Our sky won't end here von Ruu ================================================================================ Kapitel 3: 1380 - Teil I ------------------------ Paul war aufgeregt. Die ganze Zeit über hatte Cölln jetzt geschwiegen, hatte lediglich gemeint, er müsse Berlin etwas zeigen. Tapsig wie ein Welpe sprang er vor Nikolai her, er konnte es kaum erwarten, denn wenn sein Freund schwieg, dann bedeutete das, dass er etwas einmalig spannendes vor hatte. Allerdings ging es dazu meistens nach draußen zum Wald oder an die Spree, doch jetzt steuerte er geradewegs auf ihr Haus auf Berlins Seite der Stadt zu. „Was wolln wir denn zu Hause, Cölli?“ Keine Antwort, es breitete sich lediglich ein wissendes Grinsen auf Cöllns Gesicht aus. Er umklammerte einen kleinen Beutel, der an seiner Hose hing, als hätte er Angst, jemand könnte ihn stehlen. „Wasn da drin? Sags mir doch!“ „Wirste sehen, jetz gib Ruhe, Mensch!“ Die Holztür wurde aufgedrückt und die beiden Jungen traten ein. Wie immer war es dunkel und stickig im Raum, gerne waren sie hier nicht, kamen wenn überhaupt nur zum Schlafen her, oder zum Essen. Zwei Paar nackte Füße tappten über den feuchten Lehmboden, bis Cölln vor der Feuerstelle anhielt und Paul grinsend betrachtete. Jetzt löste er den kleinen Beutel und ließ ihn verführerisch vor den blauen Augen seines Freundes hin und her pendeln. Dieser konnte nicht umhin, einen kleinen Luftsprung zu machen. „Jetz sags schon! Was haben wir vor?“, Berlin konnte es nicht mehr abwarten und ihn auf die Folter zu spannen gefiel Cölln. Mit sehr langsamen Bewegungen der Hände leerte er den Inhalt den Beutels auf den Fußboden. Feuerstein, Schlageisen, und Zunder purzelten hinaus und sofort galt Nikolai ein bewundernder Blick. „Wo haste dis her?“ Nikolai genoss all diese Anerkennung sichtlich. Lässig verschränkte er die Arme und lehnte sich gegen ihren kleinen, kaum 20 Zentimeter hoch gemauerten Ofen. „Gefunden.“ „Wow... Und was machen wir jetz damit? Du hast doch ne Idee, oder Cölli?“ Nikolai warf kurz den Kopf zurück und lachte. „Natürlich ab ich die, Paule. Findeste nich, dass wir in letzter Zeit echt fies zu Albi warn?“, fragte er stirnrunzelnd. Paul sah verdutzt drein; was sollte diese Frage? „Nee. Wieso?“ „Eben. Und deshalb hab ich mir da was neues ausgedacht.“ „Sprich weiter.“ „Wir kochen ihm was Schönes. Was meinste?“ Der begeisterte Ausdruck auf Pauls Gesicht schwand langsam und stattdessen verblieb ein fragender, leicht vorwurfsvoller Blick. „Cölli... Albi ne Freude machen, macht aber keinen Spaß.“ Der Ältere grinste nur noch breiter, weshalb sein Freund den Kopf schief legte und sich am Kinn kratzte. Ohne etwas zu antworten erhob sich Cölln, ließ Berlin auf dem Boden sitzen und ging gemächlich, so als hätte er alle Zeit der Welt, zur Haustür, nur um durch sie wieder an die frische Luft zu verschwinden. Verdattert starrte sein bester Freund ihm nach, bis er auch aufstand und ihm hinterher stolperte. Enttäuscht stand er im Türrahmen und sah zu, wie Cölln draußen die verdreckte Straße nach irgendetwas absuchte. „Dis meinteste nich ernst, oder? Ich will Albi nichts kochen.“ Nikolai sah auf, seine braunen Augen sahen prüfend zu Paul. „Hm.“, seufzte er achselzuckend. „Was 'hm' ?“ „Ich hab gedacht du kennst mich, aber fein... Such ich mir halt wirklich nen neuen besten Freund.“ „Nein! Ich kenn dich besser als jeder andere. Bitte nicht, ich bin auch still!“ Der Lockenkopf kicherte amüsiert, während er mit einem langen Stock in einem Loch in der Hauswand stocherte. Anscheinend fand er nicht, was er suchte und so stand er auf und lief die Straße etwas weiter runter, den Blick nahezu an den Boden geheftet. „Wenn de mir sagst, was de suchst, dann könnt ich auch suchen.“, bemerkte Berlin, sowie er ihm folgte. „Ich such den Tod.“, antwortete Cölln sofort. „D-Den Tod?“ „Ganz genau. Und mindestens drei Tage alt muss er sein.“ Die Augen nicht vom Weg abgewandt, formte Nikolai mit den Händen einen Trichter vor dem Mund und rief: „Oh, Toooohooood! Wo bist duuu?“ Paul zupfte ihm nervös an der Kleidung. „D-Du... Was wenn er kommt?“, er klang verängstigt. Aber Cölln ließ wieder sein Lachen hören und winkte ab. „Du bist aber auch selten doof! Ich hab dich veralbert! Natürlich antwortet der Tod mir nicht und kommen tut er auch nich, denn er liegt still immer an derselben Stelle. Es sei denn man bewegt ihn halt.“, Nikolai kniete sich nieder und hob etwas vom Boden auf., „Wusstest du's? Wenn man den Tod stört, dann wird man ganz scheußlich verflucht. Dann fängst du an aus der Nase zu bluten und zwar für immer und ewig. Und irgendwann holt er dich dann, wenn dus am wenigsten erwartest!“ Cölln zeigte Berlin eine, wohl seit einiger Zeit tote Ratte, in seinen Händen. „V-Verflucht? Aber Cölli, warum fasst de den Tod dann an? Das is doch 'stören', oder?“ „Ich bin mutig. Und wenn mutige Jungs, wie ich, den Tod stören, dann können sie sich vom Fluch befreien, wenn sie zur Geisterstunde auf den Friedhof gehen, sich dort mindestens 999 Mal im Kreis drehen und die Worte 'Geist, der den ich in seiner Ruhe gestört habe, nimm hiermit meine Sünden von mir und lass mir nichts als meine Reue für meine Tat', sagen. Und dann springt man auf einem Bein wieder vom Friedhof und man darf nicht umkippen.“ „Egal auf welchem Bein?“, die Geschichte beeindruckte Berlin sichtlich. „Egal auf welchem Bein.“ Der braunhaarige Junge mit den blauen Augen sah ehrfürchtig zu seinem Freund, der zweifellos die mutigste Person war, die er kannte, sogar mutiger als alle Erwachsenen ihrer kleinen Welt. Kurz genoss Nikolai noch die Bewunderung, dann ließ er die Ratte jedoch am nackten Schwanz vor Pauls Augen baumeln; es sah komisch aus, denn das Tier war völlig versteift, weshalb es sich auch nur minimal bewegte, wenn man es schüttelte. Ein widerlicher Geruch ging von ihm aus und hinter einem der angewinkelten Beinchen lugte eine kleine, weiße Made, aus einem Loch im fauligen Fleisch hervor. „Albis Essen.“, grinste Cölln und hielt sich die Nase mit der freien Hand zu. Es war widerwärtig, aber diese Idee gefiel Paul zugegebenermaßen sehr. Albrechts Gesicht wäre bestimmt unbezahlbar, wenn er erfuhr, auf was er da biss, sollten sie ihm die Ratte als scheinbare 'Freude' servieren. „Dann muss es aber echt aussehen... Also lecker.“, stellte Berlin fest. Sein Freund nickte und wischte mit seiner Kleidung den gröbsten Schmutz vom Tier. Die beiden machten sich auf den Weg zurück nach Hause, wo die Tür noch offen stand. Wieder vor ihrer Feuerstelle angekommen, ließen sie sich zu Boden plumpsen und starrten einander an; die Ratte wurde in die Mitte gelegt und stank vor sich hin. Cölln erhob die Hände wie in Zeitlupe und roch vorsichtig daran. Sofort verzog er das Gesicht und rief: „Boa Paule! Ich stink jetz genauso! Hab den Fluch anscheinend voll abbekommen!“ Angewidert streckte er sie Arme von sich weg. Aber Paul brachte nicht mehr als ein leichtes Schmunzeln über die Lippen, denn mit gebanntem Gesichtsausdruck starrte er zum toten Nagetier vor sich. „Cölli, wenn wir die für Albi kochen wollen... Dann muss man die ausweiden. Tiere muss man immer ausweiden, wenn man sie essen will.“ „Da haste Recht.“, antwortete Nikolai und zog sofort einen kleinen Dolch an seinem Gürtel. Wieder fragte sich Paul, wie der Junge nur immer wieder an solche Dinge kam und es schaffte, sie dann auch noch so gut zu verstecken. Er war leicht neidisch deswegen, verspürte aber gleichzeitig tiefste Bewunderung. Und dass er den Mut besaß, ein Tier aufzuschneiden... Der Dolch wurde angesetzt, nachdem entschlossene Blicke ausgetauscht worden waren und mit einem Stoß durchstieß er die Decke des aufgeblähten Bauches der Ratte. Sofort verbreitete sich ein noch schlimmerer Geruch und eine dunkelgraue, zähflüssige Masse lief aus der Schnittstelle, über den Griff der Klinge, direkt über Cöllns Finger. Der Schnitt wurde vergrößert und sofort liefen beide Jungen kreidebleich an. Es lebte. Das Innere des Nagers wand sich in Form von hunderten weißen Maden und Käfern, die sich am verwesenden Fleisch des Tieres ergötzten. Nikolai hielt inne und die Blässe Pauls verwandelte sich in ein ungesundes grün. Er verzog das Gesicht, presste sich die Hand vor den Mund und rannte in gebeugter Haltung zum Ausgang, an die Luft. Dieses grässliche Bild brannte sich tief in seinen Kopf. Aber auch dieser unangenehme Part wurde gemeistert; zum Wohle des Streiches und Albrechts Unglück! Von oben bis unten faulig stinkend saßen die beiden Kinder sich wieder gegenüber. Die Ratte lag mit offenem Bauch auf dem Ofen, neben ihr eine graue Pfütze aus Ungeziefer und nicht mehr definierbaren Innereien. Berlin war ganz und gar nicht stolz auf sich, denn Cölln hatte die ganz Arbeit gemacht, weil er sich nicht getraut hatte. Jetzt versuchte der Rotbraunhaarige mit der Hilfe des Feuersteins, des Zunders und dem Schlageisen ein Feuer hinzubekommen. Paul hatte bereits Spähne und trockenes Heu bereit gelegt, um das es später zu nähren. Beide grinsten sich an und Nikolai wickelte den Zunder um den Feuerstein und nahm danach das Schlageisen in die Hand, um auszuholen... Es dämmerte, als Albrecht erschöpft von der Arbeit nach Hause kam. Bestimmt hatten die Kinder schon Hunger und waren vom Spielen heimgekehrt. Der Geruch von Rauch lag in der Luft, wie jeden Abend, wenn die Menschen sich um ihr Abendessen kümmerten. Er bog in die Straße Berlins ein, in der sie wohnten und ließ den Tag noch einmal Revue passieren. Bisher war alles ruhig verlaufen, die Jungs hatten ihn nicht aufgesucht, oder ihm Streiche gespielt. Natürlich mochte das nichts heißen, im Gegenteil. Denn so kam der Verdacht auf, dass sie etwas ganz besonders gemeines planten. Jetzt musste er auf der Hut sein... Vor der Haustür lag Kotze. Na prima, die Bewohner dieser Stadt waren allesamt Ferkel. Es wurde sich vergewissert, das keine giftige Schlange oder ähnliches in der Nähe der Tür versteckt worden war und auch kein Eimer Wasser oder gar ein Fass im nächsten Moment aus seiner ausgeklügelten Halterung brach und ihm direkt auf den Kopf fiel. Albrecht hatte da seine Erfahrungen... Aber die Luft schien rein, im Haus konnte er die beiden lauthals lachen hören. „Whoa, riiiiesig!“, vernahm man Pauls gedämpfte Stimme. Bestimmt hatte Cölln einen großen Fisch gefangen. Perfekt, dann mussten sie kein eingesalzenes Fleisch heute essen und bekamen etwas frisches auf den Tisch! Beinahe schon mit dem Gedanken spielend, dass dieser Tag gar nicht so schlimm wie die meisten war, drückte Brandenburg die Tür auf und- „OH GOTT!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)