Washuleins Märchenstunde von -Catayane- (Antimärchen einer andern Ebene) ================================================================================ Kapitel 1: Ein altes Märchen ---------------------------- Es war einmal in einem weit entfernten Land, wo es zwei große und mächtige Königreiche gab. Du wirst noch nie von jenem Land gehört haben. Es liegt schon lange zurück. Doch erinnere ich mich, dass einst der Prinz des einen Königreiches die Prinzessin des anderen heiraten wollte. Er war ein schöner und starker Mann. So ritt er los zum König des anderen Reiches und bat um die Hand seiner Tochter. Der alter König musterte den Prinzen eingehend und fragte ihn, ob der Prinz wirklich seine Tochter lieben würde, er hatte sie schließlich noch nie zuvor gesehen. Der Prinz sagte stolz heraus: "Mein König, das Anliegen, was ich darbringe, ist nur ein Vorwand, um mich von der Schönheit deiner Tochter zum Blinden machen zu lassen. So bitte ich euch, lasst die Prinzessin mich blenden, so dass ihre Schönheit meine letzte Freude sein soll, die ich gesehen, und lasst unsere Reiche zu einem ganzen verschmelzen." Die Worte des Prinzen klangen forsch, doch willigte der alte König ein und gab ihm seine Tochter zur Braut. Als der Prinz sie erblickte stand sein Herz beinahe still. Ihre Schönheit war überwältigend und sie strahlte wie tausend Morgen. Nie hatte er ein schöneres Wesen erblicken dürfen als dieses. Sie verliebten sich sogleich ineinander. Der Prinz nahm seine Braut mit in sein Königreich, wo die Hochzeit abgehalten werden sollte. Sie ritten den ganzen Tag lang und als die Nacht hereinbrach machten sie Rast auf einer Wiese. Erschöpft ließ sich die Prinzessin dort auf einen Fels sinken, um zu verschnaufen. Als der Prinz zu ihr gehen wollte, brach ein hallender Blitz zwischen ihnen ein und ein mächtiger Engel erstand zwischen ihnen. Der Prinz und die Prinzessin blickten wie gebannt auf ihn. Erbost sprach der Engel zu dem Prinzen: "Höre zu, du Einfältiger! Die Prinzessin wird niemals deine Frau werden. Ich will sie zu meiner Braut machen und stellst du dich zwischen uns, wird es dir schlecht ergehen!" "Pah, versetzte der Prinz forsch, "Dein Wort schreckt mich nicht! Sie wird meine Königin werden." Der Engel wandte sich zu der noch immer wie erstarrt wirkenden Prinzessin und sprach einen Zauber über sie aus, der sie in einen tiefen Schlaf sinken ließ. Der Prinz wollte zu ihr eilen, doch der Engel verfluchte den Prinzen abrupt und verwandelte ihn in einen hässlichen Zwerg. Als dies geschehen, flog der Engel wieder dem Himmel empor und verschwand aus der Sicht des Unglücklichen. So blieb der Prinz zurück und beweinte das Unglück, was ihn und seine zukünftige Frau getroffen hatte. Er versuchte sie zu erwecken, doch blieb sie stumm und achtete nicht auf seine Bemühungen. Die Nacht zog herein und der Prinz wachte in seiner scheußlichen Gestalt bei seiner Braut, um welche er tausend blühende Blumen drapierte und sie einem Schatz gleich aufbahrte. Ohne zu wissen, wie es nun weiter gehen sollte verweilte er an der selben Stelle noch drei weitere Tage lang, denn in sein Reich konnte er nicht zurückkehren, weil niemand ihn erkennen würde. In der Nacht des dritten Tages als der Prinz nach einem kurzen Schlummer plötzlich aufschreckte und sich umsah, entdeckte er unverhofft einen Korb mit hunderttausend Federn darinnen. Er nahm die Federn und schmückte die schlafende Prinzessin damit, sodass sie noch viel schöner wirkte als sie es schon tat. Als er die letzte Feder neben ihr Gesicht legte, erschien abermals der Engel und diesmal lachte er auf: "Du Narr! Nun ist sie mein! Die Federn sind der Preis für die Prinzessin und als du sie berührtest, nahmst du ihn bereitwillig an, du dummer Zwerg." Fassungslos stand de Prinz da und sah sich fast schon der Übermacht des Engels ausgeliefert. Er sah sich um und entdeckte sein Schwert, nach welchem er behände griff und den Engel zum Kampf forderte. Der Engel lachte erneut und willigte ein, denn er glaubte, dass ein Zwerg niemals seiner Macht gewachsen sein konnte. Er wollte gerade auf den verwunschenen Prinzen zugehen, als dieser in Windeseile in den Wald stürmte. Der Engel erwartete ein leichtes Spiel und ging auf die Jagd ein. Es fiel ihm nicht schwer mit dem Zwerg, dessen Beine doch so kurz waren, Schritt zu halten. Der Prinz jedoch rannte weiter und immer weiter, über Stock und Stein. Er war sich fast sicher verloren zu haben und dem Engel seine geliebte Prinzessin überlassen zu müssen. Da stolperte er plötzlich über einen großen Felsen, welcher in zwei Hälften geteilt war, wo eine Feder dazwischen lag. Der Prinz blickte sich nach seinem Verfolger um, welcher starr, auch etwas ängstlich einige Meter hinter ihm stand. Der Prinz rappelte sich auf und stieß dabei mit dem Fuß gegen den Felsen. Der Engel zuckte schmerzlich zusammen und der Prinz begriff. Er nahm sein Schwert und rammte es so in die beiden Hälften des Felsens, dass dieser wieder ein ganzer wurde. Während er dieses tat schrie der Engel auf und zerfiel in abertausende von weißen Federn. Der Prinz hatte es geschafft und erhielt seine wahre Gestalt zurück. Und auch die Prinzessin war, nachdem er wieder zu ihr zurückgekehrt war, aus ihrem Schlaf erwacht. Nun bestiegen sie ihre Pferde und ritten endlich in das Königreich des Prinzen, wo sie ihre Hochzeit hielten und glücklich und zufrieden waren, bis in alle Ewigkeit. Du wirst jetzt sicherlich glauben, dass du den Felsen nie erblickt hast, aber es gab ihn und er steht noch in dem Wald, in dem fernen Land. Kapitel 2: Das Kind aus Glas ---------------------------- Vor langer Zeit entstieg aus dem Elfenvolk ein Kind. Das war ein so reines Geschöpf, dass sein ganzer Körper aus Glas bestand. Es war ein fröhliches und gutwilliges Kind. Niemandem tat es etwas zu Leide und auch kein Wesen des Waldes, in welchem es lebte, wollte ihm etwas Böses. Doch so gutherzig es auch war, es war ein sehr unbesonnenes und leichtgläubiges Kindlein gewesen und kannte gar nicht das Böse, was es in der Welt gab. Es war immerzu fest vom Guten in allen Wesen überzeugt. Eines Tages lief es mit einigen anderen Elfen bis zum Waldrand um zu spielen. Es war ein schöner sonniger Tag. Sie tollten herum und trieben ihre Späße miteinander. Plötzlich tauchten ein paar Menschenkinder auf. Diese waren habgierig und streitsüchtig. Sie sahen die Elfen und wollten zu ihnen gehen, um sich über sie lustig zu machen und sie zu täuschen. Als die Elfen sie erblickten, flohen sie sogleich, da ihnen bewusst war, dass es keine gute Idee war, sich mit Menschen abzugeben. Alle waren sie schneller fort als wie die Menschenkinder zu blinzeln wagten, alle entschwanden bis auf das gläserne Elfchen. Es war im Gras sitzen geblieben und schaute verwundert zu den Menschenkindern auf, welche sich auf es zubewegten. Das Elfchen grüßte sie freundlich und fragte nach ihrem Begehr. Die Kinder antworteten, dass sie sich nur etwas unterhalten wollten; über Wetter und Werden, über die Tätigkeiten der Elfen und ihre Launen und sie meinten, dass sie nichts interessanter fänden als dies zu erfahren. Das Elfchen gab bereitwillig Antwort auf alle ihre Fragen und hatte sogar Freude daran mit den Kindern zu sprechen, es waren schließlich neue Gesichter. Am Ende der Unterhaltung verlangten die Kinder, dass das Elfchen mit ihnen kommen sollte, damit die Freunde und die Freundesfreunde der Kinder auch von den Wundergeschichten der Elfen hören konnten. Das Elfenkind aus Glas wusste nicht recht, was es tun sollte und weil es den Kindern schon soviel erzählt hatte und mit ihnen eine recht schöne Unterhaltung gepflegt hatte, beschloss es, ihnen zu folgen. Noch nie hatte das Elfenkind den Wald verlassen und es bestaunte mit großen Augen den Anteil der Welt, der den Menschen Untertan war. Sie gingen eine Weile und entfernten sich immer weiter vom Wald bis sie auf den Feldern vor dem Heimatdorf der Kinder die Freunde der Kinder erspähten, welche sogleich hinzu geeilt kamen und sich das eigenartige Wesen aus Glas ansahen. Sie zupften es und kniffen, wollten es berühren und verletzen und schauten immer gleich, wie es reagierte. Das Elfchen ereilte Furcht. Lieber wäre es nun wieder im Wald gewesen bei den anderen Elfen, die nicht so grob mit ihm herumgesprungen waren. Eines der Kinder, welchem das Elfchen von sich erzählt hatte, begann plötzlich alles auszuschwatzen, was es über das Kind aus Glas erfahren hatte und stimmte dabei ein johlendes Gelächter an, das von seinen Kumpanen sogleich mitbegleitet wurde. Sie lachten und höhnten und das Kind aus Glas begann traurig zu werden je mehr sie es lächerlich machten. Und als eine kleine Träne in seinem Auge erglänzte, lachten die Kinder noch viel lauter. Die kleine Träne floss aus dem Auge des Elfchens, tropfte an dessen Wange hinab zu seinem Hals und schließlich zu seiner Brust. Dort wurde die Träne zu einem messerscharfen Ding, welches das Herz des Elfchens zerspringen ließ und mit dem Herz zerbrach auch sein Glaskörper. Es zersprang in tausend kleine, glänzende Glassplitter. Das Lachen der Kinder verstummte und sie rannten nach Haus. Als die Elfen nun endlich das Häufchen Scherben, was von dem reinherzigen Elfchen übrig geblieben war, fanden, wurden sie sehr traurig. Sie nahmen die Splitter mit in ihren Wald und hüteten sie wie ihre Augäpfel. Und seit dem hat keine Elfe mehr einen Schritt aus ihren Wald gesetzt, weil die Splitter des Kinds aus Glas allen eine Lehre waren, dass man den Menschen nicht vertrauen sollte. Kapitel 3: Die Lilie und die Schlange ------------------------------------- Vor langer Zeit als die Erde noch ganz jung war, verliebte sich ein Junge in ein Mädchen, aber es gab Mächte, die ihm das nicht vergönnten und ihn in ein Wesen verwandelten, das lang und dürr war, keine Glieder besaß und einen scheulichen Schuppenleib; er wurde zu einer Schlange. Das Mädchen fürchtete sich vor ihm und lief weg. Und er selbst wusste nicht, was nun machen sollte, da seine Sprache zu einem entsetzlichen Zischen geworden war. So zog er durch die Welt, kriechend wie ihm bestimmt und fand nach einer Ewigkeit die weißeste, feinste und schönste Blume, die er jemals gesehen hatte. Diese Blume nannte er Lilie, nach seiner Liebsten, die er mit der Schönheit und Anmut der Blume gleichstellte und er beschloss, sie ihr zum Geschenk zu machen. Viele Monate krachte er die halbe Welt wieder zurück und bedachte die Blüte im genügend Wasser, auf dass sie sich halte und welkte, ehe er nicht bei ihr war. In der Nacht kam er an. Seine Liebste schlief in ihrem Bette. Darum legte er heimlich, die Blume auf ihre Kopfkissen, sodass sie sie am Morgen als Erstes erblicken musste. Und so geschah es dann auch. Sie fand die Lilie und war ganz betört von dem Duft und der Schönheit der Blume. Er indessen schlängelte sich undbemerkt an ihrem Körper empor. Er liebte sie gar so sehr und wollte sie nur noch umarmen. So schlang sich sein Schlangenleib um sie herum, so fest, dass ihr die Luft ausblieb und sie erwürgte. Man setzte das Mädchen bei und pflanzte die Blume auf ihr Grab, sodass sie jedes Jahr Blüten trug, weiß, zart und schön. Und die Schlange verblieb ebenfalls an dem Grab; zusammengerollt und darauf wartend, dass der Tod barmherzig sei. Kapitel 4: Der Mond ------------------- Es war einmal vor ganz langer Zeit ein König, der über ein Reich herrschte, das sehr reich und wunderschön war. Alle Edeltümer waren dort versammelt und es gab nichts, was er nicht besaß. Dennoch sehnte ihn, nach einem Schatz, der dem Strahlen der Sonnengöttin gleichkäme und als er es nach vielen Jahren gar nicht mehr aushielt, rief er empor zur Sonne: "Alle meine Reichtümer kommen nicht heran an deinen Glanz; aber lass mich nur einen kleinen Teil davon besitzen." Und die Sonnengöttin, in ihrer goldenen Pracht antwortete ihm: "Sehne dich nicht nach Reichtümern, sehne nach der Liebe, denn sie ist der weitaus größte Schatz, den du je erhalten kannst." Dann wandte sie sich von ihm ab, begann aufzubrennen und hinter dem Horizont zu verschwinden. Mit Einbruch der Nacht, begann der Tanz der Schwestern Sonne und Mond, bei welchem sie geschwind die Plätze tauschten und wie der König, die Göttinnen miteinander Tanzen sah, fiel ihm die zweite Schwester auf, die sich im Schatten der Dunkelheit nur zeigte, weil sie zärter war als ihre Schwester und verbrennen würde am Tag. Sie war nicht so schön wie die Sonne, jedoch auf ihre Art von anderer Schönheit, welche dem König zusprach und als sie ihren Platz am Himmel eingenommen hatte und ihre fahlweißes Haar im Wind wehte, rief er ihr zu: "Mond, deine Schönheit ist ein Herzenswunsch. Steige hernieder und lass mich dich betrachten." Und der Mond, der niemals ein solches Werben hatte bekommen, stieg freudig hernieder und zeigte sich dem König im ganzen Glanz. Er betrachtete die schöne Göttin von allen Seiten und sie sich drehen, für ihn tanzen und ihr gefiel dieses treiben. Sie vergnügten sich die ganze Nacht und vergaßen dabei alle Zeit der Welt. Nun nahte der Morgen und Tages Tochter, die Sonne, lauerte am Horizont auf ihre Schwester, welche nicht wie sonst dort auf den Tanz wartete. Der Himmel blieb lilafarben und kalt und der Tag sollte längst schon begonnen haben. Aber der König und der Mond waren noch immer so miteinader beschäftigt, dass sie nichts bemerkten. Als nun der Mittag eigentlich kommen sollte, sprach der Tag zu seiner Tochter: "Los nun! Steige ohne den Mond zum Himmel auf und lasse dein goldenes Haar die Erde erwärmen. Alles erfriert sonst!" Die Tochter gehorchte stieg eilig den Himmel empor. Ihr goldenes Haar ward heißer als jemals zuvor und verbrannte viele Menschen dabei, die Natur blieb jedoch versont davon. Als das goldene Haar auf das Reich des Königs, ihn selbst und verständlich auch auf die Mondgöttin fiel, schrien sie beide auf und ihre Häuter verbrannten. Als die Sonne ihre Schwester schreien sah, holte sie sich zu sich und stieß sie hinter den Horizont. Der König verbrannte derweil unter Qualen und der Mond, dessen Gestalt nun vollkommen entstellt und rot war, schloss sich in seinem langen Silberhaar ein, damit niemand je sehen konnte, wie schrecklich zerstört die einstige Schönheit nun war. Und von da an, blieb die Mondgöttin den Blicken fern und zeigt sich nur in manchen Nächten in rötlicher Gestalt, meist jedoch nur in den Morgenstunden, um gleich darauf mit der Sonne den ewigen Tanz zu vollziehen. Kapitel 5: Die Eiszapfen ------------------------ Vor langer Zeit herrschte ein König voller Verblendung in einem Reich größer als von hier nach dort. Er sammelte viele Reichtümer und wollte besitzen, was schön und wohlgefällig das Auge umspielte und so schickte er immer wieder Minister, Händler, Diener und alles, was sein Hofstaat aufbringen konnte, in die Ferne aller Länder, um ihm die schönsten Reichtümer und die edelsten Kristalle, das teuerste Geschmeide, die weißeste Seide und das glänzendste Gold zu beschaffen, das zu bekommen möglich war. Eines Tages kehrte einer seiner Händler wieder in das Reich des Königs zurück. Der Mann war vollkommen weiß am Körper und seine Lippen blau. Er fror und ihm wollte nicht warm werden. Sobald der König davon in Kenntnis gesetzt worden war, ließ er den Händler zu sich führen, damit er ihm sagen konnte, was ihm widerfahren sei und wo vor allem er gewesen war und was er auf seiner Reise für Reichtümer beschafft hatte. Der Mann, der in fünf Pelzen gehüllt war und trotz allem immer noch fror, erzählte: "Herr, ich war in der Region des eisigen Nordens, wo die Winde erbarmungslos sind und Massen von Schnee des Tags und des Nachts vom Himmel gehen. Ein schrecklich kaltes Land, doch waren die Bewohner freundlich, wennngleich sie fast selbst erfrieren. Sie bewirteten mich stattlich und erwiesen mir alle Formen der Gastfreundschaft. Und in diesem Land steht ein Palast, der vollkommen aus Kristall ist, welches in der Sonne gar zu herrlich strahlt und schimmert. In seinem Innern steht eine Statue, die die schönste Frau der Welt darstellt, die ich je gesehen habe und auch sie ist wie der Palast aus diesem wunderschönen Kristall." Kaum hatte der Mann seinen Bericht geschlossen, da ließ der König seine Sachen packen und zu einer Reise nach dem Norden vorbereiten. Er wollte den Kristall bestitzen, ihn abbauen und daraus für sich selbst einen noch viel schöneren Palast erbauen lassen. Er brach noch am selben Tage auf und erreichte nach Wochen das kalte Land des Nordens. Auch er wurde gastfreundlich von den weißen Leuten empfangen und auch wurde er in den Palast geführt, vor die Statue und tatsächlich stellte diese die schönste Frau der Welt dar. "Wer ist das?", wollte der König wissen. "Das ist unsere Königin.", antwortete man ihm, "Die Eisprinzessin Mézedja." Aber anstatt von ihrer Schönheit angetan und beeindruckt von dem Glänzen des Kristalls zu sein, wollte der König seinen Plan in die Tat umsetzen und er ließ seine Leute beginnen, aus dem Kristallpalast Stücke herauszubrechen und sie in sein Land transportieren zu lassen. Die Bewohner des Nordens sahen mit Schrecken dem zu und nach drei Tagen, sprachen die ersten zueinander: "Was wäre nur, wenn unsere Königin dies verhindern würde?" "Ja, sie. Aber sie will wohl noch auf den rechten Moment warten." Bald schon war der halbe Palast abgetragen und die Sonne konnte nun ungehindert ins Innere des Palastes scheinen, da er schon längst kein Dach mehr hatte. Als nun der König, stolz über sein Werk, neben der Statue der Mézedja stand, in Vorfreude auf seinen neuen Palast, da rührte sich die Statue und die Eisprinzessin schritt auf ihn zu. "Du nimmst mir meinen Palast, mein Heimstätte, König.", sprach sie. "Ja, denn ich bin der mächtigste Herrscher von allen." "Du tust mir schweres Leid damit an und deinem Land auch." "Niemals werde ich dem Gewäsch deiner blauen Zunge zuhören." Und die Mézedja nahm sein Gesicht in die Hände und küsste den König voller Inbrunst und verwandelte damit den Körper des Königs in Schnee und Eis. "Nun kehre so zurück, denn nun teilst du das Schicksal deines Palastes." Der König, der verzaubert nun war und es nicht spürte, dass er es war, ließ schnurstraks den Wagen anspannen und er brach in sein Reich wieder auf. Dort angekommen erwartete ihn das Unheil. Der Palast, der der Sonne gleich schimmern und glänzen sollte, ward vollkommen zerschmolzen und hundert Flüsse eisiger Fluten waren über sein Land eingefallen und alle seine Reichtümer sowie seine Untertanen waren hinfortgeschwemmt worden. In seinem Leid rief der König laut zum Himmel: "Königin des Nordens! Eisprinzessin! Höre mich und mach dies ungeschehen! Mein Land, die Leute und ach mein Reichtum!" "Ich will mit dir einen Handel schließen, König. So wie du einwilligst, sollst du alles wieder bekommen, aber nur dann.", antwortete ihm die Prinzessin, deren Gesicht sich in den Wolken zeigte. "Ich tue es! Ich tue alles!", schwor darauf der könig. "Ein Viertel des Jahres wird dein Land mir gehören und ich werde es einfrieren und mit herrlichem Schnee bedecken. In dieser Zeit darfst du deinen neuen Palast haben, aber regieren werde einzig ich." Und der König willigte ein und der Pakt wurde geschlossen. Die Eisprinzessin Mézedja wandelte das Wasser in Schnee und ließ die peitschenden Winde des Nordens in das Land des Königs einfallen und Schwärme von Schneeflocken und Kristallen bedeckten Häuser, Felder und Wiesen. Der Palast des Königs wurde wieder errichtet und er bewohnte ihn das ganze Vierteljahr über, bis er im Frühjahr wieder zerschmolz und er in seinen vorherigen Palast, der nun durch den Zauber ein eisig Ort geworden war, zurückzog. Und immer wenn der Schnee zerschmolz, so weinte sehnsuchtsvoll die Eisprinzessin, deren Tränen wie Eisspeere von den Häusern hingen, denn sie fürchtete die Sonne, da sie unter ihrem heißen Feuer den Tod finden würde und durch sie zudem einen Teil erobertes Land und Macht einbüßen musste. Der König wusste von ihren Tränen und sah neidisch zu den kalten Tropfen, denn dies hatte allein sie ihm genommen; er konnte von da an nicht mehr weinen, war eigentlich nur ein Eiswesen, das lebte. Seine Menschlichkeit büßte er für einen Palast aus Kristall ein und jedes Jahr wenn die Eiszapfen, wie die Menschen die Tränen der Mézedja nannten, von den Dächern hingen, wurde er an seinen schlimmer Fehler erinnert, Jahr für Jahr, bis in alle Ewigkeit. Kapitel 6: Tahira - Part I -------------------------- Es war einmal vor langer Zeit in einem Dorf am Meer, das hoch auf steinernen Klippen stand. Die Klippen ragten wie die Zähne einer Säge in den Ozean und zwangen die Wellen, sie zu liebkosen, die Steine geschmeidig zu berühren und abzuschleifen über Jahr um Jahr um Jahr. In diesem Dorf lebte man von den Gaben des Meeres. Man fischte, sammelte edle Perlen, die das Wasser preisgab, war Freund mit Fisch und Krabbe. Alle Menschen des Dorfes waren glücklich, brachte ihnen erheblichen Reichtum um Vergleich zu anderen Dörfern, die die Gunst des Wassers nicht für sich verbuchen konnten. In ihren braungebrannten Gesichten, dem goldenen Haar und dem Lachen auf ihren Wangen, sah man es, man hörte es aus dem kräftigen Klang ihrer Stimmen und dem Leuchten vom Genuss des herrlichen Lebens in ihren Augen. Um die Gaben der See zu Geld zu machen und nicht nur vor der Natur, sondern auch vor anderen Menschen zu Ansehen und Reichtum zu kommen, sandte das Dorf in jedem Jahr um dieselbe Zeit nach Händlern ferner Länder aus, die ihre Perlen, den Fisch und andere Dinge, die im Dorf hergestellt wurden, in die weite Welt zu tragen. Jedes Jahr kamen viele Händler, denn die Waren waren begehrt, durch Schönheit sowie Nutzen. Jahr um Jahr hielten sie einige Kilometer an der flachen Küste, einige Meilen von der hohen Klippe, auf welcher das Dorf pragte, vor Anker und beluden mit Hilfe der Einwohner ihrer Schiffe, mit der regen Vorfreuden gute Geschäfte zu machen und die Einwohner halfen mit, denn auch sie taten guten Handel ihrerseits. Jahr um Jahr fuhren auch junge Männer des Dorfes, die Abenteuer suchten und die Welt mit eigenen Augen sehen wollten, mit auf diesen Schiffen und verdingten sich dort als Schiffsjungen oder Matrosen. So auch Arvron, Sohn des Perlenfischers Savur. Sein Vorhaben war es, in der fremden Welt Seide und Bänder zu erwerben wie auch Geschichten und fremdartige Genüsse für das leibliche Wohl, neue Gesichter sehen und auch dem tosenden Wind zu folgen, der die Wellen trieb und in das Unbekannte zu verleiten wusste. Arvon hatte eine Braut. Ihr Name war Tahira. Arvon hatte den Plan gefasst, nach seiner Reise, die wohl ein gutes Jahr dauern würde, das Mädchen zu heiraten und mit ihr glücklich bis zum Ende seiner Tage zu leben. Sie verabschiedeten sich am letzten Tag des Sommers von einander und das Mädchen schwor ihm aufs Herz: "Jeden Tag werde ich an der Klippe stehen, wenn die Sonne ihr Blut ins Meer fließen lässt. Jeden Tag, bis die Segel deines Schiffs mich von Sorge und Kummer erlösen werden." Sie küssten sich und er schwor ihr aufs Herz, dass er in einem Jahr am letzten Tag des Sommers zu ihr zurückkehren würde. So verließ er sie und das Schiff stach in See; der Morgen ward noch jung und das Wasser wirkte rosa, wie die Wangen des jungen Mädchens mit den goldenen Haaren, das sehnsuchtsversunken den Segeln nachsah, die immer weiter fort von den Wellen getragen wurden. Jeden Tag, wie sie es versprochen hatte, stand Tahira auf der Klippe, das Dorf im Rücken, zur Zeit, wenn die Sonne ihr Blut ins Meer fließen ließ und betete mit mit gefalteten Händen, dass die Zeit verging und dass ihr Liebster bald wiederkehrte. Zweimal am Tag kam sie. Ein ganzes Jahr hindurch. Während viele Schiffe kamen und gingen, wartete sie nur auf das eine und dieses kam nicht. Der Winter kam und das Schiff blieb fern. Es folgte der Frühling, danach der Sommer, aber als der Sommer sich zum Ende neigte, kam das Schiff nicht. Der zweite Winter kam und nach ihm ein dritter, ein vierter, ein fünfter, bis der zehnte kam und Tahira, die voller Angst fast verrückt wurde und deren Liebe so heiß war, dass sie den ganzen Ozean zu verdampfen wohl imstande gewesen wäre, wartete weiterhin. An einem kalten Morgen, anfang des elften Sommers, endlich, konnte sie jene Segel wieder am Horizont erkennen, nach denen sie so lange gespäht hatte. Voll Freude eilte sie sogleich zum Anleger und erwartete mit wild klopfendem Herzen, dass Er ihr zuwinkte, sie in die Arme schloss, küsste und all das Warten mit einem Sinn belohnte. Das Schiff legte an. Es kamen viele Männer von Bord. Alle älter als vor der Zeit, stärker, gröber, kaum wieder zu erkennen. Aber der eine war nicht unter ihnen. Tahira lief zu einem hin, der früher der Sohn des Schmiedes gewesen war. "Wo ist mein Arvon? Kam er nicht mit dir?" Der Mann sah sie an und senkte den Blick, suchte nach Worten und schickte sie dann zum Kaptän. Verwirrt folgte Tahira der Weisung und eilte an Bord, suchte den Kapitän und fragte erneut: "Wo ist mein Arvon? Kam er nicht mit dir?" Und der Kapitän holte eine Kiste hervor und reichte sie dem Mädchen. "Er fuhr mit uns zur See und machte sich keine Schande bei der Sache. Aber wir gerieten in einen Sturm; fast wäre es um die Fracht geschehen, so sandten wir ihn, denn er war der Jüngste unter uns und gut in der Takelage zugange - so sollte er's vorm Wegschwemmen bewahren, doch das Meer war unbarmherzig und riss ihn in die Tiefe. Am nächsten Tag fanden wir dann dies hier. Mehr war von ihm nicht geblieben, es trieb auf einem Stück Holz. Es war von ihm, denn nur er war der Verlust in jener Nacht." Da öffnete das Mädchen verschreckt die Kiste und sah in dieser Herz ihres Liebsten liegen, rot und noch immer schlagend. Sie nahm es in die Hand und schrie auf. "Das Meer nahm mir mein Liebstes, doch ihr halft nicht, wo ihr hättet handeln können. Was nützt Fracht und Gold und Perle, wenn es ein Leben kostet, das ihr dem Wasser so bereit geopfert?" Tahira nahm das Herz und rannte mit diesem auf die Klippe. Sie drückte das letzte Stück ihren Liebsten, das schlug und rot und frisch ward, fest an das ihre, was in ihrer Brust dem Schlage antwortete. Der Himmel war rot geworden, die Sonne wollte vergehen, da rief das Mädchen aus: "Oh Sonne! Oh Wind! Oh Meer! Ihr sahet sein Vergehen, ihr sahet das Verbrechen! Gewährt mir den Trost in meiner Not! Gebt mir Ihn zurück! Nimmer sonst werde ich meinen Frieden bekommen!" Und sie stand an den Klippen, das Meer brauste auf, der Wind tobte stark und die Sonne funkelte heiß wie die Flammen der Hölle. Alle drei Mächte hatten gehört, hatten gesehen und erbarmten sich dem Geschöpf. Sie schlugen über ihr ein. Eine Nacht war das, wie sie keine zweite kannte. Die Leute im Dorf flohen in die Häuser und versteckten sich. Nur die mutigsten unter ihnen wagten sich durchs Fenster zu spähen und sehen, was geschah, doch erkennen konnten sie nichts. Es tobte die ganze Nacht und als der Tag erwachte, sie alle aus den Häusern schlichen, da stand an der Klippe zu Stein erstarrt, das Herz fest an sich gedrückt und die Augen geschlossen, Tahira. Man versuchte sie zu wecken, rüttelte sie, aber der Stein war wie alle Steine, kalt und fest. Jedoch als einer begann zu lauschen, ob noch Atem in ihr ward, da vernahm er das Schlagen zweier Herzen, die abwechselnd sich ein Ständchen schlugen, wieder und wieder. Poch - Poch - Poch - Poch Kapitel 7: Tahira - Part II --------------------------- Es war einmal ein Mann, der die sieben Weltmeere bereisen und keinen Hafen der Welt auslassen wollte. Er war gerade zwanzig Jahre alt und sein Herz schlug für die Reise, das Abenteuer und das salzige Wasser der See. So geschah es, dass er auf einem Schiff als Matrose anheuerte und sein Traum sich zu erfüllen schien. Der junge Seemann reiste auf dem Schiff von einem Hafen zum nächsten und sah viele Wunder in den Ländern, die unter der Sonne weilten; er war sehr glücklich. Eines Tages, es war der letzte Tag des Sommers, legte das Schiff am Hafen eines Dorfes an, das hoch oben auf Klippen stand. Der Hafen befand sich an einem Strand darunter und es führte ein Weg hinauf zu dem Dorf. „Was ist das für ein Dorf?“, fragte der junge Seemann einen älteren. Dieser lachte für sich und meinte dann: „Das Dorf ist verflucht.“ „Wie meinst du das?“ „Nun vor langer Zeit war das Dorf sehr reich und blühte von Meer und Handel. Aber dann, als ein Seemann aus diesem Dorf nicht wiederkehrte, versiegte der Reichtum und das Dorf verarmte. Man sagt, eine Hexe, deren Abbild auf der Klippe steht, hat es verflucht.“ Da lachte der junge Seemann laut auf, verabschiedete sich von dem Alten und wollte seinen Landgang in diesem Dorf verbringen. Er bestieg die Klippe und besah sich das karge Dorf, wo die Menschen ihn mit skeptischen Augen betrachteten. Der Seemann machte einen Rundgang und sah am Rande der Klippe eine Statue stehen, die von Wind, Sonne und Wasser schon fast vollkommen unkenntlich gemacht worden war und nur noch an einen unförmigen Pfahl, der in den Boden gerammt worden war, erinnerte. Er schaute und schaute und ging sehr nahe an das Ding heran. „Das soll das Abbild einer Hexe sein? Sehr schlecht getroffen.“, meinte er vorwitzig und berührte lachend das Ding. Doch hielt er plötzlich inne. Er spürte etwas und sein Gesicht ward karg dabei. Er hatte das Schlagen zweier Herzen gespürt und zog schnell seine Hand fort von dem Ding. Eilenden Fußes drehte er dem Abbild den Rücken zu und ging zur Gastwirtschaft, um sich ein Zimmer zu nehmen. Als die Nacht hereinbrach und er auf seinem Lager lag und schlafen wollte, erwachte er durch einen harten Hieb auf den Rücken. Der Seemann erwachte, tastete nach der Stelle, wo er getroffen worden war und merkte, dass er blutete. Doch noch ehe er es fassen konnte, wurde er wieder geschlagen, daraufhin brutal gekratzt auf die Brust. Schlimm wurde er verprügelt, bis zum Morgengrauen. Als er mit durchblutetem Hemd in der Gaststube saß, fragte er den Wirt, welcher Knecht sich einen solch üblen Scherz erlaubt habe und ihn so schwer geschlagen hatte. Da meinte der Wirt, dass er keinen Knecht in seiner Wirtschaft schlafen ließe und auch niemand es sich gewagt habe, die Wirtschaft zu betreten, denn sonst hätte sein Hund gebellt, aber dieser war die ganze Nacht lang still gewesen. In der folgenden Nacht, geschah dasselbe erneut. Und wieder fragte der Seemann am nächsten Morgen den Wirt, der ihm dieselbe Antwort gab. In der dritten Nacht fand dasselbe statt, sodass am vierten Tag der Seemann den Wirt beim Kragen nahm und endlich eine Antwort wollte. Da stellte der Wirt ihm eine Frage: „Hast du das Abbild berührt?“ Der Seemann hielt inne, ganz zerschunden sah er nun mittlerweile aus und er bejahte die Frage. „Armer Tor!“, entgegnete der Wirt, „Die Tahira wird dir nun nicht mehr vom Leibe rücken.“ „Was ist die Tahira?“, verlangte der Seemann zu erfahren und schlug mit der Faust auf den Tisch. Da erzählte ihm der Wirt die Geschichte von dem armen Kind, dass so sehnlichst auf ihren Liebsten gewartet hatte und der nie wieder zurückgekehrt war von seiner Seereise; sie habe jeden Tag gewartet, dass die Segel seines Schiffs am Horizont ihr Warten belohnten, was niemals geschehen war. Und seither schlüge der Geist dieses Mädchens jeden bis zum Tod, der das Abbild, in welches sie sich gewandelt habe, berühre. „Manchen packt auch der Wahnsinn, sodass er selbst sich in den Arm vom Schnitter flieht.“ Das Gerede ängstigte den jungen Seemann und er kehrte sogleich zu seinem Schiff zurück. Doch in jeder Nacht prügelte ihn der Geist wieder und wieder, sodass er bald schon zur Schiffarbeit zu krank war. Hatte er Landgang war es sogar noch schlimmer. Sie schlug ihn, sie kratzte ihn, bald drang sogar ihr schriller Wehschrei in seine Ohren, dass es ihm beinahe den Verstand raubte. Und bald kam es auch so, dass er die Nächte durchwachte, lachte, wenn er ihre Schläge spürte und lachte gegen ihr Schreien an. Irgendwann, als es schon ein Jahr so ging und die Leute sich vor ihm fürchteten, kehrte das Schiff erneut in den Hafen vor dem Dorf auf der Klippe ein und erneut ging der nun fast zum Krüppel geschlagene Seemann in die Wirtschaft und setzte sich zu dem Wirt. „Du sagtest mir einmal, dass sie auf das Segel des Schiffs wartete, das ihr Warten belohnen sollte.“ „Ja.“, sagte der Wirt. „Gibt es das Segel noch?“ „Ja“, sagte der Wirt, „Aber es ist nur noch ein Fetzen aus längst vergangenen, glücklicheren Tagen.“ Da wollte der halbirre Seemann wissen, wo er es fände und als der Wirt es gesagt hatte, eilte er los, es sich zu besorgen und gab seine ganze Heuer dafür her. Unter Lachen nahm der das zum Fetzen gewordene Segel an sich und wartete auf die Nacht. Als sie kam, mit dem Blutigwerden von Himmel und Meer, tauchte auch der Geist wieder auf und begann zum erneuten Mal, den jungen Mann zu schlagen, zu kratzen, anzuschreien, aber er lachte nur und band den Fetzen, der einmal ein Segel gewesen war an einen Stock und hielt ihn hoch wie ein Banner. Der Seemann trat nach draußen in die Nacht, wobei der Geist die Drangsale fortbestehen ließ. Der lachende Seemann jedoch trat an die Klippe, unverdrossen. Es kam Sturm auf und das Meer unter der Klippe brauste unbarmherzig auf, Gewitter schlug ein. Als der Seemann neben dem Abbild stand, sein Banner fest in der Hand, schrie er der Figur ins Ohr: „Jetzt komme ich zu dir! Du wolltest doch das Banner! Du, ich und das Banner, wir kommen alle zusammen!“ Und damit stemmte er sich fest gegen das Abbild und versuchte es mit aller Kraft in die Tiefe zu stoßen. Das sah der Sturm und er beschloss, dem Seemann zu helfen und sandte einen Blitz aus, der ein Stück der Klippe abschnitt und so dafür sorgte, dass dieses Stück, auf dem der Seemann, das Banner und die Statue standen, ins Meer absackte. Es war ein furchtbares Unwetter. Der Seemann ward nie wieder gesehen. Und auch die Statue war für immer verschwunden wie auch das Banner, das einmal ein Segel gewesen war. Das Meer hatte alle drei Dinge in sich aufgenommen und die Herzen, die in der Statue geschlagen hatten, konnten endlich schweigen. Das Dorf steht heute nicht mehr, aber durch das Opfer des jungen Seemanns gelangte es wieder zu großem Reichtum, bis die Zeit es von der Erde fegte. Ende. Kapitel 8: Die Geschichte von den zwei Riesen --------------------------------------------- Es waren einmal zwei Riesen, die durch den Kosmos tanzten. Pang war der Knabe und Gea war das Mädchen. Sie tollten umher in der Schwerelosigkeit. Sie tanzten in den Wirbeln der Sterne, verschoben sie, damit sich herrliche Straßen bildeten und trieben ihre Scherze damit, aus ihnen Bilder zu stecken, die ihnen gerade in den Sinn kamen. Waren sie hungrig, so knabberten sie an den Monden herum, waren sie durstig, so erfrischten sie sich an den Strahlen der hellen Lichts, der vielen Feuerbälle. Kämmte sich Gea das Haar, so blieben ringförmig Haare um die Stelle zurück, auf der sie gesessen hatte. Spielte Pang Ball, so flogen lichterschnell tausende von Bällen aus Stein durch den endlosen Raum, die Feuerschweife nach sich zogen. Sie tanzten imm weiter und waren sie mal müde, schmiegten sie sich an einen Feuerball, von dem sich auch tranken, und sahen im Traum die wundersamsten Dinge. Eines Tages, als sie schon seit Urzeiten getanzt und gelacht hatten, stolperte Pang plötzlich über einen Stein und blieb mit dem Fuß in ihm stecken. Beide Riesen versuchten ihn wieder herauszubekommen, aber es gelang ihnen nicht, egal wie sehr sie zerrten und zogen, egal wie sehr Pang vor Schmerzen schrie. Er kam nicht frei. Es wurde später und später und die Müdigkeit kam über Pang, sodass er sich um den Stein schmiegte, der kalt war und ihn nicht freigeben wollte. Der nächste Feuerball war weit entfernt und Gea schaffte es nicht, ihren Pang mitsamt dem Stein zu verschieben, als schmiegte auch sie sich an den Stein und so nahe an Pang, wie sie konnte und beide begannen zu träumen. Sie träumten von der Wärme eines entfernten Feuerballs, der sie zuweilen wärmen würde. Und im Gedanken an diesen Traum rückten sie immer näher zueinander, bis man nicht mehr sehen konnte, wo der eine begann und die andere endete. Bald waren sie so dicht aneinander gedrängt, dass sie verschmolzen und dem Stein eine bis dahin nie gesehene Hülle verliehen und Dinge darauf passierten, die sie bisher nur in ihren verrückten Träumen erblickt hatten. So entstand der Kontinent Pangea. Kapitel 9: Der Schneeflockenfischer ----------------------------------- Es war einmal vor Ewigkeiten ein kleiner Junge, der den Schnee liebte. Jedes Jahr wartete er voller Sehnsucht auf den Winter, wenn sich der Himmel grau färbte, dann weiß und schließlich etwas von ihm zur Erde segelte, das noch viel, viel weißer war. Der Junge lief dann immer nach draußen, starrte zum Himmel und war immer zur rechten Zeit da, wenn die erste Flocke fiel und ihm sanft auf der Stirn aufkam, wo sie sich in Wasser verwandelte und tränengleich seine Wange herunterfloss. Jeden Tag aufs Neue, wenn der Schnee kam, war er da und er genoss, als Erster die Flöckchen, die niedlichen, willkommen zu heißen zu ihrem kurzen Besuch auf der Erde. Doch ward nicht immer Winter auf der Welt und den Rest des Jahres musste der kleine Junge nun mit Warten verbringen. Dann saß er an einem Steg und blickte in das klare Wasser, in dem die Fische nur so schwirren sah, doch wenn man nach ihnen greifen wollte, dann huschten sie davon. Wie die Flocken es ähnlich taten, dachte der Junge. Und so hatte er eine Idee, wie er die Flocken vielleicht länger behalten konnte, ohne dass die zusammengedrückt und zu einem unschönen Klumpen wurden. Also ging er zum Fischer, der in der Nähe seine Netze hatte und er fragte ihn, wie er es schaffte, dass die Fische, nicht im Netz zu einem Klumpen wurden und sie noch lange bei ihm blieben und sogleich folgte auch seine Frage, ob man das auch mit Schneeflocken machen konnte. Da lachte der Fischer laut auf und nannte den Jungen einen kleinen Narren, wenn er denn dachte, dass Fische und Schneeflocken sich gleich benahmen, wenn sie gefangen wurden. Eher seien die Flocken wie Schmetterlinge, meinte er, als er das enttäuschte Kindergesicht sah. Da fasste der Junge eine neue Idee und machte sich auf zum Insektensammler, einem klugen Manne, wie man sich sagte. Und wieder stellte er dieselben Fragen. Und wieder lachte man ihn aus. Der Insektensammler meinte, dass Schneeflocken nicht seien wie Schmetterlinge, denn Schmetterlinge flögen auch noch, wenn sie im Netz waren, um zu entkommen, ebenso Fische, aber Schneeflocken, würde niemals, nicht einer Millionen von Tagen versuchen aus ihrer Gefangenschaft zu entfliehen. Da war der Junge traurig. Und als der nächste Winter kam, lauerte er auf den Schnee wie gewohnt und haschte mit vollem Eifer die erste Schneeflocke, die er dann in seiner Hand spürte. Er spürte das Zittern des armen Dings und dann das Wasser in seiner Hand. Sie versuchen doch zu fliehen, sagte sich der Junge. Sie machen es nciht wie die Fische und Schmetterlinge, sie sind listiger und verflüssigen sich einfach! Aber was konnte man dagegen tun? Er nahm sich eine Handvoll Schnee, soviel, dass er ihm nicht in der Hand zerlaufen konnte, und brachte ihn ins Haus. Dort setzte er sich an den Kamin und sah zu, wie er zu Wasser wurde. Wenn es warm war, schmolz Schnee, darin sah er den Fluchtweg der Flocken, die er haben wollte. Also musste er nur kälter werden, damit die Flocken diesen Fluchtweg nicht bekommen konnten. So lief er hinaus in den Schnee und legte sich dort hinein und harrte die gesamte Nacht aus, bis er ganz kalt wie eine Schneeflocke geworden war. Als dann am nächsten Morgen der Schnee wieder beginnen wollte zu fallen, schnappte er sich ein Netz, das er sich vom Fischer besorgt hatte und schwang es durch die Luft, dass die Flocken darin hängen blieben. Es klappte und verzückt schaute er sich seinen Fang an. Die Flocken konnte er in die Hand nehmen und sie schmolzen nicht. "Du hast meine frechen Kinder gefangen.", erklang plötzlich die Stimme der Mutter Winterwolke, "Wirst du sie mit wiedergeben?" "Ich will sie behalten.", sagte der Junge daraufhin. "Warum?", fragte Mutter Winterwolke. "Sie sind schön.", antwortete der Junge. "In jedem Jahr entfliehen sie mir und fallen zu früh zur Erde und kommen erst im Frühling wieder, obwohl ich sie so vermisse. Wenn du sie mir immer bei ihrem ersten Fall wieder einfängst und dann gen Himmel fliegen lässt, gewähre ich dir die Gabe, dass du nie wieder frieren musst und dir Eis, Schnee, Hagel und alle Kälte nichts anhaben können." "Aber ich will erste Schneeflocke behalten.", beharrte der Junge. Da lächelte die Mutter Winterwolke und sagte: "Wenn du es willst und bei dir sein will, so kannst du sie haben." Und im Schneehaufen erstand plötzlich ein Mädchen, reinweiß wie die Unschuld mit kristallen glitzernden Augen. "Ich will bei dir sein.", meinte das Mädchen und so geschah es dann auch. Die Schneeflocke, die immer als erste entflohen war und auch jene war, die den Jungen beim Fall immer berührte, blieb bei ihm und gemeinsam fingen sie die Flocken alle ein und warfen sie hinauf in den Himmel zu Mutter Winterwolke. Und auch deren Versprechen wurde war, denn der Junge spürte keine Kälte mehr und hätte nackend durch den Winter laufen können, so angenehm war es ihm. Und mit der Schneeflocke lebte er dann viele glückliche Jahre und Winter zusammen, bis sie eines Tages beide zu Wasser zerschmolzen und in das eisglitzernde Himmelreich eingingen. Kapitel 10: Das Märchen vom Gold -------------------------------- Als die Sonne zu frühen Zeiten auf die Erde sah, war sie so entzückt von den tobenden Menschen, die in Frieden und Eintracht miteinander lebten, dass sie ihnen ein Geschenk machen wollte. Sie formte aus ihren heißen Strahlen einen Stein und ließ ihn abkühlen, sodass es ein Klumpen wurde, der genau wie sie die Farbe des Lichts hatte. Die Sonne sandte ihren Diener, den Vermummten, aus, um den Menschen das Geschenk zu geben. Er machte sich sogleich auf den Weg und reiste mit einer Schatulle, in der der Stein lag zur Erde. Er merkte nicht, dass während des Abkühlens eine gemeines Gift in den Stein eingedrungen war, das man heute Habgier nennt. Als der Vermummte auf die Erde kam und den Menschen die Schatulle überreichte, nahmen sie das Geschenk dankend an und stellten es auf einen Altar, ohne die Schatulle zu öffnen. Erst am Abend, als alle Menschen sich versammelten, denn damals waren es ihrer gerade einmal einhundert, wurde die Schatulle geöffnet und sie sahen den Stein, der wie die Sonne glänzte. Sie betrachteten ihn und wurden sogleich mit dem Gift infiziert, das in ihren Herzen nistete und tiefe Wurzeln schlug. Plötzlich wollte der eine das Geschenk für sich, der zweite wollte es ebenso, der dritte war der Überzeugung, dass er es zum Leben brauchte und so weiter und so weiter. Sie gerieten in Streit, allesamt. Und der Streit wurde schlimmer. Einer nahm den Stein an sich und wollte damit fortlaufen, da rammte ihm ein anderer eine Hacke in den Rücken, sodass der eine schwer blutetend zu Boden sank und jämmerlich schrie und litt. Ein weiterer nahm den Stein und bekam ein Messer in den Bauch, einem nächsten wurde der Schädel eingeschlagen. So verging verging die Nacht und immer mehr Blut tränkte den Boden und fast alle Menschen lagen da und schrieen und litten Qualen. Die wenigen unverletzten rannten zum Vermummten und führten ihn zur Katastrophe und flehte darum, dass dies Los enden müsse. Der Vermummte war berührt von dem Schreckensbild und nahm die Kapuze ab. Er entblößte seinen weißen, kahlen Knochenschädel, nahm eine Sense, die einem der Leidenden im Wanst steckte und schnitt jedem, der da lag, die Seele aus dem Körper, sodass diese in die Freiheit entweichen und fern sein durfte von Schmerz und Pein. Die Körper blieben übrig liegen und westen mit der Zeit, bis sie verschwanden. Die Überlebenden dankten dem Vermummten und baten ihn, auch weiterhin die Geplagten von ihrem Leiden zu erlösen. Das nahm er an, denn er spürte, dass das Gift nur durch ihn in die friedliche Welt eingedrungen und sie so arg geschunden hatte. Und so war es besiegelt. So lebte der Vermummte zurückgezogen in der Welt und befreite die leidenden Seelen aus der sterblichen Hülle und lehrte dabei auch die Menschheit, dass das Leben nicht ewig wehrt, dass es enden und dass ein Stein in der Farbe der Sonne nicht seines Wertes erreichen konnte. Kapitel 11: Das Märchen von der Liebe zum Feuer ----------------------------------------------- Es waren einmal fünf Zwerge, die liebten die Wärme und suchten überall auf der Welt nach jenen Dingen, die sie heiß erfüllen würden, denn für sie war die Liebe eine Flamme und musste sie heiß packen können. Sie liefen viele Jahre umher und eines nachts auf dem höchsten Berg der Welt sah der erste Zwerg gen Himmel und die Sterne strahlten ihr Licht aus und hüllten alles ein. Ihm gefiel dies Licht, das Wärme in sein Herz grub und es fest packte, so rief er empor: "Ihr Sterne seid gar so herrlich! Euer Licht ist hell und warm. Ich bleibe bei euch!" Die anderen vier Zwerge aber, die sich in diesem Licht nicht wärmen konnten, schüttelten nur das Haupt. "Das Licht ist zwar schön, doch weder ist es besonders hell, noch besonders warm. Bleib nur, wenn es dich herzt, wir ziehen voran." Der erste Zwerg wurde von den Sternen empor gehoben und ward silbern und glitzernd in ihrer Mitte und spürte die Wärme sein Herz packen. Und so gingen vier Zwerge und kamen in eine fahle Steppe. Des nachts erschien der große Mond am Himmel und ward rötlich vor Scham, da ihn der zweite Zwerg beobachtete, näher trat und dem Mond zurief: "Du Mond bist gar so herrlich! Dein Licht ist heller noch als das der Sterne und wärmer noch sogar! Ich bleibe bei dir!" Die anderen drei Zwerge aber, denen dieses Licht nicht genügen wollte, schüttelten nur das Haupt. "Das Licht ist zwar schön, doch weder besonders hell, noch besonders warm. Bleib nur, wenn es dich herzt, wir ziehen weiter voran." Der zweite Zwerg wurde vom Mond in die Höhe gehoben und ward weiß, wobei ein schimmerndes Rot ihn noch dazu schmückte und er ward gepackt von der Wärme, die sein nun erfüllte. Und so ging die drei Zwerge weiter und fanden einen Berg, der war wie ein Topf. Und darinnen brodelte eine Suppe, die war heiß und feurig und glühte in den dunklen Nacht gar himmlisch. Der dritte Zwerg beugte sich verzaubert vor, warf seine Kleidung ab und sprang hinein, wo er freudig planschte. "Oh Lava! Du bist so heiß und hell, wie die Hölle nur sein kann! Ich bleibe bei dir!" Die anderen zwei Zwerge aber, denen diese Hitze nicht genügen wollte, schüttelten nur das Haupt. "Das Bad ist zwar schön, doch können wir nicht schwimmen und fänden nie unsere Freude daran. Bleib, wenn es dich herzt, wir ziehen weiter voran." Der dritte Zwerg tauchte unter in der Lava und wurde pulsierend rot-golden und als seine Haut, sein Haar und seine Augen zergingen, ward er gepackt von der Hitze seines Herzens. Die beiden Zwergen gingen bis zum Morgen, als die Sonne sich am Himmel zeigte. Und der vierte Zwerg ward ganz bleich vor Bewunderung der strahlenden Schönheit und er streckte die Hände aus nach dem Horizont und die Sonne drängte sich zu ihm hin. "Oh Sonne! Du bist so heiß und hell und schön! Ich will bei dir bleiben!" Der fünfte Zwerg aber, der plötzlich allein war, schaute hinauf zu der Hitze, die er nicht erreichen konnte und schüttelte nur das Haupt. "Das ist alles schön und gut, aber mir nicht warm genug. Bleib, wenn es dich herzt, ich ziehe allein voran." Der vierte Zwerg umarmte die Sonne und schmolz in ihrer Hand zu einem goldenen Ding, wobei er von der Hitze in seinem Herzen gepackt wurde. Der letzte Zwerg war nun allein und wanderte den ganzen Frühling hindurch. Und auch bis zum Sommer hatte es es noch immer nicht gefunden, was ihn innerlich heiß packte, so heiß, dass er nicht mehr frieren mochte. In der letzten Nacht des Sommers hockte er zur heißesten Tageszeit auf einem Stein neben einem Busch und grübelte nach, wo er denn noch suchen konnte. Der Himmel sah es und hatte Mitleid. Es zogen sich die Wolken zusammen und es ward kühler auf der Welt. Schwarze färbte sich der Himmel und es grollte der Donner laut auf und rief dem Zwerg zu: "Ich kenne etwas, das heiß genug ist, deine Lust zu stillen. Meine Schwester, der Blitz, kann es dir bereiten." Der Zwerg zog ein murriges Gesicht und rief mit erhobener Faust dem Donner zu: "Willst du mich narren? Durch die Wolken, aus denen du geboren, ist mir kälter als jemals zuvor. Ich glaube dir nicht, dass etwas aus deiner Verwandtschaft mir Wärme bereiten könnte!" Da grollte der Donner auf, was sein Lachen war und entgegnete voll Wohlwissen: "Warte es ab, Zwerg. Du wirst es heißer bekommen, als dir beliebt." Und der Blitz schoss sogleich vom Himmel in die erhobene Hand des Zwergs und entfachte ihn wie eine Fackel. Der Zwerg stand in Flammen; seine Haut brannte, seine Augen schmolzen, das Haar versengte und es schmerzte ihn über die Maßen, dass er schrie wie nimmer zuvor. Und doch, als er umherrannte, spürte er sich von der Hitze, dem Lodern, den Flammen so gepackt wie nie zuvor und die Liebe in ihm brannte mit. "Oh reines Feuer! Du bist schön! Du bist heiß! Du erwärmst mich! Dass du mich nimmer mehr verlässt, will ich bestellen. So komme nun, ich bringe dir alles, dass du ewig lodern magst und mich herzen kannst!" Und so taumelte, tanzte der Zwerg von dannen und entzündete alles, was sich ihm in den Weg stellte, um das Feuer, das er am meisten liebte, zu nähren und für immer an sich zu binden. Und deswegen brechen oftmals zur Sommerzeit Feuer auf der Welt aus. Kapitel 12: Das Märchen vom Anfang des Meeres --------------------------------------------- Es war einmal vor langer, langer Zeit, als eine schöne Krähe auf die Erde hernieder stieg, wo sie sich in ein Menschenweib verwandelte, um auf den Weiden mit dem Wind zu tanzen. Ihr schwarzes Gefieder wurde zu einem weiten Kleid, das sich im Wind wallend wiegte, während sie selbst sich drehte und zärtlich die Zehen auf die Halme des Grases setzte. Jeden Tag tat sie dies, von der Mittagsstunde an, bis die Sonne die Linie des Horizonts schnitt. Dann schwang sie sich wieder in die Höhen und flog davon. Irgendwann, als sie schon lange getanzt und sich nicht mehr an den Beginn entsinnen konnte, schlich ein Jäger zu ihr und legte an, um die Krähe zu erschießen, da er ihre wahre Gestalt erahnte, denn kein Mensch wirkte so dunkel und der Nacht genaht wie sie. Er harrte eine Weile aus, folgte den Bewegungen der Tanzenden, bis er sie wohl treffen würde und schoss dann, woraufhin die Krähe zu Boden sank. Das Blut rann aus ihrer Brust und sie erstarrte, als der Jäger sich über sie beugte und gespannt lauerte, dass sie ihre Gestalt veränderte, aber sie konnte nicht. Der Jäger begann zu zweifeln, ob er tatsächlich eine Krähe und nicht etwa einen Menschen geschossen hatte und drängte nun unter Schimpf und Schande die Krähe sich zu offenbaren. Aber diese konnte ihm nicht antworten, war sie doch nur ein stummes Tier, das nun im Sterben lag. Der Jäger nahm Reißaus und überließ die Krähe ihrem Schicksal. Diese lag noch über Stunden auf der Wiese und weinte über ihr Ende, bis plötzlich der Wind sie fand. Der Wind war ihr Freund, begleitete er sie doch im Flug durch die Luft und drehte sich mit ihr im Tanze. Er schwang sich herum und wurde zum Wirbel und ergriff den Leib der weinenden Krähe und trug ihn nach weit oben zu den Wolken. Ihre Tränen indes fielen dabei auf die Erde, vor allem auf die Wiese, auf der sie sich gedreht, und versickerten nicht im Boden, sondern wurden mehr und mehr und mehrten sich solange, bis die Wiese unter dem Wasser verschwand und alsbald eine solch große Fläche einnahm, dass die halbe Welt unter ihr versank. Die Krähe verstarb in den Armen des Winds, der nun mit dem Wasser, das durch ihren Tod entstanden ist, weiterhin tanzt. Doch so schön wie die Krähe tanzte niemals wieder ein Wesen auf der Welt, nicht einmal das Meer. Kapitel 13: Wie der Löwenzahn seine Zähne verlor ------------------------------------------------ Vor Ewigkeiten einmal war der Löwenzahn eine sehr grimmige Blume und saß auf der Wiese träge, die gelben Zähne in die Luft gerückt und sich wiegend in der Brise. Berührte ein anderes Pflänzchen oder Tierchen den Löwenzahn, so ward er gleich erbost und biss zu, um wieder in Frieden gelassen zu werden. Keiner war sicher vor ihm, auch nicht die braven kleinen Feen, die auf der Wiese wohnten und nur zaghaft den Weg vorbei an der bösen Blume wagten; nicht einmal die mutigsten unter ihnen konnten das und solche zähmten immerhin die wilden Marder, die sich flink durchs Unterholz bewegten und die Bäume fast im selben Zuge wieder hinauf. Aber selbst auf den Mardern waren sie oftmals zu langsam, um den Bissen des Löwenzahns zu entgehen, und erlitten schwere Wunden bei den Versuchen. Als das Wasser in der Sommerzeit mit einem schier endlosen Regen anstieg und die Wiesen zu Sümpfen wurden, flohen die Marder, auf denen die mutigen Feen sonst geritten, in höheres Land und die Feen, die keine Flügel besaßen, blieben zurück und wußten kaum ein noch aus, als sie, vom Wasser gedrängt, immer näher zur Wiese des Löwenzahns kamen, der nach wie vor grimmig und boshaft nur darauf lauerte, dass ihm jemand zu nahe kam. Aber die Feen hatten keine andere Wahl und notgedrungen kamen sie dem Ungetüm immer näher. Bis auf wenige Fuß wagten sich die kleinen Wesen heran und schon zeigten sich die gelben Zähne, um nach ihnen zu schnappen. Zusammengedrängt hockten sie da und gingen keinen Schritt weiter. Sie flüsterten mit ihren kleinen Stimmchen nach Hilfe, einen Tag und einen weiteren und noch einen. Sie meinten bereits zu sterben, entweder Hungers, durch Ertrinken oder den Löwenzahn. Dann kam der Flötenspieler. Er war das Kind von Herbst und Farben und sein Spiel veränderte nicht nur die Erscheinung eines Wesens, es konnte auch seine Gesinnung von grundauf verzaubern, es zum Gesetz machen, wenn er denn wollte. Er war wie der Zufall, der nicht in eine Welt passte, der die Auswahl traf und dennoch unbemerkter nicht sein konnte, denn sein Werk war willkürlich und brauchte keinen Grund. Im Schleier des Regens hörte er die piepsenden Stimmchen der Feen und lachte sie für ihre Kleinheit aus, da sie nicht wussten, wie man die Dinge änderte, in dem Rahmen, in dem sie einem nutzbar sein können. Dabei trat er so nahe heran, dass der Löwenzahn ihm in den Knöchel zwickte. Der Flötenspieler wich zurück und nahm seiner Flöte, der unwirschen Pflanze eine Lektion zu erteilen. So erklang ein schnelles Liedchen, das immer langsamer wurde und schwerer und darplötzlich wich die gelbe satte Farbe aus den Zähnen des Löwenzahns und verfloss in der feuchten Luft wie ein Schleier, auf dass das, was übrig blieb, weiß ward. Aber nicht scharf glänzend, sondern weich und flaumig. Lachend meinte der Flötenspieler, dass dies recht geschähe, niemand dürfe ungestraft die Zähne gegen ihn erheben, wonach er sich wieder davonmachte. Die kleinen Feen sahen erregt, dass der Löwenzahn sich gewandelt hatte und als ein Windchen aufkam, staunten sie, dass die bösen Zähne, die nun weiß und weich, wie Schirme davongetragen wurden. Einem forscher Feenburschen kam da ein Einfall. Er erklomm den nun nicht mehr beißenden Löwenzahn und griff sich einen dünnen Stiel von den Zähnen und sprang, diesen fest gepackt, in eine Windböe, die ihn weit fort trug, so weit, dass er schon bald aus der Sicht seiner Landsleute verschwunden war. Die anderen nahmen die Idee mit den Augen auf und taten es ihm gleich, verschwanden von der Wiese und wurden hoch auf einen Berg getragen, wo sie nun nicht mehr ertrinken konnten und auch kein Löwenzahn ihnen mehr Schaden zufügen konnte. Und dort leben sie noch heute, versteckt im hohen Gras. Kapitel 14: Das Märchen vom Schatz der Elster --------------------------------------------- Sehr viel früher, als es der Mensch noch zu wissen vermag, war unter allen Tieren die Elster diejenige, die den größten Reichtum besaß. Hoch oben auf einer Eiche lebten damals alle Elstern beisammen, in einem Nesterdorf fernab des Bodens und genau dort horteten sie den größten Schatz, den ein Auge sich nur vorstellen kann. Es gab Edelsteine, Perlen, Gold und Silber, Seide und Salz und noch vieles mehr. Der Reichtum war so unermesslich, dass es auf Erden keinen anderen gab, der dem gleichkam, denn noch viel früher, als die erste Elster, die aus all den Herrlichkeiten bestanden hatte, über die Welt geflogen war, und schließlich bei ihrem Siebenhunderttausendsten Flügelschlag in Kostbarkeiten zerbarst, hatten ihre Nachkommen begonnen, alle Stücke zu sammeln und auf der Eichenkrone zusammenzutragen. Doch alles fanden sie leider nicht und oftmals passierte es auch, dass eine Perle oder ein Goldstück den Zweigen entwischte und zu Boden fiel. Dort fand alsbald ein Zwerg die Stücke und kehrte dorthin zurück viele Male, um noch mehr von den hübschen Dingen zu sammeln, die er in einer unterirdischen Höhle verbarg. Beinahe jede Woche konnte er Schmuckstücke entdecken und irgendwann dämmerte ihm, dass der Schatz aus der hohen Baumkrone kommen musste. Da schmiedete er sich eine große, starke Axt und hackte eines Morgens auf den Stamm ein. Gold und Edelsteine fielen nach unten und die aufgeschreckten Elstern flatterten wild umher. Als dann nach vielen Stunden die Eiche fiel, schien es, als regneten Silber und Gold aus den Wolken, es funkelte und glitzerte, dass dem Zwerg die Augen schmerzten und als mit einem lauten Knall der Baum auf dem Boden aufgekommen war, prasselten die Schmückstücke und alles, was den Augen lieblich erschien, umher. Der Zwerg stürzte sich auf den Berg an Reichtum und schaffte, so viel er konnte, in die Höhle, die Elstern ihrerseits versuchten ebenfalls die Schätze zu ergattern, die eigentlich ihnen zustanden, aber es war einfach zu viel. Nur einen kleinen Teil konnten die Vögel erringen und in neuen, weiter verstreuten Nestern horten; auch der Zwerg schaffte nur einen Anteil davon; Menschen, Tiere und Geistervolk machten sich am Schatz der Elstern zu schaffen und bewahrten einen Teil davon auf, vergaben ihn an ihre Nachkommenschaften, gestalteten ihn um, verkauften ihn, verloren ihn, ließen ihn einen Kreislauf durchmachen, der bis zum heutigen Tag besteht. Die Elstern aber versuchen noch immer ihren Reichtum wiederzuerlangen und jagen jedem Glänzen nach, das sie ins Augen fassen, doch den Reichtum von einst, so meint man, werden sie nicht wieder bekommen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)