Washuleins Märchenstunde von -Catayane- (Antimärchen einer andern Ebene) ================================================================================ Kapitel 7: Tahira - Part II --------------------------- Es war einmal ein Mann, der die sieben Weltmeere bereisen und keinen Hafen der Welt auslassen wollte. Er war gerade zwanzig Jahre alt und sein Herz schlug für die Reise, das Abenteuer und das salzige Wasser der See. So geschah es, dass er auf einem Schiff als Matrose anheuerte und sein Traum sich zu erfüllen schien. Der junge Seemann reiste auf dem Schiff von einem Hafen zum nächsten und sah viele Wunder in den Ländern, die unter der Sonne weilten; er war sehr glücklich. Eines Tages, es war der letzte Tag des Sommers, legte das Schiff am Hafen eines Dorfes an, das hoch oben auf Klippen stand. Der Hafen befand sich an einem Strand darunter und es führte ein Weg hinauf zu dem Dorf. „Was ist das für ein Dorf?“, fragte der junge Seemann einen älteren. Dieser lachte für sich und meinte dann: „Das Dorf ist verflucht.“ „Wie meinst du das?“ „Nun vor langer Zeit war das Dorf sehr reich und blühte von Meer und Handel. Aber dann, als ein Seemann aus diesem Dorf nicht wiederkehrte, versiegte der Reichtum und das Dorf verarmte. Man sagt, eine Hexe, deren Abbild auf der Klippe steht, hat es verflucht.“ Da lachte der junge Seemann laut auf, verabschiedete sich von dem Alten und wollte seinen Landgang in diesem Dorf verbringen. Er bestieg die Klippe und besah sich das karge Dorf, wo die Menschen ihn mit skeptischen Augen betrachteten. Der Seemann machte einen Rundgang und sah am Rande der Klippe eine Statue stehen, die von Wind, Sonne und Wasser schon fast vollkommen unkenntlich gemacht worden war und nur noch an einen unförmigen Pfahl, der in den Boden gerammt worden war, erinnerte. Er schaute und schaute und ging sehr nahe an das Ding heran. „Das soll das Abbild einer Hexe sein? Sehr schlecht getroffen.“, meinte er vorwitzig und berührte lachend das Ding. Doch hielt er plötzlich inne. Er spürte etwas und sein Gesicht ward karg dabei. Er hatte das Schlagen zweier Herzen gespürt und zog schnell seine Hand fort von dem Ding. Eilenden Fußes drehte er dem Abbild den Rücken zu und ging zur Gastwirtschaft, um sich ein Zimmer zu nehmen. Als die Nacht hereinbrach und er auf seinem Lager lag und schlafen wollte, erwachte er durch einen harten Hieb auf den Rücken. Der Seemann erwachte, tastete nach der Stelle, wo er getroffen worden war und merkte, dass er blutete. Doch noch ehe er es fassen konnte, wurde er wieder geschlagen, daraufhin brutal gekratzt auf die Brust. Schlimm wurde er verprügelt, bis zum Morgengrauen. Als er mit durchblutetem Hemd in der Gaststube saß, fragte er den Wirt, welcher Knecht sich einen solch üblen Scherz erlaubt habe und ihn so schwer geschlagen hatte. Da meinte der Wirt, dass er keinen Knecht in seiner Wirtschaft schlafen ließe und auch niemand es sich gewagt habe, die Wirtschaft zu betreten, denn sonst hätte sein Hund gebellt, aber dieser war die ganze Nacht lang still gewesen. In der folgenden Nacht, geschah dasselbe erneut. Und wieder fragte der Seemann am nächsten Morgen den Wirt, der ihm dieselbe Antwort gab. In der dritten Nacht fand dasselbe statt, sodass am vierten Tag der Seemann den Wirt beim Kragen nahm und endlich eine Antwort wollte. Da stellte der Wirt ihm eine Frage: „Hast du das Abbild berührt?“ Der Seemann hielt inne, ganz zerschunden sah er nun mittlerweile aus und er bejahte die Frage. „Armer Tor!“, entgegnete der Wirt, „Die Tahira wird dir nun nicht mehr vom Leibe rücken.“ „Was ist die Tahira?“, verlangte der Seemann zu erfahren und schlug mit der Faust auf den Tisch. Da erzählte ihm der Wirt die Geschichte von dem armen Kind, dass so sehnlichst auf ihren Liebsten gewartet hatte und der nie wieder zurückgekehrt war von seiner Seereise; sie habe jeden Tag gewartet, dass die Segel seines Schiffs am Horizont ihr Warten belohnten, was niemals geschehen war. Und seither schlüge der Geist dieses Mädchens jeden bis zum Tod, der das Abbild, in welches sie sich gewandelt habe, berühre. „Manchen packt auch der Wahnsinn, sodass er selbst sich in den Arm vom Schnitter flieht.“ Das Gerede ängstigte den jungen Seemann und er kehrte sogleich zu seinem Schiff zurück. Doch in jeder Nacht prügelte ihn der Geist wieder und wieder, sodass er bald schon zur Schiffarbeit zu krank war. Hatte er Landgang war es sogar noch schlimmer. Sie schlug ihn, sie kratzte ihn, bald drang sogar ihr schriller Wehschrei in seine Ohren, dass es ihm beinahe den Verstand raubte. Und bald kam es auch so, dass er die Nächte durchwachte, lachte, wenn er ihre Schläge spürte und lachte gegen ihr Schreien an. Irgendwann, als es schon ein Jahr so ging und die Leute sich vor ihm fürchteten, kehrte das Schiff erneut in den Hafen vor dem Dorf auf der Klippe ein und erneut ging der nun fast zum Krüppel geschlagene Seemann in die Wirtschaft und setzte sich zu dem Wirt. „Du sagtest mir einmal, dass sie auf das Segel des Schiffs wartete, das ihr Warten belohnen sollte.“ „Ja.“, sagte der Wirt. „Gibt es das Segel noch?“ „Ja“, sagte der Wirt, „Aber es ist nur noch ein Fetzen aus längst vergangenen, glücklicheren Tagen.“ Da wollte der halbirre Seemann wissen, wo er es fände und als der Wirt es gesagt hatte, eilte er los, es sich zu besorgen und gab seine ganze Heuer dafür her. Unter Lachen nahm der das zum Fetzen gewordene Segel an sich und wartete auf die Nacht. Als sie kam, mit dem Blutigwerden von Himmel und Meer, tauchte auch der Geist wieder auf und begann zum erneuten Mal, den jungen Mann zu schlagen, zu kratzen, anzuschreien, aber er lachte nur und band den Fetzen, der einmal ein Segel gewesen war an einen Stock und hielt ihn hoch wie ein Banner. Der Seemann trat nach draußen in die Nacht, wobei der Geist die Drangsale fortbestehen ließ. Der lachende Seemann jedoch trat an die Klippe, unverdrossen. Es kam Sturm auf und das Meer unter der Klippe brauste unbarmherzig auf, Gewitter schlug ein. Als der Seemann neben dem Abbild stand, sein Banner fest in der Hand, schrie er der Figur ins Ohr: „Jetzt komme ich zu dir! Du wolltest doch das Banner! Du, ich und das Banner, wir kommen alle zusammen!“ Und damit stemmte er sich fest gegen das Abbild und versuchte es mit aller Kraft in die Tiefe zu stoßen. Das sah der Sturm und er beschloss, dem Seemann zu helfen und sandte einen Blitz aus, der ein Stück der Klippe abschnitt und so dafür sorgte, dass dieses Stück, auf dem der Seemann, das Banner und die Statue standen, ins Meer absackte. Es war ein furchtbares Unwetter. Der Seemann ward nie wieder gesehen. Und auch die Statue war für immer verschwunden wie auch das Banner, das einmal ein Segel gewesen war. Das Meer hatte alle drei Dinge in sich aufgenommen und die Herzen, die in der Statue geschlagen hatten, konnten endlich schweigen. Das Dorf steht heute nicht mehr, aber durch das Opfer des jungen Seemanns gelangte es wieder zu großem Reichtum, bis die Zeit es von der Erde fegte. Ende. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)