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Seelenlos

Ihr habt keine Rechte. Unser Wort ist Gesetz.
von

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Zur Hölle und zurück

Ich sitze in einem Zug und schaue raus. Die Landschaft fliegt am Fenster vorbei. Aus den Kopfhörern in meinen Ohren dröhnt "Das letzte Streichholz" von Oomph!. Ich genieße die Musik, sauge sie in mich ein. Ein verlorenes Gut, dass ich mir zurückerobert habe.

In den letzten Monaten und Jahren habe ich einiges gelernt. Vor allem, wie viel wir für selbstverständlich nehmen. Das wir Klamotten tragen, die uns gefallen. Musik hören, die wir mögen. Sprechen, wann, wo, mit wem und worüber uns gefällt. Gehen, wohin wir wollen. Selbst entscheiden. Frei sein.

Für mich ist nichts mehr selbstverständlich. Heute noch wache ich um punkt fünf Uhr auf, ohne das mein Wecker klingelt. Noch heute tue ich oft reflexartig, was man mir sagt, weil man es mir sagt. Manchmal habe ich Alpträume. Alpträume von Leere, vom Nicht-Existieren.

Ich bin sehr still geworden. Rede meistens nur, wenn ich aufgefordert werde.

Aber es wird besser. Ich habe wieder angefangen, zu zeichnen und Schlagzeug zu spielen. Aber ich werde wohl nie wieder Kickboxen machen. Niemals wieder.
 

Als Kinder leben wir in einer sicheren Seifenblase namens Glauben. Wir glauben an unsere Eltern. Wir glauben, dass sie nur das Beste für uns wollen. Das sie für uns sorgen und immer für uns da sind. Sie sind nervig und verstehen uns nicht und oft genug fliegen die Fetzen. Aber es sind doch unsere Eltern. Und unsere Eltern lieben uns. Oder?
 

Ihr wollt wissen, wie ich gebrochen und verstümmelt wurde? Wie meine Eltern mich verrieten und zur Hölle schickten? Und wie ich das alles überlebte und wieder von einer Maschine zu einem Menschen wurde? Ich kann's euch erzählen.
 

Schnallt euch an. Die Fahrt beginnt.
 

Ich seufze und runzel die Stirn. Ich suche einen Anfang. Zwinge mich, die letzten Monate zurückzublicken, die Zeit in der Psychiatrie, die Entlassung aus dem Camp, die Flucht, gehe noch weiter zurück.

Da. Ich sehe mich eine Straße entlang gehen. Es ist mitten in der Nacht. Irgendwas nach zwei Uhr und es ist dunkel. Die Straßenlampen werfen ihr schummrig-gelbes Licht auf den Gehweg, auf dem ich mich bewege. Es ist meine Straße.

Sie ist gesäumt mit Eigenheimen, die alle furchtbar individuell wirken sollen, sich aber tatsächlich alle gleichen. Stille Zeugen des Wohlstandes der in ihnen lebenden Familien. Meine Eltern leben auch in einem dieser Häuser.

Ich passe nicht hierher. Das sieht man auf den ersten Blick. Ich trage einen formlosen, grauen Kaputzenpulli mit Reißverschluss, die Kaputze tief ins Gesicht gezogen. Die Hände habe ich in die Taschen des Pullis gestemmt. Unter dem Pulli lucken meine Nietengürtel hervor, die im Dunkeln silbrig glitzern. Meine schwarze, enge Stoffhose hat Löcher, aus denen eine gemusterte strumpfhose hervorlugt.

Meine Schritte sind laut und schwer, was an den lauten und schweren Springerstiefeln mit Stahlkappen liegt, die ich trage. Wie immer höre ich so laut Musik, dass jeder im Umkreis von zehn Metern mitsingen könnte.

Ich bin auf dem Weg nach Hause. Heute wünschte ich, ich wäre niemals dort angekommen.
 

Das ist ein recht harmloser Anfang. Aber in der Realität regnet und stürmt es nicht, wenn Unheil auf einen zukommt. Es liegt keine unheimliche und bedrohliche Stimmung in der Luft. Niemand kommt kreischend auf einen zugerannt und warnt einen. Nein. In der Realität ist es ein stinknormaler Abend im Spätfrühling. Alles ist normal. Nichts lässt einen ahnen, was auf einen zukommt. Und dann passiert es- ganz plötzlich. Ohne, dass man wirklich reagieren könnte.

Hilflos

"I could be mean

I could be angry

You know I could be just like you
 

I could be fake

I could be stupid

You know I could be just like you
 

You thought you were standing beside me

You were only in my way

You're wrong if you think that I'll be

just like you
 

You thought you were there to guide me

You were only in my way

You're wrong if you think that I'll be

Just like you
 

I could be cold

I could be ruthless

You know I could be just like you
 

I could be weak

I could be senseless

You know I could be just like you
 

You thought you were standing beside me

You were only in my way

You're wrong if you think that I'll be

just like you
 

You thought you were there to guide me

You were only in my way

You're wrong if you think that I'll be

Just like you
 

On my own, cause I can't take livin' with you

I'm alone, so I won't turn out like

You want me to
 

I could be mean

I could be angry

You know I could be just like you"
 

Three Days Grace gaben sich mächtig mühe, mir das Trommelfell aus den Ohren zu sprengen. Ich hatte recht gute Laune, was auch an dem Sixer Bier liegen konnte, das ich an diesem Abend getrunken hatte.

Heute sehe ich die Ironie, gerade dieses Lied an diesem Abend auf dem nach Hauseweg gehört zu haben.

Ich schlenderte die Straße entlang. Ich weiß noch, dass ich überlegte, ob ich Fliege einen Laufpass oder noch eine Chance geben sollte.

Fliege war mein On-Off-Freund. Wie wir grade Lust hatten, waren wir zusammen oder getrennt. Es war nichts wirklich ernstes. Und gerade war er mal wieder bei mir angekommen, nachdem er es drei Wochen ohne mich ausgehalten hatte. Anscheinend hatte er genug von Lucy.

Ich grinste. Fliege und Lucy passten ungefähr so gut zusammen, wie eine Kanalratte und ein Schwein. Nichts gegen Fliege!

Aber er rannte nunmal rum, wie der letzte Penner. Auch, wenn es ihm stand.

Lucy war ein ganz anderes Kalieber. Bis heute verstehe ich nicht, wie die beiden zusammen kamen. Sie war so gar nicht sein Typ. Ein sehr gewöhnliches, farbloses Mädchen aus meiner Klasse mit einem permanenten Hunger nach Süßigkeiten und einem Hang zum Übergewicht. Sie sah nicht schlecht aus, nur eben verdammt langweilig. Sie trug immer dieselbe Kombo: Jeans und T-Shirt, das Shirt meistens mit Muster, und Turnschuhe. Ihre glatten, braunen Haare hatte sie immer zu einem strengen Zopf nach hinten gebunden und da sie keinen Pony hatte, machte das ihr ohnehin schon rundes Mondgesicht noch breiter. Aber eigentlich war sie ganz nett. Sie teilte ihre Süßigkeiten immer mit anderen. Nicht so, wie viele andere, bei denen man schon gar nicht mehr fragen mag, weil sie einem einen Blick zuwerfen, als wollten sie einen umbringen. Aber sie hatte zu nichts eine Meinung. Oder sie traute sich nicht, eine zu haben.

Fliege dagegen war ein Punk mit Leib und Seele und Linksextremist von Kopf bis Fuß- einer von der aufdringlichen Sorte also. Aber von seiner Attitüde abgesehen war er nett und umgänglich. Hatte nur ein kleines "Autoritätsproblem", wie er es nannte- aber das hatten wir schließlich alle. Seine Klamotten waren immer abgerissen und alt, ausgelatscht und formlos. irgendwie schaffte er es trotzdem, gut darin auszusehen, indem er sie färbte und ein wenig an ihnen rumschneiderte.

Während ich so über Fliege nachdachte, kramte ich aus meiner Hosentache eine Kippe hervor und steckte sie mir an. Natürlich wusste ich, dass ich mit 15 noch nicht rauchen durfte und das es meinem Körper schadete. Mein Trainer regte sich jedes mal darüber auf, dass ich meine Kondition mit den "scheiß Glimmstängeln" kaputt machte. Aber ehrlich gesagt, war es mir egal. Ich gab nicht viel auf die Worte von andern, es sei denn, sie waren meine Freunde. Ich rauchte, weil ich Bock dazu hatte, fertig. Überhaupt machte ich nur, was ich wollte.

Um die Ecke biegend, fing ich an, vorbeugend in meinen Taschen zu graben, um schließlich meinen Schlüssel ans Licht zu befördern. Dann kam ich bei unserer Auffahrt an. Die Autos meiner Eltern standen vor der Garage. Die Lichter im Haus waren aus und kein Laut war zu hören.

Ich mochte es, spät Nachts nach Hause zu kommen. Alles war so still und friedlich. Alles sah so ruhig aus. Ich schaute die verlassene Straße hinunter und musterte die Häuser mit ihren dunklen Fenstern. Um zwei Uhr morgend schlief jeder gute Bürger natürlich tief und fest brav in seinem Bett. Überraschenderweise war ich kein guter Bürger. Nach Meinung meiner Eltern auch keine gute Tochter. Aber auf deren Meinung gab ich schon sehr lange nichts mehr.

Am Straßenrand des gegenüberliegenden Grundstücks parkte ein dunkler Van. Kurz fragte ich mich, was dieser Wagen hier machte. Ich hätte wegrennen sollen, so schnell ich konnte. Noch heute bekomme ich leicht Panik, wenn ich einen dunklen Van sehe.

Aber damals wusste ich nicht, was dieser Van zu bedeuten hatte, zuckte mit den Schultern, trat meine Zigarette aus und latschte die Auffahrt hinauf zu unserer Tür. Leise schloss ich sie auf und trat in den Flur. Und dann brach das Chaos aus.

Aus dem heiteren Himmel wurde ich gepackt, noch bevor ich richtig drinnen war. Es war so dunkel in dem Vorraum, dass ich nicht erkennen konnte, wer mich angriff. die kurze Schrecksekunde reichte dem Angreifer, um mich brutal auf den Boden zu werfen und festzuhalten. Der Geruch von Schuhen- Leder, Schuhcreme und Erde- stieg mir in die Nase. Endlich- viel zu spät- fing ich an, mich zu wehren. Aber selbst drei Jahre Kickboxen konnten mir nicht helfen. Es war nicht nur einer. Es waren zwei. Ich schrie auf vor Schmerz, während meine Arme grausam auf den Rücken verdreht wurden. Als ich anfing, zu treten, hielt der andere meine Beine fest. Ich konnte mich nicht mehr rühren. Ich öffnete den Mund, um nochmal zu schreien, als ich stockte. Das Licht im Flur war angegangen. Die Tür zum Vorraum öffnete sich und meine Eltern standen komplett angezogen im Türrahmen. So stimmig vereint hatte ich sie das letzte mal vor Monaten gesehen.

"Wir bringen sie jetzt weg.", knurrte eine Stimme irgendwo über meinem Hinterkopf. Ich sah meine Mutter nicken. "Passen Sie auf, sie kann Kickboxen.", hörte ich meinen Vater sagen. "Haben wir gemerkt, Sir." Dann hoben mich die beiden hoch und schleppten mich zum Wagen. Ich war zu fassungslos, um noch irgendwas zu sagen. Ich konnte nur meine Eltern anstarren, wie sie dort in der Haustür standen und mir nachsahen. Was passierte hier? Warum? Was war hier los? Wo wurde ich hingebracht? Warum taten meine Eltern nichts?

Der Mann mit der rauen, knurrigen Stimme, der vorhin mit meinen Eltern geredet hatte, startete den Motor des Vans und fuhr los. "Sag brav 'Auf Wiedersehen, Mommy und Daddy!'", knurrte er, dann gab er Gas.

Dann sah ich meine Eltern in der Ferne verschwinden.

Die Fahrt war lang. Man hatte mir die Hände auf dem Rücken gefesselt und so langsam wurden sie taub. Unangenehmes Gefühl. Meine Schultern schmerzten. Im Wagen roch es abgestanden und nach Rauch. Meine Füße kribbeten vom langen Stillsitzen. "Wo bringt ihr mich hin?", fragte ich zum wiederholten Mal. Wieder ohne Erfolg. Meine "Entführer" sprachen nicht mit mir.

Es waren ein Mann und eine Frau in identischen Uniformen aus Jeans und Hemd. Der Mann war ein ziemlicher Bär, aber die Frau war auch sehr kräftig. Ich konnte nicht viel über die beiden sagen. Der Kerl hatte kurze, lockige Haare, vielleicht blond. Es war zu dunkel, um viel zu erkennen. Die Frau trug ihr Haar streng nach hinten gebunden.

Mir war mulmig zu Mute. Und ich hatte eine verdammte Angst- nichts, was ich im nach hinein zugegeben hätte. Zuerst hatte ich Panik und über Sachen nachgedacht, wie Menchenhandel oder so. Ob meine Eltern mich an einen Drogenboss verkauft hatten oder schlimmer. Mittlerweile war ich sauer und wollte einfach nur wissen, was los war. Wo die mich hinbrachten und uf was für verqueere Ideen meine Alten jetzt schon wieder gekommen waren.

"Was soll die Scheiße? Wo bringt ihr mich hin, verdammt!", fluchte ich. Immernoch keine Reaktion, ich hätte genauso gut mit den Sitzen reden können, und die hätten sogar nich zugehört...

Es kam mir vor, als wenn wir ewig fahren würden. Wir waren bestimmt schon ein paar Stunden unterwegs, als ich meine Blase spührte. "ich muss mal pinkeln.", knurrte ich. Keine Reaktion. "Hey, könnt ihr vielleicht irgendwo anhalten, damit ich pinkeln kann, oder soll ich euch das Auto vollpissen?", schnauzte ich ziemlich gereizt.

"...Vielleicht sollten wir-", fing die Frau an, zu murmeln. Sie hatte eine erstaunlich angenehme Stimme. "Hör bloß nicht auf sie, die simuliert nur.", knurrte der Mann. Der Kerl wurde mir immer unsympatischer. Die Frau warf einen nervösen Blick nach hinten. "Aber...Wenn sie wirklich..." Der Kerl zuckte mit den Schultern. "Entweder sie verkneift sich's, oder sie sitzt in ihrer eigenen Pisse und darf die dann auch noch wegmachen." Die Frau schaute den Typen erschrocken an. "Aber Reik!" Er winkte ab. "Du warst doch dort. Du hast doch gesehen, was für Kids da rumrennen. Du weißt, wie die drauf sind. Lass dich nicht von ihnen täuschen." Letztendlich nickte die Frau nur stumm und vermied es seit dem, zu mir nach hinten zu schauen.

Und ich kam mir vor, wie im falschen Film. Das hatten die doch gerade nicht ernst gemeint, oder?

Doch, hatten sie. Nach einer gefühlten Ewigkeit war meine Blase kurz vorm Platzen und wir erreichten endlich unser Ziel...



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Kommentare zu dieser Fanfic (2)

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Von:  ButterflyCry
2010-05-20T16:41:11+00:00 20.05.2010 18:41
So, dass erste Kapitel ist zwar kurz aber gut geschrieben^^
Nur vielleicht bei 'scheiß Glimmstengel' ein Lehrzeichen dazwischen, denn ich glaube nicht, dass man das so zusammenschreiben kann XD
Und auch hier ein zwei Tippfehler, wenn du nochmal liest, wirst du diese aber schnell finden^^
Von:  ButterflyCry
2010-05-20T16:35:04+00:00 20.05.2010 18:35
So zum Prolog.
Es ist sehr interessant, dass du im Präteritum schreibst, hat man ja nicht so oft.
Der Stil gefällt mir aber diese 'gegen zweie', als Uhrzeit ist ein bisschen zu umgangssrachlich und würde ich daher in der wörtlichen Rede lassen.
Ansonsten lies es dir nochmal durch, da du hier und da ein paar kleine Fehler drin hast^^


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