Metamorphosis into Immortality von RinRin (A Vampire's Tale I) ================================================================================ Kapitel 4: Kapitel 4 -------------------- Kapitel 4 Es war zu Ende des 18. Jahrhunderts. Ich war 20 und meine Eltern lebten mit mir auf meinem Grundstück oder eher gesagt dem meines Vaters - eine typische Situation der damaligen Zeit. Eine Generation lebte neben einer anderen zusammen. Ich saß damals in einem hohen Sessel vor dem Kamin und lies mich wärmen, versuchte mich irgendwie von dem anstrengenden Arbeitstag zu erholen. Draußen tobte ein wilder Sturm, der mich immer wieder beunruhigt einen Blick nach draußen werfen ließ. Mein Vater saß mir im Rücken über einen Tisch über Arbeit gebeugt. Er war immer der Meinung gewesen, dass ich nicht fähig war einen eigenen kleinen Betrieb zu führen. Umso mehr strengte ich mich immer an, um ihm das Gegenteil zu beweisen. Ich schaffte es auch, dass ich ihm und meiner Mutter das Dach über dem Kopf sichern konnte, als mein Vater sich Hals über Kopf in Schulden verstrickt hatte und keinen Ausweg mehr fand, als entweder meine Hilfe anzunehmen, oder unseren ganzen wenigen Besitztümer zu verlieren. Er warf mir zwar dennoch immer vor, ich würde es sonst zu nichts weiter bringen, wenn er nicht auch ein Auge darauf haben würde, aber ich überhörte es irgendwann schon. Ihm fehlte einfach ein Enkel, ich selbst hätte ihm schon lange eine Schwiegertochter vorstellen sollen, aber ich hatte andere Interessen. Außerdem glaubte ich viel zu sehr an die einzig wahre große Liebe und auf diese wollte ich nun einmal warten. Aus diesem Grund machte ich mir nicht viel aus seinen Vorhaltungen, versuchte stattdessen ihn als Sohn, als Hofbesitzer stolz zu machen, auch wenn es mir nicht immer so gelang, wie ich es gedacht hatte. Meine Mutter lag an diesem Abend im Schlafzimmer und schlief. Sie war schon immer eine so zierliche Person gewesen und hatte jeden Virus eingefangen. Und auch in diesen kalten Novemberwochen war sie wieder erkrankt. Doch das war nicht das Schlimmste. Sie war hochschwanger. Es sollte nur noch eine Frage der Zeit sein, bis die Geburt sein würde. Und in dieser kalten Gewitternacht war es schließlich so weit. Plötzlich hörten mein Vater und ich diesen markerschütternden Schrei. Mein Vater wusste sofort Bescheid, was los war und warf mir nur noch wie ein Wilder Anweisungen entgegen. Ich konnte nicht anders als zu gehorchen und den Arzt zu rufen, der endlos lange Minuten später auch eintraf. Er untersuchte meine Mutter und wies mich irgendwann an aus seiner Praxis noch das ein oder andere Medikament zu holen. Und so fand ich mich wenige Minuten später, ob ich wollte oder nicht, in der kalten Nacht wieder. Ich war schon vollkommen durchgeweicht durch den Regen und zitterte am ganzen Leib vor Kälte, als ich die Praxis erreichte. Schnell hatte ich alles zusammen, was er wollte, und machte mich auf den Rückweg. Es regnete immer noch in Strömen, immer wieder durchzuckten grelle Blitze den Nachthimmel und dieser ohrenbetäubende Knall im selben Moment ließ auch mich zusammenzucken, erschrocken umdrehen und mich vergewissern, dass der Blitz nicht gerade direkt um mich herum eingeschlagen hatte. Ich presste die braune Papiertüte an meinen Körper, versuchte den Inhalt darin zumindest etwas zu schützen, während ich weiter gegen den Regen ankämpfte. Und dann, ich kam gerade an eine Kreuzung, an der ich rechts abbiegen musste, sah ich sie unter schützenden dicht gewachsenen Nadelbäumen direkt vor mir auf der anderen Straßenseite. Es war eine schemenhafte Gestalt, kaum mehr als ein Schatten. Ich erkannte nur ein einzig schwarzes Etwas. Ich verlangsamte unwillkürlich meinen Schritt, als ich meinen Blick nicht von dieser Gestalt lassen konnte. Irgendwann konnte ich einfach nicht mehr weitergehen, sondern stand wie erstarrt da. Sogar den Regen ignorierte ich, diese dünnen Rinnsalen, in denen das Wasser von meiner Kleidung auf den Boden tropfte. Langsam und genau musterte ich einfach nur diese Gestalt - ich konnte damals nicht ausmachen, ob Mann oder Frau. Heute wusste ich, dass er es war, mein späterer Schöpfer. Er trug einen knielangen schwarzen Mantel mit Kapuze, die er weit in sein Gesicht gezogen hatte. So konnte ich sein Gesicht nicht sehen, trotzdem spürte ich, dass sein Blick direkt auf mich gerichtet war. Ich fühlte mich wie angezogen von ihm und konnte mir nicht erklären, wieso. Ich kannte ihn noch nicht einmal, ich hatte ihn noch nie gesehen. Für den Moment vergaß ich alles um mich herum, den Regen, die Blitze, dass ich nur noch mehr durchnässt wurde. Dann schlug der Blitz zwischen uns auf dem Boden ein und ich musste vom grellen Licht geblendet meine Augen zusammen. Als ich sie wieder öffnete, stand er nicht mehr dort. Im selben Moment kam es mir schlagartig wieder in den Sinn, dass ich nach Hause musste. Ich ignorierte die Gestalt und welche Gedanken ich mir darum gemacht hatte, und widmete mich meinem Heimweg. Ich spürte zwar noch lange einen Blick in meinem Rücken, auch wenn ich nicht mehr wusste, wo er nun war, denn ich wagte nicht mehr mich umzudrehen. Zu Hause angekommen war immer noch alles wie vorher: Mein Vater stand vor dem Schlafzimmer, ging unruhig davor auf und ab, und der Arzt kümmerte sich um meine immer noch laut stöhnende Mutter. Kaum sah mein Vater mich, nahm er mir sofort die Tüte ab und stürmte regelrecht in das Zimmer. Er sprach einige Worte mit dem Arzt, der die Tüte und den Inhalt davon sofort zu sich nahm und meinen Vater wieder aus dem Zimmer lotste. Es vergingen weitere, endlos lange Minuten. Mein Vater hatte in seiner Sorge nichts besseres zu tun, als mir vorzuwerfen, ich hätte mich ruhig beeilen können. Ich verschwieg ihm besser, dass ich aufgehalten worden war. Denn wenn ich auch nur das kleinste Wort von der Gestalt erwähnt hätte, hätte er auch erfahren, dass diese nichts gemacht hatte, außer dort zu stehen und mich anzusehen. Und davon konnte man sich ja wirklich nicht ablenken lassen. Oh ich konnte mir damals die Worte meines Vaters fast schon denken. Vielleicht auch deswegen verschwieg ich ihm diese Begebenheiten besser. Außerdem gab es genug anderes in diesem Moment, was viel wichtiger war. Irgendwann ebbten die Schreie meiner Mutter ab. Kein Laut war mehr zu hören aus dem Zimmer. Mein Vater bekam es sichtlich mit der Angst zu tun, als sich erst weitere Minuten später langsam die Tür öffnete und der Arzt schweißgebadet heraus trat. Er schüttelte nur den Kopf und sowohl mein Vater als auch ich wussten, was er damit meinte. Er konnte meiner Mutter nicht mehr helfen, genauso wenig wie dem ungeborenen Kind. Mein Vater nahm die Nachricht im ersten Moment gut auf, doch schon als der Arzt weg war, ließ er all seine Gefühle zu - und an mir aus. Natürlich gab er mir die Schuld daran. Hätte ich mich mehr beeilt, wäre das nicht geschehen. Erst am nächsten Tag, als ich noch mal selbst mit dem Arzt gesprochen hatte, erfuhr ich, dass auch das, was ich holen musste, nicht mehr wirklich geholfen hätte. Heute wusste ich, dass es damals normal war, dass schon die kleinste Erkältung zum Tode führen konnte. Die Ärzte standen dem so machtlos gegenüber, denn sie waren noch lange nicht so ausgebildet. Der Fortschritt in der Medizin kam schließlich erst mit der Zeit. Heute hätte meine Mutter wohl ohne weiteres überleben können. Mein Vater sah es jedenfalls selbst nicht ein, dass man nicht mehr tun konnte, und er konnte wohl auch nicht ahnen, wie sehr ich noch weiter darunter litt, dass er mir nun alle Schuld gab. Wir stritten uns jeden Tag, mal mehr, mal weniger. Das war seine Art mit seiner Trauer umzugehen: mit Wut und Verachtung. Ich selbst hatte vollkommen allein mit meiner zu kämpfen. Meine Mutter war mein ein und alles. Das schlechte Verhältnis, das ich schon immer zu meinem Vater hatte, machte sie mit ihrer Liebe und Fürsorge zu mir wett. Ich fühlte mich regelrecht allein gelassen, als sie gestorben war. Fast jeden Abend, nachdem mein Vater von der Arbeit erledigt in das Haus kam und wir wie immer wegen meist Banalitäten gestritten hatten, verzog ich mich aus dem Haus und verbrachte meist stundenlang draußen. Irgendwann stand ich dann auch immer vor ihrem Grab. Ich unterdrückte meine Tränen und fragte mich wieder und wieder, womit ich das alles verdient hatte. Gleich seit dem ersten Abend, an dem ich so auf dem dunklen Friedhof stand, sah ich allerdings ihn wieder unter meinem Tränenschleier im Schatten der Bäume. Ich war beinahe wütend, denn schlagartig fiel mir wieder ein, wie er auch in der Nacht des Todes meiner Mutter so da stand, mich einfach nur beobachtete. Vielleicht hatte mein Vater ja doch irgendwie recht gehabt, damit, dass ich mich hätte beeilen müssen. Ich verwarf diesen Gedanken so schnell wie er gekommen war wieder. Es machte keinen Sinn, über dieses “was wäre, wenn” nachzudenken. Ändern würde es an den Tatsachen sowieso nichts mehr. Ich versuchte diesen Mann einfach zu ignorieren, auch wenn ich mich unter seinem bohrenden Blick mehr als nur unbehaglich fühlte. Und doch musste ich immer zu ihm sehen, mich vergewissern, ob er noch da war. Es war wie als wenn ein unsichtbares Band mich zu ihm zog, eine Stimme in meinem Kopf drängend meine Gedanken auf ihn lenkte. Ich wusste kaum, wie mir immer geschah. Es war immer wieder dasselbe. Er stand jedes mal dort, wenn ich selbst auch war, nur nachts, an der immer gleichen Stelle im sicheren Schatten der Bäume. Tagsüber war von ihm nichts zu sehen. Ich erwischte mich deshalb selbst dabei, dass ich immer nur noch nachts auf den Friedhof ging, alles in mir wollte ihn wieder sehen. Es vergingen noch weitere Tage, Wochen, bis er mich irgendwann ansprach. Es war der Beginn einer komisch wirkenden Freundschaft, denn unsere Treffen waren immer nachts, immer heimlich und er hatte mir verboten, von ihm zu erzählen. Ich hatte wesentlich länger gebraucht ihn nach dem Grund hierfür zu fragen, als Tooru. Ich war nur froh, meine Sorgen und Kummer bei ihm loswerden zu können, und er suchte in mir genauso Gesellschaft. Schon bald hatte er mir schließlich erzählt, was er war: Ein Vampir, ein Kind des Mondes, wie er so schön zu sagen pflegte, einsam und unsterblich. Er erzählte mir überhaupt so vieles von sich, langsam und mit jedem Treffen mehr. Kaoru… Das war sein Name. Er war Jahrzehnte älter als ich, vielleicht ein paar Jahrzehnte mehr, als ich es heute war, und er war so mächtig, mächtiger als ich es mir nur erahnen konnte, als Mensch noch überhaupt nicht fassbar für mich war. Es verging ein Jahr, in dem wir uns immer nur nachts trafen, die ganze Nacht hindurch miteinander sprachen. Ich wusste, was er war, aber es jagte mir keine Angst ein. Vielleicht war ich naiv, aber ich stellte mir nie die Frage, was er von mir wollte, ob ich nicht irgendwann genauso wie seine Opfer enden würde. Denn ich wusste natürlich, wie er sich am Leben erhielt. Und doch gab es gerade einen Moment, in dem ich mich das alles auf einmal fragen musste, im Stillen, ohne es jemals laut gesagt zu haben. Ich beobachtete ihn ein einziges mal mit Schrecken, wie er seinen Durst an einem Menschen stillte, ihn aussaugte und den toten Körper dann wie ein wertloses etwas auf dem Boden zurückließ. Er sah den Schrecken in meinen Augen, entschuldigte sich unendlich oft dafür und versicherte mir, dass ich niemals so enden würde - zumindest nicht haargenau so. Damals wusste ich noch nicht, was er damit meinte. Doch schon wenige Wochen später sollte ich es erfahren. Es war in der Nacht, als mein Vater schließlich meiner Mutter in den Tod folgte, dahingerafft von Trauer und Verzweiflung über ihren Tod. So sehr ich ihn auch das letzte Jahr über begann zu hassen, dafür dass er mir an allem die Schuld gab, mich als undankbaren, unnützen Sohn sah, ich versank in Verzweiflung und wusste nicht, was ich tun sollte. Ich hatte meine Familie verloren, meine Besitztümer würden auch bald folgen, denn mein Vater, der sich seit dem Tod meiner Mutter wieder mehr um den Hof gekümmert hatte, hatte sich wieder in Schulden verstrickt. Ich sah keinen Sinn darin, noch einmal den Hof zu retten, ich sah keinen Sinn mehr in meinem weiteren Leben. Und genau diese Tatsache nahm Kaoru als Grund genug, als Erlaubnis dafür her, mich ebenso in einen Vampir zu verwandeln. Ich sagte zwar keinen Ton darüber, sah ihn nur so hilflos an, erklärte ihm, dass mein Vater trotz allem immer noch mein Vater war und ich ihn als den letzten Teil meiner Familie ansah. Den Rest las er in meinen Gedanken. Er brachte mich in meiner Trauer weg von meinem Zuhause, der Stadt, in der ich aufgewachsen war, hin zu seinem Heim, dieser alten fast zerfallenen und deshalb verlassenen kleinen Burg, in der ich heute noch lebte. Sie war damals schon so gewaltig, so beeindruckend. Kaoru ließ mir kaum Zeit über mein Erstaunen nachzudenken, sondern wies mich an, ich solle mich ganz wie Zuhause fühlen und es mir gemütlich machen. Anfangs hatte ich den Eindruck, als würde er mich nur einfach trösten und auf andere Gedanken bringen wollen, brachte mich deswegen in sein Zuhause, auch wenn ich damals nicht wusste, wie lange wir dorthin brauchten, wo es war. Vielleicht wollte er mir einfach einen Tapetenwechsel gönnen, damit ich nicht ständig durch mein Zuhause an meine Familie erinnert werden würde. Den Rest dieser Nacht schlief ich schließlich in einem noch gut erhaltenen Zimmer der Burg. Und ich musste gestehen, so gut wie damals hatte ich schon lange nicht mehr geschlafen. Das Bett war so weich, so gemütlich. Es lenkte mich zumindest in dieser Nacht von allem Kummer ab, dass ich am nächsten Morgen nicht mehr aufstehen wollte. Erst Mittag erhob ich mich endlich, ausgeschlafen wie noch nie, und sah mich in dem noch intakten Teil der Burg um. Ich wusste, dass Kaoru sich nicht vor Sonnenuntergang blicken lassen würde, auch wenn alle Vorhänge zugezogen, alle Türen geschlossen oder Wege mit Steinbrocken bis zur Decke verrammelt waren, und so alles abgedunkelt war. Aber ich wagte auch nicht, ihn zu suchen. Der Gedanke an den Anblick, ihn in einem Sarg liegend vorzufinden, ließ es mir doch eiskalt den Rücken hinunterlaufen. Also setzte ich mich einfach nur in einem großen, geräumigen Raum in einen Sessel und dachte nach, nahm mir irgendwann noch das erste Buch, das ich in diesem ebenfalls dort stehenden Wandregal fand. Er sagte zwar, ich sollte mich wie zu Hause fühlen, aber dennoch sah ich es als unhöflich an, mich zu weit umzusehen oder sonst etwas zu tun. Ich blieb dann einfach den Rest des Tages in diesem Zimmer, las ein Buch nach dem anderen, oder dachte einfach nur nach, und wartete auf den Abend. Wie erwartet stand er erst kurz nach Sonnenuntergang hinter mir. Er kam gerade, als ich wieder in meinen Gedanken versunken war, immer wieder seufzte und nicht wusste, wie es weitergehen sollte. Ich konnte schließlich nicht den Rest meines Lebens hier mit einem Vampir zusammenleben. Mal abgesehen davon, dass wir vollkommen unterschiedliche Leben führten - er schlief tagsüber, während ich wach war, arbeiten sollte und dergleichen; ich schlief wie es das Normalste auf der Welt war nachts, während er durch die Nacht strich und sich von Menschen ernährte. Er war unsterblich, mein Leben würde irgendwann vorbei sein. Aber ich hatte auch Angst vor seiner Blutgier, Angst davor, dass er irgendwann doch noch über mich herfiel. Ich ahnte nicht, dass es eigentlich schon zu spät war. Kaoru setzte sich damals mir gegenüber auf das Sofa und beobachtete mich einfach nur. Seine Worte, die er dann zu mir sagte, waren mir noch so gut im Sinn. “Du leidest sehr unter dem Verlust deiner Eltern, nicht wahr?”, sprach er leise. Es war mehr eine rhetorische Frage, als dass er wirklich eine Antwort darauf erwartete. Daher nickte ich nur kaum merklich, sah ihn lange an. “Ich weiß, dass du keinen Sinn mehr in deinem Leben siehst. Vielleicht mag es auch so sein, wenn man seine Eltern und alles, woran einem etwas lag, verloren hat, oder nur kurz davor ist zu verlieren, und man auch keinen mehr hat, der einem Rückhalt gibt.”, begann er unvermittelt. Ich sah ihn zunächst verwirrt an, fragte mich, ob ihm mein Gesichtsausdruck so ein offenes Buch war, oder woher er sonst so viel wissen wollte. Dies war dann der Moment, da er mir offen sagte, dass er die Gedanken von Mensch wie Vampir lesen konnte. Gerade die von Menschen lagen ihm wie auf dem Präsentierteller zu Füßen, denn die meisten Vampire konnten ihre Gedanken vor ungewollten Blicken verschließen. Ich nickte stumm. Im Grunde war es mir in diesem Moment aber unwichtig, dass er meine Gedanken las und wusste, was in mir vorging. Helfen konnte er mir ja doch nicht. Das dachte ich zumindest, bevor er weiter sprach: “Jedenfalls werde ich dir nach allen schlimmen Erlebnissen noch einen anderen Blickwinkel auf die Dinge zeigen, ein anderes Schicksal, durch das du im Grunde ewig leben kannst - Fluch und Segen zugleich. Es ist jedoch faszinierend zu sehen, wie sich alles um dich herum verändert. Da rückt jede deiner Sorgen in den Hintergrund, vergisst sie vielleicht auch schon. Nachdem ich schon so lange darüber nachdenke, werde ich dich verwandeln, genug Zeit verbringst du ohnehin schon mit mir. In deiner Verzweiflung nun ist der beste Zeitpunkt dafür gekommen. Die Dunkelheit, die Nacht kann nur noch deine Seele retten.” Es traf mich im ersten Moment wie ein Schlag. Immer wieder klangen mir seine Worte wie ein Echo nach. “Aber…”, fing ich stammelnd an. “Ich weiß doch noch nicht einmal, ob ich das wirklich will. Ich habe darüber nie nachgedacht, auch wenn ich schon so lange Zeit mit dir verbringe.” “Ich weiß. Aber du hast nichts zu verlieren, das denkst du selbst doch. Ich zeige dir nun nur die weiteren Alternativen auf. Oder willst du lieber, das alles so bleibt, wie es ist? Glaubst du, das wäre dir nun genug? Ich glaube nicht, dass dir das genug ist. Du weißt schon viel mehr über dieses andere Leben, dass ich dir verleihen kann.”, erwiderte er nüchtern, sah mich aber bestimmt an. Und er hatte zweifellos recht damit. Tief in mir sehnte ich mich nach einem Ende meiner Qualen, sehnte mich nach einem Leben fernab von allem und jedem. Verlieren konnte ich schon mal nichts mehr. Und seine Worte allein klangen schon wie ein Rausch, der mich betrunken machen sollte, dem ich nicht widerstehen wollte und konnte. Aber dennoch war in mir auch noch ein anderer Teil. Ich konnte nicht so schnell entscheiden, ob ich dieses Schicksal wirklich wollte. Ich hatte immer gern gelebt, auch wenn ich wiederum nicht jede Sekunde voll und ganz ausgekostet hatte, und vielleicht wäre alles auch noch anders geworden. Während ich so in meine Gedanken versunken da saß, merkte ich nur flüchtig, wie Kaoru sich erhob und sich hinter mich stellte. Meine volle Aufmerksamkeit erhielt er erst, als ich seinen Atem hinter mir spürte, er wie zärtlich meine Haare nach hinten streifte, meinen Hals freilegte. “Kaoru…”, wisperte ich leise. “Ich… ich weiß nicht, ob ich es wirklich will…” “Du wärst ein schöner Vampir. Schön und mächtig, wenn du erst einmal so alt bist, wie ich.”, flüsterte er mir weiter ins Ohr, hatte sich schon hinab zu mir gebeugt. “Der Nacht kann man vertrauen wie niemand anderem. Die Welt im Tageslicht hat keinen jemals glücklich gemacht. Deshalb fühl die Nacht, die wahre Wirklichkeit.”, fuhr er fort. Seine Worte waren noch mehr Rausch, vielleicht schon so stark, wie es sich anfühlen würde, ein Vampir zu sein. Schon in diesem Moment spürte ich, wie so eine unnatürliche Atmosphäre uns umgab, unnatürlich, angesichts dessen, dass er ein Vampir, ich Mensch war. Es war fast schon wie zwischen zwei Verliebten, die sich jeden Moment lieben würden. Schon allein mit seiner Nähe verstärkte er dieses Gefühl, diese Gedanken nur noch mehr. Heute wusste ich, dass es seine im Vampir angeborene Anziehungskraft war, die er in diesem Moment nur noch mehr auslebte. Er wollte erreichen, dass ich aus freien Stücken ein Vampir sein wollte, zumindest gewissermaßen aus freien Stücken. Genauso wusste ich allerdings auch, dass ich nicht alles auf sein Vampirdasein schieben konnte. Ich fühlte mich so schon zu ihm hingezogen. Er hatte in mir etwas ausgelöst, nachdem er ein Jahr für mich da war, mir zuhörte, mich tröstete. Ich ignorierte eventuelle Bedenken vollkommen. Er war ein Vampir, und? Er war ein Mann, und? Er war für mich da gewesen - das ganze letzte Jahr. Und in dieser - aus seiner Sicht - kurzen Zeit, war er so bedeutend für mich geworden und ich mochte ihn wirklich sehr. Vielleicht sollte ich alleine deswegen ebenfalls ein Vampir werden. Gefährten konnten leicht auch Liebende werden und als Vampire waren wir fernab von Vorurteilen. Ich schüttelte den Kopf, wusste nicht einmal was ich hier eigentlich dachte. Im selben Moment wurde ich hochrot, als mir bewusst wurde, dass Kaoru alles mitbekommen haben konnte, wenn er meine Gedanken in diesen Momenten las. “Es ist in Ordnung, Daisuke.”, flüsterte Kaoru, gab mir die Bestätigung, dass er meine Gedanken gelesen hatte. Gleichzeitig gestand er mir schließlich noch selbst, dass auch ich bei ihm Interesse geweckt hatte, wie es schon lange kein Mensch, geschweige denn ein Vampir getan hatte. Ich seufzte laut, schloss die Augen, und dachte darüber nach. Diese Tatsache ließ alles in einem völlig anderen Licht erscheinen. Ich hatte wirklich nichts zu verlieren, sondern vielmehr zu gewinnen, vielleicht war es Ablenkung genug, vielleicht ein kompletter Neuanfang. Und einen Neuanfang konnte ich wirklich gebrauchen. Zumindest dachte ich damals so, heute wusste ich, dass diese Entscheidung doch zu übereilt war. Gegen die sich entwickelnden Gefühle konnte ich nichts tun, das wusste ich heute, aber auch als Mensch hätte ich ihm nahe sein können, hätte in Ruhe darüber nachdenken können, was ich wollte. Kaoru hatte mich letztendlich regelrecht überfallen. Für ihn stand es schon fest, dass er mich verwandeln wollte, und so wie er mich ansah, wie er schon hinter mir in der richtigen Position stand, hätte er mich wohl auch ohne mein “ja” verwandelt. Ich jedenfalls schloss meine Augen und seufzte leise. Also sollte es einfach so geschehen. Ich dachte es nur, aber ich wusste, dass Kaoru es schon erfahren würde. Kaum war es gedacht, versenkte er auch schon seine Zähne in meinem Hals. Ich spürte einen kurzen Schmerz, riss meine Augen weit auf und krallte die Finger in die Armlehnen. Ich schrie kurz auf, verstummte aber ebenso schnell wieder. Und dann wusste ich nichts mehr. Die nächsten Minuten, oder vielleicht waren es auch nur Sekunden, waren weg. Ich wusste nicht, was ich während meiner Verwandlung fühlte, welche Schmerzen ich vielleicht noch empfand. Das Nächste, an das ich mich erinnerte, war dass ich ein lautes Grollen hörte. Es stammte von mir. Langsam öffnete ich meine Augen wieder und versuchte mich zu orientieren. Ich lag nun auf dem langen Sofa, Kaoru saß in dem Sessel, in dem ich zuvor war, und richtete seinen Blick starr auf mich. Die Farben waren nun so intensiver, ich erkannte jede Kleinigkeit in dem Raum. Auch meine anderen Sinne waren schärfer geworden, aber erst Minuten später strömten plötzlich alle Einflüsse auf mich ein. Ich glaubte mein Kopf würde platzen. Ich wusste nicht, wohin ich mit diesen Einflüssen sollte und schrie einfach nur, kniff die Augen zusammen, presste meine Hände auf die Ohren und rollte mich auf dem Sofa zusammen. Es waren so unbeschreibliche Schmerzen, die mich alle auf einmal beherrschten, jede einzelne Faser meines Körpers schien ich zu spüren. Kaoru reagierte sofort. Er zog mich auf die Beine und lotste mich über zahllose Stufen hinab in den Keller, zu den Särgen, die dort standen. Hier unten war ich schon weit mehr geschützt und von allem abgeschirmt. Ich seufzte erleichtert auf und ließ mich dankbar an den Steinsockel, auf dem sein Sarg stand, gelehnt nieder. Er kniete sich einfach einige Minuten stumm neben mich. Irgendwann, ich wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, streckte er mir dann seinen Arm hin und wies mich an zu trinken. Ich musste mich stärken. Ich zögerte noch einen Moment, sah ihn unsicher an. Doch nach seinem weiteren Drängen griff ich seinen Arm und biss ihn schließlich ins Handgelenk. Kaoru stöhnte selbst auf, vor Wohlgefallen, denn er lächelte dabei. Ganz langsam begann ich zu schlucken, immer mehr von seinem Blut in mir aufzunehmen. Ebenso langsam rann sein Blut mir die Kehle hinab. Es war wider meiner Erwartungen kalt, aber nichtsdestotrotz wie Balsam. Ich spürte förmlich, wie es sich in meinem Körper verteilte, wie ich mehr und mehr gestärkt wurde. Es war ein noch so unbeschreibliches Gefühl. Aber es war gut, es war beruhigend. Und ich spürte förmlich, wie sich jede Faser meines Körpers nach diesem Geschmack sehnte. Ich wurde immer gieriger danach und Kaoru musste seinen Arm irgendwann regelrecht wegziehen, damit ich von ihm abließ. Diesen Moment konnte ich jedenfalls nie wieder vergessen. Es war der erste Moment da ich Blut trank, etwas dass ich ab sofort fast jede Nacht tat, auch wenn es mir anfangs so zuwider war, einen lebenden Menschen einfach so auszusaugen. Ich streikte, wer weiß wie oft, und ließ es soweit kommen, dass Kaoru mich regelrecht zwingen musste. Er wusste, dass ich noch lieber seines trank, auch wenn es ihn selbst schwächte. Manchmal ließ er es zu, manchmal zwang er mich von einem Menschen zu trinken. Sein Blut war aber nur ein Grund, wieso ich auf ihn angewiesen war. Vielmehr bedeutete er mir auch als Freund etwas. Ich entwickelte mit der Zeit schließlich noch mehr so viele, so starke Gefühle für ihn, die ich als Vampir so intensiver spürte, als ich es jemals gedacht hatte. Oh ja, ich liebte ihn wirklich und er mich. Wir genossen unsere Zweisamkeit über Jahre, Jahrzehnte hinweg. Er war alles, was ich hatte. Aber so sehr ich seine Nähe genoss, ohne Probleme und Sorgen war diese Zeit auch nicht. Ich haderte schon bald mit meinem Schicksal, fragte mich, ob es richtig gewesen war, ob es das alles wert gewesen war, ob ich nicht zu schwach gewesen wäre, und nicht einfach hätte abwarten sollen, was die Zeit ergeben hätte. Kaoru holte mich immer wieder aus diesem tiefen Sumpf der Verzweiflung heraus, redete mir ein, dass ich die Entscheidung nicht allein gefällt hatte. Er wollte es auch so, er wollte mich verwandeln, um nicht länger sein Dasein als einsamer Vampir fristen zu müssen. Einsamkeit war das letzte, was ein Vampir ertragen konnte. Sie war das einzig wirklich schmerzhafte, das auch nicht mit der Zeit verheilte. Im Gegenteil, es wurde immer schlimmer. In dieser Nacht meiner Verwandlung hatte er selbst wieder eine Phase, in der er geplagt war von seiner Einsamkeit, und hätte mich auch ohne mein Zustimmen verwandelt. Seine Worte wirkten immer wieder, so erstaunlich es war. Vielleicht begann ich auch deshalb so viel für ihn zu empfinden, weil er mich genau kannte. Meine Gedanken konnte er zwar nicht mehr lesen, denn ich lernte sie zu kontrollieren, sie zu verschließen vor ihm und anderen Vampiren. Aber dennoch schien er mich irgendwann auch fast schon genauso gut zu kennen, wie ich mich selbst. Ich lernte auch noch eine ganz andere Tatsache, die mein Dasein bestimmen sollte: Die Grenze zwischen Freude und Trauer war ein schmaler Grad, der nur zu leicht überschritten werden konnten. Trotz der Probleme und meiner Deprimiertheit empfand ich in dieser Zeit immer eigentlich Freude. Doch ohne wirklich tiefe Trauer ging es nun mal nicht. Und diese kam viel zu schnell. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)