Jeder für sich von -Sanna- ================================================================================ Kapitel 1: Wenn Niemand An Deiner Seite Ist ------------------------------------------- Draußen war es bereits pechschwarze Nacht, doch meine Umkleide wurde von grellem Neonlicht erleuchtet. Ich seufzte und nahm einen Schluck Wasser. Der Auftritt hatte mich mehr Kraft gekostet als sonst, ich hatte mich vollkommen verausgabt. Dabei hatte ich mir vorgenommen meine Energie einzuteilen – dies war erst der Anfang unserer Deutschland - Tour. Wie dem auch sei. „Hey Gustav!“ Bill und Tom kamen reingestürmt, beide bei bester Laune. Wie immer nach einem Konzert – die beiden liebten die Bühne. Sie sahen mich an. „Komm schon, wir wollen noch feiern gehen!“, meinte Bill voller Enthusiasmus, „Das Konzert war fantastisch, ein grandioser Start für unsere neue Tour!“ Ich winkte jedoch ab. „Nehmt es mir nicht übel, aber ich bin tierisch müde.“, sagte ich. Tom zog eine Schnute. „Gustav, sei kein Spielverderber.“, sagte er mit bettelndem Blick, „Schlafen kannst du immer noch, heute gibt’s Party!“ „Georg kommt auch mit.“, fügte Bill hinzu, „Lass uns nicht hängen, was macht das denn für einen Eindruck wenn wir nur zu dritt kommen?“ Ich seufzte leise. Der Eindruck. Ja natürlich, darauf mussten wir achten... Immer noch sahen mich die Zwillinge mit Hundewelpenaugen an, bis ich schließlich aufstand. „In Ordnung. Ich komm in fünf Minuten raus und feiere mit.“, sagte ich also widerwillig. Tom stieß einen Jubelschrei aus und Bill fiel mir um den Hals. „Geht doch.“, meinte er, grinste und verließ mit seinem Bruder den Raum. Einen Moment verweilte ich so. Du solltest glücklich sein. Andere würden töten um zu einer Feier wie dieser gehen zu dürfen. Komm schon, setz ein Lächeln auf. Deine Fans wollen dich glücklich sehen. Ja. Das wollten sie immer. Man wollte mich glücklich sehen. Also machte ich mich fertig, zog eine Kappe an und setzte mein Lächeln auf. Ich musste glücklich sein. Wer interessiert sich schon für verzweifelte Musiker? Seit zwei Stunden saß ich nun hier und nippte immer noch an meinem ersten Getränk, sah den anderen drei zu wie sie das Partyleben voll und ganz genossen. Bill war irgendwo auf der Tanzfläche dieses Clubs und Tom saß mit Georg an der Bar – beide mit einer hübschen Blondine, die sie umgarnten. Wieder seufzte ich. Ich hatte von Anfang an nicht mitkommen wollen, ich hatte ja gewusst, dass ich wieder nur hier sitzen würde und dem Geschehen zusehen würde. Es war doch immer wieder das Gleiche. Wie schon so oft in letzter Zeit kamen die dunklen Gedanken in mir hoch, die ich bis vor ein paar Monaten immer noch gut verstecken konnte. Bis sie zu stark wurden. Schon lange waren wir – Tokio Hotel – eine der wohl erfolgreichsten Musiker Deutschlands. Und wir begannen sogar international an Erfolg zu gewinnen, unsere Fangemeinde wuchs stetig. Manch einer würde wohl alles dafür geben, nur einen Tag lang unser Leben leben zu dürfen. Und wenn ich ehrlich war, wünschte ich mir nichts sehnlicher als das. Mit irgendjemandem das Leben tauschen zu dürfen und wenigstens einen einzigen Tag lang normal sein zu dürfen. Einfach nur Gustav. Nicht der berühmte Schlagzeuger von Tokio Hotel. Ich nahm einen kleinen Schluck von meinem Getränk und suchte Bill auf der Tanzfläche. Nach einer Weile entdeckte ich ihn dann auch zwischen einigen anderen Menschen, mit denen er tanzte und feierte, was das Zeug hielt. Ich bezweifelte, dass unser Sänger mitbekam, wie sehr uns der Erfolg zu schaden begann. Denn Bill war schon seit Monaten nicht mehr er selbst, erst recht nicht nachdem unser neues Album alle bisherigen Rekorde gebrochen hatte und unser Management sogar über eine Welttournee nach den Deutschlandkonzerten nachdachte. Dem Sänger käme dies nur entgegen. Er liebte die Musik, das hatte er immer getan. So sehr, dass ihn diese Liebe vollkommen blind für das machte, was hinter all den guten Seiten unseres dauerhaften Erfolges stand. Ich erinnerte mich an einen Streit zwischen Tom und Bill vor kurzem. Ich war mir ziemlich sicher, dass es um den Ruhm ging, der unserem Sänger den Verstand vernebelte. Es war ein heftiger Streit gewesen, so schlimm, wie seit langem schon nicht mehr. Tom war danach zu mir gekommen, vollkommen am Ende. Ich wusste, dass er selten zu jemandem kam wenn er verzweifelt war. Es musste wirklich schlimm gewesen sein. „Was passiert nur mit uns?“, hatte er mich immer wieder gefragt, „Was macht man mit uns?“ Es waren diese Fragen die mir zeigten, dass er wohl noch als einziger sah, dass etwas mit unserem Erfolg ganz und gar nicht in Ordnung war. Ich konnte ihm keine Antwort geben. Warum wusste ich nicht. Vielleicht wollte ich ihm es einfach nicht sagen, weil ich nicht wusste ob er es verkraften konnte. Unser Sieg, unser erreichtes Ziel – der Erfolg in der Musik – ist unser Ende gewesen. Das passierte mit uns. Manchmal erkannte ich meine Freunde nicht mehr wieder. Wie sehr wir uns doch alle verändert hatten! Wenn uns jemand mit uns selbst vor ein paar Jahren gegenüberstellen würde, wahrscheinlich würden wir uns gar nicht erkennen, schoss es mir durch den Kopf. „Hey Gustav, was hockst du da so alleine rum du Trauerkloß!“, Bill kam außer Atem von der Tanzfläche zu mir herüber. Schnell verpackte ich meine Gedanken wieder weit hinten in meinem Unterbewusstsein und setzte ein Lächeln auf. „Warum haben wir dich denn mitgenommen, wenn du hier nur ganz alleine sitzt?“, meinte er und griff nach meiner Hand, „Komm schon, feiere mit!“ Schon zog er mich auf die Tanzfläche und ehe ich irgendetwas tun konnte, war ich mitten im Geschehen. [i[Na gut. Dann muss ich tanzen, wenn man das von mir erwartet. Macht schließlich einen guten Eindruck... Einige Wochen ging unser Leben so weiter. Immer wieder ein Auftritt irgendwo in Deutschland und Partys bis spät in die Nacht die ich damit verbrachte, abseits zu sitzen und zu beobachten. Gedanken nachzuhängen, sehr einsamen Gedanken die ich mit niemandem teilen konnte. Die ich mit niemandem teilen durfte. Unser Management hatte beschlossen – unser neues Album war gut genug um eine Welttournee zu wagen. Nach unserem letzten Konzert in Deutschland würden wir aufbrechen. Es würden einsame Wochen werden, das wusste ich. Und ich behielt Recht. Nachdem wir durch Europa getourt waren, sollte es in Asien weitergehen. Von da aus nach Australien, wo wir unser erstes Konzert auf diesem Kontinent in Sydney geben sollten. Dann würden wir nach Amerika fliegen. Und das krönende Abschlusskonzert würde in New York stattfinden. Es war ein Mammut-Projekt, das war uns allen bewusst. Unsere Tour beinhaltete mehr Konzerte, als wir je am Stück gegeben hatten. Tausende Autogrammstunden nach, vor und zwischen den Konzerten. Und natürlich Interviews, immer und überall wo uns Reporter begegneten, in aller Herren Länder. Bill und Tom waren sich einig: Das würde das größte Abenteuer unseres bisherigen Lebens werden. Auch Georg teilte die Vorfreude der Zwillinge und brannte darauf, die ganzen fernen Länder zu bereisen und mit der Band neue Erfahrungen zu sammeln. Mich hatte keiner gefragt, was ich von der Tournee hielt. Und ich war auch sehr glücklich darüber – ich hätte nicht gewusst was ich antworten sollte. Denn ich hatte Angst vor der uns bevorstehenden Reise. Große Angst vor den vielen Konzerten, vor dem wachsenden Erfolg und all dem Menschen, die ich anlächeln musste. Wie sollte ich so lange lächeln können und meine Mauer aufrechterhalten? Ich hatte so sehr gehofft, wir würden Urlaub machen nach unserer Deutschlandtour. Aber diese Hoffnung war enttäuscht worden. Ein weiterer Kampf stand mir bevor und ob ich ihn heil überstehen würde...wagte ich zu bezweifeln. † Hosted by Animexx e.V. 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