Eternal Fantasy von Rahir ================================================================================ Kapitel 11: SqTi-12-1 --------------------- Die Wachsamkeit der Elite-Gunner ließ keinen Moment nach. Immer noch patrouillierten sie in geregelter Formation um das Landungsboot. Monster, die sich zu nahe heranwagten, verendeten in gezielten Feuerstößen. Aufmerksam zielten sie in alle Richtungen in den undurchdringlichen Nebel. Ihr Kommandant war schon mehrere Stunden weg, doch sie würden tagelang ausharren, falls notwendig. „Wie sieht’s aus da draußen?“ krächzte es im Helmmikrofon eines der Gunner. Anscheinend war dem Piloten langweilig, der ja nicht mehr zu tun hatte, als das Schiff startbereit zu halten. „Unverändert. Wie schon vor einer halben Stunde.“ „Keine Spur vom Richter und den anderen?“ „Nein. Aber glaub mir, du erfährst es als erster, wenn ich was sehe.“ „Okay“, murmelte der gelangweilte archadianische Soldat ins Mikro und lehnte sich zurück. Aus den Sichtfenstern des Schiffes sah man nichts weiter als Nebel und ein paar Sumpfpflanzen. Wenig Abwechslung also. Und so ließ der Pilot wieder seine Gedanken kreisen. Nebenbei kontrollierte er im Minutentakt die Anzeigen der Triebwerke und aller Hilfsaggregate. Von Zeit zu Zeit erlaubte er es sich, die Augen zu schließen und zu dösen. Die brauchen eh noch eine Weile, dachte er gähnend… „SCHNELL RAUS AUS DEM SCHIFF!!!“ Der Pilot schreckte hoch. Seine Ohren klingelten. Benommen löste er sich aus den Gurten und taumelte ins Freie. Wenn das wieder ein Scherz ist, dachte er, während er die Rampe hinunterlief, dann gibt es Tote. Seine Kameraden sah er nicht, als er ins Freie trat. Verwirrt sah er sich um. „Weg von dem Schiff, verdammt!“ hörte er in seinem Helm, sah jedoch in seinem Blickfeld niemanden. Dann- ging die Welt unter. Eine Druckwelle aus Schlamm, Rauch und Metallteilen riss ihn von den Beinen und schleuderte ihn etliche Meter davon. Nur seiner massiven Rüstung hatte er es zu verdanken, dass die Explosion ihn nicht in mehrere Stücke gerissen hatte. Schlamm spritzte auf, als er landete. Von Panik erfüllt kroch er auf allen Vieren… wohin? Nur weg, das war der Gedanke, der seinen Verstand völlig beherrschte. Sein Blickfeld verengte sich auf die nächsten paar Meter… Plötzlich stürmten seine Kameraden herbei und zogen ihn auf die Beine. Er war nicht fähig zu fragen, was passiert sei. Doch das, was er als nächstes sah, beantwortete alle Fragen. Und stellte noch mehr. Heftige Windböen fegten den Nebel über den Nabreussümpfen weg. Doch es war kein frischer Wind. Dieser Wind war heiß. Und sein Ausgangspunkt war der Vulkan, der jetzt dort aus der Erde brach, wo zuvor noch die Ruinen von Nabudis standen. Fassungslos standen sie nebeneinander und betrachteten erstarrt den Kegel, der sich in der Entfernung auftürmte. Geschmolzenes Gestein floss aus Rissen an seinen Seiten heraus und gelangte zischend in die umliegenden Sümpfe. Nun erst realisierte der Pilot, was passiert war. Während der Eruption hatte die Erde große Trümmer der Ruinen in den Himmel empor geschleudert. Einer dieser Trümmer hatte ihr Schiff getroffen. Nur der schnellen Reaktion seiner Kameraden hatte er sein Leben zu verdanken. Doch ihre Sorgen waren nicht bei dem Schiff, das nun zerschmettert und rauchend im Sumpf steckte, sondern bei ihrem Kommandanten, Richter Basch, der immer noch in den nun nicht mehr vorhandenen Ruinen war… Ächzend schob er den Schweißerschild hoch, der seine Augen vor dem grellen Licht des Schweißbrenners und dem heißen Funkenflug schützte. Dann betrachtete er stirnrunzelnd die Schweißnaht, die nun ihr Schiff zusammenhalten sollte. „Ist nicht gerade ein Kunstwerk. Sollte aber halten“, sagte er zufrieden und packte die Utensilien zum Schweißen wieder ein. „Wie sieht’s bei dir aus, Fran?“ rief er währenddessen. Aus einer geöffneten Luke kam Antwort. „Die Aggregate laufen normal. Wir sollten starten können“, erwiderte sie in ihrer leicht unterkühlten Art. „Na Bravo“, seufzte Balthier Bunansa und trug den Schweißbrenner zurück ins Schiff. „Jetzt müssen wir nur noch das Geld für die vollständige Reparatur auftreiben, dann sind wir aus dem Schneider.“ Missmutig ließ er das Werkzeug in die angestammten Laden fallen. „Von den beiden werden wir ja nicht viel Geld sehen.“ „Sieh es als gute Tat an“, sagte Fran, die jetzt aus dem Maschinenraum kam. Balthier hob eine Augenbraue und stützte die Hände in die Hüften. „Von guten Taten kann ich mir aber nichts kaufen. Außerdem habe ich für dieses Leben schon mehr als genug gute Taten vollbracht“, fügte er murrend hinzu und räumte weiter das Werkzeug ein. „Das ist es“, meinte Fran. „Königin Ashe schuldet uns ohnehin noch etwas. Ich bin mir sicher, dass sie uns aushilft, bis wir uns finanziell wieder rühren können.“ „Ach ja, die gute Ashe“, seufzte Balthier und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Nachdenklich betrachtete er sein Hemd, dass voller Öl und Ruß war. Dann begann die Erde zu zittern. Die beiden sahen sich alarmiert an, dann liefen sie ins Freie. Fran ließ den Schraubenschlüssel fallen, als sie es sah. Balthier stand der Mund offen. Eine Welle heißer Luft schwappte ihnen entgegen, als im Zentrum der Nabreussümpfe ein Vulkan ausbrach. Ströme glühenden Gesteins flossen zischend durch den Sumpf, während ein feiner Ascheregen über sie niederging. Von Zeit zu Zeit fielen größere Brocken vom Himmel und schlugen krachend im Unterholz ein. Dort, wo man zuvor noch die Ruinen von Nabudis im Nebel vermuten konnte, türmte sich jetzt ein Kegel aus berstendem Gestein auf, aus dessen Flanken glühendes Gestein floss. „Bei allen Göttern…“, stammelte Balthier. Dann schüttelte er den Kopf. „Wo sind die beiden eigentlich? Die sind doch nicht etwa- “ Er konnte nicht mehr sprechen, denken, fühlen oder sich auch nur bewegen. Er konnte nichts mehr. Existierte er überhaupt noch? Woran könnte er das erkennen? Das Licht… es war überall. In seinem Kopf, in seinem Körper, in seiner Seele… glühendheiß brannte es in ihm. Er versuchte die Hand auszustrecken. Vergeblich. Er versuchte die Augen zu öffnen. Vergeblich. Er konnte nichts mehr. Er versuchte sich an seinen Namen zu erinnern… Squall… Squall Leonhart. SEED. Vizedirektor. Verzweifelt versuchte er, seine Identität zurück zu erringen, bevor das Licht sie völlig auslöschen würde. Immer wieder sagte er es sich vor wie ein Mantra. SEED. Vizedirektor. Kämpfer. Opfer. Sieger. Verlierer. Bezwinger. Unterlegener… War das alles? War da nicht noch mehr? SEED. Vizedirektor. Bezwinger… von Artemisia. Der Mann… in Rinoas Leben. Ja. Endlich. Wie ein Ertrinkender in einem Sumpf, der ihn unbarmherzig in die Tiefe zog, klammerte er sich an diesen Strohhalm, an dem er sich vor dem Vergessen-werden retten konnte. Die Bilder wurden klarer und zerfielen nicht mehr unmittelbar nach dem Erscheinen. Eine Anhöhe in der Alclad-Ebene. Nacht. Noch jemand war da. Ein wallender, grauer Mantel. Eine aufblitzende Klinge. Blut tropft aus seinem Gesicht. Blut auf seinen Händen, Blut auf dem Boden. Dann ging es weiter… Eine Parade. Viele Menschen. Tänzer, die sich in rhythmischen Bewegungen krümmen. Dann der Wagen… mit ihr. Und ihm. Ihrem Hexenritter. Wieder verschwamm das Bild, und ein neues tauchte auf… Kalte Sterne. Kalte Schwärze. Schwerelosigkeit. Eine rotes, herrenloses Raumschiff… und sie. Sie schwebt vor ihm. Doch… nein! Nein… das Glas… es bricht. Scherben taumeln durch die Schwerelosigkeit. Lippen ringen nach Luft. Und der Ring an ihrer Kette… er streckt die Hand nach dem Ring aus, doch bevor er ihn erreicht, verändert sich wieder alles… Küste. Strand. Mauern. Das… Waisenhaus. Seine Mutter. Die Hexe. Und die Nachfolgerin. Sie kann nicht sterben… ohne ihre Kräfte weiter zu reichen. Und sie gibt sie weiter. An… Rinoa. Rinoa. Rinoa? Dieser Name… In dem Moment, in dem er aus der trüben Oberfläche seines Bewusstseins auftauchte, löste er etwas aus in ihm. Mit einem Male war sein Wille wieder fokussiert, war seine Kraft wieder da. Und er begann zu kämpfen. Er kämpfte sich zurück an die Oberfläche… Der sumpfige Boden schmatzte unter seinen Füßen, und wieder geriet er ins Straucheln. Wie ein gehetztes Tier überblickte er immer nur den Raum seiner nächsten Schritte. Bis er mit einer Person zusammenstieß. Verwirrt sahen sie sich an. Der Mann vor ihm trug einen schwarzen Anzug, der nun großteils grau war vor Asche. Sie regnete vom Himmel, wie er nun bemerkte. Auch sein kahler Schädel war grau bestäubt. „Wer bist du?“ fragte Squall, weil ihm nichts Besseres einfiel. Seine Stimme klang belegt und trocken. Der Mann verzog das Gesicht, als kostete ihn die Antwort zu viel Kraft. Dann hörten sie Rufe. Beide wandten sich um. Mehrere Gestalten tauchten aus dem Ascheregen auf. Squall starrte sie an, bis er merkte, dass es drei Personen waren. Zwei davon stützten eine Dritte, die in ihrer Mitte ging oder eher hinkte. Squall beschirmte seine Augen gegen den Ascheregen. Einer der Personen trug eine metallene Rüstung. Die Person in der Mitte, die offenbar am Bein verletzt war, trug eine blaue Bermudahose und hatte stacheliges, blondes Haar. Und die dritte… war Tifa. „Tifa!“ rief er und lief los. Der Mann neben ihm horchte auf und folgte ihm. Er lief neben ihr her während sie den verletzten Mann stützten. „Tifa… was ist passiert? Wir waren doch gerade noch- “ „Ich weiß es nicht“, erwiderte sie kopfschüttelnd. „Ich weiß nur, dass ich im Freien aufgewacht bin und diese zwei Männer in meiner Nähe waren.“ „Tifa…“, sagte nun der glatzköpfige Mann im verstaubten Anzug. Sie warf ihm einen mitleidigen Blick zu. „Rude… wie bist du hierher gekommen?“ Squalls verwirrter Blick wechselte zwischen Tifa und dem Mann namens Rude. „Du kennst ihn?“ „Oh ja“, erwiderte Tifa seufzend. „Da sind meine Männer“, sagte der Mann in der Rüstung plötzlich. „Im Schiff können wir ihn besser verarzten, kommt!“ Die vier archadianischen Soldaten kamen ihnen im Laufschritt entgegen. Hektisch überhäuften sie ihren Kommandanten mit Fragen, doch dieser befahl ihnen nur, sich um den Mann zu kümmern. Während sie seine Wunde am Bein behandelten, erläuterte er ihnen in Kurzform die letzten Ereignisse. Die riesenhafte Erscheinung im Zentrum von Nabudis sparte er aber wohlweißlich aus. „Ihr hättet das Schiff aber nicht alleinlassen sollen. Wir hätten euch schon gefunden“, wies er sie am Schluss seiner Erklärung zurecht. Einer der Soldaten schüttelte nur den Kopf. „Es gibt kein Schiff mehr, Sir…“ Sie erzählten von dem Gesteinsbrocken, der das Schiff zerstört hatte. Seine Miene zeigte keine Regung. „Ihr seid aber alle unverletzt?“ fragte er am Schluss. Die Männer nickten. „Ja, Sir… aber was ist eigentlich mit Biggs und Wedge?“ fragte einer von ihnen vorsichtig, obwohl sie die bittere Wahrheit bereits ahnten. Basch senkte den Blick und atmete tief durch. „Sie haben es nicht geschafft.“ Düstere Bedrückung senkte sich auf die Männer. Nebeneinander standen sie im Ascheregen des neugeborenen Vulkans und realisierten den Tod ihrer Kameraden. Eisiges Schweigen, nur zeitweise unterbrochen vom Mahlen ferner Nachbeben, beherrschte die Szene. Dann erhob Richter Basch wieder seine Stimme. „Los, Männer. Bewegung. Schauen wir, dass wir hier wegkommen, bevor noch mehr Felsblöcke herabregnen. Bewegung!“ Sein letztes, etwas lauteres Wort riss sie aus ihrer Lethargie. Sie halfen dem verletzten Mann auf die Beine und marschierten mit ihm los. Die Richtung war klar, weg von den Lavaströmen, die sich unweit von ihnen ihre Bahn zischend durch die Nabreussümpfe fraßen. Richter Basch wusste, dass auf diese Männer Verlass war. Sie waren gut ausgebildet, doch auch jung. In keinem Krieg hatten sie noch gekämpft, und der Tod naher Kameraden noch etwas Unbekanntes für sie. Bis jetzt. Der Richter zog ein Funkgerät aus einer Tasche seiner Rüstung und wählte auf gut Glück verschiedene Frequenzen. Squalls Blick war immer noch etwas trüb. Langsam nur fand er den Boden der Realität wieder, und dann fiel sein Blick auf den Mann, der links und rechts von zwei Soldaten gestützt wurde. Seine Augen wurden weit, und er lief an seine Seite. „Gottverdammt, Xell!!“ Dieser hob müde den Kopf und lächelte. „Squall… wir haben dich… gesucht“, flüsterte er. Die Kraftlosigkeit dieser Worte erschütterte Squall. In seinen Erinnerungen strotzte der Kampfsportler nur so vor Energie, aber offenbar waren seine Verletzungen schlimmer als angenommen. Squall legte beide Hände auf seine Schulter. „Xell… wo sind die anderen? Hast du sie gesehen?“ Seine Stimme stockte. Xell schüttelte langsam den Kopf. „Ich weiß es nicht, Squall… tut mir leid.“ Seine Augen wurden groß, dann rannte er los. Weg von ihnen, und in Richtung der glühenden Eruption, die weiterhin Lavaströme ausspie. Die anderen blickten ihm ratlos hinterher. „Rinoa!! Rinoooaaa!!!“ brüllte er aus Leibeskräften, während in Richtung der heißen Windböen lief. Tifa reagierte sofort und verfolgte ihn. Bald holte sie ihn ein und packte ihn am Arm. Er versuchte sich loszureißen, doch die junge Frau verfügte über erstaunliche Kräfte. „Lass mich los, verdammt!“ schrie er sie an. „Ich muss sie suchen!“ „Du findest da aber nichts!“ schrie sie zurück. Sie spürte, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten. „Wenn sie noch… sie sind wo anders, aber sicher nicht in dem Loch… voller Lava…“ Ihre Stimme wurde brüchig, und sie realisierte ihren eigenen Verlust. Squall blickte sie verzweifelt an. Immer wieder wandte er sich in Richtung der Magmaströme, die dem Riss in der Erde entwichen. Mehrmals setzte er zu einem Satz an, aber immer versagte seine Stimme. Tifa hielt immer noch seine Hand fest. Dann ging er auf sie zu. Sie umarmten sich und weinten. Die Schleusen des Schmerzes und der Trauer öffneten sich, und fast schien es, als könnte dieses Meer der Tränen die Glut aus der Erde zum verlöschen bringen. „Ich… ich habe auch Menschen da drin, die… die mir wichtig sind“, flüsterte sie tränenerstickt in seine Schulter. „Ich will auch nicht, dass… sie…“ Noch eine Weile standen sie so da, und die Lavaströme krochen langsam in ihre Richtungen. Schon spürten sie die Hitze auf der Haut. Dann setzten sie sich in Bewegung und folgten den anderen, die schon ungeduldig warteten. „Ihr seid aber immer am richtigen Ort, das muss man euch lassen“, sagte Basch erleichtert zu Balthier. Aus purem Instinkt heraus hatte er die Bordfrequenz der ‚Strahl‘ gewählt, und ihr Pilot meldete sich umgehend. Nun standen sie beieinander und betrachteten das feurige Inferno am Horizont. Seine Männer versorgten gerade den verletzten Xell im Schiff. Tifa und Squall standen in geringer Entfernung und starrten auf das Schauspiel aus geschmolzenem Stein, das den Himmel eine unheimliche rötliche Färbung verlieh. „Dass die beiden noch auftauchen, hätte ich nicht mehr gerechnet“, meinte Balthier kopfschüttelnd. „Was um alles in der Welt ist da drin passiert?“ Basch erwiderte müde seinen fragenden Blick. „Das, mein Freund, ist eine lange Geschichte. Ist die ‚Strahl‘ startbereit?“ „Ja, das ist sie. Gerne nehme ich euch mit. Du willst wohl nach Archadis, vermute ich?“ „Allerdings. Larsa Solidor muss so schnell wie möglich hiervon erfahren.“ Seufzend ging Balthier los in Richtung Rampe. Basch folgte ihm. „Ach, Archadis. Unschöne Erinnerungen habe ich an diesen Ort. Aber ich vermute, eine Gratisüberholung der ‚Strahl‘ ist als Verdienst nicht zu viel verlangt.“ „Nein, ist es nicht“, sagte Basch lachend und klopfte ihm kameradschaftlich auf die Schulter. „Na dann, ich mache alles startbereit. Wenn unsere beiden Turteltäubchen auch einsteigen möchten…“ Er deutete in Richtung von Tifa und Squall. „Ich kümmere mich um die beiden.“ „Wir werden das Gelände überfliegen. Wenn… vielleicht finden wir sie.“ Squall wandte sich zu ihm um. Einen Moment lang blickte er ihn mit leeren Augen an, dann nickte er. Dabei legte er eine Hand tröstend auf Tifas Rücken. Gemeinsam gingen sie zum Schiff. Basch warf noch einen nachdenklichen Blick auf das rötliche Flammenmeer, das immer mehr von den Nabreussümpfen verschlang. Squall saß an der Liege, auf der Xell lag und vergewisserte sich über seinen Zustand. Die Heilmittel der Soldaten hatten ihre Wirkung getan, und er war außer Gefahr. Basch saß gegenüber und betrachtete sie mit Schwermut. Auf derselben Liege… war sein Bruder Noah gestorben. Er erinnerte sich genau. Und würde es wohl nie vergessen. Doch diese Geschichte würde ein erfreulicheres Ende haben. Zumindest dieser Teil, dachte er, als sein Blick auf die Frau namens Tifa fiel, die vorne bei Balthier und Fran stand. Ihre flehenden Augen konzentrierten sich auf den Boden, den sie in geringer Tiefe überflogen. Doch es bot sich ihnen überall dasselbe Bild. Allmählich kamen die Lavaströme zum Stillstand. Ihre Farbe verlosch langsam, während sie abkühlten. Doch Reste der Ruinen fanden sie nirgends, und auch keine Überlebenden. Nach einer Weile ging Squall nach vorne zu ihr. „Habt ihr schon irgendwas- “ Sie schüttelte den Kopf, und er bemühte sich um seine Fassung. Ruhig sprach er weiter und legte ihr die Hand auf die Schulter. „Ich weiß nicht, was genau passiert ist, aber… wir sind doch auch nicht rausgelaufen. Wir waren einfach draußen. Wahrscheinlich war es bei den anderen genau so.“ Tifa wandte sich zu ihm um und blickte ihn mit geröteten Augen an. „Ja, du hast wohl recht. Nur… wo sind sie?“ Ihre Stimme klang immer noch dünn und zerbrechlich. Squall erwiderte nichts, sondern nahm sie nur in den Arm. Balthier warf einen Blick zur Seite, dann gab er Fran ein Zeichen. Ihr zu liebe hatten sie das gesamte Gebiet mehrmals überflogen, obwohl kein Zweifel war, dass sie im Nahbereich dieser Flammenhölle nichts finden würden. Und so nahmen sie Kurs auf Archadis. Tifa saß teilnahmslos auf einem Platz. Squall ging im Gang auf und ab und sah dabei immer wieder nach Xell. Nach einer Weile trat Basch auf ihn zu. „Ich glaube, wir hatten noch nicht das Vergnügen“, begann dieser förmlich. Squall sah ihn müde lächelnd an. „Ach, ja. Mein Name ist Squall Leonhart.“ „Richter Basch von Ronsenburg, sehr erfreut. Lassen sie mich raten… sie sind aus einer anderen Welt?“ Ehrliches Erstaunen breitete sich auf Squalls Gesicht aus. „Woher wissen sie das?“ „In den Ruinen ist mir eine andere Gruppe begegnet, die dasselbe behauptet haben. Sie waren ebenfalls in dieser… Kammer. So gesehen war es nahe liegend.“ „Und sie glauben uns?“ Basch seufzte tief. „Nachdem, was ich heute gesehen habe, will ich nichts mehr ausschließen. Und die Frau?“ Sie schauten in Richtung von Tifa, die gedankenverloren aus dem Fenster blickte. „Sie heißt Tifa Lockhart. Diese Leute da drinnen… sie waren wegen ihr hier. Sie haben sie gesucht.“ Basch hob die Augenbrauen. „Ich verstehe. Das ist… sehr bedauerlich.“ „Ja… auch für mich.“ Squall ging an ihm vorbei, dann blieb er stehen. „Ich verstehe, was sie durchmacht. Denn diese anderen Leute… waren wegen mir hier“, sagte er mit dem Rücken zu ihm. Dann setzte er sich auf einen Platz auf der gegenüberliegenden Seite von Tifa. Er respektierte ihren unausgesprochenen Wunsch, alleine zu sein. Basch konnte nur vermuten, was in ihnen vorging. Dann ging er schließlich zu dem glatzköpfigen Mann, dessen schwarzer Anzug genauso grau vor Asche war wie ihrer aller Kleidung. Apathisch saß er da und starrte zu Boden. „Alles in Ordnung mit ihnen?“ Der Mann sah auf. Seine Sonnenbrille hielt er in der Hand. Der Ausdruck in seinen Augen kündete von erstarrtem Schmerz. „Ja“, erwiderte er knapp. Basch nickte langsam. „Mein Name ist Rude“, fügte er dann hinzu und setzte seine Sonnenbrille wieder auf. Die Bewegung wirkte wie ein Ritual, an das er sich verzweifelt klammerte. „Nur Rude?“ „Nur Rude.“ „Okay. Ich bin Richter Basch von Ronsenburg, und wir sind bald in Sicherheit.“ Er zögerte einen Moment, dann sprach er weiter. „Hatten sie ebenfalls… Leute da drin?“ Rude nickte nur langsam. „Seien sie versichert, meine Regierung wird alles tun, um diesen Vorfall aufzuklären und diese Menschen ausfindig zu machen.“ Er nickte ihm noch zu, dann ließ er ihn wieder allein. Tifas Blick hing regungslos in der Ferne. Sie blinzelte kaum, und ihr Geist war weit weg. Sie war zu erschöpft, um in Gedanken weiter zu forschen, wo Cloud und die anderen sein könnten. Und so ergab sie sich einer Mischung aus Müdigkeit und versiegter Trauer, die keine Tränen mehr hatte. Sie legte sich über ihre Seele wie eine schwere Decke, die einerseits Last bedeutete, andererseits aber auch linderndes Vergessen versprach. Verschwommen nahm sie nur den Horizont wahr, an dem ihre trüben Augen hingen. Die Geräusche ihrer Umwelt, das dumpfe Dröhnen der Triebwerke, die gedämpften Gespräche der Soldaten; das alles drang wie durch dicke Vorhänge nur an ihren erschöpften Geist. Erst als das Schiff an Geschwindigkeit verlor und in den Landeanflug überging, kam wieder Leben in ihre zähen, sich immer wieder im Kreis drehenden Gedanken. Sie blinzelte und rieb sich die trocken gewordenen Augen und sah nun, dass sie über eine riesige Stadt flogen. Gigantische Wolkenkratzer ragten in einen bewölkten Himmel. In der Tiefe erkannte sie Straßen, und kleinere Flugschiffe huschten durch die Zwischenräume der Hochhäuser wie emsige Insekten. Nun erblickte sie das Gebäude, auf dem sie landeten. Es war von ziegelroter Farbe und einfach nur riesig. Sie erinnerte sich an das alte Shinra-Hauptgebäude in Midgar. Dieses kam ihr ähnlich vor, auch wenn es sich in Farbgebung und Baustil deutlich unterschied. Denn es drückte genauso Machtanspruch und Überlegenheit aus. Ein leichter Ruck ging durch das Schiff, als es aufsetzte. Dann sah sie durch das Bullauge mit an, wie sich die Plattform in das Gebäude hinein senkte. Der graue Himmel über ihnen schwand, als sich riesige Luken über ihnen schlossen. Statt dem durch die Wolken gefilterten Sonnenlicht fiel nun kaltes Kunstlicht in das Schiff. Als sie in einer Gruppe das Schiff verließen, erkannte sie erst die Ausmaße dieses Hangars. Weitere Schiffe, zum Teil noch größer, standen hier drinnen und wurden umschwärmt von emsigen Technikern, die auf hochfahrbaren Rampen an ihnen arbeiteten. Sie wurden bereits erwartet. Der Mann, der sich ihnen als Basch vorgestellt hatte, unterhielt sich mit mehreren Soldaten in ähnlicher Uniform, bevor er sich wieder an die ziemlich mitgenommen wirkende Gruppe wandte. Die Soldaten flankierten den blonden Mann in der kurzen Hose, der nun einen dicken Verband an seinem Bein trug. Squall stellte sich zwischen sie, doch der Mann namens Basch versicherte ihm, dass sie ihn nur in ein Lazarett bringen würden, wo er gründlich untersucht werden würde. Er akzeptierte ihre Hilfe und ließ sie gehen. „Dieser Unteroffizier wird euch allen Quartiere zuweisen. Sollte jemand medizinische Hilfe brauchen, wendet euch an ihn. Er wird in der Nähe sein.“ Dann verließ der Mann sie. Offenbar hatte er es eilig. Der erwähnte Unteroffizier führte sie aus dem Hangar. In einem Großraumlift fuhren sie in ein anderes Stockwerk. Sie vermochte nicht zu sagen, wie weit; nur dass es abwärts ging war sie sich sicher. Jedenfalls kam der Aufzug bald zum Halt. In einem langen, schmucklosen Gang fanden sie etliche Quartiere in einer Reihe. Der Unteroffizier wies sie ihnen zu. Es waren Wachen an den Enden des Korridors postiert, wie ihnen auffiel. Der Unteroffizier deutete ihre argwöhnischen Blicke richtig. „Sie dienen eurem Schutz; und solltet ihr etwas brauchen, so könnt ihr euch rund um die Uhr an sie wenden.“ Er lächelte sie noch einmal freundlich an, was durch seine massive Rüstung wenig glaubwürdig wirkte. Dann ließ er sie allein. Unter den wachen Blicken der Soldaten bezogen sie ihre Quartiere. Squall ließ den Blick durch den karg eingerichteten Raum schweifen. Ein Bett, ein Tisch, ein Schrank. Genau wie die Unterkunft zu seiner Zeit als Kadett im Balamb-Garden. Also wie Zuhause, dachte er bitter lächelnd, als er sich auf die überraschend bequeme Matratze sinken ließ. Falls wir was brauchen, rund um die Uhr, erinnerte er sich schnaubend an die Worte des Unteroffiziers. Damit wir nicht weglaufen, schon eher. Aber wo hätten sie auch hinsollen? Sie waren Gestrandete in einer Welt, die sie nicht kannten. Und die Menschen, die sie irgendwie gefunden hatten, und wahrscheinlich auch den Weg zurück kannten, waren- Er verbot sich diesen Gedanken. Dann nahm er sich vor, Xell genau zu befragen. Noch wollte er auf seinen schlechten Zustand Rücksicht nehmen, aber dann würde er alles wissen wollen. Wie sie hierhergekommen waren, was sie über diesen Gilgamesch herausgefunden hatten. Oh ja, er würde ihn finden. Ihn, wegen dem all das passiert war. Und dann… würde er ihn töten. Tifa lehnte am Türstock des Raumes und schlang die Arme um ihren Körper. Sie hatte früher schon ärmlich gehaust, aber dies war falsch, das spürte sie. Es war so… ohne Leben. Seit sie denken konnte, hatte sie andere Menschen um sich gehabt. In ihrer Kindheit Cloud… dessen Erinnerung sie nun peinigte. Vielleicht würde sie ihn nie wie- Nein. Mit aller Kraft schob sie diesen quälenden Gedanken von sich. Später dann… waren es zuerst Marlene und dann Denzel gewesen, mit denen sie auf wenig Platz, unter einfachen Verhältnissen, aber glücklich gelebt hatte. Und natürlich den oft grantelnden Barret und… Cloud. Wieder drang er in ihre Gedanken ein, und sie presste die Augenlider zusammen. Sie wollte nun alles, nur nicht allein sein… Als Squall über seine Stiefelspitzen schielte, sah er Tifa in der Tür auftauchen. Mit der linken klopfte sie zaghaft an die offenstehende Tür, dann trat sie ein. Sie ging zu dem Tisch und lehnte sich darauf. Ihr Blick ging in die Ferne, als schaute sie bei einem Fenster hinaus. Doch hier gab es keine Fenster. „Ich war schon in besseren Absteigen“, meinte Squall, um das Eis zu brechen. „Aber fürs erste… ist es okay.“ Tifa wandte sich zu ihm. Ihre Augen waren immer noch rot, und ihr Blick fragend. „Was glaubst du? Ich meine… was mit ihnen passiert ist.“ Ihre Stimme klang leise, fast flehend. Squall setzte sich auf dem Bett auf. Er legte die Hände in seinen Schoss. Bevor er noch etwas erwidern konnte, kam sie ihm zuvor. „Bitte sei ehrlich. Ich will wissen, was du denkst.“ Er atmete tief durch, bevor er zur Antwort ansetzte. „Ich soll ehrlich sein? Gut, ich bin ehrlich. Ich habe nicht die geringste Ahnung, was mit ihnen passiert ist. Und ich will mir auch nichts vorstellen. Aber ich weiß eines. Ich bin ein SEED, und SEEDs glauben erst an den Tod ihrer Kameraden, wenn sie die Leichen mit eigenen Augen sehen. Vorher… gibt ein SEED seine Kameraden nicht auf. Ein SEED… gibt niemals auf.“ Die letzten Worte klangen beinahe beschwörend und so, als wären sie eher an ihn selbst gerichtet, denn an irgendjemand anders. Dann stand er auf. Noch mehr als starke Worte würde sie jetzt etwas anderes trösten. Und so ging er auf sie zu und umarmte sie. Sie vergrub ihren Kopf in seiner Halsbeuge und ließ den Tränen freien Lauf, jenen Tränen, die sie schon versiegt geglaubt hatte… Kaiser Larsa Ferrinas Solidors stoischer Blick ruhte auf dem Bildschirm, auf denen die Datenauswertung Professor Bakajans Sonde erschien, die Richter Basch ins Innere von Nabudis mitgenommen hatte. Noch ergaben sie keinen Sinn für ihn, doch die ernste Miene des Professors ließ ihn schon etwas ahnen. Richter Basch war ebenfalls anwesend. Sonst war niemand in dem Trakt des Draklor-Laboratoriums. Professor Bakajan hatte all seine Mitarbeiter hinausgeschickt, ebenfalls ein Hinweis auf den Ernst der Situation. Was immer er ihnen eröffnete, es sollte im Moment nicht mehr Personen erfahren als unbedingt notwendig. Er tippte noch etwas auf der Tastatur, dann begann er zu erklären. „Das hier… sind die Energieausschläge, die die Sonde registriert hat.“ Einen Moment lang starrte er wortlos auf den Bildschirm, als hätte er selbst Schwierigkeiten, es zu erfassen. Dann schüttelte er den Kopf. „Noch nie habe ich solche Spitzen gemessen, sie liegen teilweise außerhalb der Skala, unglaublich…“ „Was war das?“ fragte Basch von Ronsenburg ernst. „Dieses Ding…“ „Nun, ich kann ihnen nur sagen, was es nicht war“, antwortete er bitter lachend, „und zwar ein organisches Wesen, das seinen Ursprung in unserer Welt hat. Denn das ist es mit Sicherheit nicht.“ „Aber was dann?“ Wieder musste Bakajan lachen, aber es hatte etwas Verzweifeltes an sich. „Ich kann beim besten Willen nichts Näheres über den Habitus dieser… Erscheinung sagen. Ich kann mich nur auf ihre Zeugenaussage und die Messwerte stützen, und die stellen mehr Fragen, als sie beantworten, um ehrlich zu sein…“ „Diese Menschen, die Richter Basch dort aufgelesen hat… haben sie etwas mit diesem Ding zu tun?“ fragte Larsa Solidor. Der Professor blickte ihn jäh an und hob den Zeigefinger. „Nun… nicht direkt! Aber es gibt eine Verbindung. An diesen Menschen habe ich ähnliche Strahlensignaturen gemessen wie die Sonde enthält. Sicher ist das Energieniveau bei weitem geringer, aber… wie immer dieses… ‚Ding‘ in unsere Welt gekommen ist, diese Menschen sind es auf ähnliche Weise.“ „Dann glauben sie deren Geschichte?“ fragte Larsa etwas ungläubig. „Dass sie aus… aus anderen Welten hierhergekommen sind?“ „Durchaus“, erwiderte er und nickte eifrig. „Theorien zu parallelen Universen gibt es schon länger, aber es waren eben nur Theorien, gestützt auf ebenso theoretische Physik. Wir haben versucht, bestimmte instabile Teilchen nachzuweisen, deren Vorhandensein die elfdimensionale Quantenschaumtheorie bestätigen- “ Er hielt inne, als er die verständnislosen und verwirrten Blicke seiner Zuhörer auf sich spürte. „Nun, was ich sagen will… genau das haben wir gemessen, was sich mit den Theorien deckt. Deshalb gibt es für mich keine Zweifel.“ Richter Basch versuchte dies zu verarbeiten, mit wenig Erfolg. „Kann das wieder passieren? Das so ein Ungetüm auftaucht und einen Vulkan ausbrechen lässt?“ Das eben noch vor Enthusiasmus glühende Gesicht des Professors wurde schlagartig ernst. „An Orten, an denen die Myst so stark ist, ist das durchaus denkbar. Ich will ja keine Horrorszenarien bemühen, aber- “ „Seien sie ehrlich, Professor“, ermahnte ihn Larsa Solidor. „Droht unserem Land Gefahr? Oder… auch ganz Ivalice?“ Professor Bakajan seufzte tief, bevor er antwortete. „Ein derartiges Ereignis kann ich nicht ausschließen“, sagte er langsam und nickte dabei. „So etwas könnte sich in der Tat wiederholen.“ „Was können wir dagegen tun? Irgendwie muss sich das doch verhindern lassen“, betonte Basch und ballte die Faust. „Wir sind gerade dabei, dieses Phänomen zu erforschen. Ich kann nichts versprechen, aber wenn wir die strukturelle Zusammensetzung dieser Raum-Zeit-Portale erst analysiert und ihre physikalische- “ Mit einer Handbewegung stoppte Kaiser Larsa Solidor das Fachchinesisch des Professors. „Ich verlasse mich in jedem Fall auf sie. Tun sie ihr bestes. So wie es aussieht, hängt nicht nur das Schicksal des archadianischen Reiches davon ab.“ Angesichts dieser Verantwortung schien dem Professor ein Kloß im Halse zu stecken. Mühsam schluckte er ihn runter und nickte dann eifrig. „Ich und meine Kollegen arbeiten mit Hochdruck daran, seien sie versichert, eure Hoheit.“ In Begleitung eines Soldaten suchte Squall das Lazarett auf. Es war zwar schon spät, und er erkannte an Fenstern in einem Korridor, dass bereits Sterne am Himmel leuchteten, doch er wollte sich nicht zur Ruhe legen, bevor er sich von Xells Wohlergehen überzeugt hatte. Sie erreichten einen Trakt, in dem ein antiseptischer Geruch in der Luft die Anwesenheit von Ärzten und auch Patienten ankündigte. Der Soldat führte ihn wortlos zu einem Zimmer. Als er durch die Tür trat, setzte sich Xell auf seinem Bett auf und strahlte übers ganze Gesicht. Ein aussagekräftiger Blick Squalls brachte den Soldaten dazu, draußen zu warten. Dann ging er an sein Krankenbett. „Hey, Squall! Geht es dir eh gut?“ legte er gut gelaunt los. Squall musste schmunzeln. „Das sollte ich eigentlich dich fragen…“ „Ach das“, erwiderte er und warf einen Blick auf sein einbandagiertes Bein. „Das wird schon bald wieder. Ich bin mir sicher, morgen kann ich schon wieder- “ Er versuchte aufzustehen, doch ein stechender Schmerz beendete diesen Versuch. Squall hielt ihn und half ihm ins Bett zurück. „Übertreib‘s nicht“, tadelte er ihn. „Erzähl mir lieber, was nach meinem… ‚Verschwinden‘ passiert ist.“ Mit Händen und dem einen gesunden Fuß heftig gestikulierend, beschrieb Xell die Ereignisse nach dem Vorfall im Schumidorf. Squall lauschte wortlos und aufmerksam, ohne eine Miene zu verziehen. Irgendwann schien Xell die Luft auszugehen, und er sagte wieder etwas. „Das war unvernünftig. Einfach so dieses Tor zu benützen…“ Xells Augen wurden groß und er ballte die Faust. „Wieso unvernünftig?? He, Mann, wir mussten doch was unternehmen. Wir lassen dich doch nicht im Stich!“ Squall nickte, doch sein Gesicht zeigte Ernst und auch Gram. „Und Rinoa? Ich wette, es war ihre Idee.“ Mit einem Male wurde Xell die Tragweite dieser Entscheidung bewusst. Die Mission war anders verlaufen als geplant, völlig anders. Zwar hatten sie ihn nun gefunden, aber um welchen Preis… „Ja, verdammt. Rinoa wollte sofort los, und wir haben keinen Moment gezögert, mit ihr zu gehen… das ist echt Scheiße, Mann, das sie… das es so gekommen ist.“ Niedergeschlagenheit machte sich auf dem sonst immer so fröhlichen Gesicht des SEED breit. „Aber du hättest das für uns auch getan. Wir mussten einfach…“ Squall verschränkte die Arme und richtete den Blick zu Boden. Er erinnerte sich nun wieder. Dies war einer der Gründe gewesen, warum er nie Freunde haben wollte. Es konnte ihnen etwas zustoßen, man konnte sie verlieren… und der Schmerz war dann schlimmer als die Einsamkeit. Und geschehen war dies alles… wegen ihm. Dann fiel sein Blick wieder auf den betrübten Mann auf dem Krankenbett. Er erinnerte sich an seine angestammten Aufgaben als Anführer und beschloss, ihm etwas Aufmunterndes zu sagen. „Was immer mit Irvine, Selphie und ihr passiert ist… wir werden sie finden. Diese Leute hier werden uns dabei helfen.“ „Echt?“ fragte Xell vorsichtig. Ein Hoffnungsschimmer kam in seinem Blick auf. Squall fiel es schon immer schwer, haltlose Dinge zu versprechen, doch heute hatte er einen guten Grund. Und er wollte diesen Funken der Hoffnung in Xell nicht verlöschen lassen. „Bestimmt. Du musst nur gesund werden, dann starten wir die Suche.“ „Ja, Mann! Wir finden die anderen! Wir haben dich ja auch gefunden“, lachte er, und Squall lachte mit. Auch wenn ihm nicht im Mindesten danach zu Mute war. @ Nach einer Weile war er gegangen. Er hatte ihr zugeflüstert, dass er nach seinem verletzten Freund sehen muss, und sie hatte nur genickt. Eine Weile hatte sie ihm hinterher gesehen, doch kein Gefühl des Vorwurfs war in ihr entstanden. Die engsten Freunde eines Menschen bedeuteten die einzige Heimat, die einen überall hin folgen konnte. Wenn man diese verlor, dann war man nirgends mehr zuhause… Ihre Gedanken wanderten wieder zu Cloud, zu Barret und Yuffie, zu Vincent, zu Marlene und Denzel. Was hätte sie gegeben für ein Lebenszeichen, für irgendetwas, das diese lähmende Ungewissheit würde lindern können. Wie ein eingesperrtes Tier lief sie in dem kleinen Raum auf und ab. Dann legte sie sich aufs Bett und starrte an die Decke. Es war schon spät, und die Müdigkeit hing ihr bleiern in den Gliedern, doch schlafen konnte sie nicht. Wie ein Kreisel drehten sich die Gedanken aus Angst und vorsichtiger Hoffnung, aus der Furcht vor dem Schlimmsten und der Zuversicht, die ihren kämpferischen Charakter ausmachte, in ihrem Kopf, Irgendwann hielt sie es nicht mehr aus und verließ den kleinen Raum. Die Soldaten warfen ihr aufmerksame und doch auch leere Blicke zu. Für sie war sie nicht mehr als ein Objekt, dass es zu bewachen galt. Ohne zu wissen, wo sie eigentlich hin wollte, verschränkte sie die Arme und blickte verhärmt zu Boden. Ihre Schritte hallten tonlos durch den Korridor, als sie einfach drauflos ging. Sie sah nicht auf- bis sie ihn hörte. „Tifa.“ Sie hob den Blick. „Rude…“ Der Turk hatte sich behelfsmäßig die graue Asche von seinem schwarzen Anzug geputzt. Immer noch sah er aber aus wie Obdachloser, der einen wohl einst schmucken Anzug gefunden und hineingeschlüpft war. Er trug auch seine Sonnenbrille- doch in diesem Moment nahm er sie ab und steckte sie in eine Innentasche seines Jacketts. „Die werden uns doch nicht verhungern lassen. Ich wollte gerade sehen- “ Er stoppte mitten im Satz und blickte einen Moment zu Boden. In diesem Augenblick schien ein bestimmter Ausdruck durch seine Augen zu geistern. Tifa konnte ihn nicht recht zu ordnen, doch es kam ihr vor, bröckele die harsche Fassade des langjährigen Turk, und zwar nicht allmählich, sondern so, als fielen große Brocken plötzlich aus einem Mauerwerk. Und im nächsten Moment fing er sich wieder. „Gibt es hier sowas wie eine… Kantine?“ fragte Tifa, weil ihr nichts anderes einfiel. Und weil sie ein paar Bissen Essen vielleicht ablenken würden. Die beiden wandten sich an die Soldaten. Einer von ihnen begleitete sie mit sachlicher, unbeteiligter Miene in die darunter liegende Etage. Mit unbewegtem Gesicht wartete er vor der Türe, während sie sich bedienten. Eine nicht sonderlich gut gelaunte Küchenkraft servierte ihnen ein einfaches, undefinierbares Gericht, dass offenbar rund um die Uhr zu Verfügung stand und an das man deshalb wohl keine hohen Ansprüche stellen durfte. Und so saßen sie an einem der vielen, allesamt leeren Tische in dem ansonsten verwaisten Speisesaal. Rude schaufelte das Essen begierig hinein, als wäre er kurz vor dem Verhungern. Tifa saß ihm gegenüber und stocherte darin herum. Zaghaft kostete sie davon. „Warum haben sie euch auch durch geschickt?“ Mit kurzer Verzögerung hörte Rude auf zu löffeln- und blickte sie erstaunt an. Dann löffelte er weiter und beantwortete während des Kauens ihre Frage. „Rufus hat es angeordnet. Wir sollten… irgendwas messen. Hiermit.“ Während des Essens zog er ein Gerät aus dem Jackett und warf es auf den Tisch. Tifa nahm es in die Hand und betrachtete die Rückseite. Es klang hohl, als sie dagegen klopfte. Nach kurzem Suchen fand sie einen Deckel. Als sie ihn öffnete- fand sie ein leeres Batteriefach. „Hiermit?“ Sie hielt es ihm vor die Nase. Für einen Moment stoppte er mit Kauen und erstarrte. Dann nahm er es vorsichtig entgegen. „Das… Hm. Ich kenn mich nicht aus mit Elektronik. Nur mit Sprengstoff.“ Stirnrunzelnd steckte er es pflichtbewusst wieder ein. „Anordnung ist Anordnung“, sagte er schließlich und sprach weiter. „Ja, ja… Anordnungen“, schnaubte Tifa und schob wieder einen Löffel voller Grütze in den Mund. Missmutig schluckte sie das Zeug hinunter. „Diese Anordnungen haben dich schon deinen Kollegen gekostet. Wie lange willst du noch so weiter machen?“ „Ich arbeite für Shinra. Und jetzt für die W.R.O.“, war seine lapidare Antwort. Sein Teller war fast leer, Tifas hingegen noch voll. Schön langsam spürte sie eine Wut in sich aufsteigen, die von Erschöpfung und Verzweiflung genährt wurde und nun einen ziemlich säuerlichen Cocktail abgab. „Shinra, W.R.O…. das ist doch immer dasselbe! Siehst du nicht, wo das hinführt?“ Ihre Stimme wurde lauter als beabsichtigt, und Rude blickte von seinem Teller auf. Sein argloser Blick stachelte sie noch mehr an. „Diese Leute, denen Macht mehr bedeutet als… als Menschenleben… jetzt hast du Reno verloren, den einzigen Menschen, der einen Pfifferling um dich gibt! Und damals… haben sie dir Chelsea genommen! Hast du denn gar keine Selbstachtung?“ zischte sie ihn an. Rude Gesicht erstarrte, mehr noch als sonst. Ein Anflug von Verbitterung huschte über seine strengen Züge und um seine Augen herum. „Lass Chelsea aus dem Spiel“, sagte er leise aber eindringlich. Die Schärfe wich langsam aus seinem Gesicht, und Tifa blickte verschämt auf die Tischplatte. „Tut mir leid“, flüsterte sie. „Ich bin nur irgendwie…“ Sie schüttelte ratlos den Kopf. „Mich macht das alles fertig.“ „Reno wird wieder auftauchen“, sagte Rude und putzte sein Teller aus. Tifa blickte ihn überrascht an. „Wo immer er jetzt ist… er wird die Leute dort solange nerven, bis sie ihn zurückschicken. Kein Zweifel.“ Zum ersten Mal seit ihrem unerwarteten Wiedersehen lächelte er. Und es steckte sie automatisch an. „Deine Zuversicht möchte ich haben“, sagte sie leise. Sie blickten sich noch eine Weile an, dann erhoben sie sich. Sie beschlossen einen Verdauungsspaziergang zu machen. Der Soldat folgte ihnen auf Schritt und Tritt. Seufzend drehte sich Tifa flüchtig um. „Wir haben einen richtigen Bodyguard“, schmunzelte Tifa. „Denn brauchst du gar nicht. Warst schon immer eine tolle Frau. Eine, die richtig zuschlagen kann“, meinte er und richtete sich eine verstaubte Krawatte. Tifa lächelte. So unbeholfen seine Komplimente auch waren, sie fand sie… süß. „Findest du?“ „Ja.“ Ein Kompliment… hatte sie sowas je von Cloud gehört? Sie konnte sich dessen nicht entsinnen. Und nun spürte sie erst, wie gut das tat, wie sehr es ihr gefehlt hatte… Mit einem Male spürte sie auch, wie die Last der vergangenen Ereignisse von ihr langsam abfiel und ihre Schritte leicht wurden. „Sag einmal… hat es nach Chelsea eigentlich wieder eine Frau gegeben? In deinem Leben, meine ich.“ Rude antwortete nicht gleich. Die Bitterkeit der Erinnerung an diese Frau machte seine Zunge schwer. „Ich habe viel zu tun und für sowas keine Zeit. Außerdem bin ich nicht gut darin. Reno ist da besser, der quatscht ständig Frauen an.“ „Und? Ist er erfolgreich?“ „Nein. Sie halten ihn meistens für einen Idioten.“ „So, so…“, erwiderte sie mit hochgezogenen Augenbrauen. „Wie die nur auf diese Idee kommen…“ Schließlich erreichten sie wieder ihre Quartiere. Unauffällig wie ein längst gewöhntes Möbelstück stand der Soldat hinter ihnen. Tifa seufzte. „Tja… da wären wir. Danke, Rude.“ „Für was?“ fragt er verblüfft. „Dafür… das du da warst“, erwiderte sie und gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange. Rudes Augen wurden so groß, dass nicht einmal mehr seine Sonnenbrille sie hätte verdecken können. Sie lächelte ihn noch kurz an, bevor sie in ihrem Quartier verschwand und ihn auf dem Gang zurückließ. @ Noch eine Weile saß er bei seinem Freund am Krankenbett, bis ihm einer der Ärzte zu verstehen gab, dass Xell nun Ruhe brauchte. Er nickte dem Arzt zu und verabschiedete sich von ihm. Sein Freund war nun wieder so zuversichtlich und hoffnungsvoll, wie er es von ihm kannte. In seinen Augen fand sich kein Zweifel daran, dass Rinoa und die anderen wohlauf waren. Fast war Squall froh, sein Krankenzimmer zu verlassen. Gern hätte er seine Fröhlichkeit und Zuversicht geteilt, doch es gelang ihm nicht. Zu sehr drückte ihn das Wissen, dass seine engsten Freunde diese gefahrvolle Reise wegen ihm unternommen hatten. Schon mehrmals waren SEEDs unter seinem Kommando umgekommen, und immer hatte er mit Fassung die Verantwortung getragen, doch hier… war es etwas anderes. Es waren eben nicht nur SEEDs, sondern seine Freunde. Und… Rinoa. Hinter sich hörte er den gleichmäßigen Schritt seines ‚Aufpassers‘, als er zu seinem zugewiesenen Quartier zurückging. Ärger kochte ihn ihm auf, wegen… wegen allem eben. Wegen Rinoa, die wieder mal ihren Dickkopf durchgesetzt hatte, wegen seiner Freunde, die keine Anstalten gemacht hatten, sie davon abzuhalten. Und wegen dieses verfluchten Tages im Schumidorf, an dem dies alles begonnen hatte. Er stand vor der Tür seines Quartieres. Der Soldat nahm pflichtbewusst seine Position am Ende des Korridors ein, gleich neben seinem Kameraden. Was für ein Witz, dachte Squall, im Garden befehlige ich eine Hundertschaft von SEEDs und SEED-Anwärtern, und hier werde ich bewacht wie ein Sträfling… Seufzend lehnte er sich gegen die Tür. Sein übermüdeter Blick ging zum Boden. Er war erschöpft, doch in seinem Inneren war keine Ruhe. Derartige Verwirrung war ihm normalerweise fremd. Immer hatte es klare Richtlinien und Regeln in seinem Leben gegeben… doch seit jenem unseligen Tag lief alles aus dem Ruder. Und heute war es noch schlimmer geworden. Irgendein Impuls brachte ihn dazu, an die Tür zu klopfen. Tifas Tür. Die Tür öffnete sich. Braune Augen, hinter Strähnen schwarzen Haars, blickten ihn an. „Ja?“ Er wandte den Blick ab von ihr. Was willst du überhaupt hier?, fragte eine Stimme in ihm. Er beschloss, sie zu ignorieren. „Kann ich reinkommen? Oder wolltest du schon schlafen?“ „Nein… ich meine, ich kann eh nicht schlafen. Komm doch rein“, erwiderte sie und hielt die Tür auf. Squall betrat den Raum, der von der Einrichtung her identisch mit seinem war. „Wie geht es deinem Freund?“ „Xell? Ganz gut. Er liegt auf der Krankenstation. Morgen ist er vielleicht schon wieder auf den Beinen.“ „Das freut mich. Sie haben uns also gesucht.“ „Hm?“ „Die Menschen, denen wir etwas bedeuten. Sie waren alle dort“, sagte sie traurig. Squall nickte langsam. „Ja… ich hoffe, sie sind in Ordnung.“ Bedrückende Stille legte sich über den Raum. Bangende Gefühle zwischen Hoffnung und Furcht schoben sich in ihre Gedanken. Bis Squall die Stille durchbrach. „Du hast dieses Wesen angegriffen. Wie hast du das gemacht?“ Tifa schüttelte verwirrt den Kopf. „Was meinst du?“ „Na, dieses blaue Etwas… es kam aus dem Boden und war so wie du… nur größer. Weißt du nicht mehr?“ Sie ging in Gedanken an jenen Ort zurück, an dem die Konfrontation mit der Erscheinung stattgefunden hatte. Und an das, was mit ihr geschehen war, als sie Cloud in höchster Gefahr wähnte. „Ich kann es nicht genau beschreiben… aber ich fühlte mich plötzlich so stark. Dieses Wesen aus den Lhusu-Minen, Shiva… sie war plötzlich in mir. So, als würde sie mir ihre Kraft leihen… als würde sie durch mich wirken.“ Squall lauschte ihr konzentriert. Welche Veränderung auch immer mit ihr passiert war, damals in den Lhusu-Minen, es hatte dieses Ereignis bewirkt. Das Wesen verschmolz damals mit ihr und war nun wieder hervorgekommen. Nachdenklich betrachtete er seine Hände und fragte sich, ob Griever auch in ihm war. Und irgendwann hervorkommen würde… „Diese Wesen, die auch in eurer Welt existieren… für uns SEEDs sind sie auch eine Quelle der Macht und der Kampfstärke. Wir koppeln sie, und sie verleihen uns neue Fähigkeiten. Sie können auch für uns kämpfen, aber sie sind eben ein Teil der Ausrüstung. Und kein Teil von uns. Und jetzt ist dieses Wesen IN dir. Und auch mir… ist sowas passiert.“ Ratlos schüttelte er den Kopf. Tifa erwiderte verwirrt seinen Blick, und Furcht spiegelte sich in ihren Augen. „Was geschieht mit uns? Was hat das alles zu bedeuten?“ Tifa wusste keine Antwort. Sie wusste nicht, wo sie da rein geraten war. Sie wusste auch nicht, wo das alles hinführen würde. Innerhalb weniger Tage war ihr gesamtes Leben zusammengefallen wie ein Kartenhaus, das ein Windstoß erfasst hatte. Sie war weit weg von ihrer Heimat. Aber ihre eigentliche Heimat, ihre engsten Freunde, die Menschen, die ihr mehr bedeuteten als alles andere… deren Schicksal war ungewiss. Eine schneidende Angst ergriff sie, alles verloren zu haben und nirgends mehr Halt finden zu können. Mit einem Male fühlte sie sich einsam. Noch einsamer als damals, als Cloud in den Lebensstrom gefallen war und den Verstand verloren hatte. Die damalige Angst, ihn nie mehr so zu erleben, wie sie ihn gekannt hatte, war nicht so schlimm wie das, was sie jetzt spürte. Aus einem Impuls heraus ging sie auf Squall zu und umarmte ihn. Es erfolgte keine abwehrende Reaktion, wie sie erwartet hatte. Stattdessen erwiderte er diese schutzsuchende Geste und legte seine Arme um sie. Sie drückte ihr Gesicht in seine Schulter, als fände sie dort Schutz vor all den furchtbaren Dingen, die ihr Leben in den letzten Tagen zerstört hatten. Seine Nähe bot ihr all die Geborgenheit, die sie so sehr vermisst hatte, und wie automatisch fanden ihre Lippen zueinander. Von diesem Moment an verlor sie die Kontrolle- und wollte sie auch nicht mehr zurück erringen. All der Druck und die Angst entwichen wie durch ein Ventil. Sie war dankbar dafür und verfolgte wie aus einer Außenperspektive, wie ihr der Mann mit den braunen Haaren, die ihm wirr ins Gesicht hingen, die Kleidung abstreifte. Sie beobachtete die Szene und es kam ihr vor, als wäre es eine fremde Frau, die ihm sein Hemd über den Kopf zog und mit den Handflächen über seine Brust strich. Wie ein verschwommener Traum war es, als sie auf das schmale Bett in dem kahlen Raum sanken. In diesen Sekunden, die sich wie Ewigkeiten dehnten, verlor sie sich ganz in seiner leidenschaftlichen Umarmung. Sie wollte nur noch der Welt, in die sie ein bitteres Schicksal hineingeworfen hatte, entfliehen und etwas spüren, das nichts mit Leid oder Ungewissheit zu tunt hatte. Sie wollte IHN spüren, seine Nähe und seine Fürsorge. Immer tiefer versank sie in seinen Küssen und wollte es in diesem Moment mehr als jemals zuvor. Sein warmer, geschmeidiger Körper über ihr war wie ein Schutzschild, der sie vor den Unbilden einer kalten Welt schützte und den sie nur mehr festhalten wollte. Und die Wärme der Geborgenheit wurde zur Hitze der Leidenschaft und entflammte schließlich ihr Herz. Sie vereinigte sich mit diesem Mann, den sie erst wenige Tage kannte, der ihr aber schon soviel bedeutete. Der ihr Schutz und Zuflucht in einer fremden und abweisenden Welt bot. Ihre Finger krallten sich in seinen Nacken und seinen Rücken, während ihr Körper im Feuer der Lust erbebte… Sie wusste nicht, wie lange sie schon geschlafen hatte, als sie an seiner Seite erwachte. Ihre Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt, und so sah sie alles genau. Das Gesicht des Mannes neben ihr, dessen zu einem Mittelscheitel geformte Haare neckisch über sein Gesicht fielen. Sein Profil, das mit geschlossenen Augen auf dem Kissen neben ihr lag. Seine Brust, die sich im langsamen und gleichmäßigen Rhythmus seines Atems hob und senkte. Ihre Finger strichen über seinen Oberkörper und sie spürte seinen Herzschlag. Dicht aneinandergeschmiegt lagen sie in dem schmalen Bett und genossen die Wärme, die sie sich gegenseitig spendeten. Und so bildeten sie eine Oase der Geborgenheit für einander in einer Welt, die kaum Hoffnung versprach. Aber an die Zukunft wollte sie jetzt nicht denken. Nur den Moment genießen, der schon bald zur Vergangenheit werden würde. Doch gleichzeitig spürte sie, dass mit dieser Vergangenheit auch die Zukunft nicht mehr ihren vorgezeichneten Weg würde nehmen können. Seit langem hatte sie wieder das Gefühl, von einem Mann verstanden worden zu sein. Wie anders war dies alles, als was sie schon erlebt hatte. Seit ihrer frühen Kindheit war Cloud Strife ein Ziel ihrer Sehnsucht gewesen, doch nie hatte er ihre zurückhaltende Bewunderung erwidert. Viel zu sehr war er immer mit seinen eigenen Problemen beschäftigt gewesen, um sich auf einen anderen Menschen voll und ganz einzulassen. Sie hatte das bereits akzeptiert und sich mit einem schwesterhaften Dasein an seiner Seite abgefunden. Auch Rudes zögerliche Annäherungsversuche damals, während ihres Krieges gegen Shinra und jetzt boten kein Fundament für… für was eigentlich? Was wollte sie? So oft hatte sie diese Frage an sich selbst gerichtet und doch nie eine klare Antwort formulieren können. Sie wollte jemanden, der ihr das Gefühl von Heimat, von Zugehörigkeit vermittelte, jemanden, der sich ihr ganz öffnete und in dessen Armen sie schwach sein konnte. Jemanden, bei dem sie die Rolle von Tifa, der Kämpferin vergessen konnte. Und jetzt hatte sie das starke Gefühl, dass dieser Jemand in genau diesem Moment an ihrer Seite lag. Sie wollte an kein Morgen mehr denken sondern nur noch diesen friedlichen Moment voller Zärtlichkeit festhalten. Und so schloss sie wieder die Augen mit dem Wunsch, diese Nacht möge niemals enden… Nachdenklich betrachtete er seine Uniformjacke. Sie war ziemlich mitgenommen. Einiges hatte sie mitgemacht während der letzten Tage. Flecken und Risse im Stoff kündeten davon. Vom Glanz der Epauletten war nicht mehr viel übrig. Einen Moment lang musste er schmunzeln, als er sich daran erinnerte, wie er SEED-Anwärter wegen nicht ausreichend gepflegter Uniform zusammengestaucht hatte. Doch das war lange her, schien es ihm. Denn nun roch, nein, duftete die Jacke nach der Frau, der er sie erst vor kurzem gegeben hatte. Er drehte sich um. Immer noch schlief sie in dem schmalen Bett. Gegen seine Gewohnheit war er heute länger liegengeblieben und hatte ihre Nähe genossen. Doch ganz konnte er sein Pflichtgefühl auch nicht unterdrücken, und so war er nun auf. Eine angenehme Gedankenleere herrschte in seinem Kopf, während er sich ankleidete. Stattdessen spürte er ein Gefühl der Zufriedenheit wie schon lange nicht mehr. Das Vakuum, das Rinoa in ihm hinterlassen hatte… es war nun wieder gefüllt. Und das von einer Frau, die er erst seit wenigen Tagen kannte und die ein denkbar unwahrscheinlicher Zufall zu ihm geführt hatte. Als er fertig angekleidet war, setzte er sich zu ihr ans Bett. Mit den Fingern strich er ihr sanft übers Gesicht. Behutsam ordnete er ihre langen, schwarzen Haare. Und er lächelte, was er schon lange nicht mehr getan hatte. Allmählich erwachte sie. Benommen blinzelte sie ihn an, dann setzte sie sich auf. Schlaftrunken lächelte sie zurück, und ihr Gesicht drückte tiefstes Wohlbehagen aus. Wortlos saßen sie beieinander und hauchten sich Küsse zu- als es an der Tür klopfte. Beide erstarrten. Dann erhob Squall seine Stimme. „Was gibt’s“, fragte er ohne den Blick von Tifa zu wenden. „Ich bringe Order von unserem Herrscher“, klang die Stimme des Soldaten von gestern dumpf durch die Tür. „Sie werden zu einer Versammlung gebeten, die in Kürze stattfindet. Wenn sie sich bitte darauf vorbereiten…?“ Squall seufzte tief. „Hier hat man einfach keine Ruhe.“ „Ja, schon… aber letzte Nacht war doch schön“, hauchte sie ihm ins Ohr und umarmte ihn. Dann erhoben sich beide, und Tifa kleidete sich an. Kurze Zeit später verließen sie den Raum und folgten den bereits wartenden Soldaten. Sie eskortierten sie in die höher gelegenen Labors in einen Versammlungsraum, in dessen Mitte eine große holografische Karte ihnen unbekannter Kontinente schwebte. Rude war ebenfalls schon da, wie auch Xell, der zwar noch einen Verband am Bein trug, aber ansonsten schon wieder hergestellt schien. Squall begrüßte ihn freudig, und Xell versicherte ihm „sich von einem Kratzer nicht aufhalten zu lassen“. Ebenso im Raum war der Mann, der sich anderntags als Richter Basch von Ronsenburg vorgestellt hatte, sowie ein noch ziemlich junger Mann mit mittellangen, dunklen Haaren, der von mehreren schwer bewaffneten Wachen flankiert wurde. Als letzter betrat ein Mann den Raum, der über der Soldatenuniform einen weißen Laborkittel trug. Auch seine Gesichtszüge sprachen eher für einen Mann der Wissenschaft denn einen Kämpfer. Nachdem alle anwesend waren, erhob der junge Mann inmitten seiner Wächter die Stimme. „Zuerst möchte ich um Vergebung bitten, dass ich mich nicht bereits gestern ihnen allen vorgestellt habe. Mein Name ist Larsa Ferrinas Solidor, Herrscher von Archadis. Aber als ihr Gastgeber wollte ich ihnen ausreichend Zeit zur Erholung zugestehen.“ Das kleine Grüppchen aus Squall und den anderen warf sich gegenseitig skeptische Blicke zu. „Der ist ja fast noch ein Kind“, flüsterte Xell zu Squall. „Ich hoffe, es geht ihnen soweit gut. Mein treuer Untergebener Richter Basch hat mir bereits einiges über sie und ihre… Geschichte erzählt“, fuhr er fort. „Und über das, was in Nabudis passiert ist.“ Er hielt Inne, als würde ein dunkler Schatten seine Gedanken streifen. „Wie dem auch sei… Professor Bakajan hat einiges herausgefunden, was auch für sie interessant sein wird.“ „Wissen sie, wo unsere Freunde sind?“ platzte es aus Xell heraus. Squall warf ihm ob seiner Impulsivität einen tadelnden Blick zu. „Eure, äh… Hoheit“, fügte er kleinlaut hinzu. Larsa Solidor wandte sich ihm zu. „Das weiß ich bedauerlicherweise nicht, werter Herr Dincht. Aber zum Verbleib der anderen Personen, die in Nabudis waren, hat Professor Bakajan etwas zu sagen.“ Xell rieb sich verlegen den Nacken, und Larsa Solidor übergab mit einer Handbewegung das Wort an den Professor. „Nun gut, also… meine Kollegen und ich haben die letzte Nacht unter Hochdruck die Daten ausgewertet, die Richter Basch gesammelt hat…“ Auf einer Apparatur vor dem Hologramm tippte er herum, und es veränderte sich. Nun zeigte es keine Anordnung von Kontinenten mehr. Stattdessen tauchte ein Durcheinander von Diagrammen auf und in der Mitte ein Grundriss eines Gebäudes. „Dabei haben wir ein korrelierendes Verhältnis zwischen der Instabilität der interdimensionalen Schranken- “ Larsa Solidor trat an den Professor heran und flüsterte ihm etwas zu. Dieser räusperte sich, bevor er weitersprach. „Was ich sagen will… etwas ist aus einer anderen Welt in diese herübergekommen, zumindest für einen kurzen Moment. Und zwar auf ähnliche Weise, wie es auch ihnen gelungen ist.“ Wieder glühte Enthusiasmus im Gesicht des Professors auf. „So gerne ich auch von ihnen persönlich etwas mehr über diese Welten erfahren würde, so fehlt uns doch die Zeit dafür.“ Bei diesen Worten schwand die Begeisterung wieder, und er sprach ernst weiter. „Sie alle haben gesehen, was in Nabudis passiert ist. Auf uns noch unbekannte Weise hat ein mächtiges Wesen, an dessen Herkunft wir noch forschen, einen Riss im Kontinentalpanzer verursacht. Es gibt einen Zusammenhang mit der Mystkonzentration an diesem Ort, was uns auf etwas aufmerksam gemacht hat, und zwar- “ „Schön und gut, aber was ist jetzt mit unseren Freunden?“ fragte Xell ungeduldig. Aus dem Konzept gebracht, blinzelte ihn der Professor an. „Äh, ja… da wollte ich gerade dazu kommen. Nun, meine Kollegen arbeiten bereits fieberhaft an einer Möglichkeit, derartige Tore anhand unserer Messdaten zu rekonstruieren, jedoch… was wollte ich jetzt sagen…“ Zerstreut blickte er auf das vor ihm schwebende Hologramm. „Genau, ja, das war es. Unseren Prognosen nach wird sich schon in Bälde ein weiteres Tor öffnen, wiederrum an einem Ort mit hoher Mystkonzentration.“ Er deutete auf das Hologramm, das ein in ein enges Tal versenktes Gebäude zeigte. „Die Zusammenhänge sind uns noch nicht klar, aber es klingt plausibel, dass, was immer durch dieses Tor verschwunden ist, durch ein ähnliches wieder durch kommen wird.“ Als Abschluss seines Vortrages lächelte er gekünstelt, erntete aber hauptsächlich ratlose Gesichter. „Um auf den Kern der Sache zu kommen: es besteht die Gefahr, dass sich ein derartiges Ereignis hier wiederholt“, sprach nun Richter Basch weiter. „Das hier ist das Grab des Kaiser Raithwall. Nach Nabudis ist dies der Ort mit der höchsten Mystkonzentration in ganz Ivalice. Wenn die Messungen von Professor Bakajans Team korrekt sind, dann wird dieses Wesen, was immer es war, versuchen, dort in unsere Welt über zu treten.“ „Aus irgendeinem Grund ist es ihm in Nabudis nicht gelungen“, fuhr Bakajan fort. „Etwas scheint es behindert zu haben. Doch diesmal…“ Düstere Ahnungen zeichneten sich auf seinem Gesicht ab. „Richter Basch wird unmittelbar aufbrechen“, sagte nun Larsa Solidor. „Euch kann ich nichts befehlen, aber… würdet ihr ihn begleiten?“ fragte er nun die vierköpfige Gruppe. „Klar! Wenn wir die anderen dort finden“, rief Xell vorschnell aus. „Das kann ich euch nicht versprechen, wenn gleich ich es euch wünsche“, erwiderte Larsa Solidor seufzend. Die Vier sahen sich an. „Wenn die Chance besteht, bin ich dabei“, sagte Rude als erster. „Ich bin für einen Versuch“, stimmte ihm Squall zu. Tifa sah ihn einen Moment an, dann nickte sie. „Ich bin auch dabei.“ Kaiser Larsa nickte zufrieden. „Seid ihr euch sicher, eure Hoheit? Ich halte das für keine so gute Idee.“ Die ‚Strahl‘ wurde wieder startklar gemacht. Letzte Nacht wurde sie nicht nur repariert, sondern auch von den unermüdlichen Technikern ein sogenannter ‚Himmelstein‘ aus dem Fundus des Draklor-Laboratoriums eingebaut, der ein Überfliegen von mystverseuchtem Gebiet würde möglich machen. Kaiser Larsa beruhigte Richter Basch mit einer Geste. „Ich stimme Bakajan zu. Es muss eine Verbindung zwischen diesen Menschen und dem Phänomen geben. Sie werden mit euch gehen.“ Richter Basch atmete geräuschvoll aus, während die beiden aus der Entfernung beobachteten, wie bei der ‚Strahl‘ die letzten Startvorbereitungen getroffen wurden. „Bei allem Respekt, eure Hoheit, aber wir wissen nichts über diese Leute, außer dem, was sie uns erzählt haben. Ich bin für seinen anderen Vorschlag. Es gibt immer noch hochkonzentrierten Nethizit in den Labors. Mit der ‚Strahl‘ könnten wir ihn über dem Grab abwerfen- “ „ –und ein zweites Nabradia erschaffen?“ unterbrach er ihn. „Nein, mein verehrter Basch, das kann ich nicht befürworten. Die Experimente mit künstlichem Maginit haben schon genügend Unheil über diese Welt gebracht. Außerdem ist nicht gesagt, dass wir damit nicht das genaue Gegenteil bewirken.“ „Ja… ihr habt wohl recht, eure Hoheit“, gab er zu. „Ich vertraue euch und euren Fähigkeiten“, fuhr Larsa Solidor fort, „und habe keinen Zweifel, dass ihr diese Aufgabe erfüllen könnt. Vielleicht sind diese Leute wirklich der Schlüssel dazu.“ Sie beobachteten, wie die vierköpfige Gruppe in Begleitung einiger Soldaten das Schiff betrat. „Und sollte der Plan wirklich fehlschlagen… dann können wir immer noch auf den Nethizit zurückgreifen. Aber wirklich erst dann, wenn keine andere Alternative mehr bleibt.“ Richter Basch sah nun, dass alles bereit war. Nur noch er fehlte an Bord. „Eure Hoheit.“ Larsa Solidor nickte dem salutierenden Richter zu, dann wandte sich dieser ab und ging zu dem Schiff. Brummend öffneten sich die Dachhälften des Hangars, und grelles Sonnenlicht fiel herein. Momente später erhob sich die ‚Strahl‘ vom Boden des Hangars und schwebte dröhnend empor. Über den Dächern von Archadis zündete sie schließlich ihre Triebwerke und schoss davon in Richtung des Horizonts. Larsa Solidors nachdenklicher Blick richtete sich auf den Himmel über Archadis, bis sich die Hangardachhälften wieder geschlossen hatten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)