Step Into My World von RallyVincento ================================================================================ Kapitel 8: Step Eight... Listen ------------------------------- Zuhören ist eine Form des Akzeptierens. Stella Terrill Mann Mamoru Chiba Sonntag morgen um halb acht und ich blöder Depp saß auf diesem Mauervorsprung und wartete darauf, dass May von ihrem allmorgendlichen ‚einmal um den Häuserblock laufen’ zurück kam. In der Nacht hatte ich mir zahlreiche Varianten ausgedacht, um mich zu entschuldigen, aber keine klang wirklich gut oder ehrlich. Ja, es tat mir Leid, was passiert war. Nein, so wirklich wollte ich mir die Schuld nicht geben. Purer Sarkasmus, konnte man dazu nur sagen. Ich spielte mit der Zigarettenschachtel in meiner Hand und überlegte angestrengt, ob ich die Vorletzte einfach anstecken sollte. „Danke, das weiß ich selber“, wisperte ich mir zu, nahm aus reinem Trotz gegenüber meinen Gedanken die Zigarette heraus und zündete sie an. Ich war einfach genervt, von mir und der Welt. Irgendwie zog ich solche Situationen immer an wie ein Magnet, anstatt dass ich mich einfach mal freute, dass meine ältesten Freunde für mich da waren, war ich gehässig und fies. „Ich hätte es wirklich verdient, dass mir mal der Himmel auf den Kopf fällt.“ „Da gebe ich dir Recht.“ Erschrocken drehte ich mich herum und sah May, welche sich neben mich setzte. Yosuke stand etwas abseits von uns und sah mich nicht gerade freundlich an. „Ich dachte, du rauchst nicht mehr.“ „Dachte ich bis gestern auch.“ Ich sah die Zigarette an, nahm noch einen Zug und drückte sie dann vorsichtig an der Mauer aus, um den Rest wieder in die Schachtel zu stecken. „Irgendwie hatten Yosuke und du die gleiche Idee. Hast du mir auch Brötchen mitgebracht?“ Sie sah auf ihre Füße und ich kratzte mich verlegen am Kopf. „Nein, sorry. So weit habe ich dann doch nicht gedacht.“ Ich warf Yosuke einen Blick zu und versuchte zu erkennen, wie sehr er mich zur Zeit hasste, aber das war schwer zu erahnen. „Ich würde mich ja freuen, wenn wir zusammen frühstücken, aber dazu solltet ihr, du und Yosuke, klären, ob ihr es schafft, zusammen an einem Tisch zu sitzen.“ Sie sprang von dem Vorsprung und sah mich an. Ohne ein Wort zu sagen, tat ich es ihr gleich und ging zu Yosuke herüber. „Morgen!“ „Tach!“ Seine Stimme klang recht unterkühlt. Schweigend sahen wir uns an und doch wollte keiner von uns so recht den Anfang machen. Nach einigen Minuten seufzte Yosuke nur. „Entschuldige, dass ich dir gestern eine rein hauen wollte. War wohl doch etwas übertrieben.“ Ich schüttelte nur den Kopf. “Eigentlich hätte ich es verdient, also, wenn du meinst, dass es notwendig ist, dann kannst du ja jetzt zuschlagen.“ Er sah mich einen Moment lang an und dann lag ich auch schon auf den Boden und hielt mir die Wange. Ich spürte, wie meine Lippe aufgeplatzt war und mir etwas Blut in den Mund rann. May schrie natürlich erst mal wieder herum, das hatte sie sich so bestimmt nicht gedacht. Doch dann sah ich Yosukes Hand vor mir. Er grinste etwas und ich tat es auch. „Ich hatte ganz vergessen, was für einen Schlag du drauf hast.“ Daraufhin nahm ich seine Hand und ließ mir von ihm aufhelfen. Damit hatte sich die Sache zwischen uns erledigt. Vielleicht war das eben nötig gewesen. May schlug uns beide auf die Schulter und war nicht ganz so davon erbaut. „Jungs sind alle scheiße.“ Sie drehte sich herum und stapfte schmollend davon. Wir lachten leise und liefen hinter ihr her. Als wir einige Minuten später am Frühstückstisch saßen, sagten wir eine Weile nichts, sondern nippten nur unschlüssig an unseren Tassen. Jeder von uns wusste, dass ein Gespräch nicht zu vermeiden war, dafür waren zu viele böse Worte gefallen. „Bist du uns wirklich böse? Wegen dem Adoptieren?“ May hatte es als Erste auf den Punkt gebracht. Ich hatte eigentlich gehofft, dass es nicht zur Sprache kam, aber so war es eben. „Klingt albern, ich weiß. Aber – ich habe euch so beneidet. Plötzlich hattet ihr alles und ihr wart nicht mehr da.“ Ich seufzte und war irgendwie erleichtert, dass es nun raus war. „Es klingt nicht albern. Ich kann dich sogar verstehen, aber wir haben uns das ja auch nicht ausgesucht. Ich meine, du hast Recht, wenn du uns böse bist. Wir haben uns ja immer seltener sehen lassen. Weißt du, am Anfang, da fanden wir es blöd, plötzlich adoptiert zu werden. Aber dann – war es toll. Eine neue Familie, normal sein. Als Kind ist es schwer, Prioritäten zu setzen.“ Yosuke sah zuerst mich und dann May an, welche nur zustimmend nickte. „Ich bin ja selber schuld, ich war eben eine Heulsuse. So was will keiner haben.“ Ich nahm einen Schluck Kaffee. „Sag doch so was nicht.“ May sah mich empört an. „Genau. May hat Recht, ich meine, früher warst du schon eine Heulsuse, aber als wir dann in eine Oberstufenklasse kamen, war es doch cool. Ich meine, wie oft haben du und ich Ärger bekommen, weil wir irgendwelche Scheiße gebaut haben?“ Ich lachte und nickte. „Stimmt. Weißt du noch, wie wir Frau Asano den Frosch in die Schublade gelegt haben?“ Yosuke brach in schallendes Gelächter aus und setzte noch einen drauf. „Oder - wie wir uns in die Mädchenumkleiden geschlichen haben und das Shampoo der doofen Zicken durch Färbemittel ersetzt haben. Scheiße, die hatten alle blaue Haare. Haben die geschrieen.“ Yosuke liefen vor lachen die Tränen und auch ich konnte nur noch lachen. Ja, wir hatten damals oft Ärger bekommen, aber eigentlich hatte ich es immer am besten. Bei mir gab es keine Eltern, die mir Hausarrest geben konnten. „Das mit den Mädchen war so fies. Die waren vielleicht sauer auf euch.“ May hob nur tadelnd ihren Finger, aber dadurch mussten wir nur noch mehr lachen. „Wir haben im Sommer auch oft blau gemacht, wisst ihr noch? Dann sind wir immer zum Strand gefahren und haben den Tag dort verbracht.“ Ich biss von meinem Brötchen ab. „Ja, aber das hat sich bei uns immer gerächt. Wir waren schließlich nie so gut in der Schule wie du. Dafür habe ich dich immer beneidet. Du und dein Einser-Schnitt!“ Yosuke grinste mich an und steckte sich den Rest seiner Brötchenhälfte in den Mund. „Tja, der eine kann es, der andere nicht!“ Gab ich nur schulterzuckend zurück. „Es soll ja diese Woche wieder richtig schön werden, so mit Sonne und warm. Wir könnten doch am Wochenende zusammen zum Strand fahren. Morgens los und abends zurück, dass wäre dann wie früher, nur noch etwas besser!“ May sah uns an und wartete auf unsere Reaktion. Die bekam sie auch sofort. Wir nickten und somit stand es fest. Die restlichen zwei Stunden, die wir zusammen saßen, unterheilten wir uns über alles Mögliche, leider auch über meinen Boss. Obwohl May sofort sagte, dass sie ihn nicht mochte, betonte sie öfters, dass sie die Kleine bei ihm wirklich niedlich fand. Ich schüttelte nur den Kopf und war froh, dass wir uns endlich etwas ausgesprochen hatten und den Beiden schien es ebenso zu gehen. ~abends...~ Es war kurz vor 20 Uhr, als plötzlich das Telefon klingelte. Ich war wohl auf der Couch eingeschlafen, denn ich schreckte hoch und musste mich erst mal kurz orientieren. Als ich den Hörer endlich gefunden hatte, nahm ich verschlafen ab. „Chiba -“ „Sie ist weg! Ich habe sie nur für eine oder zwei Stunden allein gelassen, aber sie war am Schlafen und ich musste noch einmal ins Büro und als ich wieder kam und nach ihr sehen wollte, weil sie ja eigentlich schlafen sollte, da war sie einfach weg!“ Die hysterische Stimme am anderen Ende gehörte Massanorie und ich wusste auch sofort, von wem er sprach. Aber anstatt ihm Mitleid entgegen zu bringen, machte er mich nur wütend. „DU HAST WAS? Du kannst doch eine Fünfjährige nicht einfach allein lassen! Spinnst du denn?“ „Aber sie hat geschlafen! Außerdem war doch Sparky da, ich dachte, da kann nichts passieren!“ Ich musste erst einmal tief Luft holen, um ihm nicht durchs Telefon zu kommen. „Sie kann so weit noch nicht sein. Ich bin in einigen Minuten da, aber denk nur nicht, ich helfe dir wegen deinem schlechten Gewissen.“ Ich legte auf und fuhr mir durch die Haare. Dieser Vollidiot hatte es nicht anders verdient und die Einzige, um die ich mir Sorgen machte, war Katrin. Es dauerte keine zehn Minuten, da parkte ich in der Tiefgarage seines Hauses. Ich stieg aus und sah ihn auch schon auf mich zukommen. Seine Haare lagen zum ersten Mal völlig wirr um seinen Kopf, das weiße Hemd hing aus der Hose und auch sonst konnte man gerade nicht viel von dem smarten Geschäftsmann sehen, den er sonst so gut verkörperte. Er sagte nichts, sah mich nur an. „Kannst du dir denken wo sie ist?“ Ich knallte meine Autotür zu. „Nein, ich bin die Straße schon rauf und runter gelaufen, aber ich hab sie nicht gefunden.“ Seine Stimme klang heiser und ich sah sehr wohl, dass er sich wirklich Sorgen machte, aber das war mir wirklich egal. „Sie kennt sich hier nicht so gut aus, also wird sie sich wohl einen Ort suchen, wo sie sich wohl fühlt, gerade auch nachts.“ Er sah mich an, wollte etwas sagen, schüttelte dann aber den Kopf. Wir liefen getrennt die Straßen ab und suchten die kleine Maus. Aber sie war nirgends zu finden. Nie hätte ich gedacht, dass sie so schnell verschwinden konnte. Ich fragte einige Passanten, aber keiner hatte ein kleines Mädchen gesehen, welches allein herumlief. Aber das wunderte auch nicht, selbst um diese Uhrzeit war es noch sehr voll in Shinjuku und hier fiel niemanden ein kleines Kind auf. Als ich die Shinjuku Station* erreichte, fragte ich mich weiter durch. Zwar konnte ich mir nicht vorstellen, dass sie wirklich die Bahn genommen hatte, aber wer wusste das schon so genau? Wahrscheinlich war sie aufgewacht als er nicht da war und dann hatte sie Angst bekommen. Welches Kind würde keine Angst bekommen, wenn es plötzlich allein in der Wohnung war und obwohl ich Sparky mochte, so war er sicherlich auch kein Babysitter. Was sollte der Hund denn machen? Massanorie war ein Vollidiot. Es war nun schon halb zehn, als ich wieder zurück ging. Plötzlich klingelte mein Handy. Ich sah drauf und sah, wie Mays Name aufblinkte. „Ist gerade ungünstig“, entgegnete ich etwas resigniert. „Sorry, aber ich hab jemanden getroffen. Ich glaube, sie gehört zu dir.“ May Als ich mich vor fünfzehn Minuten von einer Kommilitonin verabschiedet hatte und an der Tokyo Station* in die Marunouchi Line* einstieg, hatte ich nicht damit gerechnet, plötzlich vor einem kleinen Problem zu stehen. Die ersten Minuten waren normal gewesen, die Linie war um diese Zeit nicht sehr voll, also ging ich durch die Bahn, auf der Suche nach einem schönen Plätzchen, um die Füße hoch zu legen. Aber dann hatte ich plötzlich dieses kleine Mädchen gesehen. Sie sah schon etwas kurios aus, mit ihrem rosa Rucksack, weißen Sandalen, einer Strickjacke und einer Pyjamahose. Auf ihrem Schoß hatte sie einen Teddybären sitzen, den sie fest an sich drückte. Nur ab und an sah sie auf und schaute auf einen Zettel in ihrer Hand und dann auf das Schild gegenüber am Fenster, auf dem die Haltestellen standen. Zuerst wollte ich weitergehen, als ich sie mir noch einmal genauer ansah. „Kann ich dir helfen?“ Sie sah mich völlig perplex und erschrocken an und wusste wohl nicht so recht, was sie mit mir anfangen sollte. Dann hielten wir an einer Station, hektisch schaute sie nach draußen und dann auf den Zettel und plötzlich hatte sie dicke Tränen in den Augen stehen. „Hey! Ist doch gut. Komm, ich helfe dir. Wo musst du denn hin?“ Ich streichelte ihr über den Kopf, setzte mich neben sie und nahm ihr langsam den Zettel aus der Hand. „Also, mal schauen.“ Ich sah mir den Zettel an und las die darauf stehende Adresse. „Oh, die kenn ich doch.“ Ich war schon verwundert, das hier war doch Mamorus Adresse und Telefonnummer, ja ganz sicher. „5-7-5 Akabane-nishi, Kita-ku, Tokyo, tel:03-3907-5992.“*² Unter der Adresse war in säuberlichen japanischen Schriftzeichen noch einmal Kita-ku geschrieben. Ich sah die Kleine an und wunderte mich wirklich, aber dann fiel es mir ein. Konnte es sein, dass -? Das Mädchen weinte noch immer und vergrub ihr Gesicht in ihrem Bären. „Du bist Kati-chan, oder?“ Ich hatte langsam und sehr deutlich gesprochen. Die Kleine hörte auf zu weinen, sah mich aufgelöst an und nickte dann zögerlich. „Du willst zu Maru-chan?“ Das war leichter gesagt als getan. Aber es klappte bis jetzt ganz gut, denn sie nickte wieder. Nach einigen Fragen wusste ich zwar nicht, was los war, aber ich wusste, dass die Kleine zu Mamoru wollte, dass sie sich verfahren hatte und dass sie weggelaufen war. Letzteres folgerte ich aus ihren Klamotten und an der Uhrzeit. Keine Minute später hatte ich mein Handy hervorgeholt und rief Mamoru an. Zu Hause war er nicht, also musste ich es auf seinem Handy probieren. Als er abnahm, klang er gehetzt und nicht wirklich gut. „Ist gerade ungünstig.“ „Sorry, aber ich hab jemanden getroffen. Ich glaube sie gehört zu dir.“ Ich reichte der kleinen mein Handy und nickte ihr lächelnd zu. „Maru-chan? – N-icht, n-icht bö-se s-ein.“ Sie weinte und versuchte stotternd ihre paar Vokabeln Japanisch herauszupressen. Arme Kleine. Was wohl passiert war? Doch sie beruhigte sich schnell, ich strich ihr über den Kopf und fand es toll, wie Mamoru mit Kindern umgehen konnte. Selbst in so einer Situation. Sie nickte nur, während er wohl redete und sie antwortete nur mit ja oder nein. Dann gab sie mir das Handy und wischte sich durch die Augen. „Wo seid ihr denn jetzt?“ Mamoru klang plötzlich viel ruhiger. „Gleich in Ochanomizu*.“ „Kannst du wohl dort aussteigen und mit der -?“ „Mit der Chiyoda Line* zu dir fahren? Klar kann ich das. Mach ich doch gerne.“ Ich wusste schon, was Mamoru von mir wollte. Ich hörte, wie er erleichtert ausatmete. „Danke, May. Du weißt gar nicht, wie dankbar ich dir bin.“ „Schon okay. Wenn du mir dafür gleich einen Kaffee kochst, ist alles wieder gut.“ Mamoru lachte, er sagte mir noch schnell, dass er uns an der Station Nishi-Nippori* abholen würde, dann legte er auf. Ich nahm die Kleine an der Hand und stieg mit ihr aus, um dann einige Minuten später in der nächsten Linie zu sitzen. Was für ein Abend. Als wir ausstiegen sah ich mich um, aber Mamoru war nirgends zu sehen. Ich hatte ihn gar nicht gefragt, wo er überhaupt war, aber das konnte ich noch nachholen. Nach zehn Minuten sah ich, wie ein Auto auf der anderen Straßeseite hielt, ich winkte Mamoru zu und drückte die Hand der Kleinen fest, damit sie spürte, dass alles gut war. Sie hatte seit dem Telefonat nicht mehr geweint, sagte aber auch nichts. Aber sie drückte meine Hand zurück, also war wohl alles in Ordnung. Mamoru kniete sich sofort vor das Mädchen, legte seine Hände auf ihre Schultern und sah sie besorgt an. „Was machst du denn für Sachen? Wo wolltest du denn hin?“ Er strich ihr durch die Haare. Seine Stimme klang kein bisschen böse, er schien wirklich besorgt um sie gewesen zu sein. Plötzlich ließ sie meine Hand los, schlang ihre Ärmchen um seinen Hals und begann zu weinen. Ich verstand kein Wort von dem was sie sagte, aber das musste ich auch nicht. Sie tat mir gerade nur unendlich Leid. Mamoru „Es t-ut m-ir Leid - Ich woll-te d-as ni-cht. I-ch bin a-aufgewacht und war ganz a-llein. Ich habe doch von Pa-pa geträumt u-nd von Mama und v-ermis-se sie und M-assa-norie war nicht da, er h-at mich a-llein ge-lassen, ich h-atte s-o doll A-ngst.“ Sie klammerte sich heftig an mich und weinte jämmerlich. Ich hob sie hoch und drückte sie ganz fest. „Sshh – schon gut. Ist ja alles gut. Ich bin nicht böse.“ Das war das Einzige, was ich aus diesem Tränengerede herausgehört hatte. Hinter mir hörte ich quietschende Bremsen, das Zuschmeißen einer Wagentür und das Nächste, was ich hörte, war ER. „Katrin!“ Er strich ihr über den Kopf und wollte sie mir vom Arm nehmen, doch sie klammerte sich noch mehr an mich und schlug seine Hand fort. „Geh weg! Du bist gemein, ich hasse dich!“ Sie presste ihr Gesicht gegen meine Halsbeuge und ich bemerkte, wie ihr Pulsschlag immer schneller wurde. Sie regte sich auf und zwar viel zu viel für ein kleines Mädchen. Wieder versuchte er, sie von meinem Arm zu nehmen. Doch diesmal war ihre Reaktion eindeutig. „GEH WEG. ICH WILL BEI MAMORU BLEIBEN. DU HAST MICH NICHT LIEB! KEINER HAT MICH LIEB, ALLE GEHEN WEG.“ Obwohl ich sah, wie geschockt Massanorie seine Nichte ansah, hatte ich kein Mitleid mit ihm. Er hatte das selbst zu verantworten. „Kann sie die Nacht bei dir bleiben?“ Er sah mich nicht an, sondern immer noch Katrin. Ich nickte nur, ging einfach an ihm vorbei zu meinem Auto, May folgte mir. May schloss die Wohnung auf und war auch gefahren, denn Katrin wollte mich auf keinen Fall loslassen. „Nezumi-chan? Hast du Lust auf einen warmen Kakao?“ Ich setzte sie aufs Sofa und endlich löste sie Hände und sah mich an. „Was heißt das?“ Sie rieb sich die Augen und schniefte. „Nezumi-chan?“ Sie nickte und ich lächelte, während ich sie aus der Strickjacke pellte. „Also, ‚Nezumi’ heißt Maus und mit dem ‚chan’ wird es so was wie ‚Mäuschen’.“ Mit meiner Hand strich ich ihr die letzten Tränen aus den Augen und sie konnte sich sogar ein kleines Lächeln abringen. „Das klingt schön“, kam es heiser von ihr. Als Massanorie langsam ins Wohnzimmer trat, sagte sie nichts mehr, sondern hielt sich gleich an mir fest. Ich schüttelte nur langsam den Kopf, Katrin ließ los und kuschelte mit ihrem Bären, während ich an Massanorie vorbei ging und ihm mit einem Kopfnicken andeutete, mitzukommen. May tat es uns gleich und während ich in der Küche stand um Kaffee und Kakao zu machen, überlegte ich mir ganz genau, was ich sagen sollte, aber Massanorie machte es mir leicht, mich aufzuregen. „Vielleicht habe ich ja einen Fehler gemacht, aber sie kann nicht machen, was sie will. Ihr hätte sonst was passieren können!“ „Ihr ist aber Gott sei Dank nichts passiert und zwar weil May sie gefunden hat, ein Dankeschön wäre also wohl angebracht.“ Ich warf Massanorie einen verächtlichen Blick zu. Ich sah, wie er May anschaute. „Dankeschön.“ Er meinte es ehrlich, dass konnte man heraushören, aber das reichte mir nicht. May jedoch winkte daraufhin nur ab, setzte sich an den Tisch und atmete tief durch. „Kein Problem. Es war ja auch nur Glück, dass sie mir über den Weg gelaufen ist. Wenn Mamoru nicht von ihr erzählt hätte und sie seine Adresse nicht dabei gehabt hätte, dann-“ „Adresse? Sie hatte deine Adresse?“ Massanorie sah mich wütend an. „Du hast sie auf diese Idee gebracht? Verflucht, wieso? Sie hätte tot sein können.“ Jetzt hatte ich genug. „Es ist meine Schuld? DU hast sie ja wohl allein gelassen. Was hast du dir denn dabei gedacht? Außerdem habe ich ihr meine Adresse nur gegeben wegen meiner Telefonnummer. Sie hatte Angst, dass, wenn ihre Mum kommt, sie mich nicht mehr sieht. Also wollte ich sie beruhigen. Ich konnte ja nicht ahnen, dass du blöder Vollidiot einfach nachts ins dein Büro fährst und sie allein lässt. Ich dachte, du hättest wenigstens ein Quäntchen Hirn. Aber das war ja wohl ein riesiger Irrtum von mir. Entschuldige. Du solltest ein Schild tragen, wo drauf steht: „Ich bin ein Idiot und Versager, vertraut mir nicht eure Kinder an.“ Bist du eigentlich noch ganz dicht in deinem egomanischen Obergeschoss? Ich meine, ‚Hallo’, die ganze Welt dreht sich nicht um dich und deinen Wohlstand. Du bist so egoistisch und selbstverliebt, du merkst gar nicht, wenn du andere Menschen verletzt. Aber nein, der ‚Herr Unnahbar’ rafft das nicht! Ich meine, du hast NULL Verantwortungsgefühl. Selbst eine Küchenschabe hat mehr familiäre Bindungen als du.“ Ich holte Luft und senkte meine Stimme wieder. Jetzt ging es mir besser, das war nach dem heutigen Tag wirklich nötig gewesen. Massanorie aber sah mich nur an, ich rechnete mit einer gleich lauten Antwort, doch es kam – nichts! Er drehte sich um und ging. „Ich hole sie morgen ab.“ Ich ging ihm nach und sah, wie er versuchte, Katrin noch einen Kuss zu geben. Doch sie drehte sich von ihm weg. Er biss sich auf die Lippen, ging an mir vorbei und verschwand. Als ich die Küche wieder betrat, sah mich May vollkommen fassungslos an. „Wow. Was war denn das? Wer bist du und wo hast du meinen Mamoru gelassen?“ Sie tippte mich an und hob eine Augenbraue. Ich setzte mich und holte tief Luft. „Er hat es verdient!“, wisperte ich nur und schaute auf einen Punkt an der Wand. „Kann schon sein, aber-“ Sie seufzte, sagte aber dann nichts mehr. Ich hatte May und mich mit Kaffee und Katrin mit Kakao versorgt. Die kleine Maus saß auf dem Sofa und ihr fielen schon von alleine die Augen zu, ich schmunzelte, während ich sie vom Balkon aus beobachtete. „Er steht noch immer dort.“ Ich drehte mich um und sah May fragend an. „Hmm?“ Ich folgte ihrem Blick und sah das Auto, welches auf der anderen Straßenseite stand. Man konnte es nicht wirklich erkennen, aber anscheinend wusste sie mal wieder mehr als ich. „Er ist das. Als er hinter uns her fuhr, hat er dort geparkt und nun will er wohl die ganze Nacht da bleiben. Ich glaube ja, du warst zu hart zu ihm. Ich meine, ich kenne ihn nicht, doch ich mag ihn nicht – trotzdem – du hast ihn ganz schön runter geputzt.“ Sie nippte an ihrer Tasse und warf mir einen vielsagenden Seitenblick zu. „Ich bring sie ins Bett.“ Meine Stimmung sank wirklich immer weiter, je mehr ich an ihn denken musste. Ich deckte sie gerade zu, als ich ihr seufzend über den Kopf strich. „Er hat dich nicht mit Absicht allein gelassen. Er dachte wohl, dass du schon ein großes Mädchen bist und – er hat einfach mal wieder nicht nachgedacht. Aber deswegen hat er dich trotzdem lieb. Er ist wohl einfach nur nicht gewöhnt, sich um ein kleines Mädchen wie dich zu kümmern.“ Seufzend sah ich Katrin an und lächelte matt. Egal, wie sehr er mich ankotzte, er war ihr Onkel und er schien wirklich verletzt, als sie ihm gesagt hatte, dass sie ihn hasste. „Warum ist er dann einfach weggegangen?“ Sie sah mich mit ihren Kulleraugen an und verstand es wirklich nicht. „Er ist halt manchmal etwas – doof.“ Ich strich mir durch die Haare. „Aber Sano-oji-chan ist nicht immer doof. Er kann auch nett sein, oder? Er kocht mir immer Essen und letztens hat er mir was vorgelesen und meine Puppe hat er auch die Haare gewaschen.“ Sie überlegte und knibbelte an ihren Fingernägeln. Ich nickte nur still und überlegte, dass er wirklich nett sein konnte, auf eine seltsame Art, aber eben nett. Als ich dann doch noch etwas sagen wollte, war sie schon eingeschlafen. Nachdenklich ging ich wieder zu May, welche noch immer auf dem Balkon stand und gerade ihre dritte Tasse Kaffee leerte. Das würde ich sicher noch bereuen, aber es war wahrscheinlich das Richtige. „Ich komm gleich wieder.“ Ich verdrehte kurz die Augen und sah sehr wohl, dass May eines ihrer ‚Es ist schon die richtige Entscheidung’ Lächeln aufsetzte. Mit einer Tasse Kaffee in der Hand, stand ich im Fahrstuhl und versuchte mich am Riemen zu reißen. Vielleicht hatte ich die Sache auch zu nah an mich heran gelassen. Objektivität war hier wohl ein besserer Freund als Wut. Schweren Schrittes ging ich aus dem Gebäude und auf das parkende Auto zu. Man konnte das Glimmen einer Zigarette sehen und ich konnte mir vorstellen, wie er schon mindestens eine Schachtel geraucht hatte. Er hatte die Scheibe etwas heruntergekurbelt, doch er sagte nichts, als ich mich an die Beifahrertür anlehnte. Ohne ein Wort hielt ich ihm den Kaffee hin. Er zögerte, nahm ihn dann aber doch. Ich hörte ein freudiges Winseln und sah, wie sich Sparky seine Schnauze an der Fensterscheibe der Beifahrertür platt drückte. „Danke für den Kaffe.“ Ich nickte nur, was blöd war, denn er sah mich ja gerade nicht. „Willst du die ganze Nacht hier stehen?“ Diese Frage klang bösartiger als beabsichtigt, aber bevor ich es korrigieren konnte, antwortete er. „Darf ich das nicht?“ Es klang enttäuscht, fast schon etwas mitleiderregend. Er hatte sein Kinn auf das Lenkrad gelegt und starrte in die Nacht. „Doch – ich hatte nicht das Recht – ich meine -“ Wieso fiel es mir so schwer, mich bei diesem Mann zu entschuldigen? Das hieß ja nicht, dass ich immer Unrecht hatte. „Schon gut. Ich versteh dich ja. Ich bin ja wirklich ein Egomane, man sollte mir eben nicht sein Kind anvertrauen, aber meine Schwester wollte nicht hören. Die denkt noch immer, dass ich eigentlich ein gutherziger Kerl bin. Tja, scheiß was auf den weiblichen Instinkt, kann ich nur sagen. Wenn meine Mutter das erfährt, bin ich unten durch und mein Erzeuger wird mir sicherlich den Arsch aufreißen, um es noch freundlich zu sagen.“ Er schien wirklich geknickt zu sein, so kannte ich ihn gar nicht. „Willst du mit hoch kommen? Du kannst dich dann morgen noch einmal bei ihr entschuldigen und Sparky würde sicherlich auch lieber oben schlafen als in deinem Auto.“ Mit verschränkten Armen stand ich da und schaute zu meinem Balkon hoch. „Ist das Mitleid?“ „Kann sein. Aber – es ist deine Familie, nicht meine, also habe ich eigentlich kein Recht, mich einzumischen.“ Wie ich es hasste, nicht Recht zu haben. „Das kommt, weil du so einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn hast. Da muss man sich eben immer einmischen.“ Er öffnete die Fahrertür, sah mich an und nahm einen Schluck Kaffee. „Außerdem – sind wir uns in diesem Punkt sehr ähnlich.“ Er schnippte den Stummel seiner Zigarette weg, ließ Sparky aus dem Auto und sah in den Nachthimmel hoch. „Gut, dass ich nur auf Männer stehe, da kann ich wenigstens meine eigenen Kinder nicht verkorksen.“ „Du verkorkst sie nicht. Du kannst nur keine Prioritäten setzen und wenn du sie setzt, dann falsch.“ Ich ging an ihm vorbei und wartete im Fahrstuhl auf ihn. Waren wir uns wirklich ähnlich? Ich konnte das nicht so recht glauben, für mich waren Massanorie und ich so unterschiedlich wie Feuer und Wasser. Als ich als Erster wieder in die Küche trat, sah mich schon Mays ‚Zu irgendetwas wird diese gute Tat schon gut sein’ Blick an. Ich verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf. Sie nickte Massanorie höflich zu, trank ihre Tasse leer und ging an mir vorbei. „Ich werd dann mal abhauen. Wir sehen uns doch an diesem Wochenende, nicht wahr? Nicht vergessen.“ Damit drückte sie mir einen Kuss auf die Wange und verschwand. Als sie fast beim Fahrstuhl war, hielt ich sie noch einmal auf. „Danke, dass du dir die Umstände gemacht hast.“ „Welche Umstände? Ich bitte dich, habe ich doch gern gemacht. Es war halt Schicksal, dass ich die Kleine getroffen habe. Jeden Tag eine gute Tat. Außerdem sehe ich dich doch gerne. Heute Morgen und jetzt, wenn wir uns heute noch einmal sehen, musst du einen ausgeben.“ Sie zwinkerte mir zu, umarmte mich ein letztes Mal und winkte, während sich die Türen des Fahrstuhls schlossen. Seufzend schloss ich meine Wohnungstür und ging in die Küche, wo ein ziemlich betrübter, wenn nicht sogar angeschlagener Massanorie saß und aus dem Fenster starrte. „Du kannst nachher bei Katrin schlafen, das Bett ist groß genug.“ Ich setzte mich ihm gegenüber und begann mir einen Apfel zu schälen. Sparky hatte sich, wie es sich für einen guten Hund gehörte, vor meine Schlafzimmertür gelegt. Er wusste anscheinend, dass Katrin dort drin lag und passte nun wirklich gut auf sie auf. Massanorie nickte nur und man konnte richtig sehen, wie es in seinem Kopf arbeitete. Gott, ich hasste es, wenn mein Kopf anderer Meinung war als ich. Ohne ein Wort zu sagen, schob ich ihm eine Hälfte des Apfels hinüber. Er sah mich forschend an. „Hast du den vergiftet?“ Er nahm die Hälfte und sah mich weiterhin an. „Nein, das wäre zu einfach“, entgegnete ich nur, während ich meine Hälfte aß. Er schmunzelte nur, aß und sah wieder aus dem Fenster. Warum? Warum machte ich mir die Mühe und kümmerte mich um diesen Versager von Mensch? Dieser Kerl hatte es geschafft, mein Leben auf den Kopf zu stellen und es machte mir nicht einmal großartig etwas aus. Wieso war das Schicksal so gemein zu mir? Ohne etwas zu sagen, musterte ich ihn weiter und mir wurde bewusst, dass dieser fiese Kerl gar nicht so fies war, wie er immer tat. „Du solltest dir vielleicht einmal Urlaub nehmen.“ Ich streckte mich und gähnte. „Urlaub ist was für Versager und Weicheier.“ „Oh Entschuldigung! Ich vergas, DU bist Mr. Perfekt und der braucht keine Erholung, in deinem Inneren stecken zwei Duracell Batterien die nie aufgeladen werden müssen. Das einzige Problem ist, dass die dämlichen Hasen aus der Werbung besser aussehen als du.“ „Woher kennst du denn den Duracell Hasen?“ Massanorie schluckte das letzte Stück Apfel hinunter. „Denkst du etwa Japan wäre ein Kaff? Mal ehrlich diesen Werbespott kennt doch jeder.“ Ich schüttelte den Kopf. „Na ja Japan ist nicht unbedingt das Mekka der Welt. Ich meine ihr esst mit riesigen Zahnstochern, dass das Kultur ist, bezweifle ich sehr.“ Sein ekelhafter Zynismus war kaum zu ertragen. Ich hatte seinen verfluchten Arsch gerettet oder May hatte ihn gerettet – egal – Gott er regte mich wirklich auf. „Dafür weiß ich woher ich komme, dass kann man ja von dir nicht behaupten, du hast so wenig Wurzeln wie en Pizzakarton.“ „Ein Pizzakarton war auch mal ein Baum und der hatte Wurzeln, also ist ein Pizzakarton nur eine Weiterentwicklung eines Baumes. Und zu was hast du dich entwickelt? Einer Memme mit Komplexen?“ Wütend ballte ich die Faust, schenkte ihm noch einen giftigen Blick und stand auf. Ich wollte einfach an ihm vorbei gehen, als ich plötzlich spürte, wie er meine Hand festhielt, mich zu sich zog und seine Stirn gegen meinen Bauch lehnte. Es ging so schnell, dass ich nicht einmal wirklich etwas dagegen tun konnte. Ich wollte ihn weg stoßen -. „Tut mir Leid. Sei nicht böse auf mich. Ich bin manchmal einfach ein Ekel, ich bin halt ein gefühlloses Etwas, die Ausgeburt der Hölle, wenn man es mal drastisch ausdrücken will.“ Massanorie Lenjier, der Überboss, das Oberego, entschuldigte sich wirklich bei mir und noch schlimmer, seine Stimme klang so jämmerlich, dass ich Mitleid mit ihm hatte. Also tat ich nichts, blieb einfach so stehen und auch als er seine Arme um mich schlang und sein Gesicht in mein Hemd vergrub, stieß ich ihn nicht fort. Es war ein seltsames Gefühl, diesen Mann, überhaupt einen Mann, so nah an mich heran zu lassen. Massanorie Lenjier Wann war das passiert? Ich wusste es nicht. Als ich gesehen hatte, dass Katrin weg war, da war es wie eine Selbstverständlichkeit gewesen, ihn anzurufen. Er war der Einzige, den ich anrufen konnte. Der Einzige, der sich mit mir privat abgab, auch wenn es mehr Zwang war. Und als ich unten im Auto gesessen hatte, da war alles, woran ich dachte, dass er wütend war; dass er Recht hatte. Nein, ich ertrug es nicht, wenn er wütend war. Irgendwann zwischen dem Moment, wo er in meinem Büro aufgetaucht war und jetzt hatte ich angefangen, ihn zu mögen, angefangen, ihm gefallen zu wollen. Doch ihm war das alles egal, ihm war egal, wie ich hieß, wer ich war, wie die Zahl auf meinem Bankkonto aussah. Er war einer der Ersten die nur auf meinen Charakter schauten und mich deswegen hassten. Wer gesagt hatte, man könne mit Geld alles kaufen, der kannte anscheinend Mamoru nicht. Ich hatte diesen Kerl provoziert, hatte ihn aus der Fassung gebracht, hatte ihn überrascht, habe Grenzen überschritten und trotzdem war er noch da. Ja, ich wusste, es war nicht meinetwegen, es war, weil er für seinen Traum alles tun würde und das schloss ein, mich zu ertragen. Vielleicht imponierte mir das? Aber wenn er bei mir war, dann war es manchmal leichter, ein besserer Mensch zu sein. Männer waren für mich immer nur ein Mittel zum Zweck gewesen, gut genug fürs Bett, aber für mehr nie. Ich nahm mir, was ich wollte und ich bekam es immer. Doch hier musste ich mich bemühen, musste investieren und trotzdem war der Erfolg so gering, dass jeder Andere längst aufgegeben hätte. Doch allein, dass er mich jetzt so nah an sich ließ, war alles wert gewesen. War das wohl eine Art Verliebtheit? Ich wusste es nicht, aber wenn, war es angenehm. Schweigend vergrub ich mein Gesicht weiter in seinem Hemd und war dankbar, dass Katrin gesund war, dass ich sie dank ihm und seiner Freundin gefunden hatte. Dass er in meinem Leben aufgetaucht war. Wie blöd das doch war. Ich war achtundzwanzig Jahre alt und hatte das Gefühl, mich wie ein schrecklich verzogener Teenager zu verhalten. Erst jetzt bemerkte ich, wie gut Mamoru eigentlich roch, und ich brauchte sehr viel Selbstbeherrschung, damit ich nicht etwas Blödes tat. Doch ich besaß leider nicht soviel davon, wie ich gedacht hatte. Es war ein Reflex, dass ich sein Hemd hoch schob und meine Lippen auf seinen Bauch legte und ich war nicht überrascht, dass Mamoru mir dafür sofort eine verpasste. Ich strich mir über den Kopf und verzog das Gesicht schmerzhaft. Aber als ich den Rotschimmer auf seinem Gesicht sah, musste ich schon schmunzeln. Er kommentierte das Geschehene nicht, sondern ging einfach. Aber eine Antwort hatte ich nicht bekommen. Ich holte ihn im Flur ein, nahm erneut seine Hand und drückte ihn gegen die Wand. Er sah mich wütend an, da ich ihm schon wieder viel zu nah auf die Pelle rückte, doch das war egal. Ich beugte mich zu ihm und legte meine Lippen gegen sein Ohr. „Du musst es noch sagen. Sag, dass du mir nicht böse bist.“ Während ich diese Worte flüsterte, bemerkte ich, wie Mamoru sich einerseits immer mehr an die Wand presste, aber andererseits sich seine Nackenhärchen aufstellten. Meine Hand hatte ich gegen die Wand gelehnt, die andere wanderte unter sein Hemd und strich über seine leicht zitternde Haut. Es war einfach köstlich und so wagte ich noch einen Schritt weiter zu gehen, indem ich meine Hand nach unten schob. „Ich wette es würde dir gefallen.“ Flüsterte ich leise, während ich ihm kurz über die Außenseite seiner Ohrmuschel leckte. Er antworte nicht, doch plötzlich spürte ich, wie er seine Hand auf meinen Brustkorb legte und dann war da nur ein unangenehmer Schmerz, der mich veranlasste, ihn los zu lassen und zwei Schritte nach hinten zu torkeln. Ich fasste mir an die Brust, es war so schnell gegangen, dass ich nicht wusste, was passiert war, aber ich fühlte mich gerade nicht gut, fast wie ein Schwindel. Fragend sah ich Mamoru an und musste schlucken. Zwar konnte ich Mamorus Entsetzten sehen, aber dieser wandelte sich sehr schnell in einen Gesichtsausdruck der alles sagte. So hatte mich wirklich noch keiner angesehen. Diesmal war ich zu weit gegangen. Mein Blick fiel auf seine flache Hand und ich konnte den leichten Goldschimmer sehen, der aber innerhalb eines Wimpernschlags wieder verschwunden war. Mamoru kam auf mich zu und tippte mir auf die Stelle, wo seine Hand gelegen hatte. „Das, was ich mit den Pflanzen gemacht habe, kann ich auch anders herum. Also komm mir nie wieder so nah. Denn sonst wird es nicht bei einem kleinen bisschen Energie bleiben.“ Seine Stimme klang wirklich böse und auch warnend. Ich nickte nur und sah ihm nach, während er im Wohnzimmer verschwand. Das war gerade gruselig gewesen. Ich meine, das mit den Pflanzen war seltsam, aber ich hatte es hingenommen. Gut, er war ein Freak, aber das war ich für die Meisten auch. Der einzige Grund, warum ich so gelassen auf diese Sache reagiert hatte, war die, dass ich schon einmal Bücher über solchen paranormalen Quatsch gelesen hatte. Aber so wirklich daran geglaubt hatte ich nie und das mit Mamoru und den Pflanzen hatte ich einfach unter „Seltsam, aber was soll’s?“ abgelegt. Aber DAS hier war absolut unheimlich. Es hatte sich angefühlt, als würde – Gott, es klang so albern, aber als würde man Energie aus mir heraussaugen. Ich fasste mir an die Stelle und atmete tief durch. Da hatte ich mich ja auf etwas komplett Schräges eingelassen. Jetzt hatte Mamoru es geschafft, für mich unter die Kategorie ‚gruselig’ zu fallen. Wie lange ich noch in diesem Flur stand, wusste ich nicht, aber – ich machte mir gerade viele Gedanken über das ‚Für’ und ‚Gegen’, hier zu bleiben. Das ‚Für’ gewann. Ich starrte an die Zimmerdecke, die ich nicht sehen konnte, weil es ja dunkel war und lauschte Katrins leisen Atemzügen und meinen Gedankengängen. Aber trotzdem kam ich mir gerade schäbig vor. Noch vor einer Stunde hatte ich doch gedacht, wie es wäre, mit ihm zu schlafen und nun wollte ich ihm kündigen. Klasse! Ich hasste mein Leben. Angeschlagen, müde, aber nicht fähig, ein Auge zuzubekommen, stand ich auf und verließ das Schlafzimmer. Vorsichtig schaute ich um die Ecke ins Wohnzimmer und stellte fest, dass anscheinend nicht nur ich an Schlaflosigkeit litt. Auf dem Tisch stand ein eingeschalteter Laptop, aber das Sofa war leer. Mein Blick schweifte auf die offene Balkontür und ich sah Mamoru, der auf dem Boden saß und rauchte. Das war wohl auf mich zurückzuführen. Tja, schlechter Einfluss, konnte man nur sagen. Leise nahm ich mir ein Kissen vom Sofa, betrat den kleinen Balkon, legte es auf die gegenüberliegende Seite von Mamoru und setzte mich. Eine Weile sagten wir nicht, doch dann brach Mamoru dieses bedrückende Schweigen. „Sieh mich nicht so an.“ Er klang deprimiert und legte seinen Kopf auf seine Knie, während er die Zigarette auf dem Boden ausdrückte. „Wie denn?“, fragte ich leise. „So, als wäre ich ein Freak, ein tolles Versuchslaborkaninchen, was weiß ich – eben als wäre ich nicht normal.“ Schweigend wandte ich den Blick ab. Ich dachte nach, wollte es verstehen, weil ich ihn wirklich mochte, weil ich wollte, dass er mir vertraute. „Erklär es mir.“ Ich sah ihn direkt und ernst an. „Was?“ Er war völlig perplex. „Ich will, dass du es mir erklärst. Das, was du da machst. Wieso, warum – egal was, erklär es mir. Du willst, dass ich nicht denke, dass du ein Freak bist, dann hilf mir doch dabei und erklär es mir. Du kannst doch nicht erwarten, dass ich es verstehe, wenn du es mir nicht erklärst.“ Ich seufzte, strich mir durch die Haare und sah ihn wieder an. Mamoru aber sah mich schweigend an und schüttelnde dann den Kopf. „Das kann ich nicht. Es würde zu lange dauern und außerdem würdest du es sowieso nicht glauben.“ „Oh, bitte. Meine Nichte glaubt an ein Mädchen im Matrosenanzug, das die Welt rettet, da wird ja wohl etwas Phantasie bei mir hängen geblieben sein“, konterte ich schmunzelnd. „Genau da liegt das Problem.“ Ich verstand nicht, was Mamoru meinte, aber ich sah ihm an, dass es ihm schwer fiel, mir einen Korb zu geben. „Ich kann raten?“ „Was?“ „Ja, du sagst, du kannst es nicht sagen. Dann rate ich so lange, bis ich genug weiß, dass du es mir erzählen kannst.“ Ich lächelte und stupste ihn mit meinem Fuß an. „Du bist doch verrückt.“ Er schüttelte nur den Kopf und sah in den Himmel. „Den kenn ich schon. Also fangen wir an.“ Ich sah Mamoru fragend an und überlegte, wie und was ich fragen konnte. „Fangen wir simpel an. Du kannst meine Pflanzen gesund machen? Mit Energie?“ Ein Nicken. „Gut. Und du kannst das auch andersherum – also Energie weg nehmen?“ Wieder ein Nicken. So machten wir weiter, bis ich eine Stunde später so eine ungefähre Ahnung hatte, was Mamoru alles konnte. „Zusammengefasst. Du kannst Lebewesen Energie geben und wegnehmen. Und wenn du sie gibst, dann ist es immer etwas von deiner Energie und du machst das mit diesem komischen goldenen Licht, was ich vorhin gesehen habe. Richtig bis jetzt?“ Er nickte. Die ganze Zeit hatte er nur genickt oder den Kopf geschüttelt. Obwohl er auch ein-, zweimal gelacht hatte, als ich gefragt hatte, ob das mit einer Alienentführung zu tun hatte. „Siehst du, ich glaube es bis jetzt. Obwohl eine Vorführung schon toll wäre.“ Ich wollte es mit meinen eigenen Augen sehen, auch, wenn es noch immer schwer zu glauben war. Aber ich glaubte ihm und obwohl es noch immer seltsam war, war die Spalte ‚gruselig’ gestorben. Mamoru sah mich zögernd an. „Tut mir Leid – ich meine das vorhin im Flur. Ich – ich weiß auch nicht. Du bist aber auch selber schuld, du hältst dich eben nicht an solche Dinge wie – na ja, du weißt, was ich meine.“ Ich nickte nur und lächelte. „Ja, ich weiß. Aber hätte ich gewusst, dass du so was kannst, dann hätte ich es mir sicherlich noch einmal überlegt – vielleicht.“ Mamoru seufzte und schüttelte den Kopf. „Ich habe eine Zimmerpflanze in der Küche, aber die bring ich jetzt nicht deinetwegen um.“ „Mach’s bei mir“, kam es schnell von mir. Erschrocken sah er mich an. „Ich mein das ernst. Du kannst mir das ja wiedergeben, was du mir geklaut hast.“ „Ich hol die Pflanze, sonst gibst du ja keine Ruhe“, kam es schnell von ihm. Er stand auf, ging an mir vorbei und kam nach einigen Minuten mit einer kleinen Pflanze wieder. Zögerlich sah er mich an, er vertraute mir noch immer nicht, das merkte man nur zu deutlich. Schweigend rückte ich näher und tippte ihm an die Schläfe. „Ich weiß, ich bin rücksichtslos und ein Egomane, aber – ich will, dass du mir vertraust, vollkommen. Bitte zeig es mir.“ Man konnte sehen, dass er wirklich darüber nachdachte und dann entschloss er sich, es zu versuchen. Zu versuchen mir zu vertrauen, dass musste schwer für ihn sein, da waren wir uns gleich. Völlig fasziniert sah ich zu, wie er die Augen schloss und sich wieder dieses warme Licht bildete, man konnte sehen, wie die Pflanze langsam verwelkte. Plötzlich stoppte der Prozess und die Pflanze wurde wieder so wie zuvor. Mamoru seufzte, nahm die Hände von der Pflanze und das Licht erlosch. Sprachlos saß ich neben ihn und tippte an die Pflanze. Mamoru hatte sein Kinn auf die Knie gelegt und sah mich prüfend an. „Krass“, entfuhr es mir nur, ich nahm Mamorus Hand und sah sie mir an. „Gut, dann weiter, jetzt kenn ich die Theorie und jetzt alles andere.“ Mamoru verdrehte die Augen. „Das ist zu kompliziert.“ „Du hast hier gerade die absolute Parascheiße abgezogen und sagst mir, dass ich keine Infos mehr bekomme?“ Meine Hand legte sich auf seinen Kopf und strubbelte ihm durch die Haare. Er überlegte, dass sah ich ihm an. Und dann begann er es einfach zu erzählen... ...es war kurz vor sechs Uhr morgens. Irgendwann hatten wir uns wieder ins Wohnzimmer gesetzt und nun drückte ich meine letzte Zigarette in einem provisorischen Aschenbecher aus. Mamoru hatte vor einer halben Stunde seine Geschichte beendet, ich hatte nichts mehr gesagt seitdem, sondern hatte mir das alles noch einmal durch den Kopf gehen lassen. Irgendwann in den letzten zehn Minuten war Mamoru aufgestanden und war duschen gegangen. Er schien verunsichert was mich anging und wollte deswegen wohl nicht in meiner Nähe sein. Ich sah an die Decke und versuchte alles logische Denken auszuschalten, als ich plötzlich ein leises Winseln hörte. Lautlos stand ich auf und schaute um die Ecke in den Flur. Mamoru stand mit tropfenden Haaren, einem Handtuch in der Hand, mit T-Shirt und Shorts bekleidet im Flur und schaute auf den Boden. Sparky saß vor ihm und sah zu ihm hoch, während er Mamoru anstupste. Ich sah die Tränen, die an seinem Kinn hinunter tropften. Anscheinend hatte er mich gar nicht bemerkt, denn er blieb einfach dort stehen und kraulte Sparkys Kopf. Vielleicht hatte mein Schweigen, als er fertig gewesen war, mehr Schaden angerichtet als ich dachte. Ohne auf mich aufmerksam zu machen, ging ich wieder zurück, setzte mich in den Sessel und dachte nach. Als Mamoru nach weiteren zehn Minuten wieder hereinkam, lächelte er mich an. Wie ich es hasste, dieses aufgesetzte Lächeln. Schweigend sah ich ihn an, während er sich wieder auf die Couch setzte. Sparky legte sich neben mich und sah zu mir hoch, so als wolle er mir sagen, dass ich etwas sagen sollte. Doch was soll man sagen, wenn man solch eine Geschichte zu hören bekommt? Soll man sagen ‚Ist alles klar! Glaube ich dir!’ Ich meine, es ist nicht so leicht, zu glauben, dass es so jemanden wie Sailor Moon oder Wiedergeburt und so einen Rotz wirklich gab. Mein Blick blieb auf Mamoru liegen, er rieb dich die Haare mit dem Handtuch trocken und wich meinem Blick aus. Es musste schwer sein, wenn man niemanden hatte, dem man so etwas sagen konnte. Und nun – nun hatte er es mir erzählt. Hatte ich es denn nicht so gewollt? Ich wollte, dass er mir vertraute und dies war der Moment, wo ich irgendetwas Intelligentes sagen sollte, doch was? Weiter darüber nachdenken brachte mich nicht weiter, also stand ich auf, setzte mich neben ihn und nahm ihm das Handtuch weg. „Das mit diesem Energiegedönse – das kannst du nur mit den Händen, oder?“ Er nickte - mal wieder – sein Blick zeigte mir, dass er nicht wusste, was ich jetzt von ihm wollte. Ohne noch ein weiteres Wort zu verschwenden, packte ich seine Hände, drückte ihn mit aller Kraft nach hinten und beugte mich über ihn. Meine Nasenspitze berührte die seine und ich sah das Entsetzen in seinem Gesicht. „Lass mich los!“, zischte er mich an, doch ich schmunzelte nur und drückte seine Hände weiterhin über seinem Kopf auf das Sofa. „Keine Lust. Du denkst, ich glaube dir nicht – ich kann dir aber nur sagen, - ich weiß es selber nicht. Aber ich weiß, dass es dich verletzte, würde ich sagen, dass du verrückt bist und das will ich nicht. Denn wenn du das mit den Pflanzen kannst, warum soll nicht auch alles andere stimmen?“ Ich lächelte ihn an. Beugte mich tiefer und strich mit meiner Nasenspitze über seinen Hals, ich musste seine Hände ganz schön festhalten, denn er wehrte sich sehr. Langsam legte ich meine Lippen auf seine Haut und küsste ihn, während ich mit meiner Zungenspitze kleine Kreise nachzeichnete. Sein Puls wurde schneller und er wandte sich unter mir, was ich nur noch reizvoller fand. „Du stellst dich ganz schön an.“ Ich richtete mich wieder auf, sah ihm wieder ins Gesicht und lächelte ihn nett an. „Es war doch nur dein Hals. Außerdem würde es dir vielleicht sogar gefallen, wenn du nicht so schrecklich stur wärst.“ „Ich bin aber nicht schwul!“, gab er mir giftig als Antwort. „Habe ich auch nicht behauptet. Außerdem bist du ganz schön diskriminierend.“ Darauf sagte er nichts, sondern schnappte nach Luft. Ich grinste ihn frech an und wollte mir eigentlich nur noch einen kleinen Scherz erlauben. Ich fuhr erneut mit meiner Zungenspitze über eine kleine Stelle seines Halses, kratzte leicht mit meinen Zähnen daran entlang und biss dann etwas zu. Doch dass ich dann ein kleines Seufzen hörte, überraschte mich. Ich sah Mamoru an und konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. „Da steht jemand auf Schmerzen. Ein kleiner Masochist bist du also.“ Mamoru aber wurde puterrot. „Das ist nicht war, also geh endlich von mir runter“, keifte er mich an. Ich ließ ihn los, völlig schockiert richtete sich Mamoru wieder auf, räusperte sich und strich sich über die Stelle, wo ich ihn gebissen hatte. „Mach das nie wieder. Und außerdem bin ich nicht diskriminierend, ich steh nur nicht darauf, wenn Männer über mich herfallen.“ Damit hatte sich das Thema gegessen. Er hatte nun ein anderes Thema, über das er sich aufregen konnte und hatte wohl die Sache mit der Geschichte vergessen – vorläufig. Die nächste Stunde durfte ich mir nun anhören, warum er a) nicht diskriminierend war, b) ich ihn nie, nie, nie wieder anfassen sollte und c) dass er nicht geseufzt hatte wegen dem Beißen, sondern weil er von mir genervt war und ich eigentlich in eine Klapse gehörte. Das von einem Kerl, der behauptete, ein wiedergeborener Prinz zu sein, der Pflanzen heilen konnte, der behauptete, seine Ex wäre eine ehemalige Prinzessin sowie Sailor Moon und auch noch sagte, dass er zwei sprechende Katzen kennen würde. Ich aber nickte nur, schmunzelte und fragte mich, wie das hier wohl noch weiter gehen würde. --------------------------------------------------------------------------------- *²die Adresse gibt es wirklich nur ist es in echt eine Bücherei Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)