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Frei wie der Wind aber dennoch gefangen

von

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Wie alles begann

Das gestohlene Artefakt:
 

Eine schemenhafte Gestalt durchschritt einen dunklen Gang, der nur von einer Fackel erhellt wurde, den diese in der rechten Hand hielt. Es war ein uraltes Gemäuer, das von vielen rätselhaften Malereien und Runen gezeichnet war. Die junge Frau trug einen langen schwarzen Mantel und darüber einen Bogen und einen Köcher mit zahlreichen Pfeilen. Ihr schwarzes Haar hatte sie zu einem Zopf geflochten. Ihre Schritte hallten kaum von den Wänden wieder.
 

Plötzlich jedoch ertönte ein Geräusch in der Dunkelheit vor ihr. Sie hielt inne. Wieder war ein leises Kratzen zu vernehmen. Ihre gelben Augen verengten sich zu Schlitzen. Langsam legte sie die Fackel auf den Boden und griff zu ihrem Bogen. Schließlich langte sie mit der anderen Hand zu einem Pfeil. Das Geräusch schien näher zu kommen. Nun bewegte es sich schnell auf sie zu, doch noch immer konnte sie nichts in der Dunkelheit vor sich erkennen.
 

Ihr Atem ging ein wenig schneller und ihre Augen suchten das Schwarz vor sich hektisch ab. Da machte sie eine kleine Bewegung aus und schoss den Pfeil ab. Ein schrilles Quieken ertönte, dann war es ruhig. Die junge Frau hatte, sobald sie den ersten Pfeil abgeschossen hatte, sofort einen zweiten gezückt und gespannt. Alles schien ruhig zu sein, doch aufeinmal jagte ein Schatten auf sie zu. Im allerletzten Augenblick ließ sie die Sehne des Bogens los, als sie etwas Schweres mitriss und sie zusammen auf den Boden krachten.
 

Ein großes, haariges Wesen lag da und rührte sich nicht mehr. Unter diesem Wesen kämpfte sich die Schwarzhaarige hervor. „Mistvieh.“, grummelte sie, sammelte ihren Bogen auf und nahm ihre Fackel. Dann knacktesie ein paar mal mit dem Nacken und setzte ihren Weg fort. Nach wenigen hundert Metern endete der Gang in einer großen Halle. Einige Säulen waren umgestürzt und im Laufe der Jahrtausende halb zerfallen. Die Schwarzhaarige wandte sich nach rechts und betrachtete die uralte Wand genauer.
 

Sie machte noch ein paar Schritte und ging näher an das Monument heran. Da war ein kleines Loch in Kopfhöhe, es war nicht größer als ein Knopf.. Doch als sie noch einen Schritt nach links machte, war ein seltsames Geräusch zu hören. Noch bevor sie nachdachte, riss sie ihren Oberkörper nach hinten und entging so einem Pfeilhagel, der aus vielen verschiedenen Löchern geschossen worden war. Wieder war das seltsame Geräusch zu hören und sie ließ sich rücklings auf den Boden fallen. Wieder schossen Pfeile über sie hinweg, doch urplötzlich kamen diese auch von der Decke und bohrten sich in den Boden rund um sie herum. Dann war Ruhe. Vorsichtig richtete sich das Mädchen auf und schaute sich um. Sie löste einige Pfeile aus ihrem Mantel und stand auf.
 

Zum Glück war sie nicht getroffen worden. Anscheinend hatte sie das Glück des Teufels für sich gepachtet; so weit wie sie schon gekommen war, war es ein Wunder, dass sie noch keinen Kratzer abbekommen hatte. Wieder nahm sie die Fackel und ging weiter. <Irgendwo muss es doch sein.>, dachte sie. Durch die Decke brachen einige Lichtstrahlen, die sie durchschritt und einige Pflanzenranken wagten es, sich bis zum Boden zu schlängeln. In ihren Gedanken war sie kurz abgelenkt, doch schon bald richtete sich ihr Blick wieder auf die Realität, als ihr etwas Glänzendes in die Augen fiel.
 

In ihren Augen blitzte der Wille einer Schatzjägerin. Dieses Artefakt würde ihr gehören. Wachsam näherte sie sich dem Altar, auf dem die goldene Kette, der Göttin Celest, aufgebahrt lag. Sie war sehr wertvoll, da sie mit vielen Rubinen besetzt war. Im Schein ihrer Fackel tauchten plötzlich viele Skelette auf, die am Boden lagen. Auf dem Gesicht der Schatzjägerin zeigte sich keine Regung. Ihr Blick wanderte weiter zu den Stufen, die die Toten vor ihr beschritten hatten, jedoch weniger erfolgreich. Eine bestimmte Schrittreihenfolge beachtend, gelangte sie nach oben zu dem Altar.
 

Ihre Augen spiegelten das Funkeln des Artefaktes wieder. Einmal schritt sie um den Altar herum und untersuchte ihn auf irgendwelche Fallen. Schließlich hob sie einen Schädel vom Boden auf, nahm vorsichtig die Kette und legte den knöchernen Gehilfen auf dieselbe Stelle. Ein Mechanismus kam zum Halten und als die Schatzjägerin die Fackel höher hielt, zuckte sie kurz zusammen. Knapp rechts und links von ihr, waren zwei dicke Rammböcke zum Halten gekommen. Sie atmete aus. <Schnell weg hier.>, war ihr einziger Gedanke. Doch ein Geräusch ertönte und als sie sich umdrehte war irgend etwas knapp vor ihr.

Der Kampf

Sie ließ die Fackel fallen und mit einem beherzten Seitensprung rettete sie sich in die Dunkelheit neben sich. Die Gestalt tat es ihr nach und verschwand ebenfalls in das Dunkel, jedoch in eine andere Richtung.

Es schien sich um ein intelligenteres Wesen zu handeln, als die bisherigen Wasons, die sie bis jetzt getötet hatte. Zumindest soweit sie das aus dem kurzen Augenblick beurteilen konnte.
 

Irgendwo in der großen Halle raschelte es. Die junge Frau tastete sich vorwärts und kam an dem Rand einer der Lichtsäulen an, die durch die Decke fielen. Wieder hörte sie ein Geräusch. Der Hall in dem Gewölbe machte es nicht gerade einfach, die Quelle der Laute zu orten. Die Kette verstaute sie sicher in einer Manteltasche.
 

Langsam schlich sie rückwärts und zückte dabei einen Dolch. Ein Flattern ertönte, dann packte sie etwas von hinten und schleuderte sie zu Boden. Halb benommen brauchte sie nur einen kleinen Moment zu lange, um sich auf den nächsten Angriff vorzubereiten und ihr Messer, dass ihr entglitten war, wieder zu nehmen. Eine Hand packte sie am Hals, während sie durch das schwere Gewicht eines Körpers auf den Boden gedrückt wurde. Geblendet durch das Licht, dass durch die Decke fiel, konnte sie nicht erkennen, mit wem sie es zu tun hatte. Zumindest schien es sich um ein menschliches Wesen zu handeln.
 

Doch dies war nicht unbedingt von Vorteil. Ihre Hände umklammerten den kräftigen Unterarm, der sie immer noch zu Boden drückte und ihr einen Teil ihrer Luft nahm. „Lass los!“, keuchte sie und funkelte wütend in das Dunkel über sich. „Wo ist sie?“, sagte eine samtene, aber dennoch lauernde Stimme. „Ich hab sie fallen gelassen, gleich da drüben.“, entgegnete die Schatzjägerin und deutete mit dem Kopf auf eine Stelle in der Nähe vom Altar.
 

„Du bist eine schlechte Lügnerin, Mireille.“ „Und mit wem habe ich das Vergnügen?“, zischte sie nach einem kurzen Moment der Überraschung und versuchte erneut die kräftige Hand loszuwerden. Doch der Griff blieb hart. Die andere Hand fing an ihre Manteltaschen zu untersuchen. „Hör auf und beantworte meine Frage!“ Doch kurz bevor die Hand in die unmittelbare Nähe des wertvollen Reliktes kam, nutzte Mireille den kleinen Moment seiner Unaufmerksamkeit. Dennoch war er schnell genug den Krallen des schwarzen Panthers zu entkommen. Elegant landete die Gestalt in einiger Entfernung. Nun standen die Beiden sich gegenüber. Einer der Lichtkegel lag wie eine imaginäre Grenze zwischen den Beiden. Mireille hatte ihre menschliche Gestalt gegen ihre animalische getauscht und stand nun fauchend der Person gegenüber.
 

„Das ist interessant.“, sagte der Unbekannte leicht amüsiert, wurde dann jedoch ernst. Es gab ein leises Rascheln, dann stand auch er in seiner animalischen Gestalt vor ihr. <Auch er ist ein Wandler?>, dachte Mireille. Der Wolf knurrte leise. „Rück die Kette raus, letzte Chance...“ „Vergiss es.“, und der nachtschwarze Panther verschwand im Dunkel. Der Wolf tat es ihr gleich. Es herrschte kurze Stille, dann brach der Kampf los.
 

Die Gegner stürzten zeitgleich aufeinander los. Ein Fauchen und Knurren ertönte und schallte durch die Halle, sodass der Lärm zu einem ohrenbetäubenden Krach wurde. Die Beiden gingen auseinander, aber nur um sich sofort umzudrehen und gleich wieder anzugreifen. So verwickelten sich die beiden Schatzjäger in einen erbitterten Kampf. Der Panther nahm Anlauf und sprang; der Wolf tat es ihr gleich. Sein schwarzes Fell verzeichnete bereits einige Lücken.
 

Auch den Panther hatte es nicht besser getroffen. Kurz bevor die beiden Kontrahenten aufeinander trafen, verwandelte sich Mireille in ihre menschliche Gestalt, zückte ein Jagdmesser aus einer der Taschen und holte aus. Der Wolf hatte es jedoch im letzten Augenblick bemerkt und tat es ihr gleich. Es herrschte absolute Stille, als sie aufeinander trafen. Man hörte nur ein leises Geräusch, dann war es geschehen.
 

Mireille versuchte auf ihren Beinen zu landen, doch diese gaben unter ihr nach und so rollte sie einige Meter weit, bis sie zum Halten kam. Die junge Frau keuchte, blieb jedoch kurz auf dem Boden liegen. Ihre Hand fasste an ihre Taille und spürte etwas nasses, dass sich seinen Weg gen Boden bahnte. Fluchend richtete sie sich auf. Sie nahm ihr Jagdmesser und hielt es gegen das Licht und konnte in dem leichten Schimmer erkennen, dass auch sie ihn getroffen hatte. Kurz prüfte sie nach, ob die Kette noch an ihrem angestammten Platz war. Ein Augenpaar blitzte sie aus dem Halbdunkel an. Der Mann schritt auf sie zu und zückte ein Schwert.
 

„Du willst Krieg? Den kannst du haben.“, knurrte sie und zückte ebenfalls ein Schwert. Das Metall klirrte und Funken stoben, als die Beiden aufeinander losgingen. Schnell und geschickt parierten sie die Hiebe des jeweiligen Gegners. Jedoch merkte man, dass beide bereits angeschlagen waren. „Du bist nicht so schlecht, wie ich gedacht habe.“, grinste er. „Du kannst denken?“, erwiderte Mireille genervt und drängte ihn mit einem gekonnten Hieb einen Schritt nach hinten. Jedoch ließ seine Gegenattacke nicht lange auf sich warten und schon bald war er es, der sie zurück drängte. Zurück ins Dunkel.
 

Die junge Frau stolperte nach einem weiteren Hieb halb über einen Gesteins-brocken, fing sich jedoch, konnte den nächsten Schlag aber nicht mehr parieren. Ein Teil ihres Mantels hing herunter und ein roter Striemen machte sich auf ihrem linken Arm bemerkbar. Augenblicklich riss die Schwarzhaarige ihr Schwert nach oben und traf ihn von vorne.
 

Stoff riss und sein Mantel verabschiedete sich von seinen Schultern. Schemenhaft konnte die Kontrahentin einen kräftig gestählten Körper erkennen und dazu einen gut aussehendes Gesicht mit verstrubbelten, kurzen Haaren. Keinen Moment zu spät fing sie seine Schläge wieder ab. Die Wunde an ihrer Taille und ihrem Arm brannte.
 

Der Mann keuchte einmal und ging dann wieder in Angriffsposition. Auch an ihm ging dieser schweißtreibende Kampf nicht ohne weiteres vorbei. <Wenn ich ihm entkommen könnte...>, dachte Mireille und überlegte fieberhaft. Dann kam ihr eine Idee. Bei seinem nächsten Angriff, der von oben kam, parierte sie den Hieb zum Schein, tauchte dann jedoch unerwartet unter ihm hindurch und versetzte ihm einen Tritt von hinten. Dann verschwand sie in der Dunkelheit. Ihr Gegner musste sich erst fangen, machte sich jedoch dann sofort an die Verfolgung.

Alle guten Dinge sind zwei?

Mireille rannte so leise wie möglich an den Säulen und Statuen vorbei, um möglichst unentdeckt zu bleiben. Immer wieder änderte sie die Richtung. In dem Dunkel war es nicht so einfach zu erkennen, wo Schutt und Steine lagen und wo nicht. Ihre Wunden brannten unterdessen höllisch und schrien nach einer Pause. Als sie es nicht mehr aushielt, stoppte sie hinter einer Säule und hielt sich die Seite.
 

Ihr Puls raste und schien so laut zu pochen, dass ihr Gegner sie allein schon deswegen finden musste. Mireille lauschte, konnte jedoch nichts hören. Aufmerksam sah sie sich um, das Schwert immer noch erhoben. An ihrem Arm lief etwas Nasses herunter. Zu spät merkte sie, dass ihre kurze Verschnaufpause zu lange gedauert hatte. Kalter Stahl glitt an ihre Kehle.
 

Die junge Frau erstarrte. „Fallen lassen.“, sagte die samtene Stimme lauernd. Sie zögerte einen Moment, doch dann landete ihr Schwert klirrend auf dem Boden. Er nahm es und warf es in die Dunkelheit, wo es scheppernd aufschlug. Er kam ihr ein Stück näher und fing an den Mantel abzuklopfen. Schließlich fand er die Tasche. „Gib mir die Kette raus.“ Langsam senkte Mireille ihren rechten Arm, wurde jedoch aufgehalten.
 

„Nicht den, nimm den anderen.“ <Er ist gewieft.>, dachte sie wütend, nahm aber gehorsam ihren verletzten Arm. Sie hielt die Kette in der Faust und streckte ihren Arm zu ihm nach hinten. In einer explosiven Bewegung schleuderte sie ihren Arm nach vorne, um die Kette der Dunkelheit zu überlassen. Jedoch war er ihr wieder voraus, packte ihren Arm rechtzeitig und zog ihn nach hinten. Ein kurzer Schrei entglitt ihrer Kehle und sie ging auf die Knie. Mireille kniff die Augen zusammen und keuchte, während er sich ihrem Gesicht näherte. „Es tut mir aufrichtig leid, etwas so schönes an einem Ort wie diesem zurückzulassen, aber ich kann es nicht riskieren dich mitzunehmen.“ Der Mann schnappte sich die Kette und dann ging alles ganz schnell.
 

Die Klinge verschwand von ihrem Hals und sie wurde grob nach vorne gestoßen. „Nenn mir wenigstens deinen Namen!“, schrie sie wütend und vorn über gebeugt. „Man nennt mich Silver!“, hallte seine Stimme durch das Gewölbe, dann kletterte er eine der Ranken hoch und verschwand durch eines der Löcher in der Decke. „Dreck.“, keuchte Mireille leise. In ihrer ganzen Karriere als Schatzjägerin war es ihr noch nicht vorgekommen, zumindest nicht sehr oft, dass ihr ein mehr als ebenbürtiger Gegner gegenübertrat und ihr dann auch noch ihr Artefakt stahl. Das durfte einfach nicht sein.
 

Sie würde die Kette wieder bekommen, da war sie sich sicher. Und wenn sie diesen verfluchten Mistkerl bis an das Ende der Welt würde verfolgen müssen. Wütend sammelte sie ihr Schwert und ihren Dolch ein und wandte sich in Richtung des Ausgangs. Plötzlich jedoch begann die Erde zu beben, vor ihr tat sich der Boden auf und ein riesiges Monster begann sich in die Höhle zu zwängen. Ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, trat Mireille an eine der Ranken. Schnell und mit zusammengebissenen Zähnen machte sie sich an den beschwerlichen Aufstieg und schaffte es schneller als gedacht sich an die Erdoberfläche zu ziehen.
 

Völlig leer gepumpt blieb sie einen Moment lang liegen und sog die klare Luft in ihre Lungen. Über ihr war ein Blätterdach, dass sie vor der brennenden Sonne schützte. Kurz schloss sie die Augen, damit diese sich langsam an die Helligkeit gewöhnen konnten. Der Wind raschelte in den Blättern. Doch unter der Erde rumorte es. Verwirrt richtete Mireille sich auf, als plötzlich eine große krallenbesetzte Hand aus dem Loch geschossen kam, durch das die Schwarzhaarige vor einem Moment noch geklettert war. Wie von der Tarantel gestochen, sprang sie auf und brachte sich durch einen geschickten Hechtsprung in Sicherheit. Doch dies währte nicht lange.
 

Durch die Erde brach das große Monster, dass den beißenden Gestank von Tod an sich haften hatte. Es hatte entsetzlich große Zähne und lange, verfilzte Haare, in denen einige Skelette hingen. Mireille zögerte nicht lange und rannte davon. Selbst sie hatte gegen dieses Wesen kaum eine Chance, zumindest nicht im Moment. Jedoch brauchte sie sich nicht umzudrehen, um zu wissen, dass ihr das Monster direkt auf den Fersen war. Würde sie denn heute niemals zur Ruhe kommen können? Sie sammelte all ihre Kraft, um den Sprint durchzuhalten, den sie hinlegen musste.
 

Schnell wie der Wind jagte sie durch den Wald immer darauf bedacht, nicht in einen der eng stehenden Bäume hinein zu rennen. Das Monster kümmerte sich jedoch nicht darum, sondern peste ihr im Höllentempo hinterher. Aufeinmal jedoch holte der Erdboden die junge Frau ein und das Tageslicht verschwand um sie herum. Mireille fiel ein Stück, dann polterte sie einen Erdhügel hinunter und blieb schließlich mit dem rechten Fuß in einem Wurzelstück hängen. Sie war durch ein Loch in eine Erdhöhle gefallen.
 

Keuchend und nach Luft schnappend hing sie kopfüber in der Höhle und verschnaufte. Das Monster, dass weit über ihr war, rannte weiter und bemerkte ihr Verschwinden nicht weiter. Mireille öffnete völlig fertig die Augen und besah sich, soweit sie konnte. Das Blut lief ihr den Arm runter und hatte an einer anderen Stelle schon ihr ganzes Oberteil durchsickert. Die Wunde an ihrer Taille schmerzte und brannte und auch hier blutete sie immer noch. Plötzlich bemerkte sie, wie sie jemand beobachtete.

Die Finte

Er hielt die Kette in der Hand, die er jedoch schnell verstaute. „Du?“, entwich es den Beiden gleichzeitig. Nun konnte sie sein Gesicht und den Rest seines Körpers besser erkennen. Abgesehen von dem markanten Kinn, dem drei – Tage – Bart und den verstrubbelten Haaren, hatte er eisblaue Augen und eine Narbe auf der rechten Wange. Auf seinem nackten Oberkörper lag eine dünne goldene Kette mit einem Ring. Silver war muskulös und durchtrainiert. Kein Wunder, dass er ihr das Wasser reichen konnte.
 

Er besaß Kampferfahrung und war ziemlich stark. Zudem sah er gut aus, keine Frage, aber er hatte ihr, der besten Schatzjägerin von ganz Ranom, ein Artefakt gestohlen und dafür würde er bezahlen. Wütend versuchte Mireille sich von der widerspenstigen Wurzel zu lösen.
 

Kurze Zeit später saß sie gefesselt und aufgebracht vor Silver auf dem Boden. „Lass mich sofort wieder frei und gib mir das Artefakt! Ich habe es zuerst gefunden, also steht es mir zu! Und du hast es mir eh nur mit viel Glück abgeluchst! Damit das erstmal klar ist. Außerdem.... Hey! Was machst du..... mhmmmhhhmm!!“, empört sah sie Silver an, der ihr genervt einen Knebel in den Mund gestopft hatte und ihn an ihrem Hinterkopf verknotete.
 

Er seufzte einmal und fuhr fort, sich um seine Wunden, die sie ihm beigefügt hatte, zu kümmern. Der junge Mann zog die Reste seines Hemdes aus und begutachtete Mireille‘ s Werk. Diese beachtete ihn unterdessen nicht mehr. Sie war damit beschäftigt sich von ihren Fesseln zu befreien, während ihr eigenes Blut immer noch aus den Wunden rann. Zwar lief es nicht mehr so stark, da die Gerinnung eingesetzt hatte, aber der Blutverlust, den sie bis jetzt erlitten hatte, war nicht zu unterschätzen.
 

Die Fußfesseln schienen sich zu lösen und so strampelte sich die Schatzjägerin frei. Schweißperlen liefen ihre Stirn hinab. Immer wieder versuchte sie an eines ihrer Messer zu kommen, doch dies war schwerlich möglich, wenn man die Hände auf dem Rücken verbunden hatte.
 

Schließlich kroch sie zurück an eine der Wände und stemmte sich daran hoch. Ihre Wunde brannte erneut auf und sie biss die Zähne zusammen. Sie sah sich um. Irgendwie musste sie doch sonst diese Fesseln loswerden. Silver war immer noch damit abgelenkt sich um seine eigenen Wunden zu kümmern. Seine Sachen lagen etwas entfernt von ihm und unter einem weiteren Hemd blitzte sein Schwert hervor.
 

Leise näherte Mireille sich und begann dann ihre Fesseln an der scharfen Klinge zu zerschneiden. Sie merkte wie ihre Hände zitterten und ihr das Blut in den Ohren rauschte. Lange würde ihr Kreislauf das nicht mehr mitmachen. Doch sie durfte jetzt nicht aufgeben. So einfach würde sie es ihm nicht machen. Schließlich waren die Fesseln durchschnitten und sie löste den Knebel an ihrem Hinterkopf. Leise legte sie diese auf den Boden, ging ein kleines Stück in Richtung des Ausganges und versteckte sich in einer Nische. Dann nahm sie einen Erdbrocken und warf ihn auf den kleinen Hügel unterhalb der Öffnung nach oben, wo er wieder hinunter kullerte.
 

Silver sah erschrocken auf, bemerkte den Erdklumpen und rannte fluchend zum Ausgang. Wütend blickte er hinauf in Richtung Licht, wo er Mireille vermutete. Diese hingegen hatte die Chance genutzt, sich die Kette geschnappt und war weiter in die Höhle gerannt, soweit sie dies noch konnte. Ihrem feinen Geruch nach, musste es dort noch einen Ausgang geben. Doch schon hörte sie die Schritte von Silver hinter sich. Die Finte hatte ihr lediglich einen kleinen Vorsprung verschafft und der würde schrumpfen. Schnell war die Kette verstaut und sie rannte um die nächste Biegung.
 

Die junge Frau hörte schon den Atem ihres Feindes. Der Abstand schrumpfte schneller als gedacht. Ihre Kräfte verließen sie immer mehr; sie begann einige Male zu straucheln. Irgendein Plan musste her; und zwar schnell. Ein leichter Windzug verriet ihr, wo sie lang musste und so bog sie erneut ab. Sackgasse! Mireille drehte sich um, doch Silver war schon hinter ihr. Sein muskulöser Oberkörper hob und senkte sich durch den Sprint sichtbar. Der leichte Windzug war von einem kleinen Loch in der Wand gekommen, das wahrscheinlich von einem Kaninchen von außen gegraben worden war.
 

Sie zückte ihr Schwert. So einfach würde sie nicht aufgeben. Doch sie war sich auch bewusst, dass ihre Kraftreserve so gut wie aufgebraucht war. Ihre Sicht verschwamm leicht vor ihren Augen und sie schwankte einmal kurz. Silver besah sich die Schatzjägerin, deren Blut bereits auf den Boden tropfte. Das sie noch stand, war ein Wunder und zeugte von großer Willensstärke. Er bemerkte, wie ihre Arme zitterten und kalter Schweiß ihre Stirn bedeckte. Mireille wusste, dass sie einen gezielten Treffer setzen musste, um ihn zu erledigen. Silver näherte sich ihr vorsichtig. „Gib auf. Du hast keine Chance.“, sagte er leise, mit seiner beruhigenden, samtenen Stimme.
 

Und etwas in Mireille wollte dieser Stimme nachgeben. Ihre Sinne schwanden immer mehr, doch sie riß sich immer wieder zusammen und hielt ihre Augen offen. Ihr Herz raste und ihr Körper verlangte danach, sich auszuruhen und sich um seine Wunden zu kümmern, doch Mireille wollte noch nicht nachgeben. Noch nicht! Einen Kampf musste sie noch bestehen. Stocksteif in Kampfposition stand sie da und konzentrierte sich darauf wach zu bleiben und nicht in eine Ohnmacht hinab zu gleiten.

Silver näherte sich noch ein Stück, anscheinend war er sich sicher, dass sie sich nicht mehr wehren konnte bzw. wollte. Doch er hatte nicht die Rechnung mit der Schatzjägerin in ihr gemacht und nur durch eine blitzschnelle Reaktion entging er dem scharfen, kalten Stahl, der ihn fast aufgeschlitzt hätte.

Fluchtversuch und seine Folgen

Im selben Moment schoss seine Faust nach vorne und traf ihre Magengegend. Mireille klappte keuchend nach vorne. Ihr Schwert fiel klirrend zu Boden. Silver hielt sie, als sie zu Boden ging, damit sie nicht zu stark aufprallte und ließ sie vorsichtig auf die Erde gleiten. Mireille fühlte sich kalt an und die Adern zeichneten sich bläulich von ihrer Haut ab. Die Wunde war doch tiefer gewesen, als er gedacht hatte. Und anscheinend hatte auch sie nicht damit gerechnet, dass die Verletzung sie so schnell bezwingen würde. Seufzend hob er die junge Frau auf und trug sie zurück.
 

Schlaff lag sie in seinen kräftigen Armen. In der Haupthöhle angelangt, breitete er seinen eigenen Mantel aus und bettete die Ohnmächtige darauf. Anschließend zog er ihr den Mantel aus und kümmerte sich um ihre Wunden, indem er sie säuberte und verband. Wo hatte sie bloß die Kette gelassen? Er durchsuchte ihren Mantel, konnte das Gesuchte jedoch nicht in den Taschen finden. Sie hatte die Kette doch wohl nicht irgendwo fallen gelassen? Nein, sicher nicht. Dieses Artefakt hätte sie nicht zurückgelassen. Jedoch bemerkte er eine kleine Unregelmäßigkeit.
 

Es war die Art, wie sie dalag. Ihre Hüfte schien nicht auf der selben Höhe zu liegen, wie der Rest des Körpers. Ja, es schien wirklich, als läge gerade der Körperteil auf etwas drauf. Vorsichtig fasste Silver Mireille an einer Schulter und zog sie zu sich herüber. Und tatsächlich. An ihrem Gürtel war hinten noch eine kleine Tasche befestigt, in der sich ein fester Gegenstand zu befinden schien. Mit nur einer Hand öffnete er den Verschluss und zog die Kette der Göttin Celest heraus. Grinsend legte er die junge Frau wieder ab und verstaute die Kette seinerseits.
 

Nur was sollte er nun mit der widerspenstigen Kratzbürste anfangen? Er konnte sie nicht einfach so hier liegen lassen. Nachts trieben sich hier nicht gerade sehr freundliche Wesen herum... nun zumindest waren sie unfreundlicher als er. Und so etwas Schönes sollte man nicht einfach dem Tod überlassen, wie er erneut feststellen musste. Auch wenn er es später bereuen könnte. Seufzend machte der junge Mann sich daran ein paar Meter neben der Schlafenden eine Fackel aufzustellen und sie anzuzünden. Draußen dämmerte es, doch in der Höhle war es schon fast komplett dunkel.
 

Das Licht malte gespenstische Schatten an die Wände, die sich unregelmäßig bewegten und sich immer wieder neu formten. Der Schatzjäger lehnte sich sitzend mit dem Rücken an eine Wand und legte sein Schwert griffbereit neben sich. Na das würde ja noch eine lange Nacht werden. Wäre es nach ihm gegangen, würde er jetzt schon in einer kleinen, gemütlichen Kabine auf einem Schiff in Richtung Morescent sitzen. Doch das Schicksal hatte mal wieder anderes für ihn vorgesehen. Seufzend beobachtete er die rot flackernde Flamme und lauschte in die Stille der Nacht hinein. <Nicht einschlafen>, rief er sich in Gedanken immer wieder durch den Kopf. Das wäre das letzte, was ihm passieren durfte. Andernfalls könnte es sein, dass sie am anderen Morgen nicht wieder aufwachen würden.
 

Etwas Licht dämmerte durch eines der Löcher in der Decke. Silver öffnete die Augen und blinzelte gegen das Licht an. Mit einem Satz war er hell wach und sprang wie von der Tarantel gestochen auf. Das durfte doch nicht wahr sein, jetzt war er doch tatsächlich eingeschlafen. Er blickte auf den Schlafplatz, auf den er Mireille gelegt hatte. Zu seinem Entsetzen war sie nicht mehr da. „Mist, verdammter!“, fluchte er wütend und griff an die Stelle, an der die Kette noch sein sollte.
 

Zu seiner Verwunderung war sie jedoch immer noch da. Verwirrt hielt Silver inne. Warum war sie weg, die Kette aber immer noch da? Das ergab doch keinen Sinn! Da bemerkte er Schleifspuren, die von ihrem Lager wegführten. Andere Spuren waren dabei. Kleinere... Sie hatten die Größe einer Hundepfote, aber die Form einer kompletten Rundung ohne Unterbrechungen. Wie, als wenn viele Stäbe in die Erde gedrückt worden wären. Was waren das nur für Kreaturen gewesen, die die Schatzjägerin vor seinen (wenn auch schlafenden) Augen entführt hatten? Er musste irgend etwas unternehmen.
 

Immerhin konnte er sie nicht ihrem Schicksal überlassen. Hoffentlich lebte sie überhaupt noch. Wütend machte er sich daran, seine Sachen einzusammeln und den Spuren zu folgen; tiefer in das Höhlengewölbe hinein, was ihm gar nicht behagte. Solche Höhlen konnten ungeahnte Ausmaße annehmen und sogar ein ganzes Land untertunneln. In Gedanken fluchend ging er sämtliche Tierarten durch, die er bisher kannte und verglich deren Spuren mit denen, die er im Moment verfolgte. Doch es behagte ihm erst recht nicht, als er zu keinem schlüssigen Resultat kam. Was für Wesen hatten sie nur entführt? Nun ja, er würde es bald herausfinden. Da war er sich sicher, doch wie bald, dass konnte auch er nicht ahnen.
 

Silver hielt die Fackel in der rechten Hand und war schon gut vorangekommen. Nach seiner Rechnung zufolge musste es schon bald Mittag sein. Immer noch sah er die seltsamen Abdrücke in der Erde und die Schleifspuren. Wie weit würde er wohl noch gehen müssen, um an sein Ziel zu gelangen? In einiger Entfernung hörte er vor sich etwas rascheln. Jedoch schien es sich nicht auf ihn zu zu bewegen. Silver hatte sein Schwert gezückt und war nun wachsamer unterwegs.
 

Etwas bewegte sich über ihn hinweg, doch als der junge Mann nach oben sah, konnte er nichts erkennen. Auf seinem Weg hatte sich die Decke unmerklich immer weiter nach oben gewölbt. Nun konnte er sie mit seiner Fackel kaum noch erkennen. Vor ihm nahm das Rascheln zu. Doch jetzt ertönte es auch hinter ihm. Silver drehte sich um, genau in dem Moment, wo ihn etwas Großes ansprang. Die Fackel erlosch.

Der Jäger

Durch den harten Aufprall auf den Boden betäubt, bekam er es nur halb mit, wie eine große Spinne über ihm erschien und anfing ihn einzuspinnen. Schließlich zog sie ihn an einem dicken Faden hinter sich her. Sie kamen in einer großen Halle an, die nach oben hin geöffnet war. Jedoch fiel das Licht nur dämmerig durch die Spinnweben mit denen die Öffnung voll gehangen war. Anscheinend setzten die Krabbeltiere auf Beute, die von oben in ihre Falle fiel. Doch sie schienen auch nicht von Selbstgejagtem abgeneigt zu sein.
 

Silver schaffte es unterdessen mit zwei Fingern ein Loch in Augenhöhe zu bohren, sodass er sich einen Blick von der Lage verschaffen konnte. Was er sah, erschrak ihn. Überall hingen an Seilen Kokons aus Spinnweben mit zum Teil identifizierbaren Skeletten von Tieren, die in die Höhle hinabgefallen waren. Er konnte zu allem Unglück auch zwei oder drei Menschenskelette erkennen. Doch wo hatten sie nur Mireille hingebracht? Die Spinne kletterte ein Spinnennetz hinauf, sodass Silver mit einem Ruck in die Höhe gerissen wurde. Sein Gefängnis drehte sich ein paar Mal um die eigene Achse, was ihm ermöglichte weitere Einblicke zu erhalten.
 

Und dann entdeckte er die Schatzjägerin. Sie befand sich nicht wie die anderen Opfer in einem Kokon, sondern lag leblos auf einem Spinnennetz, welches horizontal gesponnen eine Höhlendecke bildete. „Mireille! Mireille, wach auf!“, zischte er zu ihr rüber, wartete jedoch vergeblich auf eine Reaktion. Sein Fänger kletterte noch ein Stück höher und befestigte ihn dann an einem weiteren Netz. Er beobachtete weitere Spinnen, die sich abseilten, um dann auf verschiedenen Wegen in einigen Höhlen zu verschwinden. Was hatten sie nur mit Mireille vor? Doch aufeinmal geschah etwas unerwartetes.
 

Silver beobachtete wie sich ein Mensch vorsichtig und leise der jungen Frau näherte. Dieser jemand zückte einen Dolch. Erschrocken versuchte der Gefangene an einen scharfen Gegenstand zu kommen. Sein Schwert lag anscheinend noch in dem Gang, in dem die Spinne ihn gefangen hatte. Schließlich schaffte er es, an sein Butterfly – Messer zu kommen und es aufzuklappen. Schnell und leise zerschnitt er sein Gefängnis und fiel weniger elegant auf das Spinnennetz unter ihm. „Tu ihr ja nichts!“, wisperte Silver und die Person sah erschrocken auf. „Ich will sie retten!“, entgegnete diese und schnitt eine Webe durch, die bis dahin an ihrem Fuß befestigt gewesen war.
 

Silver näherte sich ihnen. „Ich kann sie jetzt nehmen. Mach lieber, dass du wegkommst.“, flüsterte der Schatzjäger und nahm Mireille auf seinen Arm. „Ich weiß schon, was ich tue.“, bekam er als Antwort. Ein Dolch wurde Silver entgegen geschleudert, dem er nur im letzten Augenblick ausweichen konnte. „Was soll das? Willst du mich umbringen?“, keifte er unterdrückt. „Sieh lieber mal hinter dich.“, kam die trockene Antwort und als Silver der Anweisung folgte, zuckte er unmerklich zusammen, als er die tote Spinne hinter sich sah. Mit den Zähnen knirschend drehte er sich um. Er hatte es noch nie so damit gehabt, sich bei irgend jemandem zu entschuldigen. „Bedanken kannst du dich später, jetzt lass uns von hier verschwinden.“, nahm ihm sein Gegenüber jedoch die Antwort ab und er folgte dem Unbekannten in eine der Höhlen.
 

„Sayonara, ihr Biester.“, sagte die Person, nahm zwei Feuersteine und steckte das Netz in Brand. In Sekundenschnelle hatte sich das Feuer in der ganzen Höhle ausgebreitet und man hörte überall die Spinnen kreischen, die, sich windend, starben. „Was ist los?“, hörten die Beiden aufeinmal eine leise Stimme. Silver sah auf Mireille, die ihre Augen einen Spalt geöffnet hatte. „Oh, nein. Bitte nicht jetzt.“, stöhnte er und verdrehte die Augen. Sein Gegenüber grinste. „Silver? Bist du das?“, fragte sie und zog eine krause Stirn. „Ja, aber jetzt ruh dich aus.“, entgegnete er ein wenig herber, als er beabsichtigt hatte. Mireille begann zu zappeln.
 

„Lass mich runter. Sofort! Du Dieb! Und rück sofort die Kette raus...“, keuchte sie und versuchte sich aus seinen Armen zu befreien. Genervt grollte Silver und sah Hilfe suchend zu dem Anderen hin. Dieser holte seinerseits einen Ellbogen langen Stab aus seinem Mantel und zog ihr diesen über den Schädel. Sofort kehrte Ruhe ein und Mireille lag wieder ruhig in Silver‘ s Armen. „Frauen...“, sagten die beiden Männer gleichzeitig und mussten grinsen. „Nun sag mir erstmal, wer du bist und was ihr hier unten sucht?“, fing der Fremde, der kurze braune Haare hatte, an. „Ach, und wer will das wissen?“, entgegnete Silver. „Hmm, das schätze ich. Immer auf der Hut, wie?
 

Nun gut, mein Name ist Fenrill und ich jage hier unten.“, grinste er, während sie nebeneinander hergingen. Qualm des Feuers kroch über ihnen die Decke entlang. „Ich bin Silver... und das hier ist Mireille. Wir waren hinter demselben Artefakt her.“ „Wie romantisch. Ein Paar bei der gemeinsamen Suche nach einem geheimnisvollen Artefakt.“, schwärmte Fenrill übertrieben. Silver zog die Augenbrauen wütend zusammen. „Wir sind kein Paar! Ich kenne die gerade mal seit ein paar Stunden!“, knurrte er wütend. „Ach, das ging ja schnell bei euch!“, wunderte Fenrill sich und wich einem Stein aus, den Silver mit einem Fuß hoch gekickt hatte.
 

Nach einiger Zeit erreichten die Drei eine Höhle, die durch einen Wasserfall von der Außenwelt abgetrennt war. Silver legte Mireille wieder auf dem Boden ab. „Was hat sie?“, fragte der Andere und setzte sich neben sie. „Wir haben gekämpft.“, bekam er die knappe Antwort. „Du schlägst deine Freundin?!“, Fenrill wirkte entsetzt. „Sie ist nicht meine Freundin! Zum letzten Mal jetzt!“, keifte der Schatzjäger. „Und außerdem wollte sie mein Artefakt klauen!“ Fenrill schien einen Moment zu überlegen.
 

„So, so. Sie wollte also das Artefakt bergen, aber du wolltest es auch, deshalb habt ihr gekämpft, euch gegenseitig verletzt und du warst zu blöd, um auf sie acht zu geben, als sie schlief... ja, ja. Das ist schon blöd.“, ratterte Fenrill seine erstaunlicherweise richtige Zusammenfassung runter. Silver drehte sich schmollend von ihm weg. „Du hast ja recht.“, grollte er kleinlaut. „Aber die ist echt gemeingefährlich.“, versuchte er sich zu verteidigen. Die Blicke der beiden Männer wandten sich zu Mireille, als diese sich rührte. „Aua.“, kam es leise von ihr und sie rieb sich die schmerzende Stelle am Kopf. Schließlich schlug sie die Augen auf und setzte sich auf.
 

„Wer war das?“, zischte sie leise. Silver, der immer noch mit dem Rücken zu ihr saß, bekam nicht mit, wie Fenrill mit dem Finger auf ihn deutete und mit dem Kopf nickte. Mit einem gezielten Wurf landete der faustgroße Stein an Silver‘ s Hinterkopf. „Au! Womit habe ich das denn jetzt verdient!“, fauchte er und hielt sich die schmerzende Stelle. „Selbst schuld.“, entgegnete sie trocken und ließ sich wieder auf den Boden sinken. Fenrill ließ ein unterdrücktes Lachen hören. Als Antwort schleuderte Silver ihm den Stein entgegen, traf ihn jedoch nicht, da das Ziel sich unverschämter Weise duckte.

Die Streitdiskussion

„Wer bist du?“, fragte Mireille plötzlich und alle Aufmerksamkeit galt wieder ihr. Fenrill beobachtete sie aus seinen grünen Augen. „Ich bin Fenrill und jage hier unten. Eigentlich ausschließlich Monster, aber heute seid ihr mir ins Netz gegangen. Wortwörtlich.“, grinste er und sah in ihr verständnisloses Gesicht. Mireille stützte sich auf ihre Ellbogen und fixierte Silver. „Was meint er damit? Was ist passiert, seitdem ich ohnmächtig geworden bin?“, fragte sie mißtrauisch.
 

„Ich habe mir lediglich erlaubt, mich um deine Wunden zu kümmern. Sonst nichts.“, er schickte einen säuerlichen Blick erst zu ihr, dann zu dem Jäger. Mireille besah sich die Verbände und musste zugeben, dass er gute Arbeit geleistet hatte. Nur, warum hatte er sich noch nicht aus dem Staub gemacht? Er hätte schon längst mit der Kette verschwinden können. Silver schien sich im selben Moment die gleiche Frage zu stellen und zog eine säuerliche Grimasse.
 

„Und sonst hast du nichts gesehen?“, fragte sie skeptisch. Silver sah sie fragend an. „Was soll ich denn ges.... Na hör mal! Ich bin doch nicht einer von denen, die so eine Situation ausnutzen würden!“, schimpfte er und wurde rot. „Das wäre auch besser für dich.“, kam prompt die Antwort zurück und Silver drehte sich wieder beleidigt weg. Fenrill fing an aus vollem Halse zu lachen. Mürrisch schickten die beiden Anderen ihm einen finsteren Seitenblick, der ihn verstummen ließ.
 

Doch anstatt sitzen zu bleiben, erhob er sich. „Ich hole ein wenig Feuerholz. Bin gleich wieder da.“, sagte er und machte sich davon. Es entstand eine ungewohnte Stille. Nur das Rauschen des Wassers war zu hören. Das Licht fand seinen Weg durch die Wassermassen und tauchte die Höhle in ein angenehmes blau. „Gib sie mir.“, sagte Mireille in die Stille und setzte sich auf ihren Hosenboden. „Kannst du nicht einmal Ruhe geben? Du warst vorhin noch halb tot und wir waren Gefangene von irgendwelchen Monsterspinnen und du hast nichts als diese Kette im Kopf!“, wetterte der Schatzjäger.
 

Er spürte Mireille‘ s starren Blick auf seinem Rücken und wusste, dass er das noch nicht unbedingt jetzt hätte preisgeben dürfen. „Monsterspinnen?“, fragte sie ungläubig. Wankend stand sie auf und näherte sich Silver. Ihren rechten Unterarm presste sie auf die Wunde. Silver bemerkte unterdessen nichts, da er fieberhaft an einer passenden Ausrede feilte. Er zuckte merklich zusammen, als ihre Stimme direkt neben seinem Ohr ertönte und sie das Gesagte noch ein-mal wiederholte.
 

Ruckartig drehte er sich zu ihr um, doch da war sie schon über ihm und packte seine Hände. „Du hast mich an Monsterspinnen ausgeliefert?“, fuhr sie ihn an, während er sie auf Abstand hielt. „Es war ein Versehen! Tut mir leid!“, versuchte er zu erklären. „Ein Versehen?! Klar, du hattest natürlich nicht die Absicht mich an die Spinnen zu verfüttern und dafür mit der Kette abzuhauen, ist es nicht so?“ Wütend stemmte sie sich gegen seine Hände, doch ihre Knie gaben unter ihr nach und so sackte sie auf den Boden auf die gleiche Höhe wie ihr Wi-dersacher.
 

„Nein, so war es nicht! Du warst verletzt und ich habe mich um deine Wunden gekümmert. Dann bin ich.... ich bin... eingeschlafen.“, gestand er. „Was?“, Mireille war über diese Antwort so überrascht, dass sie einen kurzen Moment nicht aufpasste und Silver sie mit einem gekonnten Griff rücklings auf den Boden beförderte, sich auf sie setzte und festnagelte. „Jetzt beruhig dich doch endlich mal! Du kriegst die Kette nicht wieder! Da kannst du dich auf den Kopf stellen!“, knurrte er.
 

Fenrill betrat die Höhle mit einem Stapel Holz und Silver‘ s Schwert, sah die Beiden und blieb wie angewurzelt stehen. „Ich komm später noch mal wieder.“, grinste er und verschwand wieder. „Es ist nicht das, wonach es aussieht!“, riefen die Beiden gleichzeitig. Silver jedoch war so klug und schnappte sich erneut die Fesseln und legte sie der Widerspenstigen an. „Nein! Lass das! Elender Schweinehund, dafür wirst du büßen.“, fluchte sie. „Heute muss echt mein Glückstag sein.“, grinste er, während er sich bückte, sie an der Hüfte fasste und bäuchlings, wie einen nassen Sack, über seinen Rücken warf. „Lass mich so-fort runter!“
 

„Dein Wunsch ist mir Befehl.“, schmunzelte er und ließ sie nahe des Wasserfalls auf die Erde plumpsen. „Au! Geht‘ s vielleicht noch sanfter?!“, fauchte sie, erntete jedoch nur ein mitleidiges Lächeln, was sie nur noch wütender machte. „Ach ja, und damit du keine Dummheiten anstellen kannst....“, er verband ihre Hand- und Fußfesseln so miteinander, dass sie nicht mehr aufstehen konnte und begann ihren Mantel und den Rest von ihr nach irgendwelchen Waffen zu untersuchen. „Finger weg!“, grollte Mireille und versuchte vergeblich sich zu wehren.
 

Nach einer Weile war er fertig mit seiner Leibesvisite und betrachtete den beachtlichen Haufen an Messern, Dolchen und Wurfsternen. Auch dabei war ein Schwert, das er schon kennengelernt hatte, ein Enterhaken, sowie ein Köcher mit Pfeilen und einem Bogen. Diese Sachen packte er, außer den Köcher und den Bogen, da sie zu groß waren, in einen Sack und schnürte diesen fest zu. Dann schulterte er ihn und ging in Richtung Wasserfall. „Was hast du vor?!“, ihre Stimme klang aufeinmal einige Oktaven höher. Alarmiert beobachtete sie jede seiner Bewegungen.
 

Doch Silver ließ sich nichts anmerken. Schließlich kam er an dem donnernden Wasser an. „Das brauchst du ja jetzt nicht mehr.“, sagte er und warf den Sack mit Köcher und Bogen in die nassen Fluten. „Nicht!“, entsetzt und fassungslos starrte sie auf die Stelle, an der eben noch ihre Waffen gewesen waren. Diese Sachen hatten einen unvorstellbaren Wert für sie. Nicht nur, dass die meisten von ihnen sehr teuer gewesen waren, nein, das Schwert war ein Familienerbstück gewesen. Einige der Waffen hatte sie auch von Verbündeten geschenkt bekommen, worauf sie sehr stolz gewesen war.
 

Etwas tief in der Schatzjägerin rumorte, es schien aus ihr herausplatzen und alles im Umkreis von 20 Metern töten zu wollen. „Du widerwärtige, verabscheu-enswerte Kreatur!“, verfluchte sie ihn und der pure Hass zeichnete sich auf ihren Gesichtszügen ab. „Tut mir ja leid, Schätzchen, aber ich muss auf Nummer sicher gehen, dass du mir keine Dummheiten mehr anstellen kannst.“ Mireille riss an ihren Fesseln, sodass tiefe Scheuerstellen an ihren Gelenken entstanden. Doch er hatte gute Arbeit bei den Knoten geleistet. Zu ihrem Unglück konnte sie sich in ihrem momentanen Zustand nicht verwandeln, sonst hätte sie diesem Scheusal schon längst die Gedärme raus gerissen; und zwar einzeln.
 

Fenrill tauchte wieder auf und lugte vorsichtig in die Höhle rein. „Oh, ihr seid fertig. Fesselspielchen?“, er sah Silver schräg von der Seite an, doch mit einem eisigen Blick seinerseits verschwand das feiste Grinsen ganz schnell aus seinem Gesicht. Mit einem Seitenblick auf Mireille bemerkte er, dass ganz dicke Luft herrschte. Die junge Frau bebte innerlich wie ein Vulkan, der nur darauf wartete auszubrechen. Der Jäger bewegte sich in die Mitte der Höhle, gab Silver sein Schwert, das er dankend annahm und legte das Holz auf den Boden. Schließlich zückte er zwei Feuersteine und schlug sie gegeneinander. Ein wenig später züngelte ein warmes Feuer in der Höhle. „Ich geh mal kurz austreten.“, sagte Silver und verließ die Höhle.
 

Mireille sah Fenrill an, er sah sie an. „Bitte hilf mir. Silver hat nur Spaß gemacht. Er wollte mich gleich wieder los schneiden, aber das ist hier so ungemütlich auf dem Boden. Kannst du das nicht jetzt schon für ihn erledigen?“, sie warf ihm einen flammenden Blick zu. Wie konnte er da nur widerstehen? Schnell hatte er ihre Fesseln durchgeschnitten. „Danke. Du rettest mich nun zum wiederholten Male.“ Mit diesen Worten ging sie zu Silver‘ s Mantel, kramte kurz darin rum und hatte dann die Kette in der Hand. Schnell verstaute sie diese und ging zum Ausgang durch den Silver verschwunden war. „Was hast du vor?“, fragte Fenrill, doch Mireille legte ihren Finger auf den Mund. Dann duckte sie sich in das Dunkel.

Räuber und Gendarm

Silver kam ahnungslos zurück und betrat die Höhle. Zu spät erkannte er, dass etwas nicht stimmte. Aus den Augenwinkeln bemerkte er einen Schatten, der auf ihn zu schnellte, als er auch schon einen Kinnhaken verpasst bekam, der sich gewaschen hatte. „Das war dafür, dass du meine Waffen versenkt hast.“, sagte sie liebevoll und strich dem zusammen gesackten Schatzjäger einmal über den Kopf.
 

Dann wandte sie sich um. Fenrill stand ein paar Metern entfernt und sah sie mit einem undefinier-baren Blick an. „Lass mich gehen.“, forderte sie und war schon fast dar-auf gefaßt, sich in den nächsten Kampf zu stürzen. Doch unerwarteter Weise machte der junge Mann ihr charmant lächelnd mit einer eleganten Geste Platz. „Danke.“, flüsterte sie noch, passierte ihn und sprang in das kühle Nass. Dann war sie auf und davon.
 

Augenblicklich betäubte das gewaltige Rauschen des Wassers alle anderen Geräu-sche. Sie tauchte unter die Wasseroberfläche und verlor kurz die Orientierung, dann jedoch spürte sie etwas Jute an ihrem Bein und zog daran. Mireille kämpfte sich bis zur Oberfläche durch und schnaufte, als sie wieder Sauerstoff in ihre Lungen füllen konnte. Dann schwamm sie an Land, öffnete den Sack und brachte ihre Waffen wieder an ihren rechtmäßigen Platz.
 

Ihren Bogen und ihren Köcher mit den Pfeilen konnte sie zu ihrem Unglück nicht finden. Wütend suchte Mireille das Ufer ab, konnte jedoch nichts dergleichen entdecken. Kurz darauf verschwand sie auf und davon in der angehenden Dunkel-heit. Sie konnte es sich nicht leisten, länger an diesem Ort zu verweilen.

Sie bekam nicht mehr mit, wie Silver einige Zeit später die Wasseroberfläche durchbrach, sich keuchend umsah und dann an Land schwamm.
 

Er versuchte in dem Dämmerlicht verzweifelt nach irgendwelchen Spuren zu suchen, doch er musste es auf kurz oder lang aufgeben. Fenrill tauchte auf und schwamm zu Silver. „Tut mir leid, Mann. Ich dachte, sie würde die Wahrheit sagen.“ „Das einzige, was dich interessiert, ist doch nur ihr Vorbau! Verdammt... Und ich Trottel verlass mich auch noch auf so einen wie dich...“, knurrend setzte Silver sich an einen Baumstamm.
 

„Ja, das musst du wohl. Hatte ich schon erwähnt, dass ich hervorragend im Auf-finden von Personen bin?“, grinste Fenrill entschuldigend und bekam einen miß-trauischen Blick von der Seite. Schließlich machten die beiden Männer ein Feuer und aßen. Fenrill nannte es Trockenfleisch. Silver aß es mit schmerzendem Unter-kiefer, obwohl er nicht wissen wollte, von welchem Tier es stammte. Um das Mäd-chen machte er sich keine Sorgen.
 

Mireille war etwas schwerer verletzt, allein und würde mehrere Ruhepausen be-nötigen. Außerdem würde sie Spuren hinterlassen. Silver hatte sich ihren Geruch eingeprägt. Er war leicht süßlich, aromatisch und unverkennbar. Sie würden die Diebin schon bald einge-holt haben.
 

Schon kurz vor Sonnenaufgang versuchten die Beiden die Fährte aufzu-nehmen. Sie sahen sich in der näheren Umgebung um und durchsuchten das Dickicht nach irgend-welchen Spuren. Die Sonne ging gerade auf, da entdeckte Fenrill etwas. „Silver, ich hab was!“, rief er und der Schatzjäger kämpfte sich seinen Weg durch das Unterholz zu ihm durch.
 

„Hier. Fußspuren. Sie ist hier lang gegangen.“ „Gut.“, entgegnete Silver und die Männer setzten ihren Weg gemeinsam fort. Gegen Mittag erreichten sie eine Stadt namens Forston. „Und nun?“, fragte Silver leicht genervt, denn er wusste, dass es jetzt nur noch eine Frage des Glücks war, wenn sie das Mädchen hier irgendwo finden wollten. „Jetzt werden wir uns ein wenig umhören. Ich bin dafür, wenn du die Seite abklapperst und ich die.“, schlug sein angehender Partner vor und zeig-te auf eine Straße mit mehreren Geschäften, Kneipen, Restaurants und Touristen-läden.
 

„Wir treffen uns dann in einer Stunde wieder hier.“, sagte Fenrill und ver-schwand im allgemeinen Getümmel. Er selbst machte sich nun auch an die Suche und ging auf das erste Geschäft zu. Noch hatte er ihren Geruch nicht wieder aufge-nommen, doch er war sich sicher, dass sie in dieser Stadt war. Der erste Laden war ein Teppichladen, indem im hinteren Bereich an den Webstühlen gearbeitet wur-de. Ein etwas dickerer Mann kam auf Silver zu und grinste ihn an.
 

„Guten Tag, der Herr, was kann ich für Euch tun?“ Das Grinsen verschwand aus dem Gesicht des Mannes, als er erfuhr, dass Silver nur eine Info haben wollte. Heute würde er wohl kein lukratives Geschäft machen. „Sie suchen nach einer Frau?“, fragte er. Silver beschrieb Mireille so gut er eben konnte. „Also ich weiß nicht, es könnte sein, es könnte aber auch nicht sein.“, und das Grinsen eines gewitzten Geschäftsmannes war wieder auf sein Gesicht zurückgekehrt. Silver stöhnte und legte einige Geldnoten auf den Tresen. „Danke, der Herr. Also ich habe sie gesehen.
 

Heute. Aber nur kurz. Ich kam gerade von zu Hause zu meinem Geschäft. Wissen Sie, ich war frü-her dran als sonst. Meine Frau war,... nun ja. Sie wissen ja, wie das mit den Frauen ist.“ Silver unterbrach ihn harsch. „Wo ist sie hin?“ „Ist ja gut, ist ja gut. Sie kam aus dem Hotel „Zur züngelnden Schlange“ und ich glaube, sie ist in Richtung Merston gegangen. Die haben da einen wunderschönen Hafen, wissen Sie, eine richtige Touristenattraktion...“, doch Silver war schon aus dem Laden gestürmt.
 

Verdammt. Er rannte in einen Laden auf der gegenüberliegenden Seite und zerrte Fenrill von ein paar junge Frauen weg. „Tut mir leid, meine Damen, aber mein übereifriger Partner und ich, wir müssen jetzt weg.“, er warf den kichernden Frauen noch eine flüchtige Kusshand zu und verschwand dann um die nächste Ecke.
 

„Sie ist nach Merston gegangen.“, fluchte Silver. „Merston? Die haben da einen wunderschönen Hafen, weißt du, eine richtige Touristenattraktion.“ Silver sah ihn wütend an und ließ ihn fallen. Fenrill polterte über den Boden und blieb dann liegen. „Hey! Warte! Nimm mich mit!“, rief er und nahm die Verfolgung auf.

Ausgetrickst

Silver kam als erster am Hafen an. Es stimmte, er war wirklich wunderschön, im viktorianischen Stil gehalten, doch im Moment hatte er nun wirklich keine Zeit sich mit solchen Sachen zu beschäftigen. Er sah einen ziemlich langen Kai, an dem viele Passagierschiffe lagen. Vor dem dazugehörigen Steg war jeweils ein Kassenhäuschen, in dem ein Mann oder eine Frau saß. Silver packte sich einen Mann, der am Kai saß und angelte.
 

Es war ein alter, bärtiger Fischer, dessen Latzhose und Hemd auch schon mal bessere Tage gesehen hatten. „Wann legen die Schiffe ab?“, donnerte er. „Nun mal ganz ruhig, junger Mann. Die Schiffe legen jeden Tag um die gleiche Zeit ab. Um ein Uhr um genau zu sein.“, grinste er schief. „Ein Uhr? Aber das ist ja schon in einer halben Stunde.“, fluchte er, ließ den alten Mann wieder fallen und rannte zum ersten Kassenhäuschen.
 

Jedoch drehte er sich noch einmal um, sodass Fenrill fast in ihn hinein gerannt wäre. „Du!“, sagte Silver und packte ihn beim Schlawitt. „Du wirst mir helfen. Fang du da hinten an.“, befahl er und Fenrill nickte. Silver wandte sich wieder um und Fenrill rannte zum anderen Ende des Kais. „Ich brauche ne Auskunft.“, verlangte er und sah die Frau an.
 

Sie hatte eine dicke Hornbrille auf der Nase und sah aus, wie eine zu groß geratene Bohnenstange. „Ich suche eine Frau.“, fing er an. „Tun das nicht alle Männer?“, fragte sie und lächelte wissend. „Ich suche aber eine bestimmte Frau, vielleicht haben Sie sie gesehen.“, wieder gab er eine ziemlich exakte Beschreibung von Mireille ab. Die Frau schien einen Moment zu überlegen. Silver klapperte unruhig mit seinen Fingerkuppen auf dem Holz des Kassenhäuschens rum. Wieso dauerte das denn so lange?
 

„Mensch! Haben Sie sie jetzt gesehen, oder nicht?!“, rief er angenervt, sodass die Frau zusammenzuckte. „Ach so, ja. Ähm, ich habe sie heute morgen gesehen.“, sagte sie langsam und schien noch immer in Gedanken versunken zu sein. „Wo ist sie hin? Ist sie auf Ihrem Schiff?“ Ihn machte diese elende Warterei immer unruhiger. Wenn er Mireille nicht bald fand, würde er die verbleibende Spur schon sehr bald verloren haben. „Nein, hier ist sie nicht, aber sie ist auf einem der anderen Schiffe, da bin ich sicher.“
 

Den letzten Teil des Satzes bekam der junge Mann jedoch nicht mehr mit. Er war schon zum nächsten Kassenhäuschen gewetzt und befragte dort einen jungen Mann. Doch auch dort war er nicht sehr erfolgreich. Die Minuten rannen nur so vorüber. Und bevor er es sich versah, waren nur noch 5 Minuten übrig. Auch beim letzten Häuschen hatte er kein Glück gehabt, doch dann sollte es geschehen. „Ja, die habe ich gesehen. Wer die übersieht, ist ja selbst schuld. Ziemlich hübsches Ding, also wenn ich etwas jünger wär...“, der Mann bemerkte Silver‘ s Blick, der kurz vor der Explosion stand.
 

„Sie ist hier an Bord. Wollen Sie auch mitfahren?“ Silver nickte knapp. „Zwei Karten.“, sagte er und brüllte über den ganzen Kai nach Fenrill, der bereits nach dem fünften Kassenhäuschen bei einer netten, jungen Frau halt gemacht hatte, um „sich mal kurz auszuruhen“. Als er jedoch seinen Namen hörte, machte er sich sofort auf den Weg. Zusammen betraten die beiden Männer das Schiff, dass nach Zoran auslaufen sollte. Die meisten Passagiere waren schon an Bord und so legte das Schiff kurz nach ihrem Betreten ab.
 

„Los, wir müssen Sie suchen.“ Die beiden betraten einen großen Saal und sahen sich dort zuerst um. Doch sie konnten Mireille nirgends entdecken. Eine Minute später traten sie an Deck und an die Reling. Die Schiffe verließen gerade die schützende Bucht und entfernten sich langsam voneinander. Silver‘ s Blick fiel zufällig auf das Schiff, dass nach Solon auslief. Sein Blick blieb an etwas hängen und er rannte an die Reling.
 

Mit weit aufgerissenen Augen sah er auf dem anderen Schiff, wie Mireille ein Taschentuch in ihrer Hand hielt und ihm winkte. Dann warf sie ihm eine Kusshand zu. „Bon voyage!“, rief sie triumphierend, während sich die beiden Schiffe immer weiter voneinander entfernten. Fenrill erschien neben ihm. „Die hat‘ s uns aber ganz schön gegeben, was?“, fragte er, doch Silver fackelte nicht lange und sprang über die Reling in das kristallklare Wasser. Fenrill stöhnte. Wasser war noch nie sein Fall gewesen, aber in diesem Moment musste er wohl mal wieder eine Ausnahme machen. Schweren Herzens sprang er hinterher.
 

Silver war schon ein gutes Stück geschwommen, sah jedoch ein, dass er das Schiff nicht einholen konnte und machte kehrt in Richtung des Hafens. Fenrill folgte ihm. Nach einiger Zeit zogen sich die beiden Männer an der Kaimauer hoch und blieben keuchend und pitschnass einen kurzen Augenblick einfach nur liegen und schöpften neuen Atem. Als erster erhob sich Fenrill und setzte sich auf seinen Hosenboden. Er beobachtete Silver, der seine Fäuste geballt hatte und sie immer wieder auf den Boden rammte. „Ich bin dafür, dass wir jetzt erst mal was essen. Und dann nehmen wir morgen das nächste Schiff nach Solon, ja?“, schlug er vor und Silver nickte resignierend.
 

Mireille seufzte. Das war ja zu einfach gewesen. Dieser Volltrottel war doch in die erst beste Falle getreten, die sie ihm bereitet hatte. Es war eine gute Idee gewesen, den Teppichverkäufer zu bestechen und dann auch noch den alten Mann in seinem Kassenhäuschen, der jedoch auch ohne Bezahlung alles für sie getan hätte. Jedoch sicher war sicher. Und nun war sie auf dem Weg nach Solon. Zufrieden verließ sie das Deck und suchte ihre Kabine auf. Dort angekommen legte sie sich behaglich schnurrend auf das weiche Bettdeck und schloss die Augen.
 

Die Schifffahrt würde 5 Tage dauern, da würde es nicht viel ausmachen, wenn sie einen Teil davon schlafend verbrachte. Auf diesem Schiff gab es nicht viel aufregendes, abgesehen vielleicht von einigen der Empfangsburschen, doch diesen Gedanken wischte die Schatzjägerin schnell wieder weg. Fast wehmütig dachte sie daran, wie verdutzt und zugleich verärgert Silver zu ihr hinüber geschaut hatte, als er bemerkt hatte, dass sie ihn hereingelegt hatte und einfach ohne ihn und Fenrill davon geschippert war. Ein siegessicheres Grinsen breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Das machte den Verlust ihres geliebten Bogens fast wieder wett. Kurze Zeit später war sie in eine Traumwelt ohne Flucht und Schmerzen hinab geglitten.
 

In einer Bar in Merston. Fenrill bestellte bereits das dritte Bier. Leer gegessene Teller standen vor ihnen und Silver schien sich ein wenig beruhigt zu haben. Er nippte hin und wieder an seinem ersten Bier. Sein Partner hingegen war schon wieder anderweitig beschäftigt. „Sag mal, hast du eigentlich nichts anderes im Kopf?“, knurrte Silver, als nun schon die sechste Frau nach einem eindeutigen, beidseitigen Blickwechsel zu ihm herüber kam und ihn bat, sich an ihren Tisch zu setzen.
 

„Lass mir doch den Spaß. Da unten hatte ich nun mal sehr lange keine amüsante Gesellschaft mehr. Nicht das du nicht amüsant wärst, nur eben anders amüsant.“, grinste er. „Gib dir keine Mühe.“, entgegnete Silver schroff und trank sein Bier mit einem Zug aus. „Ich geh schlafen und wenn ich du wäre, würde ich nicht mehr so lange machen. Morgen gehen wir jagen, schon vergessen?“ „Alles klar, Chef.“, freute sich Fenrill und war schon zu einer der Damen verschwunden. Der Schatzjäger stöhnte, dann bezahlte er das Essen und die Getränke und verschwand auf einer Treppe. Oben gelangte er in einen Flur, der nur von Kerzen an den Wänden erleuchtet wurde.
 

Er hielt einen Schlüssel in der Hand, den er von dem Wirt erhalten hatte und suchte nun Zimmer Nummer 5. Es lag am Ende des linken Ganges auf der rechten Seite. Der Schlüssel ließ sich leise in dem Schloss herumdrehen und kurz darauf betrat er das Zimmer. Von innen drehte er den Schlüssel erneut herum. Sicherlich wollte er keinen unliebsamen Besuch in der Nacht haben. Er sah sich kurz um. Das Zimmer war ordentlich. Zwar etwas klein, aber für ihn reichte es völlig. Er ließ einen Sack auf einen Stuhl plumpsen und zog seine Schuhe aus. Seinen Mantel hatte er einer Schneiderin überlassen müssen, da Mireille ihn ziemlich auseinander genommen hatte.
 

Seine Sachen befanden sich nun in dem Sack vor ihm. Er überprüfte noch, ob das Fenster auch verschlossen war und ließ sich dann auf das Bett fallen. Man konnte nie vorsichtig genug sein. Silver lauschte in die Stille, während er an die Decke starrte, die in der Dunkelheit jedoch nicht richtig zu erkennen war. Wütend dachte er an das freche Grinsen in Mireille‘ s Gesicht, das sie ihm vom anderen Schiff aus zugeworfen hatte. Er schloss die Augen und musste unwillkürlich Grinsen. Eigentlich hätte er gedacht, dass ihre Rollen genau vertauscht gewesen wären. Er sollte jetzt eigentlich auf einem Schiff sitzen mit der Kette und sie wütend in irgendeiner Bar schmollen. Doch das Schicksal hatte mal wieder anderes mit ihm vor.

Auf hoher See

Am nächsten Morgen wachte Silver kurz vor Mittag auf. Der zusätzliche Schlaf hatte ihm gut getan. Er untersuchte den Verband, den er sich hatte umlegen müs-sen und stellte zufrieden fest, dass die Wunde besser verheilte, als er gedacht hatte. Ein Wandler zu sein, hatte so seine Vorteile. Schließlich entledigte er sich seiner Kleidung und schlüpfte unter eine kalte Dusche. Kurz darauf erschien der Schatzjäger in voller Montur unten in der Bar und bestellte etwas zu essen.
 

Es überraschte ihn kaum, dass Fenrill noch nicht da war. Der Kerl hatte es wahr-scheinlich total übertrieben mit dem Alkohol; vermutlich auch mit den Frauen. Silver genoss seine Mahlzeit, die aus einem Steak, mehreren Kartoffeln und Soße bestand. Es war viertel nach 12, als er fertig war und mit Verdruß feststellte, dass sein angehender Partner immer noch nicht erschienen war. Schließlich stand er auf und fragte den Wirt, in welchem Zimmer man ihn untergebracht hätte.
 

Leicht angesäuert stieg Silver die Stufen wieder hinauf und suchte Zimmer 12, welches am anderen Ende des Ganges lag. Wie er erwartet hatte, war die Tür nicht abgeschlossen und so öffnete er diese ohne böse Vorahnung. In dem Zimmer war es halb schummrig, da die Vorhänge noch vor die Fenster gezogen waren. Auf dem Bett machte Silver mehr als nur eine Person aus und rollte genervt mit den Augen. Was hatte er auch anderes erwartet. Schließlich zog er sich zurück, schloss die Tür hinter sich und bat den Wirt um einen Eimer.
 

Dann ging Silver mit diesem in‘ s Bad, um kurz darauf wieder Fenrill‘ s Zimmer zu betreten. Der Jäger rührte sich und blinzelte einmal kurz. „Zimmerservice? Oh gut, noch ein Bier bitte.“, lallte er und legte den beiden schlafenden Frauen die Arme um die Schultern. „Hier ist Ihr Wasser, Sir.“, entgegnete Silver trocken und kippte den Eimer mit eiskaltem Wasser vollständig über dem erschro-ckenen Mann aus. Die beiden Frauen quietschten erschrocken auf und verließen fluchtartig das Zimmer.
 

Fenrill sah ihn an, wie eine Kuh, wenn‘ s donnert und nur allmählich schien er zu begreifen, wer vor ihm stand. „Wir müssen los. Beeil dich.“, sagte Silver ab-schätzig und verließ das Zimmer wieder. Es dauerte keine fünf Minuten, da saß Fenrill leicht verkatert neben ihm an der Bar. Der Nüchterne von den Beiden be-zahlte und kurz darauf verließen sie das Wirtshaus in Richtung Hafen.

Mireille hatte die Nacht über gut geschlafen. Das Schiff lag ruhig auf dem Was-ser und das Wetter war sonnig und schön.
 

Nachdem sie sich ausgiebig ausgestreckt hatte, nicht ohne zusammen zu zucken dank ihrer Wunde, stand sie auf und genoss eine warme Dusche in der eigenen Ka-bine. Anschließend trocknete sie sich ab, legte einen frischen Verband an und flocht ihre Haare erneut in einen Zopf. Sie war gerade in ein großes Handtuch eingewickelt, da klopfte es an der Tür. Mireille war mit einem Satz neben der Tür und hatte die Hand an dem Griff ihres Dolchs. Vorsichtig öffnete sie die Tür und atmete erleichtert aus, während sie die Waffe hinter ihrem Rücken versteck-te. „Zimmerservice.“, grinste sie ein junger, sonnengebräunter Bursche an.
 

Auf einem kleinen Schildchen an seinem Hemd stand „Mike“. „Kann ich Ihnen etwas bringen?“, fragte er galanter, als er den Anschein machte. „Ähm, nein danke. Ich begebe mich gleich nach unten in das Restaurant.“, sagte sie freundlich. „Wie Sie wünschen.“, lächelte er. „Sollten Sie dennoch im Laufe des Tages etwas wün-schen, wenden Sie sich ruhig an mich. Ich bin immer hier auf dem Flur unterwegs. Wenn nicht, klingeln Sie einmal mit dem Knopf hier.“, sagte er und verwies auf einen kleinen Knopf in ihrer Kabine, der in die Wand eingelassen war.
 

„Ja, gerne. Danke.“, sagte sie und schloss die Kabinentür wieder. Der Bursche entfernte sich wieder und ging zur nächsten Zimmertür.

Schließlich hatte auch Mireille es geschafft sich anzuziehen und sogar ihren Mantel wieder in Ordnung zu bringen, als sie das Zimmer verließ und die Tür ab-schloß. Nun war auch sie hungrig geworden und wollte nach etwas eßbarem Aus-schau halten. Unten angekommen stieg ihr der Geruch von frischen Früchten und verschiedensten Speisen in die Nase.
 

Zufrieden begab sie sich an den Tisch, auf dem die ganzen Köstlichkeiten standen und nahm sich einen Teller. Ihre Nase führte sie zu einem herrlich riechenden Stück Fisch, dass einen Augenblick später seinen Platz auf ihrem Teller fand. Da-zu fanden sich noch einige Kallamares und etwas frischer Bauernsalat. Ziemlich zufrieden setzte sich Mireille an einen kleinen, freien Tisch am Rande und be-gann ihr Mahl.
 

Unterdessen hatten auch Silver und Fenrill es geschafft sich auf ein Schiff in Richtung Solon zu verfrachten, nachdem sie den Mantel des Schatzjägers bei der Näherin abgeholt hatten. Jetzt hatte Mireille nur noch einen Tag Vorsprung. Hof-fentlich würde sich ihre Spur in der Stadt nicht so schnell verlieren. Die bei-den Männer bezogen ihre Kabine; eine Doppelkabine, da zwei Einzelkabinen zu teu-er waren; zu Silver‘ s Unmut, da er wusste, dass er Fenrill rund um die Uhr an der Backe haben würde. Hoffentlich schnarchte er nicht.
 

Zu seiner Überraschung jedoch verabschiedete sich sein Partner recht schnell mit den Worten „Ich geh dann mal was spachteln.“, und verschwand in dem allgemeinen Getümmel. Silver hingegen machte es sich in seiner Kabine bequem. Es passte ihm so gar nicht, dass die beiden Betten direkt nebeneinander standen, wie bei einem Ehebett und so machte er sich kurzerhand daran, das eine Bett unter das Bullauge zu schieben und das andere, sein Bett, genau an die gegenüberliegende Wand. Hof-fentlich würde er so wenigstens etwas Ruhe vor diesem Verrückten haben. Er konn-te nur auf sein Gefühl vertrauen, dass dieser Mann ihm irgendwann noch einmal nützlich sein würde.
 

Zudem musste er aufpassen, dass sie nicht wegen seiner „weiblichen Ausrutschern“ noch vor Ende der Reise vom Schiff geworfen wurden. Silver‘ s Blick fiel auf ei-ne Karte, die gerahmt an der Wand hing. Bei genauerer Betrachtung sah er, dass es eine Karte der Welt war. Mit wenigen Schritten war er bei ihr angelangt und nahm sie von der Wand. Dann legte er sie auf sein Bett, setzte sich davor und begann sie zu studieren. Hoffentlich würde ein Schiff von Solon direkt nach Morescent auslaufen, sodass er ohne große Umschweife das gewünschte Relikt abliefern konnte.
 

Der zweite Tag an Bord war bereits verstrichen und Mireille langweilte sich. Zu Anfang hatte sie gedacht, dass sie die meiste Zeit verschlafen würde, jedoch fand sie hier an Bord keine Ruhe. Irgend etwas hielt sie wach. Normalerweise konnte sie in Schiffskabinen beim herrlichsten Hurrikan noch wie ein Baby schla-fen, doch nun fielen ihr die Augen einfach nicht zu. Und was das Schlimmste war, wenn sie nichts zu tun hatte und nicht einschlafen konnte, fing sie an, sich Ge-danken zu machen.
 

Es war interessant gewesen, dass Silver auch ein Wandler war, genau wie sie. Es gab nicht mehr viele von denen, die diese Gabe in die Wiege gelegt bekommen hat-ten und diese Kunst noch beherrschten. Verdammt, nur warum musste er ausgerech-net zu dem Zeitpunkt auftauchen, an dem sie die Kette holen wollte? Genauso gut hätte er sich noch einen Tag Zeit lassen können. Dann wäre sie in Ruhe von dannen gezogen und hätte die Kette abgeliefert, ohne die Gefahr, dass sie jemand daran hindern könnte. Das Schiff rumpelte. Kurz darauf setzte das leichte Vibrie-ren, das durch die Motoren verursacht wurde, aus.

Kampf auf hoher See

Einige eilige Schritte durchquerten den Flur. Mireille‘ s feine Sinne spürten die Ausbreitung von Aufgeregtheit, zugleich jedoch Wut und Angst. Sie stand auf und verließ ihre Kabine, natürlich nicht ohne zu vergessen abzuschließen. Dann ging sie nach oben an Deck und sah sich um. Tatsächlich kam aus den Schloten des Schiffes kein Rauch mehr. Die Motoren mussten einen totalen Ausfall haben. Selt-sam.
 

Ein unruhiges Gefühl beschlich die junge Frau und so machte sie sich auf den Weg zum Maschinenraum. Nichts Gutes ahnend lotste sie sich an den Matrosen vorbei. Kurz bevor sie die Tür erreichte, stellten sich ihr jedoch zwei Offiziere in den Weg. Ein seltsamer Geruch drang aus dem Raum. „Tut mir leid, der Zugang ist für Passagiere verboten.“, sagte der rechte Offizier, doch Mireille konnte an seinen Augen erkennen, dass er Angst hatte. Etwas ging hier nicht mit rechten Dingen zu. Von innen erklang ein markerschütternder Schrei. Die beiden Männer sahen sich an.
 

Mireille packte die Offiziere am Schlawitt. „Hören Sie, hier ist irgendwas am Gange, dass Sie nicht kennen. Lassen Sie mich rein, sonst passieren hier bald schrecklichere Dinge.“ Die beiden Männer sahen sich an. Dann gaben sie die Tür frei. „Schließen Sie die Tür hinter mir und kommen Sie nicht rein, egal was Sie hören.“, warnte sie die Offiziere vor und bekam als Antwort ein stummes Nicken. Mireille betrat den großen Maschinenraum und wartete darauf bis die Tür mit ei-nem dumpfen Klicken hinter ihr geschlossen war.
 

Erst dann zückte sie ihr Schwert und sah sich näher um. Der Hauptmotor war bru-tal auseinander gerissen worden und so beleuchtete einzig und allein das Not-stromaggregat mit rotem Licht das Szenario. Ein Matrose, der anscheinend zuerst hier gewesen war, lag mit aufgerissener Bauchdecke auf dem Boden, während sein Blut schon aufgehört hatte zu fließen. Wieder stieg Mireille dieser seltsame Ge-ruch in die Nase, der sich mit dem metallischen Geruch des Blutes mischte.
 

Insgesamt eine nicht sehr wohl riechende Mischung, die ihr leichte Übelkeit ver-ursachte. Etwas raschelte hinter einer der Maschinen. Sie ging in eine etwas ge-ducktere Stellung. Was auch immer da war, wusste, dass es nicht allein war. So vorsichtig wie möglich schlich Mireille weiter. Das Wesen, dass sich hinter der Maschine verbarg, zog sich weiter nach hinten in den Raum zurück. Mireille‘ s Sinne waren angespannt.
 

Es trennten sie nur noch wenige Schritte von dem Monster, das all dies hier ange-richtet hatte. Mit einem Satz war sie hinter der Maschine und machte sich auf ei-nen Kampf gefasst, doch es war niemand da. Im selben Augenblick raschelte es hin-ter ihr und als sie sich umdrehte, sah sie noch aus dem Augenwinkel, wie das We-sen die Wand hochkletterte, sich lang machte und polternd durch einen Schacht verschwand. „Verdammt.“, zischte sie, rannte den Weg zurück und riss die schwere Stahltür auf. Die beiden Offiziere waren immer noch da, hielten jedoch Pistolen im Anschlag.
 

Sie entspannten sich ein wenig, als sie Mireille wiedererkannten. „Mitkommen.“, befahl sie und die Männer gehorchten ihr, wenn auch mit Unbehagen. „Wohin führt dieser Schacht?“, fragte sie eilig und deutete auf die Öffnung, in der das Mons-ter verschwunden war. „Das ist einer der Lüftungsschächte. Er führt zur Brücke, zur Kombüse und unter anderem zu den Passagierkabinen.“ Mireille machte auf dem Absatz kehrt und rannte die vielen Treppen hinauf und hinab, die es zu überwin-den galt.
 

Schließlich kam sie an dem langen Flur an, an dem die Kabinen lagen. Sie lausch-te angestrengt, während sie den Gang entlang ging. Nur ihr Atem war zu hören. Der Schiffsjunge, der heute an ihrer Tür gestanden hatte, ging an ihr vor-bei. „Mach das du hier raus kommst. Hier ist irgendwo ein Monster.“, sagte sie. Er nickte. Doch sie blieb stehen. Alles geschah im Zeitraffer. Dieser seltsame Geruch stieg ihr erneut in die Nase. Augenblicklich drehte sie sich um. Er war ebenfalls stehen geblieben und hatte den Kopf zu ihr gedreht. Seine Augen färb-ten sich kurz schwarz, dann rannte er los. Die Zeit schien wieder normal weiter zulaufen.
 

„Halt! Bleib stehen!“, rief sie und machte sich an die Verfolgung. Jetzt hatte dieses Wesen noch einen unschuldigen Körper in seinen Besitz genommen. Er war schnell, aber sie konnte mit seinem Tempo mithalten. Sie rannten an einer Gruppe Menschen vorbei. Mireille erkannte einen Pater. „Entschuldigen Sie. Es geht um Leben und Tod.“, sagte sie und nahm ihm die Kette mit dem Silberkreuz ab. Dann sprintete Mireille wieder los.
 

Schnell holte sie auf und gerade als er die Tür zum Speisesaal passierte, sprang sie und warf sich auf ihn. Die Kämpfenden rollten über den Boden und die Treppe hinab, die zu den Tischen führte. Einige Menschen standen auf und sahen sie ent-setzt an. „Verlassen Sie augenblicklich diesen Raum!“, keuchte Mireille und stürzte sich auf den jungen Mann. „Also ich finde es nicht angebracht, wenn Sie...“, weiter kam der Oberkellner nicht, der auf sie zu geschritten war.
 

„Sofort!“, brüllte sie und er zuckte erschrocken zusammen. Der Schiffsjunge wand sich unter ihr und versuchte sie abzuschütteln. In seinen Gedärmen schien es zu rumoren. Etwas wand sich schlangengleich in ihm und versuchte durch die Bauch-decke zu entkommen. Jetzt war auch die Todesursache des ersten Matrosen geklärt. Das Monster konnte nur in sterblichen Hüllen überleben und hatte sich an Bord einen neuen Wirt gesucht. Mireille riss sein Hemd auf und presste das silberne Kreuz auf seinen Bauch.
 

Er begann augenblicklich zu schreien und zu wimmern, als sich das Metall in sei-ne Haut brannte. „Komm den Weg raus, den du rein gekommen bist.“, flüsterte sie und bemerkte nicht, wie die Leute um sie herum eilig verschwanden. Er fing an, irgend etwas in einer sehr alten Sprache zu sagen, doch als sie das Kreuz noch fester auf den Bauch drückte, schrie er erneut. Dann ging alles schnell. Der Mann fing an zu krampfen und zu zucken, dann würgte er und etwas verließ seinen Körper.
 

Wenigstens hatte er mehr Glück gehabt, als sein Vorgänger. Das Monster baute sich vor ihr auf. „Ach, nein. Wen haben wir denn da? Einen alten Bekannten, hm?“, fragte sie und hob ihr Schwert. Das schwarze Monster hatte sein Aussehen etwas verändert. Es war ein wenig kleiner und hatte weniger Haare, in denen dennoch Teile von Skeletten hingen. Es sprach erneut etwas in einer sehr alten Sprache. „Vergiss es, die Kette kriegst du nicht zurück.“ Und schon musste sie einer riesigen Pranke ausweichen, die ihr entgegen geschleudert wurde. Doch nun ging sie zum Angriff über und sprang auf das Wesen.
 

Sie hieb ihr Schwert auf seinen Schädel, wo es knackte, aber kaum Wirkung zu zei-gen schien. Es schüttelte sich einmal und die Schatzjägerin flog von seinem Rücken, prallte gegen eine Wand und landete auf einem der Tische, der unter dem harten Aufprall barst.

Gewonnen und dennoch verloren

Wütend erhob sich die junge Frau und klopfte den Schmutz von ihrem Mantel ab. „Das tat weh.“, knurrte sie, als sich das Monster zu ihr umgewandt hatte. Schon musste sie jedoch einen Hechtsprung hinlegen, um der langen, dicken Zunge zu entgehen, die ihr entgegen geschleudert wurde. Keinen Moment zu spät, denn von dem Inventar hinter ihr war nicht mehr als ein zusammengeschmolzener Haufen vorhanden.
 

Es roch scharf nach Säure und brannte ihr in der Lunge, sodass sie schnell ein Tuch vor Mund und Nase legte und am Hinterkopf verknotete. Ihre Augen hingegen hatten weniger Glück. Sie fingen schon nach kurzer Zeit an zu tränen und ließen ihre Sicht verschwimmen. Wieder sauste eine Pranke auf sie nieder, die sie versuchte mit dem Schwert abzuwehren. Jedoch wurde sie durch die gewaltige Wucht weggefegt und nahm einige Tische und Stühle mit sich. Unter dem Berg aus Holz ertönte ein Keuchen und Husten, dann kämpfte Mireille sich darunter hervor.
 

„Ok... Jetzt hast du mich wirklich wütend gemacht.“ Das Monster sprach etwas in einer sehr alten Sprache und schien ziemlich vergnügt zu sein. „Na warte.“, fluchte die junge Frau. Sie konnte es überhaupt nicht ab, wenn man sich über sie lustig machte. Dann aber noch in einer Sprache, die älter war, als alles andere und einst den Göttern gedient hatte; das war zuviel. Sie verschaffte sich ein wenig Abstand zu ihrem Gegner und zog einen kleinen Beutel hervor. Sie nahm zwei Kugeln in die rechte Hand; ihren Wurfarm.
 

Ihre rechte Schulter schmerzte höllisch, als sie Schwung holte. Dann ließ sie mit immenser Kraft ihren Arm nach vorne schnellen und das erste Geschoss traf mit einer Explosion auf dem Rücken der Kreatur auf. Kurz darauf landete die zweite Kugel auf dem Schädel, wo sie zuvor ihr Schwert hinein gerammt hatte. Das Monster schrie auf. Fauchend und knurrend drehte es den Kopf nach hinten, um die angesengte Stelle auf seinem Rücken zu betrachten.
 

<Verdammt, warum steht der noch?>, fluchte Mireille in Gedanken und machte sich auf einen erneuten Angriff gefasst. Sie hatte ihr Schwert wieder gezückt und machte sich bereit. Und das Monster ließ auch nicht lange auf sich warten. Mit einem wütenden Fauchen sprintete es los, auf die wesentlich kleinere Gegnerin. Das Inventar würde nach dem Kampf wahrscheinlich komplett ersetzt werden müssen. Mireille wich ihm aus und machte sich in die entgegengesetzte Richtung davon. Jedoch hatte sie nicht mit der plötzlichen Wendigkeit des Geschöpfes gerechnet und fand sich plötzlich in einer Sackgasse wieder.
 

Unaufhaltsam schlich es weiter auf sie zu; mit der Gewissheit, dass seine Beute nicht mehr würde fliehen können. Mireille’ s Augen tränten erneut und verwischten kurz die Sicht. Nur im allerletzten Moment konnte sie die Attacke abwehren. Sie durchbohrte die Zunge, die ihr entgegen geschleudert worden war, mit ihrem Schwert. „Sag laut AAAAAAAAAA!“, rief sie und warf zeitgleich zwei Kugeln in den Schlund, als das Monster diesen vor Schmerz weit aufriss. Die Ladungen explodierten im Rachen und erledigten die Kreatur vollends. Es wurde in dutzende Stücke zerrissen, die im ganzen Raum kleben blieben. Mireille sah angewidert an sich herunter.
 

Etwas später am Tag hatte das Schiff ein Notsignal an ein weiteres Schiff gesendet, dass sich ganz in der Nähe befand und dieses hatte sie dann in den Hafen von Solon geschleppt. Mireille hatte Zeit verloren, doch es störte sie nicht sehr, denn sie war schon so gut wie am Ziel. In den Tagen, an denen sie noch an Bord war, hatte sie sich immerhin halbwegs von ihren Blessuren erholen können und eine kleine Prämie erhalten, da sie Mannschaft, Passagiere sowie Schiff gerettet hatte.
 

Nun, immerhin hatte sie ein Problem aus der Welt geschafft. Das Monster würde sie nicht weiter verfolgen. Doch es blieben noch zwei Probleme übrig. Diese Beiden hießen Silver und Fenrill, die ihr immer noch auf den Fersen waren. Nun, aber das würde sich eh bald von alleine erledigen. Hätte sie ihre Kontaktperson erst einmal getroffen, gäbe es keinen weiteren Grund für die Zwei sie zu verfolgen. Aber zunächst war es wichtig, dass sie den Mittelsmann erst einmal fand und die Kette übergab. Alles andere war zunächst unwichtig.
 

Als Mireille über die Gangway ging, waren die meisten Passagier schon von Bord. Das Wetter war etwas stürmisch und so verwunderte es die junge Frau nicht, dass sie fast die Einzige auf dem Kai war, bis auf ein paar Matrosen, die das Schiff sicherten. In der Stadt war nicht sehr viel los, ausgenommen der paar Händler, die mit ihren Karren durch die Stadt fuhren und Ware ausliefern mussten.
 

Zusätzlich zu dem Sturm setzte jetzt auch noch ein Sturzregen ein, der es in sich hatte. Schnell zog Mireille die Kapuze über ihren Kopf, jedoch war sie innerhalb von Sekunden bis auf die Haut durchnässt. Der Mantel hielt eindeutig nicht das, was er versprach. Nun gut, er wies viele Flickstellen auf, dennoch sollte er größtenteils seinen Dienst machen. Er war aber anscheinend anderer Ansicht und hatte das <Out of Order> - Schild nach außen gekehrt. Seufzend begab sich Mireille weiter in die tiefen Windungen der Stadt.
 

Es dauerte jedoch etwas, bis sie die Stadt auf der anderen Seite wieder ver-lassen hatte, obwohl sie jede erdenkliche Abkürzung nahm. Sie ging noch ein Stück bis sie eine Scheune erreicht hatte. Mit kalten Händen packte sie den metallenen Griff der großen Tür und schob, bis die Tür einen Spalt weit geöffnet war. Gerade so breit, dass sie bequem hindurch schlüpfen konnte. Mireille sah sich um. Immer diese Kindereien. Jedes Mal ein anderer Ort, an dem sie sich trafen. Wahrscheinlich hatten sie wirklich Angst, dass ihr Unterfangen beobachtet würde und aufflog.
 

Sollte ihnen bloß recht geschehen. Etwas bewegte sich in dem Halbdunkel vor Mireille. Sie zog ihre Kapuze runter und machte einige Schritte in die Richtung. „Halt.“, sagte eine Stimme und die junge Frau gehorchte, auch wenn es ihr nicht gefiel. Es stand einfach zu viel auf dem Spiel, als dass sie sich einen Schnitzer leisten konnte. „Hast du sie?“ Mireille nickte. „Gib sie mir.“, verlangte ihr Gegenüber. „Zuerst will ich ihn sehen, sonst kriegt ihr gar nichts.“, forderte sie.
 

Der Mann schien einen Moment zu überlegen. Dann pfiff er zweimal kurz und eine Tür ging auf. Eine weitere Gestalt betrat den Raum und hielt einen kleinen Jungen an der Hand. Der Kleine riss sich los, als er Mireille sah. „John!“, Mireille wollte sich runter beugen, um ihn zu umarmen, doch der erste Mann hatte den Jungen flink am Kragen gepackt und ließ ihn nicht zu ihr. Die junge Frau fiel auf die Knie. „Wie lange denn noch? Ich denke nicht, dass ich euch noch irgend etwas schulde.“, sagte sie bitter. „Doch, du schuldest uns noch eine ganze Menge. Und jetzt gib uns die Kette.“
 

Wütend kramte Mireille in ihrer Manteltasche herum und fischte das wertvolle Schmuckstück heraus. Widerwillig warf sie es dem Mann zu, der es geschickt fing. „Wir haben übrigens von deinem Kampf auf dem Schiff und deinen beiden Anhängseln gehört. War es nicht so, dass wir uns darauf geeinigt hatten, so wenig Aufmerksamkeit wie möglich zu erregen?“ Mireille senkte den Kopf. „Es tut mir leid. Aber es war nicht vermeidbar.
 

Ich werde das Problem so schnell wie möglich aus der Welt schaffen.“, seufzte sie, erhob sich und wandte sich der Tür zu. „Nicht mehr nötig, wir haben schon unsere Leute auf sie angesetzt.“ Mireille sah ihn erschrocken an. „Was? Aber sie haben doch nichts mit der Sache zu tun! Wirklich! Sie werden keinen Ärger mehr machen!“, flehend sah sie die Zwei an. „Das ist dein nächster Auftrag.“, bekam sie als Antwort und ein Zettel und ein kleiner Beutel flogen auf sie zu. Geschickt fing sie diese und las sich den Zettel durch.
 

„Ich hole dich bald raus hier, John!“, versprach sie dem Kleinen, der sie mit großen, traurigen Augen ansah. Dann zündete sie den Zettel an, zog sich die Kapuze über und verschwand durch das Tor nach draußen. Leise und traurig drang ihr Name noch an ihr Ohr, dann betäubte das Trommeln des Regens alle weiteren Geräusche.

Unerwartete Wendung

In Gedanken beschäftigte sich die Schatzjägerin mit einem neuen Plan. Ir­gendwie musste sie es schaffen, die Beiden zu warnen, ohne von den Killern ihrer Auftraggeber erkannt zu werden. Ihr Schiff würde wahrscheinlich mor­gen einlaufen, wenn es keine weiteren Komplikationen auf See gab. Mireile ging gedankenverloren durch die Gassen. Als sie aufsah, bemerkte sie, dass sie sich verlaufen hatte. Es fing an zu dämmern und sie sollte sich allmählich nach einer Bleibe für die Nacht umsehen. Da blieb sie vor einem schicken Ho­tel stehen. 4 Sterne, persönliche Betreuung, Schwimmbad und heiße Quelle, all inclusive.
 

Das hörte sich vielversprechend an und sie könnte sich wirklich mal wieder etwas gönnen. Mireille betrat das Gebäude und ging zur Recepti­on. „Ein Zimmer, bitte. Ich weiß noch nicht, wie lange ich bleibe.“, bat sie den Receptionisten. „Sehr gerne, möchten Sie eine persönliche Betreuung erhal­ten?“, mehrere Frauen, die im orientalischen Stil gekleidet waren, gingen in diesem Moment an ihr vorbei. Sie trugen Berge an Handtüchern auf ihren Ar­men und verschwanden kichernd hinter einer Tür mit der Aufschrift „Zum Schwimmbad“. „Nein, danke.“, sagte Mireille schnell, der eine neue Idee ge­kommen war.
 

„Aber ich würde gerne morgen mein Frühstück auf dem Zimmer einnehmen, ist das möglich?“ Freundlich nickte der ältere Mann und gab ihr einen Schlüssel. „Natürlich können Sie auch unser weitläufiges Angebot nut­zen.“, er überreichte ihr einen Handzettel. „Vielen Dank.“ Sie verabschiedete sich und machte sich auf die Suche nach ihrem Zimmer. Es lag im ersten Stock und war stilvoll eingerichtet. Hoffentlich würde alles so klappen, wie sie es sich vorstellte. Doch nun wollte sie erst einmal ein wenig zur Ruhe kom­men. Bis ins kleinste Detail war ihr Plan durchdacht. Er war zwar relativ ein­fach, konnte aber dennoch schief gehen, wenn man sie erwischte.
 

Fenrill und Silver hingegen hatten eine ruhige Kugel geschoben. So war es kaum verwunderlich, dass sie ausgeruht und wohl gelaunt im Hafen von Solon ankamen. Sogar Silver‘ s Laune hatte sich etwas gebessert. Die Dämmerung war schon angebrochen, als sie die Gangway hinab gingen und sich dem Kai näherten. Den Beiden fiel eine junge Frau auf, die sie in einem orientalischen Kostüm und verschleiertem Gesicht zu erwarten schien. Sie wurde von einer dicken Duftwolke eines süßlichen Parfüms umgeben, was wunderbar ange­nehm roch. „Herzlich Willkommen in Solon. Mein Name ist Candra. Ich habe Sie bereits erwartet. Bitte folgen Sie mir.“
 

Die Männer sahen sich an, jedoch war Fenrill mal wieder der erste, der überzeugt war. „Tut mir leid, wir haben keine Zeit für so etwas.“, sagte Silver harsch und zog Fenrill von ihr weg. „Bit­te kommen Sie mit. Ein reicher Gast unseres Hotels erwartet Sie. Er hat mich gebeten, Sie in unserem renommierten Hotel unterzubringen.“ Jetzt war Sil­ver überrascht. Mit so einer unerwarteten Wendung hatte er nicht gerechnet. Das roch nach einer Falle, oder vielleicht auch nicht. Silver entschloss sich das Risiko einzugehen. „Also gut, bringen Sie uns hin.“, sagte er und bemerk­te Fenrill‘ s entzückten Blick.
 

Sogleich hing er wieder an dem Arm der schö­nen Angestellten. Sie waren keine zehn Minuten gegangen, als sie das Hotel erreichten. „Ich werde Sie gleich auf Ihre Zimmer bringen. Einen Moment bit­te.“, sagte sie und ging hinüber zur Reception, wo sie kurz darauf mit zwei Schlüsseln wieder kam. „Wenn Sie mir bitte folgen wollen?“, fragte sie höflich und ging ihnen voraus. Im Gehen erklärte die junge Frau den Männern etwas über das Hotel und welche Aktivitäten sie wahrnehmen konnten. Kurze Zeit später schloss sie das erste Zimmer auf. „Wer von Ihnen möchte dieses wun­dervolle Zimmer beziehen?“, fragte sie und sah die Beiden erwartungsvoll mit ihren dunkel geschminkten Augen an, die durch den Schleier schimmerten. „Es ist verrucht, es ist abgelegen, es ist dunkel.
 

Ich nehme es.“, erklärte Fenrill sich freudig bereit. Die junge Frau wollte ihm den Schlüssel überreichen, jedoch schnappte der andere Mann ihr diesen aus der Hand. „Dann nehme ich es.“, knurrte er. Fenrill wirkte leicht enttäuscht. Doch sein Gesicht hellte sich sogleich wieder auf, als sie ihm erklärte, dass sie ihn nun auf sein Zimmer bringen würde. Ein letzter mahnender Blick von seinem Partner sollte ihn zur Vernunft bringen, doch er war schon mit ihr durch die Tür verschwunden. Das war alles sehr seltsam.
 

Nach einer halben Stunde klopfte es zaghaft an seiner Zimmertür. Silver öff­nete und vor ihm stand Candra. Sie hatte Fenrill im Schlepptau und trug zwei Handtücher. „Unser Gast bittet Sie an einem privaten Bad in unserer heißen Quelle teilzunehmen. Möchten Sie der Bitte nachkommen?“, fragte sie schon fast übertrieben höflich und klimperte einmal mit den Wimpern. Silver zöger­te, doch er gab nach. Ein heißes Bad klang nach Entspannung und wenn sie morgen wieder mit der Suche begännen, würde er etwas relaxter an die Sache gehen können. Und da war noch etwas mehr, dass ihm gute Laune verschaffte. Er nickte stumm und folgte anschließend der jungen Frau.
 

Sie folgten ihr in das erste Untergeschoss und betraten jeder für sich eine Kabine, in der sie sich umziehen konnten. Als sie schließlich durch eine weitere Tür in den Bade­bereich traten, schlug ihnen dichter Dampff entgegen. Candra erschien vor ih­nen und führte sie zu dem Wasser. Die Lufttemperatur war angenehm warm und die Wassertemperatur genau richtig. So saßen die beiden Männer schon kurz darauf im feuchten Nass. Silver‘ s Züge entspannten sich, während er sich rücklings mit den Ellenbogen auf dem Rand abstützte. Candra erschien neben ihm, sie machte ein ernstes Gesicht.
 

Sie setzte gerade an, etwas zu sa­gen, als die Tür erneut aufging. Eine weitere Frau betrat den Raum und sah sich kurz um. „Sake?“, fragte Candra auf einmal übertrieben freundlich und die ernste Miene von vorhin war verschwunden. Die andere Frau erblickte die Badenden und verschwand wieder. Silver nickte, doch als sie ihm die kleine Schale reichen wollte, packte er sie am Handgelenk und zog sie an sich heran. „Was soll das eigentlich?“, fragte er ruhig und sah ihr in die Augen. Einen Mo­ment lang herrschte Stille. „Ey, lass mir auch was von ihr!“, protestierte Fen­rill. „Schnauze!“, keifte der Schatzjäger. „Hast du sie denn immer noch nicht erkannt?“, fragte er und riss Mireille den Schleier ab. Erschrocken sah sie ihn an. „Ihr müsst verschwinden, augenblicklich.“, flüsterte sie.
 

„Killer sind hinter euch her.“ „Und warum sagst du uns das? Immerhin sind wir diejenigen, die dich verfolgen. Und die Kette will ich immer noch.“, sagte er. „Die Kette ist nicht weiter wichtig. Ich habe sie nicht mehr. Außerdem könnt ihr nichts da­für, dass sie Killer auf euch angesetzt haben.“, ihre Augen waren nervös. „Du hast die Kette nicht mehr?“, argwöhnisch sah Silver sie an. Doch Mireille schüttelte den Kopf und irgendetwas daran ließ es ihn glauben. „Wir haben keine Zeit. Los. Ich bringe euch sicher hier raus.“
 

Silver zögerte. „Warum hast du uns nicht schon vorher davon erzählt? Zum Beispiel am Hafen, oder auf dem Weg zum Hotel, vielleicht auf dem Zimmer?“, der Schatzjäger war immer noch nicht so ganz überzeugt. „Die werden abgehört. Ich konnte nicht sicher sein, dass ich alle Wanzen gefunden habe. Hier unten können wegen der Feuchtigkeit keine Abhörgeräte angebracht werden.“, erklärte sie. Einleuch­tend wie Silver fand. „Warum wollen die uns killen und woher weißt du davon?“
 

„Ich habe keine Zeit für lange Geschichten. Ihr müsst mitkommen. Dann bringe ich euch sicher hier raus.“, widerwillig ließ der junge Mann den Schleier los, an dem sie zog und musterte Mireille eingehend. „Warum sollten wir dir trauen?“, fragte er misstrauisch. „Weil ich eure einzige Chance bin.“, entgegnete sie ernst und sah ihn flehend an.

Knurrend gab er nach.

Flucht

Schon kurze Zeit später verließen drei Gestalten das Hotel und verschwanden in die Schwärze der Nacht. Aus dem Dunkel sprach leise eine Stimme. „Sie haben den Zielort verlassen und sind zu dritt unterwegs.“ Ein leises Rauschen ertönte, dann erklang eine kratzige, leicht verzerrte Stimme aus dem Funkgerät. „Gut. Jetzt zieht euch zurück.“ Wieder war das Rauschen zu hören, dann wurde das Gerät abgeschaltet. Die Gestalten entfernten sich und schließlich waren ihre leisen Schritte in der Gasse verklungen.
 

Mireille hatte, bevor sie das Hotel verlassen hatten, dem gefesselten Mädchen ihre Kleidung wiedergegeben und sie unter der Bedingung, dass sie nichts sagen würde, laufen gelassen. Dann waren die Drei durch einen Hinterausgang verschwunden. Hoffentlich würden die Killer sie nicht hier schon verfolgen. Zudem achtete Mireille darauf, dass sie ihre Spuren verwischten. So suchten sie ihren Weg in ein nahegelegenes Dorf und „liehen“ sich dort Pferde, auf denen sie weiter ritten. Silver behagte dieses Fortbewegungsmittel gar nicht. Er ging lieber zu Fuß.
 

Dies dauerte zwar etwas länger, doch seiner Meinung nach konnte man dabei nicht so tief fallen. Außerdem gab es keinen, der versuchen konnte den Weg für sich selbst zu bestimmen. Mireille hatte ihn jedoch nach einem kurzen aber heftigen Wortgefecht zum Schweigen gebracht, sodass er schmollend hinter Fenrill und ihr her ritt. „Können wir nicht etwas langsamer reiten?“, rief Silver nach einiger Zeit nach vorne. Mireille hatte einen scharfen Jagdgalopp angeschlagen, den sie schon seit einiger Zeit beibehielt. „Wir sollten so viel Distanz wie möglich zwischen uns und diese Stadt bringen. Oder ist es dir lieber, wenn uns die Killer schnell ausschalten?“, rief sie zurück und beugte sich wieder über den Pferdehals.

Einige Zeit später wurden die Pferde langsamer und Mireille parierte ihre Stute zu einem langsamen Trab durch.
 

Die Tiere schwitzten, doch auch den Reitern sah man die Strapazen der Nacht an. Der Horizont begann sich rot zu färben. Bald würde die Sonne aufgehen. Im Schritt durchquerten sie ein Flussbett, in dem die Pferde kurz tranken und traten auf der anderen Seite aus dem Wald heraus. Das Land erstreckte sich flach vor ihnen. Vereinzelt standen einige Häuser herum, an denen Stallungen angebaut worden waren. Mireille zügelte ihr Pferd und sah sich um. „Und wo geht es nun hin, große Beschützerin?“, spottete Silver und erschien neben Fenrill und Mireille. Diese ging nicht darauf ein und sah sich um.
 

„Du weißt es nicht, habe ich recht?“, grinste er selbstgefällig. Sie warf ihm einen schrägen Seitenblick zu. Hiernach trieb sie ihre Stute wieder an und ritt im Trab gen Osten. „Sie weiß, wo es lang geht, verlass dich drauf, Kumpel.“, versicherte Fenrill ihm und folgte Mireille. Seufzend tat Silver es ihm gleich. „Du, sag mal. Was ist jetzt eigentlich mit der Kette?“, fragte er, als er zu den beiden Anderen aufgeschlossen hatte. „Ich habe sie nicht mehr, das sagte ich doch schon.“, erwiderte die junge Frau kühl. „Wieso hast du sie nicht mehr? Immerhin warst du doch so scharf auf das Schmuckstück.“, fragend sah er sie an. „Das geht dich nichts an.
 

Und wenn ich es dir sagen würde, müsste ich dich umbringen.“ Silver erschreckte die Art, wie sie es sagte und hielt wieder etwas Abstand. Dafür, dass er nicht oft geritten hatte, hielt er sich dennoch erstaunlich gut im Sattel. Fenrill begann unterdessen sich mit der Schatzjägerin zu unterhalten. Er war bis jetzt die ganze Zeit über recht ruhig gewesen, doch anscheinend war das nun vorbei. Silver war sich nicht sicher, ob er darüber froh sein sollte oder nicht. Nach kurzem begann Mireille zu lachen.
 

Sie und Fenrill schienen sich prächtig zu amüsieren. Zumindest schien er sie gut zu unterhalten. Einen Moment später tauchte der Hintere neben seinem Partner auf. „Wie machst du das?“, flüsterte er und sah in Fenrill‘ s triumphierendes Gesicht. „Ich stelle keine Fragen.“, gab er genauso leise zurück und wandte sich wieder seiner Gesprächspartnerin zu.

Das Zusammentreffen

Der Horizont zeigte bereits einen hellen Streifen, also war der Sonnenaufgang nicht mehr fern. Ein Hahn begann zu krähen und in den Häusern fing sich das Leben an zu regen. Einige Fensterläden wurden aufgestoßen und die ersten Bettlaken nach draußen gehängt. Hin und wieder hörte man einen Hund bellen, wenn die Reiter einem der Häuser zu nahe kamen. Die ersten Bauern verließen das Haus, um sich um ihre Tiere zu kümmern. Ein leichter Wind wehte durch die Bäume und ließ die Blätter rascheln.
 

„Wartet hier. Ich besorge uns etwas zu essen.“, sagte Mireille und ließ die Beiden an einer Eiche zurück. Die Männer saßen ab und banden die Zügel locker an einem Koppelzaun fest. Silver ging wie ein Cowboy, der einen zu langen Ritt hinter sich gebracht hatte und rieb sich hin und wieder unauffällig sein schmerzendes Hinterteil. Fenrill hatte es hingegen nicht viel ausgemacht. Er hatte das Reiten immer sehr gemocht, da es eine schnelle Fortbewegungs- möglichkeit war.
 

Zudem war sie bequem. Die beiden Reiter setzten sich an den Stamm der Eiche und sahen zu, wie die Sonne begann, langsam aufzugehen. Einige Vögel fingen an zu zwitschern und sausten über die Felder hinweg. Sie hatten ihre Nester in den Ställen und Scheunen, wo sie geduldet wurden. Immerhin profitierte jeder von der Anwesenheit des Anderen. Die Schwalben hatten immer genügend Nahrung und die Bauern waren froh darüber, wenn die Vögel ihnen die Schädlinge von der Ernte fernhielten. Einige Katzen waren auch froh, wenn sie hin und wieder einen der Vögel erwischten, doch das kam eher selten vor, da die kleinen Tierchen ziemlich flink waren. Nach kurzer Zeit kam Mireille wieder.
 

Sie hatte einen kleinen Korb von einer Bäuerin mitbekommen, in dem sich allerlei Köstlichkeiten befanden. Fenrill stand auf und nahm ihr diesen ab, damit sie absteigen und das Pferd festbinden konnte. Dann setzte sie sich. Das Brot wurde gerecht aufgeteilt, genauso wie die Äpfel und die gekochten Eier. Einiges bewahrten sie jedoch in einem Beutel auf, um für ihren weiteren Weg noch etwas zu haben. Immerhin wussten sie nicht, wohin es sie verschlagen würde. Nun, zumindest wussten Silver und Fenrill es nicht. Schweigend aßen sie und sahen dem Sonnenaufgang zu. Manche Bauern waren bereits auf dem Feld und pflügten mit Hilfe eines Ochsen die Erde.
 

Mireille hatte sich etwas abseits hingesetzt und sah gedankenverloren in den Himmel. Die Pferde hatten die Köpfe gesenkt und grasten. Einige Kühe rannten über die Weide und genossen ihre neu gewonnene Freiheit außerhalb des Stalles. Es war ein friedvolles Bild. Die Reisenden fröstelten leicht in der Morgenkühle und zogen ihre Mäntel enger an sich. Bodennebel waberte auf sie zu und umschloss sie. Die Sonne verdunkelte sich schlagartig und als Mireille aufsprang und ihr Schwert zog, waren sie bereits da. Fünf dunkel gekleidete Reiter standen vor ihnen. Ihre Pferde schnaubten nervös und hatten Schaum vor dem Maul. Silver und Fenrill sprangen ebenfalls auf und zückten ihre Schwerter. Der Reiter in der Mitte ritt ein Stück nach vorne und hielt dann wieder an.
 

Er zog seine Kapuze zurück. „Hallo, Mireille. Schön, dich wiederzusehen.“, grinste er. „Du? Haben sie euch auf uns gehetzt? Was soll der Quatsch? Die Beiden wissen von nichts. Ich habe ihnen nichts verraten! Also lasst uns gehen! Du weißt, ich will nicht gegen euch kämpfen.“, sagte Mireille. „Du kennst die?“, fragte Silver misstrauisch, doch die junge Frau beachtete ihn nicht. Der Reiter sah sie spöttisch an. „Auftrag ist Auftrag, also geh aus dem Weg.“ Die Schatzjägerin schüttelte langsam den Kopf. Die Reiter stiegen ab und zückten ihre Schwerter. „Verschwindet und ich verspreche, dass...“ Der Anführer ließ sein Schwert auf sie niedersausen. Metall klirrte. Mireille musste ihre gesamte Kraft aufwenden, um den Druck standzuhalten, der auf die Klinge einwirkte.
 

Er stand ganz nah vor ihr. „Überlass die Verräterin mir und ich werde dich nicht enttäu- schen.“, säuselte eine Stimme hinter ihm. Die beiden Kontrahenten gingen wieder auf Abstand. Die Schatzjägerin entdeckte eine Frau, die sich nun ebenfalls die Kapuze heruntergezogen hatte. „Das war ja klar. Ich wusste doch, dass du dabei bist. Die Chance mich fertig zu machen, kannst du dir ja nicht entgehen lassen.“, giftete die Schwarzhaarige. „Du bist doch nur neidisch, weil ich deinen Platz im Team gekriegt habe. Aber weißt du was? Damals hast du die richtige Entscheidung getroffen, denn ich bin wesentlich besser für den Job geeignet, als du.“, entgegnete die Frau.
 

„Das wollen wir ja mal sehen.“, zischte Mireille und die beiden Kontrahentinnen gingen aufeinander los. Die anderen Reiter kümmerten sich unterdessen um Silver und Fenrill. „Hey, zwei auf einen ist unfair!“, protestierte der Jäger, als sich zwei Reiter auf ihn stürzten. Sein Partner musste sich derweil mit den übrigen Zweien beschäftigen. Die Kämpfenden lieferten sich wilde Verfolgungsjagden über ein Feld, harte Kampfszenen und überboten sich gegenseitig mit akrobatischen Höchstleistungen. Mireille und ihre Erzfeindin ließen ihrer Wut auf die jeweils andere freien lauf.
 

„Was sagst du dazu, dass ich jetzt mit Jack zusammen bin?“, grinste die Blonde. Die Beiden hielten inne. „Zwei Dinge.“, begann die Schwarzhaarige und hob zwei Finger an ihrer rechten Hand. „Erstens: Du hast Regel Nummer eins gebrochen; im Einsatz keine Namen.“ Ihr Gegenüber errötete vor Wut. „Und zweitens: Ich hätte nicht damit gerechnet, dass du dich mit dem zufrieden geben würdest, was ich vor dir hatte.“, spöttisch zog Mireille die Augenbrauen hoch. Jetzt hatte sie ihre Kontrahentin aus der Fassung gebracht.

Schon schnellte die Schatzjägerin wie ein schwarzer Blitz nach vorne und entledigte die Andere ihres Schwertes. Die Klinge ihrer Waffe drückte sie an die Kehle der Blonden. „Aufhören! Sofort! Oder sie stirbt!“, rief sie den übrigen Kämpfenden zu, die sie augenblicklich ansahen.

Die Wende

Jack, der Anführer, machte erschrocken einen Schritt nach vorne. „Waffen weg.“, bestimmte die junge Frau mit ruhiger Stimme. „Tut es nicht!“, krächzte die Gefangene. „Halt den Mund, Blondie, oder ich schneide dir jetzt sofort deine viel zu gesprächige Zunge heraus.“, drohte Mireille. Die Andere erschauerte und presste die trocken gewordenen Lippen aufeinander. „Also was ist jetzt? Wollt ihr sie lebend wieder haben, oder nicht?“ Widerwillig legten die vier Reiter ihre Schwerter auf den Boden. „Silver, wenn ich dich nun um deine einmaligen Fesselkünste bitten darf.“, grinste Mireille, ohne die Vier aus den Augen zu lassen. Fenrill half ihm und schon bald waren die Feinde an die Eiche gebannt.
 

Der Nebel verzog sich und die Sonne zeigte sich in ihrer schönsten Pracht am Himmel. Ihre Strahlen erzeugten eine wohlige Wärme. „Was hast du mit mir vor?“, fragte die Blonde widerspenstig, als Mireille sie zu einem der schwarzen Pferde zog. Die Schwarzhaarige band ihre Hände auf dem Rücken zusammen, steckte ihr einen Knebel in den Mund und verfrachtete sie verkehrt herum in den Sattel des größten Pferdes. Dann wurde ihr ein Tuch um dem Kopf geknotet, sodass sie nicht sehen konnte, wohin die Reise ging. Mireille zog ein Blatt Pergament aus ihrer Tasche und schrieb mit einem Stück Kohle eine schnelle Nachricht darauf. „Hör gut zu. Ich habe in eine der Satteltaschen eine Nachricht für den Boss gesteckt. Dein Pferdchen wird den Weg zurück sicher finden.
 

Ob du dann noch oben auf seinem Rücken sitzt, ist eine andere Frage. Also viel Spaß auf der Rückreise.“, dann gab sie dem Hengst einen ordentlichen Klaps auf den Hintern, sodass er einen kleinen Satz machte und dann angaloppierte. Die anderen Vier folgten ihm und waren schon bald im angrenzenden Wald verschwunden. Zufrieden klopfte sich Mireille die Hände ab und ging dann zu den beiden Männern. „Wir sollten weiter. Sonst kommt bald Verstärkung.“ Schweigend stiegen sie auf und ritten davon, nicht darauf achtend, dass ihre Gefangenen sich heftig gegen die Fesseln wehrten.
 

Im Galopp jagten sie über die Ebene und ritten dann hinter einem Hügel eine scharfe Rechtskurve, die sie geradewegs auf einen anderen Wald zureiten ließ. „Warum haben wir ihnen nicht die Augen zugebunden?“, fragte Fenrill atemlos. „Erstens, weil sie unsere Spuren sogar blind ertasten könnten, wenn sie müssten; zweitens, weil sie keine Pferde mehr haben; drittens, weil Silver‘ s Knoten eine ganze Menge aushalten und viertens, weil es in ein paar Minuten anfängt zu regnen und unsere Spuren dann eh weg sind.“ Überrascht sah der Jäger sie an. Er schien einen Moment zu überlegen. „Was hast du auf den Zettel geschrieben?“, fragte er dann. „Das es keinen Sinn macht, uns weiterhin zu verfolgen, da wir als Team unschlagbar sind.“, verlegen biss Mireille sich auf die Lippe.
 

Das hatte ihr eigentlich nicht raus rutschen wollen. „Du hältst uns für ein Team?“, kam von der anderen Seite. Die junge Frau wollte gar nicht erst in das triumphierende und frech grinsende Gesicht von Silver sehen. Den Gefallen wollte sie ihm nicht tun. „Woher kennst du die eigentlich?“, war die nächste Frage. Sie trieb ihr Pferd an und setzte sich ein wenig von den Männern ab. Wütend schossen ihr die wüstesten Flüche für sich selbst durch den Kopf. Na das konnte ja noch heiter werden. Noch bevor sie den Wald erreicht hatten, setzte ein starker Sturzregen ein, der die Reisenden von den einen auf den anderen Moment komplett durchnässt hatte. Hintereinander her trabten sie über einen schmalen Pfad, der sich durch das Unterholz schlängelte.
 

Gegen Mittag erreichten sie eine Lichtung; es regnete immer noch in Strömen. So suchten sie Schutz unter einem großen Laubbaum und machten ein Feuer, an dem sie sich wärmten. Mireille hüllte sich in Schweigen und sah gedankenverloren in die Flammen. Erst, als Silver ihr ein Stück Brot aus dem Proviant reichte, rang sie sich ein leises „Danke“ ab. „Wo bringst du uns eigentlich hin?“, brach Fenrill schließlich das Schweigen. Mireille sah ihn an. Dann senkte sie den Blick wieder. „Bitte beantworte mir meine Frage.“, bat er sie mit leichtem Nachdruck. „An einen Ort von dem ich denke, dass er sicher ist.“ Die beiden Männer warfen sich einen fragenden Blick zu. „Ich denke, es ist Zeit, dass du uns mal ein wenig aufklärst; also über dich und diese Bande von Verrückten.“, kam es von Silver‘ s Seite.
 

„Ich muss mich nicht vor euch rechtfertigen.“, entgegnete Mireille hitzig und war aufgestanden. „Du sollst dich nicht rechtfertigen, nur ich denke, dass wir ein Recht darauf haben zu erfahren, wer uns, aus welchem Grund auch immer, umbringen will, nicht?“, erklärte Fenrill diplomatisch und bat sie mit einer Geste sich wieder zu setzen. Trotzig hatte die junge Frau den Kiefer nach vorne geschoben. Sie schien einen Augenblick zu überlegen. Dann verschwand der Trotz aus ihrem Gesicht und sie setzte sich langsam wieder hin. „Also gut. Ihr wollt die Wahrheit? Hier kommt sie. Ich muss für eine Organisation arbeiten, die sich „Die Erben der ewigen Finsternis“ nennen.
 

Sie beauftragen mich damit, wertvolle Artefakte für sie zu bergen, damit ich meine Schuld bei ihnen abtragen kann. Was für eine Schuld kann ich euch nicht verraten.“, sagte sie mit einem warnenden Seitenblick auf Silver, der gerade ansetzen wollte. „Auf jeden Fall haben meine Auftraggeber ein Problem damit, dass ihr mir in die Quere gekommen seid und ich deshalb etwas mehr Aufmerksamkeit als sonst erregt habe. Deshalb wollen sie euch aus dem Weg räumen. Sie vermuten nämlich, dass ich euch schon längst von der Organisation erzählt habe. Aber da ihr ja eh auf der Abschussliste steht, macht es jetzt auch nichts mehr aus, wenn ihr davon wisst.“ ergänzte sie seelenruhig und fing an, an ihrem Brot zu knabbern.
 

„Und die Fünf, die ihr heute kennen gelernt habt, sind Auftragskiller, die für den Boss arbeiten.“ „Und du warst mal Teil des Teams, habe ich recht?“, entgegnete Silver. Mireille zögerte, presste dann aber doch ein „Ja.“, zwischen ihren Lippen hervor. „Aber irgend etwas stimmt an der ganzen Sache nicht.“, sagte die Schwarzhaarige langsam. Sie erhielt verdutzte Blicke. „Als wir gekämpft haben, kam es mir manchmal so vor, als wollten sie uns nicht wirklich verletzen. Es kann aber auch Einbildung gewesen sein.“, fügte sie hastig hinzu und erwartete jeden Moment ausgelacht zu werden.
 

Silver grinste und zog eine Augenbraue hoch, doch sein Gegenüber kam ihm mal wieder zuvor. „Vielleicht war es keine Einbildung.“, bemerkte der Jäger. „Das glaubst du doch nicht wirklich, oder?“, belächelte Silver die Aussage seines Partners. „Warum nicht? Man sollte sich immer auf die Intuition einer Frau verlassen.“, amüsierte sich Fenrill und sah in das leicht überraschte Gesicht von Mireille. Lautlos formte sie ein Danke auf ihren Lippen und sah zu, wie Silver sich grummelnd daran machte, das Feuer am Brennen zu halten.

Die geheimnisvolle Stadt

Als es aufgehört hatte zu regnen, machten sich die Drei wieder auf den Weg. Das Fell ihrer Reittiere fing nach kurzem an zu dampfen. Hin und wieder stahl sich ein Lichtstrahl durch das dichte Blätterdach. Es war unmöglich zu erkennen, welche Tageszeit sie hatten. Mireille schätzte, es war kurz vor Mittag. Der Wald wurde wieder dichter und sie folgten immer noch dem schmalen Pfad, der anhand der Spuren auch von anderen Tieren genutzt wurde. Es war immer noch kein Zeichen von Zivilisation in Sicht, als Mireille aufeinmal anhielt und den Männern deutete, es ihr gleich zu tun.
 

„Was ist los?“, fragte Silver, als er neben ihr erschienen war. „Steig ab.“, zischte sie ihm zu. „Was?!“, empörte dieser sich im Flüsterton, doch ein scharfer Blick der Reiterin ließ ihn gehorchen. Mireille verpasste dem reiterlosen Tier einen Klaps auf den Hintern, sodass dieses sich in die Richtung in Bewegung setzte, in die sie reiten wollten. Es war kurz vor einer Kurve des Pfades angelangt, der sodann hinter einem hohen Busch verschwand, als ein großer, weißer Blitz sich auf es stürzte und mit sich riss. „Was war das?“, fragte Silver erschrocken und Fenrill ging es nicht anders. „Das, meine Herren, war ein Keldo. Sie leben überwiegend in bewaldeten Gebieten und ernähren sich von allem, was ihnen über den Weg läuft.“ „Ich werde es töten.“, sagte Silver und zog sein Schwert.
 

„Nein, er hatte heute nur noch nichts zu Fressen gehabt. Er wird nach dem Pferd gesättigt sein.“, erklärte die junge Frau fachmännisch. „Woher wissen wir, dass es satt ist?“, nervte Silver. „Wissen wir nicht.“, erhielt er als Antwort und Mireille trieb ihr Pferd an. „Hey! Und was ist mit mir? Soll ich laufen, oder was?!“, schrie der Schatzjäger nun. „Du kannst bei Fenrill mit reiten.“, schlug sie vor. Als Silver zu ihm sah, verkniff sich sein Partner gerade ein Grinsen. Vor Wut schäumend stieg er hinter diesem auf das Pferd und sie folgten der Reiterin.
 

Gegen Ende des Tages erreichten sie eine Stadt, die von hohen Mauern geschützt war. Mireille ritt auf das hohe, massive Tor zu. Innerhalb der Stadt herrschte Totenstille, als wäre niemand anwesend. „Bist du sicher, dass wir da rein gehen sollten?“, fragte Fenrill zweifelnd, doch Mireille war fest entschlossen. „Ich weiss, was ich tue.“, dann ritt sie voran zum Tor. Sie klopfte dreimal an das massive Holz. Das Echo erklang dahinter. Allen lief ein Schauer über den Rücken, obwohl nicht jeder sich sein Unbehagen anmerken ließ. Die Pferde tänzelten unruhig auf der Stelle.
 

Dann öffnete sich die eine Hälfte der Tür langsam und quietschend nach außen und gab einen Spalt frei, der gerade breit genug war, dass Reiter und Pferd durch passten. Mit einem siegesbewussten Ausdruck ritt sie als Erste hinein und nach kurzem Zögern folgten ihr die Männer. Silver konnte niemanden sehen, der das Tor geöffnet hatte und auch als sie den Eingang passiert hatten, schien es sich wie von Geisterhand zu schließen. „Mireille, ich...“ „Ruhig jetzt.“, wurde Fenrill von Mireille unterbrochen. Vor ihnen lag eine Häuserschlucht. Die klappernden Hufe der Pferde war alles, was man hören konnte. Der Wind jagte an ihnen vorbei durch die Gassen.
 

„Es ist, als wenn die Stadt einatmet.“, flüsterte Silver und erhielt ein Nicken von Fenrill. „Genau das tut sie.“, wisperte Mireille zurück. Fragend sahen sich die Unwissenden an. Im Boden waren keine Spuren von irgendwelchen Menschen oder Tieren zu finden. Sie ritten an verschiedenen Häusern vorbei. Die ganze Stadt schien aus den unterschiedlichsten Baustilen zu bestehen. Alle Länder der Welt schienen vertreten zu sein. Nur wo waren die Menschen, die die Gebäude errichtet hatten? Über die Stadt ragte ein hoher Tempel. Er war sehr prunkvoll und dennoch unheimlich.
 

Die Pferde waren unruhig und ließen sich nur widerwillig vorwärts bewegen. Aber anstatt auf den Tempel zuzuhalten, ritten sie über eine Art Marktplatz, der wie leer gefegt war, und hielten an einem massiven Gebäude, vor deren Fenster Gitterstreben befestigt waren. „Was sollen wir im Gefängnis?“, zischte Silver und sah sie fragend an. Mireille stieg ab und band ihr Pferd fest. Die beiden Anderen taten es ihr gleich und folgten ihr in das düstere Gemäuer. Sofort schien es ein paar Grad wärmer zu sein.
 

„Was ist das für eine Stadt?“, wollten die Männer wissen. Doch die junge Frau war noch nicht bereit zu sprechen. Statt dessen ging sie eine Treppe hinunter und betrat einen Raum. Dort gab es zwei Liegen und einen Abort. Sie setzte sich auf eine der Liegen und wartete auf die restlichen Reiter. „Also.“, sagte sie wieder in normaler Lautstärke. „Ihr werdet ein paar Tage hier bleiben, um sicher zu sein. Hier werden euch die Killer nicht suchen.“ „Warum nicht?“, kam prompt die Frage. „Nun, weil ihr ja schon bemerkt habt, dass niemand hier ist. Und wo niemand ist, da geht auch niemand hin.“
 

Verwirrte Blicke sahen sie an. „Ich erkläre euch alles später.“ Dann sprang sie auf, war mit einem Satz an der Gittertür und schloss sie hinter sich. „Hey! Heißt das, wir sind Gefangene? Lass uns sofort raus!“, fluchte Silver und rüttelte an den Stäben. „Tut mir leid; das ist zu eurem eigenen Schutz. Hier drinnen können euch die Killer und die Stadt nichts anhaben. Glaubt mir. Und ehe ihr es euch verseht, bin ich wieder da.“, sagte sie selbstsicher. „Und wenn du nicht zurückkehrst, werden wir hier drinnen verrotten, nicht?“, fluchte der Schatzjäger.
 

Hinter sich hörte er ein leises Glucksen. Wütend drehte er sich um. Fenrill hatte es sich auf einer der Liegen bequem gemacht und hatte die Arme hinter dem Kopf verschränkt. „Sie weiß schon, was sie tut. Vertrau ihr einfach.“, grinste er und schloss die Augen. Fassungslos sah der an der Tür stehende ihn an. „Was? Du glaubst diesem Weibsbild? Ich pack‘ s nicht!“, wütend trat er gegen die Streben. Mit einem „Bis dann“, verschwand Mireille und das letzte, was sie von ihr hörten, waren ihre Schritte, die auf der Treppe verklangen.

Stadt - Zusatzkapitel

Vor fast fünfhundert Jahren machte sich eine Nomadengruppe in ferne Länder auf, um eine Heimat zu finden. Sie lebten sehr genügsam und achteten einander. Doch war es ihnen wichtig endlich sesshaft werden und eine Existenz gründen zu können. Dennoch wurden sie aufgrund ihrer Herkunft von allen Leuten vertrieben, die sich nicht mit dem herum gereisten Pack abgeben wollten. Man verschrie sie als Diebe und besitzergreifende Egoisten. So wanderten die Nomaden weiter. Manch einer schloss sich ihnen auf ihrer langen und beschwerlichen Reise durch alle Länder an. So wurde aus der kleinen Gruppe von 26 Reisenden ein Volk aller Nationalitäten von annähernd 350 Menschen.
 

Und endlich fanden diese Reisenden ihren Platz, den sie als ihr neues zu Hause auserkoren. Sie begannen Häuser zu bauen, wie sie es von ih­ren Vorfahren gelernt hatten und schon bald entstand eine neue, große Stadt. Die Menschen wurden sesshaft. Sie bestellten Felder und ernteten reich. Allen ging es gut und so beschloss man einen Tempel zu bauen, um den Gottheiten der verschiede­nen Nationen zu huldigen. Alle arbeiteten zusammen und der Tempel wurde prunk­voll und prächtig. Die Menschen der anderen Städte und Dörfer sahen dies und wur­den neugierig. Natürlich wollten sie sich die neue Stadt ansehen und ihren Tempel besuchen. Doch als die ersten Reisenden vorbei kamen, wurde ihnen der Zutritt ver­weigert. Die Menschen hatten sich verändert.
 

Der Reichtum und ihr Wohlbefinden machten sie selbstgefällig und egoistisch. „Ihr wolltet uns nicht aufnehmen und habt uns weg gejagt, wie die Hunde! Schert euch, ihr unwürdiges Pack!“, riefen sie feind­selig und warfen mit Steinen nach den Menschen. Wütend ritten diese von dannen und erzählten anderen von ihrer Begegnung. Auch diese Menschen machten sich nun auf, um die Stadt zu sehen, die von ihren Bewohnern so vehement verteidigt wurde. Doch als sie ankamen, sahen sie, dass die Menschen der Stadt eine hohe Mauer er­richtet hatten. Kein Fremder sollte ihr Heim betreten, das sie so lange gesucht und schließlich schweißtreibend errichtet hatten. Als sie um Einlass baten, wurden sie ge­nauso beschimpft, wie der erste Reisende es ihnen berichtet hatte. Aufgebracht rit­ten sie in ihre Heimat zurück und auch sie berichteten ihren Freunden von der feind­lich gestimmten Stadt. Niemand sollte je wieder dorthin reisen.
 

Doch eines Tages im Winter nahm das Schicksal seinen Lauf. Die Menschen hatten Wachen auf ihrer Mauer aufgestellt, damit sich kein Feind der Stadt nähern konnte, ohne dass sie es merkten. Doch als die Sonne aufging und den Schnee gleißend hell aufleuchten ließ, sahen sie, dass etwas auf das Tor zuging. Eine Frau kämpfte sich durch den hohen Schnee. Sie war erschöpft und fror erbärmlich. Sie klopfte an das Tor. „Bitte, gewährt mir Einlass. Ich habe einen langen Weg hinter mir und bin schwanger. Helft mir.“, flehte sie. Die Wachen berieten sich kurz und schickten schließlich einen Mann hinab, der der Frau öffnete. „Habt Dank. Habt vielen Dank.“, zitterte sie und wurde hineingeführt. Doch was die Frau sah, erschreckte sie zutiefst.
 

Die Stadt war verschmutzt und überall lag Dreck und Unrat herum. Einige Obdachlo­se lungerten in den kleineren Gassen herum und wärmten sich an selbst angehäuften Feuern. Nichts vom einstigen Prunk war mehr übrig. Einzig und allein der Tempel ragte prachtvoll über den Dächern der Häuser hervor. Der Gestank war erbärmlich ebenso wie die Menschen. Voll gefressen und dick lugten sie aus ihren Fenstern her­vor und starrten auf den Neuankömmling. Die Zeit hatte aus den genügsamen und sich achtenden Nomaden egoistische, selbstsüchtige und zynische Menschen ge­macht, die sich ausschließlich um sich selbst kümmerten. Die Wache brachte sie in eine Wohnstube, in der ein Feuer brannte. Auf dem Boden lag knöcheltief der Dreck und die Frau setzte sich auf einen Stuhl nahe der Flammen.
 

„Habt Dank.“, sagte sie und hielt ihren Arm schützend um ihren Bauch, während sie sich aufwärmte. „Weib?! Komm her und mach unserem Gast etwas zu essen!“, brüllte der Wachsoldat und au­genblicklich ertönte auf der Treppe ein Poltern. Eine dicke Frau kam schnaufend her­unter gelaufen. Sie wickelte sich in ihren Morgenmantel, dessen Saumende ebenso schmutzig war, wie der Boden selber. Die Menschen achteten einander nicht mehr. Wüste Beschimpfungen brummenden ging die Hausfrau, ohne auf die Schwangere zu achten, an den Ofen und entzündete das Holz. Dann nahm sie einen Topf, den sie not­dürftig mit einem dreckigen Tuch auswischte und stellte ihn auf den Ofen.
 

Wasser aus einer Karaffe, Gemüse und Fleisch fand sich schnell an. Verschüchtert saß die junge Frau da und konnte nicht begreifen, was mit dieser Stadt geschehen sein sollte. Gerade fünf Jahre wahren seit ihrer Erbauung vergangen. Langsam aß sie das heiße suppenartige Gebräu, was ihr vorgesetzt wurde und seltsam zwischen ihren Zähnen knirschte. Nach fast zwei Stunden, in denen sie alleine in der Stube saß, kam der Wachposten wieder. „Du wirst jetzt zum Stadtrat gebracht. Sie entscheiden, was weiterhin mit dir geschieht.“ Die junge Frau nickte und folgte dem dicken Mann durch die dreckigen halb verschneiten Straßen, in denen sich immer noch keine Menschenseele rührte. Dennoch spürte sie die versteckten Blicke der Anwohner.
 

An diesem Tag entschied der Stadtrat, dass man sich um die junge Frau kümmern würde, bis ihr Kind da sei. Dann solle sie eine eigene Behausung bekommen und ihre eigene Existenz aufbauen. Dankbar ergab sich die Schwangere in ihr Schicksal und folgte einer anderen Wache zu einem Haus, dessen Baustil sie noch nie zuvor gese­hen hatte. Nun gut, sie war eine einfache Frau, die nie zuvor die Grenzen des Landes verlassen hatte. Neugierig sah sie sich deshalb um, als sie durch die Stadt geführt wurde. Jedes Haus war individuell erbaut worden und sah komplett anders aus, als das vorherige. Man wies ihr in dem Haus ein Zimmer zu und ließ sie alleine. Erst am nächsten Morgen wurde sie geweckt, damit sie mit anderen Frauen in der Küche ar­beiten konnte. Auch in ihrem Zustand wurde keine Rücksicht auf sie genommen. Selbst hoch schwangere Frauen arbeiteten schwer.
 

Doch eines Tages geschah das Unglück. Gerade machte sich die junge Frau fertig, um des morgens hinab zu gehen und zu arbeiten, als ein anderes Mädchen die Tür aufriss. Erschrocken sahen sich die Beiden an. Dann lief das Mädchen davon und schrie nach der Hausherrin. Diese kam auch sofort heran geeilt und machte sich von der Situation selber ein Bild. Mit gesenktem Kopf stand die Schwangere da, doch ihr Bauch war verschwunden. „Was hat das zu bedeuten?!“, schrie die Alte sie an und schlug ihr mit der flachen Hand ins Gesicht. „Ich... es tut mir leid... ich habe nur so getan, als wenn ich schwanger wäre, damit ich einmal diese Stadt sehen darf.“, beichtete die junge Frau ängstlich. Wütend wurde sie von der Hausherrin und den anderen Frauen, die hier arbeiteten, angestarrt. „Du bist eine dreckige Lügnerin, die es nicht verdient hier zu leben!“, schrie die Alte und spuckte sie an.
 

Später am Tag wurde die Frau zum Stadtrat gebracht. Die Hausherrin trug das Ver­gehen vor den Ratsherren vor und zog sie, wie um ihre Aussage zu untermauern, an ihren Haaren hoch. Weinend und mit verquollenem Gesicht bat die Jüngere um Ver­ständnis und Asyl. Mit grausamer Gleichgültigkeit starrten die Ratsherren die ge­schundene und verprügelte Frau an, die sie so schrecklich hintergangen hatte. Sie berieten sich kurz. Dann verkündeten sie ein schnelles Urteil. „Da du uns so dreist hintergangen und dir unser Vertrauen erschlichen hast, können wir dir nicht verge­ben. Du hast unser Essen gegessen und unser Wasser getrunken. Und das, obwohl du es nicht verdient hättest.“, der oberste Ratsherr holte einmal Luft. „Bitte.“, weinte die junge Frau.
 

„Das Urteil lautet Tod aufgrund des Hochverrats, den du an dieser Stadt begangen hast.“ Erschrocken starrte sie die Männer an, die mit ihren eisernen Mienen wie erfroren da saßen. „Nein, bitte. Ich mache alles wieder gut. Versprochen!“, bat sie, auch als sie weg gezerrt wurde. „Hört mich an!“, rief sie, doch die Tür wurde hinter ihr geschlossen und sie in ein Gefängnis gebracht. Man stieß sie die Treppe hinab und schleppte die halb Benommene in ihre Zelle. Dort soll­te sie die restliche Zeit ihres Lebens fristen, bis sie hingerichtet wurde. Dies geschah bei Anbruch des nächsten Morgens.
 

Früh wurde die Trommel geschlagen, die zur Volksversammlung rief. Alle versammel­ten sich auf einer Art Marktplatz, in dessen Mitte ein Galgen stand. Die Verräterin wurde zitternd und wimmernd aus dem Gefängnis heraus geschliffen. Man hatte ihr ihre Kleidung abgenommen und sie in einen einfachen Sack gesteckt. Vor Kälte und vor Angst schlotternd wurde sie auf den Galgenpodest gestellt. Dann wurde ihr Ver­gehen und das darauf folgende Urteil verlesen. Sie fiel auf die Knie. Die Sonne war noch nicht zusehen, doch der Horizont war bereits in ein helles Orange gefärbt.
 

Es würde nicht mehr lange dauern. Die Menschen schrien wütend und warfen die junge Frau mit Steinen und gammligem Gemüse ab. Schützend hob sie ihre bebenden Arme vor sich. Dann zerrten sie zwei der Wachen auf die Beine und legten ihr den Strick um den Hals. Ihr Körper war geschunden und von Blutergüssen übersät. „Gnade!“, schrie sie, doch keiner wollte sie erhören. „Vollstreckt das Urteil.“, befahl der oberste Ratsherr. Ein letztes Mal sah die junge Frau auf den hohen Balkon, auf dem die obersten Männer der Stadt auf sie hinab sahen, während ihr die Tränen die Sicht nahmen. Dann wandte sie ihren Blick auf den Horizont und schloss die Augen. Ihr Atem kristallisierte vor ihrem Mund, während sie scharf die Luft einsog und wieder ausstieß. Ein letztes Mal.
 

Dann legte der Henker einen Hebel um und unter ihr öffnete sich eine Falltür. Es ruckte, als das Seil ihren Sturz bremste und die Schlinge ihr die Luft abschnürte. Verzweifelt bäumte sich ihr Körper ein letztes Mal auf, doch schließlich hatte sie den Kampf verloren. Jubelnd schrien die Menschen auf. „Elende Verräterin!“, schrien sie. Dann nahm das Schicksal jedoch seinen Lauf. Die Sonne verschwand, bevor sie überhaupt aufging und ließ sie in kompletter Dunkelheit zurück. Dann ging ein blutroter Mond auf. Angst erfüllt starrten die Menschen in den Himmel. „Was ihr getan habt, war nicht rechtens. Ihr habt eine junge Frau getötet, als sie euer Asyl ersuchte.
 

Einst wart ihr ein gütiges Volk, doch die Selbstsucht und der Reichtum verschlang euch. Dafür werdet ihr alle bestraft.“, hallte eine dunkle, grollende Stimme, die alles erzittern ließ. Schreiend stieben die Menschen auseinander und versteckten sich in ihren Häusern. Nichts ahnend was daraufhin geschehen sollte. Auf Befehl des Gottes fingen die Gebäude an zu leben; und sie verschlangen die Menschen und nahmen sie in sich auf. Alle waren von einem auf den anderen Tag gefressen von ihrer eigenen Selbstsucht.

Seit diesem Tag ist aus der Stadt eine Geisterstadt geworden, der sich nie wieder je­mand näherte. Lediglich Schutz suchenden gewährt die Stadt Einlass, ohne die Besu­cher zu verschlingen. Seit diesem Tag schläft sie und jenen, die es wagen, sich inner­halb ihrer Mauern zu wagen, erscheint es, als würde sie einatmen. All jene, die böser Absichten waren, wurden verschlungen und verließen nie wieder die Stadt. Dies be­sagt die Legende.

Alone

Fenrill‘ s Pferd nahm sie Sattel und Zaumzeug ab und ließ es laufen. Innerhalb der Stadt gab es Rasen und Wasser. Das musste für einige Tage reichen. In die Mähne hatte sie ihm ein kleines Glöckchen gebunden, dass sie mit ihren guten Ohren wahrnehmen konnte. Innerhalb der Mauern sollte das Reittier nicht verloren gehen. Wenn sie wiederkehrte, könnten sie dann schnell wieder weiter reiten. Wer weiß, vielleicht fand sich ja auch auf ihrem Rückweg ein zweites Tier für Silver ein. Sicherlich würde er es nicht lange mit Fenrill aushalten. Sie klopfte ein weiteres Mal, diesmal von innen, an das Tor und wieder schwang eine Hälfte auf, die sie passieren ließ.
 

Hinter ihr schloss es sich und die Stadt blieb totenstill zurück. In Gedanken dachte sie an ihren nächsten Auftrag. Es würde nicht einfach werden, doch sie musste es schaffen. Ansonsten konnte sie John nicht wiedersehen. Sie musste ihn unbedingt befreien. Schon zu lange hatte die Organisation ihre Fähigkeiten als Schätzjägerin ausgenutzt. Es musste endlich Schluss damit sein. Dieser Auftrag war ihr letzter, das schwor sie sich. Mireille ließ ihren treuen Wegbegleiter angaloppieren und war schon bald aus der Sichtweite der Stadt verschwunden. Sie hatte noch einen weiten Weg vor sich. Aber es sollte nicht umsonst gewesen sein, dass sie extra wegen den Männern einen Umweg machen musste. Der Himmel war bedeckt und die Vögel hatten sich in ihren Nestern versteckt.
 

Es herrschte eine erdrückende Atmosphäre. In der ferne zogen schwarze Wolken auf. Ein Gewitter kündigte sich an. Schon bald frischte der Wind auf. Es musste später Nachmittag sein, als die ersten Regentropfen fielen. Durch starke Böen wurde ihr der Regen entgegen gepeitscht. Dennoch durfte sie nicht halt machen. Bis zur nächsten Stadt war es nicht mehr weit. Dort konnte sie Unterschlupf suchen. Hoffentlich stellten ihre Wegbegleiter keinen Unsinn an, während sie nicht da war. Sie wurde aus ihren Gedanken gerissen, als ihr Pferd strauchelte. Zum Glück fiel es nicht und so konnten sie ihren Weg fortsetzen. Immer noch schlug ihr der Regen in‘ s Gesicht, das bald schon taub war.
 

In der Ferne konnte sie einige Lichter erspähen. Ohne wirklich viel zu erkennen, ritt sie darauf zu. Verwundert musste sie jedoch anhalten, als ihr Pferd bis zum Bauch im Wasser stand. Sie ritt das kurze Stück zurück und entdeckte etwa 50 Meter weiter eine stabile Brücke, die über den Fluss führte. Mireille stieg ab und ging vor dem Schimmel her. Dieser folgte ihr ohne Probleme, obwohl er nicht ganz davon überzeugt war, dass diese Brücke sicher war. Sein rechtes Ohr zeigte nach vorne, während das andere nach hinten gerichtet war. Ein Zeichen von Nervosität. Die Reiterin sprach ihm freundlich zu und ging, ohne sich umzudrehen, auf die andere Seite.
 

Ein paar Bürger eilten über die Straßen, um so schnell wie möglich wieder in‘ s Trockene zu kommen. Der Regen hatte immer noch nicht nachgelassen. Mireille hielt auf ein kleines Wirtshaus zu, das Übernachtungsmöglichkeiten und warme Mahlzeiten anbot. Sie klopfte an einer etwas größeren Tür neben dem eigentlich Wirtshaus, die nach ein paar Sekunden geöffnet wurde. „Bitte reibt das Pferd trocken und versorgt es für die Nacht.“, sagte sie, reichte dem Stallburschen eine Münze und übergab ihm die Zügel. Der Junge nickte und verschwand mit dem Schimmel im Inneren des Gebäudes. Mireille hingegen wandte sich um und betrat durch die kleinere Tür das Wirtshaus.
 

Es war nicht viel los und die Anwesenden interessierten sich nicht für Fremde, was der jungen Frau nur recht war. Sie setzte sich an einen kleinen Tisch in einer Ecke, von der aus sie den ganzen Raum überblicken konnte und hängte ihren Mantel über einen zweiten Stuhl. Die Wirtin hörte auf, an einem der Gläser herum zu putzen und kam zu ihr herüber. „Was kann ich dir bringen?“, fragte sie. „Irgend etwas warmes wäre jetzt gut. Und außerdem brauche ich ein Zimmer für die Nacht.“, gestand die Schwarzhaarige und genoss die Wärme, die von einem Kamin ausging. „Wir haben heute Rindfleisch - Suppe auf der Karte.“, antwortete sie und strich sich einmal über ihre Schürze.
 

„Ja, das wäre gut.“, lächelte sie und die ältere Frau ging. Schon ein paar Minuten später stand eine dampfende Holzschale vor ihr. Die Suppe tat ihr gut und schon bald hatte die Wärme wieder ihren ganzen Körper erfüllt. Zufrieden lehnte sie sich zurück. Silver und Fenrill würden die paar Tage schon aushalten. Immerhin hatten sie den ganzen Proviant, der nicht gerade wenig war. Er würde für eine Woche völlig reichen. Dennoch würde sie sich dem Zorn zumindest von Silver aussetzen müssen, wenn sie die Beiden wieder dort heraus holte. Irgend etwas würde ihr dann schon einfallen. Bis jetzt war sie aus jeder brenzligen Situation gut herausgekommen.
 

Nachdem es etwas später geworden war, machte sie sich auf den Weg in ihr Zimmer, dass sie für eine Nacht gebucht hatte. Das Bett war bequem und so war sie schon bald eingeschlafen. Vorher hatte sie die Wirtin noch gebeten, sie mit dem Morgengrauen zu wecken. Mireille wollte nicht unnötig viel Zeit verschwenden. Sie wusste, dass Silver sich für jede Minute, die er zu lange in seinem Gefängnis saß, eine neue Möglichkeit ausdenken würde, sie umzubringen. Hoffentlich würde alles glatt über die Bühne gehen. So nahm sie im Schankraum ein kleines Frühstück zu sich und ließ sich von der Wirtin noch etwas Proviant einpacken.

Der Überfall

Als sie den kleinen Stall betrat, war im hinteren Teil bereits ein Bursche dabei den Schimmel zu satteln. Erschrocken drehte er sich um, als er Mireille hinter sich hörte. Seine Gesichtszüge entspannten sich jedoch, nachdem er feststellte, dass sie es war. „Woher wusstest du, dass ich so früh los will? Ich kann mich nicht entsinnen, dir darüber Bescheid gesagt zu haben.“, fragte die Schwarzhaarige stirnrunzelnd. „Das stimmt schon, aber Sie gehören zu dem wanderndem Volk, das es nie lange an einem Ort hält.
 

Ich sehe es den Leuten an ihrem Blick an und habe mich noch nie geirrt.“, grinste er schief und auch ein wenig stolz, während er das Tier Abreise bereit machte. „Beeindruckend... Vielen Dank.“, sie reichte dem Stallburschen eine weitere Münze, die er, nachdem er einmal drauf gebissen hatte, hastig in eine seiner Taschen steckte. Dann nahm sie das Pferd und führte es an den Zügeln aus dem Stall heraus. Der Regen hatte die Luft rein gewaschen. Mireille holte einmal tief Luft. Wesentlich entspannter stieg sie in den Sattel. Im Trab verließ sie die kleine Ortschaft.
 

Ein metallenes, dumpfes Klopfen hallte durch das leer stehende Gebäude. Immer wieder erscholl es durch die Gänge und Räume. „Mensch, davon kommt sie auch nicht schneller wieder.“, hörte man einen genervt, vergnügten Mann. „Dann tu was, damit wir hier raus kommen.“, knurrte Silver, ließ es jedoch bleiben, gegen die Gitterstäbe zu klopfen. „Ach, und was soll ich bitte machen? Dieses Gebäude sieht nicht so aus, als wenn es jemals irgend jemanden entkommen lassen hätte.“, seufzte der Jäger. Auch ihm behagte es nicht gerade sehr, dass ihre Freiheit von einer risikofreudigen Schatzjägerin abhing, die wahrscheinlich geradewegs in das nächste Abenteuer ritt. Ohne sie.
 

„Dieses Gebäude sieht nicht so aus, als wenn hier jemals jemand eingesperrt war.“, entgegnete sein Partner knirschend. Dennoch legte er sich auf die andere Liege. Die erste Nacht war nicht sehr gut gewesen. Die Männer hatten beide keinen Schlaf finden können und sich unruhig von einer Seite auf die Andere gewälzt. Als die ersten Sonnenstrahlen kamen, hatten sie ein Frühstück zu sich genommen. Doch auch jetzt fühlten sie sich immer noch nicht müde, geschweige denn träge. Fenrill drehte sich auf den Rücken und starrte an die Decke. „Eins,... zwei,... drei,...“ „Was zum Henker machst du da?!“, fauchte Silver, der sich sichtlich gestört fühlte. „Ich zähle.“, bekam er als Antwort.
 

Der Schatzjäger atmete einmal tief ein und schloss die Augen. „Ok. Ich bin ganz ruhig.“, sprach er zu sich selbst. „Was zählst du?“, fragte er betont gelassen. „Schafe.“, entgegnete Fenrill. Die Augenbraue seines Gegenübers zuckte bedrohlich. „Dann zähl leise.“, knurrte Silver und legte sich zurück auf seine Liege.

Doch es war nicht lange still. Nach kurzer Zeit ertönten leise Fußschritte auf den Stufen. Die beiden Männer versteckten sich, wie auf ein geheimes Zeichen hin, rechts und links von der Gittertür und pressten sich an die kühle Mauer. Die Schritte näherten sich und blieben vor ihrer Tür stehen. Ein leises Klicken ertönte, dann schwang das Gitter ein kleines Stück auf. Mit einem Rascheln entfernte sich die Person wieder hastig. Jedoch hatte sie die Rechnung nicht mit Silver gemacht.
 

Er riss die Tür auf, die mit einem Donnern gegen die Wand schlug, rannte hinaus auf den Gang und folgte den Geräuschen nach oben. Das „Nicht!“ von seinem Partner hörte er nicht mehr. So lief Fenrill hinter ihm her, jedoch nur, um ihm beizustehen, falls etwas passieren sollte. Oben angelangt, bekam der gewitzte Schatzjäger die Person am Handgelenk zu packen. Er hatte seinen Dolch gezückt und hielt ihn demjenigen an die Kehle. Fenrill stand hinter ihm. „Sieh nach, wem wir unsere Flucht zu verdanken haben.“, grinste Silver und sein Partner näherte sich demjenigen und zog ihm die Kapuze vom Kopf. Mireille starrte sie aus ängstlichen Augen an, dann löste sie sich in schwarzen Rauch auf und verschwand. „Was... war das denn?“, fragte Fenrill verunsichert. „Ich habe nicht die geringste Ahnung.“, Silver‘ s Stimme klang beklommen. Diese Stadt hier gefiel ihm nicht.
 

Sein Blick blieb an zwei Pferden hängen, die gesattelt und gezäumt festgebunden waren und auf sie zu warten schienen. Auf dem einen Pferd waren sie her geritten. Das andere Pferd kannten sie nicht. „Vielleicht ist das ein Trick von Mireille, damit wir ihr folgen, ohne sie einzuholen.“, vermutete Silver. „Warum sollte sie das machen? Und vor allem wie?“, wunderte sich der Andere. „Ich habe keine Ahnung.“ Und so sprangen die beiden Männer ohne Umschweif auf die Reittiere und verließen die Stadt, die eigentlich zu ihrem Schutz hatte dienen sollen. Doch das Schicksal machte manchmal unerwartete Wendungen.
 

Gegen Mittag legte Mireille in einem leicht bewaldeten Gebiet eine Rast ein. Sie trank frisches Wasser aus einer Quelle und aß etwas von ihrem Proviant. Danach lehnte sie sich an den Stamm einer Birke. Das Pferd graste in ihrer Nähe und die Sonnenstrahlen glitzerten auf dem Wasser. Das Gras war noch etwas feucht, doch unter dem Baum war es zum Glück trocken geblieben. Hoffentlich hatte sie noch genügend Vorsprung zu den Killern, mit denen sie ironischer weise vor langer Zeit in ein und demselben Team gearbeitet hatte. Es wäre nur von Vorteil, wenn sie nicht so schnell merkten, dass die Drei nicht mehr zusammen ritten. Dann würden sie nämlich anfangen, sich Gedanken zu machen. Und sie würden Nachforschungen anstellen. Darin waren sie ausgezeichnet.
 

Mireille wusste es nur zu gut. Deshalb war Eile und Tarnung von Nöten. Zunächst war es nur erstmal wichtig, dass sie ihren guten alten Freund in Semperton besuchte. Er hatte ihr immer schon helfen können. Der alte Mann war sehr alt, aber fit. Das galt auch für seinen Kopf. Jeden Tag begann er mit einer Partie Schach gegen seinen Nachbarn und Freund. Und nicht zu vergessen, die Rätsel. Er kannte so ziemlich jedes Rätsel, das es gab. Kannte er es nicht, gab er nicht eher auf, bis es gelöst war. Zudem interessierten ihn alte Legenden und Mythen. Das machte ihn zu einer Truhe gefüllt mit wertvollen Informationen und zu einem wichtigen Verbündeten. Mireille beschloss weiter zu reiten. Sie wollte die kleine Stadt bis zum nächsten Tagesanbruch erreicht haben.
 

So stieg sie wieder auf. Doch als sie eine Weile geritten war, merkte sie mehr als sonst, dass ihr etwas fehlte. Es war still neben ihr und auch von hinten kamen keine wüsten Beschimpfungen oder gar freche Bemerkungen. Egal, wie verrückt die beiden Kerle auch aufgelegt waren, irgendwie vermisste die Schatzjägerin sie. Es war nett, wenn man Begleitung auf einer Reise hatte. Schon zu lange hatte sie die Gassen, Straßen und Wege dieser Welt alleine beschritten. Warum sollte sie sich nicht lustige Gesellschaft suchen, die sie alleine durch ihre Anwesenheit unterhielt? Aber ob die Beiden sie nach der Aktion in dem alten Gefängnis noch überhaupt bei sich haben wollten? Auf der einen Seite machte sich Mireille Vorwürfe, dass sie die Zwei dort zurückgelassen hatte, doch auf der anderen Seite wollte sie sie doch nur vor der Organisation schützen.
 

Was war daran so verwerflich? Nun gut. Ein Leben lang konnte die Schwarzhaarige sie nicht darin gefangen halten. Nur gerade so lange, dass sie John befreien und endlich frei kämpfen konnte. Wäre der Kleine nicht mehr in ihrer Gefangenschaft gewesen, hätte sie mit den Killern kurzen Prozess gemacht. Wut sammelte sich in ihrem Bauch. Doch sie besann sich. Diese Wut sollte für einen besseren Zweck verwendet werden. Nämlich als Antrieb dafür, dass sie ihren Auftrag schnell erledigte. Danach konnte kommen, was wolle. Wütend blitzten ihre Augen. Die würden was erleben. Plötzlich traf sie etwas ziemlich großes seitlich am Schädel, sodass Mireille vom Pferd fiel.
 

Es scheute und machte einen erschrockenen Satz, bis es von zwei Männern festgehalten wurde. Die Schatzjägerin lag benommen am Boden. Ihre Lippe war aufgeplatzt. Langsam kam sie wieder zu sich und schmeckte den metallischen Geschmack ihres eigenen Blutes. Eine Stiefelspitze tippte sie an und drehte sie auf den Rücken. Mireille’ s Kopf dröhnte und ihr Körper schien ihr nicht völlig gehorchen zu wollen. Leise ächzte sie und öffnete vorsichtig ihre Augen. Hatten die Killer sie jetzt schon gefunden? Wie konnte sie nur so unaufmerksam gewesen sein? Das Licht war unerwartet grell. „Es ist nur eine Frau. Kein Grund zur Panik.“, sagte eine rauhe Stimme. „Was machen wir mit ihr? Die sieht nicht so aus, als wenn sie reich wäre.“, entgegnete eine andere Stimme.
 

„Wir nehmen sie mit. Vielleicht können wir sie als Sklavin verkaufen und den Gaul verscheuern wir auch.“ Zustimmendes Brummen erklang. Dann packte einer Mireille und warf sie sich wie einen nassen Sack über die Schulter. Nach ein paar Augenblicken öffnete sie die Lider. Ihre gelben Augen glühten. „Lass los.“, wisperte sie. Ihr Träger schien sich nicht darum zu kümmern, oder sie zu hören. „Lass los!“, kreischte sie und versetzte ihm einen Tritt in die Magengrube. Keuchend ging er in die Knie. Mireille befreite sich und zückte ihr Schwert. Vor ihr standen vier dreckige Straßenräuber, die nicht so recht glauben wollten, was sie da sahen. „Also, ich glaube, an deinem Schlag musst du noch mal arbeiten, Izz.“, sagte der Bärtige zu dem Langen. „Schnauze! Los, schnappen wir sie uns!“, keifte dieser und zückte eine Axt. Sofort war der Rest der Bande dabei.
 

Mireille wehrte ihre Angriffe mit Lanze, Axt und Keule ab. Dann drosch sie auf die in ihren Bewegungen viel zu langsamen Räuber ein, die nicht wussten, wie ihnen geschah. Heulend machten sich die, die noch laufen konnten, nach einiger Zeit davon. „Lasst euch das eine Lehre sein!“, rief sie aufgebracht, bereute es aber sogleich, da ihr Schädel dröhnte. Einige Male drehte sich alles im Kreis und sie drohte erneut zu Boden zu gehen. Doch ihr Wille war stärker. Sie steckte ihr Schwert wieder weg und sah sich um. Ihr Pferd stand in einiger Entfernung am Wegesrand und sah sie neugierig an. Überglücklich, dass es nicht weggelaufen war, näherte sich Mireille dem Tier und war kurze Zeit später wieder im Sattel. Der Ritt war von da an eine Tortur.
 

Jede Bewegung schien ihrem Schädel zu schmerzen. Sie hoffte, dass sie die kleine Stadt bald erreicht hatte und sie keine weiteren, unerfreulichen Überraschungen ereilen würden. Das war das letzte, was sie jetzt gebrauchen konnte. Der Schlag hatte ganz schön deftig gesessen. Mit ziemlicher Gewissheit konnte man von einer Gehirnerschütterung ausgehen, die sich gewaschen hatte. Wenn sie Glück hatte, konnte ihr alter Freund ihr da weiter helfen. Sogar auf dem Gebiet der Medizin war er ein gutes Stück bewandert. Nur dazu musste sie erstmal die Stadt erreichen. Alles andere war zweitrangig. Nun gut, nicht ganz. Mireille musste unterwegs einige Male anhalten, um sich zu übergeben.

Das Gedicht

Es ging gerade die Sonne auf, als ein alter Mann sich in seinem Bett streckte und reckte. Eine ebenso alte Frau betrat das Zimmer und ging zu ihm hinüber. „Guten morgen. Steh auf, du hast Besuch.“, begrüßte sie ihn liebevoll. Dann stellte sie ihm ein Glas mit Wasser auf sein Nachtschränkchen und verließ den Raum wieder. „Ist der alte Serim doch mal pünktlich?“, rief er ihr hinterher. Zufrieden setzte er sich auf, trank das Wasser und verließ sein Zimmer. Er betrat den Balkon seines weiß getünchten Hauses, auf dem sein Schachbrett stand, entdeckte dort aber nicht wie gewohnt seinen langjährigen Schachpartner.
 

Vor ihm saß eine junge Frau, die sich von seiner Frau verarzten ließ. Zumindest wurde der Jüngeren ein Lappen mit Jod auf die Lippe gedrückt. Diese schien geplatzt zu sein und auch der Rest der betroffenen Gesichtshälfte sah nicht sehr ästhetisch aus. Er wirkte angeschwollen und unförmig. Zudem glich er farblich gesehen eher einer Farbpalette, anstatt eines gesunden Teints. Der Rest der jungen Frau wirkte unordentlich und schmutzig. Sie hatte anscheinend schon seit längerem keine Dusche oder Bad mehr genossen. „Mireille.“, begrüßte er sie freundlich und besorgt zugleich.
 

„Was ist mit dir geschehen?“ „Hallo, Ickartas. Ich bin unglücklicherweise mit einer Räuberbande unweit von Kelenos zusammengestoßen. Sie waren nicht sehr freundlich und ich einen Moment unachtsam. Es ist weiter nichts geschehen.“, beruhigte sie ihn. „Nun, eine Gehirnerschütterung würde ich nicht als „nicht sehr freundlich“ durchgehen lassen. Aber du hattest es wahrscheinlich schon mit ungemütlicheren Gesellen zu tun. Trotzdem sei vorsichtig. So etwas sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen.“, erklärte Ickartas‘ Frau. „Danke, Malina. Ich weiß deine Hilfe wirklich zu schätzen.“, lächelte Mireille und ließ sich weiter verarzten.
 

„Ich bin eigentlich auch nicht gekommen, weil ich mich von deinen ärztlichen Künsten überzeugen wollte, sondern weil ich erneut deine Hilfe benötige.“ Ickartas horchte neugierig auf. „Du suchst ein neues Relikt?“, fragte er und seine Augen flackerten vor Aufregung. Mireille nickte. Sie wusste, wie sehr er selbst gerne auf Reise gehen und schon vergessene Schätze entdecken würde. Doch das hohe Alter und eine wundervolle Frau hielten ihm an diesem Flecken Erde. „Was ist es?“, der alte Mann platzte fast vor Aufregung. „Ich glaube, Mireille sollte sich jetzt erst einmal ausruhen. Dann werden ihre Kopfschmerzen auch besser. Und du bereitest dich besser auf dein Schachspiel mit deinem Freund vor.
 

Schau, er kommt schon herüber. Ihr habt alle Zeit der Welt.“, ernüchterte Malina ihn. Leicht enttäuscht nickte er. Mireille und seine Frau verließen den kleinen Balkon und gingen in das Hausinnere, wo sich die Jüngere auf ein Sofa legte. Dort bekam sie einen Lappen, der mit kaltem Wasser ausgewrungen war, auf die betroffene Stelle in ihrem Gesicht gelegt. „Vielen Dank.“, flüsterte sie. „Schlaf jetzt ein wenig, dann geht es dir gleich besser.“, Malina war eine gütige Frau. Sie half denjenigen, die Hilfe brauchten und sorgte dort für Gerechtigkeit, wo sie nötig war.
 

Die alte Frau setzte sich auf ein anderes Sofa und begann, getrocknete Pflanzen zu zerkleinern und in gläserne Behältnisse zu geben. Ihr würziger Duft erfüllte schon bald den ganzen Raum. Dieses Haus war eine Oase für Ruhe, Frieden und Geborgenheit. Deshalb kehrte die Schatzjägerin auch gerne hier ein. Die Gewürze hatten etwas Beruhigendes an sich und ihr ganzer Körper begann sich zu entspannen. Die Kopfschmerzen ließen nach. Durch halb geschlossene Augen bekam sie noch mit, wie sich der langjährige Freund von Ickartas an den Tisch setzte und sie anfingen darüber freundschaftlich zu streiten, wer die Eröffnung machen durfte. Dann dämmerte sie weg.

Als sie ein wenig später aufwachte, stand die Sonne im Zenit. Es wehte eine laue Brise und brachte warme Luft mit sich. Mireille fühlte sich besser; der Schlaf hatte ihr tatsächlich sehr gut getan. Vor ihr saß Ickartas und sah sie an. Die junge Frau setzte sich auf. „Und? Was suchst du?“, fragte er sie gebannt.
 

„Ich weiß es nicht.“, sagte Mireille. Verwirrt sah der alte Mann sie an. „Aber du sagtest doch,...“ „Ich weiß, aber ich habe nicht gesagt, dass ich etwas bestimmtes suche. Das einzige, was ich kenne, ist der Ort, wo es ist.“, erklärte die Schatzjägerin und beobachtete die wechselnden Gesichtsausdrücke ihres Gegenübers. „Und wo ist es?“, fragte Ickartas zögerlich. Mireille liebte es jedes Mal ihn aufs Neue auf die Folter zu spannen. „Es ist im Argas – Krater.“ Es entstand eine kurze Stille. „Was? Aber dann suchst du ja das Ewige Feuer!“, rief er aus. „Sag mir, was es ist.“, bat sie ihn. „Dieses Feuer verbrennt alles, was sich ihm in den Weg stellt! Die Erde, die Berge, die Felsen. Aber es ist immer nur eine Legende gewesen. Viele Leute haben sich auf die Suche nach diesem sagenumwobenen Feuer gemacht, aber sie waren alle ohne Erfolg.
 

Manche behaupten sogar, dass es sich eigentlich nicht um das Feuer handelt, sondern um eine Bestie, die schon seit ewigen Zeiten in der Höhle schlummert. Die meisten verloren ihre Leben auf ihren Expeditionen. Dass du danach suchst, ist schon so etwas wie eine Bestätigung dafür, dass es existiert!“, die Wangen des alten Mannes glühten vor Begeisterung und seine Augen funkelten, wie die eines Jungen, der das erste Mal in seinem Leben einen Frosch gefangen hatte. „Das muss unter uns bleiben.“, warnte sie ihn und versuchte seinen Übermut einzudämmen.
 

„Ja, ich weiß. Wie immer.“, doch das ausgelassene Grinsen stand noch immer auf seinem Gesicht. „Oh, warte. Ich habe noch ein Schriftstück, das dir weiterhelfen könnte.“ Ickartas sprang auf und wuselte in seine kleine Privatbibliothek. Mireille hörte ihn rascheln und von einem Regal zum anderen rennen. Sie lehnte sich ein wenig vor und sah, wie Papierrollen und Büchertürme im ganzen Zimmer verteilt waren. Einige wackelten bedrohlich. „Ah! Ich habe sie!“, hörte sie einen begeisterten Ausruf. Mireille lehnte sich zurück, als ihr alter Freund den Raum wieder betrat.

Er hielt eine alte Papierrolle in den Händen und überreichte sie der Schatzjägerin. Mireille entrollte sie vorsichtig und warf einen Blick auf die alten Runen. „Das ist moranisch. Hätte nicht gedacht, dass es noch Schriftstücke mit der Alten Schrift gibt.“, sagte sie fachmännisch. „Kannst du es noch lesen? Einst habe ich es dir beigebracht.“, bemerkte er und sah sie gebannt an. Sie lächelte. „Also, wenn ich mich nicht arg täusche... geht es ungefähr so...“, Mireille begann zu lesen.
 

„Oh, Hochwohlgeborener,

der du es erachtest

dich des Schatzes zu bemächtigen,

das Tor,

du kannst es nicht öffnen,

ohne dein eigen Blut des Todes und des Lebens.

Dann du wirst erhalten,

das, was dein Herz verlangt nach,

so wird sich öffnen das Tore,

und du kannst ihn entreißen,

aus der Schlangen Zähne.

Doch so seiest du gewarnt,

dein Herz soll sein

voll Reinheit und frohen Mutes,

dann wirst nicht verschlungen du,

von des Schlangen Schlundes.“
 

Mireille endete und sah ihren alten Lehrmeister an. „Sehr gut. Ich wusste, dass du es noch kannst.“ „Woher hast du die Rolle?“, fragte sie wissbegierig. „Ein Reisender brachte sie mir vor etlichen Jahren mit. Ich war selbst noch sehr jung und fing an, mich für alte Legenden, Relikte und Schätze zu interessieren. Doch hieran habe ich mir die Zähne ausgebissen. Ich selbst war damals an dem Krater und habe den Eingang nicht gefunden. Vor einigen Jahren wurde er erst entdeckt, doch die Leute konnten ihn nicht öffnen. Er ist von Magie gebannt und hat sich nie jemandem geöffnet. Wenn du ihn nicht öffnen kannst, wer dann?“, erklärte Ickartas.

Doppelte Überraschung

Als es Abend wurde, saßen die Drei an einem Tisch in der Küche und aßen. Malina hatte ihnen ein wunderbares Mahl zubereitet. Es bestand aus frischem Gemüse und Fleisch, dass sie am heu- tigen Tag vom Markt geholt hatte und schmeckte einfach köstlich. Aus dem Fleisch hatte sie einen würzigen, zarten Braten gezaubert und das Gemüse fand sich in Form eines leckeren Sala- tes wieder. Draußen ging bereits die Sonne unter, als Mireille an einem Glas mit frischem Orangensaft nippte. Sie fühlte sich wie im Himmel. Doch leider mit einem kleinen Wermuts- tropfen. Schon sehr bald würde sie dieses Paradies hier verlassen müssen. Aber sie musste ihren Auftrag ausführen.
 

Das hatte oberste Priorität. Immerhin waren Silver und Fenrill immer noch in ihrem Gefängnis und würden ohne sie wahrscheinlich nicht so schnell herausfinden. Wie es den Beiden wohl mittlerweile ging? Ob sie Angst hatten, dass sie nicht wiederkommen würde? Vielleicht würden sie auch schon gemeinsam an ihren Racheplänen arbeiten. Wäre doch nicht alles so ungemein kompliziert. Aber das Leben war nie gerecht und würde es wahrscheinlich auch nie sein. Mireille wurde aus ihren Gedanken gerissen, als Malina damit begann den Tisch abzuräumen. Schnell sprang die Jüngere auf und half ihr. Ickartas hingegen machte sich auf den Weg, um auf sein Flachdach zu gehen.
 

Von dort aus liebte er es die Sterne zu beobachten und zwar stundenlang. Als die beiden Frauen fertig waren, folgte Mireille ihm und gesellte sich zu ihm. Die Luft war angenehm kühl. Um sie herum schwirrten einige Fledermäuse. So standen sie schweigend nebeneinander. „Schau, dort ist Orion. Weißt du noch, wie ich dir einst seine Geschichte erzählt habe?“, fragte Ickartas. „Ja.“, entgegnete Mireille und sah über die weite Ebene. Die Häuser lagen ruhig unter ihnen. Der Mond war halb von einer Wolke verdeckt. Ihre Augen blieben an einem Punkt vor der Stadt hängen. Bodennebel waberte zielstrebig auf die ersten Häuser zu. Und dann sah die junge Frau sie. „Ich muss gehen, sie kommen.“, flüsterte Mireille hastig und deutete vor die Stadt.
 

Der alte Mann erkannte mehrere Reiter, die wie Geister aufeinmal aus dem Nebel auftauchten. Er eilte der jungen Frau hinterher und gab seiner Frau Bescheid. Sie packten schnell ein paar Vorräte in einen kleinen Sack. Mireille hingegen hatte das Pergament mit den Gedichtversen verstaut und war nach unten in den Stall gerannt. Dort nahm sie ihr Pferd, sattelte und zäumte es und führte es vor das Haus. Malina kam nach ihr aus dem Haus und reichte ihr den Sack. „Ich weiß, jetzt ist keine Zeit für irgendwelche Erklärungen, aber komm heil wieder und berichte uns alles.“, die beiden Frauen umarmten sich schnell. Dann sprang Mireille auf. „Danke für alles. Ich hoffe, dass ich bald wieder herkomme. Entschuldige, dass ich so schnell aufbrechen muss.“, sagte sie und winkte hinauf zu dem Balkon, auf dem der alte Mann stand. Auch er winkte.
 

„Erzähl mir alles, wenn du wieder da bist.“, bat er und sie nickte. Dann trieb sie ihr Pferd an und war schon bald aus dem Sichtfeld des alten Ehepaars verschwunden. Malina drehte sich um und sah, wie der Nebel auf sie zu waberte. Schnell verschwand sie im Haus und verriegelte die Tür.

Die Wege waren dunkel und schlecht zu erkennen, als Mireille im Jagdgalopp auf ihnen durch den Wald ritt. Die Ebene hatte sie längst hinter sich gelassen und vermutete, dass die Killer sie nicht so schnell aufspüren würden. Nun hoffte sie, dass sie schnell zum Argas - Krater finden würde. Eine andere Frage war, wie sie das Ewige Feuer zur Organisation schaffen sollte.
 

Ein Feuer, das nie erlischt und alles verbrennt, versprach nicht gerade rosige Aussichten. Doch für John würde sie alles tun. Egal, was die Organisation mit dieser mächtigen Waffe vorhatte. Erst einmal mussten sie diese in den Händen halten. Alles andere war zweitrangig. Später konnte sie immer noch versuchen, sie aufzuhalten. Wenn das irgendwie möglich war. Mireille erreichte eine weitere Ebene. Das Gras reichte bis zu ihren Knien rauf. Es war schwer hier irgendwo einen Feind zu erkennen. Schlecht war zudem, dass sie Spuren hinter- lassen würde. Dennoch musste sie vorwärts. Würde sie zögern, hätten sie sie eh schon bald gefunden. Wieder tauchte sie in dunkles Gehölz ein. Zweige von Tannen schlugen ihr ins Ge- sicht und zerkratzten es.
 

Der Mond verschwand vollends hinter den Wolken. Mireille parierte den Schimmel zum Trab durch, da auch das Pferd den unebenen Weg nicht mehr genau ausmachen konnte. Hin und wieder strauchelte es. Besser wurde es erst, als sie einen Weg erreichten. Dort ging es fast gefahrlos weiter. Ab und zu drehte sich die Gejagte im Sattel um und lauschte zurück in die Dunkelheit, die sie bereits hinter sich gelassen hatte. Es schien keinerlei Anzeichen dafür zu geben, dass sich ihr etwas näherte oder folgte. Mireille drehte sich erneut nach vorne und fasste in eine der Manteltaschen. Das Pergament befand sich noch sicher in ihr. Ein wenig besorgt dachte sie an Ickartas und seine Frau zurück. Hoffentlich drohte ihnen keine Gefahr. Das würde sie sich sonst nie verzeihen.
 

Mireille gönnte sich und ihrem Reittier die ganze Nacht durch keine Pause. Ihre Verfolger waren ihr da für ihren Geschmack schon zu dicht auf den Fersen gewesen. Diesen Fehler wollte sie nicht noch einmal begehen. Die Organisation sollte nicht merken, dass Silver und Fenrill nicht bei ihr waren. Mireille schreckte auf, als sie merkte, dass sie auf dem Pferderücken kurz eingenickt war. Die ersten Sonnenstrahlen kitzelten ihr Gesicht und ließen sie einmal aufgähnen. Schließlich kramte sie in einer Satteltasche und beförderte ein Stück Brot zu Tage. Es war durch die kühle Nacht etwas hart geworden, doch es machte Mireille nicht viel aus. Sie war schlimmeres gewohnt.
 

Als sie das Brot aufgegessen hatte, zügelte sie ihr Pferd und sprang ab. In einem dichten Gebüsch hinter einer Eiche band sie es unweit des Weges an. Dann kletterte die junge Frau auf einen Baum und versteckte sich ebenfalls. Sie setzte sich in einer hockenden Position auf einen Ast, der genau über den Weg gewachsen war. Es herrschte eine kurze Zeit Stille. Dann hörte sie Hufschritte auf dem dumpfen Waldboden, die sich ihr im Schritt näherten. Gleich musste sich der Reiter unter ihr befinden. Und tatsächlich – eine vermummte Gestalt in einem dunklen Mantel hielt unter ihr und hörte sich um. Der Kopf bewegte sich nach links und rechts, als wenn es nicht genau wüsste, wo es nun lang ging. Für Mireille war sofort klar, dass dies ein Verfolger war.
 

Ohne zu zögern, sprang sie von dem Ast und riss die unbekannte Gestalt vom Pferd. Das Reittier ging durch und rannte davon. Auf dem Waldboden wälzten sich die Kämpfenden einige Male herum, doch Mireille schaffte es, denjenigen festzunageln. Schon zückte sie ihren Dolch und holte aus, um diesen in den Brustkorb des Feindes zu rammen. „Stopp!“, rief die Person. Überraschender weise hielt die Überlegenere inne. Der Fremde zog sich die Kapuze vom Kopf. „Du?! Wie kommst du denn hierher?“, entfuhr es Mireille wütend. Doch da packte sie schon jemand von hinten am Schopf und zog sie daran hinauf. „Au!“, rief die junge Frau und starrte wütend ihren Angreifer an, der sie halb auf das Pferd gezerrt hatte. Eine Klinge wurde ihr an den Hals gesetzt. „Ich würde dich jetzt zu gerne umbringen, weißt du das? Uns einfach einsam und alleine in diesem Gefängnis zurück zu lassen war nicht gerade freundlich.“, zischte Silver ihr in das Ohr.
 

Fenrill erhob sich vom Waldboden und klopfte sich Schmutz und Blätter ab. „Es war nur zu eurem Schutz, ihr Idioten!“, fluchte sie, wurde jedoch leiser, als ihr Silver tadelnd mit der Klinge an den Hals tippte. „Weißt du, nur das Einzige, was ich nicht verstehe, ist, warum du uns zu dir geführt hast?“, fragte er. Es entstand eine kurze Pause. „Ich habe was?“, fragte Mireille verwirrt. Silver ließ sie los, sodass sie auf den Boden fiel. Dann sprang auch er vom Pferd. „Du weißt genau, was ich meine. Also ich glaube ja, du hast es getan, weil du uns eigentlich brauchst. Du willst es uns nur nicht sagen.“, erklärte er überlegen. Mireille sah ihn immer verdutzter an. „Sag mal, kannst du mir eigentlich erklären, was hier vor sich geht? Wovon zum Teufel spricht der eigentlich?“, wandte sie sich an Fenrill. „Du weißt es wirklich nicht?“, fragte dieser leicht misstrauisch.
 

Überzeugt schüttelte die Schatzjägerin den Kopf. „Du bist also nicht für deine Schatten- kolleginnen verantwortlich, die uns immer den richtigen Weg gewiesen haben?“ „Für meine was?“, erwiderte Mireille verwirrt und starrte von einem zum anderen. „Deine Doppelgänge- rinnen, die sich immer in Rauch auflösen, sobald man sie schnappt!“, rief Silver genervt. „Tut mir leid, ich habe keine Ahnung, wovon du redest.“ Mireille wandte sich um und ver- schwand in dem Gebüsch. Dort kam sie auf dem Schimmel wieder heraus. „Wir müssen weiter, sonst haben sie uns bald.“ Und wie auf ein Zeichen flog ein schwarz gefiederter Pfeil dicht an ihr vorbei. „Los!“, rief sie.
 

Fenrill sprang bei ihr auf und die Verfolgten schlugen einen scharfen Galopp an. Der Wald lichtete sich etwas und die Bäume standen nicht mehr so dicht beieinander. Dennoch konnten sie ihre Verfolger immer noch nicht ausmachen. Schwarze Pfeile wurden jedoch hin und wieder auf sie abgeschossen. Bis jetzt hatten sie zum Glück noch keine Verluste aufzuweisen. „Was ist eigentlich mit deinem Gesicht passiert?“, rief Fenrill. „Lange Geschichte!“, erwiderte sie. Gehetzt jagten die beiden Pferde Seite an Seite voran. An einer Weggabelung graste Fenrill‘ s Pferd, das aufschreckte und sich auf dem rechten Pfad davon machte. Die Reiter ritten hinterher und holten es ein. Noch während des Laufens sprang Fenrill hinüber in den Sattel und nahm die Zügel auf. Dann konnte die wilde Flucht weitergehen.

Together we make it

Nach einiger Zeit jedoch kamen keine Pfeile mehr. Sie schienen ihre Verfolger abgeschüttelt zu haben. Die Reiter parierten ihre Pferde zum Schritt durch. Die Tiere schwitzten und Schaum stand vor ihrem Maul. Nach einer weiteren Stunde der Vergewisserung unternahmen sie eine kleine Rast. An einem kleinen Quellbach tränkten sie die Pferde und erfrischten sich selbst. Es herrschte Schweigen. Fenrill als auch Silver war klar geworden, dass Mireille sie wirklich nur hatte beschützen wollen. Leicht schmollend setzte der Schatzjäger sich neben sie. „Ok. Du hast gewonnen.
 

Ich glaube dir, dass du uns nur vor den Killern verstecken wolltest. Trotzdem hättest du uns da unten nicht einsperren müssen.“, der leicht grimmige Unterton in seiner Stimme amüsierte Mireille. Sie grinste ihn verwegen an. „Na komm schon. Sag es.“, stichelte sie. Silver rollte genervt mit den Augen. „Danke.“, presste er zwischen den Lippen hervor. „Gern geschehen.“, sagte sie froh und schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter. „Doch was meintet ihr jetzt eigentlich mit „Schattenkolleginnen“?“, wollte die junge Frau wissen. Fenrill setzte sich zu ihnen und erzählte erneut die Geschichte, wie sie aus dem Gefängnis heraus gekommen waren.
 

Aufmerksam lauschte Mireille der Geschichte. „... und du, also sie, ist immer wieder aufgetaucht und hat uns auf deine Fährte geführt, wenn wir nicht weiter wussten. So haben wir dich gefunden.“, endete Fenrill. Die Schatzjägerin sah sie ratlos an. „Hmm, ich weiß auch nicht, worum es sich handelt.“ Gedanklich jedoch tobte ein Sturm in ihr. Sie wusste genau, wem sie das zu verdanken hatte. Doch das alles ergab keinen Sinn. Sie würde sich später damit befassen müssen. „Ich bin dafür, dass du uns erst einmal erklärst, was du schon wieder suchst.“, sagte Silver mit festem Blick. „Da ich euch Nervensägen eh nicht los werde, bleibt mir sowieso nichts anderes übrig.“ Mireille kramte in ihrer Manteltasche herum und reichte Fenrill das Pergament.
 

Er entrollte es vorsichtig und begann zu lesen. Zumindest versuchte er es. „Was ist das für eine Schrift?“, fragte er nach kurzer Zeit. „Das, meine Herren, ist moranisch.“, erklärte Mireille und nahm die Schriftrolle wieder in Empfang. Dann las sie den beiden Männern die Verse vor. „Habt ihr schon einmal von dem Argas-Krater gehört?“, fragte sie anschließend in die Runde. Fenrill schien nachzudenken. „Das Ewige Feuer, richtig?“, fragte er und sah in die überraschten Gesichter der Anderen. „Das ist korrekt.“, antwortete Mireille überrascht. „Woher weißt du davon?“, fragte sie ihn und er erwiderte schon einmal davon gehört zu haben. „Warum suchst du es?
 

Heißt es nicht, dass es eine gefährliche Kriegswaffe ist? Da stellt sich mir doch ganz unverblümt die Frage, was du damit zu schaffen hast?“, kam es von Silvers Seite. Das Gesicht der jungen Frau war mit einem Mal verschlossen. „Ich will nicht drüber reden.“, erwiderte sie leise und erhob sich, um zu dem kleinen Bachlauf zurückzukehren. Die Männer sahen sich an. Schließlich erhob Silver sich und folgte ihr. Mireille hockte bereits am Ufer und tauchte ihre zitternden Hände in das kühle Nass. Als sie den Schatzjäger wahrnahm, zog sie diese jedoch aus dem Wasser und verschränkte sie vor dem Brustkorb. „Wir reiten mit dir hin, damit das erstmal klar ist. Aber ich finde, da wir uns allen Gefahren in den Weg stellen, sollten wir auch wissen, was du mit dieser Waffe vorhast, nicht? Immerhin heißt es, sie könnte ganze Länder auslöschen.
 

Ist es eventuell möglich, dass du sie wieder für die Organisation beschaffen musst?“ Silver sah sie prüfend an und beobachtete jede Regung auf dem ebenmäßigen Gesicht. Es war leicht zerkratzt worden, doch das störte ihn nicht. Auf der einen Seite sah es noch leicht blau aus und er fragte sich, was ihr geschehen war. Mireille starrte auf die Wasseroberfläche, die sich kräuselnd und glucksend den sanften Hügel hinab bewegte. Sie war der Erklärungen müde geworden und hatte keine Lust jetzt mit Silver über ihre Vergangenheit, die sie Größtenteils verdrängt hatte, zu reden. Doch anscheinend blieb ihr nichts anderes übrig. Mireille erhob sich.
 

„Da mir nichts anderes übrig bleibt und ihr eh schon auf der Abschussliste steht, macht es jetzt auch nichts mehr aus, ob ihr den Rest auch erfahrt. Also, ja, ich war einst in dem Team, das euch ausschalten will, weil ihr wie schon gesagt zu viel Aufmerksamkeit erregt habt. Nein, ich will das Feuer nicht für mich, sondern für die Organisation, für die ich arbeite. Und zum wiederholten Mal Nein, ich mache diese Arbeit nicht freiwillig, sondern nur, weil mir nichts anderes übrig bleibt. Ja, ich werde der Organisation die Waffe wieder abluchsen, wenn sie mir das gegeben haben, was ich will und was mir wichtig ist. Und viertens, versucht ihr mich an all dem zu hindern, werde ich euch eigenhändig aus dem Weg räumen!“
 

Hitzig warf sie den Pferdeschwanz nach hinten und wandte sich wieder ab. Sie ging ein kleines Stück den Hügel auf und setzte sich dann auf einen flachen Stein. Ihre vermehrt zitternden Hände hielt sie erneut in das Wasser und begann ihre Unterarme damit einzureiben. „Es ist der letzte Auftrag.“, flüsterte sie. Fenrill und Silver unterhielten sich leise. Anscheinend diskutierten sie das weitere Vorgehen. Mireille konnte sie mit ihren guten Ohren hören, doch sie wollte nicht hinhören. Zu sehr war sie mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt. Sie hoffte, dass es John gut ging. Wut kochte in ihrem Magen auf, als sie daran dachte, dass die Organisation ihn umbringen könnte.
 

Einfach so. Und sie saß hier, mitten im Wald von Nirgendwo mit zwei Männern, die sie nicht einmal annähernd so gut kannte, wie ihr lieb war und von denen unter anderem das Leben ihres geliebten Bruders abhing. Life is unfair. Die ersten Regentropfen fielen. Mireille merkte es erst, als ein besonders dicker sie in den Nacken traf und ihren Rücken hinunter lief. Schaudernd zog sie den Mantel enger um sich und sah nach hinten. Die Männer hatten ein Lagerfeuer gemacht und wärmten sich daran auf. Die junge Frau setzte sich zu ihnen. „Das einzige Problem ist“, begann sie „dass noch niemand das Tor geöffnet hat, hinter dem das Feuer sich befindet. Es ist von einer Art Bann geschützt. Deshalb hat mir ein guter Freund die Schriftrolle gegeben.
 

Ich denke, dass es eine Art Rätsel beinhaltet, das als Lösung die Öffnung beinhaltet.“ Leise wiederholte Mireille die Verse, die aus moranischer Schrift bestanden.

„Oh, Hochwohlgeborener,

der du es erachtest

dich des Schatzes zu bemächtigen,

das Tor,

du kannst es nicht öffnen,

ohne dein eigen Blut des Todes und des Lebens.

Dann du wirst erhalten,

das, was dein Herz verlangt nach,

so wird sich öffnen das Tore,

und du kannst ihn entreißen,

aus der Schlangen Zähne.

Doch so seiest du gewarnt,

dein Herz soll sein

voll Reinheit und frohen Mutes,

dann wirst nicht verschlungen du,

von des Schlangen Schlundes.“

Es entstand Stille, in der die Beteiligten nachdachten über die Worte. „Oh, Hochwohlgeborener...“ begann Mireille. „Ich denke, das steht für eine Person. Jetzt müssen wir nur wissen, wer dieser Hochwohlgeborene ist.“ Fenrill nickte. „Meiner Meinung nach ist damit keine bestimmte Person gemeint, sondern jemand mit adliger Abstammung. Ein König, Königin, Prinz, oder so etwas in der Art. Doch das heißt für uns, dass nur jemand mit solch einer Abstammung das Tor öffnen kann.“
 

Silver zog eine krause Stirn. „Aber was meinen die mit dem Blut des Lebens und des Todes? Sollen wir dem Adligen erst Blut abzapfen und ihn dann ins Nirwana schicken? Ich finde nicht, dass das sehr nett ist.“ Mireille‘ s Gedanken arbeiteten auf Hochtouren. Es musste eine andere Erklärung für Blut des Todes geben, oder? „Mein Vater erzählte mir einst eine Geschichte.“, begann sie zögerlich. „Es handelte von einem Wesen, dass in der Region von Anupii lebt. Eine Art Dämon, ja, jetzt weiß ich es wieder. Es passt auch zusammen. Ein Vampir! Sie sind adliger Abstammung, zumindest die Meisten von ihnen. Und obwohl sie Tod sind, fließt Blut durch ihre Adern!“, Mireille fühlte sich beflügelt, da sie wesentlich dazu beigetragen hatte dem Rätsel weiter auf die Spur zu gehen.
 

Die beiden Männer sahen sie mit Respekt an. „Nicht schlecht, nur wie sollen wir Graf Zahl dazu überreden freiwillig an einer Blutspende teilzunehmen?“, brachte Silver den Einwand. Entmutigt ließ Mireille den Kopf wieder sinken und ein weiterer Tropfen fand seinen Weg auf ihren Nacken den Rücken hinunter. Sie schauderte. „Ich denke, wir sollten ihn nicht um seine Erlaubnis bitten.“, sagte sie mit veränderter Stimme. Ein gefährliches Glitzern lag in ihren Augen, das von dem Schein des Feuers reflektiert wurde.

Die Höhle des Löwen

Die Reiter hatten sich noch vor der Morgendämmerung aufgemacht, um weitere Zeit einsparen zu können. So ritten sie durch den dunklen Wald. Ein dünner orange farbener Streifen am Horizont verriet, dass bald die Sonne aufgehen würde. Durchgefroren und ein wenig hungrig setzten sie ihren Weg über eine Ebene fort. Vereinzelt ragten Bäume aus dem Boden hervor. Sie waren klein und krumm gewachsen und hatten nur wenige Blätter. Mireille war voraus geritten, als sie erneut an einem bewaldeten Stück ankamen.
 

Schweigend und fröstelnd ritten sie durch die Bäume, als sich ihnen ein einzigartiges Spektakel bot. Vor ihnen zwischen den Bäumen erschien ein See. Auf ihm lag Nebel und durch den orange farbenen Horizont erschien es ihnen als ein einmaliges Szenario. Die Binsen wiegten leicht in dem Wind. Mireille und die Männer nahmen in ein und demselben Moment eine Bewegung wahr und zügelten die Pferde. Auf dem Wasser erschien ein kleines, flaches Boot auf dem eine Gestalt stand. Sie hielt einen Stab in der Hand, mit dem sie sich vom Grund des Sees abstieß. Die Frau hatte lange, wallende, blonde Haare und trug ein zartes Kleid, das ihren Körper umspielte.
 

Es glänzte in der Morgendämmerung, als wäre es nicht von dieser Welt. Die junge Frau legte den Stab in das Boot und ließ sich noch ein Stück treiben. Als das Boot stoppte, hörte man ein sanftes Harfenspiel und die junge Frau begann zu tanzen. Die Reiter hielten den Atem an, als sie ihren Fuß auf das Wasser setzte. In dem morgendlichen Nebel tanzte sie sanft und mit anmutigen Bewegungen auf dem Wasser. Niemand konnte diese Idylle stören. Einige Fischreiher erhoben sich wie schwarze Schatten und flogen in den heller werdenden Himmel. Der Tanz der Frau sah aus, wie eine sanfte Form des Balletts. Es verzauberte sie alle und ließ sie alle dunklen Gedanken los werden. Als der erste Sonnenstrahl sie berührte, war sie von einem auf den anderen Augenblick verschwunden. Es war, als wäre ein Zauber aufgehoben worden. Die Idylle blieb, doch die Gedanken kehrten zurück. Verwundert sahen die Reiter sich um, doch nirgendwo tauchte die Frau mehr auf. Ihr Boot war verschwunden; wie ein Traum.
 

Ein neuer Morgen brach gerade an, als der Reitertrupp den Wald verließ. Die Hufe der Reittiere sanken leicht in dem Schlamm ein und verursachten quatschende Geräusche. Der Regen hatte sich in den letzten Tagen ihrer Wanderung als erschwerlich erwiesen. So kurz vor dem Ziel jedoch hatte er aufgehört und zurück blieb eine rein gewaschene Luft, sowie drei bis auf die Haut durchnässte Reiter. Drei ganze Tage waren sie durchgeritten, ohne große Pausen einzulegen. Geschlafen wurde weitestgehend auf dem Pferderücken, wenn dies möglich war und dann auch nur abwechselnd. Vorne und hinten ritten immer die Wachenden. Leicht erschöpft erreichten sie die große Burg.
 

Der Wind pfiff kalt durch das geöffnete Burgtor und erzeugte ein gespenstisches Heulen. Mireille lief es kalt den Rücken hinunter. Sie hielten kurz vor dem Falltor inne und sahen sich an. Silver nickte und ritt voran. Nacheinander betraten sie das Innere der Burg. Alles schien hier leblos zu sein und dennoch lag ein leicht metallischer Geruch, wie bei Blut, in der Luft. Die Pferde wurden unruhig und je weiter sie in das Innere vordrangen, desto schlimmer wurde es. Schließlich stiegen die Reiter ab und banden die Zügel an Eisenringen an einer alten Schmiede fest. Diese schien jedoch schon seit einer Ewigkeit verlassen zu sein. Durch verstaubte Fenster konnte man in das Innere blicken. Dicker Staub lag auf allen Gegenständen.
 

Niemand schien hier in den letzten zehn Jahren verkehrt zu sein. Kein Wunder. Wer sein Blut behalten wollte, ging woanders hin. Mireille wurde von hinten angetippt. Sie drehte sich um und sah Silver, der ihr deutete ihm zu folgen. Fenrill war schon ein Stück voraus gegangen und öffnete so leise wie möglich eine Hälfte einer massiven doppelflügeligen Tür in das Innere der Festung. Sofort wehte ihm ein Wind entgegen und ein Heulen erklang, so dunkel und schaurig, dass es allen die Haare zu Berge steigen ließ. Mit einem unguten Gefühl schon längst entdeckt worden zu sein, betraten sie das Dunkel. Es ging zunächst einen Gang entlang, an dessen Ende es überraschender weise heller wurde. Langsam und leise näherten sie sich dem Licht. Fenrill war der Erste, der vorsichtig um die Ecke lugte.
 

Er sah einen Saal vor sich, an dessen Wänden Fackeln brannten. In der Mitte stand ein langer massiver Tisch, an dessen Kopf- und Fußende jeweils ein Stuhl stand. Jedoch schien nur einer der Stühle benutzt worden zu sein. Er stand etwas schräg zu dem Tisch, als wenn sich jemand von ihm erhoben und nicht wieder heran gerückt hätte. Mireille lauschte, konnte jedoch mit ihrem scharfen Gehör nichts Bedrohliches ausmachen. Silver und sie folgten Fenrill vorsichtig und immer auf der Hut in den Saal. Keiner wagte es, auch nur irgend etwas zu sagen. Zu groß war die Angst entdeckt zu werden. So weit die Drei zurück denken konnten, hatte noch nie jemand freiwillig das Domizil eines Vollblut - Vampirs betreten, in der Absicht ihm Blut abzuzapfen. Wenn das mal gut ging.
 

Wieder jagte ein Windhauch an ihnen vorbei. Ein Gang führte weiter in das Innere. So betraten sie auch diesen vorsichtig. Große Ritterrüstungen flankierten den Korridor. Sie waren kaum von Staub bedeckt, da der Wind heulend an ihnen vorbei wehte. Alle erschraken, als ein Visier klappernd zu fiel. Mireille beruhigte ihren Herzschlag und deutete den Anderen, dass sie weiter gehen mussten. Fenrill blieb ein Stück zurück und sah sich eine der Rüstungen genauer an. Er hatte einen Geruch aufgenommen, der ihn nicht mehr los ließ. Plötzlich jedoch packte ihn der Ritter und sie verschwanden zusammen im Dunkel. Mireille hatte sich ruckartig umgedreht, als Fenrill ein erschrockener Schrei entronnen war und sie sah gerade noch, wie die Ritterstatue sich ihn packte und der Sockel sich einmal drehte.
 

Zurück blieb eine kahle Stelle an der Wand, hinter der jetzt ihr Freund gefangen war. Die beiden Schatzjäger liefen sofort zu der Stelle und versuchten sich gegen die Wand zu stemmen. Doch sie gab nicht nach. Schließlich lauschte Mireille mit einem Ohr an der Wand, doch sie konnte nichts hören. Ihr Herz schlug bis zum Anschlag. Hoffentlich würde Fenrill nichts schlimmes passieren. Hätte sie die Beiden doch bloß nicht mitgenommen, dann müsste sie sich jetzt nur Sorgen um sich selbst machen. Verflucht. Silver fasste sie an der Schulter und zog sie sanft aber bestimmt von der Wand weg, an der sie immer noch lauschte. „Der kommt schon klar.“, flüsterte er. Mit schlechtem Gewissen wandte sich Mireille von der Stelle ab. Sie waren keine fünf Meter weit gekommen, als ein kratzendes Geräusch erklang und der Ritter wieder an seiner Stelle stand.
 

Die beiden Schatzjäger gingen weiter und je tiefer sie in das Gebäudeinnere gelangten, desto kühler schien es auch zu werden. Es herrschte immer noch absolute Stille. Ab und zu wurde diese durch ein tropfendes Geräusch unterbrochen. Sie betraten mehrere Räume, die jedoch verlassen schienen. Wieder durchquerten sie einen Gang, an dessen Ende sich eine Treppe befand. Mireille hielt inne. „Warte, ich höre was.“, flüsterte sie und starrte gebannt auf den Treppenabsatz. Neben ihr herrschte Stille, nur ein leicht klappendes Geräusch ließ sie zu ihm blicken. Jedoch nahm sie nur noch das sich schließende Loch im Boden wahr. Eine Falltür! Verzweifelt stürzte Mireille sich auf den Boden und hämmerte mit ihrer Faust auf dem dicken Gestein herum. Sie versuchte irgendwelche Fugen zu vertiefen und das Loch wieder zu öffnen, in dem er verschwunden war. Leider hatte sie keinen Erfolg dabei. Wie schon bei dem Ritter blieben ihre Bemühungen umsonst. Jetzt lag es an ihr den Blutsauger aufzusuchen und ihm etwas von seinem Blut abzuluchsen. Hoffentlich ging es den Anderen gut.

Die Festung

Mit zögernden Schritten und der Ungewissheit, dass ihre Anwesenheit entdeckt worden sein könnte, stieg sie die steinernen Stufen hinauf. Sie gelangte in einen großen Raum, in dessen Mitte sie einen Sarg erkennen konnte. Es war schummrig hier drinnen und nicht alles war zu überblicken. Die Decke war hoch und wurde von Holzträgern abgestützt. Mireille zückte einen Dolch. Langsam und mit angespannten Sinnen betrat sie den Raum. Es war bis jetzt gut gelaufen, wenn man einmal davon absah, dass sie alleine unterwegs war.
 

Ihre Gedanken waren jetzt nur noch darauf ausgerichtet, so schnell wie möglich das Blut des Vampirs in eine Ampulle zu füllen und sicher mit den Jungs wieder hier raus zu kommen. Bedacht setzte sie einen Fuß vor den Anderen und sah sich hin und wieder um. Ritterrüstungen waren nicht in Sicht; für Falltüren konnte sie nicht garantieren. Schließlich war sie an dem Sarg angelangt. Mit bebender Hand fasste sie an den Deckel, zählte im Stillen bis drei und öffnete ihn dann blitzartig. Mit erhobenem Dolch stand sie da und starrte auf den Inhalt. Er war leer. Nur wo...
 

Ein Schatten löste sich von der Decke über ihr und glitt geräuschlos zu ihr hinab. Erstarrt ließ Mireille den Dolch fallen. Warum hatte sie nicht damit gerechnet? Es war so offensichtlich gewesen, dass es sich um eine Falle handelte. Und nun stand er hinter ihr; ganz dicht und sog den Duft ihrer Haut, ihres Blutes, in sich auf. Als er anfing zu sprechen, zuckte sie zusammen. Seine Stimme war dunkel und hallte leicht von den Wänden wieder. Ihre Nackenhaare stellten sich auf. „Ah, welch angenehm köstlicher Duft.“ Er legte seine kühlen Hände auf ihre Schultern und sie ließ die Arme sinken. Wie eine Salzsäule erstarrt stand sie da, unfähig sich zu rühren.
 

Sie hörte ihr Blut in den Ohren rauschen und ihr Herz schien ihr mit einem Mal unnatürlich laut zu schlagen. „Was verschafft mir die Ehre Eures Besuches?“, fragte er formvollendet. Mireille schwieg. Sie war immer noch zu überrascht, als das sie hätte antworten können. Gut, sie hatte es vorher noch nicht mit einem Vampir zu tun gehabt, doch das bedeutete noch lange nicht, dass sie auf die erstbeste Masche hereinfallen sollte. Und dennoch war es ihr passiert. „Entschuldigt, wie unhöflich von mir. Ich habe mich nicht einmal vorgestellt. Mein Name ist Alexander der II.
 

Wie ist Euer Name?“, hauchte er in ihr Ohr. Sie wollte sich nicht auf eine Konversation mit dem Blutsauger einlassen, dennoch antwortete sie. „Mireille.“, sagte sie leise. Langsam drehte sie sich um und sah ihm direkt in die Augen. Sie waren schwarz wie die Nacht. Kein Zwinkern verriet, dass es sich bei ihm um ein lebendes Geschöpf handelte. „Wie schön du bist.“, sagte er und strich mit seiner kühlen Hand über ihre Wange. Sie ließ es geschehen und wich ihm nicht aus. Die Kälte brannte auf ihrer Haut und doch machte es ihr nichts aus. Von einem auf den anderen Moment stand er am gegenüberliegenden Ende des Raumes. Verwirrt sah Mireille ihn an.
 

Der kurze Augenblick, in dem er sie aus seinem Bann ließ, genügte. „Es ist interessant und äußerst erfrischend ein Vampir zu sein.“, sagte er und drehte sich wieder zu ihr um. „Was hast du mit meinen Freunden gemacht?“, fragte Mireille langsam. „Das sollte dich jetzt nicht mehr interessieren.“, säuselte er und erschien an einem anderen Ort im Raum, als die Schatzjägerin auf ihn zugehen wollte. Er war wirklich schnell. Zu schnell für die junge Frau. „Warum sollte es mich nicht mehr interessieren?“, fragte sie und merkte zu spät, dass er wieder hinter ihr stand. Langsam strich er ihr Haar aus dem Nacken und entblößte seine Zähne.
 

Angeekelt rannte Silver durch die Gänge der Burg. Nachdem er durch die Falltür gefallen war, landete er zunächst auf einem Haufen Skelette und musste dann knietief durch Blut waten. Es war eine Art unterirdische Katakombe gewesen, in die man ihn befördert hatte. Doch der Besitzer der Burg hatte nicht daran gedacht, die Tür mal wieder zu überprüfen. Nach den Jahren des Verfalls war es ein leichtes gewesen, diese aufzubrechen. Nun machte er sich auf die Suche nach seinen restlichen Kameraden. Er rannte durch einen weiteren Gang, als ein schriller Schrei durch das ganze Schloss hallte.
 

„Verdammt.“, zischte er und lief nur noch schneller durch die Gänge. Er versuchte den Geruch von Mireille aufzunehmen und nicht mehr in eine der Fallen rein zu rennen. Doch die Sache wurde dadurch ungemein erschwert, da viel Blut an ihm klebte und seinen Geruchssinn betäubte. Schon preschte er um die nächste Biegung, kam jedoch ins Rutschen. Dann prallte er mit jemandem zusammen. „Fenrill!“, rief er erleichtert aus und die beiden Männer rappelten sich wieder auf. „Los! Wir müssen Mireille helfen!“, sagte er hektisch und machte sich in die andere Richtung davon. Fenrill folgte ihm. Sie gelangten nach oben und noch bevor sie den Raum betraten, kam eine Gestalt aus diesem gelaufen und wankte einmal gegen die Wand. Blut klebte an ihr.
 

„Ich habe es!“, rief Mireille und hielt die Ampulle, die bis zum Rand gefüllt war, hoch. „Los, weg hier!“ zischte sie im Vorbeilaufen. Den Männern war dies nur recht. In dem Raum war ein Mords - Spektakel angeklungen. Irgend etwas wälzte sich über den Boden und versuchte nun die Verfolgung aufzunehmen. Schnell durchquerten sie die Gänge und Säle. Schon bald hatten sie es geschafft, wieder auf den Burghof zu finden. Die Pferde wieherten unruhig und tänzelten auf der Stelle. Ihre Reiter erschienen an ihrer Seite, banden sie los und sprangen auf. Froh darüber, endlich frei zu sein, preschten sie durch den Burghof, über das Falltor und hinein in den sicheren Wald.
 

Erst als sich die Herzen der Reiter beruhigt hatten, schlugen sie ein ruhigeres Tempo an. Die Sonne stand kurz vor dem Zenit. Keuchend sahen die Drei sich an. „Wie siehst du denn aus?“, fragte Fenrill Mireille. Überrascht sah sie an sich hinab. Sie war über und über mit Blut bedeckt. „Ist nicht von mir, keine Bange.“, sagte sie schnell und deutete mit einem Grinsen zu Silver, der bis zu den Knien dunkelrot war.

Erwischt

Nach einiger Zeit erreichten sie einen See, in den sie mitsamt der Pferde hinein ritten. Die Tiere freuten sich über die willkommene Abwechslung und die Reiter konnten sich das Blut und den Schmutz der vergangenen Tage abwaschen. Völlig erledigt lagen letztere nach dem Bad am Ufer und nahmen ein Sonnenbad. Die Sonne glitzerte auf der Wasseroberfläche. Einige Enten badeten etwas entfernt in dem kühlen Nass. „Wir sollten bald weiter.“, sagte Mireille mit immer noch geschlossenen Augen. Der Wind ließ sie leicht frösteln. „Immerhin müssen wir eine Prinzessin entführen.“, grinste sie.
 

„Du willst sie entführen? Warum? Machen wir es wie bei dem Vampir.“, schlug Silver vor. Mireille sah ihn an. „Das geht nicht. Füllen wir ihr Blut in eine Ampulle stirbt es ab. Das Blut des Vampirs ist bereits tot. Deshalb macht es nichts aus. Aber wir brauchen auch Blut des Lebens.“, erklärte ihm die Schatzjägerin bereitwillig. Sie rückte ihren Kragen zurecht und holte etwas zu essen aus den trocken gebliebenen Satteltaschen. So nahmen die Reiter eine kurze Mahlzeit ein und machten sich dann wieder auf den Weg. Sie wussten, wo sie eine Prinzessin in der Nähe des Argas - Kraters finden würden.
 

So war es einfacher, sie von dort aus gleich mitzunehmen (wie einen Schnellimbiss ^,^). Etwas schwieriger würde es werden eine verwöhnte Prinzessin mit lauter Stimme aus einem Schloss voller Wachen unentdeckt zu befördern. Doch auch das sollte hinzukriegen sein. Die Pferde liefen leicht voran. Sie merkten, dass ihren Reitern bereits ein Teil ihrer Aufgabe gelungen war und deshalb wieder frohen Mutes waren. Silver jedoch warf Mireille unauffällig einen aufmerksamen Blick zu. Ein musternder und prüfender Blick. Die Schatzjägerin nahm es zur Kenntnis; ihr war nicht ganz wohl bei dem Gedanken, er könnte etwas bemerkt haben. So trieb sie ihr Pferd kurzerhand an und ritt neben ihm her.
 

Die beiden schwiegen und sahen sich nicht an, während sie Fenrill zuhörten, was ihm in der Burg geschehen war. Ihm war es ähnlich ergangen wie Silver, doch er musste nicht knietief in Blut waten. Er musste sich durch eine Art kleines Labyrinth kämpfen. Hier und da hatten Fal- len auf ihn gewartet. Doch da er sich mit solchen Hindernissen auskannte, wie er es selbst nannte, war er schnell draußen und hatte sich auf die Suche nach ihnen gemacht.

Am Abend schlugen sie eine längere Rast ein. Am Lagerfeuer brieten sie etwas Fisch, den sie in dem See gefangen hatten. Es schmeckte köstlich. Als sie fertig mit dem Essen waren, schau- ten sie noch einmal nach den Pferden. Anschließend wollten sie schlafen gehen. Mireille wollte mit der ersten Wache anfangen.
 

Fenrill wollte protestieren, doch Silver nickte ihm nur zu. „Wenn sie will, dann lass sie.“, entgegnete er. Der Jäger als auch Mireille sahen ihn überrascht an, da Silver bis jetzt immer der letzte gewesen war, der ihr in irgend etwas zugestimmt hatte. Zufrieden trollten sich die beiden Männer in ihre Decken. Als Kissen hatten sie den Sattel ihres Reittiers genommen. Mireille schauderte einmal, als ein Windzug sie streifte und hielt die Hände schnell an das Feuer. Erst nach einiger Zeit kroch die wohlige Wärme ihre Arme hinauf. Doch ein Schmerz brannte in ihr auf wie das Feuer selbst und sie zog die Hände von der Feuerstelle weg. Sie nahm einen der Wasserbeutel und verschwand mit ihm in der Dunkelheit. Fenrill und Silver schliefen unterdessen bereits.
 

Nicht weit von ihrem Lager entfernt, fiel Mireille auf die Knie. Sie keuchte. Dann füllte sie etwas von dem Wasser in ihre bebende Handfläche und bedeckte mit dem kühlen Nass ihre Wunde. Es brannte und ihr Gesicht verzog sich schmerzerfüllt. Ihre Hände zitterten, als sie diese vor sich hielt. Hinter ihr raschelte etwas. Erschrocken drehte sie sich um und es war Silver, der vor ihr in dem Dunkel erschien. „Was machst du?“, fragte er mit seiner samtenen Stimme, wie sie sie nur selten bei ihm hörte. „Ich, ähm... wollte nur mal kurz, na du weißt schon... austreten...“, erklärte sie ihm beklommen. Geschmeidig wie eine Raubkatze ging er auf sie zu und kniete sich vor sie hin. Mireille nahm seinen Geruch wahr, den sie als nicht unangenehm empfand. Verwirrt sah sie ihn an.
 

Er streckte eine Hand vor und berührte ihre Wange. „Was machst du?“, fragte sie verdutzt, genoss seine Berührung jedoch. Er schwieg. Seine Hand war warm und sie erschauerte. Ihre Wunde brannte auf, doch sie versuchte sich nichts anmerken zu lassen. Silver registrierte allerdings, dass sie sich anspannte. Er kam ihr ganz nah, sodass sie seinen Atem auf ihrer Haut spüren konnte. Seine Hand glitt nach unten und noch bevor sich Mireille ihm mit einem erschreckten Quieken entziehen konnte, hatte er sie schon zu Boden gedrückt. „Ich wusste es doch.“, sein Gesicht hatte sich verfinstert. „Warum hast du uns nichts gesagt?“ Die Schatzjägerin wimmerte. Die Schmerzen waren unerträglich. Silver sprang auf und zerrte sie grob zurück zum Lager.
 

„Fenrill, wach auf!“, herrschte er den Schlafenden an, der alsbald hellwach war und die beiden verwundert ansah. „Was is’n los?“, fragte er schlaftrunken und sah auf Mireille, die sehr bleich in dem Schein des Feuers aussah. „Das ist los!“, sagte er und riss ihr den Mantel von den Schultern. Der hohe Kragen hatte es gut verdeckt, doch nun sah man die Bissmale an ihrem Hals deutlich. Sie waren gerötet und schienen ihr Schmerzen zu bereiten. „Warum hast du es uns nicht gesagt?“, fragte nun auch Fenrill. Es zeichnete sich ein leicht enttäuschter Gesichtsausdruck auf seiner Mimik ab. „Ich... es.... es sollte euch nicht belasten.“, presste sie zwischen ihren Lippen hervor.
 

„Gut.“, herrschte Silver sie an. „Gibt es sonst noch irgend etwas, dass uns nicht belasten sollte?“ Mireille nickte zögerlich. „Er... er ruft nach mir.... er sucht mich.... ich kann es spüren!“, ihre Stimme versagte und sie schnappte nach Luft. Fenrill war aufgesprungen. Mireille war auf den Boden gesunken und gab würgende Laute von sich, als wenn eine unsicht- bare Hand ihr die Kehle zuschnüren würde. Hilflos beugten sich die Beiden über sie. Es sah aus, als würde sie mit einem unsichtbaren Feind um ihre Atemluft ringen. Fenrill schüttelte sie an den Schultern. „Mireille! Hey!“, er klang verunsichert und ängstlich zugleich. Silver schlug ihr einen Schwall Wasser in das Gesicht. Mit einem Schlag hörte ihr Keuchen auf und ihr Kopf sackte zur Seite.
 

Sofort prüfte Silver, ob sie noch lebte. Beruhigt konnte er feststellen, dass ihr Herz schlug und sie wieder normal atmete. Erleichtert setzten sich die Männer an das Feuer, nachdem sie Mireille, in eine Decke gehüllt, schlafen gelegt hatten. „Wird sie sich verwandeln?“, fragte Fenrill schließlich. „Ich denke nicht. Zumindest müsste sie dafür auch sein Blut trinken. Deshalb sucht er sie wahrscheinlich. Hätte sie von seinem Blut getrunken, wäre die Verwand- lung schon weit voran geschritten. Wahrscheinlich hätte sie Verbrennungen in der Sonne er- litten, oder so. Deshalb denke ich, dass sein Biss ihr lediglich zu schaffen macht.“

Hilfe

Am nächsten Morgen brachen die Reiter früh auf. Mireille sah krank aus, da sie sehr blass war. Mit Müh und Not hievte sie sich in den Sattel. Ihre Kraft schien aus ihr gewichen zu sein. Dies änderte sich auch im Laufe des Tages nicht. Sie schwieg und aß so gut wie nichts. Silver und Fenrill berieten sich leise. Gegen Mittag legten sie erneut eine kurze Rast ein. Nun verweigerte Mireille die Mahlzeit ganz. Ihr Magen fühlte sich an, als wenn er aus einem einzigen Knoten bestehen würde.
 

Nichts wollte in ihn hinein. Obwohl die Sonne schien, war ihr kalt und sie saß fröstelnd in ihrem Mantel an der Lagerstelle. Die Männer sahen sich besorgt an. Kurze Zeit später ging es weiter. Mireille brauchte mehrere Anläufe, um auf den Rücken des Pferdes zu steigen. Sie fühlte sich leer, nutz- und kraftlos. Am Nachmittag setzte wieder ein leichter Regen ein. Als sie eine Weile geritten waren, trieb die junge Frau ihr Pferd mit Mühe und Not an, sodass sie neben Silver her ritt. „Was soll das?“, fragte sie kraftlos. „Das ist nicht der Weg zum Königshaus.“ Silver und Fenrill sahen sich an. „Wir reiten auch nicht hin.“, entgegnete der Schatzjäger vorsichtig. Mireille zog eine krause Stirn. „Warum nicht?“, ihre Stimme war lauter geworden.
 

„Weil wir dich erst zu jemandem bringen, der dir helfen kann.“, entgegnete Silver. „Ich brauche keine Hilfe!“, antwortete Mireille harsch. „Doch, die brauchst du. Sieh dich doch mal an! Du siehst schon aus, als wenn du eine von ihnen wärst. Außerdem bist du schwach und nicht bei Sinnen. Sonst wäre dir nämlich schon längst aufgefallen, dass wir seit vergangener Nacht nicht mehr auf dem richtigen Weg sind!“ Silver war wütend. Einerseits machte er sich Sorgen, andererseits ärgerte es ihn, dass sie seine Hilfe nicht annehmen wollte. „Das ist nicht wahr! Mir geht es gut!“, japste Mireille. Ihre Pferde gingen nun im Schritt nebeneinander her. Die beiden Männer sahen sich erneut an. „Silver!“, sagte Fenrill hastig, doch als dieser den Kopf wieder umwandte, sackte Mireille bereits seitlich vom Pferd und fiel auf den Boden. „Mist!“, zischte er, zügelte sein Reittier und sprang herunter. Er beugte sich über die Schwarzhaari- ge, die ohnmächtig geworden war.
 

Eine alte Frau saß in ihrem Sessel am Kamin. Vor ihr befand sich ein kleiner Tisch, auf dem eine Tasse mit einer dampfenden Flüssigkeit stand. An der Decke hingen Kräuter zum Trocknen. Auf einem Regal an der Wand standen etliche Gläser, Ampullen und Behältnisse. Zudem befanden sich ein Bett, sowie eine Liege in dem Raum. Ein Schreibtisch war Zweck entfremdet worden, da auf ihm weitere Kästen mit Kräutern und anderen Inhalten standen. Der Regen prasselte von draußen auf das Dach. Dieser Tag schien etwas neues mit sich zu bringen, sie spürte es. Gemächlich erhob sie sich und trat nach draußen auf eine überdachte Veranda. Sie konnte vor sich auf ein Stück Wald blicken.
 

Rechts von ihr lag eine hügelige Landschaft, auf die sie hinab blicken konnte. Sie wollte sich gerade wieder abwenden, als ihr Blick auf einen kleinen Trupp von Reitern fiel. Es waren zwei Männer, die ein drittes Pferd neben sich führten. Ihre Auren pulsierten und waren rein. Unter dem Mantel des einen Mannes lag eine junge Frau, der es nicht gut zu gehen schien. Ihre Aura strahlte etwas verstörendes aus. Die Alte begriff sofort und ging auf die Reiter zu. „Bitte, weise Tera, hilf uns.“, begrüßte Silver sie. Mireille rührte sich nicht in seinen Armen. „Kommt.“, sagte die alte Frau schnell und half ihnen Mireille sicher von dem Pferd zu heben. Dann brachten sie sie in die Hütte.
 

Tera sah sie sich genauer an. „Sie wurde...“, begann Fenrill, jedoch schnitt sie ihm mit einer Handbewegung das Wort ab. Es herrschte kurze Zeit Stille. Nur das Prasseln des Feuers war zu hören. Dann wandte sich Tera ab, nahm zwei Tassen und füllte ebenfalls Tee in sie hinein. Sie drückte sie den Männern in die Hand und schob sie zur Tür hinaus. „Wartet hier.“, sagte sie. Jedoch bevor sie die Tür ganz schloss, öffnete sie diese erneut. „Ach, und Silver, egal, was ihr hört, kommt nicht hinein.“ Der Angesprochene nickte. Fenrill sah ihn an, als sich die Tür endgültig schloss. „Woher weiß sie deinen Namen?“, fragte er verwirrt. Mit einem unergründlichen Blick starrte dieser hinaus in den Regen. „Tera weiß alles, vergiss das nie. Lügst du sie an, stirbst du. Sagst du die Wahrheit, hilft sie dir eventuell. Wir haben Glück, dass sie heute gute Laune hat.“, entgegnete der Schatzjäger.
 

„Und du meinst, sie kann Mireille helfen?“, fragte Fenrill. Silver seufzte. „Wenn nicht sie, dann niemand.“ In der Hütte erklang ein spitzer Schrei. Fenrill zuckte zusammen. Sein Blick wurde unsicher. „Sollten wir nicht vielleicht doch lieber nachsehen, was sie mit ihr anstellt?“ Sein Gegenüber schüttelte mit dem Kopf. „Nein, das ist nicht nur eine Prüfung für Mireille.“ Fenrill verstand. Die Männer setzten sich mit dem Rücken an die Wand gelehnt und schlossen die Augen. Hin und wieder ertönten einige Laute an ihre Ohren. Manchmal klang es wie ein Röcheln, dann wie erstickte Schreie und zwischendurch, als wenn ein heftiger Kampf innerhalb der Hütte stattfinden würde.
 

Fenrill öffnete die Augen und sah zu Silver. Er hatte die Augen geschlossen und einen ange- strengten, verschlossenen Gesichtsausdruck aufgelegt. Vereinzelt nippte er an seinem Tee, der erstaunlich lange warm in der Kälte blieb. Hoffentlich würde es Mireille nach dieser Prozedur besser gehen. Die Pferde standen im Regen und ließen die Köpfe hängen. Ihre Sättel hatten die Männer zwischenzeitlich abgenommen und auf die Veranda gelegt. Eines der Pferde schüttelte sich und gähnte einmal. Bei einem weiteren Schrei aus der Hütte zuckten alle zusammen und hoben wachsam die Köpfe.
 

Jedoch beruhigten sie sich wieder. Eine schwere Stille legte sich über alles. Der Regen prasselte auf die Erde nieder und hin und wieder regten sich die Pferde. Gegen Abend hatte es aufgehört zu regnen. Nacheinander schüttelten sich die Reittiere und sahen wie begossene Pudel auf die Veranda, wo die beiden Männer immer noch im Trockenen saßen. In den letzten Stunden war es ruhig geworden. Schon bald wurde es dunkel. Leise öffnete sich die Tür und die Männer sahen auf. Tera lugte heraus. „Ihr könnt jetzt rein kommen. Aber bitte seid leise.“, sagte sie gedämpft. Mireille lag auf der Liege in einer dunklen Ecke. Sie war in eine dicke Decke gewickelt und rührte sich nicht.
 

Ihre Mimik war nicht zu erkennen. Fenrill wollte zu ihr hingehen, doch er wurde von der alten Frau abgehalten. „Lasst sie jetzt bitte schlafen. Sie hatte einen anstrengenden Tag. Morgen könnt ihr zu ihr.“ Die Männer nickten. Auf dem Boden lagen zwei Matratzen ausgebreitet. „Legt euch jetzt schlafen. Morgen sieht die Welt schon viel besser aus.“ Widerstandslos taten die Beiden, wie ihnen geheißen und legten sich hin. Sie waren mit einem Mal wirklich sehr müde und die angenehme Wärme aus dem Kamin tat ihren Rest.

Der Weg ist das Ziel

Mitten in der Nacht wurde Silver wach. Irgend etwas beunruhigte ihn, doch er wusste im ersten Moment nicht, was es war. Er richtete sich auf und sah sich in dem Zimmer um. Der Mond schien von außen herein. Tera schlief in ihrem Bett. Er sah auf die Liege in der dunklen Ecke, konnte aber weder Umrisse noch sonst etwas erkennen. Wie es Mireille wohl ging? Tera würde sicher nichts dagegen haben, wenn er jetzt schon einmal zu ihr ging. Leise stand er auf und durchquerte den Raum. Er kam an der Liege an; sie war leer. Entsetzt durchwühlte er die Decke, doch auch darunter konnte er die junge Frau nicht finden. „Tera!“, rief er in die Stille. Die Alte wachte auf und sah ihn an.
 

„Er hat nach ihr gerufen... und sie ist dem Ruf gefolgt! Findet sie! Rasch!“, befahl sie und Fenrill und er verließen das Haus. In dem nassen Boden fanden sie schnell die Spuren, die sie suchten und folgten ihnen in den nahen Wald. Es war ganz still; alle Lebewesen schienen ge- flohen zu sein. „Sie ist in der Nähe, ich kann sie riechen.“, sagte Silver und rannte voraus. An einer Lichtung hielten sie inne. Mireille stand da und sah in den nächtlichen Himmel, der über und über mit Sternen bedeckt war. Eine schwarze Gestalt landete neben ihr und umkreiste sie einmal. „Ah, habe ich dich endlich gefunden.“, hauchte er. Mireille sah ihn an, als wenn sie unter einem Bann stehen würde.
 

Dann näherte er sich ihr. „Lass deine dreckigen Finger von ihr, du Blutsauger!“, rief Silver und die Beiden stürzten los. Fauchend fuhr der Vampir herum und stellte sich vor die Schatz- jägerin. „Stopp!“, rief jemand hinter ihnen. Abrupt hielten sie an und wandten sich um. Der Vampir fauchte noch lauter. Hinter den Jägern erschien Tera. Wie sie es geschafft hatte, so schnell bei der Lichtung zu sein, war ihnen schleierhaft. „Weiche von ihr, Dämon!“, rief sie und streckte ihre Arme nach vorne. „Altes Weib, du hast nicht die Macht mir zu sagen, was ich tun soll.“, höhnte der Vampir. Sie schloss ihre Hände zu einer Faust und riss sie hinunter auf den Boden. Erschrocken schrie der Blutsauger auf, als ihm klar wurde, dass sie genau das konnte.
 

Sie besaß Macht über ihn und würde ihn auslöschen. Mit einem erstickten Schrei riss er sich los aus ihrem Bann und entschwand in die Nacht. Mireille stand regungslos da. Die Männer rannten zu ihr. Es war, als wenn sie aus einem Traum erwachte. „Was ist los?“, murmelte die Schwarzhaarige. „Wo bin ich?“, verwirrt sah sie sich um. „In Sicherheit.“, grinste Fenrill. „Wir erklären dir alles später.“, sagte Silver knapp angebunden und wandte sich um. Tera war jedoch schon wieder verschwunden. „Lass uns zurück gehen.“, schlug er vor und ging voraus. „Was ist mit ihm los?“, fragte Mireille Fenrill verwirrt, doch dieser sah sie ebenso ratlos an und schüttelte mit dem Kopf. Dann gingen sie zurück durch den Wald und hin zur Hütte.
 

Silver war zuerst an dem Haus. Tera wartete auf der Veranda. „Warum hat es nicht geholfen?“, fragte er hitzig. „Es hat geholfen. Doch ihr Körper hat immer noch einen Rest von ihm in sich. Das heißt, dass erst nach und nach sein Bann aus ihr entfliehen kann.“, erklärte sie. Silver kochte. „Das hättest du mir ruhig früher sagen können.“, knurrte er beleidigt. „Es ist doch alles gut gegangen, nicht, Jungchen? Da könntest du schon ein wenig dankbarer sein.“, erklärte sie ruhig. „Natürlich. Danke, Tera.“, er neigte den Kopf, als würde er sich seiner vorherigen Worte schämen. Als er den Kopf anhob, folgte er ihrem Blick. Fenrill und Mireille kamen gerade aus dem Wald heraus.
 

Der Jäger stützte sie und erzählte ihr wahrscheinlich gerade einen seiner Witze. Mireille lächelte. Das erste Mal seit Tagen. Silver wollte zu ihnen gehen, doch Tera hielt ihn zurück. „Sei nicht eifersüchtig auf ihn.“, tadelte sie. Verdutzt sah der junge Mann sie an. „Ich bin nicht...“, begann er, doch Tera schüttelte nur schmunzelnd den Kopf. „Vergiss es, Silver. Du kannst einer alten Frau wie mir nichts vormachen.“ Schnell wandte er sich ab und stellte sich an die andere Seite der Veranda, von der aus man direkt in den Wald sehen konnte. Tera ging in das Haus und fing an Wasser aufzusetzen. Etwas später saßen sie alle in der Hütte und tranken heißen Tee.
 

Als jeder seinen Becher geleert hatte, legte man sich noch einmal schlafen, um noch ein paar Stunden Erholung zu haben. Die Reiter waren schon früh auf den Beinen und Mireille ging es sichtlich besser. Sie bedankte sich vielmals bei der weisen Frau. „Wie kann ich das jemals wieder gutmachen?“, fragte sie ehrlich. Silver und Fenrill warteten bereits auf den Pferden. „Sagen wir einfach, du schuldest mir einen Gefallen. Wenn du mit deinen Freunden am Ende dei- nes vorher bestimmten Weges angekommen bist, dann erscheine wieder bei mir.“ Mireille nickte und sah ein letztes Mal in das geheimnisvolle Gesicht ihrer Retterin. Dann stieg auch sie auf. „Ich werde wieder kommen.“, versprach sie. Die Reiter trieben ihre Pferde an und ver- schwanden in dem gleißenden Licht der aufgehenden Sonne. Noch etwas blass ritt Mireille zwischen den Jägern; ihren Freunden. „Ich danke euch.“, brachte sie hervor und lächelte.
 

Am Nachmittag diesen herrlichen Tages machten sie eine erste Rast. Silver bemerkte zufrieden, dass wieder etwas Farbe in Mireille‘ s Gesicht zurückgekehrt war. So saßen sie in einem klei- nen Gasthof und nahmen eine warme Mahlzeit zu sich. Die erste seit langem. Die Drei hatten sich in einen ruhigen Bereich zurück gezogen. „Wir sollten über einen Plan nachdenken, wie wir die Prinzessin am besten entführen können, ohne dass sofort jeder davon erfährt.“, schlug Fenrill vor. Die beiden anderen nickten. Und so wurde während des Essens über einem möglichst sicheren Plan gebrütet.
 

Hin und wieder gab es einiges Kopfschütteln, Nicken und empörtes Angucken, doch letztendlich einigte man sich. Als der Gasthof sich füllte, beschlossen sie weiter zu reiten. Es war nicht mehr weit und sie schafften es zudem noch einige Besorgungen in dem Dorf zu machen. Auch Silver hatte nicht mehr den sauren Gesichtsausdruck aufgelegt. Seine harten Züge hatten sich etwas entspannt. Mireille prüfte noch einmal, ob wirklich alle Wasserbeutel gefüllt waren, dann wandten sich die Reiter nach einiger Wegzeit von dem steinigen Pfad und der kargen Land- schaft ab. Die Schritte der Pferde waren kaum noch zu vernehmen auf dem heißen Wüstensand.
 

Es war die Wüste der ewig brennenden Sonne. Das Land des niemals untergehenden Feuerballs. Es gab einen Weg zu dem Königshaus, das sie suchten, aber dann mussten sie um die Wüste herum- reiten, was sie viele Tage an Zeit gekostet hätte. Die zusätzlichen Gefahren nahmen sie gerne in Kauf. Fenrill berichtete, er wäre einmal durch eine ähnliche Wüste gewandert und kenne sich mit den Gegebenheiten aus. Silver und Mireille vertrauten ihm. Ihre bisherige Reise hatte die Drei zu einem eingeschworenen Team zusammengeschweißt.

Königreich der niemals untergehenden Sonne

Des Abends saßen sie an einem Lagerfeuer. Die Sonne stand dicht über dem Horizont, jedoch würde sie nicht endgültig untergehen. Es wurde dennoch etwas kühl. „Kann ich dich was fragen?“, wandte Silver sich an Mireille. Sie nickte und sah ihn aufmerksam an. „Warum musst du für diese Organisation arbeiten? Du kannst uns vertrauen, dass weißt du. Und wir vertrauen dir. Dennoch würde ich gerne wissen, wofür du das alles auf dich nimmst.“ Überrascht sah Mireille ihn an.
 

Als sie antwortete, senkte sie den Kopf. „Die Organisation hat jemanden gefangen, den ich sehr liebe. Wenn ich nicht tue, was sie sagen, wird er sterben. Sein Name ist John.“, sagte sie leise und ein Ausdruck von großem Kummer trat auf ihr Gesicht. Nach kurzem Zögern antwortete Silver. „Dann werden wir dir helfen ihn zu befreien.“ Fenrill nickte und ein Lächeln huschte über Mireille‘ s Gesicht. „Ich werde mich noch ein wenig hinlegen.“, erklärte sie und legte sich etwas abseits des Feuers auf eine Decke. „Heute Nacht werden wir sowieso

nicht weiter reiten. Es ist gefährlich um diese Tageszeit die Wüste weiter zu durchqueren,

auch wenn es nicht vollends dunkel wird.“, ließ Fenrill verlauten. Silver stimmte ihm zu und nahm einen Schluck aus dem Wasserbeutel.
 

Er sah noch einmal nach den Reittieren und legte sich dann ebenfalls hin. Fenrill begann mit der Wache und sollte später von Silver abgelöst werden. Der Wind zerzauste ihm leicht das Haar und ließ die Funken aufstieben.

Mireille öffnete die Augen. Jemand schüttelte sie leicht an der Schulter. „Mireille, steh auf.“, sagte die freundliche Stimme von Fenrill, der ebenfalls gerade aufgestanden war. Silver hatte ihn geweckt und wollte sich dann um die Pferde kümmern. „Danke.“, sagte sie und setzte sich auf. Als sie sich schüttelte, versank sie in einer Wolke aus Sand. „Oh man.“, hustete sie. „Wenn wir hier raus sind, brauche ich erst einmal eine vernünftige Dusche oder ein Bad.“, fluchte sie. Fenrill grinste, während er das Feuer löschte. Schließlich stand sie ganz auf und klopfte den Sand aus ihrer Kleidung.
 

Silver hatte die Pferde unterdessen gesattelt und saß nun abreisebereit vor ihnen im Sattel. Mireille nahm noch einen Schluck aus dem Wasserbeutel, bevor sie diesen in eine der Sattel- taschen legte. Silver drückte ihr die Zügel ihres Pferdes in die Hand und schon saß die Schwarzhaarige im Sattel. Fenrill war der letzte, der aufstieg. „Wir dürften heute gegen Mittag an unserem Ziel ankommen.“, er und Silver grinsten sich an. Mireille rollte mit den Augen. Na das konnte ja noch heiter werden. Warum gab es nur keinen besseren Plan? Ach, war ja auch egal. Wieso sollte sie einem Mann die Aufgabe überlassen, wenn eine Frau es doch viel besser machen konnte?

Eine Zeit lang waren sie bereits geritten und die Sonne briet erbarmungslos vom Himmel herab. Die Dünen der Wüste schienen immer höher und steiler zu werden. Wieder nahm Mireille einen Schluck aus dem Wasserbeutel; er war schon so gut wie leer.
 

„Was meinst du, wie lange dauert es noch, bis wir da sind?“, wandte sie sich an Fenrill. Silver ritt etwas weiter vorne. „Es dürfte nicht mehr lange dauern.“, sein Blick wandte sich dem Vorausreitenden zu, der nun umkehrte. „Wir sind da. Hinter der Düne liegt es.“, sprach Silver. Triumphierend grinste Fenrill. „Also gut, meine Person wird verlangt.“, Mireille zügelte ihr Pferd und sprang aus dem Sattel. Dann drehte sie es so zu den Männern, dass es zwischen ihnen stand. „Und wehe, wenn einer schmult.“, drohte sie und zog etwas aus einer weiteren Satteltasche.

Die Palastwache staunte nicht schlecht, als drei Reiter auf sie zugeritten kamen. Es waren zwei Männer und eine Frau. Kurz vor dem Tor hielten sie an. „Was wollt ihr hier?“, fragte einer der Wachleute und trat ein wenig näher.
 

Sein Blick musterte die schwarzhaarige Schönheit, die in einem orientalischen Gewand gefesselt im Sattel saß. Ihr offenes Haar bewegte sich leicht in dem Wind. Ein Schleier verdeckte die untere Gesichtshälfte. „Wir kommen von weit her und bringen euch diese Sklavin. Man erzählt sich, euer König ist an dunkelhaarigen Schönheiten interessiert.“, sprach Silver, der die Zügel von Mireille‘ s Pferd in der Hand hielt. „Vielleicht können wir ins Geschäft kommen.“, schlug der Schatzjäger vor. Die Wache nickte. „Öffnet das Tor!“, rief er. Es dauerte einen kleinen Moment, dann schwang das Tor langsam nach außen auf. „Kommt herein.“, bat die Wache sie.
 

Silver trieb sein Pferd an. Die anderen beiden folgten ihm. Zunächst kamen sie in einen klei- nen Vorhof, der durch ein weiteres Tor von dem eigentlichen Palast getrennt war. Dieses schwang ebenfalls auf und gab einen einmaligen Blick auf die Pracht des Herrschaftssitzes frei. Bewundernd ritten die Drei weiter. An einer Stallung wurden sie gebeten abzusteigen. Noch bevor die Männer Mireille aus dem Sattel hieven konnten, schwang diese das rechte Bein über den Pferdehals und sprang elegant auf den Boden. Silver packte sie etwas herber am Arm und fing sich dafür einen grimmigen Seitenblick ein. „Bitte führt uns zu Eurem König.“, äußerte er. Die Wachen nickten. So wurden die Drei von zwei Wachen begleitet und tief in den Palast hinein geführt.
 

Schließlich standen sie vor einer großen, massiven Tür. Der Wachmann klopfte zweimal an. So- fort wurde geöffnet und der Weg in den Thronsaal wurde frei. „Tretet ein.“, sagte ihnen der Wachmann und folgte ihnen. „Aah, wie schön, dass ihr da seid. Man hatte mir schon von euch berichtet, als ihr noch vor meinen Toren standet. Kommt näher.“, freute sich der König. Er war unverkennbar an einer Krone und einem langen Umhang zu erkennen und der Tatsache, dass er auf dem Thron saß. „Vielen Dank, dass ihr uns eingelassen habt und uns Eure Gastfreundschaft gewährt.“ Er kniete sich kurz vor dem Thron hin, ebenso wie Fenrill. Mireille tat es ihm, mit gespieltem Widerwillen, gleich. „Wie ich sehe, hat die Wache nicht gelogen, als sie sagte, dass ihr mit einer wahren Schönheit zu mir kommt.“
 

Silver nickte und zog der Schwarzhaarigen den Schleier vom Gesicht herunter. Der König kam näher und musterte sie von Kopf bis Fuß. „Hmm, sie ist etwas schmutzig.“, bemerkte er. „Wir haben einen langen Ritt hinter uns.“, erklärte Silver entschuldigend. „Nun gut. Dann wird sie sogleich ein Bad erhalten. Ich nehme sie. Wache! Badet das Mädchen und bringt sie heute Abend auf mein Zimmer. Und wir unterhalten uns über den Preis, einverstanden?“, schlug er vor. Silver und Fenrill sahen Mireille nach, wie sie von den Wachen gepackt und aus dem Saal ge- zerrt wurde. „Wenn Sie mir nun folgen würden, meine Herren.“ Der König trat durch einen Vor- hang auf einen weit ausladenden Balkon. Ein Tisch mit Speisen und frischen Getränken stand für sie bereit. Sie nahmen auf Geheiß des Herrschers Platz. „Und nun erzählen Sie mir von ihren Reisen und woher sie kommen.“ Silver begann und schon bald waren sie in ein Gespräch über edle Pferde vertieft.
 

Mireille wurde in ein warmes und von Dunstschwaden durchzogenes Zimmer gebracht. Die Wachen ließen sie los und übergaben sie an Frauen, die vermutlich zu dem königlichen Harem gehörten. Mit einem bestimmten Wink wurden die Männer hinaus geschickt. Dann sollte Mireille sich aus- ziehen. Zögerlich tat sie, wie ihr aufgetragen wurde, auch wenn es ihr unangenehm war. Zu- nächst wurde ihr ein Eimer Wasser über den Kopf gekippt und sie mit Bürsten abgeschrubbt. Die Borsten waren nicht sehr weich und schon bald brannte ihre Haut und wurde krebsrot. Als die Frauen zufrieden waren, zogen sie die verärgerte Schatzjägerin hinter sich her.
 

Erst jetzt bemerkte sie, dass sie nur in einem Vorraum des Bades gewesen war. Vor ihr tat sich ein großes Becken mit heißem Wasser auf, von dem sie jedoch nur einen kleinen Teil wegen der aufsteigenden Dunstschwaden erkennen konnte. Auf der Oberfläche schwammen viele verschie- dene Blütenblätter und das Wasser roch angenehm aromatisch nach Rosen. „Komm schon.“, forder- te sie eine Jüngere auf und zog sie an der Hand hinter sich her in das warme Badewasser. Das Wasser prickelte angenehm auf der Haut. Mit einem entspannten Gesichtsausdruck tauchte sie unter die Oberfläche.

The journey must go on

Die Sonne neigte sich dem Horizont zu und die Männer hatten sich auf einen Preis geeinigt. Zehn goldene Münzen, sowie ein Pferd aus des Königs Stall ging in den Besitz der beiden „Händler“ über. Anschließend hatte man noch gespeist und getrunken. „Sie werden nun in ein Zimmer gebracht, was sie diese Nacht gerne bewohnen dürfen.“, schlug der König ihnen vor. „Sehr freundlich. Danke. Aber wir möchten wieder weiter reisen. Es hält uns nie lange an einem Ort.“, erklärte Silver. „Wie Ihr möchtet.“, nickte der Herrscher. Dann erhoben sie sich und gingen zurück in den Saal.
 

Dort verabschiedete und bedankte man sich. Die Pferde standen bereit, ebenso wie das Vierte aus dem königlichen Stall. Zufrieden saßen die beiden Männer auf und verließen den Hof. Jetzt lag es an Mireille, dass sie ihre Sache richtig machte.

Die Schatzjägerin war von den Frauen mit frischen Sachen eingekleidet worden, nachdem ihre Haut mit einer wohlriechenden Creme eingerieben worden war. Anschließend hatten sie ihr Haar gekämmt und zu einer Hochsteckfrisur aufgesteckt. „Sehr schön. Jetzt bist du fertig.“, erklärte eine der Frauen zufrieden.
 

„Danke.“, sagte Mireille höflich, auch wenn sie sich in ihren neuen Sachen nicht sehr wohl fühlte. Sie waren ihr eindeutig zu zugig. Eine der Türen ging auf und eine Wache erschien. „Der König will dich sehen.“, sagte er an Mireille gewandt. Jetzt schien es los zugehen. Hoffentlich lief alles wie am Schnürchen. „Viel Glück.“, sagte eine der Frauen. Die Schwarzhaarige bedankte sich und verschwand durch die ihr offen gehaltene Tür. Im Flur war es etwas kühler und sie schlang die Arme um ihren Oberkörper. Durch eine geschickte Gesprächstaktik hatte sie bei den Frauen schnell herausgefunden, wo die Prinzessin war. Jetzt musste sie nur noch an den Wachen und dem König vorbei.
 

Die Wachen gingen neben ihr her und führten sie schließlich in ein prunkvolles Gemach. Sie schlossen die Tür wieder hinter sich und ließen Mireille alleine zurück. Das große Bett war mit einem Seiden – Baldachin behängt worden, unter dem sie eine Person ausmachen konnte. „Komm näher.“, sprach er und Mireille gehorchte, während sie die Fingerknöchel einmal knacken ließ. Jetzt ging es also wirklich los. Die junge Frau ging anmutig um das Bett herum und blieb vor dem König stehen. Wiederum musterte er sie von oben bis unten. Mit einem Wink seiner Hand ließ er sie näher kommen.
 

Zu überrascht, als das er hätte schreien können, war er, als Mireille sich auf ihn stürzte. Sie drückte mit ihren Fingerkuppen bestimmte Stellen an seinem Hals, sodass er augenblicklich in sich zusammen sackte. „Schlaf schön.“, hauchte sie ihm ins Ohr und trat vom Bett zurück. Schnell kletterte sie an einem der Fenster hinaus und balancierte auf einem schmalen Sims, während sie sich kurz orientierte. In einiger Entfernung im nächsten Stock sah sie den beschriebenen Balkon, der in das Gemach der Prinzessin führen sollte.

Eine Spieluhr spielte auf einer edlen Kommode. Zu dem Lied tanzte eine Miniatur - Ballerina immer und immer wieder im Kreis herum. Das Zimmer war dunkel. Leise Atemgeräusche drangen an Mireille‘ s Ohr, als sie durch die Balkontür wie ein Schatten in den Raum huschte. Dieses Gemach war eindeutig das einer Prinzessin.
 

Behutsam näherte sie sich dem Schlafplatz. Als die Spieluhr verstummte, hielt sie kurz inne, doch die Gestalt in dem Bett rührte sich nicht. Dann ging alles blitzschnell. Mireille knebelte und fesselte die Königstochter, bevor diese sich versehen hatte. Dann legte die Schwarzhaarige sie sich über die Schulter wie einen nassen Sack und trat erneut an das Fenster. Das Bettlaken hatte sie umfunktioniert und ließ es, zusammengeknotet mit einem weiteren Laken, aus dem Fenster hinaus hängen. So schwang sie sich hinab auf den sicheren Erdboden, um sogleich mit ihrem Anhängsel im Schatten der fast untergehenden Sonne zu verschwinden.
 

Einige Wachen gingen vorüber, ohne etwas von dem Vorgehen im Palast zu merken. Erst als Mireille sich sicher war, dass sie nicht entdeckt wurde, stieß sie einen kurzen, hohen Pfiff aus. Dieser wurde auf der anderen Seite der Festungsmauer erwidert. Mit einigen, wenigen Sätzen war sie oben auf dem Wehrgang und ließ die Prinzessin auf der anderen Seite der Mauer an dem Laken hinab. Silver und Fenrill nahmen sie in Empfang und warteten noch auf Mireille, die sich elegant, wie eh und je, an dem improvisierten Seil herab gleiten ließ. Im Schutz der Schatten ritten sie unbemerkt davon.

Erst als sie etliche Dünen hinter sich gelassen hatten, jubelten sie freudig auf. Sie hatten es geschafft. Der Adrenalinpegel sank wieder. Silver ritt dicht an Mireille heran und schnupperte. „Hmm, das riecht gut.“, grinste er.
 

Demonstrativ ging die junge Frau auf Abstand. Sie wusste nichts mit dem Verhalten des Schatzjägers anzufangen. Mal war er ihr sehr nahe, dann ging er wieder auf Abstand. Was das nur immer sollte? Neugierig beäugten sie die Prinzessin, die aufrecht und ohne einen Mucks von sich zu geben im Sattel saß. Mireille ritt näher zu ihr. „Keine Bange, wir wollen dir nichts tun. Wir haben auch nicht vor Lösegeld mit dir zu erpressen.“, sagte sie freundlich. Sie erhielt einen nicht sehr überzeugten Blick zurück. Ein anerkennender Pfeifton erklang neben Mireille. Diese wandte den Kopf und sah Silver und Fenrill, die sich ein Grinsen nicht verkneifen konnten. „Nettes Outfit.“, sagte Fenrill und ließ seinen Blick über Mireille‘ s schlanken Körper streifen, der immer noch in der, ihrer Meinung nach, zu knappen Kleidung steckte. „Danke.“, zischte sie halb verärgert zu ihm rüber.
 

<Männer...>, stöhnte sie innerlich. Hoffentlich konnte sie bald wieder ihre normalen Kleidungsstücke anziehen.

Es musste ungefähr Mitternacht sein, als sie eine kleine Rast einlegten. Sie stiegen von den Pferden und setzten die Prinzessin auf den Hosenboden. „Nicht schreien, ok? Das hört hier draußen eh keiner, außer uns.“, bat sie die ungefähr ein Jahr jüngere freundlich. Nach kurzem Zögern nickte diese. Mireille nahm ihr den Knebel aus dem Mund und setzte ihr einen der Wasserbeutel, die Silver und Fenrill in dem Palast hatten auffüllen können, an den Mund. Gierig trank sie einige Schlucke. „Danke.“, sagte sie leise. Ihre Stimme war belegt und klang mutlos. Mireille nahm ebenfalls ein paar Züge und setzte den Beutel dann ab. Fest geschlossen legte sie ihn in die Satteltasche zurück. „Wie heißt du?“, fragte Mireille die Prinzessin. „Luna.“, antwortete sie brav.
 

„Ok, das da ist Silver, der da drüben bei den Pferden ist Fenrill und ich bin Mireille.“ Silver sah sie erschrocken an. Dann packte er sie am Arm und flüsterte ihr in‘ s Ohr, dass es nicht ratsam war, ihr die richtige Namen zu verraten. „Wenn sie uns vertrauen soll, kann sie auch unsere richtigen Namen wissen.“, fauchte Mireille ihn an. Dann wandte sie sich wieder an die junge Prinzessin. „Mach dir nichts aus ihm, der ist immer so drauf. Worauf ich eigentlich hinaus will, ist, dass wir eigentlich nur deine Hilfe benötigen.“, erklärte ihr die junge Frau behutsam. Die Prinzessin hörte ihr aufmerksam zu. „Wofür?“, fragte sie neugierig. „Wir wollen mit deiner Hilfe das Tor im Argas – Krater öffnen.“ Die anfängliche Skepsis der jungen Herrscherstochter war verflogen.
 

„Also wollt ihr mich nicht umbringen, verkaufen, als Druckmittel benutzen, oder sonstige böse Sachen anstellen?“ Mireille schüttelte belustigt den Kopf. Ihr Gegenüber schien nicht sehr viel Welterfahrung zu besitzen und war zudem noch etwas naiv. Aber es war höchstwahrscheinlich nicht ihre Schuld, dass dem so war. Das arme Ding hatte die Welt außerhalb der Palastmauern bestimmt noch nicht betreten. Da konnte sie sich schön bei ihrem Herrn Vater bedanken. Schon bald ritten sie weiter. In der Ferne konnte man den Argas – Krater bereits sehen.

Am Ziel der Reise

Der Vulkan hob sich dunkel und bedrohlich von der Ebene ab. Sie sollten ihn am Ende des zweiten Tages erreichen.

Als die Wüste sich dem Ende neigte, wurde es auch wieder dunkel. Es war ein seltsames Phäno- men, dass die Sonne nur in der Sandlandschaft die ganze Zeit zu sehen war. Mireille hingegen war froh darüber, dass sie aus diesem Teil des Landes heraus kamen. Die Sonne war heiß gewe- sen. Jetzt, wo es kühler war, nahm sie es als gelungenen Anlass, ihre normale Kleidung wieder anzuziehen. Die Reiter machten gerade an einem Waldstück Rast, als es dämmerte.
 

Mireille holte ihre Sachen aus einer der Satteltaschen und verschwand im Gehölz. Die Prin- zessin und die beiden Männer saßen friedlich am Lagerfeuer und würden ihr Verschwinden so schnell nicht bemerken. Immerhin sollten die Kerle nicht auf dumme Gedanken kommen. Sie ging noch einige Meter weit, bis sie den Schein des Feuers nicht mehr sehen und die Gespräche nicht mehr hören konnte. Im Schutz der Dunkelheit begann sie sich um zuziehen. Hmm, die alten Klamotten rochen nach Reisen und Abenteuern. Wie sie das vermisst hatte. Schnell weg mit dem ollen Fummel.
 

Mireille war gerade fertig und drehte sich um, als sie zurück zuckte. Jemand stand hinter ihr, doch sie besann sich gerade noch nicht aufzuschreien. Mit klopfendem Herzen sank sie zu- rück an den Stamm eines großen Baumes. „Oh, verdammt! Seit wann stehst du da?“, fauchte sie Silver an. „Schon ne ganze Weile.“, erklärte er ganz nebenbei und fing sich eine saftige Ohr- feige ein. Mireille war tomatenrot geworden und starrte ihn finster an. „Du Spanner!“, fluch- te sie. „Ich hab ja gar nicht hingesehen.“, schmollte er, während sie beobachten konnte, wie ihr Handabdruck auf seiner Wange an Farbe gewann. „Ja, natürlich. Und ich bin Königin von diesem ganzen Laden hier.“, warf sie ironisch dazwischen.
 

„Echt?“, Silver küsste ihre Hand, die er ergriffen hatte. Das hatte sie in‘ s Stocken ge- bracht. „Was machst du denn?“, fragte sie verwirrt. „Glaub bloß nicht, dass du damit durch- kommst!“, versuchte sie ihre Haltung zu bewahren und machte einen auf beleidigt. „Tu ich auch nicht.“, seufzte er und küsste sie ohne Vorwarnung auf den Mund. Zunächst war Mireille zu erschrocken, um zu protestieren, dann genoss sie es. Als sich seine Lippen von ihren lösten, klopfte ihr Herz wie wild. Ihre Sinne waren berauscht. Alles drehte sich. „Wow.“, flüsterte sie. Silver entfernte sich ein wenig von ihr. „Ich bin immer für dich da, egal was passiert.“, er sah sie mit einem undefinierbaren Blick an, der ihre Knie butterweich werden ließ.
 

„Komm gleich nach, ja?“, bat er sie und verschwand ohne eine Antwort von ihr abzuwarten in Richtung des Lagers. Sie setzte sich auf ihren Hosenboden. Oh man, was war das denn gewesen? Ihre Gedanken kreisten um sie herum. Das war unglaublich schön gewesen. In ihrem Innersten rumorte es und ein unglaubliches Glücksgefühl stellte sich ein. Während der ganze Reise war man sich langsam näher gekommen, freundschaftlich, aber sie hätte nicht gedacht, dass seine Gefühle so intensiv für sie waren. Es war unbeschreiblich schön, wenn man wusste, dass man geliebt wurde. An diesen Abend würde sie sich noch lange erinnern.

Als der nächste Morgen anbrach, war die kleine Gruppe schon längst unterwegs. Sie hatten ein schnelles Frühstück zu sich genommen und waren kurz darauf aufgebrochen.
 

Der Argas – Krater kam immer näher. Unterdessen hatten sie der Prinzessin die Fesseln abge- nommen. Man vertraute sich untereinander in der Gruppe. Die Jüngste war neugierig, so viel von der Außenwelt zu sehen, von der sie bislang nur aus Büchern gelesen hatte. Alles war neu für sie und ihr Mund stand bis zum Abend nicht mehr still, da sie alles, was sie nicht kannte, sofort erfragte. Bereitwillig versuchten alle aus dem Team ihre Antworten so gut wie möglich zu beantworten. Gegen Mittag kamen sie an einem Zigeunerlager vorbei. Die Gaukler, Tänzer und Musiker stimmten gerade ein fröhliches Lied an und vollführten Kunststücke. Als die Reisegruppe bemerkt wurde, grüßte man sie freundlich. Kleine Kinder winkten aus bunt bemalten Wagen heraus, neben denen die Pferde grasten. Zwei Hunde jagten sich über den kleinen Platz. Es war ein friedliches Bild. Mireille‘ s Blick streifte Silver‘ s und sie senkte verlegen lächelnd die Augen.
 

Schneller als erwartet, erreichten sie den Vulkan. Es war gerade kurz nach Mittag. Die Reiter begannen damit, einen langen, steilen und gewundenen Pfad hinauf zu reiten. Je weiter sie nach oben kamen, desto kühler wurde es. Zunächst war es eine angenehme Frische, doch schließlich zog Mireille sich ihren Mantel an. Kurz bevor sie den Kraterrand erreichten, zog sie den Stoff eng um sich, da sie begonnen hatte zu zittern. Oben auf dem Rand bot sich den Reitern ein wahrlich lohnenswerter Ausblick. Der Krater war riesig und von Bäumen bewachsen. An seiner Ostseite befand sich ein See, der durch die unterirdischen Lavaströme erhitzt wurde. Saftiges, grünes Gras bedeckte den Boden und wog im leichten Wind. Die Reiter folgten dem angelegten Weg und waren schon bald im Krater angelangt. Sie ritten den Pfad entlang, den schon viele Abenteuerlustige vor ihnen genommen hatten. Jedoch schien das schon lange her zu sein. Keine menschliche Existenz hielt sich hier auf.
 

Endlich hatten sie das sagenumwobene Tor erreicht. Es war groß und schien für die Ewigkeit gebaut worden zu sein. Ehrfürchtig sogen sie die Luft ein. Mireille saß ab und sah sich um. Sie ging zum Tor und sah sich die Inschrift an. Einige Zeichnungen waren dabei. Mit dem Zeigefinger strich sie unter den Runen entlang, um sie besser entziffern zu können. Dann tippte sie auf eine Stelle im Text und drehte sich um. „Ok. Hört mal her! Hier müssen drei Stellen im Gras sein, die durch etwas gekennzeichnet sind!“ Die restlichen Reiter stiegen ebenfalls ab und machten sich an die Suche. Als erster fand Fenrill eine. Er stolperte halb darüber. Mit seinem Schuhwerk schob er das Gras beiseite und legte eine flache Steinplatte frei, auf die Fußabdrücke gemalt worden waren.
 

„Ich hab eine!“, rief er. Die anderen beiden fanden sie kurz darauf. Sie standen in einem gleichschenkeligen Dreieck zueinander, deren Spitze auf einen hohen Stein vor dem Tor zeigte. Unter einer Moosschicht fanden sich ebenfalls Schriftzeichen. Mireille begann sie zu entziffern. Sie entfernte das Moos völlig und fand oben in dem Stein zwei Öffnungen. Neben der rechten Öffnung war ein schwarzer Fleck und neben der linken Öffnung befand sich ein weißer Fleck. „Na schön.“, murmelte Mireille und ging zum Tor zurück. Angestrengt dachte sie nach. „Das ist interessant.“, sagte sie leise. Wieder herrschte kurze Stille, als ihre Mine sich veränderte. „Ok, ich glaube, dass wir das Tor nicht öffnen können.“, erklärte sie enttäuscht zu den anderen gewandt. „Was? Warum nicht?“, entfuhr es ihnen. „Hier steht, dass drei Wandler gebraucht werden. Wir haben aber nur zwei.“, enttäuscht ließ Silver den Kopf hängen. „Wandler?“, fragte Fenrill.
 

„Wer von euch kann sich denn wandeln?“, fragte er ganz unvermutet. Alle Augen ruhten auf ihm. „Silver und ich, warum fragst du?“, zählte die Schatzjägerin auf. Fenrill hob seine Hand vor sich und begann wie ein kleiner Junge daran ab zu zählen. Verwirrt sahen ihn die anderen an. „Was machst du da, Mann?“, fragte Silver ihn genervt. „Tut mir Leid.“, erklärte Fenrill. „Aber wenn ich zähle, sind es immer drei.“ Nachdenklich sahen ihn alle an. „Heißt das, du bist ein Wandler?“, fragte Mireille hoffnungsvoll. Fenrill nickte. „Warum hast du uns davon nichts erzählt?“, fauchte sein Kumpel. „Ihr habt nicht gefragt.“, beichtete er kleinlaut. Mit einem „Fantastisch“ drehte Mireille sich erneut zu dem Tor um. Es dauerte ein wenig, da sie einige Wörter nicht mehr kannte und auch der Zusammenhang sie nicht weiter brachte. Doch letztendlich schien sie alles erkannt zu haben. „Ok. Luna, komm bitte her zum Stein.“ Das Mädchen tat, was ihr aufgetragen wurde.
 

Mireille ging auf sie zu. „Ich weiß, dass wird dir jetzt nicht gefallen, aber wir brauchen ein wenig von deinem Blut.“ Erschrocken sah das Mädchen sie an. „Was? Aber...“, es herrschte einen kurzen Moment gebannte Stille. Dann erklärte sie sich, wenn auch widerwillig, dazu bereit. Mireille nahm den Dolch und bat um ihre Hand. Die junge Frau schüttelte jedoch den Kopf und ergriff die scharfe Klinge ihrerseits. „Ich mache das selber.“ „Bist du sicher?“, fragte die Schatzjägerin sie und Luna nickte. Mireille nahm die Ampulle aus ihrer Manteltasche und öffnete sie. Dann goss sie das Vampirblut in die rechte Öffnung, neben der sich der schwarze Fleck befand. „Dein Blut muss in das andere Loch.“, erklärte sie, drückte die Jüngste und stellte sich kurz darauf auf die freie Steinplatte. Alle sahen gebannt auf das Mädchen. Ihre Hand, in welcher der schwere Dolch lag, zitterte leicht. Dann machte sie einen schnellen Schnitt in ihre Handfläche und hielt es über das Loch. Schnell sickerte das Blut heraus und rann tropfend auf den Stein.
 

Die rote Flüssigkeit verschwand in dem linken Loch. Sie warteten. „Klappt es?“, fragte Fenrill und sah unsicher zu den anderen. „Vielleicht ist es zu wenig Blut.“, mutmaßte Silver. „Nein.“, sagte Mireille schnell. „Verwandeln wir uns.“, kam ihr der Gedankenblitz. „Los!“ Die Männer gehorchten und als Luna sich umdrehte, sah sie einen schwarzen Panther, einen Wolf und einen riesigen Weißkopfseeadler vor sich. Augenblicklich begann die Erde zu beben, als die Tiere mit ihren Pfoten, bzw. Krallen, die Steinplatten berührten. Das Tor verschwand im Felsen und hinterließ einen dunklen, unbekannten Raum. Der Wind frischte auf und drückte in das Dunkel hinein. Es war, als wenn der Fels einatmen würde. Ängstlich wich Luna vor der Dunkelheit zurück.
 

Die Anderen hatten sich wieder zurück verwandelt. Mireille fasste sie am Arm. „Hör zu. Ich weiß nicht, was da drinnen ist, aber es könnte extrem gefährlich werden. Das einzige, was ich möchte, ist, dass du heil nach Hause zurückkehrst. Dein Vater wird sicher schon umkommen vor Angst und ich kann dich da drinnen nicht die ganze Zeit beschützen. Tu mir den Gefallen und bleib hier draußen.“ Luna sah sie an, als würde sie kurz überlegen, dann nickte sie. „Hier, nimm das, falls du in Schwierigkeiten gerätst.“, sagte Mireille und reichte ihr einen leichten Dolch mit einer sich windenden Gravur. „Wenn da drinnen alles glatt läuft, bin ich schon bald wieder bei dir und erzähle dir alles.
 

So lange versteck dich.“, bat die Schwarzhaarige. Luna befolgte ihre Bitte. In der Nähe des Eingangs verschwand sie zwischen dichten Sträuchern. „Wollen wir es wagen?“, fragte Fenrill abenteuerlustig. Mireille und Silver sahen sich an. Dann nickten sie. Die drei betraten das Dunkel der Höhle. Es roch muffig und abgestanden. An der Wand entlang entzündete sich ein Feuer, das sie die Ausmaße der Höhle erst richtig erahnen ließ. Sie ging unendlich weit. So weit, dass man schon bald das Feuer an der Wand nicht mehr bis zum Ende verfolgen konnte. In der Mitte erschien ganz am Ende ein kleiner, blauer Punkt. „Endlich.“, flüsterte Mireille begeistert und ging los. Hinter sich vernahm sie ein dumpfes Geräusch und als sie sich umdrehen wollte, wurde ihr ein harter Gegenstand mit voller Wucht auf den Hinterkopf gerammt. Alles wurde dunkel um die Schatzjägerin herum und sie merkte nicht einmal mehr, wie sie zu Boden ging.

Aussichtslos

Wie aus einem tiefen, alles verschlingenden Traum erwachte die junge Frau all- mählich. Ihr Kopf dröhnte. Langsam öffnete sie die Augen. Alles drehte sich um sie herum. Schnell schloss sie die Lider wieder. Übelkeit stieg in ihr auf. Sie hörte Stimmen und so etwas wie ein Lachen, dann war sie wieder weg.

Als die Schatzjägerin erneut aufwachte, ging es ihr nicht wesentlich besser. Die Welt um sie herum drehte sich etwas langsamer, aber immer noch mit der gleichen Kontinuität wie zuvor.
 

Sie registrierte die Wärme des Bodens. So angenehm warm... warum konnte sie nicht einfach liegen bleiben? Sollten die anderen doch die Drecksarbeit machen. Mit Er- schrecken stellte sie fest, dass sie das gerade wirk-lich gedacht hatte. Inner- lich ohrfeigte sie sich dafür. Aber wo waren die Jungs eigentlich? Sie öffnete erneut die Augen und versuchte etwas durch ihre verschwommene Sicht zu erkennen. Ein blaues Licht wenige Meter vor sich ließ sie zusammen zucken. Es schmerzte stark in ihren Augen und sie wandte den Blick gequält ab. Nirgendwo konnte sie jemand anderes auf dem Boden liegen sehen. Doch etwas näherte sich ihr.
 

Schnell schloss sie wieder die Augen und betete, es würde Silver oder Fenrill sein. Jemand fasste sie an der Schulter und zog sie leicht herüber. „Die tut‘ s noch nicht wieder. Warum musstest du auch so fest zu schlagen?“, keifte eine männliche Stimme. „Sie hat es verdient. Wenn sie mich nicht beleidigt und vor allen gedemütigt hätte, wäre das alles glimpflicher abgelaufen.“, zickte eine weibliche Stimme zurück. Mireille zählte eins und eins zusammen. Verdammt, wie hatten sie sie nur so schnell gefunden? Sie war sich doch so sicher gewesen, dass niemand sie verfolgt hatte.
 

Immer mehr Sinne kehrten zu ihr zurück. Leise und vorsichtig versuchte sie sich zu bewegen. Fehlanzeige. Sie hatten mal wieder ganze Arbeit geleistet und ihr die Arme fest auf dem Rücken verbunden. Von den Handgelenken bis zu den Ellenbogen war sie gefesselt worden. Und der Knoten war bombensicher. Ihre Beine waren frei. Schritte näherten sich von weit her und kamen näher. „Hallo, Boss. Sie hat es tatsächlich für uns geöffnet.“ „Das seh ich selber.“, knurrte eine dunkle Stimme. <Der Boss ist hier? Das ist die Gelegenheit!>, schoss es Mireille durch den Kopf. „Was ist mit der Absprache? Wo ist John?“, zischte sie und öffnete die Augen.
 

„Ach, sieh mal einer an. Du bist ja doch wach.“, sagte die männliche Stimme. „Und was habt ihr mit meinen Freunden gemacht?“, setzte sie hinzu und versuchte sich aufzurichten. Mireille schaffte es bis auf die Knie zu kommen. Ihre Beine zitter- ten. Spöttisch und mitleidig zugleich wurde sie von den Umstehenden gemustert. Die große Gestalt ihres Bosses näherte sich ihr. Einer der anderen trat hinter sie und hielt ihre Arme fest. Trotzig hatte sie den Kopf erhoben, an dem, wie sie jetzt bemerkte, das Blut aus einer Platzwunde herunter lief. Vermutlich hatte sie sich diese bei dem Sturz zugezogen. „John? Welcher John? Ach, der John.“, kicherte er.
 

„Spiel keine Spielchen mit mir!“, brüllte sie, bereute es aber sogleich, als ein gleißender Schmerz durch ihren Kopf zuckte. Ihr Körper krümmte sich und sie keuchte. „Der ist Geschichte. Es gibt ihn nicht mehr. Ist unglücklicherweise in eines meiner Messer gelaufen.“, berichtete er leichthin. Mireille hielt inne. Sie hörte ihren eigenen Atem. Alles schien so ewig langsam zu vergehen. Die Schatz- jägerin hatte die Augen weit aufgerissen und starrte auf den Boden vor sich. Dann hob sie den Blick und sah dem Mann, der ihren wertvollsten Besitz zerstört hatte, tief in die Augen. „Das ist nicht wahr.“, wisperte sie, doch als er ihr seine Kette mit getrocknetem Blut vor die Füße warf, wurde der Alptraum grausame Realität.
 

„Das ist nicht wahr!“, brüllte sie und woll-te sich auf ihn stürzen, wurde aller- dings von hinten daran gehindert. Ihre unsagbare Wut verwandelte sich in Hilf- losigkeit. „Nein!“, schrie sie und erste Tränen rannen ihre Wange hinunter. Sie brannten auf ihrer Haut. Ganz langsam sank die Schwarzhaarige auf den Boden und rollte sich zusammen. Ihr Gesicht war von Schmerz und Trauer verzerrt. Schluchzer schüttelten ihren Körper.

Jack hockte hinter Mireille und hatte sie festgehalten, als diese auf den Anfüh- rer losgehen wollte. Nun sah er auf die zusammen gesunkene Gestalt hinunter. Es schien sich nicht mehr um die Frau zu handeln, die er einst geliebt hatte. Die starke, unberechenbare Mireille war ein Häuflein Elend.
 

Es störte ihn nicht großartig. Warum sollte es auch? Immerhin war sie nicht mehr im Team und hatte ihren Zweck erfüllt. Sie hatte der Organisation sehr geholfen. Wenn auch nicht immer ganz freiwillig. Hätte sie ihren Mund nicht so weit aufge- rissen, wäre ihr kleiner Bruder nicht zum Druckmittel geworden. Er sah auf, als sein Boss ihn ansprach. Kurz nickte er, dann stand er auf. Zielstrebig ging er auf den großen Schlangenkopf zu. Mireille bemerkte diesen zum ersten Mal. Ein riesiger, steinerner Schlangenkopf, der ungefähr doppelt so groß war, wie sie selbst, ragte aus der Wand.
 

Sein Maul war weit aufgerissen und entblößte zwei spitze Giftzähne. Die Zunge war herausgestreckt. Auf ihr tanzten die blauen Flammen, die das Ewige Feuer dar- stellten. Die Augen der Schlange bestanden aus riesigen, blauen Edelsteinen. Jack war jetzt an dem Kopf angelangt und sah sich etwas ratlos um. Was nun? Er wandte sich um und sah die erwartungsvollen Blicke auf sich ruhen. „Na los.“, gab sein Chef ungeduldig die Anweisung. Mireille war kalt, ihr war unendlich kalt auf dem eigentlich warmen Boden. Sie würde ihn umbringen, das schwor sie sich. Er hatte sie ausgebeutet und ihr das Liebste genommen. Dafür würde er büßen. Ihr Herz war gefroren und von eisigen Ketten umschlungen.
 

Mireille sah erneut zu Jack. „Sieh zu und lerne.“, sagte er selbstsicher an sie gewandt. Dann fasste er in das Feuer. Gebannte Stille entstand. Langsam krochen die blauen Flammen seinen Arm hoch. „Ich hab‘ s geschafft. War ganz einfach.“, sagte er selbstbewusst und drehte sich um. Plötzlich jedoch veränderte sich sein Gesichtsausdruck. Er fing an mit der nicht brennenden Hand auf das Feuer einzuschlagen und die Flammen zu ersticken. Ein gequälter Schrei löste sich und hallte durch den monumentalen Raum. Schnell breiteten sich die blauen Flammen auf seinem ganzen Körper aus und verbrannten ihn.
 

„Helft mir!“, schrie er, bevor vom einen auf den anderen Augenblick nur noch ein Häuflein Asche von ihm übrig war. Geschockt starrten alle auf den Ascheberg, auf dem ein kleines, blaues Feuer tanzte. Mireille schluckte einmal hart. „Du! Was haben wir falsch gemacht?“, mit einem Finger zeigte der Boss auf die am Boden liegende. „Ich weiß es nicht und wenn doch, dann wärst du der letzte, der es erfahren würde.“, sagte sie bitter. „Bringt sie her!“, fuhr er seine Untergebenen an, von denen sofort zwei zu Mireille hasteten und sie zu ihm zerrten. Die junge Frau wehrte sich. Ganz so einfach gab sie nicht auf. Seine wulstige Hand packte ihren Unterkiefer und zwang ihren Kopf nach oben. „Du wirst mir jetzt sofort sagen, was du weißt!“, keifte er.
 

Mireille grinste ihn verächtlich an. „Niemals.“, zischte sie und ging mit einem Faustschlag zu Boden. „Bringt sie her.“, sagte er zu den anderen, die unmittelbar los eilten. Keuchend lag die Schatzjägerin auf dem Boden. Irgendwie hatte sie sich das anders vorgestellt. Ihre Arme schmerzten, da sich das Blut in ihnen gestaut hatte. Ihr Schädel schien zu zerspringen und auch der Rest ihres Körpers war in Mitleidenschaft gezogen worden. Hätte sie doch von Anfang an alles anders gemacht, dann wäre bestimmt alles gut gegangen. Sie hob den Kopf, als sie ein schleifendes Geräusch hörte.
 

Zwei protestierende Männer wurden gefesselt aus dem Dunkel zu ihnen hin ge- schleift. Silver erblickte Mireille zuerst. Er rief ihren Namen. Mit grausamer Gleichgültigkeit stellte sie fest, dass die Männer auch ziemlich übel hatten einstecken müssen. Fenrill sah aus, als käme er gerade aus einem Boxkampf mit einem Riesen. Mireille zwang sich wieder auf die Knie. „Was habt ihr mit ihnen vor?“, fragte sie ruhig und ausdruckslosem Gesicht. „Wir werden sie foltern, wenn du uns nicht hilfst. Immerhin sind sie deine Freunde, nicht wahr? Also, was sagst du?“ Die junge Frau sah sie sich an.
 

Einer nach dem anderen, wie sie da standen und sie musterten. Schließlich stellte sie sich hin. „Es gibt keinen Weg für dich hinaus, wenn du uns nicht hilfst.“, verkündete er. Ungefähr dreißig der ranghöchsten Organisationsmitglieder aus allen Teilen der Welt waren anwesend. Sie alle wollten dabei sein, wenn eine der mächtigsten Waffen in ihre Hände fiel. Jeder einzelne von ihnen war bestens im Kampf ausgebildet. Manche besaßen besondere Fähigkeiten, von denen selbst Mi- reille nur Gerüchte gehört hatte. Die Chancen standen nicht sonderlich gut, sich zu dritt und verletzt durch die Reihen dieser Profis zu kämpfen.

Finale

Ungefähr dreißig der ranghöchsten Organisationsmitglieder aus allen Teilen der Welt waren anwesend. Sie alle wollten dabei sein, wenn eine der mächtigsten Waffen in ihre Hände fiel. Jeder einzelne von ihnen war bestens im Kampf ausge- bildet. Manche besaßen besondere Fähigkeiten, von denen selbst Mireille nur Ge- rüchte gehört hatte. Die Chancen standen nicht sonderlich gut, sich zu dritt und verletzt durch die Reihen dieser Profis zu kämpfen.
 

„Also gut.“, erklärte sie sich kühl einverstanden. „Tu es nicht!“, beschwor Silver sie, bekam dafür aber sofort eine Faust in den Magen gerammt, die ihn sich krümmen ließ. „Ich weiß schon, was ich tue.“, keine Regung zeigte sich auf ihrem harten Gesicht. <Was ist nur mit ihr los?>, fragte Fenrill sich verwirrt. „Mach mich los!“, herrschte sie einen Mann, der ihr am nächsten stand, an. Verunsichert sah dieser zu seinem Boss, der jedoch nickte. Als Mireille von ihren Fesseln befreit war, rieb sie sich die Handgelenke.

„Komm ja nicht auf dumme Gedanken.“, warnte der Anführer sie. „Keine Angst, ich krümme dir kein Haar.“, lächelte sie eiskalt. Dann drehte sie sich um und ging auf die Schlange zu. Als sie nach dem letzten Fausthieb auf den Boden gefallen war, war ihr etwas ins Auge gesprungen. Am Unterkiefer der Schlange waren erneut Schriftzeichen eingelassen. Mireille bückte sich und begann zu lesen. „Was macht sie?“, tuschelten einige der Gefolgsleute. Die junge Frau lachte leise. Dann richtete sie sich auf.

„Kamon ilt nest serpentia toss kronos drap elnos.“, sprach sie mit zunehmender Lautstärke und hatte dabei die Arme gehoben. Die Augen der Schlange blitzten einmal auf, dann begann sich das riesige Reptil zu bewegen. Mireille kniete nieder. „Vernichte meine Feinde, doch verschone meine Freunde.“, flüsterte sie. Das riesige Reptil schoss über sie hinweg. Erschrockene Schreie erklangen, als auch sie los rannte. Im Vorbeilaufen packte sie sich Fenrill und Silver und zerrte sie hinter sich her.

Die Mitglieder der Organisation hatten keine Chance. Ihre Klingen zerbarsten an der steinernen Haut der Schlange. „Was hast du getan?“, schrie ihr früherer Boss und wurde im selben Moment von dem Reptil verschlungen. Überall schrien die Menschen und versuchten ihrem Schicksal zu entrinnen. Durch die starken Bewegungen und Stöße des langen Körpers an den Wände begannen die ersten Steine auf sie herab zufallen. „Los! Kommt schon! Es stürzt ein!“, schrie Mireille und trieb so ihre Anhängsel an, die sich mittlerweile von ihren Fesseln befreien konnten. Das ließen sich die Beiden auch nicht zweimal sagen. Doch plötzlich stürzte die Schwarzhaarige. Ihre alte Widersacherin hatte sie am Fuß gepackt und versuchte nun sie zu sich zu ziehen. „Du wirst mit uns sterben!“, rief sie. Mireille trat sich jedoch los und folgte den Männern, die im Lauf innegehalten und gerade zu Hilfe eilen wollten.

Schnell holte sie die Beiden ein. Ihre angeschlagenen Körper schrieen nach einer Pause. Der Schädel der jungen Frau schmerzte und tat ihr nach jedem zurückge- legten Meter mehr weh. Mit dem allerletzten Rest an Energie kämpften sie sich nach draußen. Ihre Beine gaben nach und so rollten sie in das weiche Gras. Es polterte einige Male und die Erde rumorte. Dann schoss eine Staubwolke mit Geröll aus dem Eingang und ergoss sich über die Geflüchteten. Instinktiv hielten sie die Hände schützend über den Kopf und machten sich klein. Erst als das Rumpeln verklungen war, wagten sie es sich wieder zu rühren.

Mireille blinzelte und hustete einmal. Eine Gestalt näherte sich ihr von der Seite. Mit einem Schrei zückte sie ihren Dolch und wollte ihn gleichzeitig in ihrem Feind versenken.Gerade noch rechtzeitig hielt eine Hand sie zurück und brach somit ihren explosiven Angriff ab. Mireille‘ s andere Hand hatte sich in die Schulter von Luna gekrallt, die sie mit weit aufgerissenen Augen anstarrte. „Mireille, hör auf! Wir sind in Sicherheit!“, beschwor Silver sie, der die junge Prinzessin durch seine Reaktion gerettet hatte. Alle Wildheit verschwand aus dem Blick der Schatzjägerin.

„Oh Gott, entschuldige.“, keuchte sie und ließ sich auf den Boden sinken, wo sie nach Atem ringend liegen blieb. Fenrill erhob sich aus einer Staubwolke. Benommen schüttelte er sich einige Male. Taumelnd wankte er vorwärts. Bloß weg. Silver stand schließlich auch auf und packte Mireille an ihrem Hemd. Widerstandslos ließ sie sich mitschleifen. Weg von dem Ort des Geschehens. Ein wenig entfernt unter ein paar Bäumen ließen sich die Männer wieder fallen.

Luna eilte ihnen hinterher. In den Armen trug sie drei Wasserbeutel, die sie an die Invaliden verteilte. Der Mond stand hell am dunklen Nachthimmel und beleuchtete die Land-schaft. Stille war eingekehrt. Die einzige, die irgendwelche Geräusche machte, war die junge Prinzessin. Sie holte Feuerholz und schichtete es auf, sodass Fenrill es nur noch anzuzünden brauchte. Jetzt, da Mireille in dem kühlen Gras lag, ging es ihr ein wenig besser. Sie wollte jedoch nicht wissen, wie sie gerade aussah.

Bedeckt von Kopf bis Fuß mit Schmutz, Blut und Staub gab sie sicherlich nicht gera-de den besten Eindruck. „Ich danke euch für alles, was ihr für mich getan habt und entschuldige mich für das, was euch sinnloser weise widerfahren ist.“, sagte sie mit belegter Stimme. „Wieso sinnlos?“, fragte Fenrill verwundert. Mireille zögerte. Ihr fiel es schwer zu akzeptieren, was geschehen war. „Weil er tot ist. Deshalb.“, ihre Stimme versagte und erste Tränen rannen ihr über das schmutzige Gesicht. Ruckartig sprang sie auf und verschwand in der Dunkelheit. „Warte. Lass sie sich beruhigen.“, hielt Fenrill Silver auf, der ebenfalls aufgesprungen und ihr nacheilen wollte.

Nur ungern setzte dieser sich wieder an die Feuerstelle. Luna schwieg. Was sollte sie nach diesen Ereignissen auch sagen? Stillschweigend tränkte sie einen Stoff- fetzen mit Wasser und reichte ihn Fenrill. Dieser bedankte sich und begann seine Wunden zu säubern. Silver erhielt ebenfalls einen nassen Stofflappen. „Schon schlimm, dass sie ihren Freund umgebracht haben.“, seufzte Silver. Fenrill zog eine krause Stirn. „Freund, wieso Freund? John war ihr Bruder. Sie hat es mir selbst gesagt.“ Ein wenig verwirrt sah der Schatzjäger sie an. „Sie liebt ihren Bruder?“ „Mensch, hast du noch nichts von Geschwisterliebe gehört, du Holzkopf?“, erkundigte sich Fenrill belustigt und sah in das sich aufklärende Gesicht seines Gegenübers.

Mireille rannte, bis ihre Beine sie nicht mehr trugen. Sie fiel auf die Knie und schluchzte. So einsam, allein und hilflos hatte sie sich noch nie gefühlt. Ihr ganzer Körper war am Zittern. Mit ihren Händen wischte sie sich die Tränen aus dem Ge-sicht. Blut und Staub vermengten sich miteinander. Ihre Augen brannten. Vor sich sah sie das Wasser glitzern und kroch darauf zu. Die Oberfläche kräu- selte sich leicht im Wind. Hastig wusch sie ihr Gesicht, ohne auf den pochenden Schmerz in ihrer Schläfe zu achten. Das vulkanisch erwärmte Wasser war eine Wohl- tat und so tauchte sie komplett hinein. Ihre Stiefel hatte sie ausgezogen und ließ sie am Ufer zurück.

Die Sterne spiegelten sich auf dem Wasser und so trieb Mireille eine Zeit lang umher. Stille Tränen wurden vergossen. Alles, wofür sie gekämpft hatte, war umsonst gewesen. Ihr Bruder war tot, für immer verloren. Aber je länger sie nachdachte, desto klarer wurde ihr, dass nicht alles gänzlich umsonst gewesen war. Die Organisation war zerschlagen; ihre mächtigsten Leute vernichtet. Doch zu was für einem Preis? Mireille tauchte unter und sog die Wärme, die aus der Tiefe drang, begierig auf. War es nicht so, dass sie neue Freunde dazu gewonnen hatte? Zudem konnte jetzt keiner mehr über sie bestimmen. Diese Reise hatte auch ihre guten Seiten.

Es würde eine Zeit lang dauern, bis die schlechte Seite nicht mehr überwie-gen würde. Zum Glück konnte sie sich da auf ihre Freunde und ihre Hilfe verlassen. Prustend durchbrach die Schwarzhaarige die Wasseroberfläche. Dann schwamm sie zurück zum Ufer, wo eine Hand sie bereitwillig aus dem Wasser zog. Silver drückte sie an sich. „Ich habe gesagt, ich bin für dich da, egal was passiert.“, flüsterte er in ihr nasses Haar. „Ich weiß.“, entgegnete sie ebenso leise. Als sie sich an ihn schmiegte, spürte sie sein Herz, dass in seiner Brust schlug. „Für immer.“, versprach er. Und sie flüsterte: „Ich bin frei.“ Der Wind ließ die nahen Bäume und Büsche rascheln und das Gras sich wiegen. Der Himmel war klar und die Sterne leuchteten hell am Firmament. Nichts vermochte dieses Bild mehr zu trüben.
 

The End



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Kommentare zu dieser Fanfic (33)
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Von:  FinAP
2009-03-30T20:17:20+00:00 30.03.2009 22:17
Hi!
so, damit du bei diesem Kapitel nicht schon wieder so lange warten musst, bis du nen Kommi bekommst, schreib ich den lieber gleich ^^

aaaaalso...

*böse guck*
musste das ende so schnulzig werden?! >,<
echt schlimm eh
aber ich fands geil
"Schade, dass ihr Freund tot ist"- "es war ihr Bruder"- "oh." stille
zu geil ^^
*Fenne pat*

aber sonst is geil ^^

zwar irgendwie komisch, dass die 30 Kämpfer da, die speziell ausgebildet wurden, sich nicht aus der Höhle retten konnten. Trotz schlange hätten ja einige überleben können/müssen. Das schreit ja förmlich nach einer Fortsetzung ^^

also jedenfalls:
eins a
keine Abzüge in der Bnote (außer für das Kitschende >,<)
sonst geil
*schnurr*

tschau!
Von:  FinAP
2009-03-28T10:41:01+00:00 28.03.2009 11:41
Hi Willchan!
hier endlich dein Kommi, damit du endlich ruhe gibst. ^^"
Also nicht widererwartend klasse, das Kapi. ^^
bin gespannt wie sich die drei da wieder rauswinden wollen. Aber hört sich ein wenig an wie One Piece, mit diesen "30 ausgebildeten Kämpfer der geheimorganistaion"... so nach cP-9 oder so >,<
aber sonst is klasse.
Würd mich auch freuen zu erfahren, was genau mit Fenne und Silva passiert ist.. fenne hatte doch sicherlich keinen echten Boxkampf mit einem Riesen, oder? O,o die spinnen haben doch wirklich schon gereicht >,<
jedenfalls: WEITASCHREIBÄÄÄÄÄN!!!!
*droh*
wir sehen uns!
*Flausch*
Von:  FinAP
2008-10-05T12:10:33+00:00 05.10.2008 14:10
Hi dut!
ja, ich werd (endlich) nen Kommentar dazu hinterlassen. ~.~"

also, die Vorwarnung wegen dem Kitsch war angebracht. *erschauer* ><

aber der REst war cool. Ich fand das soooo geil, als Fenne da stand und die Wandler an den Fingern abgezählt hat. *rofl*

aber ein Weißkopfseeadler passt irgendwie nicht zu Fenne >< ich hätte was anderes erwartet. o.o
aber sicher, hat das ne Bedeutung mit dem Vögelchen?!

Ich wette, dass Mire von ihren ehmealigen Kollegen, von dieser Organisation, niedergeschlagen wurde. Ich bezweifle irgendwie, dass das Fenne und/oder Silva war. Obwohl es auch möglich ist. *grübel*
ich lass mich überraschen.

Cu bis zum nächsten Kappi!
Fin
Von:  FinAP
2008-09-11T20:37:45+00:00 11.09.2008 22:37
Hi dut!

cool wie immer! *knuddel*

Muss ich mehr sagen? Nee, ganz sicher nicht!
das reicht doch schon, oder? ^^

WEnn nicht, Beschwerden bitte an: Werwolfabteilung, Voldies Armee, Malfoy Manor. ein gewisser Greyback wird sich darum kümmern. *grinz*

cu dat Fin
Von:  FinAP
2008-09-07T19:40:48+00:00 07.09.2008 21:40
Hi dut!
hab das neue Kappi entdeckt *triumphierend guck*

Nun, dann mal los:
"Wieso sollte sie einem Mann die Aufgabe überlassen, wenn eine Frau es doch viel besser machen konnte?"
Wie recht sie hat ^^

Oi, Mire in nem orientalischen Gewand *grinz* Das sie da freiwillig reingestiegen is. *prust* Kein Wunder, dass die Jungs nicht "schmuhen" durften. XD
Der König: *prust* geile Beschreibung:
"unverkennbar an der Krone und dem langen Umhang. Und er sitzt auf dem Thron." *grinz* nein, wirklich? *erstaunt tu* ich hab mir Könige immer anders vorgestellt ^^

Silva und Fenne - essen
Mire - badet
wer hat es besser getroffen? ^^

jedenfalls sehr gut gelungen, das Kappi!
*pat pat*

bis zum nächsten !
cu dat Fin
Von:  FinAP
2008-08-31T18:06:49+00:00 31.08.2008 20:06
Hi dut!

also ich find das Kappi bisher am kitschigsten.>>
das soll nicht heißen, dass es mir nicht gefällt!!!
Ich find das Kappi cool. Und ich wusste ja gleich, dass da zwischen Silva und Mire wat im Busch ist ^_______^
nun,
freu mich aufs nächste Kappi!
cu dat Fin
Von:  FinAP
2008-08-24T16:17:12+00:00 24.08.2008 18:17
HI dut!
danke für die Nachricht!
*knuddel*
das Kappi is voll cool. Ich mein, vom geschriebenen her. Inhalt is ja nichts spannendes passiert. Ich würd nur gern wissen, was Tera mit Mire angestellt hat. o.Ô
aber des wird man (hoffentlich) noch erfahren.

*flausch*
cu dat Fin
Von:  FinAP
2008-08-21T20:46:17+00:00 21.08.2008 22:46
Hi dut!

woha! Die Mire wurd gebissen. Pöhser Vämpi!! ><

aber das Kappi war wieder geil! *schnurr*
weiter so.!!!

cu dat Fin
Von:  FinAP
2008-08-19T17:39:22+00:00 19.08.2008 19:39
Hi dut!
Hier eindlich dein wohlverdienter Kommentar. Komm im Moment bei Mexx zu fast gar nichts *sfz*
Jedenfalls hab ich mal wieder den Stift geschwungen, um ein paar Kommentare zu dem gesagten abzugeben. Nun

Punkt eins:
"Bisher alles gut gelaufen, abgesehn davon dass sie alleine war" (oder so). Da fehlt noch was: abgesehen davon, dass sie alleine war, ihre Weggefährten wahrscheinlich von einem Vampir ausgesaugt wurden und ihr Mantel dreckig war.
+prust* Sry ^^
Punkt zwei:
"Wie schön du bist." wat für ne lahme Anmache *seufzt* Inner Disco wär er damit nich durchgekommen. *grinsz*
Punkt drei:
*auf die LIste schau*
wie nur zwei sachen? *maul* Nun, dann halt was zum gesamten Kappi:
Coool! ^^
Will aber wissen, was Mire nun angestellt hat und was die Jungs in der Zwischenzeit getrieben haben. *stutz* Warum hört sich das so verdammt zweideutig an? *murr*
Cu dat Fin
Von:  FinAP
2008-08-15T17:01:29+00:00 15.08.2008 19:01
Hi dut!
Nach deinem Gemecker, hier der Kommi. -,-"

Da Kappi is soooooooooooooooooooooooooooooooooooo geil! *glänzende Augen hat*
Ich hab gezittert, als Fenne auf einmal nicht mehr da war bzw. als er vom Ritter gefasst wurde. Als er in der Wand verschwunden war, musste ich gleich an Schuh des Manitu denken. Wie er dann da steht, neben sich eine mumifzierte Leiche, mit der er sich unterhält. ^^
Wo Silver verschwunden is, musste ich des zweimal lesen, weil du keinen Namen genannt hast. Einfach nur "neben ihr" und so...
aber sonst geil!!!!
*schnurr*
weiter!!! *droh*
Cu dat Fin


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