Erwachsen werden ist nicht leicht von Ryoko-chan ================================================================================ Kapitel 5: Tod -------------- Sie starrte mit weit aufgerissenen Augen auf ihr Handy und Shinichi riss es ihr aus der Hand. Entsetzt las der Detektiv die Textnachricht. „Kannst du mir jetzt ENDLICH mal sagen, was hier vor sich geht?“ Er hielt Jodie das Handy hin und die Augen der Agentin weiteten sich. „Er wird jemanden töten und es ist meine Schuld!“, wisperte Shiho. Sie kniete zu Boden und hielt sich die Hände vors Gesicht. Vorbeigehende Passanten warfen auf das merkwürdige Trio neugierige Blicke. „Wer wird getötet, Shiho? WER?“ Shinichi schrie ihr förmlich ins Gesicht und Jodie hielt ihn an den Schultern zurück. Es brachte nichts, das Mädchen noch anzubrüllen. „Ich weiß es doch nicht, ich hab keine Ahnung… ich…“ Shiho schluchzte. Ein Kloß machte sich in ihrem Hals breit, ließ sie nicht weiter sprechen. „Er… er muss denken… das Treffen war geplant…“ Jodie zog das Mädchen hoch. „Alright, wir gehen jetzt zum Auto, es bringt nichts hier rumzustehen!“ „Mir reicht es, wirklich!“, meinte Shinichi wütend, als sie Platz im Auto genommen hatten. Er hasste es, wenn sie in Rätseln sprach. Er wollte endlich wissen, was los war. Warum sie sich in letzter Zeit so merkwürdig verhielt, vor allem, was die Szene vorhin zu bedeuten hatte. „Es wäre besser, du erzählst uns was vorgefallen ist. Anders können wir dir nicht helfen.“, erwiderte Jodie schließlich. Sie betrachtete die junge Frau im Rückspiegel. „Ich… ich kann nicht…“ Ihre Stimme war heiser geworden, klang schwach und hoffnungslos. „Shinichi… alle Personen, die mit mir… zu tun haben, sind in Gefahr. Ich… er hat Angst, dass ich … die Forderungen…“ Ihre Stimme brach weg, der Kloß in ihrem Hals war einfach zu groß. „Also, lass mich mal raten, du wurdest mit Jodie und mir gesehen und diese Person, die dir gerade eben eine SMS geschickt hat, dachte, du hättest das FBI eingeschaltet. Hat es mit der Organisation zu tun, Shiho? Ist es dieser Picon?“ Die junge Frau nickte schwach, konnte nichts erwidern. Sie hatte Angst. Die Monate, die sie in Amerika verbrachte, hatten ihr deutlich gemacht, dass es noch lange nicht vorbei war mit der Organisation. Währenddessen rasten die Gedanken des Schülerdetektivs, wenn es stimmte was sie sagte, waren alle in Gefahr. Der Professor, Ran und ihre Eltern, Sonoko, die Kinder… einfach alle. Er konnte ihre Angst nachvollziehen, es ging ihm nicht besser, als er um Rans Leben gebangt hatte. „Jodie, bitte rufen sie bei sich in der Zentrale an und organisieren sie, dass Ayumi Yoshida, Genta Kojima und Mitsuhiko Tsuburaya auf der Stelle in Sicherheit gebracht werden. Ich werde die anderen warnen!“ Die Agentin nickte und stieg aus dem Wagen. „Bitte… beeil dich Shinichi! Vielleicht ist es noch nicht zu spät!“, flehte Shiho. Zunächst erwiderte er nichts. Seine Miene schien nichts zu verraten. „Hättest du mich oder Jodie bereits früher über diese ganze Sache aufgeklärt, dann wäre es wahrscheinlich erst gar nicht so weit gekommen. Nur muss man dir immer alles aus der Nase ziehen!“, antwortete er wütend und wählte Rans Nummer. Seine Antwort saß, sie versetzte Shiho einen Stoß und sie ballte ihre Hände zu Fäusten, drückte sie fest gegen ihre Oberschenkel. Sie versuchte die Tränen zu unterdrücken, wollte nicht schon wieder vor Shinichi weinen. Doch er hatte Recht, überlegte sie. Ich bin ganz allein für diese Situation verantwortlich… warum passiert mir das immer wieder?, dachte sie. Das Mädchen kniff die Augen fest zusammen und einige Tränen tropften auf ihre rote Bluse, verschleierten ihre Sicht. Was soll ich nur tun, was nur, Akemi?, fragte sich Shiho in Gedanken. Doch nie würde sie eine Antwort bekommen. „Nein, beruhige dich! Ich erkläre dir alles später, Ran. Tu nur was ich dir gesagt habe, es wird euch jemand abholen!. … mach dir keine Sorgen …“ Shinichi legte auf und atmete tief durch. Direkt darauf wählte er die Nummer des Professors. Das Tuten des Wähltons drang bis auf den Rücksitz und Shiho hob den Kopf. „Ich werde es auf seinem Handy versuchen, vielleicht ist er gerade einkaufen.“ Doch vergebens, der Professor war nicht zu erreichen. „Verdammt!“ Shiho erschrak, als Shinichi mit voller Wucht auf das Armaturenbrett schlug. Der Detektiv raufte sich nervös durch die Haare und ließ das Fenster auf der Fahrerseite hinunter. Sofort wurde Jodie auf ihn aufmerksam. „Wir müssen schleunigst zu Professor Agasa, ich kann ihn nicht erreichen!“, sagte er alarmierend. Auf der Stelle beendete die Agentin ihr Telefonat und sprang ins Auto. „Schnallt euch an und haltet euch fest!“ Sie drückte das Gaspedal durch und raste ohne Rücksicht auf rote Ampeln oder jegliche Verkehrsregeln durch die Straßen. Trotz der ernsten Situation musste Shinichi leicht grinsen. Ihr Fahrstil wirkte mörderisch, war aber ziemlich brisant. Mit quietschenden Reifen hielt sie vor Agasas Haus und noch bevor der Wand still stand, sprang Shinichi aus dem Wagen und stürmte zur Tür. „Kudo, warte doch!“ Schon vom Auto aus, sah Shiho die offenstehende Haustür und ihr wurde speiübel. Sie und Jodie folgten dem Detektiv ins Haus. Es war seltsam ruhig, nur das leise, monotone Summen des Kühlschranks durchdrang die Stille. Zu der stark aufkeimenden Übelkeit gesellte sich jetzt ein kühler Schauer, welcher Shiho den Rücken hinunterlief. Jodie zückte ihre Waffe. Im Nebenzimmer brannte Licht, sie erkannte die Silhouette des Detektivs vor sich. Dann betraten sie den Raum. Regungslos stand Shinichi inmitten des Zimmers. Shiho blickte an ihm herunter. Vor seinen Füßen breitete sich eine Blutlache aus. Sie stolperte zurück und übergab sich. Zehn Minuten später war bereits die Polizei und die Spurensicherung vor Ort. Inspektor Megure war anzusehen, dass er mit der Fassung rang. Er kannte Agasa schon sehr lange als freundlichen, kinderlieben Erfinder und jetzt lag seine Leiche vor ihm. Zwei Kugeln steckten in seiner Brust, man wollte wohl auf Nummer sicher gehen. Shinchi lehnte am Türrahmen, er war blass wie die Wand. Mit dem Ärmel strich er sich immer wieder den Schweiß aus dem Gesicht, konnte den Blick nicht von dem toten Körper ablegen. Innerlich fluchte er. Das kann nicht wahr sein, wiederholte Shinichi immer und immer wieder in Gedanken. Er hatte bereits wirklich viele Leichen gesehen, doch nun war es das erste Mal, dass jemand aus seinem näheren Umfeld verstorben war. Der ältere Mann hatte doch praktisch schon zur Familie gehört, hatte Shinichi immer wieder geholfen und unterstützt, als Conan und auch schon als Shinichi. Nicht länger ertrug er den Anblick der Leiche, wandte sich herum. Shiho lehnte zusammengekrümmt an der Wand, weinte stumm, während ihr Blick ins Leere ging. In ihrer schlimmsten Zeit hatte Agasa sie aufgenommen, damals, nachdem sie vor der Organisation geflohen war und Schutz gesucht hatte. Fürsorglich hatte er sich um das Mädchen gekümmert, hatte ihr angeboten, nach der Sache mit der Organisation auch weiter bei ihm wohnen zu dürfen, bis sie ausziehen wollte. Und nun… war es die Organisation die ihn getötet hatte. Er war weg, einfach weg. Ein weiterer Mensch, den Shiho verloren hatte. Wie ihre Eltern, wie Akemi… und es war ihre Schuld. Ganz allein ihre Schuld. Weinkrämpfe durchschüttelten den Körper der jungen Frau. Shinichi ließ sich neben ihr nieder. Sah ihr beim Weinen zu, konnte nicht reagieren. Welche Worte konnten sie trösten? Er hatte selbst keine Kraft, fühlte sich leer und ausgebrannt. „Geh weg… bitte… ich kann nicht…“ Shiho verbarg ihr Gesicht schluchzend in ihren Händen. Sein Kopf war gefüllt mit Wut und Trauer, doch mit nichts anderes. Sollte er weinen oder sich besser abreagieren, seiner Wut Luft machen? Das war doch nicht die Wirklichkeit. Am Liebsten hätte er Agasas Körper geschüttelt, ihm gesagt, dass… Er schüttelte bitter den Kopf. Zwei Männer trugen den verdeckten Körper des Professors auf einer Trage hinaus. Zurück blieb nur das viele, dunkle Blut. Und Scherben von einem heruntergefallenem Glas. Shinichi schloss die Augen und rieb sich die Schläfen. Er war so müde. „Shinichi?“ Er öffnete seine Lider. Megure stand mit besorgtem Blick vor ihm. „Ich weiß, dass diese Situation jetzt sehr schwer für euch ist, aber würdet ihr uns bitte auf das Präsidium begleiten?“ Er warf einen Blick auf Shiho. „Wir haben auch… zur Verfügung stehende Kriminalpsychologen da, falls…“ Shinchi nickte nur, sah ebenfalls zu Shiho. Sie hatte inzwischen aufgehört zu weinen, ihr Blick ging jedoch immer noch ins Leere. Vorsichtig zog er sie am Arm hoch, drückte sie kurz an sich. Shiho wagte es nicht, ihm in die Augen zu sehen. „Ich… ich möchte kurz ins Bad gehen, bitte.“, erwiderte Shiho leise. Sie löste sich von dem Jungen. Er sah dem Mädchen besorgt hinterher und seufzte schwer. Dann spürte er eine Hand auf seiner Schulter. Shiho lächelte, auch wenn es ein trauriges Lächeln war. „Deiner Freundin und ihrem Vater sind ebenfalls auf dem Präsidium eingetroffen. Es geht ihnen gut Auch den anderen, sie stehen alle unter Polizeischutz.“ Shinichi nickte kurz. „Danke, Jodie…“ Sie wollte dem jungen Mann Mut machen, ihn beruhigen. Doch es brachte nichts, natürlich nicht. Jodie wusste, wie es war einen Menschen zu verlieren. Sie verstand ihn, konnte jedoch nichts tun. „Wir sollten los! Shinichi? Wo ist das Mädchen?“, fragte Megure. Der Detektiv blickte sich um, Shiho war noch nicht zurück. War sie noch im Bad? „Ich werde mal nach ihr schauen!“, antwortete er und wechselte den Raum. Die Tür der Toilette unten war angelehnt, also musste sie sich oben im Bad befinden. Er lief die Treppen hinauf und klopfte sachte an der Tür des Badezimmers. „Shiho? Wir müssen fahren…“ Keine Antwort. Er klopfte erneut. Würde sie nicht antworten, musste er wohl oder übel die Tür aufbrechen, er konnte nicht riskieren, dass sie sich etwa antat. Doch das war nicht nötig. Probeweise drückte Shinichi die Klinke herunter und die Tür ließ sich problemlos öffnen. Sie war nicht da. „Scheiße!“, brach es aus ihm heraus und er rannte die Treppen hinunter, hastete an Megure und den anderen Polizisten vorbei. „KUDO!? Was ist mit dem Mädchen? Wo willst du denn hin?“, schrie Megure. Eine Antwort bekam der Inspektor nicht mehr. „Was war denn das?“, frage Takagi verdutzt. „Sollen wir sie… suchen lassen?“ Megure schüttelte den Kopf. „Noch nicht… ich vertraue Shinichi. Der junge Detektiv hetzte durch die Straßen, versuchte das Stechen in seiner Seite zu ignorieren. Zu lange hatte er nicht mehr trainiert. Sein Körper war zwar kräftig, doch es fehlte ihm an der notwendigen Kondition. Shinichi konnte nicht anders, als an damals denken. An Shihos Schwester… Masami, nein… Akemi. Damals hatte er ihr nicht helfen können, sie war in Conans Armen gestorben. Er hatte ihren Tod nicht verhindern können, noch lange danach hatte er an Ais weinendes Gesicht denken müssen. Die ganze Sache hatte ihn mitgenommen, ohne Zweifel. Doch er durfte kein zweites Mal zulassen, das so etwas geschah. Er wollte sie nicht auch verlieren, nicht wie er nun Agasa verloren hatte. Shiho war inzwischen eine gute Freundin, er mochte sie, egal was damals in der Organisation vorgefallen war. Sie war zweifelsohne intelligent, doch für ihr Schicksal konnte sie nichts. Nur was jetzt vor sich ging, verstand Shinichi nicht. Wer war dieser Picon? Was wollte er von ihr…? Hatte es wirklich mit der Organisation zu tun. Keuchend erreichte er Shihos Wohnung. Wenn sie nicht dort war, wo dann? Shinichi hämmerte gegen die Haustüre, doch niemand öffnete. Er versuchte sich zu beruhigen, sein Atem ging viel zu schnell und auch sein Herz klopfte wild gegen seine Brust. Dann sah der Junge die Mappe auf dem Fußboden liegen. Natürlich. Er bückte sich und sperrte mit dem darunter verborgenen Schlüssel die Tür auf. „Shiho!“ Er blickte sich um, sah einen offenen Koffer auf dem Tisch stehen. Wo wollte sie hin? „Du kannst doch nicht einfach abhauen… ich versteh… gar nichts mehr, absolut nichts. Vertraust du mir so wenig, dass du mir nicht sagen kannst, was los ist?“ Shinichi drückte die angelehnte Tür des Schlafzimmers auf. Sie stand genau vor ihm. Eine Waffe war auf seine Brust gerichtet. Ihre blasse Wangen glänzten nass, die eine Hand zu einer Faust geballt, die andere hielt zitternd die Pistole. Shiho entsicherte die Waffe. „Ich will dir nur sagen, ich liebe dich, Shinichi… und es tut mir so leid…“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)