zu finden.“ Shisara zog sich nachdenklich in ihr Nest zurück. Sie hatte viel zu überdenken, es war ihr überhaupt nicht in den Sinn gekommen, dass andere sich vor ihr fürchten oder gar ihr nach dem Leben trachten könnten. ~~~ Gozaburo war wütend, als er von seinem ‚Jagdausflug’ mit seinen Freunden zurückkam, und seine Gefährtin nicht in der Höhle vorfand. Leider war es schon zu dunkel, um ihr noch hinter her zu fliegen, doch das würde er morgen früh gleich nach Sonnenaufgang nach holen. Unzufrieden mit sich, und auch mit dem missglückten Überfall auf die Menschensiedlung, hätte er sich jetzt gern an seiner Gefährtin abreagiert. Er scherte sich nicht darum, dass ein Drachenweibchen mit dem Paarungstanz um Erlaubnis gebeten werden musste, er paarte sich lieber mit ihr, um seinen Besitzanspruch geltend zu machen, dass er das Recht hatte sich mit ihr zu paaren. Und dass es ihr nicht gefiel, verschaffte ihm ein Gefühl der Macht über sie. Die ganze Nacht konnte er nicht schlafen, er war wütend weil sie nicht da war und er den Druck in seinem Inneren nicht abbauen konnte. Als endlich die Sonne aufging, und er sich auf die Suche nach seiner Gefährtin machen wollte, stand auf einmal der Älteste vor seinem Höhleneingang und bat ihn um eine vertrauliche Unterredung. Die Weibchen der Kolonie wären am Tag zuvor ganz aufgeregt von der Jagd zurückgekommen, da sie beobachtet hatten, dass sich ganz viele Menschen auf dem Weg zur westlichsten Menschensiedlung machten, und einige waren sogar grundlos von den Menschen angegriffen worden. Das alles stimmte ihn bedenklich und er wollte von ihm wissen, ob ihm bei seinen Flügen nicht etwas aufgefallen wäre. Gozaburo tat erstaunt. „Nein, mir und meinen Freunden wäre nichts aufgefallen.“ meinte er nur zum Ältesten. Mist, dachte er, mit unserem Lieblingssport ist es wohl für ein Weilchen vorbei. „Ich würde dich gerne mit dabei haben, wenn wir nachher aus sicherer Höhe mal nachsehen fliegen werden.“, bat ihn der Älteste. „Aber sag Kisara nichts davon, damit sie sich nicht ängstigt. Ich glaub sie trägt ein Ei.“, fügte er schmunzelnd hinzu. Seine Gefährtin hatte gute Augen, und wenn sie sagte ein Weibchen trug ein Ei, dann stimmte es immer. Nun, nicht ganz, denn das erste Ei, das Kisara trug, hatte sie nicht bemerkt, aber da hatte sie sie auch noch nicht so im Auge gehabt. Gozaburo fügte sich grummelnd, nun musste er seine Suche nach Kisara aufschieben… Doch wenn er so darüber nachdachte, konnte er bald ganz offiziell nach ihr suchen… Der Gedanke gefiel ihm immer besser… ~~~ Als die sieben Tage der Zusammengabe vorüber waren, machte sich Ishizu auf den Weg zum See. Einige junge Männer aus dem Dorf begleiteten sie, und trugen ihre Sachen. Yami und Anzu schickte sie zu ihrem Enkel und seiner Familie und ließ ihnen ausrichten, dass es schön wäre, wenn sie zu Neumond Ishizu am See besuchen kämen. Ishizu richtete sich am See ein und wartete auf die Dinge, die nun geschehen würden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)