Hoffnung zu Asche von matvo (Schatten und Licht, Band 2) ================================================================================ Kapitel 9: Ankunft in Palas --------------------------- Direkt vor Hitomis Nase öffnete sich die Rampe, die aus der Katzenpranke hinaus führte. Nervös zupfte sie an dem roten, reich bestickten Gewand, das sie als eine Diplomatin Farnelias kennzeichnete. Vor sich sah sie das Ladenfeld von Palas, der Hauptstadt Astorias, das hoch über den Dächern an einem Hang lag, und dahinter erblickte sie das glitzernde Meer unter der im Zenit stehenden Sonne. Ein Weg mit vielen Wendungen ermöglichte es Personen den Berg hinauf zu kommen. Das Schiff war umzingelt von der Leibwache des Königs Astorias. In ihren makellosen Uniformen und mit ihrem gepflegten Aussehen erlag Hitomi beinahe der Versuchung sie zu unterschätzen, doch die stahlharte Haltung verriet, dass sie es auf dem Landefeld auch zum Äußersten kommen lassen würde, wenn es ihr Auftrage es erforderte. Hitomis eigene Leibwache jedoch bestand nur aus zwei Brüdern, Parn und Torren, die Merle ausgewählt hatte, weil sie ihnen vertraute. Nicht wegen ihrem Können. Die restlichen Soldaten aus Farnelia waren einzig und allein für die Sicherheit an Bord zuständig. Sie gab den Personen hinter ihr einen Wink, woraufhin sie sich von ihren Bewachern los rissen. Sieben Männer liefen auf das Landefeld hinter die Schützende Linie der anderen Leibwache, wo sie sich sammelten. Hitomi atmete noch einmal tief durch und begab sich mit ihren Beschützern auf das weiße Gestein der Plattform. „Verhaftet sie!“, schrie der Gesandte Astons, der unter den Freigelassenen war. „Sie ist die Gesuchte! Sie hat sich König Aston widersetzt.“ Ein Soldat der Leibgarde, der der Kommandant zu sein schien, nickte seinem Nachbar zu, der sich vor den ehemaligen Gefangenen aufbaute und so für Ruhe sorgte. Die Lücke in der Formation wurde sofort geschlossen, indem alle einen Schritt vor taten. „Hitomi Kanzaki, hiermit seid ihr verhaftet. Widerstand ist zwecklos.“, verkündete der Offizier. „Über eure letzte Vermutung können wir uns gerne streiten, Soldat,“, meinte Hitomi beinahe keck, während die Brüder neben ihr nach den Schwertern griffen. Bei so viel Eifer, dachte Hitomi, wird es schwierig sein sie zu beschützen. „aber verhaftet bin ich auf keinem Fall. Ich bin Gesandte seiner Majestät Van de Farnel, König von Farnelia, und nur hier, um eine Audienz bei König Aston zu bitten. Nehmt ihr mich fest, wird wohl kaum ein Diplomat sich je wieder auf Astorias Boden sicher fühlen.“ „Kein Monarch würde es wagen, einer Verbrecherin diplomatische Immunität zu gewähren.“, zweifelte der Soldat entschlossen. Zur Antwort streckte Hitomi ihre rechte Hand aus den Ärmel heraus und enthüllte so einen Bogen Papier, der das Siegel Farnelias trug. Die Augenbraue des Soldaten zuckten. „Ich bin hier um mit seiner Majestät zu reden. Lasst mich sofort zu ihm.“ „Das ist unmöglich!“, beharrte er. „Seine Majestät hat viel zu tun. Ehe er sich nicht bereit erklärt euch zu empfangen, könnt ihr nicht zu ihm.“ „Dann bringt mich in ein Gästezimmer!“, schlug Hitomi versöhnlich vor. „Ich werde dort auf eine Audienz warten.“ Der Soldat nickte zähneknirschend und verbeugte sich. „Besorgt mir eine freundliche Eskorte und eine ordentliche Kutsche. Ich werde nicht in einem Gefängnis zum Palast fahren.“, verlange sie mit Blick auf das schwer gesicherte, aber schmucklose Gefährt auf dem Landefeld, vor dem zwei Schlachtrösser eingespannt waren. „Ich warte solange in meinem Schiff. Wenn ihr meinen Wünschen nachgekommen seid, lasst mich von meiner Leibwache rufen.“ Mit erhobenen Haupt ging sie über die Rampe zurück auf die Katzenpranke. Hinter ihr postierten sich Parn und Torren an der Tür. Im Innern ihrer kleinen Festung atmete sie erleichtert aus. Sie fand, das erste Treffen wäre besser gelaufen als erwartet. „Ihr habt sie nicht hergebracht?“, beschuldigte Aston seinen Untergebenen im Thronsaal. „Soll ich sie persönlich verhaften? Oder wie habt ihr euch das gedacht, Hauptmann?“ Der Soldat hatte mit dieser Reaktion seines Königs gerechnet und zeigte das richtige Maß an Reue. Schließlich war nicht umsonst der Kommandant der politisch meist brisanten Einheit der Armee. „Auf euren Befehl würde ich selbst eine Diplomatin gefangen nehmen, euer Majestät.“, versicherte er. „Aber es steht mir nicht zu über so wichtige Angelegenheiten zu entscheiden.“ Hinter Aston beugte sich Trias vor und flüsterte: „Er hat Recht, euer Majestät. Eure Herrschaft über das Bündnis ist noch immer instabil. Ein Skandal dieser Tragweite würde die Allianz sprengen.“ Aston quittierte diesen Rat mit einem Grollen. „Ihr könnt gehen. Gebt ihr, was sie verlangt!“, befahl Aston herrisch. Nachdem der Soldat den Raum verlassen hatte, wandte sich Aston seinem Ratgeber zu. „Und was würdet ihr stattdessen vorschlagen?“ „Ich bin noch mit einer anderen Nachricht zu euch gekommen. Sie ist zweifelsohne sehr schrecklich, aber nicht dringend, daher wartete ich auf einen günstigen Moment. Ich schätze dieser ist besser als alle anderen.“, erklärte Trias ausschweifend. „Was gibt es denn, dass jetzt von Bedeutung sein könnte?“ „Die Truppen der Gezeichneten in Chuzario bereiten sich auf eine Invasion von Farnelia vor. Es wird nur ein kleiner Teil der ehemaligen Bevölkerung sein, dennoch wird er so groß sein, dass die paar hundert Mann große und schlecht ausgerüstete Armee Farnelias keine Chance gegen sie haben wird.“ Aston war entsetzt. „Das sagt ihr mir erst jetzt? Wie lange wisst ihr davon.“ „Auch erst seit heute Morgen.“, behauptete Trias. „Das Vertrauen eurer Majestät in meine Dienste würde ich nie gefährden.“ „Fahrt fort!“, seufzte Aston müde. „Lasst die Anklagen gegen das Fräulein Hitomi fallen.“ „Sie sind mein bestes Druckmittel, um sie hier zu behalten.“ „Sie ist bereits hier.“, konterte Trias. „Aber ihr werdet sie ziehen lassen müssen. Zweifellos werden das Fräulein und ihr König innerlich von jugendlicher Ungeduld zerfressen und durch kindliche Übermut getrieben. Sie werden sehr bald heiraten.“ „Niemals!“, brüllte Aston aufgebracht. „Bitte habt Geduld, euer Majestät, und euch wird nicht nur bald die Liebe dieser jungen Frau, sondern auch Farnelia gehören.“ „Wie?“ „König Van wird sowohl sein Volk als auch sein frisch vermählte Braut vor dem Angriff in Sicherheit wissen wollen. Versagt ihm die militärische Unterstützung mit der Begründung, dass er selbst seinen Pflichten gegenüber der Allianz nicht nachgekommen sei, was ja auch stimmt. Dennoch bietet ihr ihm großzügig zivile Hilfe an. Richtet Flüchtlingslager in Astoria für die gesamte Bevölkerung Farnelias ein und lasst sie mit der Handelsflotte eures Schwiegersohns und des Bündnisses, das er unter den Händlern geschmiedet hat, dort hin bringen. Der König wird nicht Nein sagen können, hat er doch selbst die Zerstörung von Farnelia einmal miterlebt. Er wird auch seine Frau wegschicken, wahrscheinlich in eines der Lager, damit die Bevölkerung ebenfalls geht. Er muss jedoch bleiben, sonst verwirkt er seinen Anspruch als Beschützer des Landes, er und sein Heer. Gebt ihnen eine minderwertige Technologie, die sie Hoffnung schöpfen lassen wird, und sie werden auf den Mauern Farnelias kämpfen und sterben.“ „Du weißt, das diese Opfer nicht mit meinem Schwur vereinbar sind?“, erkundigte sich Aston beunruhigt. „Eure eigenen Grenzen werden dank der Festung Orio vollkommen sicher sein. Wenn der Angriff der Monster vorüber ist, schickt eure neue Luftflotte aus und befreit Farnelia.“, sprach Trias unbeirrt weiter und ging dabei beinahe verträumt auf und ab. „Die Verluste werden nur minimal sein. Die Königin von Farnelia, eine unverheiratete Frau, wird euch auf ewig dankbar sein. Und sie wird euch ehelichen, sogar freiwillig und ohne etwas zu ahnen. Die meisten Witwen Farnelias werden sich neue Männer suchen und sie werden sie in der Armee von Astoria finden, die ihre Heime beschützt. Die Männer, denen ein solches Glück vergönnt ist, werden Höfe besitzen. Und jeder Mann, der gestorben ist, hat sein Leben nicht für euer Liebesleben gegeben, sondern damit die Bürger Astorias wieder für einen angemessenen Preis Lebensmittel kaufen können, dank der Kornkammer Farnelia.“ „Dafür muss ich aber Menschen opfern.“, wandte Aston ein. „Habt ihr nicht schon oft so gehandelt?“, fragte Trias herausfordernd. „Was sind ein paar hundert Leben eines fremden Landes, die glorreich sterben, gegen tausende Bürger von Astoria, die langsam am Hunger verrecken?“ Aston biss sich auf die Lippen. Ihm gefiel die Idee nicht, doch er sah auf die Schnelle keinen anderen Weg. Und schnell musste er sich entscheiden, den sein Herzblatt war bereits auf den Weg zu ihm. „Einverstanden.“, meinte er erschöpft. „Ich werde alles in die Wege leiten.“ „Soll ich Draiden kommen lassen?“ „Ja, schickt aber auch nach meiner Tochter Milerna.“ „Waren wir uns nicht darüber einig, sie aus der Politik in Zukunft raus zu halten.“, wunderte sich Trias. „Sie wird sich aber nicht heraus halten. Draiden wird es ihr mit Sicherheit erzählen. Er wird unsere Lösung bevorzugen, da sie weniger Menschenleben kostet und er genau weiß, dass Van für sich selbst verantwortlich ist. Milerna jedoch hat sich schon in Fraid eingemischt und sie wird es wieder tun. Wir müssen sie ausschalten.“ „War es nicht euer Schwur, dass niemand für eure Liebe dem Mädchen gegenüber sterben sollte?“ „Ja, das war es.“, sagte Aston bedächtig. „Geht jetzt!“ Mit weit aufgerissenen Augen sah sich Hitomi in dem großen, hellen Raum um, den man ihr zur Verfügung gestellt hatte. Ihre Eskorte hatte sie zusammen mit der Dienerin weggeschickt. Unter dem Denkmantel den Brüdern Zeit zu geben, ihre eigenen Quartiere kennen zu lernen, hatte sie Zeit für sich allein verschafft. Staunend betrachtete sie das große, reich verzierte Bett und die wenigen, mit filigranen Schnitzereien geschmückten Möbel. Enttäuscht stellte sie fest, dass es wirklich nur der eine Raum war. Ohne ein eigenes Badzimmer oder einer Küche wird sie den gemeinsamen Mahlzeiten mit all den hohen Herren, die gerade im Palast weilten, kaum aus dem Wege gehen können. Sie schauderte bei dem Gedanken, dass jeden Moment mehrere Dienerinnen vor ihrer Tür stehen werden um ihr mitzuteilen, dass ein Bad für sie eingelassen worden sei. Natürlich wird sie unmöglich ablehnen können. Seufzend ging sie zu einem Fenster und schaute über die Dächer der Stadt hinweg auf das Meer. Irgendwie hatte Hitomi das Gefühl, das Fremde stetes mehr über ihr eigenes Schicksal wussten als sie selbst. Als Van König wurde, war sie dabei gewesen. Sie hatte quasi in der ersten Reihe gesessen, nur Vargas und die restlichen Samurai waren näher dran gewesen, während Merle, die langjährige Vertraute von Van nicht einmal zur Krönung eingeladen worden war. Als sie dann das erste Mal nach Palas kam, hatten drei Dienerinnen sie gebadet. Wie peinlich das gewesen war! Sich in einem Raum zusammen mit Dutzenden anderen Leuten zu waschen, war ansatzweise so entblößend, wie die Aufmerksamkeit der Dienerinnen damals. Und dann war da noch das Kleid, das ihr Milerna geschenkt hatte. Die Leute im Hafen müssen gedacht haben, sie wäre eine Adlige, während Merle, die ihr Leben lang schon in einen Palast gewohnt hat, wie immer nur ihr Leibchen getragen hatte. An die abschließende Mahlzeit dieses Tages erinnerte sich Hitomi mit Scham. Dass sich Allen von ihr distanziert hatte, war ihre eigenen Schuld gewesen. Merle, die sich wahrscheinlich viel besser am Tisch geschlagen hätte, hatte nicht einmal einen Sitzplatz bekommen. Als nächstes kam Hitomi die versuchte Entführung in der folgenden Nacht in den Sinn, welche sich lediglich nur als die erste von vielen herausstellen sollte. Es war bisher der einzige Versuch von Aston gewesen, sie für sich in Anspruch zu nehmen, von den Ereignissen der letzten Tage mal abgesehen. Was für einen Grund er wohl gehabt hatte? Damals war es doch noch gar nicht erkennbar gewesen, welche Rolle sie in den heraufziehenden Krieg spielen sollte. War es, weil sie anders gewesen war? Wenn Van sie nicht gerettet hätte, was wäre aus ihr geworden? Ein exotisches Spielzeug, das man weg werfen konnte, wenn es langweilig geworden war? Was hatte Vargas in ihr gesehen, als er sie behandelte hat, als wäre sie eine hoch gestellte Persönlichkeit? Ihn konnte Hitomi leider nicht mehr fragen und Aston wollte sie nicht fragen. Bedrückt stellte sie fest, dass sie es wohl nie verstehen werde, warum gerade ihr die Türen zu einer Welt geöffnet worden waren, die normal sterbliche nur in ihren Träumen kannten. Keinen Zweifel jedoch hegte sie an den Grund, der sie durch diese Tür hindurch geleitet hatte. Ein scharfes Klopfen drang durch die Tür. „Herein!“, gab Hitomi ihre Zustimmung. Etwas zu nachlässig, wie ihr einen Moment später auffiel. Wie sie erwartet hatte, betrat eine blau gekleidete Frau ihr Zimmer. „Fräulein, euer Bad ist bereit.“, informierte die Dienerin Hitomi. Und schon geht’s los, dachte sie säuerlich. „Bitte zeigt mir den Weg.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)