Paperstars von Blacksad ================================================================================ Kapitel 1: Maurice das Trüffelschwein ------------------------------------- Ich starre jetzt schon seit geraumer Zeit von dem Mädchen auf der gegenüberliegenden Straßenseite zu meinem Milchschaum und wieder zurück. Sie ist definitiv attraktiver. Die weiße Haube des Cappuccinos ist inzwischen auf ein Minimum zusammengeschrumpft, weil ich unablässig mit dem Strohhalm darin herumrühre. Leicht deprimiert kratze ich den übrig gebliebenen Kaffe-Laktose-Schmadder von meinem Heißgetränk und nehme den letzten Schluck. Dann atme ich tief durch und erhebe mich von dem knarzenden Korbstuhl. Gezahlt habe ich vorhin schon, also schiebe ich meine Hände tief in die Hosentaschen und schlurfe die von Geschäftsleuten, Müttern, Kindern und Omas belebte Straße entlang. Es ist ein sonniger Tag, die meisten Leute sehen glücklich aus, schwatzen geschäftig oder lecken an einer Kugel Eis. Alles ist in Bewegung nur sie steht still. Wieder schwenkt mein Blick in Richtung der schmalen Silhouette neben dem blau-weißen Straßenschild. Wer sie wohl ist? In meinem Kopf kommt jeden Moment jemand um die Ecke um sie abzuholen. Gibt ihr links ein Küsschen, rechts ein Küsschen, legt seinen kräftigen Arm um ihre Taille und zieht sie mit sich. Das Mädchen sieht tatsächlich wartend aus. Sie schaut wie die Menschen am Bahnhof, in den U-Bahnschächten oder der Bushaltestelle. Erst jetzt bemerke ich, dass ich unbewusst stehen geblieben bin und wie ein Esel zu ihr herüber glotze. Planlos stopfe ich meine Grabscher noch tiefer in die Jeans und schlendere über die Straße. Als ich vor ihr stehe, guckt sie durch mich hindurch und ich schweige. „Ähm...“ nuschel ich nach einiger Zeit ungeschickt. Ja was ähm... Mo? Was wird das hier überhaupt? Was willst du erreichen? „Ähm...“ echo ich. „Hi!“ sie streckt mir ihre Hand entgegen, nein eigentlich streckt sie sie rechts an mir vorbei. Ich ergreife sie etwas perplex. Sofort schließen sich ihre Finger um meine Pranke und scheinen jeden Zentimeter davon zu erkunden. „Kannst du mich zum Tierarzt führen?“ Hä, will sie eine Wegbeschreibung oder was jetzt? „Äh klar. Du gehst die Straße hier runter, bis zu dem Blumengeschäft. Da biegst du re..“ sie unterbricht mich und lacht „Nein ich will keine Wegbeschreibung. Ich meinte ob du mich hinführen kannst. Ohne Pan find ich mich nicht so gut zurecht. Vorhin hab ich mich verzählt und jetzt hab ich keine Orientierung mehr“ sie knautscht meine Hand, die sie nicht losgelassen hat. „Bitte“ Ich verstehe nichtmal die Hälfte von dem, was sie sagt, aber warum nicht? Ich hab sowieso nichts zu tun. Also stapfe ich los, das Mädchen im Schlepptau. „Sag mal, wie heißt du eigentlich?“ frage ich sie. „Julien.“ „mhm“ ich brummele irgendetwas Unbestimmtes und stiefele weiter die Straße hinunter. Vielleicht hätte ich etwas in Richtung „Was für ein hübscher Name“ oder „Passt gut zu dir“ sagen sollen, aber das fällt mir natürlich erst jetzt ein. Stattdessen verkünde ich: „Wir sind gleich da“ und biege um die nächste Ecke. Tatsächlich stehen wir einige Minuten später vor der Praxis und betreten kurz darauf das, nach Desinfektionsmitteln und Hundescheiße müffelnde Gebäude. Ich verabschiede mich von Julien. „Ähm..war schön dich kennenzulernen “ murmele ich. Sie lächelt, „Ja finde ich auch“. Das Mädchen lässt erst jetzt meine Hand los. Mir ist es vorher gar nicht aufgefallen, aber sie hat sie den ganzen Weg festgehalten. Ob sie wohl was von mir - nein. Vor Entrüstung über meine eigene Dummheit grunze ich auf wie ein fettes Trüffelschwein, das gerade einen Pilz gefunden hat. „Was ist?“ erklingt ihre Stimme. „WAS?“ Ich lache nervös, fahre herum und kratze verlegen an meinem Hinterkopf herum. „ähihih..-“ meine Beine zappeln nervös. Wahrscheinlich klingt das Schlackern der aneinander schlagenden Knie wie spanische Kastagnetten, nur etwas taktlos. „Nichts“, meine Augen wandern auf den Boden, auf dem sich matschige Hundepfotenabdrücke tummeln und ein wirres Muster bilden. „Nichts -“, versichere ich erneut. Irgendwie will ich sie wiedersehen. Meine Güte, was muss ich auch immer so schüchtern sein?! Ein unterbewusstes, etwas mutigeres Ich schnappt sich einen Zettel von der Rezeption und kriggelt meine Handynummer darauf. Dann rennt es zu Julien, drückt ihr den Papierfetzen in die Hand und stürmt aus dem Gebäude. Schnaufend und prustend erreiche ich wieder das Straßenkaffee. Scheiße verdammte, einen dümmeren Auftritt hätte ich nicht bringen können! Nun in normalem Schrittempo, laufe ich zu der nächsten Bushaltestelle und studiere den Plan. Der ist dank eines riesigen Brandflecks, den irgendwelche Zündler aus Langeweile geschaffen haben, nur noch teilweise zu entziffern. Der Zeitraum von 15 bis 18 Uhr ist ausgelöscht, nicht mehr zu lesen. Ich schaue zum Kirchturm 17:16 Uhr. Ja ne, war klar! Frustriert will ich mich gerade auf eine der Bänke schmeißen, als die 14 angeschnauft kommt. Der Fahrer senkt das riesige Gefährt zum Bordstein hin ab. Ich finde es sieht aus, als würde sich der Mercedes hinsetzten. Autos haben allgemein etwas Menschliches, sie schauen einen irgendwie an. Cabrios wirken meistens aggressiv, ein VW-Käfer hingegen macht eher den Eindruck eines naiven Supermarkt-Angestellten. Ich halte dem bärtigen Kerl hinter dem Steuer meine Monatskarte unter die Nase. „Unterschrift fehlt!“ bellt er mich an. „Vergessen“ brummele ich. Was stellt der sich jetzt so an? Ich fahre schon seit gut drei Wochen mit dem unbeschrifteten Pappstück. Also versuche ich mich an ihm vorbei zu quetschen, spüre aber sogleich, wie etwas an meinem Shirt reißt, so dass der Stoff gefährlich knarzt. „Hier geblieben Bürschchen! Ich will deinen Personalausweis sehen und dann eine Unterschrift oder du zahlst“ Er grinst mich gehässig an. Entnervt krame ich meinen inzwischen schon wieder in die Tasche gesteckten Geldbeutel heraus und präsentiere ihm meine Papiere. Er überprüft sie pingelig und murrt anschließend nochmal „Unterschrift!“, wobei er seinen Wurstfinger auf das Papier patscht und hin und her schwenkt, als wolle er es durchbohren. Dabei wirkt er ziemlich frustriert. Wie eine Bulldogge, der man ein leckeres, saftiges Hüftsteak vor die Nase gehalten und wieder weggezogen hat. „Ich habe keinen Stift“ verkünde ich, was tatsächlich stimmt. Wer schleppt auch schon einen Filzer mit sich rum, wenn er in die Stadt bummeln geht. Ich zumindest nicht. Herr Mayer, wie ich dem kleinen Schild an seiner Brust entnehmen kann, zupft einen der fünf, ordentlich am Rand seiner Hemdtasche aufgereihten Kulis hervor und streckt ihn mir entgegen, als wolle er mich damit erdolchen. „Unterschrift!“ blökt er mich zum dritten Mal an. Mein Güte! Kann der auch noch was anderes sagen? Ich reiße ihm den Schreiber aus der Hand und schmiere unleserliche Hieroglyphen, die Maurice Mühlbach bedeuten sollen in das weiße Kästchen. Dann halte ich ihm den Wisch nochmal vor die Schweinsäuglein, um endlich in den hinteren Teil des Busses zu stapfen und mich in der letzten Reihe auf einen der bunt gemusterten Sitze zu schmeißen. Gott, Leute gibt es! Komischer Tag heute und leider ein Sonntag, das bedeutet, dass morgen die Schule wieder beginnt. Habe ich eigentlich alle Hausaufgaben gemacht? Ich denke kurz darüber nach, lasse es dann aber lieber bevor mir noch welche einfallen. Ich habe heute Abend keinen Bock mehr auf Lernen. Fünf Stationen und zehn Minuten Fußweg später stehe ich vor unserem Haus. Es ist eine schnöde Doppelhaushälfte inmitten tausender Kopien von ihr. Die ganze Straße ist voll davon. Wie eine Allee aus grauen Neubauten. Direkt gegenüber, also quasi in denselben vier Wänden, wohnt mein Kumpel Sabe, eigentlich heißt er Sebastian, aber man will seine Zunge ja nicht überanstrengen, also sagen alle nur Sabe zu ihm, außer seine Ma, wenn sie sauer ist. „Bin wieder DA!“, brülle ich durch das Treppenhaus unserer Seite. „Willst du was essen Schatz?“, schallt es zurück. Will ich? „Nein! Später vielleicht“ rufe ich, steck den Kopf kurz in die Küche und renne dann die Treppe nach oben. Das hört man gegenüber immer, so wissen Sabe und ich, wann der jeweils andere zuhause ist. Naja, ist mir gerade egal. Mich interessiert nur der Aufenthaltsort meines Handys, das irgendwo in meinem Zimmer verschollen sein muss. Ich fange an das Chaos zu durchwühlen. Wo habe ich das Scheißding nur hingetan? Zuerst suche ich in dem Sockenhaufen hinterm Schrank, dabei fährt mir ein unschöner Geruch in die Nase. Igitt ich muss waschen oder zumindest meiner Ma die dreckige Kleidung rauslegen. Später! Zuerst einmal: Wo is die Mistquatsche. Weder in den Schubladen des Schreibtisches noch im Bett kann ich sie finden. Schließlich schnappe ich mir entnervt das Haustelefon und rufe mich selber an. Es beginnt in der Hosentasche meiner Jeans von gestern zu vibrieren. Klar, ich hab vergessen die Taschen zu leeren. Na, da habe ich ja nochmal Glück gehabt, dass meine Ma nicht auf Plünderzug nach Wäsche in meinem und Finis Zimmer war. Da ist sie nämlich rigoros. Schnappt sich alles, was aus Stoff ist und auf dem Boden liegt, wirft es in die Waschmaschine und dann kann man nur hoffen das man nichts wichtiges in der Tasche hatte. Fini ist übrigens meine kleine Schwester, eigentlich heißt sie Finija aber dass meine Zunge nicht besonders sportlich ist, hab ich ja bereits erwähnt. Und so was Akrobatisches wie Finija kommt da mal gar nicht in Frage. „1 verpasste anrufe“ Ich schaue auf das orange leuchtende Display. Diese Grammatik sollte man echt verbieten. Und dann wundern sich Politiker, dass die Jugend verblödet. Wenn sie täglich „ein verpasste Anrufe!“ Auf dem Handy liest. Ich schaue auf die Nummer, das war ich selber, gerade eben. Also hat sie sich nicht gemeldet. Frustriert lasse ich mich aufs Bett fallen und starre an die Decke, aus dem Fenster und wieder an die Decke. „Julien“ murmel ich leise. Wie schön es klingt. Oh mein Gott was geht mit mir? Das ist ja nicht mehr normal. Und? *-* was sagt ihr? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)