Blue Sky von Akahoshi (Ulquiorra X Grimmjow) ================================================================================ Kapitel 1: Emptiness and Destruction ------------------------------------ Als wir uns das erste Mal trafen, konnte ich den Himmel nicht sehen und auch nicht die hellen Kirschblütenblätter die sanft hinab auf den Boden glitten wie Schneeflocken. Ich wusste nicht, dass der Himmel eine andere Farbe annehmen konnte, ich wusste nicht, dass ich bald nur noch den Mond sehen sollte und irgendwann die weißen Wolken als blutrote Flecken eines Verbandes betrachten würde. Als wir uns das erste Mal sahen, sahen wir uns nicht. Ich sah damals nur die Leere in meinem verflogenen Leben. „Halt! HALT! Wo willst du hin?! Stopp! Nimm mich mit, bitte…!! NIMM MICH MIT! PAPA!!“ Es war dunkel, als ich dich das erste Mal bemerkte. Du starrtest auf meinen Rücken während ich schluchzend auf die Knie sank und meine tauben Finger in den lehmigen Boden vergrub. Ich konnte durch die dichte Blätterdecke weder Mond noch Sterne ausmachen. Schon lange hatte sich die Sonne hinter den schützenden Hügeln des Horizonts verborgen und ließ mich in ein unendlich schwarzes Loch fallen. So schwarz, wie das Loch in meiner Brust werden sollte. Neben mir lag ein kleiner Körper, er war ganz kalt, steif und leblos. Noch konnte ich das Rascheln der sich entfernenden Schritte im Laub hören. „Pa…pa!!“, röchelte ich erstickt während sich der Geschmack von Blut in meinem Mund verteilte und ich meine Stirn an den feuchten Untergrund presste, unfähig auch nur einen Muskel zu bewegen, gelähmt von dem schrecklichen Durcheinander, das in meinem Kopf herrschte. „Papa….!!“ Ohne mich zu erhören entfernte sich die Gestalt bis eine erdrückende Stille in dem kleinen Waldstück des Parks herrschte. Meine Ohren waren wie mit Watte gefüllt, ich vermochte nicht einmal das leise Klirren zu hören, welches eine eiserne Kette, die aus meiner Brust ragte, verursachte. Das Metal schlängelte sich hin zu dem kleinen Körper, die Glieder waren an einer Stelle auseinander gesprungen, das Material zerbröselte zusehends, während in meinem Kopf Erinnerungen wie eine Bombe zerplatzten und einzelne Fetzen durch mein Bewusstsein schossen. Als du näher kamst, konnte ich dich nicht einmal ansatzweise hören. Ich sah, wie mein Vater mich anlächelte. „Du musst keine Angst haben. Wenn du abends schlafen gehst, dann wacht der Mond über dich.“ Sanft deckte er mich zu, ich spürte seine weichen Lippen auf meiner Stirn. Gute Nacht. Ich spürte sie auf meinem Mund. Auf meinem Hals, meiner Brust, an meinen Beinen. Ich will dich. Ich spürte sie und schrie gequält auf. Sein heißer Atem, der mein Ohr streichelte und sanft auf meiner Haut ein tödliches Kribbeln hinterließ. Der Ekel und die Verwirrung die in mir hochstieg, die mir die Galle in dem Mund schießen ließ. Ich roch das Erbrochene, ich bemerkte die eiserne Klemme, die sich um mein Herz legte und es quälend langsam zudrückte, während der Schmerz in mir explodierte und etwas Warmes meine Beine hinab rann. Der Speichel, der aus seinem Mund tropfte, direkt in mein Gesicht und wie er Geräusche von sich gab, die ich noch nie zuvor gehört hatte. Wie ein Tier… Als du mich berührtest, reagierte ich nicht. Du sagtest es mir, als wir einst zusammen aßen. Langsam hob ich meinen schweren Kopf und sah aus aufgerissenen Augen durch die Dunkelheit. Der Körper vor mir wirkte fleckig durch das spärliche Licht, welches durch das Laubwerk der Bäume drang. Ich weis nicht, wie ich damals ausgesehen hatte, du meintest ich habe dir Angst gemacht, mit diesem neugierig, verstörten Gesichtsausdruck. Du sagtest, es sei das einzige Mal gewesen, wo du mich hast lächeln sehen und ich glaube bis heute noch, dass du gelogen hast. Wieso hätte ich lächeln sollen, als ich meinen toten Körper sah und meine Realität wie ein riesiger Felsbrocken auf mich hinabstürzte um mich zu zerschmettern. Wieso hätte ich, so wie du es beschrieben hattest, auf ihn zukrabbeln sollen, bewaffnet mit einem Stein. Angeblich hatte ich auf ihn eingeschlagen, das junge, zarte, vor Schreck und in Todesangst erstarrte Gesicht zertrümmern sollen? Das einzige, woran ich mich erinnerte, war als die Scheinwerfer der Polizeiautos aufblitzten und ein lautes Geschrei losbrach. Als fremde Menschen meinen Körper berührten, teile der Haut von ihm abkratzten, als sei ich ein interessantes, neues Experiment. Wie sie meine steifen Beine auseinander drückten um von dem Rest, den mein Vater hinterlassen hatte, eine DNA-Probe zu erlangen. Es widerte mich so an. Ich wollte aufspringen, doch meine Beine waren wie Gummi. Sie bebten und wackelten. Doch wäre ich umgefallen, du hättest mich gefangen. Sie wickelten den kindlichen Körper in eine blaue Folie ein. Das Knistern sollte mich in meinen Träumen begleiten, in meinem Schlaf, der einer Bewusstlosigkeit glich. Als du dich neben mich in das Laub setztest, trugen sie ihn grade fort. „Hey…“ Starr fixierte ich den letzten blauen Rest, der in ein dunkles Auto gehievt wurde. Ich sah nicht in die Richtung, aus der die Stimme kam, sie schien zu weit weg, als dass sie mich erreichen könnte. „Papa…hast du mich denn… gar nicht mehr lieb…?“ „Hey...“ Das kalte Licht der Scheinwerfer entfernte sich, das Brummen der Motoren, wie Raubkatzen in einem Großstadtjungle, wurde immer leiser und verhallte in der Tiefe der Nacht. „Bitte… lass mich… nicht alleine…!“ Die einzelne Träne rann unbemerkt über meine Wange, während mir klar wurde, dass es jetzt vorbei war. „Hey…“ Ein leises Seufzen drang an mein Ohr und hob mich wie auf einer Sänfte aus den schweren Gedanken empor. Die Watte löste sich auf, das sanfte Geräusch drang tröstend in mein Bewusstsein und zum ersten Mal drehte ich mich dir zu. Doch ich sah dein Gesicht nicht, denn es lehnte schon an meinem. Deine Wange war ganz kalt, so wie meine, sie war nicht mehr warm und weich, sie war nicht mehr so wie sie sein sollte. Nicht mehr lebendig. Sie war tot. Wie meine. Und deshalb wusste ich, dass du mich nur deswegen sehen konntest. Weil du genauso tot und leer warst, wie ich. Deine Hände waren nicht die meines Vaters, als du sie um meinen Nacken schlangst, um dich selber zu trösten, um uns beide zu trösten. „Hey…“, murmeltest du leise und ich konnte das kalte Eisen deiner Kette an meiner Brust fühlen, als ich mein Gesicht schwer atmend in deiner Halsbeuge vergrub. Es war mir egal wer du warst, es war mir egal, wie du hießest und ob ich dich nach diesem Treffen noch mal sehen würde. Ich wollte mich einfach nur in deiner starren, kühlen Umarmung gefangen halten und alle Emotionen aus meinem Herzen fließen lassen, so wie das Blut in dem Moment, in dem ich gestorben war, sich aus meinen Adern errettet hatte. Nun sickerte es langsam mit meinen Gefühlen in den Boden. „Hey…“, wispertest du tröstend, als sich der Boden wie in Wellen bewegte, nass wurde und ich langsam versank. Als das letzte Glied meiner Kette in feine Staubkörner zersprang und sich ein Loch durch meinen Hals bohrte, noch während du mich hieltest. Als sich schwarze Schliere wie Tentakeln um meine Knöchel wanden und mich weiter in den Abgrund zogen, über meine Beine hinauf zu meiner schmalen Hüfte drangen und dich vorsichtig in ihrer unendlichen Gier von mir lösten. Ich kann mich noch genau erinnern, wie deine Fingerkuppen meine streiften, als ich von dir weggezogen wurde und langsam in der dickflüssigen Masse ertrank. Diesmal hatte ich keine Angst, ich wehrte mich nicht, ich war leer. Vor einiger Zeit meintest du zu mir, meine Augen hätten seitdem jeglichen Glanz verloren. Vielleicht stimmt es, aber vielleicht konntest du sie auch nur nie so zum Glänzen bringen, weil du wusstest, wie ich gestorben war. Ich ließ dich allein zurück, dich tröstete niemand, als du in dem schwarzen Pech verschwandest und direkt in Aizen-samas Hände fielst. Das zweite Mal begegnete ich dir auf meinem Zimmer in Las Noches. Ich war erst vor kurzem eingetroffen und blickte mit einer ausdruckslosen Mine und Verwunderung im Geiste hinauf in den blauen Himmel, der mich so sehr an früher erinnerte. Meine Erinnerungen an den Tag meines Todes waren weitgehend erloschen, in mir ruhte die wohlige Leere des Vergessens. Jede Bewegung war zielgerichtet und kein Aufwand war vergeudet. Alles hatte seine Ordnung, bis du unter einem tosenden Lärm in mein Zimmer geschleudert wurdest… „Verpiss dich du Wixxer, oder ich schlag dir gleich dein dummes Grinsen aus dem Gesicht!“ „Na, na, na. Da hat die kleine Muschi aber ein wirklich großes, vorlautes Maul~!“ Die Wandtrümmer um dich herum schienen dich nicht zu interessieren, du erhobst dich aus dem Staub und den Bruchstücken, klopftest deine Kleidung ab und balltest wütend die Fäuste. Nnoitra stand vor dir, breit grinsend mit seiner todbringenden Sichel und verlagerte sein Gewicht vom einen aufs andre Bein. Bei dem Anblick des Schwarzhaarigen fragte ich mich, was eine verdorbene Seele, wie die unseren, wohl nach dem Tod erwarten würde. Wiedergeburt gab es bei uns nicht. Waren wir verloren und hoffnungslos? Mussten wir deshalb mit einem schwarzen Himmel leben, der uns nur einen kalten Mond zeigte? In einer Wüste, in der man nur Staub essen konnte und die Bäume aus rasiermesserscharfen Kristallen bestanden? Deine blauen Haare stellten sich noch mehr auf, wie bei einer wütenden Raubkatze. Es gab nichts was meine Augen nicht bemerkten, und nichts was du vor ihnen hättest verbergen können. So war es auch mit dem wissenslastigen Blick, der aus deinen Augenwinkeln auf mich zuschoss und mich verwirrte. Was wusstest du über mich, was mir verborgen blieb? Damals warst du noch fremd, und somit waren deine Blicke noch verwirrender. „Halt dein Maul, Nnoitra!“ zischend spucktest du auf den Boden und riebst deinen Handrücken über deine, zu einem angewiderten Ausdruck verzogenen, Lippen. „Aber ich wollte unserem Neuankömmling doch nur die Ehre erweisen mit mir zu kämpfen~!“, säuselte der Einäugige weiter und schwang die Sense von seiner Schulter herab auf den Boden, wo sie eine tiefe Kerbe im Gestein hinterließ. Du zeigtest dich unbeeindruckt, wenn du Schwäche gezeigt hättest, hätte er dich niemals am leben gelassen. Mir reichte das Schauspiel. Mit einem lauten Knall explodierte mein Cero direkt in der Mitte der beiden Kontrahenten. Was wagten sie es mein Zimmer zu verwüsten. Langsam ging ich auf Nnoitra und dich zu, du tratest einen Schritt zurück, doch entspanntest dich merklich. Wahrscheinlich dachtest du damals, ich würde dich gleich erkennen. Doch dem war nicht so. Ich hatte dich doch noch nie gesehen. Stumm starrte ich in das Auge des Schwarzhaarigen, bis sich seine Mundwinkel zu einem graden Strich verzogen und er mit den Worten „Spielverderber!“ kehrt machte. Er wusste, dass ich mächtiger war als er. Ich hielt eine niedrigere Zahl. Nummer vier. Dann wandte ich mich dir zu, dir und deinem verwunderten Gesicht. Deinem Mund, der sich langsam öffnete, als wolltest du was sagen und sich dann wieder schloss. Es amüsierte mich, doch ich zeigte es dir nicht. Es amüsierte mich so sehr, dass ich dich am leben ließ. Deine blauen Haare, waren wie der falsche Himmel an der Kuppe von Las Noches, sie versprachen eine Rückkehr in die Welt, aus der wir einst gekommen waren, sie versprachen Reinheit, Klarheit, Frieden. Es war eine Zumutung, dass grade du diese Farbe tragen durftest, du, der nur Zerstörung im Sinn zu haben schien. Zu jener Zeit wusste ich noch nicht, dass ich mich schon bald in dein Zimmer schleichen würde, nur um nächtelang diese feinen Strähnen streicheln zu können. Noch immer wartetest du unbewegt auf eine Reaktion von mir, einen Augenaufschlag, ein Zeichen, dass ich dich erkannte. Du hobst deine Hand, strecktest sie nach mir aus, als wolltest du mich greifen und wie in einem Reflex legte ich meine Fingerkuppen an deine. Den Kopf sanft geneigt, sodass mir das schwarze Haar auf die Schulter fiel, betrachtete ich die hauchzarte Berührung, deiner rauen Haut an meiner weichen. Für einen kurzen Moment durchzuckte mich die Erinnerung, bevor ich dich wieder klar und kalt ansah. „Wie heißt du?“, fragte ich mit kühlem Ton, und die Nummer sechs, du, runzelte die Stirn. „Grimmjow.“ Es war der Tag gewesen, an dem du gewaltsam in mein neues Leben eingedrungen warst, ohne mir zu verraten, dass wir uns kannten. Der Tag an dem du dich langsam in mein gestorbenes Herz vorarbeitetest ohne jemals um meine Erlaubnis gefragt zu haben. Ständig musstest du mir an den Kopf werfen, wie sehr du mich liebtest, und ständig wies ich dich deiner Aufdringlichkeit wegen zurück. Ich hasste dich dafür und liebte dich umso mehr, wenn du einfach nur ruhig neben mir saßest. Doch gesagt hatte ich dir es nie, selbst dann nicht, als wir uns das letzte Mal trafen. Müde starrtest du in den Himmel, ich kniete in dem feuchten Sand neben dir und legte meine kalkweißen Finger auf das feurige Rot deines Blutes. Als sie deine Wunde streiften, zucktest du zusammen und drehtest deinen Kopf zu mir. „Ulquiorra…“ wispertest du und ich weis heute noch ganz genau, wie mir eine Gänsehaut die Arme hinab lief. Die Sonne knallte auf meinen Nacken, dir mitten ins Gesicht, doch du schautest nicht weg, schließlich sollte es der letzte Anblick sein, den du jemals zu Gesicht bekommen würdest. Zaghaft ließ ich meine Fingerkuppen deinen Hals hinaufwandern, sie zogen eine rote Spur mit sich, aber wir beide bemerkten sie nicht. Du küsstest die beschmierten Finger, als ich deine Lippen erreichte, lächeltest schief und mir wurde ganz warm, obwohl ich sonst immer fror. Langsam beugte ich mich vor, die schwarzen Strähnen meiner Haare flossen wie Seidenfäden über deine lädierte Haut, über die Prellungen, die deine Wange bläulich färbten. Du hattest mir einst gesagt, wie sehr du es bewundertest, wie weich sie doch seien. Und wie ich sie so hinbekommen habe. Natürlich hatte ich dir nicht geantwortet. Wir hatten im Bett gelegen und deine rauen Hände waren durch meine Haare geglitten, ich hatte damals an tausend Dinge gedacht, aber nicht an mich. Langsam schloss ich die Augen, ich wollte nicht sehen wie du verschwandest. Ich wollte mich tiefer beugen, doch meine Lippen sollten deine nicht mehr erreichen. Das einzige, was ich noch spüren konnte, war wie du als feiner Staub über meine Wange streicheltest und sich einzelne Körner in denen von dir so sehr geliebten Strähnen verfingen. Es war wie damals, ich konnte dich noch fühlen, aber meine Augen konnten dich nicht mehr erfassen, wo ihnen doch eigentlich nichts verborgen blieb. Wie lange ich noch an der Stelle im Sand saß, weis ich nicht mehr. Ich weis nur noch, dass ich meine Arme um meinen Körper schlang, den Kopf hängend und auf Knien vor dem riesigen Blutfleck von dir saß und mich fragte, wo in aller Welt die unreinen Seelen sich vereinten. Und, ob ich dich jemals wieder sehen würde. Den letzten Kampf den ich kämpfe, bestritt ich, weil ich dich rächen wollte. Niemand wusste es, nicht einmal mein Widersacher. Wir standen auf der Kuppe von Las Noches. Meine ledrigen Schwingen breiteten sich, einen schwarzen Schatten werfend, über dem Beton aus. Die Narbe, die mein Vater damals auf meinem jungen Körper hinterlassen hatte, war in meiner entfesselten Form schmerzhaft zu erkennen. Mein Gegner, Ichigo Kurosaki, trug nunmehr eine Hollowmaske und lange orangene Haare. Als ich meinen Kopf drehte, erblickte ich das einfältige Mädchen. Inoue. Sie hatte die Hände vor den Mund geschlagen und guckte mich aus wehleidig, gequälten Augen traurig an. Was hatte sie nur? Meine Organe waren mittlerweile zerstört. Nicht einmal die angeborene Regenerierung, welche ich in hohem Tempo durchzog, konnte sie wieder herstellen. Doch ich fühlte davon nichts, ich war so leer wie am Anfang meines Aufenthaltes in Las Noches. Langsam streckte ich die Hand nach dem Mädchen aus, ich wollte einen bleibenden Eindruck hinterlassen, wer wusste schon was mich erwarten würde. Noch während ich die Bewegung vollzog, konnte ich eine wunderbare Leichtigkeit an den Spitzen meiner Flügel spüren. Ein leises Rieseln sagte mir, dass meine Zeit gekommen war, dass ich bald herausfinden würde, wo die geschundenen Seelen der Hollows ihr Heil fanden. Wenn es für uns so was wie eine heile Welt geben mochte. Ich genoss das Gefühl mich aufzulösen, ob dir es damals auch so ergangen war? Ob du plötzlich eine genauso ungemeine Freude erlebt hattest, obgleich ich mich nicht mehr hatte verabschieden können? War dein Tod schöner gewesen, weil du mich dabei gehabt hattest…? „Hast du Angst vor mir?“ Dem Mädchen kamen die Tränen, Tränen, die weder ich noch ihre Gefährten verstanden. Ich dachte mir nur, wie dumm sie doch sei, als sie meine Frage beantwortete. „Nein. Ich habe keine Angst vor dir.“ Sie versuchte meine Hand zu fassen, doch es gelang ihr nicht. Mir kam der Abschied von Grimmjow in den Sinn. Uns Espadan schien es nicht erlaubt zu sein, mit einer tröstenden Berührung sterben zu können. Wir sollten anscheinend genauso untröstlich und voller Sehnsucht und Zweifel zugrunde gehen, wie damals in der Realen Welt. Die Leichtigkeit umhüllte mich immer mehr, ein Bild trat in meine Augen und ich konnte verschwommene Konturen erkennen. Verwirrt schloss ich sie, öffnete sie aber wieder… und öffnete sie noch einmal. Vor meinem Gesicht schwebte der Kopf einer Frau, die ich nicht kannte. Meine Erinnerungen an all die geschehenen Ereignisse verschwammen, andere Erinnerungen nahmen ihren Platz ein. Ich dachte an ein Auto, an einen Knall und an Scherben die über mein Gesicht kratzten ehe alles wieder schwarz wurde. Mit einem Japsen zog ich die Luft durch einen Beatmungsschlauch ein und schaute mich panisch um. Alles war noch leicht verschwommen, die Gegenstände verdoppelten sich vor meinen Augen und das Licht blendete, so als hätte ich sie schon lange nicht mehr geöffnet. Die Frau vor meinem Gesicht verzog die Mine, doch ich konnte nicht erkennen ob sie lächelte, oder ob sie sich ärgerte. Nach einigen Momenten stürmten lauter Leute in weiß das Zimmer, befreiten mich von der Atemmaske und stopften mir Kissen in den Rücken, damit ich aufrecht sitzen konnte. „Ulli, Schatz, wie geht es dir…?!“, sprach die Frau mit einer hohen Stimme auf mich ein, ließ sich auf einen nahe gelegenen Stuhl sinken und zerdrückte meine Hand. Ich konnte ihr nicht sofort antworten, in meinem Kopf schwirrten die Erinnerungen im Kreis und erloschen langsam wie ein Traum. Verzweifelt drückte ich meine freie Hand gegen meine Stirn und schüttelte den Kopf: „Ich ….che… nen… St…ft…“, röchelte ich. Mein Mund und meine Lippen waren so trocken, dass ich kaum ein Wort sagen konnte. Es kam mir vor als wäre ich jahrelang im Standby-Modus gewesen, ohne mich zu rühren, ohne ein Wort gesagt zu haben. „Was ist denn Schatz?“, besorgt sah die Frau mich an und ich hustete, um meinen Stimmbändern einen neuen Versuch zu erlauben. „Ein… Stift!“, quäkte ich hervor. Noch konnte ich die einzelnen Fetzen von dir zusammenhalten, noch wusste ich, wer der Mensch mit den blauen, kurzen Haaren war, doch die Bruchstücke wurden immer kleiner und zerbröselten wie mein Körper zerbröselt war. Eine andere Frau in weiß drückte mir Zettel und Papier in die Hand und ich schrieb deinen Namen nieder. ‚Grimmjow’. Die Menschen, die mich umkreisten starrten mich verwundert an. „Schatz, du solltest dich jetzt nicht überanstrengen…“ Sie nahmen mir wieder Papier und Stift ab und stopften beides in ein Schränkchen, welches neben meinem hohen Bett stand. Ich wusste nicht, was das alles hier sollte, ich wusste nicht wo ich war. Das einzige was sich schleichend bemerkbar machte, war dass ich dich vergessen würde, und das wollte ich nicht. Damals war ich in einem Krankenhaus erwacht. Die Frau an meinem Bett war meine Mutter gewesen. Alles fühlte sich so komisch an, aber heute kann ich damit umgehen. Ich bin achtzehn Jahre alt und habe einen Selbstmordversuch hinter mir. Das hat mir meine Mutter gesagt, nachdem ich aus einem zweijährigen Koma erwacht war. Noch immer weis ich nicht, was genau Traum und was Realität ist. Damals, als ich im Koma lag und von dieser seltsamen Welt mit dem schwarzen Himmel und dir träumte, war es so, als wenn es die Wirklichkeit gewesen wäre. Vielleicht war es das auch, und ich träume jetzt. Oder ich habe alles geträumt und träume immer noch. Ist vielleicht mein jetziges Leben also nur ein Traum? Das könnte sein. Auch wenn alles ein Traum wäre, dich konnte ich dennoch nicht vergessen. Dein Lächeln, dein schiefes, dreckiges Lächeln. Immer wenn ich daran denke muss ich Schmunzeln. Ich habe meine damalige Freundin verlassen, besser gesagt, sie hat mich verlassen und aufgegeben, als ich nach ein paar Monaten immer noch nicht ansprechbar war. Ich verübelte es ihr nicht. Langsam kehren auch meine Erinnerungen aus dem Alltag, bevor ich gegen den Baum gerast bin, zurück. Doch sie sind mir egal, ich habe einen Neustart hingelegt. Schulwechsel, Wohnortwechsel, Therapie, alles. Ich stehe grade an einer Ampel, es ist eine riesige Kreuzung inmitten von Tokyo. Tausend Menschen warten zusammen mit mir darauf, dass das Licht endlich grün wird und die Massen der Autos zum Stehen kommen. Über meiner Schulter hängt eine Sporttasche. Ich bin auf dem Weg zur Krankengymnastik, die mir mein Arzt zum Aufbau der abgeschwächten Muskulatur verschrieben hat. Es ist das erste Mal und ich kenne mich in diesem Viertel nicht wirklich aus. Das Licht wechselt plötzlich die Farbe und die murrenden, murmelnden Menschen um mich herum setzten sich in Bewegung. Verträumt sehe ich in den Himmel, der wie ein Fluss zwischen den Grenzen der Hochhäuser hindurch schwimmt. Sein klares blau erinnert mich an dich, doch ich weis genau, dass es dich nicht gibt. Seufzend kratze sich mich am Hinterkopf. Ich sollte mal wieder meinen Haaren eine Kur gönnen, davon werden sie immer so schön weich. Als ich die Augen wieder öffne und hinab auf die weißen Zebrastreifen sehen will, die die Straßenübergänge kennzeichnen, kommt es mir vor, als hätte sich ein Stück Himmel in das Grau der Hochhäuser verirrt. Verwundert runzle ich die Stirn und bleibe stehen. Da war irgendwas blaues, das an meinem Augenwinkel vorbeigerauscht ist. Nachdenklich drehe ich mich um und bemerke fast zu spät, dass jemand hinter mir steht, den ich fast umgerannt hätte. Er trägt eine Kappi, die seine Haare fast völlig verdeckt. Starr steht er da, den Rücken zu mir gedreht, so als wäre ihm grade was in die Augen gesprungen, das er nicht für möglich gehalten hätte. Verwirrt blinzele ich den Typen an und will mich grade wieder wegdrehen, als ich seine Haarfarbe bemerke. Blau. „Grimmjow…?“, entfleucht es meinen Lippen, als ich starr zum stehen komme und sich der Kerl langsam umdreht. Erst kann ich sein Gesicht nicht sehen, der Schatten, den die Kappi wirft, ist einfach zu dunkel, doch als der Wind sie davon bläst, sie über die Köpfe der anderen hinwegweht, ihr Ende unter einem Autoreifen findet und ich dein schräges Grinsen sehe, werden meine Knie weich. Vor Schock lasse ich meine Sporttasche fallen, ein paar Leute die immer noch über die Straße eilen, sehen mich skeptisch an, lassen sich jedoch in ihrem Treiben nicht aufhalten. Wir blicken einander in die Augen und ich kann es nicht fassen. Ungläubig strecke ich eine Hand nach dir aus, spreize leicht die Finger und sehe wie dein Lächeln immer breiter wird. Locker ziehst du eine Hand aus deiner Hosentasche und berührst sachte meine Fingerkuppen mit deinen. „Ulquiorra…?“ Ich kann deinen Atem auf meiner Haut spüren, als du dich näher zu mir beugst und mir einen kurzen Kuss auf die Lippen hauchst. Ich kann spüren wie der zärtliche Druck ein Kribbeln in mir hervorsprudeln lässt und wie sich meine Realität ein weiteres Mal verschiebt. Es war kein Traum, oder haben wir nur zusammen geträumt? Während ich meine Augen schließe und deine Lippen hauchzart über meine streicheln lasse, rauschen die Menschenmassen Tokyos wie Glühwürmchen an uns vorbei und hüllen uns in die warm weiche Wirklichkeit unseres vermeintlich geteilten Traumes. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)