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Schlag des Herzens

Seto x Jonou
von

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Die Unerklärlichkeit des Lebens

Prolog
 

Der Umstand im gleichen Raum zu sitzen macht zwei Menschen nicht notgedrungen zu Leidensgenossen. Die Tatsache, dass man auf die gleiche grüne Tafel mit von Kreide verursachten Zahlen und Buchstabenkombinationen blickt, vereint grundverschiedene Persönlichkeiten nicht zu einem Team mit gleichen Interessen. Und obwohl beide die gleiche Luft atmen, können sie doch nicht unterschiedlicher sein.
 

Man benötigt nicht zwingend Autoren, um eine Geschichte von ungeahnter Kraft und Intensität zu entwickeln. Dazu braucht es eigentlich nur ein Leben. Denn nach wie vor schreibt das Leben die wohl besten und einmaligsten Geschichten unserer Zeit. Jeder von uns ist Darsteller, Autor und Zuschauer in einer ganz eigenen faszinierenden Version der Geschichte „Ein Leben auf dem Planeten Erde“.
 

Und manchmal, wenn es eine unbekannte und unerklärliche Macht namentlich Schicksal gut mit uns meint, so verbinden sich zwei einzigartige Geschichten, zwei Leben, die nicht unterschiedlicher sein könnten, zu einer. Menschen nennen solche Zusammenführungen Freundschaften oder gar Partnerschaften, gemessen an ihrer Intensität. In einigen Fällen jedoch bedeuten sie auch, dass man seine eigene Geschichte umschreiben muss. Verändern. Löschen. Neu schreiben.
 

Doch ein solcher Eingriff bedeutet für ein Menschenleben viel mehr, als nur die Abänderung einer Geschichte. Wir können den Weg nicht verstehen, den eine höhere Macht uns bereits bei unserer Geburt ebnet. Aber sicher ist: man kann das Schicksal, welches für uns bereitgehalten wird, nicht verändern. Egal wie gerne wir es manchmal möchte. Und selbst der Versuch kann oft in einer Katastrophe enden.
 

Manch‘ eine Kluft ist nicht dafür gemacht, überwunden zu werden. Ganz gleich, wie sehr man es sich am Ende eines langen, beschwerlichen Weges wünscht. Was bleibt ist entweder nur die Umkehr oder der Sturz in die unendliche Tiefe.

Was man zu schätzen lernt

Regen prasselte auf die asphaltierten Straßen von Domino City. An etlichen Häusern waren Leuchtreklamen angebracht, die in den zurückbleibenden Pfützen und Rinnsalen ein seltsames Lichtspiel verursachten. Auf einer Werbeleinwand konnte man eine Ankündigung zu einer neuen Turnier sehen und natürlich blieb das obligatorische Bild des Königs der Duellanten nicht aus: Mutou Yuugi. Der Blonde seufzte und zog den Kragen seiner Jacke etwas höher, um zu verhindern, dass Regentropfen ihren Weg in seinen Nacken fanden. Dort würden sie nur dieses unangenehme, kribbelnde Gefühl hinterlassen. Für einen Augenblick nahm Katsuya sich die Zeit, die Leinwand anzuschauen. Ihm wurde sofort klar, dass dieses Bild aus ihrer Schulzeit stammen musste, denn tatsächlich war besagter Duellant gar nicht mehr so aktiv. Zumindest war dies sein letzter Stand. Seit ihrem Schulabschluss war der Kontakt zu seinen ehemaligen Mitschülern mehr oder weniger abgebrochen – von einigen Ausnahmen abgesehen.
 

War er ehrlich, so vermisste er die Zeit. Es war nicht immer einfach gewesen, aber egal was passiert war, so hatte jeder Moment auch heute noch eine besondere Bedeutung: seien es die Duelle, die kleinen und größeren Streitereien oder einfach nur ihre ganz persönlichen, eigenen Erinnerungen. Und nun? Sie waren an verschiedenen Universitäten, studierten andere Fächer und sahen sich nur noch selten. Hin und wieder kamen ein paar eMails an, aber mehr als das gab es da nicht. Als sie alle noch zusammen gewesen waren, hatte Katsuya sich über solche Dinge nie Gedanken gemacht. Die Zukunft war immer in weiter Ferne gewesen, nichts worüber es sich allzu früh nachzudenken lohnte. Nicht, dass er nun der Vergangenheit nachweinte, schließlich war es im Leben immer wieder so, dass die Wege sich trennten und man sich früher oder später aus den Augen verlor. Gerade nach Schulende war das beinahe schon normal. Er sollte sich nicht so viele Gedanken darüber machen, zumal er in seinem Studiengang schon ein paar nette Leute getroffen hatte. Und doch… Es war nicht dasselbe, würde es wohl auch nie sein.
 

Das helle Licht einer Werbe- und Nachrichtenleinwand spiegelte sich auf der Straße und als Jonou aufschaute, erkannte er eine ihm sehr bekannte Person. Der Bildschirm zeigte irgendeine Nachrichtensendung – sehr wahrscheinlich ohnehin nur eine Wiederholung – denn außer aktuellen Geschehnissen, war es üblich, den Kunden irgendwelche Banalitäten in Endlosschleife vorzuführen, um keine schlechte Laune aufkommen zu lassen. Krieg und Leid sorgte einfach nicht für eine angenehme Stimmung beim Einkaufen. Der Geschäftsmann in seinem makellosen Anzug war kaum älter als er selbst. Jonou hatte wohl mehr Zeit mit ihm verbracht – zusammen mit seinen Freunden – als manch anderer jemals würde, vom dessen jüngerem Bruder mal abgesehen. „Kaiba Seto...“, dachte der Blonde im Stillen. Er hatte sich nicht verändert, aber zum Einen war noch nicht viel Zeit vergangen, seit die Schule zu Ende war und zum Anderen würde sich jemand wie er nicht einfach so ändern. Er konnte beinahe schon Kaibas Stimme hören „Ich habe keinen Grund mich zu ändern. Also verschwinde!“ Der Brünette hatte doch alles, und aus welchem Grund – außer seinen Bruder, zu dem er jedoch ganz anders war – sollte er sich ändern. Außerdem kam er doch so auch gut weiter in der Welt.
 

Eine Weile betrachtete der Blonde die flimmernden Bilder. Er wusste nicht genau, worum es dort eigentlich ging, aber scheinbar hatte die Kaiba Corporation in irgendeinem Land mal wieder eine Firma aufgekauft. Es war also wie immer. Vielleicht war es gut, dass sich nicht alles im Laufe der Zeit änderte, sondern dass durchaus Dinge gab, die beständig waren. Auch wenn es nur um solche Banalitäten wie Firmenübernahmen ging. Lautlos seufzte Jonou. Vielleicht, wenn er ganz ehrlich war und tief in sich hinein lauschte, vermisste er die Dinge aus der Schulzeit doch mehr, als er gedacht hätte. Die Momente, in denen sie alle einfach nur in irgendeiner dieser langweiligen Stunden gesessen hatten. Aber er konnte die Zeit nicht zurückdrehen, und man lernte Dinge wohl immer erst dann zu schätzen, wenn man sie nicht mehr hatte. Die Schule war gar nicht so schlimm gewesen, wie sie ihm immer vorgekommen war.
 

Doch je länger er die flimmernden Bilder betrachtete, umso mehr bekam er das Gefühl, dass es nicht so normal und gewöhnlich war, wie er bisher angenommen hatte. Er wusste nicht genau, was ihn letztlich störte, aber…
 

Ehe er seine Gedanken weiter fortführen konnte, spürte er, wie sein Handy in der Tasche vibrierte. Ein Blick auf das Display bestätigte ihm einen eingehenden Anruf von Yuugi. Erfreut ging er an den Apparat. „Hey, das ist ja ein interessanter Zufall. Ich laufe gerade durch die Stadt und denke an früher, weil auf diesen Leinwänden überall Kaiba zu sehen ist und da rufst du an.“ Yuugi jedoch ging auf diesen Spaß gar nicht erst ein. „Wenn du gerade in der Nähe einer dieser Nachrichten-Bildschirme bist, wundert es mich, dass du die tatsächlichen Neuigkeiten noch gar nicht kennst.“ Die Stimme, mit der der Jüngere zu ihm sprach, überraschte den Blonden. Normalerweise war Yuugi jemand, der durch seine sanfte, freundliche Stimme, selbst in höchsten Notsituationen noch Ruhe bewahren konnte, doch er klang nun ernsthaft besorgt. „Ganz ehrlich, ich habe keine Ahnung worauf du hinauswillst. Aber du kennst ja auch diese Nachrichtensender. Sie wollen Leuten beim Einkaufen nicht unbedingt die Schlechtigkeit ihrer Umwelt preisgeben. Also, was ist passiert?“
 

Kurz atmete der Jüngere am anderen Ende durch. „Du kennst ja ohne Frage den Vergnügungspark der Kaiba Corporation. Ich meine, wir waren ja auch schon einige Male dort.“ „Hm“, gab Jonou zurück. Selbst wenn er noch nicht dort gewesen wäre, wüsste er natürlich wovon Yuugi sprach. Es gab in der ganzen Stadt – wahrscheinlich im ganzen Land – niemanden, der diesen Park nicht kannte, wie alle anderen Dinge, die mit Kaiba zusammenhingen auch. „Okay, bisher ist dort nie etwas passiert, aber heute Morgen als eine Gruppe Schulkinder dort war, ist ein Mädchen in einer der Achterbahnen wohl aus einem Wagen geschleudert wurden. Der Gurt hat nicht gehalten. Du kennst doch Kaiba, er würde nie das Leben eines Menschen riskieren und diese ganze Sache hat für großes Aufsehen gesorgt, zumal das Mädchen wohl nicht überleben wird. Laut den Nachrichten ist sie im Krankenhaus und es sieht schlecht für sie aus.“ Jonou war tatsächlich überrascht.
 

Im Prinzip klang es wie ein tragischer Unfall, der sicherlich nicht schön war, aber der geschehen konnte – wenn auch nicht sollte. Doch tatsächlich hatte Yuugi an dieser Stelle vollkommen Recht: Seto war niemand, der die Sachen einfach so laufen ließ. Er war sich seiner Verantwortung für die Besucher der Attraktionen in seinem Park bewusst und es gab einmal im Monat scharfe Kontrollen von den besten Technikern des Landes. Ein Unfall war unmöglich. „Und… wie geht es jetzt weiter?“, fragte der Blonde, auch wenn ihm klar war, dass Yuugi das wohl auch nicht so genau wusste. „Gute Frage. Ich denke, man wird sich jetzt tagelang das Maul in der Presse zerreißen, diese Leute sind schließlich nicht umsonst hauptberuflich Aasgeier. Und egal wie gut Kaibas grundsätzliches Image ist, so wird das nicht spurlos an ihm vorbeigehen, eben weil er auf diese Perfektion pocht.“
 

Während ihres Gespräches war Jonou weitergelaufen. Natürlich, darauf würde die Presse sich stürzen, weil sie endlich einen Fleck auf der weißen Weste gefunden hatten. Und dieser Fleck war wesentlich schwerwiegender, als eine Fehlspekulation auf dem Aktienmarkt oder eine falsche Investition. Ein Mensch war zu Schaden gekommen. So etwas ließ niemand einfach so unbeachtet. Es regnete immer noch, wenn auch nicht mehr so stark wie noch vor wenigen Minuten. Was würde Seto nun machen? Wie würde er sich verhalten? Auch wenn ihr Kontakt sich nie über die Schule und Duelle hinausbewegt hatte, so machte ihn diese Neuigkeit schon nachdenklich. Besonders, weil Kaiba nachvollziehen konnte, wie es sich anfühlen musste, jemanden zu verlieren, den man liebte. Die Familie des Kindes musste Schlimmes durchleben. Er würde sicherlich alles tun, damit Mokuba nichts geschah. Allein deswegen war er so besessen was die Sicherheit anging. Etwas, das in einer Pfütze lag, weckte seine Aufmerksamkeit. „Warte mal kurz“, meinte er zu Yuugi, der sicherlich auf eine Reaktion seinerseits wartete. Jonou beugte sich hinab und fischte das Papier aus der Pfütze. Es war eine Spielkarte die mit dem Bild nach unten dort gelegen hatte. Deswegen war sie ihm wohl direkt aufgefallen, schließlich hatte er lange genug selbst an den Spielen teilgenommen. Das war auch der Grund warum er diese Karte als Fälschung erkannte. Es gab viele Gruppen, die die bestehenden Karten kopierten, um sie selbst in Turnieren nutzen zu können, bislang waren solche Versuche allerdings immer aufgeflogen. Aus reiner Neugier drehte er die Karte trotzdem um und seine bernsteinfarbenen Augen weiteten sich.
 

Ein blauäugiger weißer Drache. Die Karte, die Seto immer gespielt hatte. Sein Drache – zumindest als Kopie. Und ohne Grund spürte Jonou einen Schauer über seinen Rücken wandern. Wieso konnten die Dinge nicht einfach sein, wie sie früher waren...?

Wenn sich die Dinge überschlagen, bleibt manchmal nur die Offensive

Er hatte ein unerklärlich schlechtes Gefühl im Magen. „Yuugi, ich glaube, dass das nicht einfach nur ein unglücklicher Unfall war. Ich kann dir nicht mal erklären wieso.“ Er schaute weiter auf die durchweichte Karte in seiner Hand. „Aber wie du schon sagtest, er lässt viel zu oft seine Fahrgeschäfte überprüfen…“ „Hey, Jonou… wieso bist du plötzlich so unglaublich weggetreten.“ Natürlich kannten sie beide Kaiba, waren mit ihm ja auch lange genug zur Schule gegangen, aber das allein war noch kein Grund, gleich in Depressionen zu verfallen. Schon gar nicht, wenn man der Blonde war, hatte dieser doch die meiste Zeit eher damit zugebracht, sich mit besagten Braunhaarigen zu streiten. „Es ist… glaubst du eigentlich an Zeichen? Okay, ich gebe zu, dass das besonders auch meinem Mund reichlich blöd klingt. Aber ich habe eben einen Weißen Drachen gefunden. Einen gefälschten zwar nur, aber es ist doch schon merkwürdig, dass wir gerade über Kaiba sprechen und dann ausgerechnet diese Karte hier im Dreck liegt.“ Am anderen Ende der Leitung schwieg Yuugi einen Augenblick.
 

„Eigentlich sollte gerade ich wohl an diese Dinge glauben“, sagte er nach einer Weile etwas leiser. „Aber ich bin mir nicht sicher, ob das ein Zeichen oder Zufall ist.“ „Hmm“, machte Jonou nur. Natürlich wusste er das so genau auch nicht. „Hör mal Yuugi, ich ruf dich wieder an. Aber ich wollte noch ein paar Sachen in der Stadt erledigen, deswegen bin ich ja überhaupt hier bei diesem widerlichen Wetter.“ Yuugi lachte auf. „Okay, dann bis bald. Und lass dieses Mal wirklich etwas von dir hören.“ Jonou murrte nur noch etwas Unverständliches zur Antwort, ehe er letztlich auflegte. Es stimmte nur bedingt: zwar hatte er tatsächlich noch Dinge zu erledigen, aber nichts davon war so brennend, dass es nicht hätte warten können. Der Blonde brauchte einen Moment zum Nachdenken. Er wollte ganz im Stillen das, was er nun erfahren hatte, noch einmal durchdenken.
 

Aber egal wie er es drehte und wendete, er kam einfach auf nichts. Möglicherweise lag das einfach daran, dass er zu wenige Informationen hatte. Doch was gab es, was er tun könnte? Das Internet nach mehr Informationen durchforsten, vielleicht auch ein paar Tageszeitungen kaufen, die morgen sicherlich in allen Facetten darüber berichten würden? Das wäre aber noch lange keine Antwort. Jonou war jedoch auch bewusst, dass er keine andere Wahl hatte, als genau so vorzugehen. Er brauchte Eckpunkte und dann würde er sich weitere Gedanken machen. Eine andere Option wäre, Kaiba direkt aufzusuchen, doch diese Idee verwarf er, kaum dass sie ihn erreicht hatte. Zum einen hatte er so gut wie keine Verbindung zu dem Multimillionär und zum anderen würde er sicherlich auch keine weiteren Antworten haben – falls er überhaupt mit dem Blonden reden würde.
 

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Das helle Licht des Bildschirms stach ihm in die Augen und zum wiederholten Male rieb Jonou sich darüber. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass er bereits mehrere Stunden hier im Dunkeln seiner Wohnung saß und das Internet nach brauchbaren Informationen zu dem Zwischenfall durchsuchte. Alles, was er hatte finden können, war auf einem Block notiert, welcher seinen Platz neben dem Laptop gefunden hatte. Doch es war leider nicht viel mehr, als Yuugi ihm vorhin am Telefon erzählt hatte. Jonou war danach nicht mehr lange in der Stadt geblieben, sondern hatte sich, nach einer Weile des Nachdenkens und Abwägens, auf den Weg zurück in seine Wohnung gemacht.
 

Wohl oder übel würde er abwarten müssen, was die Zeitungen an neuen Informationen am kommenden Tag verbreiteten. Bislang wusste man einfach zu wenig. Zumindest wusste er nun, dass es sich um die beliebte Drachenachterbahn gehandelt hatte – mit dieser war er selbst schon einmal bei einem Besuch im Kaiba-Land gefahren. Er fragte sich, ob es Zufall war, dass genau diese Attraktion gewählt wurde, oder ob es ein weiterer Wink in Richtung der legendären weißen Drachen war. Jonou hatte auch herausfinden können, dass das kleine Mädchen, welches bei dem Unfall zu Schaden kam, erst 8 Jahre alt war. Leise seufzte er. Auch wenn er die Familie nicht kannte, so fühlte er mit ihnen. Wie musste es wohl sein, wenn das eigene Kind so etwas erlebte? Ob das Mädchen über den Berg war oder nicht, konnte er allerdings nicht herausfinden. Möglicherweise hielt man diese Information bewusst zurück, oder es gab einfach noch keine Veränderung.
 

Langsam spürte er, dass er seine Müdigkeit nicht mehr zurückdrängen konnte. Wahrscheinlich hatte es auch keinen Sinn, noch weiter vor dem PC zu sitzen und immer die – zumindest rein inhaltlich -gleichen Sätze zu lesen. Es würde ihm keine neuen Erkenntnisse mehr bringen. Gähnend speicherte er ein paar der Dokumente und schaltete den Laptop aus. Nun verschwand auch das letzte bisschen Helligkeit aus seinem Zimmer. Doch Jonou machte sich nicht die Mühe, das Licht anzuschalten. Er lebte lange genug in dieser kleinen Wohnung, um sich ohne Hilfe zurechtzufinden und ging mit zwei sicheren Schritten zum Bett, ließ sich einfach darauf fallen. Der Kopf schwirrte ihm von den Dingen und nicht zum ersten Mal fragte er sich, wieso er das eigentlich tat. Wieso suchte er nach Informationen? Sollte es ihm nicht eigentlich egal sein, ob Kaiba Ärger hatte oder nicht? Eigentlich ja, doch seltsamerweise war es das eben nicht.
 

Er rollte sich umständlich auf die Seite und vergrub den Kopf unter dem Kissen. Auch wenn diese Schlafposition etwas suizidal wirkte, fand er so am ehesten Ruhe nach einem Tag wie diesem. Er spürte, wie die Ruhe langsam zurückkehrte. Jonou sagte sich einfach immer wieder, dass er für heute alles getan hatte, was möglich war und ihm eh nichts anderes blieb, als auf den neuen Tag zu warten. Ohne sich dessen bewusst zu sein, driftete er in einen tieferen Schlaf, der jedoch von Träumen begleitet wurde. Es waren eigentümliche Bilder, die sein Unterbewusstsein ihm da vorführte. Er sah Kaiba als weißen Drachen, wie er ein Mädchen zerbiss. Wahrscheinlich eine Projektion des Geschehenen und natürlich die starke Verbindung, die es für Jonou zwischen Kaiba und dessen Karten gab. Diese Bilder wiederholten sich die ganze Nacht über – mit kleinen Variationen.
 

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Der Flur lag in Dunkelheit vor ihm und es war rein gar nichts zu hören. Die Stille wirkte auf ihn nach den Geschehnissen des bereits vergangenen Tages – hatte die Uhr doch so eben Mitternacht verkündet – erdrückend. Gleichzeitig labte er sich fast darin. Leise ging er bis zum Ende des Ganges und betrat sein Schlafzimmer. Kurz nur hatte er in das Zimmer seines Bruders gesehen. Es war eine Gewohnheit, die sich in den vergangenen Jahren entwickelt hatte. Doch der Jüngere war nicht zu Hause. Das geschah oft in letzter Zeit, aber es wunderte den Braunhaarigen nicht. Hier zu leben bedeutete zwar, auf nichts verzichten zu müssen, was Luxus betraf, doch es war auch einsam. Und Mokuba war nie gerne einsam gewesen. Ganz abgesehen davon wurde er auch älter, blieb die Nächte hin und wieder bei Freunden. Seto wusste so genau gar nicht, was in seinem Leben geschah, dazu war er viel zu selten zu Hause. Noch seltener sogar als früher.
 

Er ließ sich auf seinem Bett nieder und spürte die beruhigende Kühle seiner Bettwäsche an seiner Haut, die noch nicht ganz getrocknet war. Das Handtuch um seine Hüften fing die Wassertropfen auf, welche nach dem Duschen über seine Haut wanderten. Wie konnten Dinge innerhalb weniger Stunden dermaßen aus den Fugen geraten? Eben hatte er noch in seinem Stadtbüro gesessen und Kalkulationen überarbeitet, als einer seiner Angestellten aufgelöst in den Raum kam – ohne zu klopfen, wie er zu diesem Zeitpunkt noch missbilligend festgestellt hatte – und ihn über die neuesten Entwicklungen in Kenntnis setzte. Kaum eine halbe Stunde später war eine Reportermeute in seinem Büro eingefallen. Diese Zeit hatte gerade einmal gereicht, um sich kurz einen Überblick zu verschaffen.
 

Doch es hatte ihm nichts genützt. Es blieb ein Rätsel, egal wie oft er sich die Unterlagen aller technischen Überprüfungen geben ließ. Er konnte nicht erkennen, was genau zu diesem Unfall geführt hatte, obwohl die Achterbahn erst vor kurzem unter höchsten Auflagen gewartet worden war. Es gab keine Antwort. Außer dem Vorwurf, dass er eben nicht oberste Vorsicht bei seinen Geräten hatte walten lassen. Und im Moment konnte er nicht einmal das Gegenteil beweisen, denn die Geschehnisse sprachen eindeutig gegen seine Unterlagen. Das weitere Vorgehen war ihm mehr als klar, schließlich war er lange genug Geschäftsmann. Die Staatsanwaltschaft würde sich einschalten, man würde alles untersuchen, jedes Teil auseinandernehmen. Bis dahin würde die Attraktion geschlossen bleiben. Ein Anwalt sagte ihm am Telefon, dass er Glück habe. Man hätte auch den ganzen Park schließen können.
 

Seto ließ sich nach hinten in die Laken fallen und starrte in der Dunkelheit an die Decke. Er hatte den besten Rechtsbeistand, aber das änderte nichts daran, dass ein Mensch zu Schaden gekommen war. Und egal ob das Mädchen nun überlebte oder im schlimmsten Falle sogar starb, es machte das Gefühl nicht besser. Wie hätte er das verhindern können? Diese Frage stellte er sich schon, seit er das Büro verlassen und endlich wieder die Möglichkeit hatte, nachzudenken. Doch auch darauf fand er keine Antwort. Vielleicht gab es für dieses Rätsel auch einfach keine Lösung. Möglicherweise war dieses Geschehnis etwas, dass man dem Schicksal zuschrieb?
 

Der Braunhaarige spürte eine Gänsehaut über seinen Körper wandern. Beinahe mühselig erhob er sich vom Bett, ließ das Handtuch auf den Boden fallen und zog sich an. Eigentlich war er müde und gemessen an dem bevorstehenden Tag sollte er wohl besser schlafen, doch ihm war auch klar, dass er dazu nicht in der Lage wäre. Schon ein paar Minuten später verließ er die Villa wieder und stieg in sein Auto. Es war schließlich nicht so, als könnte er nicht auch selbst fahren. Seinen Chauffeur würde er um diese Uhrzeit auf keinen Fall behelligen, zumal er nicht einmal sicher war, wohin er fahren wollte. War er ehrlich, so gab es nicht viele Orte, an die er gehen konnte. Neben seiner Villa, die um diese Zeit mehr als nur verwaist wirkte, gab es noch zwei Büros und die Firma. Doch das waren alles keine Plätze die er jetzt als Aufenthaltsort vorzog.
 

Er steuerte den Wagen auf die Straße und fuhr den Weg in die Stadt zurück. Obwohl es schon nach Mitternacht war, herrschte noch ein reger Verkehr. Die Leute, die jetzt noch unterwegs waren, hatten sicherlich ein wesentlich abwechslungsreicheres Leben als er selbst und unter Umständen auch weniger Probleme. Eine halbe Stunde fuhr er einfach nur durch die Straßen, ohne darauf zu achten, wo er sich eigentlich befand, bis er letztlich einfach am Straßenrand hielt und ausstieg. Die Gegend kam ihm seltsam bekannt vor, auch wenn er nicht wusste, wann er einmal hier gewesen sein sollte. Die blauen Augen suchten die Häuser ab, die wohl fast alle von Studenten bewohnt wurden, immerhin war ein paar Straßen weiter die Universität. Und dann fiel ihm auch ein, woher er diese Gegend kannte. Langsam trat er auf eines der Häuser zu, die sich allesamt im Stil kaum unterschieden, glitt mit den Fingerspitzen über die Klingelschilder, bis er an einem Namen hängenblieb: Jonouchi Katsuya. Sein Blick wanderte über die Fassade nach oben, doch die meisten Fenster waren dunkel.
 

In keinster Weise verstand er, was ihn hierher getrieben hatte. Wollte er mit einem minderbemittelten Studenten über seine Probleme reden? Nicht, dass er das jemals überhaupt mit jemandem tat. Abgesehen davon könnte ihm jemand wie der Blonde sicherlich nicht helfen. Auf der anderen Seite… Manchmal bedurfte das Leben der merkwürdigsten Aktionen und wenn alles was er hatte, nun sowieso aus den Fugen geriet, wieso sollte er nicht einfach mal etwas wagen? Die Fingerspitzen, welche immer noch an dem Namensschild ruhten, drückten leicht zu, und in der verdunkelten Wohnung ertönte Mitten in der Nacht die Klingel.



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Kommentare zu dieser Fanfic (11)
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Von:  Lunata79
2012-09-06T10:15:54+00:00 06.09.2012 12:15
Das ist ja voll gemein!!! Wieso gehts hier nicht weiter?!?
Die Idee und Story finde ich richtig gut.
Nur würde ich gerne wissen, wies weitergeht.
Bitte schreib doch weiter. Die Kapitel dürfen dabei ruhig auch etwas länger sein. So um die bis zu 3000 Wörter.

Lg
Lunata79
Von:  Onlyknow3
2012-01-21T18:32:08+00:00 21.01.2012 19:32
Habe das erste Kapitel schon mal gelesen,aber dann war sie weg darum vermute ich mal das eine Namensänderung statt fand.Jetzt habe ich die drei Kapitel gelesen,und freue mich das sich etwas getan hat.
Wenn du also weiter schreiben würdest dann bin ich als leser da.


LG
Onlyknow3
Von:  Xamyn
2011-09-10T10:12:45+00:00 10.09.2011 12:12
Ein sehr gemeiner Cliff-Hänger :D
Die Story ist wirklich sehr interessant. Besonders jetzt scheint es richtig spannend zu werden. Ich kann mir Jouno's verschlafen bzw. überraschtes Gesicht bildlich vorstellen ^^
Am besten gefällt mir aber dein Schreib-Stil. Deine Art makellos und fließend zu schreiben ist echt beneidenswert.
Ich bitte um mehr! :D

LG, MohnBlumenBluete
Von:  Wieselchen
2011-09-01T11:06:13+00:00 01.09.2011 13:06
Heeeeeey!
Wann erfahren wir denn wie es weiter geht? ;__;
Von:  Caeldryn
2010-06-02T07:52:43+00:00 02.06.2010 09:52
Ich habs ja versporchen und ich weiß, dass ichs viel zu lange vor mich hergeschoben habe - irgendwie scheint das mein neues Hobby zu sein *seufz* Den Anfang hab ich ja schon vor einer Weile gelesen, bis zum Wechsel zu Kaiba.
Ich finde den Teil aus dessen Part übrigens wirklich gut. In meinen Augen hast du ihn getroffen und ich bin sehr gespannt wie das folgende Zusammentreffen von Seto und Jouno verlaufen wird.
Jouno find ich ein wenig sehr tiefsinnig... andererseits ist er ja auch älter geworden... Na du machst das schon ^^
Das nächste Mal werd ichs auch wieder gleich lesen. Sonst vergess ich es nur und das geht ja nicht ^^ Ich mag die Story.
Sorry nochmal, weil ichs so lange hab liegen lassen
*Keks geb*
*flausch*
Von:  Dragon1
2010-05-03T21:23:22+00:00 03.05.2010 23:23
EIn schönes Kapitel und so melancholisch!
Dein Schreibstil ist wirklich toll und lässt sich sehr fließend lesen.
Seto tut mir so leid... *snief*
Tja... vor welcher Tür wird er jetzt wohl stehen?
Bin schon sehr gespannt wie es weiter geht^_________^
Von:  Caeldryn
2010-04-11T11:03:17+00:00 11.04.2010 13:03
Ja, klingt so sehr viel besser ^,^
Auch wenn ich weiß, was du noch etwa geplant hast, bin ich sehr gespannt was noch kommt und wie genau du das alles entwickelst. Ich mag deinen Stil, sagte ich ja bereits. Auf jeden Fall freu ich mich darauf, wenn es weitergeht.
Kira hat aber Recht, der eine Satz ist schief. Ich frage mich gerade, ob er das vorher schon war. Wenn ja, hab ich das übersehen. Sorry~
*plüsch*

Weiter so~
Von:  mu_chan
2010-04-10T13:15:18+00:00 10.04.2010 15:15
woa spannung pur!!!
echt nen supi kapitel!!!
bin echt gespannt wie es weiter geht!!
freu mich schon aufs neue kapitel!!
glg mu_chan
Von: abgemeldet
2010-04-10T12:54:35+00:00 10.04.2010 14:54
Hört sich weiterhin sehr interessant an ^^
Schaffst gut die Spannung zu halten, auch wenn ich nicht so ganz glaube, dass sie sich so selten sehen (was auch verwirrend ist, wenn du erst geschrieben hast, dass sie scih selten sahen und fast nie Kontakt hatten, aber Yugi ihn direkt anruft wegen der Nachrichtensendung ^^)
Ich denke sie werden schn noch enger befreundet sein, nach all dem was sie so erlebt haben

Noch etwas was mir aufgefallen ist: >>Besonders, weil Kaiba nachvollziehen, wie es sich anfühlen musste, einen Teil seiner Familie zu verlieren.<< der Satz ist etwas schief

Schön geschrieben ^^
Von:  mu_chan
2010-04-03T10:53:48+00:00 03.04.2010 12:53
echt nen klasse prolog!!^.^
es regt einen wirklich zum nachdenken an....sowas find ich gut!!!
weil so bekommt man nochmal ne andere ansicht zum leben...
wirklich extrems gut!!^.^
macht mich echt neugierig was in der story so passiert!!!
freu mich wenn es weiter geht!!
glg mu_chan

ps: üba ne ens wenn es weiter geht würd ich mich freuen!=)


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