Eternal Fantasy von Rahir ================================================================================ Kapitel 2: Ra-1 --------------- Danke fürs bis hierher lesen! In diesem Kapitel beginnt der zweite Haupthandlungsstrang. Weitere Kapitel werden auf Anfrage gerne nachgereicht! Viel Vergnügen... Unter den wenigen Planeten im Universum, die Leben beherbergen, gab es da noch einen weiteren. Auch wenn es scheint, als ob diesen Planeten Welten, Galaxien oder gar Dimensionen von seinen anderen belebten ‚Brüdern‘ trennen, so sind sie doch in Wahrheit nur ein winziges Stück entfernt. Für den normalen Verstand mag diese Entfernung unfassbar und unüberbrückbar erscheinen, doch vielleicht genügt nur ein Gedanke, nur ein Funken der Hoffnung, um diese Grenze zu überschreiten. Hoffnung war es auch, die einigen Menschen in dieser Welt das Leben rettete. Als alles in Dunkelheit getaucht schien, als die zerstörerischen Kräfte einer Hexe, deren Bösartigkeit selbst die Zeit überwinden konnte, die Zeit selbst zu einer gleichförmigen und beherrschbaren Masse komprimieren wollte- da waren es eine Handvoll junger Menschen, die in den Kampf zogen. Einen aussichtslosen Kampf, trotz aller Anstrengung. Und letztendlich zeigte sich, dass die stärkste aller Kräfte nicht zerstörerische Magie ist, sondern- die Liebe. Die Liebe zwischen zwei Menschen, die bereit waren, alles aufzugeben- außer dem Menschen, dem ihre ganze Liebe galt. „Heilige Scheiße!!!“ Krachend stürzten Teile des Gebäudes vor seine Füße. Staub wurde aufgewirbelt. Staubschwaden, durch die ein Paar leblose, rote Augen ihn anleuchteten. Dann brach das Ungetüm aus dem Durcheinander aus Rauch und Trümmern hervor. X-ATM092- die schwarze Witwe. Von Panik erfüllt sah er sich um. Seine Kameraden konnte er nicht sehen. Ohne sich weiter aufzuhalten, lief er los. Sein Atem pochte in seiner Brust, während er rannte. Auf vieles hatte ihn die harte Ausbildung der SEED-Akademie vorbereitet- aber nicht auf das. Im letzten Moment schlug er einen Haken um eine Hausecke. Die scheppernden Schritte des galbadianischen Kampfroboters kamen immer näher- und schossen an ihm vorbei. Nach Atem ringend lehnte er an der Hauswand. Seine Gedanken tobten durcheinander, während in der Ferne Gefechtslärm erklang. Die Kämpfe zwischen den galbadianischen Truppen und den des Zwergstaates Dollet waren immer noch im Gang, doch das kümmerte ihn im Moment überhaupt nicht. Auch nicht die SEED-Abschlussprüfung. Nur sein Überleben. „Xell! Was zum Teufel tust du da!“ Einer seiner Kameraden kam plötzlich auf ihn zu. Es war dieser… wie hieß er gleich? Squall oder so. Er trug sein braunes Haar in einem auffälligen Mittelscheitel, und quer über sein Gesicht zog sich eine Narbe. Sein Auftauchen flößte ihm augenblicklich Zuversicht ein. Schon seine Lehrer hatten davon gesprochen, dass er der geborene Anführer sei… „Wo sind die anderen? Haben sie es geschafft?“ Squall nickte. „Ja. Sie sind gleich hinter mir.“ Tatsächlich kam im nächsten Moment ein schmächtiges Mädchen, Selphie aus dem Trabia-Garden, um die Ecke. Schwer atmend und mit einem aufgewühlten Gesichtsausdruck stand sie nun bei ihnen. „Und wo ist Cifer?“ fragte Xell. Squall blickte sich um. „Verdammt…“, murmelte er. „Ist wohl wieder auf Extratour. Wir können nicht auf ihn warten. Marsch vorwärts zum Landungsboot!“ Er übernahm die Spitze, dicht gefolgt von Xell und Selphie. Nach einem prüfenden Blick in die Gasse liefen sie los. Das Kampfgeschehen schien sich in Richtung des Antennenturms verschoben zu haben, also genau die Richtung, aus der sie kamen. So schnell es ging liefen sie durch die von der galbadianischen Artillerie verwüsteten Straße. Einst mochte dies eine idyllische Uferpromenade gewesen sein, doch nun war es ein Schlachtfeld. „Pass auf, Squall“, rief Xell, „dieses Ding… es könnte noch in der Nähe- “ Squall blieb stehen und gebot ihm mit Handzeichen zu schweigen. Seine Gunblade in der rechten, ging er langsam auf die Stelle zu, an der ein besonders großer Trümmerhaufen die Sicht versperrte. Nervös blickte sich Xell um. Der Gefechtslärm war am verklingen, die Niederlage von Dollet besiegelt. Sie wussten nicht, wo Cifer war- aber das war Xell zumindest ziemlich egal. Diesen aufgeblasenen Fatzke hatte er noch nie leiden können. Nur Squall als Gruppenführer würde ein Problem bekommen, einen Mann zurückgelassen zu haben. „Warum gehen wir nicht weiter…“, jammerte Selphie. Nervös trat sie von einem Fuß auf den anderen. In ihrer zu groß wirkenden SEED-Kadettenuniform weckte sie in Xell den männlichen Beschützerinstinkt. Er hatte das Gefühl, ihr etwas Aufmunterndes sagen zu müssen. „Mach dir keine Sorgen, Squall ist ein hervorragender Anführer. Sicher geht es- “ Ohrenbetäubendes Getöse unterbrach sie. Xell und Selphie warfen sich instinktiv auf den Boden. Der selbige erzitterte- aber nicht wegen eines Artillerietreffers, wie sie annahmen, sondern wegen der schwarzen Witwe. Mit unbändiger Kraft brach sie durch den Rest einer Häuserfassade. Squall sprang im letzten Moment zur Seite, um nicht zermalmt zu werden. X-ATM092 war darauf programmiert, das einmal erfasste Ziel solange zu verfolgen, bis das Ziel- oder er selbst- zerstört war. Hastig kam er auf die Beine und erfasste die Situation. Die schwarze Witwe hatte ihnen aufgelauert. Nun war sie dabei, Xell und Selphie anzugreifen. Scheppernd stampfte es auf die beiden zu. Beide lagen sie wehrlos auf dem Boden- gleich würde es sie erreicht haben. „Nein! Du vermasselst mir die Prüfung nicht!!“ schrie er und sprang. Er segelte durch die Luft und nahm die Gunblade in beide Hände. Mit voller Wucht traf er den Kampfroboter. Exakt getimt drückte er den Abzug- grell aufblitzend schlug das Projektil in der Panzerung des Roboters ein. Die Maschine zuckte zusammen, und einen Moment war sie wie erstarrt. Wenige Schritte hinter dem voluminösen Körper des Roboters landete Squall. „Schnell! Lauft weg!!“ rief er den beiden zu. Unter den zuckenden Leib der Maschine hindurch sah er, wie die beiden wieder auf die Beine kamen. Xell stand nun Auge in Auge mit der schwarzen Witwe. Wie eine Maus vor der Schlange konnte auch er sich einen Moment lang nicht bewegen. Dann stieß er Selphie an, die ebenfalls gebannt die riesige Maschine anstarrte. „Weg mit dir! Lauf zum Strand!“ Sie schüttelte verwirrt den Kopf. „Und was machst du?“ „Das Ding ist nicht besiegt, ich verschaff uns mehr Zeit!“ Ohne länger zu überlegen, lief Selphie um die Maschine herum. Xell wusste, in wenigen Momenten würde die Maschine ihren Kurzschluss überwunden haben. Er konzentrierte sich, erinnerte sich an das, was ihm einst sein Meister Zangan beigebracht hatte. Er ballte beide Fäuste und spürte die Energie darin. Im nächsten Moment begann es. Blaue Blitze umwogten seine rechte Faust. Alles um ihn herum schien sich zu verdunkeln, als sich die Energiekonzentration verdichtete. Statisches Knistern ging von ihm aus, sprang auf die Metallhülle der Maschine über und schließlich auf die Gebäude um ihn herum. Mit einem Urschrei ließ er seine Faust auf den Boden herab sausen. Donnerhall dröhnte durch ganz Dollet. Ein Riss in der Erde tat sich auf. Er pflanzte sich fort, und gleißende Energie strömte aus seinem Inneren. Der Riss raste auf die Maschine zu und fand dort sein Ziel. Ein Loch in der Erdkruste tat sich auf. Trümmer, Lava und Entladungen purer Energie schossen heraus und durch die Maschine hindurch. Kaum dass sich Xell von seinem Verzweiflungsangriff erholt hatte, lief er los. Als die drei durch die Straßen Dollets liefen, schien hinter ihnen ein Inferno zu toben. Brocken flüssigen Gesteins regneten herab- doch die schwarze Witwe war nicht besiegt. Schon hörten sie ihre metallenen Schritte von hinten rasch näher kommen. Xell, der fitteste von ihnen, lief schneller als Squall und Selphie. Als der Strand in Sichtweite kam, hatte er schon einen ziemlichen Vorsprung. Völlig außer Atem kam er vor der geöffneten Klappe ihres Landungsbootes zum Stehen. Verzweifelt winkte er ihnen, schneller zu laufen- dann erstarrte er. Obwohl die beiden um ihr Leben liefen, hatte sie die schwarze Witwe schon fast eingeholt. Squall und Selphie stürzten gerade die Treppe zum Strand hinunter, als X-ATM092 schon hinter ihnen stand. Seine Geschütze visierten das Ziel an, dann ertönte das ohrenbetäubende Hämmern eines Maschinengewehres- Xell presste die Augen zusammen. Als er sie wieder öffnete, sah er die schwarze Witwe. Von zahllosen Projektilen durchlöchert, lag sie vor ihnen. Als er sich umwandte, sah er Quistis, die das schwere Maschinengewehr am Landungsboot bediente. Sie warf ihnen allen einen mahnenden Blick zu. „Glotzt nicht so, sondern steigt lieber ein! Die Galbadianer werden bald hier sein!“ Das Hämmern des Maschinengewehres ging nahtlos über in das Schrillen des Weckers. Schweißnass schreckte er hoch. Er blickte auf die Leuchtziffern des Weckers, während sich sein Atem verlangsamte. Schließlich stand er auf und ging ins Bad. Nachdem er sein Gesicht mit eiskaltem Wasser abgerieben hatte, stützte er sich mit beiden Händen auf die Waschmuschel und blickte düster in den Spiegel. Lange Strähnen braunen Haars hingen ihm wirr ins Gesicht. Dahinter verbarg sich ein betrübter Gesichtsausdruck. Eine Weile starrte er das unsympathische Gesicht an, bevor er das Bad verließ. Mit routinierten Bewegungen schlüpfte er in die SEED-Uniform. Bevor er seine Unterkunft verließ, fiel sein Blick auf einen schwarzen Kasten, der an der Wand lehnte. Auf dem Deckel prangte ein silberner Löwenkopf. Nach kurzem Überlegen öffnete er den Kasten und verstaute die Waffe in seinem Inventar. Auch wenn ich das Ding eh nicht mehr brauche… Dann verließ er das Quartier. Mit gefasster Miene ging er zu seinem Büro. Mittlerweile hatte er sich daran gewöhnt, dass die SEED-Kadetten vor ihm salutierten. Lästig war ihm nur das zurücksalutierten. Am liebsten hätte er sie alle zusammengepfiffen, wie sie so fröhlich und unbeschwert die Gänge entlangliefen. Was wissen den die schon vom Leben… Andererseits… was können die für meine schlechte Laune? Er war froh, sein Büro erreicht zu haben. Es war ja wirklich nett. Geräumig, hell, mondän eingerichtet… einfach zum Kotzen, sagte seine innere Stimme. Ein Etappenhengst, das bist du jetzt, fügte sie hämisch hinzu. Er ließ sich auf seinen bequemen Lehnstuhl nieder. Langsam schloss er die Augen und hoffte, der Tag möge bald wieder vorbei sein… Das schrille Quietschen der Gegensprechanlage holte ihn in die Gegenwart zurück. Genervt drückte er den Kopf. „Sir, hier spricht Mara, Kadett ersten Ranges“, meldete sich eine pflichtbewusste, weibliche Stimme. „Ich soll sie daran erinnern- “ „-dass Quistis Trepe gleich am Morgen den ersten Termin hat, ich weiß…“, vervollständigte er gelangweilt. „Äh, gut… ich schicke sie glei- “ „Danke“, bellte er ins Mikro und schaltete die Gegensprechanlage ab. Seufzend stützte er das Kinn auf den Ellbogen und tippte den Fingern auf die Tischplatte. Momente später ging die Tür auf, und Quistis Trepe, die Chefausbilderin des Balamb-Gardens, trat in sein Büro. „Guten Morgen, Squall“, sagte sie und nahm unaufgefordert Platz. Ihr blondes Haar war wie immer zu einem strengen Pferdeschwanz zurückgebunden. Ihre Uniform war wie aus dem Ein gepellt, und auf ihrer Nase prangte eine voluminöse Brille, durch die sie konzentriert auf das Klemmbrett in ihren Händen blickte. Einige Augenblicke später senkte sich das Klemmbrett und gab den Blick frei auf einen mürrischen, jungen Mann, der hinter einem wichtig aussehenden Schreibtisch saß. Seufzend schüttelte sie den Kopf. „Quistis“, begann er müde, „ich kündige. Schreib das als erstes auf.“ „Squall, Squall… was redest du da. Du kannst nicht kündigen“, belehrte sie ihn. „Du bist stellvertretender Direktor des Gardens und zugleich Identifikationsfigur für alle Kadetten. Seit der Sache mit Artemisia haben wir einen größeren Zulauf den je. Die Geschäfte laufen hervorragend, kaum ein Bürgerkrieg oder Staatsputsch auf diesem Planeten, in dem nicht Abgänger unseres Gardens kämpfen! Und wenn Cid Kramer nächstes Jahr in den Ruhestand geht, dann wissen alle, wer ihn beerben wird.“ „Das ist mir egal. Ich kündige“, entgegnete er trotzig. Mit einem lauten Knall landete das Klemmbrett auf seinem Schreibtisch. „Squall Leonhart!“ begann sie energisch. „Auch wenn du nun mein Vorgesetzter bist, einst warst du mein Schüler, und du bist mir nicht zu stark oder zu wichtig, dass ich dir nicht ordentlich die Leviten lesen könnte! Hörst du mir überhaupt zu?“ „Ja, Ma’am“, erwiderte er im zackigen Ton eines Befehlsempfängers und salutierte spöttisch. „Verstanden, Ma’am. Zu Befehl, Ma’am. Weißt du was? Ich bin es leid! Squall hier, Squall da. ‚Squall, was sollen wir tun? Was machen wir jetzt? ‘“ äffte er einen ahnungslosen Tonfall nach. Dann beugte er sich nach vor und sah ihr tief in die Augen. „Ihr tut gerade so, als könntet ihr nicht leben ohne mich. Was wäre gewesen, wenn ich damals nicht aus der Zeitkompression zurückgekehrt wäre? Was würdet ihr dann tun?“ Betretene Stille legte sich über den Raum. Das Ticken der Wanduhr wurde immer lauter. „Wir sind alle froh, dass du da bist“, sagte Quistis und brach die Stille. Etwas verlegen verschränkte sie die Arme. „Das mit Rinoa tut mir leid. Ich verstehe, dass dich das bedrückt.“ Seufzend lehnte er sich zurück und begann, mit der Computermaus auf seinem Schreibtisch herumzuspielen. „Ja, das bedrückt mich. Siehst du? Ich kann es sogar zugeben. Früher hätte ich das nicht gekonnt. Ich habe mich doch verändert… oder?“ Gerade als sie langsam den Kopf von links nach rechts bewegen wollte, fiel sein Blick auf sie. Eilig machte sie ein zustimmendes Gesicht. „Ja, äh… ich meine, irgendwie… zumindest…“ „Sei bitte ehrlich.“ Sie verzog leicht das Gesicht. „Squall. Du bist der, der du bist. Dafür kannst du nichts, und du musst es auch nicht ändern. Bitte mach dir deshalb keine Vorwürfe.“ Schnaubend ließ er die Maus fallen. „Und warum… ist sie dann weg?“ Durch diese Worte brach ein Spalt in seiner gefassten Miene, und der Schmerz dahinter blitzte auf. Quistis schlug die Beine übereinander und nahm das Klemmbrett wieder an sich, als könne sie eine unangenehme Wahrheit dahinter verbergen. „Tja… das hatte wohl mehrere Gründe. Es ist nicht immer gut, wenn man neben einer privaten Beziehung auch noch beruflich miteinander zu tun hat. Du musst bedenken, sie ist an keiner Akademie aufgewachsen, so wie wir… Ich schätze, sie war einfach überfordert mit der ganzen Situation.“ Squall schnellte nach vor und stützte sich mit beiden Händen auf den Schreibtisch. „Überfordert?? Und was soll ich sagen? Sie haut von heute auf morgen einfach ab und sagt sowas wie ‚ich brauche eine Auszeit und muss mich selbst finden.‘ Und damit soll ich mich abfinden?“ Er lehnte sich wieder zurück und sprach in einem ruhigeren Tonfall weiter. „Du hast sie doch letztens besucht. Was hat sie denn genau gesagt?“ Quistis seufzte langezogen. Schon so oft hatte er sie das gefragt, doch auch sie hatte keine Antwort für ihn gewusst. „Wie ich dir gesagt habe… auf alles was deine Person betrifft, hat sie mir nur ausweichende Antworten gegeben. Sie hat nur immer gesagt, dass sie sich im Moment sehr wohl fühlt. Vielleicht kommt sie ja bald wieder zurück“, fügte sie hinzu. Irgendetwas Aufmunterndes musste sie doch sagen. Squall schüttelte langsam den Kopf. „Ja, vielleicht…“ Quistis runzelte die Stirn. „Nun… du könntest sie doch besuchen? Sie hat ja nichts davon gesagt, dass… sie das nicht will“, behauptete sie unsicher. Er winkte ab. „Nein, nur dass sie mich eine Weile nicht sehen will“, entgegnete er verdrossen. Quistis lachte aufmunternd. „Ach, was wir Frauen immer so sagen… oft meinen wir das gar nicht so. Und vielleicht ist ‚diese Weile‘ ja schon vorbei?“ „Vielleicht hast du recht. Ich werde es mir durch den Kopf gehen lassen.“ Energisch schüttelte er den Kopf, wie um die trüben Gedanken zu vertreiben. „Wie auch immer. Was steht auf der Tagesordnung?“ Erleichtert ging sie zum anstehenden Protokoll über. Sie hatte versucht, ihm so gut wie möglich durch diese schwere Zeit zu helfen, nicht immer mit Erfolg. Nach wie vor war sie seine engste Vertraute, und kaum jemand sonst ließ er so nah an sich heran. Dabei war sie selbst auf dem Gebiet nicht so bewandert. Sie hatte sich schon lange damit abgefunden, dass Squall ihre Liebe nie erwidern würde. Und so hatte sich die Schwärmerei ihrer Jugend in eine tiefe Freundschaft gewandelt. Damit konnte sie leben. Wenngleich… Die Kadetten außerhalb ihres umfangreichen Fanklubs nannten sie hämisch ‚die eiserne Jungfrau‘. Man sagt ja, dass man nie wirklich über die erste große Liebe hinwegkommt, und in ihrem Fall stimmte das. Doch solange sie in seiner Gegenwart sein konnte, interessierte sie beim besten Willen kein anderer Mann ernsthaft. Und so spielte sich außer seltenen, rein sexuellen Episoden mit einem ihrer Schüler nichts ab bei ihr in dieser Beziehung. Allmählich überwand Squall den inneren Widerstand; so wie jeden Tag. Die Routine hatte ihn wieder, und das Tagesgeschäft war schneller erledigt, als er ursprünglich zu hoffen gewagt hatte. Das Durchgehen der Lehrpläne, das Vereidigen eines neuen Jahrgangs, die Abschlussbesprechung eines Einsatzes der SEEDs. Alles Pflichten, die ihn von seinen Problemen ablenken konnten. Und schließlich neigte sich der Tag zu Ende. Er war fast zufrieden, als er auf dem Appellplatz vor dem Garden stand und in die Abendsonne blickte. Gerade hatten sie als letzten Punkt seines Dienstplans eine Abteilung Kadetten auf eine Nachtübung geschickt. Die Ausbildner würden unter der Leitung von Quistis die unerfahrenen Kadetten durch die Wälder der Insel jagen, um sie dann als Abschluss der Übung in die Feuergrotte zu schicken. Gewiss waren die Gegner dort drinnen eher harmlos, doch am Ende eines anspruchsvollen Orientierungsmarsches schlimm genug. Zu allerletzt würde ihnen Ifrit einen gehörigen Schrecken einjagen… So wir mir damals, dachte er wehmütig zurück. Das waren halt noch Zeiten… Ja, damals. Aber die Welt hatte sich geändert. Nach dem Sieg über Artemisia hatte Euphorie geherrscht. Eilig war er befördert worden. Und ehe er es sich versah, hatte man ihn zum stellvertretenden Direktor gemacht. Von nun an bestritt er keine Einsätze mehr, sondern leitete sie. Zwar konnte er den aufstrebenden Kadetten mit seiner Erfahrung wichtige Hilfestellung leisten, doch gleichzeitig beneidete er sie- um was eigentlich? fragte er sich oft. Er musste es sich eingestehen. Ihm fehlte die Gefahr, das Unbekannte, das bei jedem Einsatz auf ihn wartete. Seufzend wandte er sich von dem kitschig schönen Sonnenuntergang ab und trat wieder durch das Tor. Der Mann an der Rezeption nickte ihm nur beiläufig zu, und Squall nickte zurück. Verdammt, dachte er, er sitzt dort, soweit ich zurückdenken kann, und ich weiß immer noch nicht seinen Namen. Na ja, egal… Im großen Rundgang um den Aufzug herum herrschte jetzt Ruhe. Die Kadetten waren entweder auf Übung, in der Mensa oder in ihren Unterkünften. Diese Phasen genoss er besonders. Wenn er dann durch die vertrauten Gänge des Gardens schlenderte, ohne die lärmenden Schüler und Kadetten, dann war alles so wie früher. Als er klein war, als der Garden gerade gebaut worden war… Er hatte sich dafür eingesetzt, den Garden wieder an seinem angestammten Platz zu verankern. Auch wenn das gesamte Gebäude flugtauglich war, so hatte es doch seinen Platz, und dort sollte es bleiben seiner Meinung nach. Dies war seine Heimat, hätte es für sie beide sein sollen… Wieder mischten sich unangenehme Gedanken ein. Verärgert schüttelte er den Kopf. Ich muss den Kopf freibekommen, dachte er und steuerte die Übungshalle an. Früher war er oft dort gewesen, um sich mit den Gratts und Raldos zu messen. Mittlerweile entlockten ihm diese Standardgegner nur mehr ein müdes Lächeln. Es gab aber dort auch noch ein anderes Monster, den Archeodinos. Es war gelungen, diesen Saurier, der vereinzelt in den Wäldern der Insel vorkam, in der Übungshalle anzusiedeln. Das erste, das Schülern im Garden eingetrichtert wurde, war: ‚Wenn du einen Archeodinos siehst, dann lauf! ‘ Für Squall war er zwar kein ernsthaftes Problem, aber immer noch eine Herausforderung. Selbst ohne gekoppelte ‚Guardian Force‘. Deren Zeit ist auch abgelaufen, dachte er missmutig, als sich die Tür zischend vor ihm öffnete. In den heutigen Konflikten vertrauten die Kämpfer auf ihre Waffen und ihre Magie. Aufwändige Beschwörungen galten als nicht mehr zeitgemäß. Gefechte im großen Maßstab, wie er und seine Freunde sie damals hatten handhaben müssen, waren kleinen, verstreuten Scharmützeln gewichen. Die großen Staaten führten nicht mehr Krieg gegeneinander, sondern sahen sich vermehrt inneren Bedrohungen ausgesetzt. Vielleicht bin ich auch schon ein Auslaufmodell, dachte Squall, als sich die Tür der Übungshalle hinter ihm schloss. Er schloss die Augen und atmete tief ein. An diesem Ort fühlte er sich freier, fast so wie damals, als er selbst noch ein Kadett gewesen war. Langsam zog er seine Gunblade hervor und betrachtete sie. Sie diente nur mehr zeremoniellen Ansprüchen. In einem tatsächlichen Kampf würde er ein stark verbessertes Modell, das ‚Löwenherz‘, verwenden. Und doch wollte er sich nicht von ihr trennen. Soviele Erinnerungen verband er mit dieser Waffe... Und einem Archeodinos gegenüber wäre es auch unfair, was anderes zu verwenden, dachte er schmunzelnd. Auf Geräusche achtend, ging er los. Das Urwandszenario mit den Schlingpflanzen und den umgestürzten Baumriesen war wirklich liebevoll gestaltet, man fühlte sich wie in einem echten Regenwald. Vorsichtig setzte er einen Schritt vor den anderen. Was die meisten Studenten nicht wussten, war das man nur leise genug sein musste, um von den Gratts und Raldos verschont zu bleiben. Stattdessen trampelten sie durchs Gehölz, um erste Kampferfahrung zu sammeln. Auch gut, dachte er, während sein Blick das dichte Unterholz absuchte. Ich bin aber heute nicht hier, um Unkraut zu bekämpfen. Bald wurde er fündig. An einer kleinen Lichtung stand eines der seltenen Ungeheuer. Vorsichtig schlich er sich an. Er konnte bereits das Schnauben der riesigen Echse hören. Gemächlich stampfte es auf die Lichtung zu, wahrscheinlich suchte es einen Schlafplatz. Nicht heute, Freundchen, dachte Squall und betrat die Lichtung. Selbstbewusst schritt er auf den ungefähr fünfmal so großen Saurier zu. „He, Mistvieh!“ Das Monster drehte seinen massigen Kopf langsam in seine Richtung. Dabei schnaubte es durch seine Nüstern. „Ja, genau dich meine ich!“ Mit der Gunblade in beiden Händen stellte er sich kampfbereit vor ihm auf. Der träge Blick des Urzeitungeheuers glitt zu ihm hinunter. Offensichtlich nahm das Wesen ihn nicht ernst sondern erwartete, dass er wie alle anderen nach kurzer Zeit die Flucht ergriff. Fast konnte er das Ungetüm lachen hören. Laut röhrend lief es los. Einen kurzen Moment war Squall von der Beschleunigung des massigen Ungeheuers überrascht, dann sprang er zur Seite. Zurück blieb eine leere Stelle, nach der das Ungetüm schnappte. Verärgert fuhr es herum. Einen Moment verharrte es und schätzte seinen unscheinbaren Gegner ein. Squall tänzelte hin und her. Mit einem Male fühlte er sich lebendig, zum ersten Male nach langer Zeit. Dann trampelte der Archeodinos mit beängstigender Geschwindigkeit los. Der Boden unter seinen Füßen erzitterte, als das Monster brüllend auf ihn zu trampelte. Squall genoss es, erst im letzten Moment wegzuspringen. Wieder traf das riesige Reptilienmaul ins Leere. Squall konnte gerade noch reagieren, als das Untier einen Schwanzhieb folgen ließ. Er sprang in die Luft, und der peitschenartige Hieb verfehlte ihn. „So, jetzt reicht es! Genug gespielt!!“ Squall verharrte in der Luft. Er fühlte die Bedrohlichkeit der Situation, und schon strömte die Energie in seine Hände. Die Umgebung wurde in Dunkelheit getaucht, und seine Waffe glühte auf. Blitze statischer Elektrizität trafen ihn und luden die Gunblade auf. Schließlich entlud sich die Energie, und er beschrieb mit der Waffe einen leuchtenden Kreis. Eine Welle gleißender Energie pflanzte sich über den Boden fort, raste auf den paralysierten Archeodinos zu und detonierte dort. Die folgende Explosion ließ die Halle erzittern und riss ganze Trümmer aus dem Boden. Krachend prasselten sie zu Boden und auf den sterbenden Saurier. Er landete auf den Füßen und blickte zufrieden den sich auflösenden Kadaver an. Lachend legte er die Gunblade über die Schulter und fühlte sich wie ein Gewinner. Er wusste nicht genau warum; doch aus irgendeinem Impuls heraus ging er bis ans Ende der Halle und kam so zum Notausgang, der zu einer kleinen Plattform außerhalb des Gebäudes führte. Er wusste von früher, dass die Kadetten hierher kamen, um in Ruhe mit ihrem Herzblatt herumzuknutschen. Nicht das er das selbst einmal getan hätte; Quistis wollte ihn hier einmal verführen, doch er war nicht darauf eingestiegen. Sie war für ihn immer wie eine Schwester gewesen. Und als sie ihre feuchten Lippen auf seine pressen wollte, da hatte er sich gewehrt. Auch an diesem Abend saßen und standen sie wieder verteilt an der Brüstung, von wo man aus einen wunderbaren Blick in den Sternenhimmel und auf das Lichterspiel des Gardens hatte. Squall wich ihren Blicken aus, um nicht erkannt zu werden. Wahrscheinlich würden sie panisch davonlaufen, denn das Betreten der Übungshalle war des Nächtens nicht erlaubt. So würden sie sich höchstens wundern, warum ein Kadett alleine hierher kam… Alleine. Ja, er war wieder alleine. Zwei Monate war es nun her, dass Rinoa ihn verlassen hatte. Es kam ihm vor, als wäre es erst gestern gewesen. Schon eine Zeit lang war ihm aufgefallen, dass sie… anders war als sonst. Abwechselnd hatte sie seine Nähe gesucht, bis es ihm fast zu viel wurde; dann wieder hatte sie sich ohne Gründe zu nennen in ein anderes Quartier zurückgezogen. Und schließlich hatte sie ihm eröffnet, dass sie wegwollte. Weg vom Garden, weg von ihm. Eine gewisse Zeit lang, wie sie gesagt hatte. Und dann hörte er über Quistis, dass sie sich sehr wohl fühlt, oben auf dem Nordkontinent, im Schumi-Dorf. Ein neues Leben als Künstlerin hatte sie begonnen, so sagte sie. Fernab von Gewalt und Totschlag, nur für die Natur und die Schönheit… Ätzend, dachte Squall. Gewalt und Totschlag gehören nun mal zum Leben eines SEEDs dazu. Eines SEEDs… etwas, das Rinoa nie gewesen war. Vielleicht war es deshalb so gekommen, vielleicht war es unvermeidlich gewesen… „He! Pst!“ Squall blickte sich um. Einer der Kadetten, der gerade unter seiner Freundin zum Vorschein kam, zischte ihm etwas zu. „Hm?“ „Ja, dich meine ich. Ist eh keiner von den Hausdrachen unterwegs?“ Squall schmunzelte innerlich. Im Halbdunkel hatte ihn der Kadett nicht erkannt, und Hausdrachen war Kadettenjargon für Ausbilder. „Da wäre ich mir nicht so sicher“, flüsterte Squall. „Ich glaube, ich habe vorhin einen gesehen.“ „Echt?“ Der Bursche schob das Mädchen, das begierig seinen Hals küsste, von sich. „Mach ne Pause, Mara! Vielleicht sollten wir lieber gehen…“ Das Mädchen stieg von ihm runter und richtete sich auf. „Aber warum denn, Stopel? Ist doch gerade so schön hier…“ „Schon, aber der Typ hier hat gesagt, dass irgendein Ausbilder in der Nähe ist. Wenn der mich erwischt, dann kann ich die Abschlussprüfung nächste Woche abschreiben.“ Das Mädchen kam auf die Beine. Squall musste grinsen; er erkannte seine Adjutantin wieder. Mara blickte ihn an. Nach kurzer Zeit gefror ihr Gesichtsausdruck. „Möglicherweise habe ich mich auch geirrt“, sagte er langsam. „Aber wenn ihr auf Nummer Sicher gehen wollt, dann geht ihr vielleicht besser. Dann wird keiner der Ausbilder hiervon erfahren.“ Der Junge namens Stopel putzte sich seine Kadettenuniform ab, während seine Freundin Mara fassungslos Squall, ihren Vizedirektor, anstarrte. „Du hast wohl recht“, erwiderte Stopel, ohne etwas zu ahnen. „Wir gehen besser, Mara. Die Prüfung ist mir echt wichtig.“ Seufzend trottete er davon. Dann folgte ihm das Mädchen. „Danke, Sir. Dass sie uns nicht verpetzen, meine ich. Sir“, flüsterte sie ihm noch zu, dann stahl sie sich ebenfalls weg. Squall lächelte nur. „Aber gern“, flüsterte er leise, als die beiden schon weg waren. Dann lehnte er sich auf die Brüstung und genoss den Anblick, für den die in ihren Küssen vertieften Kadetten kein Auge übrig hatten… Als er schließlich in seinem Quartier ins Bett fiel, kreisten seine Gedanken wieder um Rinoa. Um sie und das, was sie miteinander erlebt hatten. Fast greifbar war die Erinnerung, als sie die Ragnarok in der Umlaufbahn gekapert und von ihren außerirdischen ‚Bewohnern‘ gereinigt hatten. Er saß damals auf dem Pilotensitz, und Rinoa auf seinem Schoß. Wie er so dalag und an die Decke seiner Unterkunft starrte, da spürte er fast ihre Berührung, wie sie damals den Arm um ihn gelegt hatte… Damals waren sie sich zum ersten Male so richtig nahe gekommen. Zuerst war da ein Widerstand dagegen in ihm gewesen, der jedoch bald schmolz… Und dann hatte er sich in sie verliebt, wie noch nie in einen anderen Menschen. Eine gemeinsame Zukunft hatten sie sich vorgestellt. Nicht das, was jetzt war. Der Schmerz über die geschwundene Liebe stach ihn bis ins Innerste. Ächzend drehte er sich zur Seite. Ich werde sie aufsuchen, nahm er sich vor. Ja, das werde ich. Und dann wird sie sich entscheiden, für mich oder gegen mich. Innerlich fürchtete er diese Entscheidung, doch ihm war klar, dass es unvermeidlich war. Er konnte bis an sein Lebensende über diese verlorene Liebe trauern, oder einen Schlussstrich ziehen. Sollte sie tatsächlich nicht mehr für ihn da sein können… so würde er es akzeptieren. Es würde ihm schwer fallen, doch mit der Zeit würde er darüber hinwegkommen. Mit der Zeit… bestimmt, irgendwann… Eine Sekunde bevor der Wecker ins Schrillen begann, traf ihn seine Hand. Mühelos kam er aus den Federn. Im Badezimmerspiegel erwartete ihn ein ungewöhnlich gut gelaunter junger Mann, wie ihm auffiel. Sein Entschluss erleichterte ihn spürbar. Zu lange hatte er es vor sich hergeschoben, doch nun war es soweit. Selbst die Aussicht auf das endgültige Ende seiner Beziehung zu Rinoa schreckte ihn nicht mehr so. Alles war besser als diese Ungewissheit. „Squall? Alles in Ordnung?“ fragte ihn Quistis bei der Morgenbesprechung. Dieser nickte lächelnd. „Ja. Mir geht’s hervorragend.“ „Gut. Das ist gut.“ „Ich leihe mir die Ragnarok aus. In spätestens zwei Tagen bin ich wieder hier. Ist das in Ordnung, Ma’am?“ fragte er leicht spöttelnd. „Ja, ich denke schon“, erwiderte sie kichernd. „Du solltest dich noch beim Direktor abmelden, aber ich glaube, wir überleben zwei Tage ohne dich.“ Squall ergriff ihre Hand und lächelte ihr warmherzig zu. „Daran habe ich nie wirklich gezweifelt. Ich vertraue euch.“ Dann erhob er sich, um sein Büro zu verlassen. Quistis blickte ihm nach, als er schon in der Tür stand. „Squall?“ Er verharrte in der Tür. „Ja?“ „Du hast dich verändert. Zum Positiven.“ Er nickte ihr dankbar zu. Dann ging er. Surrend fuhr der Aufzug in den dritten Stock des Gardens. Dort oben, an der Spitze des schneckenhausförmigen Gebäudes, befand sich das Büro von Cid Kramer. Obwohl er erst 42 war, würde er wohl wie bereits angekündigt nächstes Jahr seinen Ruhestand antreten. Alle verstanden dies. Dann würde er endlich mehr Zeit mit seiner wiedergefundenen Frau Edea verbringen können. Der Gründer des Gardens, der sich so oft um ihn und seine Schüler verdient gemacht hatte. Ein bisschen erschauderte Squall bei dem Gedanken, sein Nachfolger zu werden. „Ah, Squall! Schön dich zu sehen“, begrüßte er ihn, als er bei der Tür herein lugte. „Haben sie etwas Zeit für mich, Sir?“ fragte er respektvoll. Auch wenn die beiden mittlerweile auf fast gleicher Augenhöhe waren, so kam er doch nicht umhin, ihm den gebührenden Respekt zu zollen. „Natürlich, für sie immer. Was haben sie auf dem Herzen?“ Squall nahm auf den ihm zugewiesenen Stuhl Platz. Cid Kramer lehnte sich mit verschränkten Händen auf seinen Schreibtisch, um ihm aufmerksam zuzuhören. „Ich bitte um Erlaubnis, die Ragnarok auszuleihen… und mir zwei Tage freizunehmen.“ Der Direktor des Gardens nahm seine Brille ab und betrachtete nachdenklich das Glas. „Meine Erlaubnis haben sie natürlich. Momentan steht nichts Besonderes an, sie können sich also beruhigt freinehmen. Abgesehen von dem Forschungsprojekt in der MD-Ebene. Sie haben davon gehört, nehme ich an?“ „Ich weiß nur, dass die da unten eine Menge Strom brauchen. Wir hatten mehrere Energieabfälle die letzten Tage.“ „Ja, ich weiß“, erwiderte er lächelnd. „Die Störungen werden bald behoben sein. Es geht dabei übrigens um eine neue Art des Reisens. Wenn alles so läuft, wie geplant, dann werden wir in Zukunft eine ganz neue Art der Fortbewegung für unsere Truppen nutzen können. Sehr wertvolles Wissen wurde dabei übrigens von Martine Dodonna beigesteuert. Er hat es dann doch nicht ausgehalten in Fisherman’s Horizon. Jetzt arbeitet er mit unseren Technikern zusammen…“ Squall hörte Kramers begeisterten Ausführungen geduldig zu und nickte von Zeit zu Zeit. Mit seinen Gedanken war er jedoch schon ganz wo anders. Schließlich bemerkte der Direktor das. „…aber wie ich sehe, beschäftigt dich momentan etwas anderes. Es ist wegen Rinoa, richtig?“ Squall nickte ernst. „Ja. Ich möchte wissen, ob sie noch etwas für mich empfindet. Oder ob es… vorbei ist.“ Seufzend setzte er seine Brille wieder auf. „Ich verstehe. Ihr seid so ein schönes Paar, es wäre traurig, wenn… jedenfalls sollten sie sich mit ihr aussprechen. Ich kann mich noch genau erinnern, als sie damals zu mir kam, wegen des Auftrags in Timber… Mir war gleich klar, dass sie ihre harte Schale würde weichkochen können. Ich gebe ihnen einen Rat, Squall.“ Er blickte ihn ernst an. „Und der wäre, Sir?“ „Seien sie ehrlich zu ihr. Sagen sie ihr, was sie in ihrem Inneren empfinden. Auch wenn es ihnen schwerfällt, ich weiß, dass sie es können. Lassen sie ihr Herz entscheiden, was sie tun. Dann wird sie es auch so tun. Und was immer dann geschehen wird… es wird gut so sein, vertrauen sie darauf.“ „Danke, Sir.“ Squall stand auf, um zu gehen. „Viel Glück, Squall.“ Er spürte den aufrichtigen und wohlwollenden Blick des Direktors auf sich. „Danke, das werde ich brauchen können.“ Sein forscher Schritt führte ihn in den Garagenbereich des Gardens. Die Ragnarok stand dort für eilige Transporte bereit. Früher war es Selphie Tilmitts Aufgabe gewesen, das Schiff zu pilotieren, doch sie hatte den Garden schon vor einem halben Jahr verlassen. Nach dem Hexenkrieg hatte sie immer öfter Irvine Kinneas, den Scharfschützen besucht. Dieser hatte nach dem Krieg dem Kampf abgeschworen, sein Gewehr an den sprichwörtlichen Nagel gehängt und im idyllischen Dörfchen Winhill eine neue, friedliche Existenz begonnen. Schließlich hatte Selphie die formelle Kündigung eingereicht und war zu ihm gezogen. Squall erinnerte sich noch genau an den Tag ihrer Verabschiedung. Ihnen allen war zum Heulen zumute gewesen, besonders Selphie selbst. Doch letztendlich war die Liebe stärker gewesen als ihre Freundschaft. Außer bei mir… Bittere Gedanken drangen wieder in sein Bewusstsein ein. Ärgerlich schüttelte er den Kopf und hoffte, dass ihre Aussprache die endgültige Klärung bringen würde. Und dann sah er sie. Die Fahrzeuge des Gardens wirkten winzig neben dem kühn geformten Luftschiff, das einen zum Angriff bereiten Raubvogel imitierte. Wie immer wuselten mehrere Techniker um das Schiff herum, das bei aller Formschönheit doch einen enormen Wartungsaufwand verursachte. Als sie Squall sahen, salutieren sie zackig mit ihren ölverschmierten Händen. „Guten Morgen, Kadetten. Ist die alte Lady startbereit?“ „Ja, Sir“, erwiderte einer von ihnen. „Wenn sie starten wollen, dann schleppen wir sie gleich ins Freie- “ „Danke, ist nicht nötig“, entgegnete er knapp und lief die Rampe ins Innere hinauf. Verdutzte Blicke folgten ihm. Im Vorbeigehen traf er den Schalter, der die Rampe surrend hochgleiten ließ. Lächelnd ließ er sich auf den Pilotensitz fallen. Er befühlte die Steuerarmaturen, und jetzt erst merkte er, wie sehr ihm das gefehlt hatte. Das werde ich jetzt öfter machen, dem ganzen Trott entfliehen… Sollen sie doch sehen, wie sie ohne mich zurechtkommen… Dröhnend erwachte die gewaltige Maschine zu Leben, als er einen Kippschalter nach dem anderen umlegte. Und plötzlich, als das Triebwerk der Ragnarok zu pulsieren begann, schoss ihm eine schmerzhafte Erinnerung ein. Genau hier saß ich damals, und Rinoa auf meinem Schoss… Den Gedanken verdrängend, gab er Schub. Und schon drückte es ihn in den Sitz. Die Wände der Garagenhalle rasten an ihm vorbei, und das grelle Licht des Ausgangs kam auf ihn zu. Die Ragnarok schoss hinaus, und er riss das Steuer hoch. Das grüne Land unter ihm schwand aus seinem Blickfeld, und er hielt genau auf den blauen Himmel zu. „Jipieeeh!!“ Er jauchzte vor Freude und riss das Ruder wieder herum. Nun beschrieb das Schiff eine Rolle. Abwechselnd kamen das Meer und der blaue, von wenigen Wolken durchzogene Himmel in sein Sichtfeld. Er beschleunigte weiter, und bald durchfuhr die Schockwelle des Überschallknalls den Schiffrumpf. Die Euphorie packte ihn und er wurde übermütig. Er drückte das Schiff hinab, bis es knapp über die Meeresoberfläche dahin schoss. Eine Welle der Gischt hinter sich herziehend, glitt die Ragnarok über den glänzenden Ozean. Jetzt fühlte er sich wirklich frei, wie schon lange nicht mehr… Am Horizont kam nun die Küste des Trabia-Kontinents in Sicht. Er zögerte, dann schwenkte er ab Richtung Südosten. Einen Moment lang ärgerte er sich über seinen Rückzieher, dann disponierte er um. Vorher besuche ich noch Vater… Vielleicht weiß er Rat. Die endlose Salzwüste des Esthar-Kontinents zog unter ihm vorbei, und endlich kam die Hauptstadt in Sicht. Ihre bizarren, futuristischen Formen lagen in krassem Widerspruch zu dem Ödland rundherum. Bald erblickte er die Hauptstraße, an der er sich beim Anflug immer orientierte. Er flog nun fast so tief, dass er die erstaunten Fußgänger auf den durchsichtigen Straßen erkennen konnte. Erwartungsgemäß krächzte das Funkgerät nach kurzer Zeit. „Hier Esthar-Luftkontrolle, bitte kommen.“ „Hier Ragnarok. Bitte um Landeerlaubnis auf dem Präsidentenpalast“, meldete er sich. „Erlaubnis erteilt“, antwortete die Stimme fröhlich. „Wir wünschen noch einen angenehmen Aufenthalt in unserer Stadt.“ „Danke“, sagte Squall schmunzelnd. Der Präsidentenpalast war das höchste Gebäude und nicht zu verfehlen. Geschwungene Glasübergänge wanden sich elegant von den umstehenden Gebäuden an seinen Mauern empor. Beim Vorbeifliegen war es ihm, als würden ihm Menschen von dort aus zu winken. Sanft setzte das Schiff auf der Landeplattform auf. Immer wieder staunte er über die Farbenpracht und die ausladende Architektur, wenn er seinen Vater besuchte. Bald fand er sein Arbeitszimmer, über dem aus Sentimentalität ein Gemälde des Dörfchens Winhill hing. Einen Moment blickte er wehmütig hinauf, dann trat er durch die automatisch beiseite gleitende Schiebetür. Das Büro des Präsidenten von Esthar war riesig. Es hatte fast Saalgröße und war Großteils leer. Hinter dem breiten Schreibtisch befand sich eine hohe Glasfront, die einen atemberaubenden Blick auf die Stadt bot. Laguna saß hinter dem Tisch und studierte Papierkram. Squall ging zügig auf ihn zu. Laguna Loire trug wie immer eine bequeme, braune Hose und ein weites Hemd, dessen Ärmel aufgekrempelt waren. Seine legere Bekleidung passte nicht ganz in das würdevolle Ambiente, aber als Präsident konnte man sich das wohl erlauben. In seinem langen Haaren gab es bereits die eine oder andere graue Strähne, wie Squall auffiel. Er stand bereits vor ihm, als Laguna über seine Lesebrille hochblickte. „Squall? Ich habe dich gar nicht erwartet, einen Moment…“ Hektisch kramte er in seinen Papieren herum, während Squall auf dem Stuhl vor ihm Platz nahm. „Du hast dich aber nicht angekündigt, oder?“ fragte er ihn mit hochgezogener Augenbraue. Squall verneinte. „Nein. Komme ich ungelegen?“ „Nein, nein“, erwiderte er lachend und setzte die Lesebrille ab. „Ich fürchtete nur einen Moment, ich hätte es vergessen. Du weißt ja, ab einem gewissen Alter wird man vergesslich.“ „Aber du doch nicht, Vater.“ Laguna schob sämtliche Papiere beiseite, ohne sich darum zu kümmern, dass er ihre Reihenfolge durcheinander brachte. Dann stützte er sich mit den Ellbögen auf den freigewordenen Platz und lächelte zufrieden. „Ich freue mich, dich zu sehen, Sohn.“ „Ja, ich auch. Wie geht’s dir so?“ Laguna machte eine ausschweifende Geste über seinen chaotischen Schreibtisch. „Wie du siehst, wird mir nicht langweilig. Es gibt immer viel zu tun als Präsident… ich glaube, ich brauche schön langsam Urlaub“, sagte er und rieb sich die Augen. „Und bei dir? Was ist eigentlich aus deinen Freunden geworden? Die habe ich ja schon lange nicht mehr gesehen.“ „Tja, Selphie und Irvine leben ja nun in der Nähe von Winhill. Sie betreiben dort eine Chocobo-Farm, soweit ich weiß“, erklärte er. „Tatsächlich? In der Nähe von Winhill? Ja, da möchte ich auch wieder mal hin…“ „Ja… Xell lebt jetzt in Deling-City. Er hat mittlerweile das Mädchen aus der Gardenbibliothek geheiratet. Sie führen dort eine Kampfsportschule…“ Laguna hörte aufmerksam zu und nickte eifrig. Dann begann er zu blinzeln. „Übrigens… du und Rinoa… ihr habt ja noch nicht geheiratet, oder? Zumindest habe ich keine Einladung bekommen, was mich wundern würde als Vater des Bräutigams“, sagte er schmunzelnd. Squalls Miene verdüsterte sich. Er hatte bisher vermieden, das zu erwähnen. Laguna hob eine Augenbraue. „Ist da etwas… das ich noch nicht weiß?“ „Wir haben uns getrennt… auf Zeit“, fügte er eilig hinzu. „Sie… sie sagte, ‚sie bräuchte eine Beziehungspause‘, was immer das bedeuten soll.“ Lagunas Gesicht füllte sich mit Bestürzung. „Was? Aber… wie ist das möglich? Ihr wart doch so verliebt…?“ „Frag mich was leichteres“, erwiderte Squall seufzend. „Ich hatte gehofft, du kannst mir einen Rat geben. Ich habe vor, sie nachher zu besuchen. Sie wohnt jetzt oben im Norden, im Schumi-Dorf.“ „Ah, das Schumi-Dorf. Ich weiß noch, als ich damals dort war…“ Schon wieder war er abgelenkt und schwelgte in Erinnerungen. Wie ein so zerstreuter Mann Präsident eines Staates sein konnte, hatte sich Squall schon oft gefragt. „Ja, jedenfalls lebt sie jetzt dort… was soll ich ihr den sagen?“ „Hä?“ Laguna blickte von seinem Tagtraum auf. „Was du ihr… na ja, was könntest du ihr sagen, um sie zurückgewinnen… lass mich überlegen… Ja, genau! Als ich damals in Rinoas Mutter verliebt war, da sagte ich ihr… was sagte ich ihr gleich…“ Squall verdrehte ungeduldig die Augen. „Was immer es war, du hast sie nicht bekommen. War auch gut so, denn sonst wären Rinoa und ich jetzt womöglich Geschwister“, bemerkte er schmunzelnd. Dann wurde er wieder ernst. „Andererseits… wären mir einige Probleme erspart geblieben“, fügte er leise hinzu. „Ach ja, Julia…“ Er setzte wieder seinen verträumten Blick auf. Momente später kam er wieder in die Gegenwart zurück. „Aber ich weiß noch, wie ich es bei deiner Mutter Raine gemacht habe!“ Squall kannte die Geschichte. Skeptisch legte er den Kopf schief. „Und? Wie hast du sie für dich gewonnen?“ Laguna erstarrte in seiner fröhlichen Miene, um dann in einen Ausdruck von Ratlosigkeit zu verfallen. „Tja… äh… also eigentlich habe ich sie ignoriert. Du musst wissen, damals nach dem Krieg gab es besonders auf dem Land Männermangel, und Raine war auch nur eine Frau, die wieder einmal- “ Squall winkte genervt ab. „Ja, ja, erspar mir die Details. Ich sehe schon, du kannst mir auch nicht wirklich helfen.“ Laguna machte ein bedrücktes Gesicht. „Das tut mir leid für dich, mein Sohn… ich hätte es dir von ganzem Herzen vergönnt. Ihr beide habt euch so gut ergänzt. Ich wünschte, ich könnte dir einen Rat geben, aber… doch, einen weiß ich.“ Squall horchte auf. Laguna beugte sich zu ihm vor. „Vielleicht kommt eine schwere Zeit auf dich zu, aber denk daran: Auch wenn es dir so vorkommen wird… Rinoa ist nicht die letzte Frau auf dieser Welt. Beziehungen beginnen… und enden wieder. Das ist nun mal das Leben. So schmerzhaft es auch sein mag, Liebe kann von neuem entstehen. Glaub mir, ich habe das selbst erlebt. Nach Julias Tod hätte ich es nicht für möglich gehalten, je wieder… und doch habe ich deine Mutter lieben gelernt.“ Beziehungen beginnen… und enden wieder. Dieser Satz geisterte unaufhörlich durch seinen Kopf, als er Kurs auf den Trabia-Kontinent nahm. Vielleicht hat er recht… Das gleichförmige Dröhnen des Schiffes wiegte seine Gedanken in einen ruhigen Halbschlaf, während der Autopilot das Schiff steuerte. Rinoa vergessen? Ob ich das schaffe…? Die Landschaft unter dem Schiff veränderte sich. Die Vegetation wurde karger, und bald bedeckte Schnee das Land, je weiter er nach Norden kam. Schon sah er Herden von dahin galoppierenden Mesmerizen, die auf der Vicke-Eisebene lebten. Er hatte nun den Nordkontinent erreicht, und bald würde er auf der Winter-Insel landen. Das Unausweichliche rückte immer näher, und in seinem Magen entstand ein flaues Gefühl. Schneestaub wirbelte auf, als die Ragnarok vor der gigantischen Glaskuppel aufsetzte. Als er ins Freie trat, fror er und beeilte sich, das Tor zu erreichen. Im Inneren des uralten Bauwerkes war es kaum wärmer, doch der Aufzug im Zentrum der Glaskuppel würde ihn in das unterirdische Schumi-Dorf bringen, wo das ganze Jahr über angenehme Temperaturen herrschten. Gleich neben dem Aufzug traf er schon die ersten Bewohner des Dorfes. Es waren diese seltsamen Wesen mit ihren langen Fingern und Füßen, deren groteske Erscheinungsform ihn immer wieder aufs Neue erstaunte. Zwei von ihnen standen vor einem Draw-Punkt, den sie aufmerksam bewachten. „Oh, Squall, Freund von Laguna! Wir heißen dich willkommen in unserem Dorf!“ „Danke für eure Gastfreundschaft“, erwiderte er unsicher. „Eine Frau lebt bei euch, richtig?“ Die beiden seltsamen Wesen nickten synchron. „Oh ja, die Frau Rinoa, mit der ihr damals kamt. Sie lebt bei uns und schafft wunderbare Kunst!“ Squall verdrehte genervt die Augen. „Ja, wirklich wunderbar… ich besuche sie dann mal.“ Er wollte sich schon dem Aufzug zuwenden, als sie ihn noch einmal ansprachen. „Ach ja? Ihr habt nicht zufällig Interesse?“ Sie deuteten auf den Draw-Punkt hinter ihnen. „Einmal Ultima ziehen für nur 5000 Gil! Was sagt ihr?“ „Danke, sehr freundlich. Aber nicht heute“, antwortete er und trat lächelnd in den Aufzug. Als sich die Aufzugtüren vor ihm schlossen, erstarb das Lächeln. Die zwei haben mich oft genug abgezockt, erinnerte er sich. Als sich eine Minute später die Türen wieder öffneten, war er in einer anderen Welt. Das Schumi-Dorf befand sich mehrere Hundert Meter unter den Permafrostböden der Winter-Insel. Aufwändige Erdwärmekraftwerke versorgten es mit Licht und Wärme. Und so konnte hier unter der Erde ein bunter, blühender Garten entstehen. Das Schumi-Volk lebte hier abgeschieden, und die einzigen Fremden waren Künstler aus aller Welt, die hier verloren geglaubte Inspiration suchten. So wie Rinoa, dachte er säuerlich. Nachdenklich ging er an den kuppelförmigen Häusern vorbei, die sich perfekt in das natürliche Ambiente einfügten. Und dann sah er sie. Sie stand an dem Teich, der den harmonischen Mittelpunkt der ganzen Gartenanlage bildete. Squall erinnerte sich genau. Damals, als sie im Kampf gegen eine von fremden Mächten gelenkten Edea durch die Welt zogen, kamen sie hier vorbei. Wie auch schon Laguna viele Jahre vor ihnen. Schon damals hatte er sich gewundert, dass jemand wie Norg, der damals den Garden unter seine Kontrolle hatte bringen wollen, einem so friedfertigen und den Künsten verschriebenen Volk entstammen konnte. Sie stand vor einer Staffelei und malte. Ein kleiner Moomba hielt ihr den Kasten mit den Ölfarben und freute sich sichtlich, sie unterstützen zu können. Immer wieder verharrte ihr Blick auf dem Teich, dann malte sie wieder einige wenige Pinselstriche. Squall beobachtete sie eine ganze Zeit, bevor er seinen Mut zusammen nahm und auf sie zu ging. „Rinoa“, sagte er leise, als er nur mehr wenige Schritte hinter ihr stand. Sie blickte von ihrer Staffelei auf und drehte sich langsam um. Mit einer Mischung aus Erstaunen und gedämpfter Freude blickte sie ihn an. Squall erstarrte fast, als er ihre braunen Augen seit langem wieder sah. „Squall, hallo. Ich habe dich… nicht erwartet.“ Er kam näher und betrachtete das halbfertige Bild. „Das ist… schön, ja. Ich dachte, ich besuche dich mal.“ Etwas verlegen blickte sie weg und legte den Pinsel an die Staffelei. Der Moomba neben ihr legte fiepend seinen roten Wuschelkopf schief. „Ja, ist nett vor dir. Wie geht es dir so? Was macht der Garden“, fragte sie in einem nur mäßig interessierten Tonfall. „Geht alles seinen gewohnten Gang“, erklärte er beiläufig. „Und mir geht es… wie immer. Und dir?“ Er ärgerte sich innerlich noch über diese einfallslosen Wörter, als sie schon antwortete. „Mir geht es gut. Ich mache große Fortschritte, sagt der Dorfälteste. Es bedeutet mir viel, das Malen…“ Sie blickte abwesend in die Ferne, dann wandte sie sich wieder ihm zu. „Ich glaube, ich habe meine Bestimmung gefunden. Ja, ich bin mir sicher.“ Squall krampfte es den Magen zusammen. Er gab sich alle Mühe, sich nichts anmerken zu lassen… so wie er es sein ganzes Leben lang getan hatte. Nur mühsam brachte er die Worte heraus. „Das… ist schön für dich“, sagte er und ging ein paar Schritte weg. Er starrte konzentriert in den Teich. Ein Teil von ihm bereute es, hier her gekommen zu sein. „Squall? Alles in Ordnung?“ fragte sie besorgt. Er schüttelte den Kopf und antwortete leise. „Klar. Alles in bester Ordnung“, erwiderte er unüberhörbar sarkastisch. Sie ging auf ihn zu. „So klingt das aber nicht. Was ist los mit dir?“ Er drehte sich abrupt um. „Was mit mir los ist?“ schrie er fast. Der Moomba ließ vor Schreck den Malkasten fallen, so dass die Farbtuben heraus purzelten. „Du willst also wissen, was mit mir los ist? Gut, ich werde es dir sagen!“ Seine laute, aufgebrachte Stimme wirkte wie ein Fremdkörper in der friedlichen Szenerie. Verschreckt klaubte der Moomba die Tuben wieder ein. Sein kalter Blick fixierte sie. Etwas leiser sprach er weiter. „Ich… ich dachte, zwischen uns wäre etwas Besonderes, etwas… Unzerstörbares. Und dann… läufst du einfach weg.“ Verbittert wandte er sich von ihr ab und schloss die Augen. Er wünschte, dass wenn er sie öffnete, wieder alles so wie früher wäre… „Ja… das dachte ich auch“, erwiderte sie nachdenklich. „Ich habe dich geliebt, bitte glaube mir das! Es war wirklich etwas Besonderes zwischen uns.“ „Und was ist damit geschehen“, fragte er tonlos, ohne sich umzudrehen. Sie kniete sich zu dem verschreckten Moomba und half ihm beim Einsammeln der Malutensilien. Um ihn zu beruhigen, kraulte sie seinen Wuschelkopf. „Ich… weiß es nicht“, antwortete sie währenddessen. „Ich weiß nur… wir beide sind erst neunzehn Jahre alt, Squall.“ „Was hat das damit zutun“, entgegnete er bitter. Sie schloss den Deckel des Kastens, der nun wieder eingeräumt war. Dann stand sie auf und blickte ihn ernst an. „Für mich einiges. Es gibt noch soviel, das ich tun möchte, das ich ausprobieren möchte! Die Malerei zum Beispiel bedeutet mir sehr viel, aber ich kann nicht wissen, was noch in mir schlummert an Talenten… ich muss mein Leben jetzt leben, sonst wache ich irgendwann auf und denke… dass ich was verpasst habe.“ Ihr Blick war traurig. Er sah ihr in die Augen, und Ablehnung sprach aus seiner Mimik. „So ist das also. Nun, dann tut es mir leid, dass ich mit meinen neunzehn Jahren schon einen verantwortungsvollen Job ausüben muss. Ich kann nicht einfach so wie du durch die Weltgeschichte gondeln und mich ‚selbstverwirklichen‘. Ich befehlige Truppen, verstehst du? Ich schicke junge Kadetten in Kampfeinsätze, und ich spreche dann mit ihren Eltern, wenn sie in Plastiksäcken zurückkehren. Das ist nicht ‚künstlerisch‘ und auch nicht ‚schön‘, aber irgendjemand muss es tun. Dein Vater war Offizier in der galbadianischen Armee, ich hätte erwartet, dass du das verstehen kannst.“ Sie schüttelte fassungslos den Kopf. In ihren Augen standen Tränen. „Mein Vater hat für sein Land gekämpft! Das ist was anderes…! Ihr… ihr kämpft für Geld. Für jeden, der euch bezahlen kann.“ In diesen Worten war mehr Verachtung herauszuhören, als sie beabsichtigte. Bestürzt spürte sie, wie tief sie ihn damit verletzt hatte. Er atmete tief durch, um seine Fassung zu bewahren. „Es tut mir leid für dich, wenn du das nicht akzeptieren kannst“, begann er leise und voller Bitterkeit. „Damals waren wir dir gut genug, aber bitte… Der Garden ist meine Heimat, verstehst du? Ich bin nicht so wie du mit einem goldenen Löffel im Mund aufgewachsen! Wir Waisenkinder, die wir die ersten SEEDs waren, entweder kamen wir um bei unserer Ausbildung oder wir überlebten! Aber eine verwöhnte Göre wie du kann das wohl nicht verstehen..“, sagte er zornig und ging an ihr vorbei. Fassungslos blickte sie ihm hinterher. „Squall, warte… so habe ich das nicht gemeint! Warte doch!!“ Eilig verließ er den Platz und steuerte das Hotel des Dorfes an. Ohne ein überflüssiges Wort zu verlieren, mietete er sich dort ein Zimmer, betrat es und versperrte die Tür hinter ihm. Er hatte keinen Grund mehr zu bleiben, aber wollte nur noch allein sein. Er wollte den Garden nicht sehen, seine Kameraden, und am allerwenigsten Rinoa. Nach einer Weile klopfte sie an die Tür, doch er lag auf dem Bett und reagierte nicht. Schließlich ging sie wieder. In einem dumpfen Halbschlaf gefangen, starrte er an die Decke. Die Stunden vergingen und er war selbst zu träge, seine Uniform auszuziehen. Er hatte auf Klarheit gehofft, und nun hatte er sie. Doch es war eine Klarheit, die ihn innerlich fast zerriss. Schon länger war es ein schwelender Konfliktpunkt zwischen den beiden gewesen. Zuerst war Rinoa begeistert davon gewesen, ebenfalls ein SEED zu werden. Doch mit der Zeit verflog die Begeisterung. Das Dasein eines SEED bestand nicht nur aus ‚die Welt retten‘ und Abenteuer. Es war in erster Linie eine blutige Arbeit, und nachdem die Bedrohung durch Hexen abhanden gekommen war, brauchten sie neue Betätigungsfelder. Schon früher waren es Bürgerkriege, Staatsstreiche und Anschläge auf wichtige Persönlichkeiten gewesen, die das tägliche Brot der SEEDs bildeten. Doch je mehr das in den Vordergrund trat, desto mehr stieß es Rinoa ab. Kampfaufträge ohne Gewissen und Parteilichkeit konnte sie nicht mit ihren romantisierten und von Gerechtigkeit geprägten Vorstellungen vereinbaren. Damals, als sie ihrem bürgerlichen, wohlhabenden Elternhaus in Deling-City entflohen war und sich den Widerstandskämpfern in Timber angeschlossen hatte, folgte sie ihren Idealen. Aber die SEEDs kannten nur ein einziges Ideal: die unbedingte Treue ihrem Garden gegenüber bis in den Tod. Schon damals, während des Hexenkrieges, hatte sie mit Entsetzen beobachtet, mit welcher Grausamkeit sich die Kadetten des Balamb- und des Galbadia-Gardens bekämpft hatten. Kadetten, die sich oft gekannt und teilweise Freunde gewesen waren. Kadetten, die durch Befehle zu unerbittlichen Feinden wurden. Sie hatte ihre Abscheu darüber ihm gegenüber damals zum Ausdruck gebracht, doch er hatte nur mit den Schultern gezuckt. So ist das nun mal, war seine knappe Antwort gewesen. Wir leben für unseren Garden, und wir sterben für ihn. Das Motto der SEEDs… Sie hatte versucht, das zu verdrängen, hatte es nicht wahrhaben wollen… und zog dann schließlich die Konsequenzen. Was Squall nicht wusste, war dass sie überlegt hatte, ihn vor die Wahl zu stellen. Doch innerlich wusste sie die Antwort längst, und auch heute hatte er ihr sie wieder geliefert. Ich oder dein Garden… Sie hatte keinen Zweifel, wie er sich entscheiden würde. Und so zog sie es vor, einfach zu gehen. Davonzulaufen, wenn man so wollte. Mit dieser Entscheidung hätte sie ihn zerrissen, aber nicht für sich gewonnen. Ein Leben ohne seinen Garden, ohne seine Heimat kam für ihn nicht in Frage. Und doch wunderte sie sich immer noch, wie leicht ihr die Trennung gefallen war. Zu frisch war vielleicht noch die Erinnerung, als Squall vor einiger Zeit einen Trupp zurück empfangen hatte. Der Trupp hatte einen Auftrag in einer galbadianischen Provinz ausgeführt. Sie hätten dort in die Kämpfe rivalisierender Unternehmen in der Auseinandersetzung um Bodenschätze eingreifen sollen. Doch sie gerieten in einen Hinterhalt und hatten schwere Verluste hinnehmen müssen. Sie hatte noch deutlich vor Augen, wie Squall den Verletzten Mut und Anerkennung zusprach, so, wie sie es an ihm liebte… Und dann hatte er sich den Säcken mit den Gefallenen zugewandt. Rinoa hatte noch nie so viele Tote auf einem Platz gesehen. Ihr war übel geworden bei dem Anblick, und das, obwohl die Säcke allesamt verschlossen waren. Squall hingegen… er hatte ein Klemmbrett dabei gehabt und hakte ab. Der halbe Jahrgang… hatte sie ihn kopfschüttelnd flüstern hören, …die ganze Ausbildung umsonst. Wir hätten vielleicht doch mehr Phönixfedern bewilligen sollen. Entsetzt hatte sie sich von ihm abgewandt. In diesem Moment hatte der Entschluss zum ersten Male gekeimt, ihn zu verlassen… Ihre Finger hinterließen eine Spur sich langsam ausbreitender Wellen, als sie die Hand durch das Wasser gleiten ließ. Allmählich wurde die Wasseroberfläche wieder glatt, und ihr trauriges Gesicht, das sich im von Mondlicht erhellten Wasser spiegelte, wurde sichtbar. Kein richtiges Mondlicht, dachte sie bitter lächelnd, hier unter der Erde. Aber die Täuschung war perfekt. Eine ausgeklügelte Maschinerie gab einem hier unten das Gefühl des Tag-Nacht-Rhythmus. „Fiep! Fieeep!“ Der kleine Moomba, der sie praktisch ständig verfolgte, stupste sie an. „Ja“, erwiderte sie und begann ihm zu kraulen. „Ja, ich bin traurig. Du hast es erkannt.“ „Fiep-fiep! Fieep?“ „Nein, ich fürchte nicht. Er… es fällt ihm schwer, das Ganze zu verstehen. Ich verstehe es selbst nicht ganz.“ „Fiep! Fiep-fieeep!“ Das kleine, knuffige Wesen begann vor ihr zu tanzen, um sie so aufzumuntern. Währenddessen setzte es das Gequassel in seiner fremdartigen Sprach fort. Rinoa sah sich das Ganze geduldig an und lächelte vorsichtig. Schließlich begann der Moomba an ihrem Ärmel zu zerren. „Lass das. Hör auf damit.“ „Fiep! Fiep-fieep, Fiep! „Nein, habe ich gesagt!“ Allmählich nervten sie seine Ratschläge. In einem Moment des Zorns stieß sie das kleine Wesen weg. „Verpiss dich endlich! Warum sollte ich überhaupt meine Beziehungsprobleme mit einem Moomba besprechen!?“ Das rothaarige Wesen duckte sich unter ihrer Hand und begann mitleiderregend zu fiepen. Gleich darauf bereute sie ihre Reaktion. „Tut mir leid“, seufzte sie zerknirscht. „Ich bin nicht böse auf dich. Ich bin eher… böse auf mich selbst, was weiß ich.“ Vorsichtig näherte sich der Moomba, und sie begann ihn wieder zu kraulen. „Sowas ist ziemlich kompliziert“, erklärte sie dem dümmlich dreinschauenden Wesen. „Es funktioniert nicht einfach, indem ich hingehe und ihn an mich drücke, damit alles wieder gut ist, so wie du glaubst. Das funktioniert wahrscheinlich bei deiner Spezies, aber nicht bei unserer…“ Nachdenklich blickte sie zum falschen Mond empor, der leuchtend am ‚Himmel‘ hing. In ihrem Inneren herrschte ein Aufruhr, den sie die ganze Zeit, die sie schon hier war, hatte verdrängt. Und jetzt, mit Squalls Auftauchen war wieder alles da. Die widersprüchlichen Gefühle rangen heftig in ihr, es war fast unerträglich. Ein Teil von ihr wollte ihn einfach umarmen und immer für ihn da sein, sehnte sich regelrecht nach seiner Nähe. Und ein anderer Teil wollte mit der Vergangenheit, mit dem Garden und dem Kämpfen, und vor allem mit Squall, abschließen. Er ist dein erster richtiger Freund, sagt eine Stimme, willst du wirklich an ihm festkleben? Als ob es sonst keine Männer gäbe, lästerte sie. Eine andere Stimme sagte, er ist deine große Liebe. Männer gibt es viele, aber die große Liebe nur ein einziges Mal… „Seid gefälligst still, ihr beiden!“ rief sie aufgebracht. Der Moomba ging wieder in Deckung. „Nein, ich meine nicht dich“, beruhigte sie das aufgeschreckte Wesen. „Wenn ich nur wüsste, was ich tun soll…“, flüsterte sie dem Mond zu. Ein greller Lichtblitz ließ sie hochschrecken. Hektisch drehte sie sich um. Er kam aus der Richtung der Gebäude. Der kleine Moomba neben ihr begann zu zittern und ängstlich zu fiepen. „Was ist denn, was hast du denn“, fragte sie nervös, doch der Moomba gab nur unverständliches Zeug von sich. Dann riss er sich los und rannte in die entgegengesetzte Richtung weg. Verwirr sah sie ihm nach. Noch nie hatte sie so ein Verhalten bei einem Moomba erlebt. Dann blickte sie wieder in Richtung der Gebäude. Sie hielt den Atem an, um besser zu hören. Dann hörte sie… das aufeinanderprallen von Waffen. Ein Kampf, hier im Schumi-Dorf? Unmöglich! „Warte“, sagte sie zu sich selbst. „Squall? Und wenn er in Gefahr ist- “ Ohne zu zögern rannte sie los. Die Gunblade beschrieb einen vernichtenden Abwärtshalbkreis. Eine leuchtende Aura folgte der Klinge und glühte noch einige Momente nach. Das vielarmige Wesen taumelte rückwärts. „Dir werd‘ ich Beine machen, mich im Schlaf anzugreifen!“ Squall setzte sofort nach. Das Wesen hatte mindestens vier Arme, soweit er dies erkennen konnte. Und alle hielten Schwerter. Das Gesicht konnte er nicht erkennen, es war wie der Großteil des Wesens hinter einem kunstvoll verschlungenen, roten Umhang verborgen. Nur leere, weißglühende Augen stachen hervor. „Argh… gib auf, ich bekomme es sowieso!“ zischte es mit seiner dröhnenden Stimme. Squall schnaubte nur und trieb das Wesen weiter in die Enge. Es war schnell und hatte vier Arme- doch Squall war schneller. Wie ein metallener Blitz tanzte seine Waffe zwischen den einzelnen, parierenden Klingen hin und her und verfehlte dessen ominösen Träger mehrmals nur knapp. Schon sah es sich mit dem Rücken zur Wand, als es zu einem wuchtigen Befreiungsschlag ansetzte. Squall parierte mühelos und wich mehrere Schritte zurück. Schwer atmend blickte er auf seinen Angreifer. Was um alles in der Welt ist das, dachte er, und wie kommt es hier runter? Dann setzte er zu einem Spezialangriff an. Seine Gunblade glühte gespenstisch auf. Soll ich nicht besser das Löwenherz- Sein Gedanke wurde unterbrochen von seinem Gegner, der seinerseits einen zerstörerischen Angriff vorbereitete. Keine Zeit- Er rannte los und ließ der zerstörerischen Wirkung seiner Waffe freien Lauf. Der Raum verdunkelte sich. Von den Wänden leuchtete die Flammenkorona seiner Waffe wieder, als Hieb für Hieb auf das Wesen niederprasselte. Das Wesen geriet bereits schwer in Bedrängnis, als Squall schließlich den letzten und heftigsten Schlag landete. Wie in Zeitlupe beschrieb die Gunblade einen brennenden Bogen, und genau im richtigen Moment schnellte der Hahn auf die Patronenkammer. Die Entladung erschütterte den Raum. Möbel stürzten um, Putz fiel von der Decke. Als Rinoa den Lärm hörte, verharrte sie einen Moment. Ihre Miene versteinerte, und mit einer eleganten Bewegung zog sie ihre Waffe hervor, den ‚Shooting Star‘. Seit ihrer ultimativen Konfrontation mit Artemisia damals hatte sie sie nicht mehr verwendet. In einer gleitenden Bewegung schlangen sich die Metallglieder um ihren Unterarm. Surrend fuhr der Griff aus, und ihre Hand schloss sich um ihn. Im fahlen Mondlicht schimmerten die wie Engelsflügel aussehenden, in Wahrheit aber tödlichen Klingen. Zielstrebig steuerte sie Squalls Hotelzimmer, die Quelle des Lärms, an. Die Tür flog aus den Angeln, und dahinter kam eine stinksaure Rinoa zum Vorschein. Dann weiteten sich ihre Augen vor Schreck. Sie konnte nicht glauben, was sie sah. Der Raum war zur Gänze in gleißendes Licht getaucht. Ein bizarres Wesen mit mehreren Armen stand in seiner Mitte. Aus dem Wesen selbst entsprang ein Sog, der die aus ihren Scharnieren gerissene Tür sofort aufsaugte. Schon riss es auch sie von den Beinen. Im letzten Moment fand sie am Türstock halt. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Squall an einem umgestürzten Tisch hing. „Squall!! Neeiin!!!“ Der Sog wurde stärker, und schließlich wurde er mitsamt dem Tisch in den Strudel aus Licht gezogen. Dann drang ein höhnisches Lachen durch den Raum. Es schien von dem Wesen zu kommen. In purster Verzweiflung ließ Rinoa los… …und raste auf den Sog zu. In Flug schaffte sie es, sich umzudrehen. Mit ihrer Waffe voraus stürzte sie auf das Wesen zu und schlug mit aller Kraft zu- Vorsichtig näherte sich der Schumi(heißen die so?) dem Trümmerhaufen. Ein leises Geräusch drang darunter hervor. Behutsam zog das Bruchstück eines Regals von dem Haufen runter. Im nächsten Moment brach sie hervor. Alle anwesenden Schumis gingen unwillkürlich in Deckung, als Rinoa aus dem Haufen zerbrochener Möbel hervorbrach, Gerade erst war sie aus ihrer Ohnmacht erwacht, nun blickte sie sich panisch um. „Wo ist er, verdammt!“ Doch alles was sie sah, war das verwüstete Hotelzimmer und mehrere Schumis, die sie verängstigt beäugten. „Was… ist passiert“, fragte sie verwirrt und mehr sich selbst. „Wir hofften, ihr könntet uns das sagen.“ Mit diesen Worten näherte sich ihr der Älteste des Schumi-Dorfs. Rinoa stieg aus dem Trümmerhaufen, der sie begraben hatte und stolperte verstört durch den Raum. „Wir hörten die Geräusche eines Kampfes… doch um ehrlich zu sein, fehlte uns der Mut, früher nachzusehen“, erklärte er etwas verlegen. Rinoa schüttelte den Kopf und starrte ins Leere. „Er.. er war hier, ein Wesen… wie ich es noch nie gesehen habe! Squall und er… sie haben gekämpft.“ Fassungslos stieß sie Trümmer der zerstörten Einrichtung mit dem Fuß an, als könnte sich unter ihnen ein Hinweis für das unerklärliche Geschehen verbergen. Dann fasste sie sich wieder. „Dorfältester! Kann irgendetwas in das Dorf eindringen oder es verlassen, ohne dass ihr etwas merkt?“ Der Oberschumi blickte sie ratlos an. „Nein… nein, das wäre unmöglich. Der Aufzug ist die einzige Verbindung zur Außenwelt, und er registriert alles, das ihn betritt! Kein Unbekannter kann so in unser friedliches Dorf…“ Seufzend betrachtete er die Zerstörung um sich herum. „Aber… jemand war hier! Und er hat Squall entführt!“ Betreten blickten sich die den Frieden gewohnten Wesen an. Dann lief Rinoa an ihnen vorbei. Gehetzt rannte sie durch das Dorf. Ungeduldig tippte sie auf der Tastentafel herum, bis endlich der Aufzug sich öffnete. Viel zu langsam fuhr er empor, während sich die Gedanken in ihrem Kopf überschlugen. Wer oder was war das? Und warum Squall… ? Endlich öffnete sich die Tür an der Oberfläche. Sie stürmte hinaus und kümmerte sich nicht um die Kälte, die sie in ihre unbedeckten Arme einschnitt. Ihre hastigen Schritte hallten von der Glaskuppel wieder, und schließlich trat sie ins Freie. Ein in der Dunkelheit tobender Schneesturm empfing sie. Als sie die Ragnarok aus der Finsternis ragen sah, erstarrte sie einen Moment. Es war ihre letzte Hoffnung gewesen, dass er vielleicht mit ihr- aber sie stand noch an ihrem Platz. Zitternd vor Kälte lief zu dem Schiff. Auf einen Knopfdruck an einer der Stützen fuhr die Rampe herunter. Das Innere der Ragnarok löste alte Erinnerungen in ihr aus, was sie im Moment noch mehr verwirrte. Blind fand sie den Weg in das Cockpit. Sie ließ sich auf den breiten Pilotensessel fallen und nahm das Funkgerät zur Hand. Mit der anderen Hand stellte sie die Frequenz ein, dann begann sie zu sprechen. Ihre Stimme zitterte. Ob vor Kälte oder Angst, konnte sie in diesem Moment nicht sagen. „Hier Ragnarok, Balamb-Garden, bitte kommen.“ Fröstelnd und nervös starrte sie in das Toben der Schneeflocken, das sich lautlos hinter dem Glas des Cockpits abspielte. Eine Ewigkeit verging. „Balamb-Garden, meldet euch, verdammt nochmal!“ Atmosphärisches Krächzen erklang, und danach eine verschlafene Stimme. „Hier Balamb-Garden. Ist das die Ragnarok?“ „Ja, verflucht! Hier ist Rinoa!“ „Rinoa? Hier spricht Shou, was ist passiert- “ „Squall, er ist weg! Wir wurden angegriffen“, schluchzte sie. „WAS!? Jetzt mal ganz langsam, Rinoa. Immer der Reihe nach, was ist genau passiert?“ Sie versuchte, ihre zitternde Stimme unter Kontrolle zu bringen. „Wir… es, es passierte im Schumi-Dorf, gerade erst… ein Ding, ich weiß nicht, was es war… ich kam zu spät, ich konnte nicht helfen… es hat Squall entführt, ich weiß nicht wie…“ Wieder übermannte sie hilfloses Schluchzen. „Bleib, wo du bist, hörst du, Rinoa? Ich setzte sofort den Garden in Bewegung. Wir sind in Kürze bei dir, also bleib ruhig!“ Mehrere Stunden hatte sie im Cockpit verharrt. Immer wieder war sie in einen unruhigen, von Alpträumen durchsetzten Halbschlaf gefallen, bis sie schließlich das Dröhnen des herannahenden Gardens geweckt hatte. Sie rannte ins Freie, als das riesige Gebäude sich langsam über die Flachküste ans Land schob. Die Sicht ging gegen Null, als das gigantische Tragkissengefährt vor ihr stoppte. Langsam klärte sich der aufgewirbelte Schnee, und schon strömte eine Abteilung schwerbewaffneter SEEDs aus den Schwaden hervor. Das einst friedliche Schumi-Dorf wurde in kürzester Zeit zu einer militärischen Zone. An allen Ecken und Enden standen bewaffnete Kadetten, deren strengen Blicken nichts entgehen würde. Außerhalb der Kuppel strömten Suchtrupps aus, doch Rinoa ahnte, dass sie ohne Ergebnis zurückkehren würden. Unter den wachsamen Augen kampfbereiter SEEDs untersuchte ein Trupp Techniker den Schauplatz. Grelle Scheinwerfer leuchteten jeden Winkel des verwüsteten Raums aus. Spezialkameras suchten in allen Farben des unsichtbaren Spektrums nach Hinweisen. Techniker suchten den Raum mit empfindlichen Detektoren ab. Und inmitten all der Ermittlungsarbeiten standen Rinoa, Quistis und Direktor Cid beisammen. „Rinoa, bitte beschreib mir dem Angreifer noch einmal ganz genau“, sagte Quistis leise aber eindringlich zu ihr. „Aber das habe ich doch schon zig-mal…“, erwiderte sie seufzend. „Bitte, Rinoa. Vielleicht erinnerst du dich an etwas, dass du vorhin nicht erwähntest. Etwas, dass uns helfen könnte…“ „Na gut. Also, er… er hatte vier Arme, vielleicht noch mehr. Er trug einen roten Umhang, er richtig eingewickelt in ihn… Sein Gesicht konnte ich nicht sehen, nur seine Augen. Sie leuchteten.“ Quistis und Cid warfen sich vielsagende Blicke zu. Dann führte der Direktor sie zu einer Metallkiste, auf der die Techniker des Gardens mehrere Computer aufgebaut hatten. Ein Kadett des Gardens saß bei der Anlage und tippte schon die ganze Zeit darauf herum, ohne dass es Rinoa aufgefallen wäre. „Kadett, zeigen sie Rinoa, was sie herausgefunden haben.“ Auf Cids Anweisung spielte der Kadett eine Grafik ein, die Rinoa erschrecken ließ. Fassungslos deutete sie mit dem Zeigefinger auf den Bildschirm. „Da-das ist er!“ Cid nickte langsam. „Dieses Bild ist aus unserem archäologischen Archiv. Es wurde nach deinen Beschreibungen herausgefiltert. Dabei handelt es sich um eine Wesenheit namens Gilgamesch. Es gibt Aufzeichnungen aus der Centra-Kultur, die seine- “ „Gilgamesch heißt der Typ?“ unterbrach ihn Rinoa. „Na dann schnappen wir uns diesen Mistkerl- “ „Rinoa, hören sie mir doch zu! Dieses Wesen ist eine Gottheit einer versunkenen Zivilisation! Bis heute hätte niemand angenommen, dass er wirklich existiert…“ Cid Kramer ließ einen skeptischen Blick folgen, der von Quistis geteilt wurde. Rinoa bemerkte ihn wohl. „Was soll das heißen? Glaubt ihr etwa, ich halluziniere? Glaubt ihr, ich habe mir das nur ausgedacht?“ rief sie aufgebracht. Cid hob beschwichtigend die Hände. „Niemand behauptet das, Rinoa. Wir müssen nur alle Möglichkeiten- ah, Doktor Dodonna. Vielleicht hat er Neuigkeiten für uns.“ Aus dem Team von Technikern kam ein Mann auf sie zu, den Rinoa von früher kannte. Es war Doktor Martine Dodonna, zu früheren Zeiten Direktor des Galbadia-Garden. Im Verlauf des Hexenkrieges verlor er diesen Posten und fand auf Fisherman’s Horizon Zuflucht. Dort entfachte seine Freude an der Wissenschaft erneut, nachdem er in jüngeren Jahren auf dem Gebiet der Forschung tätig gewesen war. Und nun war er der neue Kopf der Forschungsabteilung des Gardens. Unter all den jungen Leuten wirkte er mit seinem grauen Haar und seinen von Sorgenfalten zerfurchten Gesicht etwas deplatziert. Aber seine langjährige Erfahrung war ein großer Gewinn für den Balamb-Garden, wie sich alle bewusst waren. „Wir haben etwas sehr Interessantes gefunden“, begann er und stellte sein Messgerät auf den Tisch. Dann schlüpfte er aus seinen Kunststoffhandschuhen und schloss das Gerät an einen der Computer an. „Spannen sie uns nicht auf die Folter, Doktor. Ich hoffe, es sind gute Neuigkeiten“, sagte Cid besorgt. Dodonnas Stirn warf Runzeln. „Nun, das kommt darauf an…“, erwiderte er kryptisch, während das Gerät seine Messdaten an den Computer übertrug. „Bitte, Doktor… können sie mir sagen, wo Squall ist“, flehte Rinoa. Dodonna blickte sie mitfühlend an. „Das kann ich ihnen wirklich sagen, wenn auch nicht sonderlich genau.“ „Und das bedeutet?“ fragte Quistis ernst. Der Doktor zeigte nur auf den Bildschirm, der sich mit verschlungenen Diagrammen füllte. „Zuerst muss ich erklären, was wir gefunden haben. Es sind Energiepartikel, wie sie normalerweise nicht vorkommen in unserem Raum-Zeit-Gefüge. Sie entstehen nur, wenn ein makroskopischer Gegenstand aus fester Materie zwischen den Dimensionen wechselt.“ „Dimensionen?“ wiederholte Quistis verwirrt. „Ja, Dimensionen“, erwiderte Dodonna lächelnd. „Interessanterweise genau das Thema, dass ich bei unserem aktuellen Forschungsprojekt behandele. Wenn sie das letzte Rundschreiben näher betrachtet hätten, so wüssten sie davon“, bemerkte er hämisch. „Jedenfalls ist das hier“, er deutete auf die komplizierten Darstellungen auf dem Schirm, „die energetische Signatur unseres ‚Eindringling‘.“ „Heißt das, wir können seine Spur zurückverfolgen?“ Auf Rinoas Gesicht glomm Hoffnung auf. Er nickte langsam. „Gewissermaßen, ja. Aus diesen Partikeln, die unser Angreifer hinterlassen hat, können wir die Koordinaten seines Herkunftsortes bestimmen.“ „Das heißt, wir können ihn ausfindig machen?“ fragte Direktor Cid mit hochgezogenen Augenbrauen. „Tja, es gibt eine gewisse Unschärfe. Wir können den Zielort nicht punktgenau herausfinden. Es ist eher…“ Er suchte nach den passenden Worten. „…als ob sie statt einer Adresse nur das Land einer Person kennen.“ Quistis verdrehte seufzend die Augen. „Na großartig…“ „Es… es ist besser als nichts“, sagte Cid Kramer vorsichtig optimistisch. „Dieses Projekt, an dem sie gerade in der MD-Ebene arbeiten… es hat etwas damit zu tun, richtig?“ Dodonna nickte eifrig. „Allerdings. So tragisch dieser Vorfall auch ist…“ Er warf Rinoa einen um Verzeihung bittenden Blick zu. „…aber gleichzeitig ermöglicht er uns die Inbetriebnahme des Apparats, den ich mit meinem Team konstruiert habe. Ursprünglich sollte er dienen, den Transport von Truppen in Nullzeit an jeden beliebigen Ort zu ermöglichen. Das Problem, dass wir hatten, war dasselbe, wie wenn sie angenommen ein Telefon haben, aber keine Telefonnummern, die sie wählen könnten, verstehen sie? Die Koordinaten aus unseren Messergebnissen hier sind eine Art ‚Telefonnummer‘. Es bleibt aber ein gewisses Risiko…“ „Egal. Wir müssen Squall retten“, sagte nun Quistis, die damit Rinoa um den Bruchteil einer Sekunde zuvor kam. „Aber wie kommt jemand wieder zurück, der diesen Apparat benützt“, warf Direktor Cid ein. „Genau das ist der Punkt“, antwortete Dodonna, während er nachdenklich den Schirm betrachtete. „Mit einem Gerät wie diesem hier“, er deutete auf den Sensor, der auf dem Tisch stand, „kann man zwar derartige Übergänge entdecken, aber nicht erzeugen. Der Apparat, der momentan in der MD-Ebene steht, ist viel zu groß für einen Transport. Die Entwicklung einer kleineren Version dauert zumindest noch Monate- “ „Solange haben wir nicht Zeit“, unterbrach ihn Rinoa energisch. „Ich bin bereit, das Risiko auf mich zu nehmen. Wann kann es losgehen?“ Dodonna wich ihrem forschen Blick aus und wandte sich an Cid. „Sie haben meine Erlaubnis, den Apparat zu benützen“, sagte er zu ihr. „Aber sie werden auf keinen Fall alleine gehen. Ich werde ihnen eine Abteilung SEEDs bereitstellen.“ „Ich muss etwas einwerfen“, ging Dodonna dazwischen. „Der Apparat kann nicht unbegrenzt Personen transportieren. Ich kann nur bei maximal…“ Er schaute in die Luft und überschlug eine Rechnung. „…höchstens vier Personen einen einigermaßen risikofreien Transport garantieren.“ „Mist“, fluchte Cid. „Das ist wenig…“ „Das ist genug“, sagte Rinoa finster. „Ich weiß, wenn ich mitnehme…“ Sanft strich der Wind über die Winhill-Ebene(Stellt euch dramatische Westernmusik vor.). Kühlung brachte er aber keine. Das Gras war schon mehr braun als grün. Die Hitze eines frühen Sommers dörrte den Boden aus, und der Horizont flimmerte. Seine mit Sporen versehenen Lederstiefel wirbelten bei jedem seiner müden Schritte trockenen Staub auf. Seine umgeschnallten Hosenschützer aus Kuhhaut hatten schon bessere Tage gesehen. Seinen Cowboyhut aus groben Leder trug er tief im Gesicht zum Schutz gegen die Sonne. Der Strohhalm in seinem Mundwinkel tanzte vor Vergnügen, als er seine Herde überblickte. Sie war gewiss nicht die größte im Tal, doch es war ihre. Viel mehr als diese Herde, eine bescheidene Ranch und die Freiheit besaßen sie nicht, aber verflucht, dachte er, was kann sich ein Mann mehr wünschen? Sein Blick wurde nur durch den flimmernden Horizont begrenzt, und die Gitarre in seiner Hand funktionierte immer noch. Es fehlte ihr zwar die eine oder andere Saite, aber hey, dachte er, sie ist eben vom Leben gezeichnet. So wie ich. Mit einer theatralischen Bewegung stützte er den einen Cowboystiefel auf den Weidezaun. Auf den Oberschenkel stützte er dann die Gitarre und stimmte ein tiefes A an. Oder zumindest das, was er dafür hielt. Ihre ‚Herde‘ sammelte sich aufgeregt am Zaun. Die Tiere wussten, was bevorstand. „Yeah, Baby…“, raunte er mit seiner vom Whiskey dunkel getönten Stimme, „…jetzt spiel ich euch das Lied vom Tod…“ Gerade als er den ersten Akkord zupfen wollte, hörte er ein unverkennbares Klicken hinter sich. Es waren Sporen, befestigt an Stiefeln, wie er sie trug. Er wusste sofort, was das bedeutete. Mit zu Schlitzen verengten Augen stellte er langsam die Gitarre weg und wandte sich seinem Gegenüber zu. Fast unmerklich tasteten seine Finger nach dem Colt ‚Single Action Army‘ im Kaliber 45, der lässig an seinem Ledergürtel baumelte. Der Strohhalm in seinem Mund bewegte sich nun nicht mehr. Das Ticken der Uhr(wenn eine dabei gewesen wäre), verstummte. Der Hahn seines Revolvers glänzte matt in der Sonne. Seine Finger zuckten. Die Sonne stand am höchsten Punkt es war High Noon. Nun war es soweit-(dramatische Westernmusik verstummt) „Miiitageeesseeeen!“ „Hallo, Selphie-Schatz. Wie geht es meinem kleinen Cowgirl?“ Lachend kam sie auf ihn zu und hielt ihm einen Korb vor die Nase. Gierig sog seine Nase den Duft knusprigen Specks und frischen Brotes ein. „Mir geeeht‘s wunderbar. Was macht die Arbeit am Zaun?“ Irvine kratzte sich am Hinterkopf. „Na ja, die Löcher habe ich provisorisch ausgebessert. So bald sollten uns keine Chocobos mehr abhauen. Im Winter muss ich dann es richtig ausbessern. Hm, köstlich!“ Er versenkte seine Zähne in einen Streifen Speck. Selphie breitete einstweilen eine karierte Decke auf dem Boden aus. Dort baute sie alle Speisen auf. Neckisch lächelnd nahm sie Platz und rückte sich ihren überdimensionalen Strohhut zurecht. „Seeetz dich doch her. Im Sitzen schmeckt es viiiel besser!“ „Du hast wie meistens recht“, antwortete er und nahm den Revolvergürtel ab. Er setzte sich hin und legte ihn sorgfältig auf der Decke ab. „Waaaarum schleppst du das Ding eigentlich immer mit“, fragte sie und deutete auf den sorgfältig gepflegten Revolver, den Irvine geradezu liebevoll behandelte. „Ein Cowboy braucht eine Waffe. So ist es nun mal.“ „Aaaaber hier gibt es doch eh keine Indianer?“ Er warf einen ernsten Blick an den fernen Horizont. „Man kann nie wissen.“ Dann wandte er sich wieder dem Speck und den anderen Köstlichkeiten zu. „Außerdem kann ich so besser unsere Chocobos beschützen.“ „Meeeinst du“, fragte sie lachend und langte in den Korb. Ihre Hand kam mit einer Flasche Wasser wieder zum Vorschein. „Du bist eben ein Revolverheld mit Leib und Seeeele“, krääää- äh, krähte sie vergnügt. Irvine kniff ihr in die Wange und lachte zurück. Das schätzte er so an ihr, seit er sie kannte. Ihre Fröhlichkeit war unverwüstlich. Das Mädchen aus dem Trabia-Garden mit dem süßen Sprachfehler war ihm gleich aufgefallen, schon bei ihrer ersten Begegnung. Doch er hätte nicht im Traum damals geglaubt, dass sie ein Lasso nach seinem Herzen auswerfen und es wie einen wilden Mustang zähmen würde. Und doch hatte er sich mit ihr mittlerweile sesshaft gemacht. Gemeinsam hatten sie sich eine verträumte Ranch in der erst recht verträumten Winhill-Ebene gekauft. Und hier züchteten sie nun Chocobos. Es war ein einfaches, aber glückliches Leben, fernab vom Trubel der großen Welt. Es war ihre kleine Welt, die nur ihnen gehörte. Sicher würden sie nie reich werden mit der Chocobozucht, doch beide waren ein bescheidenes Leben gewöhnt. Sie hatten ein Dach über dem Kopf, mussten nie hungern, hatten eine Arbeit, die ihnen Freude machte- und nicht zuletzt einander. Das Leben im Garden fehlte ihnen nicht- kein bisschen. Sehr wohl vermissten sie ihre Freunde, mit denen sie soviel erlebt und durchgemacht hatten. Doch diese konnten sie ja zeitweise besuchen, und auch für sie stand die Tür bei ‚Selphies und Irvines Chocobofarm‘ immer offen. Und was ihnen gar nicht fehlte, waren Kampf und Zwietracht. Auch wenn Irvine seine Schusswaffen und Selphie ihren gefürchteten Dreisegmentstab ‚Traum oder Illusion‘ weiterhin sorgfältig aufbewahrten, so geschah dies in erster Linie aus Sentimentalität. Zu viele Erinnerungen verbanden sie mit diesen Gegenständen, wenngleich sie derselben Meinung waren, dass ihr Leben lange genug kriegerisch gewesen war. „Duuu, Irvine. Ich glaube, es kommt ein Unwetter.“ „Unsinn“, gab er zur Antwort und griff nach seiner Gitarre. „Das hätte ich heute Morgen im Urin gemerkt.“ Selphie zupfte an seiner Lederweste, während er ein paar Akkorde, die ihm so einfielen, zupfte. „Duuu, Irvine, es hat doch gerade gedonnert.“ „Das Mädchen aus Mendoza~ Lala…“, summte er und spielte eine verträumte Melodie. „~deine Küsse vergess ich ni- was ist denn?“ Sie zupfte weiter an seiner Weste und deutete auf den Horizont. Jetzt sah er es auch. Der Strohhalm aus seinem Mundwinkel fiel zu Boden. Die Ragnarok brauste heran und wirbelte Staubschwaden auf. Panisch lief die Chocoboherde auseinander. Etwas vom Gatter entfernt landete die Ragnarok. Selphie und Irvine standen von der Decke auf und sahen, wie die Rampe aus dem Bauch des futuristischen Schiffes glitt. Kaum, dass sie unten war, liefen Quistis und Rinoa herab. Die beiden gingen ihnen entgegen. „Hallo, ihr beiden!“ rief Irvine erfreut. „Mit euch haben wir ja gar nicht gerechnet- “ Seine Miene erstarrte, als er ihre finsteren Gesichter sah. „Ist was passiert?“ fragte er vorsichtig. „Hallo, Selphie und Irvine“, begann Quistis kurz angebunden. „Es geht um Squall. Er braucht unsere Hilfe.“ „Waaas ist denn mit ihm?“ fragte Selphie verunsichert. Irvine sah sich um. „Kommt, gehen wir ins Haus. Dort können wir in Ruhe reden.“ Rinoa und Quistis saßen nun mit Irvine am Tisch in ihrer Küche. Selphie kochte einstweilen Tee. Mit zittriger Stimme erklärte ihnen Rinoa die Ereignisse der letzten Nacht, wie sie sich im Schumi-Dorf zugetragen hatten. Selphie ließ vor Schreck fast die Teekanne fallen. „Waaaas? Irgendein Ding hat unseren Squall entfüüührt? Das ist… furchtbar…“ Kopfschüttelnd schenkte sie ihnen allen Tee ein. Irvine ergriff seine Tasse und betrachtete sie genau. Dann traf sein Blick wieder die beiden. „Und ihr sagt, es hat ihn in eine andere Dimension entführt?“ Rinoa nickte nervös, während Quistis ihr tröstend die Hand hielt. „Ja, so ist es“, fügte Quistis hinzu. „Dieser Apparat, den Rinoa vorhin erwähnt hat, kann uns zu ihm… oder besser gesagt, dorthin bringen, wo er jetzt ist. Es können höchstens vier Personen reisen, deshalb…“ Ihr Blick wanderte zu Rinoa, und sie sprach weiter. „Wir brauchen Leute, denen wir unter allen Umständen trauen können“, sagte sie leise. „Leute, die kämpfen können. Und überleben.“ Ihr todernster Blick traf Selphie und Irvine, die ihr gegenüber saßen. „Ihr habt mit uns Artemisia und Omega Weapon besiegt. Ich weiß, dass ihr die richtigen seid. Ich kann es aber nicht von euch verlangen, ich kann euch… nur bitten.“ Irvine und Selphie sahen sich an. Ihre Blicke waren ernst, selbst der von Selphie. Dann ergriff Irvine das Wort. ****************** „Wir beide haben uns geschworen, nie wieder zu kämpfen… und dieser Schwur bedeutet uns viel, nicht wahr, Selphie?“ Seine Gefährtin nickte nur. Rinoa wurde bange zumute. „Es gibt aber eine Sache, die uns mehr bedeutet. Und das ist das Band unserer Freundschaft. Squall braucht unsere Hilfe, und ich will verdammt sein, wenn er sie nicht bekommt.“ Rinoas Miene erhellte sich. Neue Hoffnung keimte in ihr auf. „Das heißt- “ „Das heißt, dass wir ihn zurückholen, darauf kannst du Gift nehmen“, unterbrach er sie mit fester Stimme. Vor Freude strahlend drückte sie beider Hände. „Ich… ich danke euch…“, flüsterte sie überglücklich. „Wann können wir looos?“ fragte Selphie ungeduldig. Irvine gab den achtstelligen Code ein, worauf sich summend das elektronische Schloss des Panzerschranks öffnete. Kaltes Neonlicht fiel auf ‚Exeter‘, eine Schusswaffe von einfacher Bauweise, aber aus erlesensten Materialien. Metalle außerirdischer Herkunft waren von den Ingenieuren auf Fisherman’s Horizon zu einer extrem durchschlagskräftigen Waffe verbaut worden. Daneben standen die Behälter mit verschiedenartiger Munition. Irvine steckte sie alle ein, bei einer Packung zögerte er aber. Durch einen Sehschlitz in der Metallkassette drang ein Lichtschein heraus. Es war die Pulsarmunition, die er nur ein einziges Mal bis jetzt verwendet hatte. Hergestellt worden war sie aus seltenen Energiekristallen. Wegen ihrer Radioaktivität musste sie in einem speziellen Behältnis verwahrt werden. Dann steckte er sie auch ein. Zuletzt strich seine Hand über Exeter, als wäre die Waffe lebendig. Was sie für ihn letztendlich auch war. Dann nahm er sie mit einer schwungvollen Bewegung heraus und fühlte ihr Gewicht in Händen. Er schloss die Augen. In seiner Erinnerung kehrte er in die Vergangenheit zurück, als er sie zuletzt verwendet hatte. Schwerelos trieb er damals durch das Weltall, und ein bizarres Monster schwebte vor ihm. Damals hatte er in einem Moment höchster Not zwei Schuss Pulsarmunition in die zweiläufige Waffe geladen. Der Lichtblitz der Detonation hätte ihm beinahe das Augenlicht geraubt, doch die Zerstörungskraft hatte Artemisia den Rest gegeben. Seufzend kehrte er in die Gegenwart zurück. Klackend öffnete er den Kippmechanismus. Sein prüfender Blick fiel in die Patronenkammern. Das Metall schimmerte überirdisch, und zufrieden schloss er die Waffe wieder. Er steckte sie weg und schloss die Türen des Schranks. Dann zog er seinen Mantel über, der neben dem Schrank hing und verließ das Haus. Die Ragnarok wartete bereits, und mit ihr Selphie, die sich die höchste Ausbaustufe ihres Dreisegmentstabes, ‚Traum oder Illusion‘ auf den Rücken gehängt hatte. Sie lächelte fröhlich wie immer, und Quistis kam die Rampe herab. „Wir können starten, wenn ihr soweit seid“, rief sie über den Lärm der Turbinen hinweg. „Und macht euch keine Sorgen wegen euren Chocobos. Ich habe bereits den Garden benachrichtigt, es werden ein paar Kadetten geschickt, die sich um die Farm während eurer Abwesenheit kümmern.“ Es fiel ihr schwer, den Maschinenlärm zu übertönen, und so hob Irvine nur mehr den gereckten Daumen. Dann liefen sie die Rampe hinauf, und Momente später hob die Ragnarok von der Wiese in der friedlichen Winhill-Ebene ab und durchbrach donnernd die Schallmauer. Alle Vier standen sie nun im geräumigen Cockpit des Schiffes und sahen die Landschaft unter sich vorbeiziehen. Besonders Selphie, die immer so gern geflogen war, genoss den Flug. „Hach, ist das nicht schön, Irvine?“ Er lehnte an einem der Sitze, während sie sich die Nase an der Scheibe plattdrückte. „Ja, das ist es. Genau wie in den alten Zeiten…“ „Wir machen übrigens einen Zwischenstopp in Deling-City“, sagte Quistis, die das Schiff steuerte. Irvine schob sich mit dem Zeigefinger den Cowboyhut über die Stirn. „Sag bloß, wir statten Xell Dincht einen Besuch ab?“ „Allerdings. Er ist die ideale Verstärkung für unser Team. Er war immer einer von Squalls besten Freunden. Außerdem gibt es laut dem Garden-Computerarchiv auf der ganzen Welt keinen besseren Experten im unbewaffneten Kampf.“ Knallend traf ihn die Faust am Wangenknochen. Ächzend ging er zu Boden. Das stachelte seinen Gegner nur noch mehr auf. „Was ist los, Dincht? Machst du schon schlapp?“ Mit flinker Beinarbeit tänzelte er um ihn herum. Nur mühsam kam Xell wieder auf die Beine. Beide trugen denselben roten Karateanzug, so wie alle seine Schüler. Auch wenn im Moment Zweifel entstehen konnten, wer der Lehrer und wer der Schüler sein mochte. „Das war… ziemlich gut“, lallte Xell und hielt sich den schmerzenden Kiefer. Sein bester Schüler, ein junger Offizier der galbadianischen Armee, der bei ihm sein ohnehin schon hervorragendes Kampfkunstkönnen noch aufbessern wollte, umkreiste ihn leichtfüßig wie eine Gazelle. Auch Xells rechtes Auge war schon etwas verschwollen, und er bereute es bereits, die Herausforderung zu einem Sparringskampf angenommen zu haben. Um die quadratische Reismatte herum saßen all seine Schüler und sahen mit an, wie ihr Lehrer verprügelt wurde. Mehrmals versuchte Xell die Deckung seines Schülers mit schnellen Schlagfolgen zu durchbrechen, doch es gelang ihm nicht. Gerade noch wehrte er einen Tritt des jungen Galbadianers ab, da traf ihn wieder eine harte Linke. Nur mit Mühe konnte er sich noch auf den Beinen halten. „Ich frage mich, wer hier eigentlich wem Unterricht geben sollte“, lachte der junge Kämpfer überheblich. Jetzt reichte es Xell. Seine Augen glühten rot auf, und Dampf trat bei seinen Ohren auf. Dann verschwand er im Boden, versickerte wie Wasser. Seinem Kontrahenten fiel die Kinnlade runter. Sekundenbruchteile später materialisierte er sich vor ihm und schoss einer Wasserfontäne gleich aus dem Boden. Das Kreischen eines Delphins war zu hören, und Xell stieg mit einem gewaltigen Aufwärtshaken gen Himmel. Der junge Kämpfer wurde von der Wucht der Attacke nach hinten geschleudert und riss eine Reihe der Schüler am Rande des Kampfplatzes mit sich. Xell landete auf den Füßen und sah sich um. Erstaunt und begeistert begannen seine Schüler zu applaudieren. Er kratzte sich jedoch nur verlegen am Hinterkopf. Dann ging er auf seinen gerade wieder zu Bewusstsein kommenden Schüler zu. Dieser wurde von mehreren seiner Mitschüler gestützt. Xell streckte ihm die Hand entgegen. Zögernd ergriff dieser sie. „Ich glaube, ich werde weiterhin unterrichten, was meinst du“, fragte er lachend. Vorsichtig stimmte der junge Mann in sein fröhliches Lachen ein, dann zog er ihn vom Boden hoch. „Wichtiger noch als die Stärke der Arme ist das Herz eines Kriegers, das in dir schlagen muss. Du bist zwar schon ziemlich gut, aber das musst du noch lernen“, belehrte ihn Xell. Die Überheblichkeit des Schülers war nun Demut gewichen, und er verneigte sich ehrfürchtig vor seinem Lehrer. Dieser erwiderte die Geste. Vorsichtig drückte sie ihm den Eisbeutel aufs Gesicht. Xell stöhnte trotzdem auf. „Uhm… danke, Mary.“ Seine Frau bedachte ihn mit einem tadelnden Blick. „Was hast du dir dabei nur gedacht…“ „Ich habe ihn doch eh geschnupft(für alle Nordlichter: fertiggemacht)!“ „Ja, aber vorher hat er dich verprügelt“, sagte sie und reichte ihm ein Handtuch. „Tja, er war doch besser als angenommen.“ „Er wird dich doch keinen Hasenfuß genannt haben“, erklang eine Stimme hinter ihm. Verwundert drehte er sich um. Da sah er sie: Quistis, Rinoa, Irvine und Selphie, die nebeneinander auf ihn zukamen. Irvine, der den Kommentar vom Stapel gelassen hatte, schob sich den Hut hoch und lachte ihn an. „Da wird ja der Hund in der Pfanne verrückt… was macht ihr denn hier??“ Lachend fielen sie sich alle um den Hals. Xell und auch Mary freuten sich sichtlich über den Besuch ihrer alten Freunde. Dann merkten sie Rinoas traurige, nur verhalten fröhliche Miene. Xell hielt sie an den Schultern und sah ihr genau ins Gesicht. „Ich freue mich ja wirklich euch zu sehen, aber… etwas ist passiert, richtig?“ Rinoa nickte bekümmert. „Kommt rein, dann reden wir in Ruhe.“ Sie saßen nun alle im Speisezimmer ihres Dojos, dessen Architektur ganz an fernöstliche Gebäude angelehnt war. Vom Fenster aus konnte man in den Hof sehen, in dem Xells Schüler über den Hof verstreut nun Pause machten. Quistis erklärte das Geschehene, während Rinoa hier und da Ergänzungen zu den Ausführungen machte. Mary schenkte ihnen derweil allen Sake in kleine Schalen ein. „Was?? So ein Dreckskerl“, rief Xell und schlug mit der Faust auf den niedrigen Tisch, dass alle Saketassen einen Sprung machten. „Den knöpf ich mir vor! Wenn ich den erwische…“, knurrte er. „Ja, und deshalb möchte ich dich fragen… ob du mitkommst“, begann Rinoa vorsichtig. Xell machte ein verdutztes Gesicht und deutete sich mit dem Daumen auf die Nasenspitze. „Ob- ob ich mitkomme? Was für eine- “ Dann hielt er plötzlich inne. Er erinnerte sich, dass es noch jemanden in seinem Leben gab. Er warf einen fragenden Blick zu Mary, seiner jetzigen Frau, die er in der Bibliothek damals im Balamb-Garden kennengelernt hatte. „Entschuldigt uns einen Moment“, sagte er und ging mir ihr in einen Nebenraum. „Er war früher mein Vorbild, und wurde dann zu meinem besten Freund. Bitte versteh das…“ Mit bekümmertem Gesicht wandte sie sich von ihm ab und ging auf das Fenster zu. Dort sah sie in den Hof, wo sich die Schüler ihrer Kampfsportschule ungezwungen unterhielten, solange ihr Meister weg war. „Das verstehe ich auch, ich kannte Squall zwar nicht so gut wie du, aber… du wolltest doch dem Garden den Rücken kehren“, entgegnete sie leise. Xell ließ seufzend die Schultern hängen. „Dazu stehe ich nach wie vor. Für jemanden wie mich war eben kein Platz im Garden“, sagte er nachdenklich und betrachtete seine geballte Faust. „Aber ich tue das nicht für den Garden. Ich tue es für Squall. Und auch für Rinoa und die anderen. Wir haben soviel durchgemacht zusammen… wenn wir nicht so fest zusammengehalten hätten, dann wäre heute keiner von uns hier…“ Er näherte sich seiner Frau von hinten und legte ihr die Arme um die Hüften. „Bitte versteh das. Ich muss ihm helfen. Ich würde es mir nie verzeihen…“, flüsterte er ihr ins Ohr. Dann befreite sie sich aus seiner Umarmung und wandte sich ihm zu. „Ich weiß“, sagte sie traurig. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. „Ich weiß… du musst für ihn da sein. Das verstehe ich…“, hauchte sie und streichelte die Tätowierung auf seiner linken Gesichtshälfte. „Du bist der treueste Mensch auf der Welt, und das liebe ich an dir. Geh und tu für Squall, was in deiner Macht steht. Ich werde auf dich warten.“ Noch einen Moment lang schauten sie sich tief in die Augen, bis er das Verständnis in den Tiefen ihrer vom Abschiedsschmerz erfüllten Augen erkennen konnte. Dann umarmten sie sich noch einmal innig. Er kniete sich auf die Reismatte und verneigte sich tief vor dem Bild seines verschollenen Meisters Zangan. Einen Moment lang betrachtete er das Bild voller Ehrfurcht, vor dem immer Räucherstäbchen brannten. Dann öffnete er den Schrein und nahm eine Kassette aus Ebenholz heraus. Vorsichtig hob er den Deckel. Darin lagen kunstvoll gearbeitete Handschuhe. Sie bestanden aus Adamant, dem härtesten bekannten Metall. Verziert waren sie mit Schlangenhaut. Als er in sie hineinschlüpfte, zuckten kleine statische Entladungen um seine Fäuste. Bewundernd betrachtete er die edlen Stücke, die er so lange nicht getragen hatte. Dann reckte er die rechte Faust zum Himmel. „‘Ehrgeiz‘… Gott segne den Ring…(erinnert ihr euch?)“ Schon raste die Ragnarok über die Galbadia-Großebene, ließ Deling-City hinter sich und überflog das Kap von Holyglory(hört sich bescheuert an, heißt aber wirklich so). Schließlich tauchten die vereisten Küstenstriche der Winterinsel auf, wo der Balamb-Garden immer noch vor Anker lag. In der Zwischenzeit surrte der Aufzug des Balamb-Gardens in die Tiefe. Nur Quistis stand im Aufzug, nachdem sie den Geheimcode für die mittlere untere Ebene eingeben hatte. Es war die Ebene unter dem Garden, aber über der MD-Ebene. Einst hatte dort ein durchtriebener Schumi namens Norg residiert, doch das war lange her. Nun lagerten in der stillen Halle die wertvollsten Ressourcen, die die SEEDs besaßen. Schon lange hatte sie niemand mehr verwendet, doch nach wie vor wurden sie hier gelagert und wie ein Staatsschatz gehütet. Die Türen glitten auseinander, und Quistis trat in die Halle. An den Wänden standen hohe, versiegelte Behälter. Durch die Sichtfenster drang das matte, verschiedenfarbige Glühen der Materias, die die sogenannten ‚Guardian Forces‘, mächtige Schutzgeister, beherbergten. Zu früheren Zeiten waren sie die wichtigste Machtquelle für die SEEDs gewesen, doch mittlerweile schien ihr Gebrauch auf den Kriegsschauplätzen der heutigen Zeit nicht mehr angebracht. Doch jetzt, für diese gefährliche Mission, schien ihre Zeit wieder gekommen zu sein. Quistis trat an einen der Behälter heran. Sie zog ihren Handschuh aus und legte die Handfläche auf den Scanner, der ihre Identität zweifelsfrei feststellte. Dann erst glitt die Verkleidung hoch und gab den Blick frei auf eine kleine, leuchtende Kugel. Vorsichtig nahm Quistis sie in die Hand. Sie betrachtete die Kugel und schob sich die Brille zurecht. Etwas ließ sie stutzig werden. Ihre Augen wurden groß- Doktor Martine Dodonna schwenkte den Sensor hin und her. Er gab keinen Ton von sich. Dann legte er die Materiakugel seufzend hin. „Ich habe nicht die geringste Ahnung, wie das möglich ist… aber sie sind leer. Einfach weg.“ „Aber… das kann nicht sein!“ rief Direktor Cid. Er, den sonst kaum etwas aus der Ruhe brachte, klang nun richtig nervös. „Niemand kann diesen Raum betreten. Die Sicherheitsmaßnahmen sind viel zu streng!“ „So war es auch beim Schumi-Dorf“, bemerkte Quistis, die mit verschränkten Armen daneben stand. Dodonna und Cid horchten auf. „Sie hat recht“, erwiderte Dodonna erstaunt. „Es gibt wirklich Parallelen… wenn das dasselbe Phänomen verursacht hat- “ „-dann steckt unser Team in großen Schwierigkeiten“, vervollständigte Cid ihn. „Wir müssen es ihnen sagen. Sie sollten jeden Moment eintreffen.“ Kurze Zeit später landete die Ragnarok, und die Vier versammelten sich in der MD-Ebene, wo Doktor Dodonna und sein Team eifrig am ‚Apparat‘ werkten. Es war ein großer Ring, der drehbar gelagert war. Dicke Kabelbäume führten von verschiedenen Maschinen zu ihm. Die Gruppe um Rinoa stand in einer gewissen Entfernung und beäugte das ‚Tor‘ skeptisch. „Machen sie sich keine Sorgen, Direktor“, begann Xell. „Die Stärke der SEEDs liegt nicht in den Guardian Forces. Er liegt im Zusammenhalt und Teamgeist, nicht wahr, Leute?“ Cid Kramer nickte anerkennend. „Das hätte ich nicht besser sagen können, Xell Dincht. Auch wenn ich ein besseres Gefühl hätte, hätte ich ihnen unsere Materias mitgeben können. Aber euren Mut und eure Entschlossenheit kann keine Materia der Welt ersetzen.“ Sorgenvoll betrachtete er den Apparat, der allmählich zum Leben erwachte. Dodonnas Team traf die letzten Vorbereitungen, und nun begann sich der Ring surrend und zischend zu drehen. „So groß meine Freude ist, sie alle wiederzusehen, so hätte ich mir doch einen erfreulicheren Anlass gewünscht. So bleibt mir nichts anderes übrig, als ihnen allen meinen Segen mitzugeben. Sie haben genügend gefährliche Situationen gemeistert, als dass ich Ratschläge geben könnte. Doktor Dodonna wird ihnen noch etwas Wichtiges mitgeben.“ Unter den aufmerksamen Blicken von Irvine, Rinoa, Xell und Selphie erklärte Dodonna ihnen die Funktion eines kleinen Kastens. „…so wird das Gerät ausschlagen, sollten sie in die Nähe eines Dimensionstores gelangen. Folgen sie dazu einfach der Anzeige.“ Irvine schnippte mehrmals mit den Fingern. „Äh, Doktor… nur eine Frage: und wenn wir kein Tor finden?“ Dodonna erwiderte seufzend seinen fragenden Blick. „Diese Möglichkeit besteht natürlich. Wir arbeiten allerdings schon an einer Methode, ein Tor zu öffnen, durch das sie zurückkönnen. Es ist eine Frage der Zeit. Ich verstehe, dass sie baldigst aufbrechen wollen, aber wenn wir mehr Zeit- “ „Wir haben aber keine Zeit“, unterbrach ihn Rinoa. „Squall steckt in wer-weiß-was für Schwierigkeiten. Ich vertraue darauf, dass sie eine Lösung finden“, sprach sie in einem versöhnlicheren Ton weiter. „Sie werden uns da rausholen, das weiß ich.“ Er erwiderte ihren vertrauensvollen Blick. In diesem Moment zuckte ein Lichtblitz durch die MD-Ebene- das Tor war aktiv, und eine leuchtende Oberfläche bedeckte nun den Ring. „Ich würde gern mit euch mitgehen“, erklärte ihr Quistis bedauernd. „Es ist okay“, tröstete sie Rinoa. „Du hast schon viel für uns getan. Der Garden braucht dich mehr den je, jetzt wo Squall… jetzt, wo er weg ist.“ Sie atmete tief durch. „Halte hier die Stellung. Wir sind sicher bald zurück.“ Dann umarmten sich die beiden innig, bevor Rinoa wieder zu den anderen ging. Sie warteten bereits auf der Rampe, die zu dem gleißend hellen Tor führte. Ihnen allen war die Anspannung vor dieser Reise ins Ungewisse anzumerken. Selphie trat von einem Fuß auf den anderen. Irvine hielt seine Waffe lässig über die Schulter gelegt, doch sein Gesicht drückte ebenfalls Nervosität aus. Xell schlug sich mit der Faust auf die Handfläche, um sich Mut zu machen. Rinoa blickte ernst in das Tor. Verschwommen sah sie die Spiegelbilder von sich und ihren Freunden darauf. Dann dachte sie an Squall, was ihr im selben Moment Mut einflößte- und tat den entscheidenden Schritt. Ihre Freunde zögerten keinen Moment, und schon waren sie durch. Voller banger Gefühle wurden Quistis, Direktor Cid, Dodonna und seine Techniker Zeugen, wie sie verschwanden… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)