Eternal Fantasy von Rahir ================================================================================ Kapitel 12: RiSeReBa~7~1 ------------------------ Sie konnte nicht einmal mehr ihre Hände sehen, die sie suchend und tastend ausstreckte. Langsam stolperte sie durch den milchigen Nebel, der sie wie eine durchlässige Wand zurückhielt und jeden ihrer Schritte verlangsamte. Der Boden unter ihren Schuhen fühlte sich abwechselnd weich wie Sand und dann wieder hart und schroff wie geborstener Fels an. Sie wagte es kaum zu atmen, als befürchte sie, jeden Moment könnte sich der Nebel zu einer alles erstickenden Flüssigkeit verdicken. Weit waren ihre Augen offen, in der Hoffnung, es möge sich bald etwas aus der undurchdringlichen Nebelsuppe heraus schälen. So statisch ihre Umgebung war, so aufgebracht waren ihre Gedanken. Was ist das hier? Wo sind die anderen? Hat dieses… Ding uns hierher gebracht? Sie versuchte zu rufen, aber der seltsame Nebel schien nicht nur jeden Lichtschein, sondern auch jeglichen Ton zu verschlucken. Und so tapste und stolperte sie weiter durch das ewiggleiche Weiß… bis ihre Hände auf Widerstand trafen. Sofort klammerte sie sich an das Mauerstück, das aus dem Boden ragte, als wäre es der letzte Fixpunkt in einer aus den Angeln geratenen Welt. Schwer atmend lehnte sie sich mit der Stirn dagegen. Dann spürte sie einen Lufthauch. Erschrocken fuhr ihr Blick nach allen Richtungen. Der Lufthauch wurde stärker, und schließlich blies er den Nebel weg. Nun erkannte sie ihre Umgebung. Einen Moment lang waren ihre Augen geblendet vom Sonnenschein, der diesen Ort durchflutete. Erstaunt blickte sie an den Ruinen empor, die ringsum sie in den blauen Himmel wuchsen. Dann begann sie zu rufen. „Selphie!! Irvine!! Xell!! Squall, hört ihr mich!!?“ Doch niemand antwortete. Sie trat aus dem Schatten des Mauerwerks heraus und sah nun, dass sie in einer Stadt war. Einer Stadt aus Ruinen. „Hallo!? Ist hier irgendjemand??“ Immer wieder formte sie mit Händen einen Trichter vor ihrem Mund und rief. Die Häuser ringsum um sie machten einen modernen Eindruck, doch allesamt waren sie verfallen und unbewohnt. Auf den Straßen türmte sich überall Schutt und Staub bedeckte zentimeterdick die Asphaltdecke der Straßen. Hin und wieder standen Autowracks verloren in den ansonsten leeren Straßen und Gassen. Sie kannte keine Stadt, die in einem solchen Zustand war. Am Himmel zog ein Schwarm Vögel vorbei, das einzige Zeichen von Leben in dieser verlassenen Stadt. Etwas knirschte unter ihrem Schuh. Sie bückte sich danach. Es war ein Verkehrsschild, das unter seiner dicken Staubschicht kaum noch erkennbar war. Irgendetwas hatte es zu Boden gedrückt. Mit der Hand wischte Rinoa die Staubschicht weg und versuchte die Buchstaben, die dabei zum Vorschein kamen, aneinander zu reihen. „Highway… Sector… A-064…“ Langsam entzifferte sie die verwitterte Beschriftung. „… Midgar.“ Rinoa runzelte die Stirn. Diesen Namen hatte sie noch nie gehört. Plötzlich hörte sie eilige Schritte auf sich zu kommen. Schnell fuhr sie in die Höhe und drehte sich um. Dann lief sie der Person mit offenen Armen entgegen. „Rinoa, da biiiist du ja“, rief Selphie und umarmte sie. Rinoa drückte sie an sich. Dann ließen sie sich wieder los. „Was ist mit den anderen?“ fragte Rinoa als nächstes „Hast du Squall gesehen?“ fragte sie fast flehend. Selphie schüttelte traurig den Kopf. „Tut mir leid, Rinoa, ich bin geraaade hier aufgetaucht. Zuerst war alles weiß und dann… war ich hier.“ Seufzend sah sie sich um. Dann wandte sie sich wieder an Selphie. „Wenigstens haben wir uns gefunden. Die anderen… müssen dann auch hier irgendwo sein“, sagte sie mit fester Stimme, um ihnen und vor allem sich selbst Mut zu machen. Gemeinsam irrten sie durch das Gewirr von Straßen und Gassen. Etwas Furchtbares musste hier passiert sein. Viele Häuser waren von herabgefallenen Trümmern beschädigt. An manchen Stellen hatten Pflanzen begonnen, die von ihren Einwohnern aufgegebene Stadt zurückzuerobern. Hin und wieder zeigte sich Grün, das um verbogene Stahlträger, an nacktem Mauerwerk und auf Schutthaufen zaghaft wuchs. Zigtausenden, wenn nicht Millionen von Menschen musste diese Stadt einmal Heimat gewesen sein. Schwer beschädigte Wolkenkratzer ragten in der Ferne wie abgebrochene Zähne in den Himmel. „Was zur Hölle, verflucht- “, schimpfte er und zielte mit seiner Makokanone in alle Richtungen, nachdem sich der mysteriöse Nebel gelichtet hatte. Verwirrt blinzelte er in die Sonne. Dann ließ er die Kanone sinken und verzog das Gesicht. „Ich will verdammt sein…“, knurrte er fassungslos, als er sich in seiner Umgebung orientierte. „Die verrottete Pizza…“ Fluchend und brummend lief er durch seine frühere Heimatstadt. Immer wieder widerholte er die Worte „das kann nicht sein, das kann unmöglich sein“ und rief dazwischen wieder nach seinen Freunden. „Spikey, du Schwachkopf!! Wo steckst du!? Vincent!! Yuffie!! Wo zum Teufel versteckt ihr euch!?!“ Ein Geräusch in einer Seitenstraße ließ ihn abrupt stoppen. Sofort ging er mit seiner Makokanone in Anschlag und näherte sich der Geräuschquelle. Ein Mann mit langen, zu einem roten Pferdeschwanz zusammengebundenen Haaren stolperte mit erhobenen Händen über niedrige Mauerreste. „Nicht schießen, ich bin’s, Reno! Euer Kumpel!“ Barret senkte die Kanone keinen Millimeter. „Und warum nicht?“ knurrte er. „Komm schon, ich bin nicht euer Feind!“ rief Reno und machte ein unglückliches Gesicht. Barret senkte seine Armwaffe und verdrehte die Augen. „Aber du arbeitest für ihn. Was zum Teufel machst du hier?“ „Ich? Aber… ich war doch auch dort, in dem komischen Land, weißt du nicht mehr?“ Barrets Gesicht verwandelte sich in ein einziges Fragezeichen. „Ja, Mann! Rufus hat uns hinterhergeschickt, und dann waren wir in so’ner Stadt, Plafondheim oder wie die hieß, und dann waren wir auf einem Schiff mit so miesen Typen und dann waren wir in ‚ner Wüstenstadt und später in den Bergen und dann- “ „Sie haben euch uns hinterhergeschickt? Wieso?“ unterbrach Barret genervt seinen unkontrollierten Redefluss. „Äh… was weiß ich? Ein Turk fragt nicht nach den Gründen“, erwiderte er schulterzuckend. „Na, jedenfalls waren wir dann in diesen grässlichen Ruinen und dann, dann fiel diese Tür zu und dieses Riesenmonster war da, und dann lief Cloud nach vor und- “ Der dunkelhäutige Riese lief auf den Turk zu und packte ihn an den Schultern. „Du warst dort? Wo sind die anderen? Los, spuck’s aus, sonst…!“ Barret drohte mit seiner mechanischen Faust, und Reno duckte sich unter dem angedeuteten Schlag. „Ich hab echt keine Ahnung, Mann…“, stammelte er hilflos. Barrets wütende Miene weichte sich etwas auf. Er ließ von ihm ab und sah sich um. „Was immer passiert ist… es muss schlimm gewesen sein, wenn es geschafft hat, dich von Rude zu trennen…“, murmelte Barret, während er die Umgebung mit zusammengekniffenen Augen absuchte. Reno starrte ins Leere. Allmählich dämmerte ihm seine Situation. „Rude…? Rude, wo bist du?“ begann er plötzlich zu rufen. Barret warf ihm einen Blick zu, gemischt aus Mitleid und Abscheu, dann ging er los. „He, wo läufst du hin?“ rief ihm ein verwirrter Reno nach. Barret winkte nur ärgerlich ab, ohne stehen zu bleiben oder sich umzudrehen. Renos Schuhe knirschten über den allgegenwärtigen Schutt, als er ihm nachlief. „Rude… wo kann er nur hin sein“, murmelte Reno in sich hinein, während er neben Barret herlief. „Rufus hat doch… er hat doch gesagt, er holt uns zurück…“ Barret stoppte und wandte sich an denn verwirrten Turk. „Hör auf mir nach zu laufen, verdammt!“ herrschte er ihn an. Reno starrte ihn nur ausdruckslos an. Als Barret schnaubend weiterging, folgte Reno ihm wieder. „Sie haben gesagt, sie holen uns zurück… und dann bekommen wir einen freien Tag für die Überstunden!“ sagte er und begann zu lachen. Barret warf ihm einen argwöhnischen Blick zu, denn es klang, als würde er allmählich den Verstand verlieren. „Wir beide, Rude und ich… sie haben uns doch nicht… im Stich gelassen!?“ Barret schüttelte den Kopf und spuckte geräuschvoll aus. „Ihr wärt nicht die ersten, die Shinra verarscht hat.“ „Aber… aber… seit Jahren sind wir, ich meine… wir haben immer alles für Shinra getan! Und auch für die W.R.O.…“ „Leute wie Rufus geben einen Scheißdreck um ein paar Menschenleben, hast du das noch immer nicht kapiert?“ Reno schüttelte wirr den Kopf. „Aber… aber… Rude, wo bist du!?“ begann er wieder zu rufen, und Barret bereute einen Moment lang, nicht gleich geschossen zu haben. Gemeinsam schritten Rinoa und Selphie durch die Überreste einer wohl einst kolossalen Stadt. Wie Mahnmäler menschlicher Torheit ragten die verfallenen Gebäude in einen wolkenlosen Himmel. Oft waren nur noch die Stahlskelette der Bauten übrig. Zu den Füßen der einst stolzen Hochhäuser türmte sich der Schutt auf und versperrte die Sicht in das Innere der Bauten. Selphie streckte den Arm aus und zeigte auf etwas. „Sieh dir maaal das an!“ rief sie. Rinoa folgte ihrem Zeigefinger und sah es ebenfalls. Im Zentrum dieser Stadt stand das höchste Gebäude von allen. Ein mehrere hunderte Meter langes Rohr ragte aus ihm heraus und zielte auf den Horizont. An mehreren Stellen stützten massive Träger das riesenhafte Ding. Es erinnerte es sie an eine gigantische Kanone. „Was das wohl war…“, fragte Rinoa nachdenklich. Dann fuhr ihr Kopf herum. Die zwei Frauen warfen sich einen alarmierten Blick zu, dann folgten sie der Stimme, die sie eben gehört hatten. „Das… das kann nicht sein, ich und Rude, wir waren doch immer zusammen…“, jammerte Reno vor sich hin. Schön langsam verlor Barret seine Geduld. Er packte den aufgelösten Turk am Kragen. „Wenn du nicht gleich zu flennen aufhörst, dann- “ Er stoppte und drehte den Kopf zur Seite. Und zwar in Richtung der beiden Frauen, die am Ende der Straße standen. Langsam ließ er Renos Jackettkragen los. „Wer sind die beiden?“ fragte Rinoa leise Selphie. Die junge SEED tastete nach ihrem Dreisegmentstab. „Warte mal… der eine von beiiiden, der kleinere! Kannst du dich nicht mehr erinnern?“ „Der mit den roten Haaren?“ Selphie nickte eifrig. Langsam gingen die beiden Frauen auf sie zu. Barret bewegte nervös seine mechanischen Finger. Reno stand nur neben ihm und schaute sich verwirrt um. „He… dich kennen wir doch!“ riefen sie fast synchron. Reno tippte sich an die Brust. Dann blinzelte er perplex. „Ach ja… ihr wart bei dem blonden Idioten, der uns verprügelt hat“, erwähnte er im Plauderton. Barret wandte sich aufgebracht zu ihm um. „Du kennst diese Frauen??“ fragte er nervös. Reno nickte langsam, als ginge ihn das alles nichts an. „Ja. Er war vorher mit uns in Nabudis.“ „Einen Moment mal“, unterbrach sie Barret und gestikulierte heftig. „Wollt ihr sagen, ihr wart auch in dem unterirdischen Kasten mit dem Riesenvieh??“ Selphie und Rinoa blickten sich einen Moment an, dann nickten sie gleichzeitig. Jede der zwei Gruppen für sich erläuterte nun der anderen, was bis zu jenem Zeitpunkt ihnen wiederfahren war, wie sie in diese schreckliche Geschichte hineingeschlittert waren. Stück für Stück fügten sie das Puzzle zusammen, bis das Bild komplett war. „Also…“, begann Rinoa vorsichtig, „eine Gestalt namens Gilgamesch hat unsere beiden Welten besucht und jemanden entführt. Ihr seid durch eine Firma namens Shinra, die ein entsprechendes Tor gebaut hat- “ „Sie heißt W.R.O.“, verbesserte sie Reno verzerrt grinsend. Rinoa warf ihm einen beunruhigten Blick zu. „Der Haufen Arschlöcher heißt Shinra, und damit Basta“, walzte Barret über seine Meinung drüber. Reno beachtete das jedoch gar nicht, sondern fuhr mit seinem lautlosen Selbstgespräch weiter. „Na gut… wie auch immer… diese Leute haben ein Tor gebaut, und durch das seid ihr durch gegangen, um diese Tifa zu finden.“ Barret ballte seine mechanische Faust und nickte energisch. „Und wenn ich das richtig verstanden habe, dann war es bei euch ähnlich. Nur das euer Entführungsopfer Qualle heißt.“ „Er heißt Squall!“ berichtigte ihn Rinoa verärgert. „T’schuldigung“, rülpste Barret. „Aber was machen wir jeeetzt hier?“ fragte Selphie in die Runde. „Ich weiß nicht, was ihr macht, aber ich fahre jetzt nach Edge-City“, sagte Barret klipp und klar. „Aber… unsere Freunde… sie sind vielleicht hier irgendwo!“ gab Rinoa zu bedenken. Barret winkte ab. „Hier droht ihnen keine Gefahr. Unser Spikey kann schon auf sich aufpassen, und bei deinem Freund Qualle- “ „Squall!!“ „Wie auch immer, der ist sicher auch kein Waschlappen. Aber in Edge warten zwei kleine Kinder auf mich, nach denen sehe ich jetzt, und damit Basta.“ Er wandte sich schon zu gehen, als Rinoa nochmals das Wort ergriff. „Aber sollten wir sie nicht suchen?“ „Hier? In Midgar?“ Barret schnaubte amüsiert. „Kleine, du weißt nicht, wie groß diese Stadt ist. Wir könnten tagelang suchen, ohne sie zu finden. Wenn überhaupt, dann machen wir das mit meinem Hubschrauber. Der steht aber in Edge, und genau da fahre ich jetzt hin.“ „Was heißt hier ‚Ich‘? Du meinst wohl WIR“, erwiderte Rinoa und stützte selbstbewusst die Hände in die Hüften. Und so führte Barret die beiden Frauen aus der Ruinenstadt Midgar heraus. Reno folgte ihnen in geringer Entfernung und murmelte Unverständliches vor sich hin. Von Zeit zu Zeit drehte sich Rinoa um. „Was ist eigentlich mit ihm?“ fragte sie den dunkelhäutigen Mann. „Vorhin war er doch noch normal…“ „Ach, der. Seit er bei den Turks ist, hat er mit Rude zusammengearbeitet. Und jetzt, wo er weg ist, dreht er langsam durch. Musste ja so kommen.“ Rinoa nickte verstehend. Dann fiel ihr Blick wieder auf die zerstörten Häuser. „Das alles hier… wie ist das passiert?“ Barret sah sie an und begann zu lachen- schnell erstarb sein Lachen aber wieder und wich einem ernsten Gesichtsausdruck. „Das, Kleine, ist eine lange Geschichte.“ „Erstens sind wir eh noch ein Stück unterwegs“, entgegnete sie, „und zweitens heiße ich Rinoa und nicht Kleine.“ Barret grinste übers ganze Gesicht. „Bist ‚ne toughe Lady. Das gefällt mir. Na gut, ich erzähl’s euch. Ist schon über zwei Jahre her… aber damals war das hier nicht so ein Sauhaufen, zumindest nicht ein so schlimmer. Jedenfalls wollte ich mit ein paar Kumpels ´nen Makoreaktor in die Luft sprengen, um eben diesen Shinra-Typen ans Bein zu pinkeln…“ Ihr Weg führte sie an verlassenen Ruinen, eingestürztem Gebäuden und anderen Überresten einer einst hochmodernen Stadt vorbei, bis sie durch ein Tor, dass sie durch eine ohnehin größtenteils eingestürzte Mauer führte, ins Freie kamen. In dieser Zeit erläuterte Barret die Geschichte von ‚Avalanche‘, von ihren Kampf gegen Shinra und schließlich Sephirot, der mit der Beinahe-Auslöschung von Midgar endete. Gebannt hörten sie zu, wie er mit Hilfe von vielen blumigen Metaphern wie ‚Scheiße‘ und ‚Arschlöcher‘ den Werdegang von ihm, Cloud, Tifa und den anderen beschrieb, wie das Schicksal ihre ehernen Bande zueinander geschmiedet hatte. Eben all die Ereignisse und Abenteuer, all die freudigen und auch schmerzhaften Erlebnisse, die sie zu dem gemacht hatten, was sie heute waren. Die zu jenem Tag führten, an dem diese Geschichte hier begann… „So war das also… klingt sehr aufregend“, sagte Rinoa am Schluss, als er geendet hatte. „Darauf kannst du einen lassen, Kle- ich meine, Rinoa.“ „Und dieser Sephirot ist sicher tot?“ fragte Selphie besorgt. „Darauf kannst du ebenfalls einen lassen. Der alte Hurensohn ist mausetot. Brauchst nur unseren Spikey fragen, wenn wir ihn gefunden haben.“ In der Stimme des rauen, aber im Grunde warmherzigen Mannes schwang eine Zuversicht mit, die ihnen neuen Mut einflößte. Wenn sie ihm zuhörten, so schwanden alle trüben Gedanken, was ihre Zukunft oder das Schicksal ihrer Freunde betraf. Gut konnten sie sich vorstellen, dass er zu früheren Zeiten eine Gruppe von im Untergrund kämpfenden Ökoterroristen angeführt hatte. So ähnlich wie ich bei den Waldeulen, dachte Rinoa lächelnd. Aber wir hatten keinen so mächtigen Feind, erinnerte sie sich nachdenklich. Sie marschierten eine Anhöhe hinauf, an deren Kamm eine Autobahn entlang führte. Kaputter Asphalt führte zu der Ruinenstadt, doch hier war die Straßenoberfläche in Ordnung. Nun sahen sie auch, wo sie hinführte. Zu einer Stadt in geringer Entfernung. Mitten auf der Autobahn standen mehrere Fahrzeuge herum. „Das da vorne… ist daaas Edge-City?“ fragte Selphie arglos. Doch Barret schenkte ihr keine Beachtung, sondern lief auf die mitten auf der Autobahn stehenden Fahrzeuge zu. „Hier stimmt was nicht“, grummelte er in sich hinein. Er warf einen Blick in die Fahrerkabine eines kleinen Lasters. Keine Spur von den Insassen. Überhaupt wirkten die Fahrzeuge, als hätte sie jemand wahllos mitten auf der Fahrbahn abgestellt und dann schleunigst verlassen. Bei allen standen die Türen offen, wie ihnen auffiel. Mit skeptischem Gesichtsausdruck klemmte sich Barret hinters Steuer. Sogar der Zündschlüssel war dort, wo er ihn vermutete. Brummend erwachte der Motor zu Leben. „He, was ist daaas da!?“ rief Selphie und zeigte in Richtung der Stadt. Fliegende Kreaturen, weitaus größer als Vögel, kreisten über ihr, wie man mit zusammengekniffenen Augen ausmachen konnte. Auch stiegen mehrere Rauchfahnen aus der Stadt senkrecht empor. „Ist das nooormal?“ Barrets Augen weiteten sich. „Nein, ist es verflucht noch mal nicht. Springt alle rauf, aber schnell!“ Rinoa und Selphie zwängten sich auf den Beifahrersitz neben Barret, während Reno auf der Ladefläche des kleinen, gelben Lasters Platz nahm. Und dann ließ Barret auch schon die Reifen quietschen. Dank der bis auf wenige, ebenfalls verwaiste Fahrzeuge leeren Autobahn konnten sie mit Höchstgeschwindigkeit auf Edge-City zu rasen. Je näher sie kamen, desto deutlicher sahen sie, dass es keine Vögel, sondern fliegende Monster waren, die über der Stadt kreisten. Sie erkannten auch, dass die Rauchfahnen von Bränden stammen mussten. Schließlich erreichten sie die Stadt. „Das darf doch nicht wahr sein…!“ stammelte Barret mit schreckensgeweiteten Augen. Es bot sich ihnen ein Bild des Schreckens. Zerstörte Straßensperren. Brennende Autowracks. Und Leichen… Barret schüttelte den Kopf und brachte nichts mehr außer tonlosen Flüchen heraus. Edge-City war ein Schlachtfeld, wie sie nun sahen. Irgendetwas musste mit Brachialgewalt über diese Stadt hereingebrochen sein, dem die Ordnungskräfte nicht Herr werden konnten. Sie alle erstarrten vor Entsetzen, als ihr kleiner Laster brennenden Barrikaden und toten Soldaten wie auch gewöhnliche Bürger ausweichen musste. Der Verkehr war zum Erliegen gekommen, und so raste Barret ohne jede Rücksicht auf Verkehrsregeln durch die verwüstete Stadt. So weit sie auch in die Stadt vordrangen, es zeigte sich ihnen überall das gleiche Bild. Als wäre eine unerwartete Monsterschwemme über die Stadt hereingebrochen. Schließlich kam ihr Laster mit quietschenden Reifen vor einem Gebäude zum Stehen, an dem eine Tafel ‚zum 7.Himmel‘ verlautete. Barret sprang aus der Fahrerkabine und rannte durch die zerstörte Eingangstür. Rinoa, Selphie und auch Reno folgten ihm. Fassungslos irrte er durch das verwüstete Lokal. Die Einrichtung war zertrümmert, doch das berührte ihn nicht. Immer wieder rief er „Denzel!! Marlene!! Cid!!“ Er folgte der Spur der Verwüstung und kam schließlich aufs Dach. Der Treppenaufgang war nur noch aus Trümmern, durch die er sich durchkämpfte. Als er das letze Bruchstück zur Seite gewuchtet hatte, sah er das Ausmaß des Schadens. Den Spuren nach musste das Dach bis vor kurzem gebrannt haben. Von hier oben sah er, dass die Verwüstungen die ganze Stadt betrafen. Und auch hier keine Spur von den Kindern. „Neeeiiiin!!!“ brüllte er verzweifelt. Rinoa und Selphie betraten vorsichtig das verbrannte Dach und sahen das Chaos ringsum. Rinoa und Selphie liefen zu Barret, der nun auf die Knie fiel. Wütend und außer sich vor Trauer und Verzweiflung schlug er mit seiner mechanischen Faust auf den verrußten Betonboden. Unverständliche Laute des Zorns verließen seinen Mund. Die beiden wollten ihm gerade hochhelfen, als er von selbst auf die Füße kam. Seine zu Schlitzen verengten Augen funkelten gefährlich. Die beiden Frauen blickten ihn eingeschüchtert an. „Das… das alles ist die Schuld von diesem… Rufus!!“ Er spuckte diesen Namen förmlich aus. „Zuerst Sektor 7, und jetzt das… ich verdammter Idiot! Ich hätte ihm niemals trauen dürfen!!“ Dann stampfte er entschlossenen Schrittes an den beiden Frauen vorbei. Reno lugte vorsichtig zwischen den Trümmern des Treppenaufgangs hindurch. Er hatte alles mit angehört. Ohne ihn eines Blickes zu würdigen, ging Barret vor Wut rauchend an ihm vorbei. „Ich weiß, wie wir in das W.R.O.-Hauptgebäude reinkommen.“ Barret, eben noch in Fahrt wie ein unaufhaltsamer Güterzug, stoppte abrupt. Langsam drehte er sich zu dem Turk um. „Ich kenne alle Codes. Ich bringe uns rein“, sagte er und lachte dabei glucksend. Barret starrte ihn einen Moment lang ausdruckslos an, dann packte er ihn an der Schulter. Gemeinsam verließen sie das verwüstete Gebäude. Rinoa und Selphie folgten ihnen eilig. Mit quietschenden Reifen und ohne jede Rücksicht auf Verluste raste der kleine gelbe Laster durch Edge-City. Reno saß auf der Ladefläche und pfiff ein lustiges Lied während ihrer Fahrt durch das apokalyptische Edge. Barrets Hände zerdrückten fast das Lenkrad. Aus seinem starren Blick leuchtete pure Entschlossenheit. „Und was machen wir jetzt?“ fragte Rinoa vorsichtig. „Diese verdammte Shinra-W.R.O.-was-auch-immer-Bande ausrotten, das machen wir“, erwiderte er finster knurrend. „Dieses miese Stück Scheiße von Rufus Shinra hat uns hindurch geschickt, und jetzt ist alles… verflucht!“ Wütend schlug er mit der Faust gegen das Armaturenbrett. Funken sprühten aus dem verbogenen Metall. Rinoa und Selphie hielten sich die Hände vor Augen in dem Moment. „Ich war so dumm, so verflucht dumm…“, fuhr er zähnefletschend fort. „Ich dachte tatsächlich, die hätten sich geändert… aber nichts hat sich geändert!!“ Immer wieder sahen sie Monster durch die Straßen streifen. Es waren schreckliche Kreaturen, schuppig wie Echsen und mit langen Klauen. Eines von ihnen lief ihnen direkt in den Weg. Barret hielt ungerührt drauf. Es krachte, und Überreste des Monsters flossen an der Windschutzscheibe herab. „Marlene… Denzel… wenn euch wirklich was passiert ist…“ Einen Moment lang bekam seine Stimme einen weinerlichen Klang, dann herrschte wieder purer Zorn in ihr. Abermals schlug er mit der Faust aufs Armaturenbrett. „In der Hölle wird er schmoren, dafür sorge ich!!!“ Vor einem hochaufragenden Wolkenkratzer kamen sie mit quietschenden Reifen zum Stehen. Die Tür auf Barrets Seite flog knirschend aus den Angeln und rutschte funkensprühend über den Asphalt. Dann berührte sein Stiefel den Asphalt, und wenige Schritte später stand er vor der breiten Glastür, die in den Eingangsbereich des W.R.O.-Gebäudes führte. Reno und die zwei Frauen folgten ihm auf den Fuß. Der Turk zog eine Magnetkarte hervor und schob sie in einen Schlitz neben der Tür. Mit einem schrillen Piepen wurde sie wieder ausgeworfen. Er zog eine Augenbraue hoch. „Seltsam… das haben sie geändert.“ Barret spuckte verächtlich aus. „Und wenn schon!!“ Dann entfaltete sich surrend seine Makokanone. Die anderen hatten nur wenige Sekunden um in Deckung zu gehen, dann hämmerte sie los. Glassplitter spritzten in alle Richtungen davon, während Barret brüllend die Tür zerschoss. Die anderen hoben gerade ihre Köpfe, als seine Schritte bereits durch Berge von Glas knirschten. Die Eingangshalle, die von teurem Marmor dominiert wurde, war wie ausgestorben. Irritiert sahen sie sich um. Dann steuerte Reno einen der Aufzüge an. Die anderen folgten ihm. Auch dort versuchte er wieder seine Magnetkarte. Und tatsächlich öffneten sich die Türen. „Bingo! Das galt also nur draußen, was für ein Glück“, lachte er mit einem Beiklang aufkeimenden Wahnsinns. Alle betraten den Aufzug. Surrend schlossen sich die Türen. „Hey, Reno! In welchem Stockwerk finden wir das Miststück!?“ bellte Barret. „In obersten natürlich. Im 65sten.“ Mit einem irren Grinsen tippte er die Zahl ein. Rinoa und Selphie warfen sich argwöhnische Blicke zu. Sie konnten nicht sagen, wer von beiden verrückter war im Moment. Fürs erste entschieden sie aber, bei ihnen zu bleiben. Endlose Momente später, in denen sich nervtötende Fahrstuhlmusik mit Barrets unablässigen Knurren und Renos irrem Gekicher zu einer infernalischen Melodie vermischte, stoppte der Aufzug. Die Leuchtziffern zeigten die Zahl 63. „Was zur Hölle…!“ fluchte Barret. Reno kratzte sich am Kopf. „Hm… sie müssen meine Zugangsberechtigung reduziert haben…“ „Egal“, knurrte Barret und rannte aus dem Aufzug. Die anderen folgten ihm und sahen nicht, wie aufmerksame Überwachungskameras ihre Schritte beobachteten. Barret rannte wie ein Irrer, blieb jedoch bald stehen. Er kannte sich hier drin nicht aus und musste wohl oder übel auf Reno warten. „Wo geht’s hier zu den Treppen?“ Reno deutete auf eine von mehreren Glastüren, die in dem ganzen Korridor zu finden war. Es herrschte hier eine sterile Atmosphäre aus Marmor und Milchglaswänden, fast wie in einem Krankenhaus. „Dort drin. Durch den Labortrakt kommt man ins Treppenhaus.“ Reno wollte schon loslaufen, als ihn Barret festhielt. „Einen Moment noch. Eine Frage: warum hilfst du mir?“ Barrets vor Wut funkelnde Augen musterten den aufgelöst wirkenden Turk. „Rude und ich… wir waren ein Team. Schon immer.“ Er lachte hilflos und traurig. „Er ist der einzige echte Freund, den ich jemals hatte…“ Mühsam unterdrückte er das Schluchzen. „Rufus hat uns auf diesen Auftrag geschickt… er hat gesagt, es wäre ganz leicht… und jetzt… jetzt ist Rude… er ist…“ Er schüttelte den Kopf, schloss die Augen und errang seine Fassung wieder. „Dafür wird er büßen. Wir haben seinem Vater gedient, und dann ihm… aber dafür… wird er büßen.“ Aus seinen letzten Worten quoll so viel Hass und Schmerz, dass selbst Barret verwundert die Augenbrauen hob. Dann nickte er langsam. „Okay. Du bekommst deine Rache. WIR bekommen unsere Rache.“ Dann schritten sie Schulter an Schulter ihrem Ziel entgegen. Selphie und Rinoa folgten ihnen mit bangen Gesichtern. In dem Labortrakt bot sich ihnen der selbe Anblick. Keine Menschenseele war zu sehen. Verlassene Schreibtische und Büros, soweit sie sehen konnten. Im Vorbeigehen registrierten sie einen riesigen, im Boden eingelassenen Lastenaufzug, der von massiven Stahlgittern umgeben war. Sie näherten sich der Rückwand des Großraumlabors. Eine Türe mit dem Symbol für ‚Notausgang‘ prangte dort. Darüber befand sich eine lange, gläserne Galerie, von der aus man das gesamte Labor überblicken konnte. Plötzlich tauchten dort oben zwei Personen hinter dem Glas auf. Sie alle blieben stehen. Barret hob wütend die Faust. „Das darf doch nicht- Rufus!! Komm runter, du Stück Scheiße!!!“ Rinoa und Selphie sahen zwei Männer. Einer von ihnen trug einen komplett weißen Anzug und hatte blonde Haare, der andere war mit seinem Laborkittel und seiner zerstreuten Erscheinung eindeutig Wissenschaftler. Der Mann im weißen Anzug strahlte eine herablassende Arroganz aus, wie die beiden sie erst ein einziges Male erlebt hatten. Und zwar bei einem ‚guten‘ Bekannten von ihnen, der ebenfalls blondes Haar hatte… „Sieh mal einer an. Damit habe ich nicht gerechnet“, schallte eine blecherne Stimme durch Lautsprecher in der Decke. Barret und Reno konnten sie aber eindeutig als die Stimme von Rufus Shinra identifizieren. Im nächsten Moment hoben sich dicke Stahlschotts aus dem Boden und blockierten den Eingang. Erschrocken wandten sie sich um. „Was soll das“, rief Rinoa aufgeregt. Barret fackelte nicht lange. Surrend entfaltete sich seine Makokanone. Grell spiegelten sich die Schüsse auf dem Glas. Doch es hielt stand, und Rufus Shinra begann zu lachen. Bestürzt sah Barret, dass seine Waffe gegen das Panzerglas nichts ausrichtete. „Dieses Labor ist besonders gut befestigt“, erklärte Rufus gutgelaunt klingend. „Und zwar aus einem bestimmten Grund.“ Ohne auf seine Ansprache zu hören liefen Barret und Reno los. Doch noch bevor sie den Notausgang erreichen konnten, schoben sich hier dieselben Stahlplatten vor die Tür. Wütend schlug Barret mit seiner mechanischen Faust dagegen. Das metallene Krachen hallte durch das Labor. „Hier finden nämlich Versuche mit den Kreaturen statt, die unter der Leitung des verehrten Professors Salvatori entstanden.“ Rufus deutete auf den Professor neben sich. Dieser wandte sich verlegen ab. Es war offensichtlich, wie unangenehm ihm seine Rolle in diesem Spiel war. Er vermied es, die Gefangenen direkt anzublicken. „Rufus Shinra!!“ schrie nun Reno zu der Glasgalerie hinauf. „Sie… sie haben Rude auf dem Gewissen!“ Seine Stimme klang anklagend und auch verletzt. Doch der Erbe des Shinra-Konzerns hatte nur hämisches Lachen für einen seiner einst treuesten Untergebenen. „Tja, Reno… manchmal sind Bauernopfer nötig. Bei der Gelegenheit möchte ich mich aber bei dir für deine langjährigen Dienste bedanken“, höhnte er. Reno platzte fast. „Das möchte ich nun tun… solange noch Gelegenheit dafür ist.“ Wieder lachte er vergnügt, und Salvatori neben ihm schien immer mehr zu schrumpfen angesichts des unwürdigen Schauspiels. „Professor…?“ Der Angesprochene reagierte fast widerwillig. Schließlich hantierte er auf eine Geste Rufus hin mit einer Fernbedienung. „Was geschieht hiiier“, fragte Selphie verunsichert. Rinoa schüttelte den Kopf, während sie den vor Verachtung triefenden Ausführungen des ihnen fremden Mannes lauschte. „Ich weiß es nicht. Aber- “ Neben ihnen erwachte der Lastenaufzug surrend zum Leben. Vibrationen waren unter ihren Füßen zu spüren. Etwas GROSSES kam nach oben. Rinoas Blick wurde zu einer Maske des Entsetzens. „Ich glaube, jetzt sind wir in Schwierigkeiten…“ „Komm runter, damit ich dir DAS hier in den Arsch schieben kann!!“ fluchte Barret. Voller ohnmächtiger Wut schwang er seine Makokanone gegen den so nahen, aber gleichzeitig auch unerreichbaren Feind. Rufus genoss diese Überlegenheit sichtlich. „Darauf habe ich, um ehrlich zu sein, keine Lust. Apropos ehrlich…“ Rufus lachte leise in sich hinein, als er sich an die Geschehnisse betreffend einer Person namens Kadaj erinnerte. „Als ich damals sagte, es gäbe keine JENOVA-Zellen mehr, da habe ich wohl gelogen!“ Mit einer Mischung aus Verzweiflung und unbändiger Wut suchte Barret immer noch einen Weg aus ihrem Gefängnis. Doch alle Zugänge waren blockiert. Verwirrt horchte er auf bei diesen Worten. „Hä!?“ bellte er und wandte sich wieder in Richtung Rufus. „Das wäre ja zu schade gewesen, das vollständige Erbgut JENOVAS diesem Verrückten namens Kadaj zu übergeben. Ein paar haben wir aufbewahrt, und Professor Salvatori hat beeindruckende Arbeit geleistet. Nicht wahr, Professor?“ Die Plattform war nun fast oben. Salvatori, der noch immer kein Wort gesagt hatte, war es anzusehen, dass er lieber an jedem anderen Ort als hier gewesen wäre. Nun wandte auch Barret seine Aufmerksamkeit dem Lastenaufzug zu. Hinter massiven, fast säulenartigen Stäben pulsierte, schlängelte, rumorte… etwas. Barrets Augen wurden groß, als er das zischende und fauchende Wesen auf der Plattform sah. Rinoa und Selphie erstarrten vor Entsetzen. „Darf ich vorstellen…“, frohlockte Rufus, und seine Stimme überschlug sich fast vor Vergnügen. „JENOVA-Ultima!!“ Triumphierend breitete er die Arme aus und grinste wie ein Wahnsinniger, als die dicken Stahlbarrieren im Boden verschwanden und den Blick freigaben auf das Ungeheuer. Es war fast so hoch wie der mehrere Stockwerke umfassende Raum. Dutzende Tentakel zuckten und schlugen nach allen Richtungen aus. Der in allen Rot- und Violetttönen schimmernde Körper war völlig verunstaltet und wucherte in alle Richtungen. Mit jedem Detail spottete diese Monstrosität den Formen der Natur. Barrets Mund öffnete und schloss sich. Doch außer tonlosem Geflüster entwich ihm nichts. Ganz leise hörte man nur seine Worte: „Jenova…“ Schon mehrmals hatte er gegen dieses Monster außerirdischer Herkunft gekämpft, und immer war es ein Ringen mit dem Tod gewesen. Reno wich entsetzt zurück. Mit dem Rücken stieß er gegen die Stahlbarriere, die ihnen den Weg verschloss. Als er sich umwandte, sah er eine kleine Luke, eingelassen in das massive Metall. Ein kleiner Kartenschlitz war daneben zu erkennen. Alle Aufmerksamkeit ruhte auf dem gigantischen Monster, und so holte er seine Schlüsselkarte hervor. „Wa-was ist daaas!!“ kreischte Selphie und klammerte sich an Rinoa fest. Diese brachte angesichts des scheußlichen Ungetüms keine Worte heraus. Zähnefletschend legte Barret mit seiner Makokanone an. Er schoss, bis die Läufe der hochentwickelten Waffe glühten, doch das schien das Monster nur noch wütender zu machen. Wie ein Berg aus Fleisch und Tentakeln wucherte es in das Großraumlabor hinein und riss alles mit sich. Seine zahllosen Tentakel ergriffen alles, was sie zu fassen bekamen und warfen damit um sich. Schreibtische, Stühle, Schränke- alles wurde entweder unter der dahin kriechenden und unablässig mutierenden Masse verschluckt oder davon geschleudert. Mit Mühe wich Barret den umherfliegenden Trümmern aus und schoss unablässig. Etwas weiter hinten verschwand Reno in einer kleinen Luke, die sich hinter ihm sofort surrend schloss. Rinoa und Selphie sprangen rechtzeitig auseinander, bevor ein Schrank genau in ihrer Mitte einschlug und krachend auseinanderbrach. Barret wich immer weiter vor der Monstrosität zurück, die bald das gesamte Labor auszufüllen drohte. Mit dem Mut der Verzweiflung schwang Selphie ihren Dreisegmentstab gegen das Ungeheuer, doch er prallte wirkungslos am pulsierenden, unverwundbaren Fleisch ab. Rinoa rammte ihre Armklingen in seine Oberfläche, doch auch dies zeigte keine Wirkung. Stattdessen erwischte sie ein Tentakelhieb, der sie quer durch den Raum schleuderte. Selphie schrie auf, als sie krachend gegen einen Wandschrank flog, der sie unter seinen Trümmern begrub. Dann wandte sich die Frau aus Trabia wieder JENOVA-Ultima zu, das nun mit seinen wuchernden und mutierenden Fleischmassen bald den gesamten Labortrakt ausfüllen würde. An der Spitze des ansonsten undefinierbaren Körpers leuchtete ein grelles Licht auf. Lichtstrahlen schossen in alle Richtungen weg und bildeten einen Strahlenkranz um das Ungetüm. Barret und Selphie erstarrten; sie wussten, jetzt würde ein extrem starker Zauberspruch folgen. Das gesamte Gebäude erzitterte. Alle Farben wurden umgekehrt. Weiß wurde zu schwarz, schwarz zu grellem Weiß. Dann durchfuhr ein Bombardement hochenergetischer Teilchen den gesamten Raum und röstete sie mit aggressiver Gammastrahlung. Ein Feuersturm alles verbrennender Magie durchflutete den Raum; die Wirkung des Spruches ‚Supernova‘… Momente später war der verheerende Angriff wieder vorüber. Langsam und mit letzter Kraft kamen Selphie und Barret wieder auf die Beine. Geschwächt und entkräftet von der Wirkung des extrem starken Angriffszaubers hielten sie sich nur wankend auf den Beinen. Immer noch breitete sich JENOVA-Ultima in dem Raum aus und schien endlos zu wachsen. Beide Kämpfer hielten sich nur mit äußerster Anstrengung auf den Beinen. Wieder erstrahlte der mit gewaltiger Zauberkraft erfüllte Teil des Ungeheuers. Eine weitere Attacke würde folgen, das wurde ihnen klar. Zu keiner Aktion, geschweige denn einem Angriff fähig, erwarteten sie das Ende… bis ES geschah. Aus dem Boden unter Selphies Füßen wuchs eine durchsichtige, grün leuchtende Gestalt. Sie wurde größer und wuchs schließlich über Selphie hinaus. Wie eine Verlängerung ihres Körpers ragte sie über ihr auf. Es war ein Wesen mit putzigen, schwarzen Augen und einem leuchtend roten Rubin auf der Stirn, der heftig zu strahlen begann… Wieder erzitterte der Boden unter ihren Füßen, und diesmal kam ein noch stärkerer Spruch. Alles wurde in ein fahles, glühendes Gelb getaucht, und Momente später waren sie nicht mehr im W.R.O.-Gebäude, sondern im Zentrum eines sterbenden Sterns. Superschwere Neutronenwolken hagelten in einem alles zerstörenden Gewitter auf sie nieder, als das Wesen den ‚Apokalypse‘-Spruch ausführte. Doch diesmal- -wurde er reflektiert. Ohrenbetäubend heulte das aus JENOVA-Zellen entstandene Ungeheuer auf. Krämpfe schüttelten und durchzuckten seinen wuchernden Leib, als ihn die volle Wucht seines eigenen Zauberspruchs traf. Beißenden Gestank verströmend verbrannte sein Fleisch unter der harten Strahlung aus dem kollabierenden Kern des sterbenden Sterns. Schon begann es sich zurück zu ziehen, doch noch war es nicht besiegt. Barret hatte nicht mal mehr die Kraft, seinen Waffenarm zu heben- doch hinter ihm erschienen zwei durchsichtige Gestalten in der Form aufrecht gehender Stiere. Sie wandten ihre gehörnten Rindsköpfe zueinander und gaben sich mit erhobenen Hufdaumen das Okay-Zeichen. Dann schritten sie durch Barret hindurch auf das Monster zu und hoben ihre Streithämmer. Vor dem Monster angekommen, begannen sie mit ihrem Schere-Stein-Papier-Spiel. Und wie immer verlor der Größere… Die JENOVA-Mutation raste dem wolkenverhangenen Himmel entgegen. Der Boden unter ihr zersprang in tausend Trümmer, als Minotaur mit den Hörnern voran durch ihn hindurch raste. Krachend schlug JENOVA-Ultima wieder auf dem Boden der Tatsachen auf. Und dort wartete Secreto mit seinem Streithammer, den es mit Macht schwang… Schrill stach das Gekreische der JENOVA-Mutation in ihren Ohren, als Secreto es heftig mit seinem Streithammer attackierte. Plötzlich ging die Stiergestalt mehrere Schritte rückwärts und blickte nach oben. Aus dem Nichts kam sein großer Bruder herabgestürzt. In einer Detonation aus Licht, Farben und Lärm traf es JENOVA-Ultima. Unkontrolliert zuckten die wenigen Tentakel, die weder verbrannt noch zerschmettert waren. Es wehrte sich mit aller Kraft gegen sein Schicksal, gegen seine Niederlage. Doch noch pulsierte die Kraft der außerirdischen Kalamität, Sephiroths ‚Mutter‘, durch seinen monströsen, mutierenden Leib. Die Brüder hatten ihre Energie verbraucht. Ihre Konturen wurden immer durchscheinender, bis sie schließlich verschwanden. Doch zuvor setzte das Ungetüm zu einer allerletzten Attacke an, die Barret und Selphie nicht überleben konnten… Ächzend schob Rinoa die Trümmer beiseite und kroch aus den Überresten des Wandschranks, in den sie gedonnert war. Sie kämpfte sich auf die Beine- und erschrak. Alles um sie herum war mit einem Male dunkel. Nur vor ihr strahlte ein goldenes Licht. Ihre Augen weiteten sich, als sie das Geschöpf vor sich sah. Es glich einem Vogel, dessen Schwingen aus purem Gold zu bestehen schienen. Gelbe, goldene und purpurne Federn bildeten sein Federkleid. Noch nie hatte sie etwas Prächtigeres gesehen. Auch sein langer Schweif war mit goldenen und regenbogenfarbenen Federn besetzt. Der Vogel, der genauso groß wie Rinoa war, saß vor ihr auf dem Boden und bewegte langsam seine Flügel, die dabei in allen Farben schillerten. Rinoa trat näher. Sie musste ihre Augen mit der Hand beschirmen, so sehr blendete sie die goldene Aura dieses Wesens. In der Dunkelheit um sie herum konnte sie nur wenig erkennen. Das Labor war verwüstet, und ihre Freundin Selphie sowie der mysteriöse Schwarze mit dem Waffenarm standen in geringer Entfernung. Sie bewegten sich nicht; überhaupt schien alles wie erstarrt außer ihr und dem geheimnisvollen Vogel. Es herrschte eine angenehme Leere in ihren Gedanken. Weder fragte sie sich, was mit den anderen passierte, noch wunderte sie sich über das Erscheinen dieses wundersamen Vogels. Es schien ihr alles… richtig zu sein, mehr nicht. Der goldene Vogel bewegte seinen Kopf hin und her, als würde er etwas suchen. Dabei gurrte er leise. Rinoa wollte seinen Kopf berühren, doch der golden leuchtende Vogel wich zurück. „Ich tu dir nichts“, flüsterte Rinoa. Plötzlich erschallte eine Stimme, die von allen Seiten zugleich zu kommen schien. „Dies ist für dich bestimmt…“ Erschrocken wandte sie sich um. „Wer ist da?“ fragte sie unsicher. Doch niemand antwortete. Dann hörte sie ein gequältes Kreischen. Als sie sich wieder dem Vogel zuwandte, lag er regungslos auf dem Boden. Sein Glanz wurde schwächer, und bald würde sein Licht versiegen. Die Dunkelheit wich zurück, und allmählich drängte sich die Wirklichkeit wieder in ihr Bewusstsein. Eine Wirklichkeit, in der sie von der JENOVA-Mutation vernichtet werden würden, dämmerte es ihr undeutlich. Aus einem Impuls heraus griff sie in ihre Taschen und holte eine Phönixfeder hervor. Die Feder leuchtete auf, was Rinoa erstaunte. Das taten sie sonst nie, ging ihr durch den Kopf. Dann ließ sie sie fallen. Langsam sank die glühende Feder auf den leblosen Vogel herab. Ein Blitz blendete sie, als die Feder den Vogel berührte. Durch die Zwischenräume ihrer Finger glühte das Licht noch hindurch, als sich der Vogel erhob. Er stieg empor und breitete seine Schwingen aus. Selbst noch durch ihre geschlossenen Lider nahm sie das überirdische Licht war, das er ausstrahlte. Als er heftig mit seinen Flügeln schlug, lösten sich zahllose goldene Federn und verwandelten den Raum in ein funkelndes Chaos. Als Rinoa die Hände vor ihren Augen senkte, sah sie den Vogel im Raum kreisen. Überall wo er entlang flog, senkte sich ein Nebel aus golden leuchtenden Partikeln herab. Ebenso auf Barret und Selphie. Langsam richteten sie sich auf, als neue Kräfte durch ihre ermatteten Glieder strömten. Dann flog der mysteriöse Phönix eine Schleife und steuerte direkt die JENOVA-Mutation an. Einen schrillen Ruf ausstoßend überzog der Vogel das Ungetüm mit einem Meer aus goldenen Flammen, das es endgültig verzehrte und zu einer schwärzlichen Masse verbrannte. Danach vollendete der Phönix die Schleife und flog direkt auf Rinoa zu, die ihr Gesicht mit Händen beschirmte- „Was zum Teufel geschieht da!!“ schrie Rufus Shinra den Professor an. Dieser starrte ihn mit geweiteten Augen an und schüttelte den Kopf. „Sie sagten, diese JENOVA-Mutation wäre unbesiegbar!“ „Da-das dachte ich, ja…“, stammelte er. Rufus hatte die Vernichtung ihrer stärksten Biowaffe mit an gesehen und platzte nun fast vor Wut. Mit erhobener Faust drohte er dem Professor- als sich beide plötzlich in Richtung der einzigen Tür des Raums wandten. Dort lehnte jemand und klopfte sich mit einem Viehstab auf die Handfläche. Salvatori erschrak zutiefst, aber Rufus reagierte geistesgegenwärtig. Er griff sich in sein weißes Jackett, um seine Schusswaffe hervorzuholen- doch Reno war schneller. Blitzschnell legte er die wenigen Schritte zurück und schlug seinem Boss- seinem ehemaligen Boss- die Waffe aus der Hand. Klappernd rutschte sie über den Boden. Der Professor schrie panisch auf, was ihm prompt einen Hieb mit dem Viehstab ins Gesicht einbrachte. Ächzend fiel er der Länge nach hin. Dann wandte sich Reno wieder seinem früheren Arbeitgeber zu. Dieser hob die Hände und lächelte. „Aber Reno… tu nichts Unüberlegtes! Denk doch an unsere langjährige Zusammenar- “ Der Viehstab traf ihn im Gesicht. Stöhnend krachte er gegen die Glaswand hinter sich und sank zu Boden. Reno stand über ihm und fletschte die Zähne. „Ich habe mir das sogar sehr gut überlegt, Herr Shinra!“ Die letzten beiden Worte spuckte er voller Verachtung aus. Rufus betastete die Platzwunde an seiner Stirn. Benommen betrachtete er seine blutverschmierte Hand. „Aber… Reno…“, stöhnte er. Der Turk packte ihn am Kragen und zog ihn hoch. Sein vor Wut verzerrtes Gesicht war der blutüberströmten Visage von Rufus nun ganz nahe. Er suchte nach passenden Worten, doch immer wieder zögerte er. Bis er zu sprechen begann. „Wir… wir hätten alles für sie getan, verflucht! Ich und Rude… wir waren ein… ein Superteam…“ Reno kämpfte gegen die Rührung an, mit wenig Erfolg. Seine Stimme begann zu zittern. „Wir haben ihrem Vater die Treue geschworen, und dann ihnen… und so danken sie es uns? Hä??“ Wütend schüttelte er Rufus durch, der ihn mit trüben Augen ansah. „Ihr beide… ts, was wisst ihr schon…“ Reno wollte etwas erwidern, doch es blieb ihm im Hals stecken. Immer noch hielt er ihn am Kragen, sonst wäre er wohl schon zu Boden gesunken. „Ihr wart nur… Figuren auf einem… Schachbrett“, murmelte er. „Ich habe euch benutzt… um ihn zufrieden zu stellen…“ „Was!? Was heißt das? Wieso wurden wir da durch geschickt? Wozu das Ganze?“ schrie Reno verzweifelt. Rufus begann zu lachen, was bei seinem blutüberströmten Gesicht sehr makaber aussah. „Ihr wart nur… das chaotische Element… der unberechenbare Faktor… ich musste euch opfern, um… um…“ „Um was??“ schrie ihn Reno wieder an. Doch Rufus gab ihm keine Antwort, sondern lachte nur. Er lachte ihn aus, und Reno verlor jegliche Kontrolle. Rinoa lief zu Barret und Selphie. Beide waren wohlauf und bei bester Gesundheit, was sie selbst erstaunte. Ratlos betrachteten sie die schwarze, stinkende Masse, die den größten Teil des Raums bedeckte. Als sie einen Schrei hörten, sahen sie zur Glasgalerie empor. Rufus stand dort mit dem Rücken zum Glas. Reno hielt ihn am Kragen und drückte ihn gegen die Glaswand. Aus seinem Gesicht leuchteten Verzweiflung und Hass. Seine Züge waren verzerrt vor unbändiger Wut über den Verlust seines besten und vielleicht auch einzig wahren Freundes. Dann legte er seine Hände um Rufus‘ Kehle. Er wehrte sich verzweifelt, doch der vor Wut rasende Reno war letztendlich stärker. Den dreien blieb nichts anderen übrig als das schreckliche Schauspiel mit an zusehen. Die beiden Frauen wandten sich erschüttert ab. Barret lief zur Stahlbarriere und schlug wieder dagegen. „Mach das Ding auf, verdammt! Hörst du mich nicht!?“ Doch Reno war in seiner Raserei nicht zu stoppen. Er ließ erst von Rufus ab, als dieser in seinem mörderischen Griff erschlaffte. Langsam ließ er den reglosen Körper zu Boden sinken. Der einst blütenweiße Anzug war nun blutbefleckt… Mit zitternden Händen hob Reno die Fernbedienung auf. Momente später verschwanden die Stahlbarrieren surrend im Boden. Barret, Selphie und Rinoa liefen durch die Tür und zur Galerie hinauf. Dort fanden sie den bewusstlosen Professor, den leblosen Körper von Rufus Shinra- und Reno, der am Boden saß und weinte. Aus einem Impuls heraus trat Rinoa an ihn heran und ging neben ihm in die Hocke. Reno blickte sie mit tränennassem Gesicht an. Dann half sie ihm hoch. Sie nahm ihn in den Arm, ohne auf seine blutigen Hände zu achten. Er weinte sich an ihrer Schulter aus. Leise hörte sie seine Worte. „Das bringt mir Rude auch nicht zurück…“, schluchzte er. Sie erwiderte nichts, sondern tröstete ihn nur mit ihrer Nähe. Selphie stand betreten daneben und legte dem verzweifelten Mann eine Hand auf die Schulter. Währenddessen trat Barret an Rufus‘ Körper und den immer noch bewusstlosen Professor heran. Auf dem Gesicht des früheren Shinra-Direktors schien eine Fratze der Überheblichkeit wie eingefroren. Schnaubend schüttelte er den Kopf. „Großartig. Den können wir nichts mehr fragen.“ Er warf Reno einen vorwurfsvollen und auch ärgerlichen Blick zu. Dieser beruhigte sich allmählich und löste sich aus Rinoas Armen. Dankbar nickte er ihr zu, während er seine Fassung wiedergewann. „Er hat es verdient“, sagte er und zog geräuschvoll durch die Nase auf. „Klar. Das fällt dir nur zwei Jahre zu spät ein“, knurrte Barret. Wieder flammte Zorn in Renos Augen auf, und er ging auf Konfrontationskurs. „Wegen ihm ist Rude- er hat ihn auf dem Gewissen!“ zischte Reno. Barret baute sich vor dem ebenso wütenden wie verzweifelten Mann auf. „Ja, genauso wie meine Leute aus Sektor 7! Aber wir hätten ihm zumindest ein paar Fragen stellen können, verflucht!“ Nun gingen Rinoa und Selphie dazwischen und trennten die beiden Streithähne. „Jetzt beruhigt euch gefälligst!“ beschwor Rinoa die beiden. „Wollt ihr euch vielleicht auch noch gegenseitig fertigmachen?“ Sie wollte noch mehr sagen, doch außer einem ernsten und auch enttäuschten Blick brachte sie nichts heraus. Barrets Miene entspannte sich etwas. Betreten wandte er sich wieder an Reno. „Ich hatte mindestens so viel Grund ihn zu hassen wie du. Wenn wir aber herausfinden wollen, was mit den anderen ist, dann brauchen wir Antworten.“ Langsam begriff Reno die Reichweite seiner Tat. Bestürzung machte sich in seinem Gesicht breit, dann Resignation. Bedrückt blickte er zu Boden. „Und was ist mit deeem?“ fragte Selphie und zeigte auf Salvatori, der langsam zu sich kam. Barret nickte langsam und ließ die Fingerknöchel seiner verbliebenen Hand knacken. Als Salvatori die Augen aufschlug, stand die Welt Kopf. Oder eher er selbst? Er stöhnte, als wieder Leben in seine Glieder kam. Dann begriff er, dass er kopfüber an den Füßen aufgehängt hing. Ein raubtierartiges Brüllen machte ihn schlagartig wach. „Wie gruselig…“, murmelte Rinoa bange, als sie in die Tiefe blickte. Renos Schlüsselkarte hatte ihnen den Zutritt zu einem weiteren Bereich des Labors verschafft. Hier waren in einzelnen Behältern die verschiedenen Resultate von Salvatoris Experimenten mit der Erbmasse von gewöhnlichen Monstern verwahrt. Die Behälter waren schachtartig in den Boden eingelassen. Und in einen dieser Behälter hing er nun- wenige Meter oberhalb einer abscheulichen Mutation mit mehr Zähnen, als es für natürlich entstandene Lebewesen angemessen gewesen wäre. „He, was soll das??“ schrie er voller Panik. Als er nach oben blickte, sah er das Seil, an dem er baumelte sowie die Gesichter der vier Personen, die sich Zugang zum W.R.O.-Gebäude verschafft hatten. „Wir stellen hier die Fragen“, knurrte Barret. „Deinen Chef können wir nichts mehr fragen, also bist du dran.“ „Holt mich hier raus!“ rief er verängstigt. Die Mutation unter ihm konnte zwar nicht besonders gut springen, war dafür aber umso hungriger. „Sachte, sachte. Zuerst beantwortest du uns einige Fragen“, begann Barret. „Ist hier sonst noch jemand außer dir? Was ist überhaupt mit Edge-City passiert?“ „Das… das, äh…“ Salvatori stellte fest, dass es sehr schwer war sich zu konzentrieren, wenn man kopfüber in einem Monsterkäfig hing. „Es fing vor zwei Tagen an… es war schlimmer als wir befürchteten… die Stadt wurde evakuiert, wie auch die W.R.O….“ „Ihr habt es befürchtet?“ platzte es ungläubig aus Barret heraus. „Was habt ihr damit zu tun? Und sei ja ehrlich, sonst…“ Seine mechanische Hand umfasste das Seil, an den Salvatori baumelte. „Nein! Nein!! Bitte nicht… ich sag alles, was ich weiß! Wir, wir… haben Signale aufgefangen, verschlüsselte Botschaften… sie kamen aus einer Paralleldimension… wir haben gelernt, damit zu kommunizieren, und haben nach den Anweisungen das Tor gebaut...“ „Hä? Mit wem habt ihr kommuniziert?“ „Das wissen wir nicht“, erwiderte Salvatori, in dessen Stimme Panik mitschwang. „Rufus war ganz begeistert davon, er versprach sich viel davon, u-und, dann…“ „Und was dann!?“ brummte Barret und rüttelte am Seil. „Bitte nicht!! Es hat Rufus alles Mögliche versprochen… Macht und noch viel mehr… wir sollten nur verschiedene Maßnahmen setzen, u-um die Schranken zwischen den Dimensionen zu schwächen…“ „Also euch haben wir den ganzen Schlamassel zu verdanken“, knurrte Barret. Reno stand nur daneben und lauschte regungslos. „Was ist mit den anderen passiert? Wieso sind wir hier und sie nicht? Antworte!!“ „I-ich weiß es nicht, es sind schon so viel andere unvorhergesehene Sachen passiert… ich habe es Rufus gesagt, aber er wollte nicht hören… er dachte nur an die Versprechungen aus den Botschaften…“ „Was waren das für Botschaften genau?“ „E-es ging dabei um einen Übergang… es wollte hierher, u-und wenn wir das ermöglichen, da-dann hätte es mit uns sein Wissen geteilt…“ „Rufus der Mistkerl wollte also irgendein Freak aus einer anderen Welt hierherlassen, um mit ihm einen Deal zu machen?“ fragte Barret ärgerlich. „J-ja, dafür war Rufus bereit, alles aufs Spiel zu setzen…“, jammerte der Professor. Barret schüttelte langsam den Kopf. „Darum ging’s also nur… um noch mehr Macht für den Wahnsinnigen…“, murmelte er leise. Dann sprach er normal laut weiter. „Wie können wir unsere Leute zurückholen? Funktioniert euer Tor noch?“ Verzweifelt schüttelte Salvatori den Kopf. „Nein, nein… es sind keine kontrollierten Reisen mehr möglich… die Dimensionsschranke ist schon viel zu instabil… ihr könnt es nicht mehr aufhalten, bald wird es abgeschlossen sein und nur mehr eine Dimension existieren…“ „Hä?? Ich versteh nur Bahnhof!“ bellte Barret. „Die Welten werden verschmelzen… die Grenzen aufgehoben… schon sehr bald ist es soweit…“, klagte der verwirrte Mann am Seil in einem jammernden Singsang. Barret schnaubte verächtlich. „Eure verdammten Experimente waren euch also wichtiger als die Leben von uns allen. Da weiß ich schon ein neues Experiment für dich, du Mistkerl!“ knurrte Barret finster. „Und zwar mit den Fressgewohnheiten deines Haustieres da unten!“ Er gab Reno ein Zeichen, und dieser zückte sein Klappmesser. Es blitzte auf im Licht der kalten Laborbeleuchtung. Salvatoris Augen wurden groß. „N-nein, das könnt ihr nicht machen!! Neeeiiiin!!!“ Das Seil schnalzte nach unten, und Salvatori landete hart auf dem Boden. Barret und Reno wandten sich ab. Aus der Tiefe erklangen Schreie, danach nur noch geifernde und schmatzende Laute. @ Rinoa und Selphie standen etwas abseits. Sie ahnten, was folgen würde und wollten nicht Zeuge von noch mehr Grausamkeit werden, auch wenn sie nachvollziehbar war. Zwar wussten sie nicht genau, welche Vergangenheit diese Männer verband, doch der tief sitzende Schmerz bei Barret und auch Reno war nicht zu übersehen. Es kam ihnen ungerecht vor; doch sie wussten nichts Näheres außer dem, was Barret ihnen zuvor erzählt hatte. Und so mischten sie sich in diese Vorgänge nicht ein. „Saaag mal, Rinoa… hast du auch das gesehen, was ich gesehen haaabe?“ Aus den Gedanken gerissen blickte sie auf. „Wie? Was meinst du?“ „Na, vorher… bei dem Kaaampf. Diese Wesen… die uns geholfen haben.“ Selphie machte ein bekümmertes Gesicht. Dann erinnerte sich Rinoa. „Du meinst… ich weiß schon. Das war doch Karbunkel, oder?“ Selphies Gesicht hellte sich auf. Sie öffnete den Mund weit. „Ja, genau!! Jetzt erinnere ich miiich wieder. Aber… was macht er hier?“ Ihr verwirrter Blick traf Rinoa. „Ich bin ihm in der Höhle begegnet. Wie ist das möööglich, Rinoa?“ Rinoa schüttelte langsam den Kopf und blickte unschlüssig in die Ferne. „Ich weiß es nicht… vielleicht gibt es die ‚Guardian Forces‘ auch in anderen Welten. Hast du den Vogel gesehen? Ein Vogel, wie aus Gold?“ Selphie nickte eifrig. „Ja, wer immer das war, er hat uns gereeettet. Er sah aus wie… wie Phönix, genau.“ „Phönix?“ Rinoas Blick drückte Verwirrung aus. Nur langsam gewann die Erkenntnis Oberhand. „Phönix… er ist jetzt in mir. Glaube ich zumindest.“ „Aber waruuum…?“ fragte Selphie zweifelnd. Dann fiel ihr Blick auf Barret und Reno, die auf sie zukamen. Rinoa drehte sich zu ihnen um. „Seid ihr jetzt fertig?“ fragte Rinoa in einem nicht sonderlich freundlichen Ton. Barret nickte und wog seinen mechanischen Arm in der anderen Hand. „Und ob. Diese Mistkäfer werden nie wieder jemanden etwas antun“, erwiderte er nicht ohne Genugtuung. Rinoas Blick wurde hart. „Diese ‚Mistkäfer‘… waren Menschen“, sagte sie leise, aber eindringlich. Ein Anflug von Verwirrung überflog Barrets Gesicht. Dann ging er auf Rinoa zu und baute sich vor ihr auf. Die um einen guten Kopf kleinere Frau wich aber keinen Millimeter zurück. „Diese… ‚Leute‘ hörten dann auf, für mich Menschen zu sein, als sie die ‚Scheibe‘ auf Sektor 7 haben fallen lassen. Und damit fast alle Menschen töteten, dir mir damals etwas bedeutet haben“, sprach der dunkelhäutige Mann ruhig, aber ernst. Hinter seinen betont gefassten Worten konnte man aber den Schmerz spüren. Rinoa hielt seinem eisigen Blick stand. Einige Augenblicke später wandte sich Barret von ihr ab. Mit dem Rücken zu ihr stand er da und atmete tief durch. „Ich kann nur ahnen, was sie dir angetan haben“, begann Rinoa schließlich. „Aber ich weiß, wie es ist, Freunde zu verlieren.“ Barret wandte sich jäh um. „Was weißt du schon!?“ schrie er fast, und in seinen ernsten Augen standen Tränen, was alle erstaunte. Das hätten sie bei dem kraftstrotzenden Hünen als Letztes erwartet. Rinoa erwiderte traurig seinen Blick. „Ich habe auch mal eine Gruppe von Rebellen angeführt… und eines Tages musste ich aus der Entfernung mit an sehen, wie… wie ein Mitglied hingerichtet wurde. Ich kann es nicht vergessen, egal wie viel Zeit vergeht.“ Barret schüttelte den Kopf, wollte etwas sagen- schwieg dann aber doch. Lautlose Flüche ausstoßend wanderte sein Blick im Raum umher, als suche er Halt. „Ich wollte dich nicht anschreien“, fing er leise zu erzählen an. „Aber…“ Fassungslos schüttelte der den Kopf und blickte zu Boden. „…sie haben mir alles genommen. Meine Heimatstadt Corel, meine Frau Myrna, meinen besten Freund Dyne… und jetzt auch noch Marlene und Denzel…“ Dann wich jede Schwäche aus seinen Zügen, und sie wurden wieder ernst. „Ich werde dafür sorgen, dass diese Leute sowas nie mehr jemanden antun können. Das habe ich geschworen, am Grab meiner Frau.“ Er ging los, in Richtung der breiten Glasfenster, von denen man aus Edge-City überblicken konnte. Dort blieb er stehen und lehnte sich gegen das Glas. Sein leerer Blick verlor sich in der Tiefe der Häuserschluchten unter ihm. Und so verbarg er seine Tränen vor den anderen. Rinoa verschränkte die Arme und setzte ein betretenes Gesicht auf. Selphie legte ihr aufmunternd die Hand auf die Schulter. „Wie es aussieht, haben wir alle schon mal Freunde verloren“, begann Reno. Überrascht blickten die beiden Frauen ihn an. „Ist schon traurig... vor allem, wenn man nur einen hatte“, sagte er bitter lächelnd und zuckte mit den Schultern. Selphie hatte genug von all den bekümmernden Ereignissen und beschloss, ihn aufzumuntern. „Ach was, du bist doooch kein schlechter Kerl“, begann sie fröhlich und klopfte ihm auf die Schulter. „Findest du?“ fragte er vorsichtig. „Klar, äh… ich kenne dich zwar noch niiicht wirklich, aber sicher hast auch du Seiten, die die Menschen um dich herum mögen“, sagte sie im Brustton der Überzeugung. Reno hob eine Augenbraue. „Na ja, als Turk hat man halt nicht viele Freunde.“ Selphies Gesicht wurde ein Fragezeichen. „Was ist ein Tuuurk?“ „Ein Turk? Na ja, das ist jemand der im Auftrag von Shinra, oder eben jetzt der W.R.O. Leute, die nicht parieren wollen einschüchtert oder verprügelt. Oder beides.“ Die junge Frau aus Trabia nickte langsam und machte ein skeptisches Gesicht. „Aha. Jedenfalls… du findest sicher noch mehr Freunde in deinem Leeeben. Nur mit dem Verprügeln solltest du viiielleicht aufhören.“ Reno hob ratlos die Schultern. „Aber das ist mein Beruf, ich hab doch nichts anderes gelernt…“ Seufzend verdrehte Selphie die Augen. Barret wischte sich das Gesicht ab, als er Rinoa von hinten sich nähern hörte. Dann erst drehte er sich um. „Ich wollte nicht, dass- “ Er unterbrach sie mit einer abwinkenden Geste. „Ist schon okay. Du hast nicht ganz unrecht. Manchmal glaube ich, dass meine Rachsucht alles kaputt macht… alles, wofür meine Freunde gestorben sind. Schadet mir nicht, wenn mich manchmal jemand runterholt von meinem Trip“, sagte er, und ein vorsichtiges Lächeln zeigte sich auf seinem verhärmten Gesicht. Rinoa erwiderte es voller Zuversicht- dann wurden ihre Augen groß. Entsetzen kroch über ihre Züge, und Barret drehte sich schlagartig um. Sein Unterkiefer klappte herab. „Verflucht, was- “ Nun stürmten auch Selphie und Reno heran und sahen es ebenfalls. In der Ferne, über dem Meer, begann es. Eine Wand aus rotem Licht senkte sich vom Himmel herab und zerriss dabei die trüben Wolken, die über der aufgewühlten See hingen. Sie schoss hinab und traf die Wasseroberfläche. Nach allen Richtungen breitete sie sich aus, sie konnten nicht erkennen, wie weit. Wie ein waberndes Nordlicht, wie ein Vorhang aus flüssigem Feuer hing es herab und teilte das Meer. Dahinter war nichts mehr erkennbar. Fassungslos stemmten sie sich gegen die Glasfront und sahen mit an, wie die kilometerhohe Mauer aus pulsierender Röte näher kam. Das Meer schien an der Stelle zu verschwinden, wo es darüber hinweg zog. Wie eine Feuerwalze raste es auf die Küste vor Midgar und Edge-City zu. Schon tauchte das Phänomen den gesamten Landstrich in fahles, rotes Licht. Die Ebene um die beiden Städte verwandelte sich in einen Vorhof der Hölle. Niemand brachte ein Wort hervor, als das Phänomen schließlich langsamer wurde und wenige Kilometer vor Edge-City stoppte. Bedrohlich und warnend waberte der Vorhang aus roter Glut vor der Stadt. Er schien bis in das Weltall hinaus zu reichen und entspannte sich weiter, als ihre Augen erkennen konnten. Und hinter seiner Oberfläche, die sich wie brennendes Wasser kräuselte, sahen sie nicht das, was jeder gesunde Menschenverstand angenommen hätte. Nicht das Land, über das die senkrechte Wand aus rotem Licht hinweg gerollt war. Sondern- Eine andere Welt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)