Bilder unserer Zeit von ReiRei-chan ================================================================================ Kapitel 4: Millenium (2000) --------------------------- 4. Kapitel – 2000 (Millennium) Schnaufend schleppt sich Jamie die Treppen zu meiner Wohnung hoch, in den Händen balanciert er einen voll gepackten Karton aus dem vereinzelt Bücher herausfallen. Ich hätte nie gedacht, dass sich mein kleiner Bruder mal zu einer Leseratte entwickeln würde. Tatsächlich lernt man nie aus. „Wie viele Stufen noch?“, höre ich ihn jammern und muss lachen. Er ist und bleibt ein kleines Weichei. Vielleicht habe ich ihn zu nachsichtig behandelt. „Woher soll ich das wissen?“ „Ich denke du joggst sie jeden Tag rauf und runter“, mault er, lehnt sich prustend an den Handlauf, schiebt den Karton auf sein eines Bein und wischt sich mit der freien Hand den Schweiß aus den Augen. „Heißt nicht, dass ich sie auch jeden Tag zähle, Dumpfbacke“, necke ich ihn, schreite demonstrativ zwei Stufen auf einmal nach oben. Das fast tägliche Jogging zahlt sich nach vier Jahren also doch aus. „Sherlock Holmes wusste es.“ „Bin ich Watson, oder was?“, frage ich irritiert und wundere mich im Stillen darüber was zum Teufel meinen Bruder so umgepolt hat, dass er – freiwillig – die englischen Originalausgaben von Doyles Sherlock Holmes liest. Mit Sicherheit ist er zeitweise von Aliens entführt worden. „Scheinbar schon. Der wusste es auch nicht.“ „Ach leck mich!“, murmle ich. „Komm schon, nur noch zwei Absätze. So viel kann ich dir sagen.“ Hinter mir höre ich ihn gequält aufstöhnen, doch dann packt er seinen Karton fester und beginnt mit dem restlichen Aufstieg. „War ja nicht meine Idee alle meine Bücher mitzunehmen, was, Bruderherz?“ Darauf erwidert er nichts und ich eile ihm lachend in meine Wohnung voraus. „Und der Gewinner ist: Raphaeeel Montegaaaa!“, schreit Thomas ausgelassen, Martinas Kochlöffel wie ein Mikrofon haltend. Er tanzt ausgelassen auf meinem Sofa herum, grölt dabei die deutsche Nationalhymne und grinst von einem Ohr zum anderen. „Martina!“ „Ja?“ Sie kommt aus der Küche angelaufen, wirft einen verwirrten Blick zwischen mir und Thomas hin und her. „Was ist denn?“ „Du hast was in den Nudelsalat getan, gib es zu“, beschuldige ich sie scherzhafter Weise und sie verzieht ihre Lippen zu einem süßen Schmollmund. Dann schwingt sie vor mir das Küchenmesser, an dem noch Reste der Fleischwurst hängen, die sie gerade geschnitten hat. „Wag es nicht noch einmal meinen preisgekrönten Nudelsalat in den Dreck zu ziehen, Mister, oder ich sehe mich gezwungen dir den Fehdehandschuh hinzuwerfen!“ Ich lache, hebe in totaler Kapitulation die Hände, während Thomas sie anstarrt als sei sie eine grüne Kuh, oder plötzlich lila angelaufen. „Was machst du?“ „Ihn zum Duell herausfordern“, erklärt Jamie knapp, wuchtet seine Kiste über die Schwelle und bricht dann auf ihr zusammen. „Um die Beleidigung zurückzuweisen und ihm eine Lektion zu erteilen. Ging meist tödlich für eine der Parteien aus.“ „Äh hä“, brummt Thomas lediglich, kratzt sich am Kopf und beweist einmal mehr, dass er voll im Leben steht und keinerlei Ahnung von historischer Geschichte hat. Das habe ich zwar auch nicht unbedingt, aber zumindest solche Sachen weiß ich. „Na komm, hilf mir mit den letzten Sachen, sonst klappt mir mein Brüderchen noch vollends in der Mitte zusammen“, klopfe ich Jamie auf die Schulter, ziehe gemeinsam mit Thomas wieder nach unten ab, um auch den Rest von Jamies Zeug in meine Wohnung zu schaffen. Die Arbeit geht schweigend von der Hand, denn sowohl Thomas als auch ich haben nicht viel zu erzählen. Letztendlich ist der große Tag eingetroffen und Jamie – sechzehn geworden – kann bei mir einziehen. Ich habe mein Versprechen also gehalten. Sieben Jahre ist es nun her, seit ich das letzte Mal bei meinen Eltern war. Und damals habe ich auch nur meine Mutter gesehen, sie angeschrieen. An diesem Tag habe ich tatsächlich alles aufgegeben. Mein altes Leben und meine Hoffnung auf einen Neuanfang mit ihr und Zack. Jetzt starte ich in das neue Jahrtausend mit meinem kleinen Bruder. Er ist alles was ich habe und je haben wollte. Ich bin froh, dass er hier ist. „Wow, Erich…“, schrecke ich zurück, als der schweigsame Kerl plötzlich vor mir auftaucht und mich nur unverschämt gelassen angrinst. „Alter, erschreck mich nicht so“, beschwere ich mich, drücke mich an ihm vorbei in die Wohnung und stelle meine Last ab. Thomas kommt nur wenige Momente nach mir, haut aber sogleich wieder ab um den nächsten Karton zu holen. Erich hält mir einen Packen Blätter hin. Ich wische mir meine verschwitzten Hände an meiner Jeans ab, greife nach den Papieren, überfliege sie kurz. Es ist die Jahresbilanz unseres Clubs. Sieht gar nicht so schlecht aus. Das neue Jahr kann also gut beginnen. „Klasse“, freue ich mich, Erich hängt sich von hinten an mich. „Und wenn das mit dem Koch und der Küche klappt, dann haben wir bestimmt bald noch mehr Umsätze. Sollen wir vielleicht ein Restaurant draus machen?“ Erich schüttelt den Kopf. Damit ist die Sache auch schon wieder entschieden. Ich lege keinen Einspruch ein, denn immerhin ist mein Kumpel der Inhaber des Ladens, hat somit das finanzielle Risiko und die Entscheidungsgewalt, vor allem ist er aber ein Finanzgenie und kann schneller als ein Computer Zahlen ausrechnen. Auf ihn ist Verlass. „Was ist das?“, fragt Jamie, als er gerade aus dem Schlafzimmer kommt, seine Haare mit einem Handtuch abtrocknend. Er steckt nur in seinen Shorts. „Die Jahresbilanz unseres Ladens.“ „Zeig mal“, greift mein kleiner Bruder direkt danach und pfeift einmal anerkennend. „Krasse Scheiße… so viel Kohle.“ „Und der Großteil davon landet bei den Ausgaben des nächsten Jahres. Wir bauen um, dass wird eine ganze Menge kosten.“ „Was baut ihr um?“ „Die kleine Küche, die noch vom Vorbesitzer stammt. Wir haben uns überlegt, dass wir die modernisieren und in dem Teil auch renovieren und dann mit dem Verkauf von Kleinigkeiten beginnen. Snacks. Einfache Gerichte“, erkläre ich, nehme die Blätter an mich und verstaue sie in einem Ordner, der im Regal steht. Ich nicke Erich zu, der uns noch einen Wink dalässt und gleich darauf wieder verschwindet. „Macht doch ein Restaurant draus.“ Ich lache. „Hab ich auch gesagt, aber Erich will nicht.“ Jamie hebt nur die Schultern trocknet sich ab und sucht in den ganzen Kisten nach neuen Anziehsachen. Aber bei den ersten fünf tun sich nur Bücher auf. Er liest definitiv zu viel. „Rapha, komm her zu mir“, ruft Martina nach mir und ich gehe zu ihr. Sie legt einen Arm um meine Schulter und hält mir ihre Zeichnung von meiner Wohnung hin. Da ich keine Ahnung habe wie ich Jamies Zeug in meine winzigen vier Wände bekommen soll, hat sie sich darum gekümmert. „Sieht das gut aus, was meinst du?“ Ich betrachte ihr Gekritzel, entziffere die einzelnen Möbelstücke und lasse mir sagen, wo genau sich was befindet. Kritisch schaue ich mich in dem Wohnzimmer um. „Bist du sicher, dass noch ein Regal in die Ecke passt, wenn wir die Couch dahin schieben? Sieht mir viel zu eng aus…“ „Das müssen wir ausmessen. Aber ich denke das haut hin.“ „Hm… meinetwegen. Wenn es passt, dann passt es“, gebe ich als Antwort. Martina lacht auf, steckt sich ihre langen kastanienfarbenen Haare nach hinten und gibt das Zeichen zum Angriff. Jamie und ich verschieben auf ihre Anweisung hin die Möbel, rücken, ziehen und zerren alles in eine Form, während Thomas schließlich von seinem letzten Gang zurück kommt und somit alle Kisten oben angelangt sind. --- „Er hat es getan! Raphael, er hat es getan!“ Laut rufend stürmt mein kleiner Bruder in die Wohnung, schmeißt seine Jacke achtlos auf den Boden und bricht letztendlich in lauten Jubel aus. Er kommt auf mich zugestürzt, umarmt mich überschwänglich und hält mir dann die flache Hand hin. „Er hat eine Bemerkung zu meinem Namen gemacht, also Hand drauf.“ „Was hat er denn gesagt?“, will ich zuerst wissen und löse mich von der aufgeschlagenen Zeitung vor mir. „Er meinte, dass ich ein netter Junge wäre und man sich keine Sorgen um meine Zukunft machen müsste, wenn ich nur halb so gut kochen könnte wie Jamie Oliver – das Reden sei ja kein Problem mehr“, zitiert er triumphierend, wackelt auffordernd mit seinen Fingern. Trotzdem bekommt er einen Klaps auf den Hinterkopf. „Tz, ich hatte Besseres erwartet.“ „Zick nicht rum, Flosse her!“ Grinsend schlage ich bei ihm ein. Er drückt meine Hand feste, umarmt mich kurz und stößt ein wahres Siegesgeheul aus. Anscheinend ist sein Tag gut gelaufen. „Oh, wie geil ist das denn?“, wirft er sich mir gegenüber auf den Küchenstuhl. „Ich hab eine Ausbildung und einen Job in deinem Schuppen. Ich bin gesegnet, Alter!“ Über Jamie kann ich wirklich nur den Kopf schütteln. Er hat eine Entwicklung um mehr als 180° Grad gemacht. Aus dem ruhigen, weinerlichen Jungen mit den Kulleraugen ist ein großer, schlaksiger Kerl mit großer Klappe und übersprießendem Optimismus geworden, der scheinbar alles durchboxt was er sich in seinen Dickschädel gepflanzt hat. „Willst du Kaffee? Ist noch ein Rest da“, biete ich ihm an, falte meine Zeitung und fingere dann auf dem Schrank nach meinem Geschenk für ihn. Schließlich muss man ihn belohnen, wenn er seine Sache so gut gemacht hat. „Nein danke. Was machst du da?“ „Hier“, reiche ich ihm das etwas schwere Packet, sehe amüsiert dabei zu wie seine Augen immer größer und runder werden. „Ein kleines Geschenk zum Ausbildungsbeginn.“ „Mann, wär’ doch nicht nötig gewesen.“ Er mustert es kritisch, dreht es immer wieder hin und her, entscheidet sich dann aber für die gute alte Reißer-Methode und holt so einen dicken gold-braunen Einband ans Licht. „Äh…“ „Du hältst ihn falsch rum“, gebe ich ihm einen Hinweis und als er den kleinen Wälzer herum dreht, erstreckt sich ein breites Grinsen auf seinem Gesicht. Und es wird noch breiter, als er den Deckel aufschlägt und meine geschriebenen Zeilen überfliegt. „Oh, Rapha, echt… danke, Mann!“ „Schon gut. Ich dachte, du könntest es brauchen“, winke ich ab und bin froh, dass ich mit diesem Kochbuch offensichtlich ins Schwarze getroffen habe. Aber es ist ja auch nicht irgendeins. Nein, vielmehr ist es leer. Und es wartet nur darauf, dass Jamie seine ersten Rezepte darin aufschreibt und ausprobiert. „Alter Falter“, haucht er andächtig, gleitet mit seinen Fingern über das Leder und die goldenen Lettern darauf. „Ich bin so froh, Mann. So froh, dass ich hier bin.“ „Ich auch, Jamie. Ich auch“, erwidere ich und einen Moment lang sehen wir uns schweigend an. Acht Jahre waren wir voneinander getrennt, hatten nur sporadischen Kontakt und doch verstehen wir uns noch immer wortlos. Ich hatte befürchtet, dass es nicht mehr so sein würde, aber zum Glück habe ich mich geirrt. Die Stille hält an und jeder hängt seinen Gedanken nach, dann erhebe ich mich jedoch und stelle meine leere Tasse auf die Spüle. „Wann hat das eigentlich mit dir und Martina angefangen?“ „Angefangen hat noch gar nichts“, brummt Jamie. „Seit ein paar Wochen treffen wir uns, das ist aber auch schon alles was wir tun.“ „Den Rest will ich auch gar nicht hören“, entgegne ich lachend, öffne den Kühlschrank und schaue in beinahe gähnende Leere. Offenbar habe ich das Einkaufen vergessen. „Gehen wir in den Supermarkt?“ Jamie nickt, steht auf und wir werfen uns in Schuhe, Jacken und Schals. Auf Handschuhe verzichten wir. Es ist ein recht milder Winter dieses Jahr und die Hoffnungen auf weiße Weihnachten sind schon vor Monaten gestorben. „Kannst du dich noch an meinen Besuch vor zwei Jahren erinnern?“ „Klar. Hattest damals ja einen riesigen Koffer dabei.“ „Ja genau… ich dachte ich könnte dich überrumpeln und dann wäre ich da geblieben. Na ja, egal. Ich bin auf jeden Fall damals Martina auf der Straße begegnet und sie hat mich erkannt. Wir kamen ins Gespräch und sie hat mir erzählt wie sie dich und die Jungs kennen gelernt hat und was in den letzten Jahren so abgegangen ist.“ „Sie ist wirklich eine redselige Person“, stimme ich ihm zu und kann nur grinsen. Martina ist eine Freundin von Natalie, die wiederum mit Thomas sehr eng befreundet ist. Ich vermute ja schon seit Jahren, dass da was zwischen den beiden läuft oder schon gelaufen ist, aber Thomas streitet es ab. Auf einer Party von Natalie habe ich Martina dann kennen gelernt und heute gehört sie auch irgendwie zum inneren Kreis der Clique. „Schon. Aber wirklich nett. Sie war auch der Grund, warum ich schlussendlich wieder nach Hause gefahren bin.“ „Warum das?“ „Na hör mal!“, begehrt Jamie jetzt auf, boxt mir in die Seite. „Seit damals Weihnachten habe ich anderthalb Jahre nichts mehr von dir gehört. Nur die mickrigen Karten zum Geburtstag und so was. Da hab ich mir Sorgen gemacht! Schließlich war die Begegnung mit Mutter nicht gerade friedlich…“, nuschelt er leise, sieht mich mit traurigem Blick an. Ich lege einen Arm um ihn, ziehe ihn zu mir und ignoriere die gaffenden Blicke der Passanten. Durch den engen Kontakt zu Thomas bin ich das längst gewohnt. „Tut mir leid, Jamie.“ „Ich frage mich nur warum. Hab ich was falsch gemacht?“ „Oh Gott, nein!“, ziehe ich ihn fester an mich. „Du warst damals erst neun, es tut mir leid, du konntest es nicht verstehen. Es gab viele Gründe. Ich musste nachdenken.“ „Worüber?“ Langsam löst Jamie sich aus meiner Umarmung und starrt mich abwartend an. „Rapha, ich bin kein kleines Kind mehr, auch wenn ich so viel jünger bin als du. Und ich bin doch dein Bruder! Du kannst mit mir reden, bitte!“ „Nicht hier“, wehre ich ab, ziehe ihn in den Supermarkt hinein und für wenige Stunden des Einkaufens ist das Thema vergessen. Wir schlendern durch die Straßen, schleppen die Tüten, machen hier und da kurzen Halt, ehe wir in unsere Wohnung zurückkehren. Unsere Wohnung. Es fühlt sich gut an, dass zu sagen, denn viel zu lange habe ich auf diesen Moment gewartet. Pünktlich zu Jamies sechzehntem Geburtstag bin ich wieder nach Hause gefahren. Meine Mutter hat geschrieen und geweint, aber ich konnte ihr nicht vergeben, habe mein Versprechen erfüllt und Jamie mit mir genommen. Meinen Vater habe ich auch damals nicht gesehen. „Soll ich einen Tee kochen?“ „Gerne.“ Ich lasse mich auf das schmale Sofa fallen, ziehe eine Decke über mich und versinke einmal mehr in meinen düsteren Gedanken. Seit meinem Auszug habe ich meinen Erzeuger nicht mehr zu Gesicht bekommen. Acht Jahre ist das also schon her und dabei war ich zwei Mal im Haus. Einmal habe ich es ganz und gar auseinander genommen. Wollte er mich nicht sehen? Vermutlich nicht. Auch wenn ich erwartet hätte, dass er wenigstens kommen würde um mich zu schlagen oder anzuschreien. Aber nichts ist passiert. Kein einziges Mal hat sich etwas geregt. Die Tür zu seinem Arbeitszimmer war beide Male abgeschlossen, ich kann also nur vermuten, dass er sich dorthin zurückgezogen hat. Ob er gehört hat was ich gesagt habe? Wusste er, dass ich Jamie holen würde? Es gibt viele Fragen, die ich ihm gerne stellen würde, aber ich bezweifle, dass ich dazu jemals die Chance, geschweige denn eine Antwort erhalten werde. „Hier.“ „Danke. Setz dich zu mir.“ „Hatte ich vor, Bruderherz. Kommt jetzt die Stunde der Wahrheit?“ „Alles was du wissen willst“, verspreche ich ihm, puste, wirble die Oberfläche meines Tees auf, ehe ich vorsichtig daran nippe. Es herrscht Schweigen. Aber ich weiß genau, dass Jamie sich nur seine Fragen zurecht legt. „Weißt du, dass Vater Krebs hat?“ „Ja.“ „Er sieht scheiße aus“, spuckt mein kleiner Bruder verächtlich aus. „Er hat direkt mit Chemo und all dem Zeug angefangen. Alle Haare verloren und sich einen Rollstuhl angeschafft. Er verlässt sein Zimmer kaum noch und kämpft vermutlich im Stillen mit seinem Tumor. Mum kümmert sich um ihn. Ich wurde kaum noch beachtet, auch von ihr nicht.“ „Dafür hat sie aber ordentlich gekeift, als ich dich abgeholt habe.“ „Hat mich auch überrascht, wenn ich ehrlich bin.“ Wir versinken erneut in Stille. Das schmerzverzerrte Gesicht meines Bruders ist ein Messerstich in meinem Herzen und einmal mehr frage ich mich, was wir verbrochen haben, dass unsere eigenen Eltern nicht fähig sind uns zu lieben. Wann war der Punkt, an dem er angefangen hat mich zu hassen? „Was ist noch passiert?“, fragt Jamie dann. „Das letzte Mal habe ich dich gesehen, als du aus dem Krankenhaus entlassen wurdest und Thomas’ Mum dich mitgenommen hat. Aber du warst schon davor so anders.“ Ich atme mehrmals tief und kontrolliert ein und aus. Ich spüre, dass ich noch nicht bereit bin mich dieser Befragung zu stellen. Aber mehr als das weiß ich, dass Jamie an einem Punkt ist, wo er diese Antworten braucht. Erneut stelle ich ihn über alles andere. „Zack war da.“ Jamies Kopf ruckt hoch und er starrt mich mit einer Mischung aus Überraschung und Entsetzen an. Er weiß, dass ich seit meiner Flucht keinen Kontakt mehr zu Zack hatte. „Ich habe ihn gebeten mitzukommen. Er hat abgelehnt“, fasse ich es so kurz wir nur möglich zusammen. Ich will nicht darüber sprechen, denn noch immer leide ich darunter, dass ich ihn nicht haben kann. Die Zeit mit Zack war viel zu kurz und überschattet von der Gewalt meines Vaters und ich hatte gehofft einen ruhigen Neuanfang machen zu können, mit meinem Bruder UND Zack. Das er mich trotz seiner Gefühle für mich abgelehnt hat, ist für mich total unverständlich. Liebeskummer ist einfach nicht meine Sache. „Rapha, das tut mir leid.“ Jamie schlingt seine Arme um mich, drückt mich fest an sich, aber es spendet mir keinen Trost. Ich liebe ihn, meinen kleinen Bruder, aber ebenso liebe ich Zack. Und manchmal ist Bruderliebe nicht ausreichend. „Er hat sein linkes Auge verloren.“, erzählt er dann. „Ich weiß.“ „Weißt du auch warum?“ „Ja.“ „Sagst du’s mir?“ „Nein.“ Vier Jahre ist dieses Ereignis nun schon her, aber es verfolgt mich bis heute in meine Träume. Oftmals wache ich schweißgebadet auf und schreie Zacks Namen. Einmal mehr habe ich lernen müssen, dass man die Vergangenheit nicht ungeschehen machen kann. „Willst du sonst noch was wissen?“, frage ich schwach, stelle meine Tasse beiseite, ziehe die Decke höher und vergrabe mein Gesicht in dem warmen Stoff. „Ich will dich nicht quälen“, wirft Jamie besorgt ein. „Schon gut.“ „Hm… wie hast du eigentlich diesen Laden gekauft?“ Ich lache befreit. Die finsteren Themen sind überstanden und wir verfallen in alltägliches Geplauder. Ich erzähle Jamie von Thomas’ zunächst hirnrissiger Idee, die dann jedoch immer festere Umrisse angenommen hat, bis schließlich das Okay von Erich kam. „Sein Vater ist Immobilienhändler und die ganze Familie schwimmt nur so im Geld“, kläre ich meinen kleinen Bruder auf, der erstaunt den Mund aufreißt. Es ist wirklich schwer zu glauben, wenn man den schweigsamen Erich kennt, der mit all seinen Marotten einfach nicht wie ein Millionärssöhnchen wirken will. „Er hat es mir nie genau erklärt, aber Thomas meinte, dass Erich so wie ich eines Tages einfach im Viertel aufgetaucht ist und gemeint hat, er hätte keinen Bock mehr auf Zuhause. Seitdem gammelt er hier mit uns rum.“ „Krasse Scheiße!“, stöhnt Jamie auf, kneift sich einmal in den Arm. Ich muss grinsen. „Hab ich auch gesagt.“ Ich setze mich etwas gemütlicher hin. „Auf jeden Fall hat er dann mit dem Besitzer des Ladens mehrmals gesprochen, seinen Vater andauernd angerufen und schließlich sind sich alle Parteien einig geworden und Erich hat den Schuppen gekauft. Über die Summe schweigt er sich bis heute aus.“ „Ultra großer Mist, dass glaub ich ja nicht. Was ein Freak!“ „Von der Idee bis zum endgültigen Kauf hat es zwei Jahre gedauert, weil der Besitzer sich lange nicht sicher war, ob er den Laden wirklich aufgeben will. 1995 haben wir mit dem Umbau begonnen. Und ein Jahr später konnten wir eröffnen“, beende ich die kurze Geschichte, trinke meinen Tee aus und lächle meinen Bruder milde an. „Mir gehört der Laden also nicht wirklich, ich bin nur Chef. Erich macht die Finanzen und den rechtlichen Kram und entscheidet auch was alles getan wird und was nicht, aber er hat mir viel freien Raum gelassen und so konnte ich den Laden meiner Träume gestalten und Kohle damit verdienen.“ „Dann bist du ja auch steinreich!“, ruft Jamie erschrocken aus, seine Augen glänzen vor Freude und ich sehe es schon förmlich vor mir, wie er durch die Geschäfte tingelt und das Geld im großen Stil ausgibt. Allerdings muss ich seine Träume platzen lassen. „Nicht wirklich“, revidiere ich also. „Ich verdiene tatsächlich nicht schlecht, weil der Laden so populär ist, aber ich hab im Grunde nichts davon. Ich bezahle meinen Lebensunterhalt, jährlich geht auch ein gewisser Betrag an Erich zurück, dann habe ich für dich ein Konto eröffnet auf das ich monatlich einzahle und der klägliche Rest landet wieder im Schuppen.“ „Ich dachte Erich zahlt alles?“, hakt Jamie verwundert nach. „Tut er auch. Aber wenn ich was Neues ausprobieren will, zahle ich das meistens von meinem Geld. Wenn Erich die Idee gefällt, dann krieg ich die Kosten erstattet, wenn nicht, dann nicht.“ „Scheiße, wie kompliziert“, brummt Jamie, knufft mich in die Seite, wir balgen miteinander und ich spüre wie sich ein warmes Gefühl von Kopf bis Fuß in mir ausbreitet. Ich schlinge meine Arme um meinen kleinen Bruder, vergrabe meine Nase in seinen langen Haaren und seufze erleichtert. „Du hast ein Konto für mich eröffnet?“ „Hm-hm“, brumme ich, schmeiße die Decke über uns, kuschle mich näher an ihn. Auch ein Mann meines Alters – schließlich bin ich schon vierundzwanzig – braucht ab und an Streicheleinheiten und Kuschelzeiten. „Wofür?“ „Egal. Ist deine Entscheidung. Ich wollte nur, dass du abgesichert bist und über genug Rücklangen verfügst um deine Ziele umzusetzen. Ich hatte nur wenige Ersparnisse und wenn ich Thomas und Erich nicht getroffen hätte, die mir nicht nur eine Wohnung sondern auch meinen Job vermittelt haben, wäre ich aufgeschmissen gewesen“, erkläre ich. Jamie schmiegt sich an mich, gemeinsam sitzen wir auf der Couch und keiner sagt ein Wort. Wir haben genug geredet und jetzt zählt nur noch, dass wir zusammen sind und damit beginnen können die Vergangenheit hinter uns zu lassen. --- Die Neujahrsparty ist ausgelassen und fröhlich. Der Grill dampft auch zu dieser späten Stunde kräftig und die Jungs begraben sich unter Tonnen von Würsten, Steaks und allem anderen Fleischartigem, das sie von irgendwoher rankacheln. Die Mädchen sind in Gruppen verteilt über die Wiese verstreut, man hört ihr schrilles Lachen und Gackern. „Bier?“ „Danke“, nehme ich an, greife die Flasche, die Thomas mir reicht, ehe er sich neben mir auf die Decke wirft, die ich von zu Hause mitgebracht habe. Auch wenn keinerlei Schnee liegt, ist der Boden gefroren. Wir stoßen an, trinken einige Schlucke, ehe Thomas sich an meine Schulter lehnt und tief aufseufzt. Sein Blick klebt an einem Mädchen, dass ich nur flüchtig kenne. Scheinbar hat er einen Korb bekommen. „Ich fang’ nächstes Jahr übrigens wieder eine Ausbildung an“, teilt er mir leise mit. „Keine Lust mehr auf deinen Büroalltag?“ „Scheiße, das war langweilig! Die Ausbildung war kein Brüller und zwei Jahre in dem Schuppen haben wirklich gereicht. Die übernehmen mich eh nicht und mein Traum ist es nun auch nicht.“ Ich nicke verstehend. Fachangestellter für Bürokommunikation klingt schon nach absolutem Brechreiz. Man kann es Thomas also kaum verübeln, wenn er lieber was anderes machen will. Und mit seinen sechsundzwanzig Jahren hat er auch noch relativ gute Chancen was zu bekommen. „Und was machst du?“ „Ich wird’ Erzieher.“ In großem Bogen spucke ich den Schluck Bier aus, den ich gerade eben noch genommen hab. Mit einer Serviette wische ich mir das Kinn, starre meinen grinsenden Kumpel verständnislos an. „Was? Bist du bekloppt?“ „Ich kann das, glaub mir! Ich habe zwei Brüder!“ „Ich hab auch einen, aber das macht mich nicht zum Erzieher“, verdrehe ich die Augen, stoße Thomas von mir, der sich einige Male total sinnlos über den Boden rollt, ehe er sich wieder neben mich setzt. „Du solltest mich unterstützen, Alter“, beschwert er sich grinsend. „Tu ich doch“, entgegne ich, verpasse ihm daraufhin eine Kopfnuss, die ihn gequält aufstöhnen lässt. „Ich dreh dir den Kopf gern wieder richtig.“ „Ach komm, so schlimm wird es nicht.“ „Hm“, gebe ich nur wenig überzeugt von mir. Dann hebe ich resignierend die Schultern. „Ist ja deine Sache. Wenn es wirklich dein Ding ist, dann hab ich auch nichts dagegen. Aber wehe du missbrauchst mich für irgendwas.“ „Ich muss dich nicht missbrauchen“, strahlt Thomas von Ohr zu Ohr, streicht mir einmal sanft über die Wange. „Du gibst dich doch freiwillig her, Süßer.“ Gerade will ich zu einer Antwort ansetzen, als ich zwei Arme spüre, die sich von hinten um mich schlingen und nahe an einen Körper ziehen. Ein vertrauter Geruch nach Zigaretten steigt mir in die Nase. „Der gehört mir, such dir ein anderes Spielzeug.“ „Och komm schon, Alter! Du siehst ihn schließlich jeden Tag im Laden! Ich will auch mal wieder ein bisschen Zeit mit meinem Schnuckel verbringen“, widerspricht Thomas, packt mich am Arm, zieht mich aus Erichs Umarmung und strubbelt mir durch die Haare. „Ich hab für ihn bezahlt“, führt Erich das nächste Argument ins Feld. Ich schnappe empört nach Luft, ramme meinen Ellbogen in seinen Magen und verpasse auch Thomas einen Schlag, der ihn umhaut. „Ich liebe euch auch Jungs, aber ich steh nicht so auf Dreier“, mokiere ich mich, stehe auf und will gerade gehen, als Thomas meinen Fuß zu fassen bekommt und mich von den Beinen holt. Die Bierflasche werfe ich in hohem Bogen von mir, ehe ich unsanft auf der Erde aufkomme. „Sag bloß du magst mich nicht mehr“, jammert Thomas über mir, kriecht mit seinen kalten Fingern unter mein Hemd. Ich schaudere und versuche mich wegzudrehen, als Erich mich an meinen Handgelenken packt und mir frech ins Gesicht grinst. „Leute, nein, kommt schon! Gnade!“, schreie ich halb panisch. Ich fange Jamies belustigten Blick auf, als mich meine beiden Freunde hochheben und ein Stück über die Wiese tragen. Ich ahne was sie vorhaben. „Hilfe!“, rufe ich, aber die versammelte Mannschaft lacht nur und ergötzt sich an dem Schauspiel. Mein verräterischer Bruder steht bei seiner angebeteten Martina, dich sich kaum noch auf den Beinen halten kann. „Macht keinen Scheiß, kommt schon!“, flehe ich Thomas an, der allerdings nur johlt und sich in Position bringt. Ich drehe meinen Kopf um dem Unvermeidlichen ins Gesicht zu sehen. Vor mir fällt das Gelände steil ab und rund fünfzig Meter geht es einfach nur nach unten, bis man wieder auf eine flache Ebene trifft. Und genau da wollen mich meine Freunde jetzt runterrollen. Das wird schmerzhaft! „Einen letzten Wunsch, mein Liebster?“, fragt Thomas laut genug, dass ihn alle verstehen können. Die Bande lacht, einige treten näher und werfen einen Blick nach unten. Es ist wirklich eine steile Abfahrt und unten befinden sich noch ein paar andere Feiernde, von denen einige zu uns raufschauen. „Wenn du mich lieb hast, dann lässt du den Unsinn“, versuche ich ein letztes Mal mein Glück, aber Thomas schwingt als Antwort nur meine Beine hin und her, bis auch Erich einfällt und sie mir somit den nötigen Anschwung geben. „Jamie, Hilfe!“, rufe ich, doch da haben mich die beiden auch schon losgelassen. Ich pralle hart auf der Erde auf, fange an zu rollen und die Welt verschwindet in einem einzigen Strudel aus Farben. Kleine Steinchen bohren sich durch meine Kleidung und bei jedem Hubbel spüre ich einen neuen blauen Fleck. Meine Rufe gehen in einem undeutlichen Geschrei unter, dann werden Stimmen lauter und ich bemerke wie ich auf eine Gruppe von Leuten zurolle, die eiligst versuchen sich und ihre Sachen in Sicherheit zu bringen. Dann pralle ich gegen etwas, meine Tour endet abrupt und mein ganzer Kopf schwirrt. Ich versuche mich zu erheben, aber ich taumle, falle zu Boden und bekomme keinen festen Stand. Alles wirbelt um mich herum und noch immer sehe ich nur Kreise. Über mir höre ich meine Freunde schreien und kreischen. Ich schüttle den Kopf, öffne und schließe die Augen, langsam klärt sich meine Sicht. Erneut versuche ich aufzustehen, aber ich trete auf etwas Weiches, stürze zu Boden und reibe mir stöhnend das Kinn. „Bist du okay, Mann?“, werde ich gefragt, dann packen mich zwei kräftige Hände, ziehen mich auf die Beine und halten mich fest, bis ich aufhöre zu schwanken und die Welt endlich wieder still steht. „Danke, alles Bestens“, antworte ich. „Blaue Flecken verschwinden ja wieder.“ Er lacht, lässt mich los und seine Leute kommen näher, klopfen mir aufmunternd auf die Schulter. Einer drückt mir ein Bier in die Hand, lacht tief und deutet zum Hügel, von dem ich gerade gekommen bin. Ich blicke rüber und sehe wie sich nun auch ein paar meiner Kumpels herunterrollen. Lautes Geschrei und Gelächter ist zu hören. „HEY, RAPHA! ICH KOMM ZU DIR!“, höre ich Thomas brüllen. „NEIN! BLEIB GEFÄLLIGST OBEN, ARSCHLOCH!“, schreie ich zurück, aber da reißt er schon die Arme hoch, legt sich auf den Boden und lässt sich von Jamie Starthilfe geben. Dann ist er nur noch eine einzige lange Farbstange, die Undefinierbares kreischt. „Verrückte Kerls“, kommentiert einer der Jungs, die neben mir stehen. „Wer seid ihr?“ „Ich bin Raphael“, stelle ich mich vor, ergreife die ausgestreckte Hand. „Und das sind Freunde von mir. Silvesterparty“, gebe ich dann Auskunft, trinke von dem Bier, dass ich in der Hand halte. „Ich bin Oliver“, stellt sich mein Gegenüber vor. „Chris, alles klar?“, höre ich hinter mir und wende mich um. Ein Junge kniet auf dem Boden, hält sich den Magen und gibt röchelnde Laute von sich. „Den hast du umgehauen“, klärt mich Oliver neben mir auf. Langsam trete ich auf den Knienden zu, lege meine Hand auf seinen Rücken und schaue ihm in die Augen, als er kurz seinen Blick hebt. Er sieht elend aus. „Sorry, Mann. War keine Absicht. Geht’s?“ Er nickt und erbricht sich keine Sekunde später. „Raphaaaa“, quietscht es, ich blicke mich um, erkenne Thomas wie er torkelnd durch die Gegend streift, die Hände weit von sich gestreckt. „Alter, hilf mir.“ Lachend gehe ich auf ihn zu, packe ihn an der Hand und drücke ihn an Ort und Stelle zu Boden. Dann schlage ich ihm mehrmals auf die Wange. „Selbst schuld. Du hast damit angefangen.“ „Aber das ist sooo lustig“, grinst er, sein Oberkörper dreht sich hin und her und seine Augen stieren konkret an mir vorbei, irgendwo ins Nichts. Er hat einen ordentlichen Dreher. Einige der anderen Jungs rollen den Berg gerade zum zweiten Mal herunter. Offenbar haben die alle zu viel getrunken. „Warte hier, okay?“ Damit kehre ich zu dem kotzenden Jungen zurück, der schon leicht glasige Augen hat. Der hat scheinbar auch zu viel gebechert. Ich streiche ihm die Haare aus dem Gesicht, ziehe ihn in Richtung Gebüsch, als für einen Moment nichts mehr aus ihm rauskommt. „Hab ich dir wehgetan?“, erkundige ich mich bei ihm. Er schüttelt den Kopf, deutet dann aber auf seinen Knöchel, auf dem man den schwachen Abdruck eines Schuhs erkennen kann. „Tut mir leid. Wir haben oben Eis in der Kühlbox.“ Ich kehre zu Thomas zurück, der sich in der Zwischenzeit bei Oliver und seinen Jungs vorgestellt hat und wieder eine Bierflasche in der Hand hält. „Ach ihr geht noch zur Schule. Wie süß“, höre ich ihn gerade sagen, gebe ihm einen Klaps auf den Kopf und erkläre Oliver dann, dass ich Eis für Chris’ Fuß hole. Thomas nutzt diese Gelegenheit um die gesamte Mannschaft zu uns einzuladen und gemeinsam stiefeln wir den Berg wieder hoch. „Bei uns in der Mannschaft stecken fast alle schon in einer Ausbildung drin“, erklärt Thomas den anderen, dann geht das große Who-is-who los und unsere Gruppe vergrößert sich um Olivers gesammelte Truppe. Ich seile mich ab, gehe zur Kühlbox und greife mir eine Hand voll Eiswürfel, die ich in einige Servietten verpacke. Jamie kommt auf mich zu, klopft mir auf die Schulter und ich erkläre ihm kurz die Sache mit Chris. Gemeinsam mit meinem kleinen Bruder laufe ich den Hügel wieder runter. Allerdings ist Chris nicht mehr da, wo ich ihn zurückgelassen habe. Stattdessen ist er vornüber in seine eigene Kotze gefallen. „Uh, wie eklig“, kommentiert Jamie passender Weise, zieht Chris auf freie Fläche. Ich nehme mir einen Eiswürfel, drücke den Rest Jamie in die Hand und streiche dann immer wieder über das Gesicht des Jungen, um so die Spuren seines Erbrochenen wegzuwischen. „Gib mir mal das Handtuch, das hinter dir liegt.“ Jamie tut wie ihm geheißen, drückt dann unseren provisorischen Eisbeutel wieder auf den verletzten Knöchel des anderen. Mit dem Handtuch wische ich Chris durchs Gesicht, mache ihn langsam sauber und schlage ihn dann vorsichtig wach. „Kannst du laufen?“ Ich bekomme keine Antwort. „Wir schleppen ihn am besten zu den anderen“, bestimme ich, greife unter Chris’ linken Arm, warte bis Jamie sich den anderen um den Nacken gelegt hat. Gemeinsam schleppen wir den halb bewusstlosen Jungen die Anhöhe rauf, tragen ihn ein Stück weiter und lassen ihn dann auf einer Decke liegen. Ich schaue mich in der Runde um und seufze schwer. Hier sind alle so besoffen, dass ich froh sein kann, wenn ich Chris nachher nicht nach Hause schleifen muss. --- Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)