Lady Oscar von Lilly-san (Wenn alles anders läuft...) ================================================================================ 4 - Oscar starrte noch immer an ihre Zimmertür. André war schon seit einigen Minuten aus ihrem Zimmer verschwunden. Und trotzdem hatte sie das Gefühl, seine Anwesenheit zu spüren. Seine Hände zu spüren. Seine Haare, die ihr Gesicht streift hatten. Seine Lippen… Wie konnte er sich wagen, sie zu küssen? Warum hatte er sie geküsst? Warum klopfte ihr Herz so heftig?… Sollte sie ihm nachgehen und zur Rede stellen? Sie ging zwei Schritte nach vorne. Blieb dann aber wieder stehen. Sollte sie ihm wirklich hinterher laufen?… Oscar fuhr sich durch das Haar. Warum hatte er das nur getan? Wollte er sie ärgern? Hatte er sich einen Scherz erlaubt? Seine Lippen hatten nach Wein geschmeckt. Hatte er vielleicht einfach zu viel getrunken?… Oscars Gedanken wurden wirr und sie entschloss sich, am nächsten Morgen mit ihm zu reden. Jetzt musste sie erst einmal einen klaren Kopf bekommen. Sie war einfach zu verwirrt. Zu durcheinander. André war in seinem Zimmer angekommen. Nachdem er die Tür geschlossen hatte, lehnte er sich einen Moment mit dem Rücken dagegen. Sein Herz raste und ihm war schwindlig. Was war nur in ihn gefahren? Was hatte ihn geritten, sie zu küssen? Er schüttelte den Kopf. Vor wenigen Minuten war es ihm noch egal gewesen, was er tat. Aber nun?… André schloss kurz die Augen, seufzte und lauschte dem heftigen Schlagen seines Herzens. Das konnte böse Folgen haben… Er öffnete die Augen wieder, ging zu seinem Bett und zog sich um. Er brauchte schlaf. Ganz dringend. Doch kaum lag er und schloss die Augen, tauchte wieder ein Bild von Oscar vor seinem geistigen Auge auf. Er spürte wieder ihre Lippen auf seinen. Schmeckte deren süße. Fühlte die Wärme ihres Körpers an seinem. Das Kitzeln ihres Atems auf seiner Brust… Was hatte er nur getan? Aber es hatte sich so verdammt gut angefühlt. Er hatte sich in diesem Moment so verdammt lebendig gefühlt. Sein Körper schrie nach mehr davon. Doch sein Kopf sagte ihn, dass es nur dieses eine mal gewesen war. Er warf sich auf die andere Seite und seufzte mal wieder. Schlaf. Er brauchte schlaf. Sein Kopf hämmerte und sein Herz pochte noch immer wie wild. Doch er konnte sich nicht beruhigen. Alles sehnte sich nach ihr. Jede Pore seines Körpers verlangte nach ihr. Warum hatte er sich dazu hinreizen lassen, seinem Verlangen nach zu geben? Wie konnte er ihr jetzt noch unter die Augen treten? Würde sie ihn nun verstoßen? Musste er nun das Haus verlassen?… Er seufzte erneut und warf sich wieder herum. Warum war die Liebe nur so kompliziert? Eine einzelne Träne lief ihm die Wange hinunter. Warum?… Oscar wachte am nächsten Morgen unausgeschlafen und völlig übermüdet auf. Sie hatte die Nacht sehr unruhig und sehr wenig geschlafen. Jedes Mal, wenn sie die Augen geschlossen hatte, trat das Bild von André vor ihre Augen. Sie fühlte förmlich die Nähe seines Körpers. Den sanften Druck seiner Lippen, welche es gewagt hatten, die ihren zu küssen. Spürte das fremdartige Gefühl in ihrem Bauch, was sie nicht einordnen konnte. Vorsichtig berührte Oscar mit ihrem Fingern ihre Lippen und strich darüber. Ihr erster Kuss… Oscar fuhr sich über das Gesicht. Warum hatte er das nur getan?… Träge stand sie auf. Es hatte keinen Sinn mehr liegen zu bleiben. Schlaf würde sie eh nicht wirklich finden. Oscar wusch sich und zog sich an. Glücklicherweise hatte sie heute ihren freien Tag. Oder sollte sie lieber leider sagen. So würde sie André schneller sehen, als es ihr recht war. Noch immer wusste sie nicht, wie sie auf den Kuss reagieren sollte. Wie sie auf André reagieren sollte. Sie ging an ihr Fenster. Draußen im Hof war keiner zu sehen. Alles lag ruhig und verschlafen da. Oscar seufzte tief und machte sich auf den Weg in die Küche. »Guten Morgen, Lady Oscar«, grüßte Sophie, wie immer gutgelaunt, als Oscar in die Küche trat. »Morgen.« Sie setzte sich an den großen Holztisch und Sophie brachte ihr sofort etwas zu trinken und essen. »Ihr ward gestern Abend gar nicht beim essen. Ging es Euch nicht gut?«, fragte Sophie und sah Oscar an. »Nicht das Ihr krank werdet.« »Ich war müde Sophie«, entgegnete Oscar. »War gestern ein sehr anstrengender Tag.« »Dann solltet Ihr Euch heute etwas ausruhen.« Oscar lächelte. »Das werde ich. Ganz bestimmt.« »Habt Ihr André schon gesehen?«, wollte Sophie nun wissen. »Nein«, sagte Oscar und dachte zum Glück. »Warum?« »Ach der Junge. Er ist nicht zu finden. Auch in seinem Zimmer ist er nicht. Ich weiß nicht, was er sich dabei gedacht hat einfach so zu verschwinden. Ich brauch ihn hier im Haus«, jammerte Sophie, während sie in der Küche hantierte. »Ach lass ihn doch. Er braucht auch mal ein paar Stunden für sich.« Nach dem Frühstück überlegte Oscar, was sie nun machen sollte. Sich wieder in ihr Zimmer begeben und etwas lesen? Oder vielleicht ausreiten? Ja. Sie würde den ganzen Tag ausreiten. Oscar holte sich eine Jacke und lief zum Stall. Schnell sattelte sie ihre Stute und machte sich auf den Weg. Hinaus in die freie Natur. Sie ritt eine geraume Zeit im Galopp über die Wiesen, ehe Oscar in einen leichten Trapp fiel. Aber anstelle sich zu entspannen und die freie Zeit zu genießen, schweiften ihre Gedanken immer wieder zu André ab. Das war doch zum schreien. Warum drängte er sich so in ihre Gedanken? An einer Anhöhe hielt sie ihr Pferd an und stieg ab. Wie lang war es her, das sie einfach nur für sich durch die Gegend geritten war, ohne Pflichten? Eine halbe Ewigkeit. Oscar ließ ihr Pferd frei laufen und legte sich in das grüne Gras. Für eine Weile beobachtete sie die weißen Wolken am Himmel, ehe sie sich von Boden erhob, langsam zu ihrem Pferd ging, welches weiter abseits graste und wieder aufstieg. Ohne ein genaues Ziel ritt sie weiter umher. Genoss den Wind, der ihr ins Gesicht blies und durch die Haare fuhr und mit vereinzelten Strähnen spielte. Den Geruch von Erde und Wald. Sie kam an eine Lichtung an und erkannte diese. Hier hatte sie früher oft mit André geübt, wenn sie dem strengen Unterricht ihres Vaters entkommen wollten. Viele gemeinsame Stunden, in denen ihre Degen immer und immer wieder gegeneinander geprallt waren. Sie stieg erneut vom Pferd. Ja… Hier hatten sie wirklich viele Stunden gemeinsam verbracht. Schöne Stunden. Oscar brummte verstimmt. Jetzt dachte sie ja schon wieder an André. Dabei wollte sie doch genau das Gegenteil. Plötzlich hörte sie das Getrappel von Pferdehufen. Jemand kam hier her. Sie drehte sich in die Richtung, aus der die Geräusche kamen und sah den Reiter, welcher auf die Lichtung kam. Ihr Herz setzte einen Schlag aus. Es war niemand anderes als André. Am liebsten wäre sie sofort auf ihre weiße Stute gestiegen und davon geritten. Aber vielleicht war das nun der Moment, in dem sie reden würden… Mussten… André sah Oscar schon von weitem. Obwohl er ihr lieber aus dem Weg gegangen wäre, lenkte er seinen Hengst auf die Lichtung. Es zog in einfach in ihre Nähe. In einiger Entfernung von Oscar blieb André stehen und stieg vom Pferd. Schweigend standen sie nun beide voreinander, bis André das Schweigen brach. »Du hast heute frei?«, fragte er überflüssigerweise. Natürlich wusste er, dass sie frei hatte. Er konnte nur diese Stille, welche gerade zwischen ihnen herrschte, nicht ertragen. Dann sollte sie ihn lieber anschreien. Oscar nickte knapp. »Ja.« »Schön.« Es breitete sich wieder Schweigen aus. André spürte, dass es ihr in seiner Nähe ebenfalls unangenehm war. André konnte es in ihren Augen sehen. An ihrer versteiften Haltung. Auch wenn er lieber weg geschaut hätte. Er konnte seinen Blick nicht von Oscar lassen. Er musste sie ansehen. Ihre wunderschönen blauen Augen zogen ihn magisch an. Sein Blick fiel immer wieder auf ihre Lippen und die Erinnerung an den Kuss drängte sich in seinen Kopf. Sofort begann sein Herz wieder wild gegen seine Brust zu schlagen. Auch Oscar sah André unentwegt an. Sie spürte wie ihr Herz raste und spürte, wie ihr Bauch, ihr Körper kribbelte. Was war nur los mit ihr? »Ich werd dann mal weiter reiten.« André machte anstallten, aufzusteigen. Die Nähe zu ihr, schnürte ihm die Luft ab. Es war wohl doch keine so gute Idee gewesen, hierher zu reiten. »André?«, hielt Oscar ihn jedoch auf. »Warum hast du das gemacht?«, sprach sie diese Worte aus, ohne es wirklich zu wollen. Ohne das Gefühl zu haben, das es ihre Worte waren. Aber sie hatte es getan. André stand starr an seinem Pferd. Sie hatte ihm diese so gefürchtete Frage gestellt. Jetzt verlangte sie eine Antwort. Und weiß Gott. Sie würde solange bohren, bis sie diese erhalten hatte. Er kannte sie nur zu gut. »Was meinst du?«, fragte er, um Zeit zu schinden. »Du weißt ganz genau was ich meine, André.« Oscar trat auf ihn zu. »Warum hast du mich geküsst?« Es war raus. Sie hatte diese quälende Frage endlich gestellt. Jetzt würde sie vielleicht eine plausible Erklärung erhalten und alles wäre wieder wie früher. »Ich…«, begann André vorsichtig. Blieb aber immer noch seinem Pferd zugewandt. Sollte er ihr nun wirklich alles sagen? Seine Gefühle offenbaren? Es würde alles zwischen ihnen ändern. Es wäre nie mehr so wie vorher. Aber konnte es überhaupt wie früher werden? »Ich warte André. Und ich werde solange warten, bis ich eine verdammt gute Antwort bekomme.« »Du möchtest es wirklich hören?« Er drehte sich langsam und etwas widerwillig zu ihr um. »Ja. Natürlich will ich es wirklich wissen«, entgegnete sie, obwohl sie sich nicht sicher war, ob sie es wirklich hören wollte. André sah Oscar an. Sie betrachtete ihn aufmerksam. Verfolgte jede seiner Bewegungen. »Ich… habe es getan, weil… Ich dich liebe.« Es war gesagt. André fiel ein Stein vom Herzen. Endlich waren diese Worte des Schmerzes ausgesprochen. Diese drei Worte, welche ihn schon so lange gequält hatten. »Was?!«, flüsterte Oscar und sah ihn ungläubig an. »Aber…« »Du wolltest es hören, Oscar« Traurig blickten seine grünen Augen zu ihren. Sahen das Entsetzen, der in ihnen wohnte. »Wie kannst du nur«, wisperte Oscar und schüttelte den Kopf. »Es ist verboten.« »Ich habe es mir nicht ausgesucht. Es ist einfach passiert.« André zuckte hilflos mit den Schultern. »Ich kann es nicht ändern.« Oscar stand noch immer wie eine Salzsäule da. Sie hatte verstanden, was André gerade gesagt hatte. Konnte es aber nicht glauben. Es war doch verboten. Es war verrückt. »Für dich bin und werde ich immer nur der treue Weggefährte sein. Der Mann, der im Stall und im Haus arbeitet und dazu der nette Fechtkamerad ist«, redete André weiter. Endlich mal alles von der Seele reden. Das tat gut. Es war befreiend. »Doch du bist für mich mehr, Oscar. So viel mehr. Schon so lange…« Er drehte sich von ihr weg. »Aber es wird sich eh alles ändern. Du wirst heiraten und von hier fort gehen. Und ich werde hier bleiben und einsam vor mich hin leben. Werde jede Sekunde an dich denken müssen, jeden Tag deine Nähe schmerzlich vermissen. Während du mich vergessen wirst.« André drehte sich wieder zu Oscar um. Noch immer stand sie wie erstarrt vor ihm. Die Augen noch immer weit geöffnet. »Ich hasse den Grafen so sehr, wie keinen anderen Menschen. Er nimmt mir das Kostbarste, was ich besitze. Deine Nähe.« André schüttelte den Kopf, als wollte er eine lästige Fliege abwehren. »Es tut mir leid, Oscar. Ich hätte all das nicht sagen dürfen. Ich hätte es für mich behalten sollen.« Er trat an sie heran. Sah wie ihre Augen ihn fixierten. Ihm folgten. Eine Handbreit von ihr entfernt blieb er stehen und streckte die Hand aus, um ihr weiches Haar zu berühren. »Vergiss bitte, was ich eben gesagt habe. Ich werde es auch vergessen. Alles.« André hielt es nicht mehr aus. Nur noch eine Sekunde länger mit ihr hier auf der Lichtung und er würde sie wieder küssen. Abrupt drehte er sich um, ging zu seinem braunen Hengst, stieg auf und ritt im Galopp davon. Oscar sah ihm nach. Völlig verdattert stand sie nun hier auf der Lichtung. Unfähig sich zu rühren. Unfähig ein Wort zu sagen. Unfähig richtig zu Atmen. Ihr Herz fand keinen ruhigen Rhythmus. Wild und unregelmäßig schlug es in ihrer Brust. Sogar ihre Beine wollten ihr nicht so richtig gehorchen. Warum brachte er sie nur so aus der Fassung? Mit wackligen Beinen lief sie zu ihrer Stute und klammerte sich an ihren Sattel. ´Ich liebe dich…` Diese drei Worte wiederholten sich immerfort in ihrem Gedächtnis. Drehten sich im Kreise. Warum reagierte sie so darauf? Das war kaum auszuhalten. Jetzt reiß dich zusammen, ermahnte Oscar sich. Tief atmete sie durch. Immer und immer wieder, bis sie sich einigermaßen beruhigt hatte. Dann stieg sie auf ihr Pferd und ritt los. Ziellos durch die Gegend, bis lange die Sonne untergegangen war. Dann erst fand sie den Weg nach Hause. Die ersten hellen Sonnenstrahlen fielen durch Oscars Fenster und erhellten den Raum. Oscar selbst saß in ihrem Sessel vor dem Kamin. Die Beine angezogen und umschlugen von ihren Armen. Ihr Kinn ruhte ruhig auf ihren Knien, während sie die letzten Flammen im Kamin beobachtete. Wild zuckten sie hin und her und die Schatten wirkten irgendwie beruhigend. Oscar konnte die Nacht nicht schlafen. Egal was sie versucht hatte. Nichts hatte geholfen. Der Schlaf wollte nicht über sie kommen. Da hatte sie sich kurzerhand in ihren Sessel geworfen und den Flammen zugesehen. Wie lange hatte sie noch Zeit, ehe ihr Vater sie zu sich rufen würde und eine Entscheidung von ihr verlangte?… Was hieß eigentlich eine Entscheidung verlangen? Es gab gar keine Entscheidung. Es war doch alles schon entschieden. Ihr Vater hatte doch, wie immer, für sie entschieden. Sie würde Graf Girodel heiraten. Zu ihm ziehen. Kinder bekommen und wie ihr Vater beschlossen hatte würden diese in die Fußstapfen der Familie Jarjayes treten… Oscar schloss für einen Augenblick die Augen und lauschte dem Knistern und Knacken des Holzes. André würde sie ebenfalls nicht mehr sehen. Oder nur ganz selten, wenn sie mal zu Besuch kam. André… Wie schon so oft in dieser Nacht kreisten ihre Gedanken um ihren langjährigen Freund und sein Geständnis. Was war nur zwischen ihnen passiert? Warum wurde alles so kompliziert? Hatte ihre Freundschaft noch eine Chance? Oscar sah zu dem Portrait ihrer Mutter. Wäre sie doch nur da… Jetzt hätte sie mehr als zuvor ihren Rat gebraucht… Die Sonnenstrahlen wanderten unaufhaltsam weiter ins Zimmer und das Licht flutete langsam den ganzen Raum. Bald würde das Haus wach werden. Widerwillig stand Oscar auf und zog sich an. Bald würde es Frühstück geben. Vielleicht konnte sie vor allen anderen etwas zu sich nehmen. Auch wenn sie keinerlei Appetit verspürte. Alles lag ruhig vor ihr, während sie in die Küche ging. Selbst Sophie war noch nicht auf den Beinen. Schnell verdrückte Oscar ein Stück trockenes Brot und ein Glas Wasser. Dann verschwand sie nach draußen in den Hof. Doch sie mied den Stall bewusst. André würde als erstes dorthin gehen und sich um die Tiere kümmern. Und ihm wollte sie nicht begegnen. Zuerst musste sie Ordnung in ihrem Kopf schaffen. Oscar schlenderte durch den Garten hinter dem Haus und dachte wie so oft in den letzten Stunden nach. ´Ich liebe dich…` Warum konnte sie diese Worte nicht vergessen? »Oscar!«, riss sie die dröhnende Stimme ihres Vaters sie aus ihren wirren Gedanken. »Oscar! Wo steckst du?« »Ich bin hier«, entgegnete Oscar und trat um die Ecke. »Was gibt es?« »Heute Abend wird Graf Girodel kommen.« Es traf Oscar wie ein Faustschlag in der Magengrube. Heute… »Ich will, dass du pünktlich zu Hause bist. Man wird es am Hof verstehen«, redete er weiter. »Schau, ob du eventuell heute Mittag schon heim kannst. Ich möchte nicht, dass Graf Girodel auf dich warten muss.« Oscar nickte mechanisch, obwohl sie eher den Kopf schütteln wollte. Ohne ihren Vater auch nur eines Blickes mehr zu würdigen, drehte sie sich um und ging zum Stall. Sie musste hier weg. Und das ganz schnell, bevor sie etwas Dummes und Unüberlegtes tat. In diesem Moment war es ihr egal, ob André im Stall war oder nicht. In Windeseile war ihr Pferd gesattelt und im vollen Galopp ging es nach Versailles. Dort angekommen erbat sie, wie von ihrem Vater verlangt, früher heim zu dürfen, was ihr auch gewährt wurde. So musste sie sich nur um ihre Männer kümmern. Oscar führte etliche Übungen mit ihnen durch. Scheuchte sie quer über den Hof. Brüllte sich ihre Wut aus der Seele. Versuchte so ihren Zorn zu besänftigen. Doch es funktionierte nicht wirklich. Das einzige Ergebnis war, das ihre Stimme in Mitleidenschaft gezogen wurde, was sie erneut ärgerte. Gegen Mittag erlöste Oscar ihre Männer, die sich dankbar zurück zogen und machte sich schweren Herzens auf den Weg zu ihrem Pferd. Ganz langsam würde sie es satteln. Ja… Sie würde es heute hier selbst satteln. Egal was die Stallburschen sagen würde. Egal wie oft sie ihr die Arbeit abnehmen wollten. Doch kaum war sie um die Ecke zur Stalltür gebogen, blieb sie wie angewurzelt stehen. André stand vor der Tür und hatte sein und ihr Pferd am Halfter. Beide Pferde waren gesattelt und aufbruchsbereit. Nach einem tiefen Atemzug ging Oscar weiter. Doch mit jedem Schritt wurde das komische Gefühl in ihrem Bauch größer. Was war das nur? »Da bist du ja, Oscar«, begrüßte André sie wie immer. »Habe dein Pferd schon gesattelt.« »Das sehe ich«, entgegnete sie beklommen. »Was machst du hier?« Andrés Blick wurde traurig. »Dein Vater schickt mich dich abzuholen.« »Mhpf«, machte Oscar. »Als ob er angst hätte, das ich nicht nach Hause komme.« André musste nun lächeln. Sie kannte ihren Vater wirklich gut. Denn genau das waren seine Bedenken gewesen. »André«, war der General auf ihn zugekommen. »Bitte reite nach Versailles und achte darauf, dass Oscar auch wirklich nach Hause kommt. Ich habe ein merkwürdiges Gefühl heute. Etwas liegt in der Luft.« Oscar und André stiegen in ihre Sättel und ritten los. Beide Pferde liefen gemütlich nebeneinander her, während André und Oscar sich anschwiegen. Nur die Hufe auf der Strasse waren zu hören, sowie das Knarren der Sättel und das Gelegentliche schnauben der Pferde. Erst als sie am Anwesen ankamen, brach das Schweigen. André hielt sein Pferd an. »Ich werde noch eine Weile ausreiten.« Er wendete sein Pferd. »Ist gut«, nickte Oscar und ihre Blicke trafen sich. Sofort überkam sie wieder dieses sonderbare Gefühl und ihr Herz hüpfte abermals auf und ab. »Bis dann.« André gab seinem Pferd ein Zeichen und es ritt davon. Oscar trieb ihre weise Stute ebenfalls an, welche gemütlich weiter trottete. Sie wusste warum André nicht mitkam. Graf Girodel. Es musste ihm wirklich sehr ernst sein mit seinen Gefühlen, schoss es ihr durch den Kopf. Bevor sie jedoch diesen Gedanken fortführen konnte, kam sie am Stall an. Und kaum das ihre Füße den Boden berührten, hörte sie vom Haus aus, wie ihr Name gerufen wurde. Ein Diener trat an ihre Seite und nahm die Zügel entgegen. »Lady Oscar! Wo steckt Ihr?«, rief die Stimme von Sophie immer wieder und Oscar konnte es sich nicht verkneifen, mit den Augen zu rollen, ehe sie aus dem Stall trat und ins Haus ging. Sophie suchte schon hier nach ihr. Unten an der großen Marmortreppe trafen sie sich. »Lady Oscar. Da seid Ihr ja. Wo habt Ihr nur gesteckt? Wollt Ihr, dass ich arme, alte Frau noch einen Herzkrampf erleide?« Sophie war ganz aufgebracht. »Ich habe genauso lange gebraucht, wie sonst auch«, entgegnete Oscar ruhig. Auch wenn es nicht ganz stimmte. »Bitte beruhigt Euch wieder.« »Ich mich beruhigen? Mein liebes Kind. Das ich das noch erleben darf…«, seufzte sie dann und ihr Blick wirkte auf einmal verträumt. »Was meint-« »Oscar!« General Jarjayes tauchte am oberen Treppenansatz auf und unterbrach sie. Als Oscar nach oben sah, erkannte sie, das ihr Vater etwas über dem Arm liegen hatte. Stoff. Jede Menge Stoff. »Wird auch Zeit, dass du kommst. Es gibt noch viel zu tun.« Sophie und Oscar stiegen die Treppen zu ihm hinauf. Kaum angekommen drückte ihr Vater ihr diese Menge Stoff in die Arme. Ein Kleid!? Jetzt erkannte sie es. Aber was sollte sie damit? Er verlangte doch nicht etwa, das sie diesen Fetzten trug? »Was ist das?«, fragte Oscar, obwohl sie die Antwort schon wusste. »Ein Kleid. Das siehst du doch«, brummte der General und sah Oscar an. »Was soll ich damit?« »Sei nicht so naiv, Oscar. Anziehen natürlich.« Man hörte förmlich das Beben in seiner Stimme, als er versuchte ruhig zu antworten. »Niemals!« Oscar hielt Sophie das Kleid hin, welche jedoch zögerte es anzunehmen. »Du wirst es anziehen«, wiederholte ihr Vater nun mit lauter Stimme. Er war es nicht gewohnt, dass Oscar ihm widersprach. »Nein! Werde ich nicht!«, spie Oscar eben so laut ihrem Vater entgegen. Er konnte doch nicht allen Ernstes daran gedacht haben? Sie in einem Kleid?! Niemals! =Bamm= Der General hatte ausgeholt und Oscar eine heftige Ohrfeige verpasst, auf die sie nicht vorbereitet war. Die Wucht, welche dahinter lag haute sie um. Mit ihr zusammen fiel das Kleid zu Boden. »Keine Widerrede! Du wirst dieses Kleid tragen! Und damit basta!« Sein Gebrüll war im ganzen Haus zu hören. Irgendwo ließ jemand vor Schreck etwas fallen. Wahrscheinlich in der Küche, denn es hatte sich nach Porzellan angehört. Der General ließ seine Tochter auf dem Boden liegen und verschwand hinter einer Tür. »Das schöne Kleid«, stöhnte Sophie und hob dieses vorsichtig auf, während Oscar langsam vom Boden aufstand und sich die Wange rieb. »Jetzt kommt. Ihr müsst noch ein Bad nehmen. Ihr riecht nach Arbeit und Pferd.« Sophie schritt in Richtung Bad, wo schon für Oscar heißes Wasser vorbereitet wurde und Oscar trottete ihr widerwillig hinterher. -Fortsetzung folgt-... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)