Distant Dreams von Ruu (Die Geschichte eines kleinen Jungen) ================================================================================ Prolog: grüne Augen, rotes Haar... ---------------------------------- Prolog Das Mädchen spielte zusammen mit ihren Freundinnen auf dem Schulhof. Ihr langes, rotes Haar wehte elegant hinter ihr, als sie lachend vor einem blonden Mädchen floh, welches versuchte sie zu fangen. In sicherer Entfernung hinter dem Schulzaun saß ein Junge, so um die acht Jahre alt. Das schwarze Haar hing ihm fransig ins Gesicht und seine goldgelben Augen waren nur auf die Rothaarige geheftet. Während er sich an das kalte Eisen des Zauns klammerte, schluckte er und öffnete ein paar Mal den Mund. Er wollte etwas rufen, aus seinem Versteck hervor kommen und sich dem Mädchen vorstellen, aber kein Wort drang aus seiner Kehle und so saß er dort eine ganze Weile, hinter den eisernen Gitterstäben, hinter denen der Schulhof lag. Die Fujiko-Oyadama-Akademie, war nicht die Schule, die der Junge namens Sanzan besuchte. Es blieb ihm, anders als seinem Bruder, verwehrt, warum wusste er nicht. Auf dieser Schule lernte man nicht nur rechnen, schreiben und lesen, wie der kleine Sanzan auf seiner Grundschule, sondern man lernte auch das Kämpfen. Zu kämpfen, wie die Erwachsenen, die stolz mit Hakama, Dogi und Schwert durch die Straßen gingen. Jeder der als ein solcher Wächter zur Elite seines Landes gehören wollte, brauchte aber eine Ausbildung an einer Akademie. Und die hatte man, oder nicht. Es war wohl der größte Traum für Sanzan endlich hier gelehrt zu werden, wie sein Zwillingsbruder, doch es schien so unerreichbar fern, dass er schon alle Hoffnung aufgegeben hatte. Denn sein Vater hatte es ihm verboten und somit das Talent seines Sohnes verschwendet. Es war Tatsache, dass das Potenzial, ein Wächter zu werden nicht jedem geschenkt war. Nur eine Hand voll wurde auf den Akademien aufgenommen und auch nur wenige von denen bestanden die harten Prüfungen, die bewältigt werden mussten, um es zum ausgebildeten Krieger zu schaffen. Die Familie, der Sanzan angehörte war berüchtigt für ihre Talente und war der Clan, der die meist angesehensten Wächter hervorbrachte. Es war so, dass der Iniharaclan große Teile Westlandes besaß und regierte. Die Familie hatte ein Oberhaupt, welches keine geringere Person war, als der verklemmte Vater von Sanzan; Takashi Inihara. Dass ihm viele Freiheiten, die seinem Bruder gewährt wurden, vergönnt waren, ärgerte den achtjährigen Sanzan insgeheim. Er ließ es sich nicht anmerken, denn er hatte sich in Geduld geübt und widersprach seinem Vater lieber nicht, aus reiner Erfahrung. Alles hätte er dafür gegeben, um diesen Schulhof mit dem rothaarigen Mädchen zu teilen... Inzwischen dämmerte es und Sanzan wurde aus seinen Gedanken gerissen, denn die Gruppe Mädchen hatte ihr Spiel beendet und ging jetzt kichernd in Richtung Ausgang des Schulgeländes. Sie liefen direkt auf Sanzan zu. Er überlegte kurz, ob er nicht lieber davonlaufen sollte, doch er entschied dann doch, seinen Mann zu stehen und das Mädchen anzusprechen. Er nahm einmal tief Luft und stellte sich direkt neben das Tor, sodass die Freundinnen ihn gar nicht verfehlen konnten. Langsam kamen sie näher und das Herz in der Brust des Jungen hämmerte wie verrückt. Er hoffte, das rothaarige Mädchen mit den smaragdgrünen Augen würde es nicht bemerken, denn er wollte nicht wie ein Idiot dastehen. Sanzan war es nicht gewohnt mit anderen Kindern, insbesondere Mädchen zu sprechen. Schließlich war sein einziger Freund sein Zwillingsbruder und vielleicht Reikoyo, aber der war ja schon erwachsen und Sanzan wusste nicht so recht, ob man einen Erwachsenen auch Freund nennen konnte, wenn man selbst erst acht Jahre alt war. Trotzdem änderte all dies nichts daran, dass er jetzt weiche Knie hatte. Die Mädchen waren jetzt fast da und Sanzan konnte hören, wie sie miteinander sprachen und lachten. Ein wunderschönes Lachen hatte die Rothaarige, fand Sanzan. Als die Gruppe durch das Tor gegangen war, wandte sich das blonde Mädchen plötzlich zu Sanzan um, den es sofort die Kehle zuschnürte, als ihr Blick an seinem Gesicht hängen blieb. Das Mädchen blieb abrupt stehen und sah Sanzan in etwa so an, wie man ein Tier im Zoo ansieht, doch musterte sie dabei nur sein Gesicht. Auch der Rest der Mädchen hielt jetzt an und folgte dem Blick der Blonden. Niemand sagte etwas. Sanzans Blick glitt zwischen der Rothaarigen und der Blonden hin und her. Was dachten sie bloß? Fanden sie ihn lächerlich? Am liebsten wäre er im Boden versunken... Doch plötzlich brach die Blonde die Stille: „Raidon? Was ist denn mit dir passiert?“ Obwohl Sanzan wusste, was gemeint war, fragte er, weil er so verdutzt war: „Wie bitte?“ „Tu' nicht so. Ich meine dein Gesicht!“, antworte das Mädchen. „I-ich... Ich...“ „Was ist los mit dir?“, fragte die Blonde und verschränkte die Arme. Hinter ihr fingen die anderen Mädchen an zu kichern. „Nichts! Alles okay!“, rief Sanzan etwas lauter, als er es eigentlich vorgehabt hatte, „Äh... Ich meine... Ich bin nicht Raidon!“ „Ach so, dann bist du sein Loser-Bruder! Von dir hab ich gehört. Soll wohl in der Familie liegen. Ich mein, Raidon ist ja auch voll die Pfeife... Euch beide könnte mein Bruder mit dem kleinen Finger besiegen!“, feigste das Mädchen und der Rest der Gruppe brach in Gelächter aus, bis auf das rothaarige Mädchen. Wütend ballte Sanzan die Fäuste, sodass sich seine Nägel in die Haut bohrten. „Warum lacht ihr so blöd!?“, knurrte er. Sofort verstummten die Mädchen, nur die Blonde nicht. Sie grinste nur und zog eine Braue hoch. „Hast du dich geprügelt, du Loser? Das sieht voll hässlich aus!“, gluckste sie und deutete mit dem Finger direkt auf sein Gesicht. Sie meinte die Narbe. Die Narbe, die sich quer über Sanzans Gesicht zog und ihn daran erinnerte, seinem Vater niemals zu widersprechen. Ungewollt stiegen ihm Tränen in die Augen und er senkte den Kopf um sie vor den Mädchen zu verbergen. „Halt deine dreckige Klappe..“, murmelte er. „Oh, du armes kleines Loser-Baby, hab ich dich beleidigt? Heulst du jetzt? Rufst du gleich nach deiner Mami?“ Hinter ihr bewegte es sich und die Rothaarige legte der Blonden die Hand auf die Schulter. Sie sprach mit sanfter, ruhiger Stimme: „Meiling, lass ihn doch in Ruhe.“ Meiling aber hörte nicht auf ihre Freundin. „Nein Hana, er hat mich beleidigt. Dafür wird er büßen.“, antwortete sie hämisch und riss sich aus Hanas Griff los. Meiling trat einen Schritt auf Sanzan zu und gab ihm eine Ohrfeige. „Man beleidigt keine Mädchen!“, schrie sie ihn an und gab ihm eine weitere. Es tat nicht so sehr weh, denn das Mädchen konnte nicht hart zuschlagen, doch Sanzan war in seiner Ehre zutiefst verletzt. Er konnte nicht mehr klar denken, er fühlte nur noch Wut gegenüber Meiling und als sie zu einem weiteren Schlag ausholte, kam er ihr zuvor. Die blonde Meiling fiel seitlich zu Boden und starrte aus erschrockenen, blauen Augen hinauf zu Sanzan. Er tat mehrere Schritte zurück. „Er hat Meiling geschlagen!“, kreischte ein weiteres, jedoch kleineres blondes Mädchen. Der Truppe war das pure Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Inzwischen war Meiling diejenige, der die Tränen die Wangen hinab rollten. „Das... Das sag ich meinem Bruder! Du Mistkerl! Der wohnt hier gleich gegenüber!“, heulte sie und lief los. Ihre Freundinnen liefen ihr nach. Und Sanzan drehte sich auch fix um und rannte so schnell er konnte los. Er war kaum zehn Sekunden gelaufen, da ertönten Rufe hinter ihm: „Stehen bleiben, du kleine Kröte!“ Es war die Stimme eines Jungen. Sanzan drehte sich nicht um, er rannte einfach nur weiter, denn er hatte Angst. Er konnte die Schritte des Jungen immer näher hören und plötzlich wurde er brutal zu Boden gerissen. Der etwa vierzehn Jahre alte Bruder von Meiling hatte sich mit all seinem Körpergewicht auf Sanzan geworfen. Verzweifelt versuchte er sich vom massigen Körper des Kerls zu befreien, doch hoffnungslos. Ein Schlag in den Magen pumpte die gesamte Luft aus Sanzans Lungen und er sackte keuchend in sich zusammen. „Du verdammter Hurensohn lässt ab jetzt die Finger von meiner Schwester, alles klar!?“, brüllte ihn der Junge an. Er hatte sich inzwischen über Sanzan aufgebaut und holte zum Tritt aus. Sanzan hatte sich kaum erholt vom ersten Schlag und so wurde es ihm kurz schwarz vor Augen, als der Fuß des Jungen ihn erneut in den Bauch traf. Er fing an zu husten und er konnte spüren, wie sich Blut an seinem Mundwinkel sammelte. Er wollte schreien, der Junge sollte doch aufhören, doch ihm kam nur ein jämmerliches Wimmern über die Lippen. Ein Zerren an seinem Kragen und er wurde auf die Beine gerissen. Für einen kurzen Moment blickte Sanzan dem Jungen direkt ins Gesicht, doch dann traf ihn seine Faust mitten ins Gesicht. Vor seinen Augen leuchteten Sterne auf und er fiel wieder rückwärts zu Boden. Der Schmerz war unerträglich. Es folgten weitere Tritte in den Bauch und mittlerweile rang Sanzan um Luft. Nach wenigen Augenblicken, die Sanzan wie Stunden vor kamen, stoppten die brutalen Attacken endlich. „Wenn ich dich noch einmal hier umher schleichen sehe, dann trete ich dir so krass in deinen Arsch, dass du dein Leben lang im Rollstuhl sitzen wirst! Also verzieh dich bloß!“, brüllte der Junge und spuckte zum Schluss noch auf Sanzan hinab, bevor er sich aus dem Staub machte. Eine Weile lag Sanzan auf dem Boden, gelähmt vom Schmerz in seinem Bauch und Gesicht. Es wurde dunkel und es fing an zu regnen. Er wollte nichts sehnlicher als nach Hause, doch sein Körper gehorchte ihm nicht mehr. Abgesehen davon war da auch dieses Gefühl, die Gewissheit niemals mehr mit Hana sprechen zu können, was ihm wie ein großer Stein auf dem Herzen lag. Bestimmt wollte sie nichts mehr von ihm wissen, jetzt wo er ihre Freundin geschlagen hatte und vor ihren Augen verprügelt worden war... Die Zeit verstrich und Sanzan lag weiterhin im Matsch. Niemand kam vorbei, denn bei diesem Wetter wollte keiner vor die Tür. Der strömende Regen hatte das Blut aus Sanzans Gesicht gespült und den Boden unter ihm aufgeweicht. Es war kalt und er zitterte. Das Bild vor seinen Augen verschwamm immer wieder. Sanzan konnte kaum einen klaren Gedanken fassen, das Rauschen des Regens hämmerte in seinem Kopf und es kam ihm so vor, als sei die Zeit stehen geblieben. Denn da war nur Schmerz und Lärm. Zuerst bekam er so gar nicht mit, dass jemand in der Nähe seinen Namen rief. Alles Einbildung dachte er sich dann, als er ein klares „Sanzan!“ neben sich vernahm. Vorsichtig öffnete er die Augen und er erblickte einen verschwommenen Schatten, der sich über ihn beugte. „Sanzan! Sanzan! Kannst du mich hören?“, rief jemand. Doch Sanzan war zu schwach um zu antworten. Seine Lider schlossen sich wieder und er fiel langsam in die Dunkelheit hinein. Kapitel 1: Reikoyo ------------------ So, hier der nächste Teil, ich hoffe er gefällt :D --------------------------------------------------------------- Sanzan lag in einem weichen, warmen Bett, als er die Augen wieder öffnete. War alles nur ein Traum gewesen? Nein, denn das war nicht sein Bett. Er war in einer fremden Wohnung. Stöhnend setzte er sich auf, sein Bauch schmerzte höllisch. Vorsichtig sah er sich im Zimmer um. Es war klein und die einzigen Möbelstücke waren das Bett in dem er lag, ein Nachttisch neben ihm und ein kleiner Schrank auf der anderen Seite der weißen Wand. Durch ein Fenster hinter ihm drang fahles Mondlicht. Sanzan hätte über diesen unbekannten Ort verwundert sein können, doch sobald er seine Gedanken mehr oder weniger gesammelt hatte, wurde er von einer Welle der Realität überrollt. Es gab ein dumpfes Geräusch, als er sich zurück auf sein Kissen fallen ließ, den Schmerz in der Magengegend ignorierte er. Es war zwar nicht das erste Mal, dass er verprügelt worden war, aber hier ging es um weit mehr. Dieses Mädchen namens Hana... Sanzan hatte es sich nun mit ihr verscherzt, davon war er überzeugt. Er wollte weinen, doch er konnte einfach nicht. Früher hatte er oft geweint, beinahe jeden Tag, doch seit einiger Zeit passierte das nicht mehr. Es war fast so, als ob er abgehärtet worden war... Aber was machte das für einen Unterschied? Er war trotzdem traurig und fühlte sich noch mehr allein gelassen, als sonst. Vielmehr war es jetzt schlimmer, denn als er noch weinen konnte, war es, als ob bei einer Badewanne, gefüllt mit Sorgen und Traurigkeit, der Stöpsel gezogen wurde. Sicher, irgendwer hatte ihn hierher gebracht versorgt, doch wo war dieser Mensch jetzt? Und woher wusste Sanzan, dass es nicht jemand fremdes gewesen war? Er hatte schon oft Geschichten gehört, in denen Kinder von fremden Menschen einfach entführt worden waren. Ja, er hatte sogar mal in der Zeitung seines Vaters gelesen, dass ein kleines Mädchen aus Westland in einem verlassenden Haus in Nordland gefunden wurde, wo sie mehrere Wochen von Verbrechern festgehalten worden war. Plötzlich bekam es Sanzan mit der Angst zu tun. Er fragte sich, ob er je wieder nach Hause konnte, als sich in diesem Moment die Tür öffnete und grelles Licht den Raum erhellte. Eine Person schritt ins Zimmer und trat sehr nahe ans Bett heran. „Bist du wach, Kumpel?“, fragte eine vertraute Stimme. Sanzan blickte auf. Neben dem Bett stand sein Onkel Reikoyo, der ihn aus besorgten, blauen Augen musterte. Ein kurzes Gefühl der Freude durchströmte Sanzans Körper, doch verschwand genauso schnell wieder, als er durch die Schmerzen an das Geschehene erinnert wurde. Das Ganze war ihm peinlich, weil er vor Reikoyo am liebsten ganz besonders stark gewirkt hätte. Beschämt wandte Sanzan den Blick wieder ab. Reikoyo seufzte. „Du hast dich wohl ein bisschen übernommen, was?“ Bockig schob Sanzan die Unterlippe vor und plötzlich konnte er eine Hand an seinem Arm. „Sanzan... Weshalb tust du das immer? Du musst dich nicht vor irgendwem beweisen, indem du dich mit Schlägertypen anlegst.“ „Sei still.“, brummte Sanzan wütend. Er konnte spüren, wie Reikoyos Blick auf ihm ruhte, doch er ließ seinen Kopf weiterhin stur abgewandt. „Ich würde dir gern etwas zeigen. Komm mit, wenn du willst.“, sagte Reikoyo nach einiger Zeit mit sanfter Stimme und stand auf. Langsam ging er zur Tür. Sanzan blieb im Bett zurück und starrte eine Weile die Wand neben sich an. Als Reikoyo schon lange aus dem Türrahmen verschwunden war, fasste sich Sanzan dann doch noch ein Herz und erhob sich aus seinem Bett. Er konnte Reikoyos Schritte hören, die anscheinend durch einen langen Flur mit harten Fliesen zu Sanzans Zimmer hallten. Sie entfernten sich nur sehr langsam. Sanzan wollte ihn einholen und mit ihm weitergehen, darum stürzte er unbeholfen vorwärts und sackte wieder keuchend in sich zusammen. Die Verletzungen hatten ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht. Reikoyos Schritte verstummten augenblicklich. Wütend biss sich Sanzan auf die Lippe. Wenn er noch nicht einmal allein laufen konnte, dann war der Traum vom Hüter endgültig futsch... Vorsichtig stemmte sich Sanzan wieder hoch und ging nun langsamer als zuvor in Richtung Tür. Als er um die Ecke sah, erblickte er Reikoyo, der kaum sieben Meter weiter stehen geblieben war. Sein Onkel versuchte zwar, es zu verbergen, doch Sanzan konnte ihm die Besorgnis vom Gesicht ablesen. „Du bist ein so schlechter Schauspieler!“ Sanzan musste schmunzeln. Reikoyo erwiderte nur ein breites Grinsen und lief zurück zu seinem Neffen. Ohne große Mühe hievte er Sanzan, der ziemlich groß für einen Achtjährigen war, auf seinen Rücken. Das war kein Problem für ihn, denn als Leutnant vom Militär Westlands war er gut trainiert und von Natur aus auch nicht gerade der Kleinste. Sanzan legte ihm die seine Arme auf die Schultern und drückte ihn an sich. „Ich hab dich so vermisst...“, nuschelte Sanzan in Reikoyos Hemd. „Ja... Ich war lange weg.“, antwortete er kurz nickend. „Wie ist das so?“ „Was meinst du?“ „Wie ist es Leutnant zu sein?“ Auf Sanzans Frage hin ließ Reikoyo einen tiefen Seufzer vernehmen. Nach einiger Zeit hielt er an und sagte: „Sanzan, Krieg ist nie gut. Und wenn es eine Sache gibt, für die ich deinem Vater dankbar bin, dann ist es die, dass er dich nicht in eine dieser verdammten Akademien steckt. Sei glücklich, dass du ein normales Kind sein darfst.“ „Ein normales Kind? Ich kann mich ja nicht mal wehren, wenn ich angegriffen werde! Ich muss immer abhauen!“, antwortete Sanzan. „Okay Kumpel, ich sag dir was: Wir beenden das Thema hiermit und ich zeige dir das, was ich eigentlich vorgehabt habe, alles klar?“ Widerwillig nickte Sanzan und ließ sich weiter von Reikoyo tragen. Die Huckepack-reise führte in Reikoyos großen Garten in dessen Mitte eine kleine Holzhütte stand. Sanzan wurde abgesetzt und als er das feuchte Gras berührte, lief ihm ein kalter Schauer über den Rücken. Es war eine kühle Nacht, Ende April. Reikoyo zog sich die braune Jacke aus und warf sie seinem Neffen über. „So. Und jetzt sei ganz still und folge mir.“, flüsterte er. Gespannt schlich Sanzan hinter Reikoyo her und als sie bei der Holzhütte angekommen waren, hob sein Onkel das Dach ab und gab den Blick ins Innere des Häuschens frei. Zuerst konnte Sanzan nichts erkennen, doch nach und nach sah er, dass dort ein schneeweißer Marder, zusammengerollt inmitten von Stroh lag. Dicht bei ihm lagen fünf kleine Welpen, deren Rücken von leichtem, dunklen Flaum überzogen waren. Sanzan lächelte auf die Tierchen hinab. „Die sind aber süß...“, flüsterte er Reikoyo zu. Dieser nickte und legte das Dach wieder behutsam auf die kleine Hütte. Er führte Sanzan wieder zurück ins Haus, wo er ihn angrinste und meinte: „Die Kleinen sind jetzt 17 Tage alt. Und das Muttertier hat einst deiner Mutter gehört... Ich bin so stolz, dass sie jetzt noch Junge bekommen hat. Sie ist ein so altes Tier.“ Sanzan hatte abgeschaltet, nachdem Reikoyo seine Mutter erwähnt hatte. Betrübt senkte er den Blick, denn auch wenn er nicht viel über seine Mutter wusste, es stimmte ihn doch stets traurig, wenn man auf sie zu sprechen kam. Sie war jemand fremdes für ihn, ja nicht einmal ein Bild hatte er je von ihr gesehen. Sobald er seinen Vater über sie fragte, merkte man, wie sich Takashis Gesicht in eine Steinwand verwandelte und meistens ignorierte er dann die Fragen seines Sohnes. „War sie denn ein guter Mensch?“ Reikoyos Grinsen verschwand nach dieser Frage sofort vom Gesicht und stattdessen wurde er kreidebleich. Es schien, als würde er nicht antworten wollen und gerade als sich Sanzan enttäuscht abwenden wollte, spürte er Reikoyos große Hand auf seiner Schulter. Als Sanzan zu ihm aufblickte, wäre er beinahe zusammengezuckt, denn in den blauen Augen des Erwachsenen hatten sich Tränen gebildet. Sanzan konnte angesichts dessen nichts mehr sagen und er starrte nur mit großen Augen zu ihm hinauf. Schnell wischte sich Reikoyo die Tränen aus dem Gesicht und sagte mit belegter Stimme: „Deine Mutter war ein sehr guter Mensch, Sanzan.“ er machte eine Pause, in der er schluckte, „Geh jetzt wieder ins Bett, morgen kommt dein Vater und holt dich ab.“ Den Rest der Nacht lag Sanzan im Gästezimmer von Reikoyos Haus und machte kein Auge zu. Die Gedanken schwirrten ihm im Kopf umher und es fiel ihm schwer, sie alle zu ordnen. Da waren Gedanken an Hana, seinen Vater, Raidon und seine Mutter, die bei seiner Geburt gestorben war. Komischerweise war es am angenehmsten, wenn er an sie dachte und auch wenn es Reikoyo vorhin in einem sonderbaren Tonfall gesagt hatte, machte es Sanzan glücklich, zu wissen, dass seine Mutter ein netter Mensch gewesen sein soll. Sanzan stellte sie sich vor, mit langen, schwarzen Haaren und denselben hübschen, blauen Augen, wie ihr Bruder Reikoyo sie hatte. Dennoch blieb sie nur ein Schatten der Vergangenheit und verschwamm immer wieder vor Sanzans innerem Auge. Ich wünschte, ich könnte mich an dich erinnern, dachte er sich und schlief langsam ein. Am nächsten Tag wurde er von einer vertrauten Stimme geweckt. „Wach endlich auf, oder hast du vor den ganzen Tag durchzupennen, hm?!“ Nachdem Sanzan verschlafen geblinzelt hatte, erblickte er das strahlende Gesicht seines Zwillingsbruders. „Raidon!“, rief Sanzan glücklich und stemmte sich im Bett hoch. „Und? Erzähl: Was ist passiert ? Weshalb bist du K.O. Gegangen, hm?“ Raidon blickte seinen Bruder erwartungsvoll an. „Ich wurde verkloppt.“, gestand Sanzan, „Und zwar von Meilings Bruder!“ „Oha!“ Begeisterung war der Stimme von Raidon zu entnehmen. „Weißt du, gestern Abend, da haben wir uns voll die Sorgen gemacht, ich und Vater. Weil du ja einfach nicht nach Hause gekommen bist und -“ „Warte mal!“, unterbrach ihn Sanzan, „Vater hat sich Sorgen gemacht? Um mich?“ Raidon nickte heftig. „Na klar, du hättest ihn mal sehen sollen! Er war ganz aufgeregt. Ist immer hin und her gelaufen. Und er hat Diener losgeschickt, um nach dir zu suchen. Aber dann ist Reikoyo bei uns gewesen und hat gemeint, dass du bei ihm bist und der Arzt sich gerade um dich kümmert und so.“ In diesem Moment räusperte sich jemand an der Tür. Es war Takashi Inihara, der Vater der Brüder. Er warf Sanzan einen Blick zu, aus dem man absolut nichts lesen konnte und sagte: „Wir gehen los. Du kannst doch das Stück bis zur Sänfte laufen, Sanzan?“ Takashi war ein großer Mann mit zerstrubbelten, brauen Haaren und goldgelben Augen, wie auch Raidon und Sanzan sie hatten. Auf seiner etwas länglichen Nase saß eine Brille mit sehr dünnem Gestell und ovalen Gläsern. Dass sein Mund so schmal war, lag daran, dass er fast immer einen strengen Gesichtsausdruck besaß und somit nicht gerade sympathisch wirkte. Er warf Sanzan noch einen flüchtigen Blick zu, wartete dessen Antwort nicht ab und ging in Richtung Ausgang. „Das schaffst du doch, hm?“, sagte Raidon grinsend und bot Sanzan die Hand an. Doch sein Bruder ergriff sie nicht und stand stattdessen lieber allein auf. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)