Last Thoughts von Riku (In Remembrance) ================================================================================ Kapitel 1: Last Thoughts ------------------------ Gewidmet all jenen, deren Herz noch immer blutet. In der unstillbaren Gier und den Herzen der Fans wird Severus Snape, früher bekannt als der Halbblut-Prinz, weiter leben. Last Thoughts - In Remembrance Nun war es vorbei. Seine Zeit war endgültig abgelaufen. Severus hatte es wirklich lang genug herausgezögert und beinahe hätte er lachen können. Es war ein Wunder, dass er es überhaupt bis hier hin geschafft hatte. Dass der Dunkle Lord sich so leicht hatte täuschen lassen, war schon beinahe traurig. Er war dumm, wenn er glaubte, dass er bereits gewonnen hatte. Er war blind vor Machtgier und Rachelust. Schade nur, dass Severus nicht mehr miterleben würde, wie diese grausame, zerstückelte Seele niederging und seinen letzten Atemzug auf Erden tat, seinen endgültig letzten. Nicht er, Severus Snape, war es, der Dumbledore damals entwaffnet hatte. Nicht ihm gehorchte der Elderstab. Für den Bruchteil einer Sekunde, konnte er es spüren. Dieses Hochgefühl. Obwohl er wusste, dass er sterben würde, fühlte er sich siegreich. Bis zum Schluss hatte er ihn täuschen können, ihn, den sie alle so verehrten, für den sie mordeten und dem sie blind folgten. Ein Diktator. Der Großmeister der Dunklen Künste. Doch nicht nur ihn hatte er getäuscht, was sein plötzliches Hochgefühl zu trüben schien. Vor seinem inneren Auge blitzten zwei grellgrüne Augen auf, schwarzes, krauses Haar, das ein verschmitzt grinsendes, knabenhaftes Gesicht umrahmte. Harry Potter… Wie war es noch, als er den Jungen das erste Mal getroffen hatte? War es nicht immer der erste Eindruck, der alles weitere, das ganze Verhältnis zwischen ihnen bestimmen oder zumindest beeinflussen sollte? Severus konnte sich nicht erinnern, bei ihrem ersten Zusammentreffen in der Schule etwas Besonderes gefühlt zu haben. Es war der zweite Blick, der alles ausgemacht hatte. Als sich der Junge in seiner ersten Zaubertrankstunde so eifrig hatte Notizen machen wollen, dass er seinen Worten kaum hatte folgen können. Es waren die grünen Augen, die ihm aufgefallen waren, diese stechenden grünen Augen, die ihm schon so oft all seine Sinne betäubt hatten. Doch nun waren sie in dem Gesicht des Mannes, den er immer am meisten verachtet hatte. Es waren Lilys Augen in James Potters Gesicht und immer wenn er ihn ansah, musste er sich an das blasierte Lächeln zurückerinnern und an die vielen Stunden qualvoller Erniedrigung und Demütigung. Das krause, schwarze Haar mit dem kleinen Wirbel auf dem Hinterkopf, die lange, hagere Gestalt und dieses erstaunliche Talent, alles zu seinen Gunsten zu wenden, egal wie viele Schulregeln er gebrochen hatte. Wenn James Potter nicht gewesen wäre, wenn er ihn nur nicht so provoziert hätte, hätte Harry genauso gut sein Sohn gewesen sein können. Dann hätten diese strahlenden, grünen Augen ihm gehört, diese froschgrünen Augen mit den beiden moosfarbenen Ringen, so munter und lebendig gesprenkelt. Es waren diese Augen, nach denen sich Severus all die Jahre so schrecklich gesehnt hatte. Er hatte den Schwur für Lily abgelegt, für ihr Erbe, damit sie in diesem Jungen, in Harry Potter, weiterleben konnte. Dieser unsägliche Nachname. Wenn er doch bloß daran vorbeisehen könnte… Es war unglaublich, wie viele Gedanken dem Mann in diesem Moment durch den Kopf schossen. Es war ein wahres Feuerwerk, ein Hagelsturm an Gefühlen und Eindrücken, die er über all die Jahre, die er nun schon auf Erden wandelte, angesammelt und gehütet hatte. Ob es ihm schwer fallen würde, loszulassen? Wie lange würde es dauern? Minuten? Sekunden? Er spürte seine Beine nicht mehr. Wie oft war er davongerannt und hatte geschrieen, geweint, in der Hoffnung Lily würde ihn hören, ihm ihr warmes Lachen schenken, ihn streicheln und ihn trösten? Es war immer so hoffnungslos gewesen. Lily hatte nicht mit ihm spielen dürfen und wenn er Abends vor ihrem Haus stand, weil er Angst hatte, heim zu gehen, roch er das Essen, das ihre Mutter mit so viel Liebe und Sorgfalt gekocht hatte, sah das Licht in den Fenstern und die orangegelben Gardinen, diese heimelige Atmosphäre. Manchmal konnte er sie reden hören und er ging erst, wenn die Lichter im oberen Stockwerk gelöscht waren und sie sich eine gute Nacht gewünscht hätten. Er hatte Lilys Schlafzimmerfenster manchmal einen Luftkuss zugeworfen und ebenfalls ‚Gute Nacht’ geflüstert, wenn er sich vergewissert hatte, dass ihm niemand zusah. Die Sommerferien waren immer schwer für ihn gewesen, besonders in den späteren Jahren, als er Lily nicht mehr auf dem Spielplatz traf und sie, genau wie all die anderen, die Straßenseite wechselte und demonstrativ wegsah, wenn er auf sie zukam. Er hatte es nicht gewollt. James Potter hatte ihn provoziert. Lily war immer anders gewesen, sie war eine Ausnahme. Sie war nicht, wie die anderem Muggel oder Schlammblüter, ganz im Gegenteil. Mit ihr hatte er immer nur gute Erfahrungen gemacht und als sie starb… als sie auf so grausame Art und Weise aus ihrem jungen Leben gerissen wurde, schien es, als sei ihm auch sein Leben genommen. Er hatte geweint, hatte vor Albus Dumbledore gekniet und geweint, sein rasendes Herz in Stacheldraht gepfercht, der sich immer weiter zuzog. Schuld hatte ihn geplagt und plagte ihn noch heute, bis zu dieser Sekunde. Er hatte sich Harry annehmen müssen, wollte wenigstens sein Leben beschützen, wenn er schon Lily nicht hatte retten können. Retten vor den eisigen Klauen des Todes, vor dem, den er so lange seinen Dunklen Lord genannt und dessen Umhangsaum er geküsst hatte. Ihm wurde schlecht und er wusste nicht recht, ob es an der Tatsache lag, dass er diesem Mann einmal gefolgt hwar oder an den Schmerzen, die ihm langsam den Verstand raubten. Die Sekunden verstrichen wie kleine Ewigkeiten. Severus brauchte nur blinzeln und eine weitere Gedanken- und Bilderflut drosch auf ihn ein, so unzusammenhängend und wirr. Er hatte gewusst, es Harry Potter niemals sagen zu können. Vielleicht hätte der Junge es nicht verstanden, damals war er noch sehr jung gewesen. Und heute… Es war zu spät. Die Zeit konnte niemand mehr zurückdrehen. Wie gerne hätte er Harry bei sich aufgenommen wie seinen eigenen Sohn, ihn großgezogen und ihm das gegeben, was er bei dieser Muggelfamilie niemals bekommen hatte, doch das grenzte schon beinahe an Unmöglichkeit. Severus liebte diesen Jungen. Er empfand mehr als nur Zuneigung oder Freundschaft für ihn, mehr als väterliches Wohlwollen. Er war süchtig nach seiner Aufmerksamkeit. Er hatte nie viel tun müssen, um diese zu gewinnen. Auch, wenn es ihm nie gereicht hatte, war es doch ein Segen, seine Blicke auf sich zu spüren. Zu wissen, dass er in der Nähe war. Harry hatte es niemals wissen dürfen. Es war ein Geheimnis, das bis zu diesem Zeitpunkt, bis zum Zeitpunkt seines Todes unter Verschluss gehalten werden musste. Harry hätte es wohl mehr geschadet als ihm. Severus hatte niemals als Fädenzieher, Marionettenspieler hinter den Kulissen in die Geschichte der Zauberei eingehen wollen. Alles was er wollte, war, dass Harry bescheid wusste und ihn nach seinem Tod nicht dafür hasste, was er getan oder vielleicht niemals getan hatte. Mit fahrigen Händen versuchte er, sich die klaffende Wunde an seinem Hals zuzudrücken. Heißes Blut sickerte seinen Arm hinab. Fast spürte er den Schmerz nicht mehr. War das alles? Würde er hier, an diesem unsäglichen Ort einsam und allein verenden? Wo war er? Wo war Harry? Warum kam er nicht, warum hielt er nicht seine Hand? Wenn Lily ihn nur gehört hätte, sie wäre gekommen, um ihn zu retten… Es durchzuckte ihn, wie ein Stromschlag, und Adrenalin schoss durch seinen Körper, als er vor seinem Gesicht plötzlich das eines Jungen erkennen konnte. Seine dunklen Augen fielen ihm zu, er konnte sie kaum noch offen halten und plötzlich, als er ihn erkannte, als er die grünen Augen inmitten des schwarzen Haares ausmachen konnte, standen ihm Tränen in den Augen, die seine Sicht verschwimmen ließen. Er öffnete den Mund, versuchte zu sprechen, doch es kam kein Ton heraus. Zittrig, kämpfend und ringend mit dem Tod, sah er hinauf in das ihm so vertraute Gesicht. Dies war der Augenblick. Ihr allerletzter Augenblick. Seine blutige Hand griff nach Harrys Umhang und zog ihn an sich heran, mit einer Kraft, die er sich selbst nicht mehr zugetraut hätte. Immer mehr Blut lief aus seinem Hals, je schneller sein Herz schlug. Ja, er konnte Harrys Atem spüren. „Nimm … es … Nimm … es ….“, sagte er und seine Stimme war nicht mehr viel mehr als ein schreckliches, gurgelndes Rasseln und er musste sich zwingen, dass die Tränen nicht unkontrolliert aus seinen Augen quollen. Seine Augen halb geschlossen, den Mund nur so weit offen, dass ein Centstück dazwischen gepasst hätte, war er bereit, seine letzte Tat zu vollbringen. Er versuchte seine Gedanken zu ordnen, die zu wählen, die für Harry und ihn gleichermaßen wichtig waren. Die Erinnerung an Lily und Petunia auf dem Spielplatz. Ihr kleiner, geheimer Platz in der Schattenmulde der Bäume und Petunia, die ihnen nachspioniert hatte. Der Wunsch von Harrys Tante, an der Hogwartsschule zu studieren. James und Sirius im Zug nach Hogwarts. Die Auswahl des Sprechenden Hutes. Der Streit mit Lily auf dem Hof des Schlosses. Schlammblüterin. Seine Entschuldigung. Blaue Schleier, wie kalter Zigarettenrauch, quollen ihm aus allen Öffnungen seines Kopfes. Eine kleine Träne mischte sich in das Blut und lief seine Wange hinab. Es tat weh, daran zu denken. Die Erinnerung an Dumbledore und dieses unendliche Gefühl von Reue, dieser Todeswunsch. Und der Schwur. Das Versprechen an Albus Dumbledore. Der Patronus in Form einer Hirschkuh und die Augen voller Tränen. Die Erinnerung an die verstümmelte Information für Mundungus. Der Besenflug und der Fluch, der nicht dem Wealey-Jungen gegolten hatte. Das Ende des Briefes… Mit jedem kleinen, blaugrauen Nebelhauch quoll nun auch eine Träne aus Severus’ wässrigen Augen. Die Erinnerung an Phineas Nigellus, der ihm verriet, wo Harry sich aufhielt. Der Plan, ihm das Schwert in den Wald zu bringen… Nun wurde ihm schlecht. Die Gedankenströme nahmen ein Ende und er fühlte sich plötzlich furchtbar leer und ausgelaugt. Er wusste nicht, woher Harry die Flasche hatte, doch es beruhigte ihn zu sehen, dass dieser seine Erinnerungen in ihr einsperrte und der Anflug eines Lächelns tauchte sein fahles, tränennasses Gesicht in ein warmes Licht. Nun war alles vollbracht. Im letzten Moment hatte alles einen Sinn ergeben. Nun würde er keine Befehle mehr ausführen, weder für den Dunklen Lord, noch für Albus oder sein Portrait. Wenn er gleich die Augen schloss, würde er vielleicht dem Menschen wieder begegnen können, für den er gelebt hatte – bis zu dem Zeitpunkt, an dem er Harry Potter kennen lernte. „Sieh … mich … an …“, flüsterte er. Die dunklen, feuchten Augen trafen die grünen des Jungen und seinen letzten Atemzug tat er nur für ihn. Sein Blick verschwamm. Dann wurde alles schwarz. Der Brief kam per Ministeriumseule und natürlich viel zu spät. Harry hatte an diesem Tag gar keine Post erwartet und war recht verwundert, als der mittelgroße Kauz mit seinem Schnabel an das krumme Fenster im Fuchsbau klopfte. Ginny stand unten in der Küche, er konnte sie hören, wie sie mit ihrer Mutter sprach und ihr beim Kochen half. Als Harry das Fenster öffnete, schüttelte die Eule bloß den Brief von ihrem Bein ab und plusterte ihr Gefieder recht genervt auf, offenbar auf etwas Futter aus, bevor sie ihre lange Reise zurück wieder antrat. „Ist ja gut…“, versuchte Harry sie zu beruhigen und hielt ihr ihren Arm hin. „Unten in der Küche kannst du was Essen.“ Die Eule nahm auf seinem Arm platz, zupfte etwas an Harrys Ärmel herum und krächzte leise. Einen Moment lang musste der kraushaarige Junge an seine geliebte, eigenwillige Hedwig denken. Er schluckte schwer, nahm den Brief in die Hand und ging hinunter in die Küche. Nachdem die Eule von Molly ein paar Brotkrümel und ein wenig Wasser bekommen hatte, sah Harry auf den Umschlag und setzte sich an den Tisch. Das Papier war schwer, der Brief versiegelt. Der Absender war anscheinend das Zaubereiministerium, auch wenn Harry nicht wusste, was die nun schon wieder von ihm wollten, denn der Brief war ganz klar an ihn adressiert. „Was ist es denn?“, fragte Ginny und setzte sich zu ihm, ihn freundlich und aufmunternd anlächelnd. „Mal sehen…“, murmelte Harry und riss den Umschlag auf. Ein Bogen sauber gefalteten Pergaments fiel ihm entgegen, der sich in seinen Händen selbst entfaltete. Der Bogen war schwarz umrahmt. Harry runzelte die Stirn, biss sich auf die Unterlippe und begann zu lesen. Sehr geehrter Mr. Harry Potter, Nach mehrmaliger Überprüfung durch das Zaubereiministerium, Abteilung ‚Kontrolle und Sicherung magischen Erbes und Erbangelegenheiten’, dürfen wir ihnen nun mitteilen, dass das Erbe von ‚Prof. Severus Snape’ für sie freigestellt wurde. Es beinhaltet: - 1 Kiste, Mahagoni (6,00 cm x 14,00 cm x 24,50 cm) - 2 Fotografien, s/w - 1 Ring, Weißgold, Smaragd - 1 Brief, Umschlag Dieser Brief bemächtigt sie dazu, ihr Erbe anzutreten und es in unserer Abteilung, nach Vereinbarung eines Termins, abzuholen. Bitte denken sie daran, dass jedwede Fälschung oder Ergänzung dieses Formular ungültig machen. Mit freundlichen Grüßen, Agatha Malbeth Abteilung ‚Kontrolle und Sicherung magischen Erbes und Erbangelegenheiten’ Harry starrte auf den Brief, der in seinen Händen langsam zu zittern begann und las ihn noch einmal, zweimal, dreimal durch. Er konnte nicht glauben, was er da las. Severus Snape hatte ihm tatsächlich was vermacht? Etwas so wertvolles? Einen Ring und eine Schachtel aus Mahagoni? Er kaute auf seiner Unterlippe herum, denn egal wie wertvoll diese Gegenstände auch waren, das, was ihn tatsächlich interessierte, waren die Fotos und… der Brief. „Was ist denn nun?“, fragte Ginny neugierig und auch Molly hatte sich nun interessiert zu ihm umgewandt und versuchte über seine Schulter hinweg mitzukriegen, was in dem Brief geschrieben stand. Harry presste das Papier an sein rasendes Herz und dachte fieberhaft nach. Dass Severus Snape so viele Wochen nach seinem Tod noch ein so großes Geheimnis für ihn sein konnte, hatte er nicht gedacht. Was hatte es mit diesem Erbe auf sich? „Ich möchte… mit Arthur ins Ministerium. Am besten noch heute.“, stotterte er mit nervös zitternder Stimme und faltete das Papier wieder zusammen. „Ich erkläre es dir auf dem Weg, Ginny.“ Es war ein warmer Tag. Die Sonne schien auf London herab und den Menschen, die sich schon so an das neblig kalte Wetter gewöhnt hatten, hatten die goldgelben Strahlen ein Lächeln auf das Gesicht gezaubert. Nur Harry war nicht zum Lächeln zumute, als er durch die Straßen hinüber zum Besuchereingang marschierte, links neben ihm Ginny, der die bunten Sonnenschirme vor den Cafés so gefielen und rechts neben ihm Arthur, der wie immer als um sich herum vergaß, bloß weil er gerade ein Hybrid-Auto entdeckt hatte. Er hielt den Brief noch immer in der Hand, hatte Angst ihn zu verlieren, wenn er ihn einsteckte und so war das Papier schon recht zerknittert, als sie sich in die Telefonzelle zwängten, um in das unterirdische Ministerium zu gelangen. Als er das erste Mal hier gewesen war, war er noch erstaunt gewesen, von dieser Magie, die in der Luft lag und von den kleinen, fliegenden Memos aus Papier, doch als er an diesem Tag das Ministerium betrat, bemerkte er sie gar nicht. Schweigend drängelte er sich an den Zauberern und Hexen vorbei, das Stück Papier eng umfasst, zwängte sich mit Ginny und Arthur in den Fahrstuhl und bemerkte nicht einmal Kingsley, der ihm im Vorbeigehen aufmunternd zunickte. Der Fahrstuhl fuhr mit einem kräftigen Ruck los und er spürte, wie Ginny seine Hand nahm und sich an ihm festhielt. Ein beruhigendes, warmes Gefühl durchströmte seinen Körper. Zum ersten Mal seit Stunden konnte er sich kurz von seiner Grübelei loseisern und schenkte Ginny ein kleines Lächeln. Doch es wollte ihn nicht loslassen. Was würde ihn in diesem Brief, auf diesen Fotos erwarten? Natürlich dachte er sich schon, dass es sich wohl irgendwie um ein Foto seiner Mutter handeln musste. Vielleicht ein Klassenfoto. Wieder biss er sich auf der Unterlipe herum. Die Spannung drohte ihn zu zerreißen. „Abteilung für Kontrolle und Sicherung magischen Erbes und Erbangelegenheiten.“, ertönte es und die Türen öffneten sich. Harry wurde heraus geschoben von drei anderen Zauberern, die hinter ihm standen und offenbar auch hier aussteigen wollten, ehe sich die Türen wieder schlossen. Als Harry seinen Gedankengängen wieder entkommen war, fand er sich mit Ginny und Arthur in einem breiten Korridor wieder, der mit weißen Rosen und Lilien gesäumt war, allesamt mit schwarzen Seidentüchern gebunden. „Hier entlang, Harry.“, sagte Arthur und führte sie den Gang entlang, an zahllosen Türen vorbei, bis sie in einem kleinen Empfangszimmer angekommen waren. Auf dem weichen Teppich hörten ihre Schritte auf an den Wänden wiederzuhallen. Arthur wechselte ein paar Worte mit der Empfangsdame und griff dann nach dem Brief in Harrys Hand, den dieser jedoch ruckartig und aus Reflex wegzog und an seine Brust drückte. Etwas perplex sahen die beiden sich an. „I-ich mach das.“, sagte Harry dann schnell und gab der Dame den Brief, die ihn entfaltete und las. „Ah, Mr. Potter, einen Moment bitte.“, sagte sie freundlich und verschwand in einem Hinterzimmer. Harry spürte, wie sein Herz immer schneller schlug. Er wusste nicht, ob es im Moment etwas Wichtigeres auf der Welt gab, als diese Fotos und diesen Brief. Erst, als er Ginnys Hand wieder in seiner spürte, hörte er auf, wieder auf seiner Lippe herumzukauen. Die wenigen Minuten, die sie am Empfang standen, kamen ihm wie Jahre vor und als die Dame endlich wieder kam und ihm ein kleines, braunes Päckchen in die Hand drückte, hätte er das Papier am liebsten sofort abgerissen und das Kästchen gierig geöffnet. Er wechselte Blicke mit Ginny und Arthur, die beide bloß verhalten lächelten. Der Mann klopfte ihm auf die Schulter. „Nun, Harry, gedulde dich noch, bis wir zu Hause sind. Da bist du dann ja ungestört, nich’?“, riet er ihm freundlich und nun lächelte Ginny etwas breiter. Harry wusste, dass die beiden ihn nicht verstanden, dass die Neugier ihn zerriss. Sie konnten ja nicht ahnen, wie viel ihm dieses Erbe bedeutete und wie oft er an ihn dachte, wie oft er von Professor Snape träumte… Dennoch nickte er, bedankte und verabschiedete sich höflich bei der Empfangsdame und schob das Kästchen in die Innentasche seines Umhangs. Es lag direkt an seinem Herzen und dort, glaubte er, war es gut aufgehoben, bis er es öffnete. Im Fuchsbau angekommen, schien er sich allerdings sehr gedulden zu können. Er sagte Ron und Hermine zu allererst bescheid, die im ersten Moment sehr wütend waren, dass Harry sie nicht mit ins Ministerium genommen hatte, doch als Harry ihnen versicherte, dass sie nichts verpasst hatten, waren sie zumindest milde gestimmt. Dann zog er sich zurück. Ginny stellte ihm ohne weiteres ihr Zimmer zur Verfügung, wofür er sehr dankbar war, denn dieses schien ihm von allen am Vertrautesten. Als er die Tür geschlossen hatte, zog er die Gardinen zu und zündete ein paar Kerzen an. Draußen dämmerte bereits der Abend, es war spät, doch nun würde er sich alle Zeit der Welt nehmen können, um dieses Erbe zu würdigen. Der schwarzhaarige Junge setzte sich an den Schreibtisch, nahm einen Brieföffner und entfernte ganz vorsichtig das Paketband, ehe er das braune, unscheinbare Papier mit den Fingerspitzen entfernte. Ein sehr dunkles, fast schwarzes Kästchen aus Mahagoni kam zum Vorschein. An den Rändern war es filigran verziert, mit vielen kunstvollen Schnörkeln. Er betrachtete es einen Augenblick von allen Seiten, dann ließ er es aufschnappen. Innen war es fast noch schöner als außen, denn es war mit grünem Samt gefüttert, der mit silbernen Paspeln an den Rändern befestigt war. Das erste was er sah, waren die Fotographien. Er entnahm sie dem Kästchen und legte sie abgedeckt wie zwei Spielkarten daneben. Daneben legte er den Brief. In der Ecke des Kästchens sah er etwas blitzen und sein Herz hüpfte in die Höhe, als er sah, dass es ein Ring war. Und nicht nur irgendein Ring. Als er ihn in die Hand nahm, fühlte er sich schwer an. Der kleine Stein, ein Smaragd, war von Weißgold umrahmt, wie eine wunderschöne, zerbrechliche Blume und als er die Innenseite inspizierte fand er sogar eine Gravur. In ewiger Liebe Seine Hände zitterten so stark, das er fürchtete, den Ring fallen zu lassen und so bettete er ihn wieder in dem grünen Samt. Dann nahm er die Fotos. Eines davon, das fiel ihm sofort auf, bewegte sich gar nicht. Es war ein gewöhnliches Muggelfoto und darauf zu sehen waren zwei Personen, ein Mädchen im Sommerkleid und ein Junge in einem Kittelartigen Hemd, die unter einem Baum saßen, ein Spielplatz im Hintergrund, bei vielleicht elf oder zwölf Jahre alt. Harry standen Tränen in den Augen und dennoch konnte er nicht anders, als leise zu lachen. Die krumme Nase und das schwarze Haar ließen ihn sofort erkennen, dass es sich bei dem geschmacklos gekleideten Jungen um Severus Snape handelte. Das Mädchen im Sommerkleid war ganz offensichtlich Lily, seine Mutter… Sie hatte ihren Kopf auf Snapes Schulter gelehnt und lächelte in die Kamera. Snape lächelte nicht und Harry glaubte auf dem Schwarzweißbild zu erkennen, dass dessen Wangen dunkel angelaufen waren. Er legte das Bild lächelnd weg und besah sich das zweite. Dieses wurde offensichtlich in der Schule aufgenommen, doch dieses Mal war nur Snape allein darauf zu sehen. Er hielt ein Zeugnis in der Hand und konnte einfach nicht aufhören es mit einem stummen Lächeln immer wieder durchzulesen. Als er in die Kamera blickte, erschrak Harry beinahe, denn dieses glückliche Leuchten in den Augen des hakennasigen Zaubertrankmeisters hatte er nicht mehr gesehen seit… seit er ihm damals das letzte Mal in die Augen geblickt hatte. Schnell legte er das Foto beiseite und verharrte einen Moment in seiner Bewegung. Sein Blick war auf den Brief gefallen. Das Siegel war noch ganz, es war nicht aufgebrochen, aber Harry hatte sich auch geweigert, das Ministerium für so dreist zu hakten, den Brief zu lesen. Er drehte ihn um, doch es stand kein Name darauf. Der Junge schluckte schwer. Dann zerbrach er das Siegel und öffnete den Brief. Mit zittrigen Händen entfaltete er das Pergament. Lieber Harry, Ich weiß, dass ich sterben werde und wenn du diese Zeilen liest, werde ich schon lange tot sein. Ich hoffe sehr, dass mir noch Zeit gegeben war, dir alles zu erklären und dir die Dinge offen zu legen, die mich all die Jahre so beschäftigt haben. Du verdienst es, die Wahrheit zu wissen. Viel zu lange habe ich versucht, mich selbst zu belügen, wohl wissend, dass es auf lange Sicht keinen Zweck haben würde. Ich wollte dich schützen, deiner Mutter wegen, das ist wahr. Vielleicht habe ich all die Zeit über viel zu sehr versucht, nur das schlechte, nur diese arrogante und blasierte Seite deines Vaters in dir zu sehen. Es fällt mir schwer, dir diese Zeilen zu schreiben und sehr viel Zeit wird mir auch nicht mehr bleiben, aber es ist wichtig und es würde mich stolz machen, zu wissen, dass du mir ebenfalls etwas Zeit opferst, um zu verstehen, was ich dir sagen möchte. Es ist seltsam, dass gerade Albus Dumbledore mir die Augen geöffnet hat. Denke nicht, dass ich glaube, dass dein Vater ein schlechter Mensch war. Das kann er nicht gewesen sein, wenn deine Mutter ihn so geliebt hat, denn ich kann von mir behaupten, deine Mutter gut gekannt zu haben, vielleicht noch besser als James sie jemals kennen lernen durfte. Ich habe viel aufgeben müssen, nur um im Hintergrund die Fäden für dich ein wenig günstiger zu ziehen und ich habe eine Menge riskiert. Auch, wenn es schlussendlich mein Ende sein soll, will ich nicht behaupten, zuviel riskiert zu haben. Du bist mir wichtig Harry. Du warst immer mehr als nur ein Schüler oder „Lilys Sohn“, auch wenn ich so oft das Gegenteil behauptet habe. Schlussendlich habe ich doch nur für dich gelebt. Der Ring in der Schatulle sollte ursprünglich Lily gehören, doch dank meiner unendlichen Feigheit hat sie ihn doch nie erhalten. Ich möchte ihn dir schenken und hoffe, dass er dir ein wenig mehr Glück bringt als mir. Bleib so ein wunderbarer Junge, Harry. Du hast nichts falsch gemacht. In Liebe, Severus Harry entfuhr ein bebender Schluchzer, von dem er glaubte, dass er noch draußen auf dem Flur zu hören war. Die rechte Hand hatte er auf den Mund gepresst und Tropfen für Tropfen fielen kleine Tränen seine Wangen hinab und erstarben auf dem zitternden Papier in Harrys linker Hand. Er ließ den Zettel auf den Schreibtisch fallen und vergrub sein Gesicht in seinen Händen. Plötzlich fühlte er sich furchtbar elend. Er hatte Severus Unrecht angetan, all die Jahre, in denen er geglaubt hatte, dieser würde ihn hassen und ihm nach dem Leben trachten. Wenn er es doch bloß gewusst hätte. Wenn Snape ihm nur gesagt hätte, dass er nicht alleine war und dass da jemand an ihn dachte, ihn liebte. So vieles wäre ihm einfacher gefallen. Tränen liefen seine Wangen hinab. Er hielt sie nicht auf, weinte laut und hemmungslos. Wenigstens das war er seinem alten Zaubertranklehrer schuldig, wenigstens er wollte ihm jetzt, nach seinem Tod, seine Gefühle offen legen. Severus war nicht feige, selbst wenn er das von sich behauptete. Er hatte Harry das Leben gerettet, so oft, und er hatte ihn geliebt, hatte alles für ihn aufgegeben. Severus Snape war ohne Zweifel ein sehr mutiger Mann… Severus war ein Steinbock. Harry hatte da nie drüber nachgedacht, bis er an diesem Sonntag das Geburtsdatum auf seinem Grabstein entdeckte. Der neunte Januar. Ron, Hermine und Ginny hatten ihn nicht alleine gehen lassen wollen und so hatte Harry schließlich zugestimmt, dass sie ihn begleiten durften. Auch wenn es erneut so ein schöner, warmer Abend war, wurde ihm kalt, bei dem Gedanken, dass Severus hier unter der Erde lag. Sie alle trugen schwarze Umhänge, so, wie Harry es sich gewünscht hatte. Er musste sein Grab einfach noch mal besuchen, jetzt, wo er über al das bescheid wusste, doch seinen Tränen konnte er nun keinen freien Lauf lassen. Er zwang sich sogar, nicht zu weinen und Lilys grüne Augen in Salz und Wasser zu tauchen. Sie hatten frische Blumen auf das Grab gelegt und sogar Ginny hatte Tränen in den Augen. Harry presste die Lippen fest aufeinander. Es gab doch noch so viel, das ihn beschäftigte. „Wir haben uns die ganze Zeit geirrt.“, sagte er mit sehr heiserer, kratziger Stimme. Hermine nickte. „Ja. Aber er hat es uns auch nicht grade einfach gemacht, ihn zu durchschauen.“, erwiderte sie halblaut. Sie wechselte ein paar Blicke mit Ron. „All die Jahre…“, flüsterte Harry, ging um das Grab herum und streichelte sanft den kalten Marmor, als hoffte er, dass es irgendwie bei Severus ankam. Ginny unterdrückte ein Schluchzen und bekam Schluckauf. „All die Jahre Unterricht, all die Erinnerungen und nun dieser Brief… Warum... Warum glaube ich nur, dass ich ihn noch immer nicht kenne…?“ Ginny nahm seine Hand und zog ihn dicht an sich heran. „Oh, Harry…“, sagte sie und begann zu weinen. Ron schwieg. Er war nicht so gut im trauern. Hermine übernahm für ihn das reden. „Es ist nicht deine Schuld, Harry. Das sagte er doch auch, in dem Brief. Du hast nichts falsch gemacht.“ Harry hatte ihnen niemals den Brief gegeben, hatte ihnen nur oberflächlich berichtet, was darin stand, weil er glaubte, es ihnen irgendwie schuldig zu sein. Doch Hermine verstand nicht. Sie verstand einfach nicht, was er fühlte. Er wollte Severus nahe sein, wollte ihn umarmen und sich bedanken, doch es war zu spät, endgültig zu spät. Sie schwiegen eine Weile. Vögel zwitscherten in den Bäumen und weiße, wattige Wolken zogen über den Himmel. Eine seichte Briese zerzauste Harrys schwarzes Haar. „Er hat mir nie gesagt, dass er mich liebt.“ Harry glaubte fast, dass seine Stimme vom Wind davongetragen worden war, doch Ginny hatte ihn gehört und sah zu ihm hinauf, streckte ihre Hand aus und wischte ihm eine kleine Träne von der Wange. „Ich glaube, er dachte, du wusstest es. So wie er jetzt wissen wird, dass du ihn liebst.“ Sie drückte Harrys Hand und lächelte. Harry lächelte ebenfalls, sah dabei jedoch auf den Grabstein und den verschlungenen Namensschriftzug. „Kommt mit, wir gehen schon mal vor.“, zischte Ginny Hermine und Ron zu, die daraufhin schweigend nickten und dem rothaarigen Mädchen zögerlich folgten. Tiefe Dankbarkeit lag in Harrys Blick, als er Ginny nachsah. Ein paar Minuten wollte er alleine sein. Severus Snape. In der Ferne konnte er noch Rons Stimme hören, doch je länger er auf das Grab sah, desto leiser wurde diese. Mit kleinen, zögerlichen Schritten ging er auf das Grab zu, als würde sich der leibhaftige Severus Snape vor ihm aufbauen, doch er fürchtete sich nicht. Harry hatte schon viele Freunde verloren doch keiner von ihnen war ihm so ein Rätsel gewesen, wie dieser hier. Ein Freund. Nur ein Freund? Er lächelte sanftmütig, als er erneut den Grabstein berührte, doch dieses Mal kam er ihm wärmer vor. Er blinzelte eine kleine Träne weg. „Ich liebe dich auch…“, hauchte er in den Wind. Dann ging er ihr nach, Ginny, dem Mädchen mit den roten Haaren und dem weißgoldenen Smaragdring. -Game Over- Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)