Herrschaftsverhältnisse von Ryourin (Himmlische Kurzgeschichten) ================================================================================ Kapitel 1: Befehl ist Befehl ---------------------------- „Gott will was?!“, stieß Nathanael mit unverhohlenem Entsetzen hervor. „Eine Sintflut“, wiederholte Zophiel teilnahmslos. Er schien von dieser neuen Information keineswegs überrascht zu sein, geschweige denn schockiert; im Gegensatz zu Nathanael wusste er sein Temperament im Zaum zu halten, wie es in der Natur eines Cherub lag. Ungerührt spielte er weiter mit dem winzigen Ball aus Feuer, den er in seiner Hand auf- und abhüpfen ließ, um sich die Zeit zu vertreiben. Nathanael schien sich mit der recht einsilbigen Erklärung jedoch nicht zufrieden geben zu wollen, zumindest schloss Zophiel dies aus dem irritierten – wortwörtlichen - Flackern seiner Augen. Gebrochene Lichtstrahlen zuckten unruhig über Zophiels Hände, und er kannte Nathanael gut genug, um sein Wohlwollen nicht aufs Spiel zu setzen. „Er hat sich in die Idee verbissen, die Nephilim[1] loszuwerden. Die Biester provozieren ihn schon ‘ne Weile.“ „Schlimmer als jeder Terrier“, meldete sich nun Ophaniel, ein Cherub weniger stoischer Natur, kopfschüttelnd zu Wort. „Er murmelte irgendwas von Bastarden, die seine Schöpfung verschmutzen. Du weißt, wie er manchmal ist“, gab er seufzend zu bedenken. Nathanael sah immer noch recht perplex drein, während er versuchte, das Gesagte zu verdauen. Eine Sintflut? Das entsprach eigentlich weder der Vernunft, die der alte Herr so gern propagierte, noch dem Sanftmut, den er innehaben sollte. Irgendwas war hier faul. „Und er meint, um seine Schöpfung zu reinigen, muss er ihr einfach den Garaus machen?“ Nathanael schüttelte ungläubig den Kopf. Einer seiner Flügel zuckte nervös, als ihn die anderen mit kritischen Blicken bedachten. „Scheint so“, antwortete Zaphkiel, ein vieläugiger Engel, der die meiste Zeit vielsagend in unterschiedliche Richtungen starrte; Gerade ruhten jedoch fünf seiner vielen Augen andächtig auf Nathanael, der sich unter der vielen Aufmerksamkeit zunehmend unwohler fühlte. Die Ophanim waren besonders gut darin, den anatomischen Vorteil ihrer zahlreichen Augen zum Unmut anderer einzusetzen, und Zaphkiel war da keine Ausnahme. „Aber in letzter Zeit hatte er ein paar, nun, seltsame Ideen.“ „Stimmt“, nickte Ophaniel. „Sieh dir Zaph an. Keine Ahnung, wieso der Alte die Eingebung hatte, Ophanim bräuchten elf Augen. Zaph meint, das macht alles eigentlich nur komplizierter, stimmt’s, Zaph?“ Der Angesprochene gab nur eine Art Knurren zurück. „Schon gut, schon gut“, murmelte Ophaniel besänftigend, kam jedoch nicht umhin, genervt die Augen zu rollen. „Mürrisch wie immer. Übrigens, Nathanael, er will niemandem den Garaus machen. Spar dir die Dramatik.“ „Und wie genau bezeichnet er die Beseitigung sämtlicher Erdenbewohner durch eine Sintflut dann?“ Nathanael blieb skeptisch - die Erfahrung im Umgang mit seinen geflügelten Mitstreitern hatte ihn zumindest soviel gelehrt. „Na ja...“, begann Ophaniel zögernd. „Er hat da einen Plan.“ Die Anspannung in Nathanaels Gesichtszügen verstärkte sich. Angestrengt schloss er die Augen und versuchte, seine schwarzmalerischen Gedanken auszuknipsen, aber der Pessimismus klebte an ihm wie wochenalter Honig; sehr zu seinem Unmut sah er sich nicht in der Lage, Ophaniel nach weiteren Details dieses ominösen Plans zu fragen – zumindest wollte er nicht. Wie oft hatte er diese Worte schon gehört, und wie oft hatte er sich geschworen, nie wieder in solche Situationen zu geraten? Sein Verstand protestierte vehement dagegen, sich ein erneutes Mal auf den gleichen Humbug einzulassen, seine Zunge schien jedoch anderer Meinung zu sein. „Schieß los“, seufzte Nathanael, und ohrfeigte sich vorab innerlich. Das konnte heiter werden! „Nun“, begann Ophaniel, und Nathanael verpasste sich schweigend eine weitere mentale Ohrfeige. Der Ton war ihm bekannt und verhieß leider nichts Gutes. Einige Minuten, mehrere entgeisterte Blicke und ein schockiertes Aufstöhnen später hatte Ophaniel ihm die volle Größe des Unterfangens, das der Herr plante, anschaulich dargelegt. Während Nathanael mit seiner Fassung rang, grinste Ophaniel ihn schief an und holte mit vor Amüsement wackelnden Flügeln – er kannte die verräterische Bewegung nur zu gut und fürchtete, was jetzt kommen musste - zum letzten Schlag aus. „Und nun rate mal, wer dafür verantwortlich sein wird!“ Zwei Sekunden war es totenstill, dann- „Nie im Leben“, zischte Nathanael und machte Anstalten, sich umzudrehen und zu verschwinden, doch eine Hand packte grob seinen linken Flügel und zog ihn abrupt zurück. „Du willst ihm also nicht gehorchen?“ Zophiels Hand ruhte immer noch auf seinem Flügel und übte einen unangenehmen Druck auf den empfindlichen Körperteil aus. Der sonst so stoische Cherub war aus seiner Lethargie erwacht und taxierte ihn mit ernsten, fast bedrohlichen Blicken, sodass Nathaniel geradezu gezwungen war, seinen Rücktritt auf unbestimmte Zeit zu verschieben. Zophiels Ton war weitaus friedlicher als sein fester Händedruck, aber das täuschte nicht über den Ernst in seiner Stimme hinweg. Nathaniel war kurz hin- und hergerissen, ob er es tatsächlich wagen sollte, Zophiel ein störrisches „Wem?!“ an den Kopf zu werfen, doch die Hand an seinem Flügel ließ ihn zu einem weiseren – oder zumindest gesünderen – Entschluss kommen. „Okay, okay“, murmelte er schicksalsergeben. „Aber im Ernst, eine Arche?“ ** „Du bist also ein Engel“, stellte Noah fest und betrachtete ihn eingehend mit ehrfürchtigen Augen, während Nathanael gelangweilt in seinem Krug herumrührte, den der eifrige Patriarch ihm angeboten hatte. Höflichkeit war also auch gegenüber Engeln ein Muss, warum auch immer der gute Noah davon ausging, dass Engel gerne Wein tranken. „Offensichtlich“, murmelte Nathanael und verkniff sich eine bekräftigende Bewegung seiner Flügel. „Ein Diener Gottes“, wisperte Noah. „Scheint so“, nickte Nathanael, und konnte ein irritiertes Flügelzucken nicht vermeiden. „Ein geflügelter Bote“, schwadronierte er weiter, und Nathanael hatte seine liebe Mühe, seinen Vorgesetzten nicht innerlich zu verfluchen. Diese Mystik-Nummer, die der Herr so gerne abzog, hatte offensichtlich schwerwiegende Folgen für bestimmte Individuen dieser Spezies. Zumindest würde er Ophaniel später damit erheitern können, auch wenn das nur ein geringer Trost für seine derzeitige Situation war. „Hör zu“, begann Nathanael, während er ob des verzückten Anblicks Noahs nur mit Mühe ernst bleiben konnte. „Die Sache ist die, der alte Herr da oben hat ein paar Probleme mit ein paar von euch Erdlingen.“ Vielleicht hätte er sich um seine Wortwahl mehr Gedanken machen sollen, denn die Bestürzung, die Noah nun zum Besten gab, war schon fast schmerzhaft anzusehen. „Mit mir?!“, keuchte der Mann. Das Entsetzen stand ihm ins Gesicht geschrieben; Nathanael musste schwer an sich halten, ihn nicht noch ein wenig mehr zu piesacken, immerhin war es bei seinen Kollegen nie so amüsant wie hier, wenn auch weitaus weniger stressig. „Nein, nein“, wehrte er ab, und Noah sah umgehend erleichtert aus. „Ein paar von euch – nicht DU“, warf er wieder hastig ein, als Noah erneut einen Ausdruck äußerster Bestürzung aufsetzte. „Ein paar von euch sind jedenfalls ein wenig, nun, wie soll ich sagen – jedenfalls bin ich hier, um dir mitzuteilen, dass der Herr deine Welt vom Abschaum befreien wird!“, tönte er großspurig. Zumindest auf Noah hatte es die erwartete Wirkung. „Wie?“, antwortete Noah, der immer noch mühsam gefasst den Engel aus tellergroßen Augen ansah. „Ganz einfach.“ Nathanael grinste – Noah schien das zu irritieren, also setzt er schleunigst einen würdevolleren Gesichtsausdruck auf – und zog eine überdimensionale Pergamentrolle zwischen seinen Flügeln hervor, die er auf dem Tisch ausbreitete. Zum ersten Mal zeigte sich ein wenig Skepsis in Noahs Gesicht, als er die kastenförmige Zeichnung ratlos anstarrte. „Ich soll einen Pferdestall bauen?“ „Eine Arche“, korrigierte Nathanael und warf Noah einen rügenden Blick zu. Dieser machte sich merklich kleiner, sah jedoch weiter auf das Pergament, das offenbar einen Bauplan darstellen sollte. „Eine... Arche“, wiederholte er. „Und ich soll sie bauen?“ „Gut erkannt“, lobte Nathanael, Noah schienen die zugetanen Worte jedoch weniger zu gefallen. „Ich bin aber kein Handwerker, verehrter Engel“, murmelte er pikiert. „Warum wählt der Herr mich dafür aus?“ – „Nein, ich will mich nicht beschweren!“, beteuerte er hastig, als Nathanael ihn stirnrunzelnd ansah. „Nur, ich, ich hab nie eine Arche gebaut.“ Nathanael seufzte. „Das dachte ich mir. Okay, Junge, ich hab einen Plan.“ ** „So?“, fragte Noah eifrig, als er das Holz, das er angehäuft hatte, verbissen bearbeitete; Nathanael saß derweil unbeteiligt auf einem Stein und beobachtete ihn bei seinen hoffnungslosen Versuchen. Noah hielt ihm ein schiefes Brett vor die Nase und wedelte stolz damit. „Fantastisch“, bestätigte Nathanael ungerührt und begnügte sich damit, lustlos die untergehende Sonne anzustarren. Es war für Menschenverhältnisse relativ spät, insofern hatte er mehr Zeit hier verbracht, als ihm lieb war; zwar spielte Zeit für die Lebensdauer eines Engels keine Rolle, für seine Langeweile aber schon. So ging es schon seit Stunden. Noah misshandelte ein paar Zypressen, drosch ebenso motiviert wie wahllos auf das Holz ein und präsentierte seine bemitleidenswerten Ergebnisse dem gelangweilten Engel, der sich im Moment nichts mehr wünschte, als seinem Chef gründlich die Meinung zu geigen. Solche verkappten Ideen hatten sich in letzter Zeit einfach zu sehr gehäuft. Noah war vermutlich eines der anstrengendsten Exemplare der Menschen, mit denen Nathanael sich bisher hatte herumschlagen müssen. „Sieh mal, Nathanael, das erste Brett ist fertig!“ „Nathanael, schau, es sind schon 42!“ „Oh, Nathanael, es sind schon so viele, ich könnte mit dem Bug beginnen!“ „Moment, Nathanael... Hat eine Arche einen Bug? Ich meine, sie ist doch kastenförmig, oder?“ „Ach, egal. Ich mach mich einfach an die Arbeit, in Ordnung, Nathanael?“ „Äh, Nathanael... ich glaube, das Bugproblem hat sich verfestigt.“ „Vielleicht hätte ich mehr auf den Plan achten müssen, Nathanael. Nathanael? Nathanael!“ Unwillig ließ Nathanael sich wieder und wieder aus seinen Gedanken reißen, um den Bau der Arche voranzutreiben. Es war ihm ohnehin ein Rätsel, warum ausgerechnet er dafür verantwortlich war, wenn man bedachte, dass er vom Schiffbau soviel verstand wie von den Motiven des Herrn (und das war schon beachtlich wenig!), dementsprechend erschien ihm das Ganze immer mehr wie ein humorloser Witz. Leider hatte der Herr nicht viel Humor, insofern schied diese Theorie aus. Ein Rascheln brachte ihn erneut zurück auf den Boden der Tatsachen. Vorsichtig sah er sich um – Engel waren nicht überall so beliebt wie bei frommen Männern wie Noah – und stellte verwundert fest, dass Noah nicht mehr hier war. Verdammt, wo war der denn abgeblieben? Es war zum Flügelraufen, wie er ihn erst mit seiner Aufmerksamkeit zu erschlagen drohte, um dann wortlos zu verschwinden. Erneutes Rascheln zog seinen Blick auf das Gestrüpp abseits ihres provisorischen Bauplatzes. Eine Hand schob sich durch die Büsche, gefolgt von einem schwer atmenden Mann, der ein haariges Etwas hinter sich herzog. „Noah?“ Nathanael war sich nicht sicher, ob er wissen wollte, was jetzt auf ihn zukam. Leider konnten sich Engel nicht ihren Pflichten entziehen. „Nathanael, schau!“, rief Noah freudestrahlend, das haarige Ding weiterschleifend, bis er schließlich vor ihm zustehen kam. „Ach, ähm, die Arche war gerade ein wenig problematisch, du weißt schon, der Bug – jedenfalls hab ich eine kurze Pause gemacht, bin ein wenig herumgelaufen, und da fiel mir ein, warum ich die Arche eigentlich bauen sollte, und dann war da das hier, und-“ „Komm zum Punkt“, unterbrach Nathanael ihn seufzend. „Jedenfalls, sieh dir das an!“ Noah deutete mit unverhohlenem Stolz auf das Fellbündel neben ihm. Es war ein Schaf. Ein großes, pelziges, schwarzes Schaf. „Ein Schaf“, sagte Nathanael unbeeindruckt. „Es ist schwarz“, betonte Noah und sah immer noch enthusiastisch auf das struppige Tier, das ihn aus irritierten Augen ansah. „Weißt du eigentlich, wie selten die sind, Nathanael? Die müssen auf die Arche, komm schon! Die Gelegenheit bekommen wir nie wieder! Ich meine, wenn man bedenkt, dass nach der Flut die gesamte Bevölkerung ausgelöscht ist, also auch die Schafe... der Herr meint doch auch Schafe, oder?“ Nathanael seufzte erneut theatralisch, wandte sich um und setzte sich wieder zurück auf seinen Stein. Noah schob ihm das Seil in die Hand, an das das ahnungslose Schaf gebunden war, und machte sich wieder an die Arbeit. Er war sich ziemlich sicher, dass er noch eine Weile hier sitzen würde. Während Noah fröhlich weiter den Bug bearbeitete, tauschte Nathanael einen vielsagenden Blick mit seinem neuen Gefährten. „Ich weiß, Kumpel“, meinte er tröstend, als es anklagend blökte. „Ich auch, glaub mir. Ich auch.“ ** [1] Nephilim: riesenhafte Mischwesen, gezeugt von göttlichen Wesen und Menschenfrauen; später zumeist als gefallen Engel interpretiert. A/N: Ich weiß nicht, was mich hier geritten hat; ich schreibe kein Fantasy, wenn man dies denn so nennen kann, eigentlich zumindest. Auch Engel sind nicht mein Thema... eigentlich. Irgendwie hat sich das kleine Plotbunny hier dennoch in mein Hirn geschlichen und zwang mich zur Umsetzung dessen, und hier ist das Ergebnis. :) Man glaubt übrigens nicht, wie leichtfertig man oft Müll schreibt, wenn das Geschriebene ein bisschen Recherche erfordert. Beinahe hätte ich Tee in Noahs Zeit versetzt... Beinahe. @_@ Nun denn, falls irgendwer das gelesen und eventuell Gefallen (oder auch nicht) daran gefunden hat: Ich freue mich über Kritik. Ich hab lange nichts mehr geschrieben, ich könnt’s gebrauchen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)