Six Months - Die Symphonie deines Herzens von *Fane* (The-Bella-und-Edward-All-Human-Story) ================================================================================ Kapitel 4: Durchführung: Erkenntnisse - Teil 1 (Edward) ------------------------------------------------------- Musiktipps: Snow Patrol - Run http://www.youtube.com/watch?v=h_i89w8I1Mk Bild zum Teil: http://img228.imageshack.us/img228/6342/bannerdurchfhrungkopie2.jpg Warum hatte ich ihr das auf die Nase gebunden?, fauchte ich mich innerlich selbst an. Ich drehte die Musik protzig höher, beschleunigte die Geschwindigkeit und brachte den schnurrend leisen Motor zum aufheulen. Ich schnaubte. Warum? Warum ich ihr das erzählt hatte, was keiner wusste? Obwohl ich sie gar nicht kannte? Ganz einfach: Es war ihrem Blick anzusehen gewesen, dass sie auf der richtigen Fährte war. Sie schien so aufmerksam zu sein, dass sie genau dasselbe, was ich gesagt hatte, gleichwohl raus gefunden hätte. Vielleicht nicht die ganze Wahrheit, doch genug zum spekulieren. So konnte ich ihr wenigstens sagen, dass sie das nicht herum erzählen sollte. Niemand wusste das und das sollte so bleiben. Es wäre eine Katastrophe. Die perfekte Quelle für Klatsch und Tratsch der Gerüchteküchen. Oder interpretierte ich das alles in sie hinein, weil ich wollte, dass sie es- Was hatte ich mir überhaupt dabei gedacht, sie mit nach Hause zu nehmen? Das Referat konnte mir eigentlich egal sein, denn für mich hatte ein Erfolg wie ein Misserfolg keinerlei Konsequenzen… Ich parkte das Auto am Straßenrand und ging hoch zum Haus, jedoch nicht durch die Eingangstür. Ich schloss das Tor zum Garten auf, welches sich an der rechten Hauswand befand, und ging außen herum, um von der Terrasse aus das Haus zu betreten. So hatte ich noch einen Augenblick mehr Zeit, Luft abzulassen und mich zu ärgern. „Da bist du ja, setz’ dich“, meinte meine Mutter und schenkte mir Wasser ins Glas ein. Ich setzte mich neben Emmett, gegenüber meiner Mutter. Mein Vater war nicht da. „Vater“, dachte ich mürrisch. Bella jedenfalls wusste, was ich damit meinte. Nicht den leiblichen. „Du musst nichts essen, aber wenn, dann solltest du mir eine Antwort geben.“ Meine Mutter sah mich lachend an. Ihr Blick war jedoch misstrauisch und irritiert. „’Tschuldige.“ Ich versuchte die Falten auf meiner Stirn zu glätten, welche mir einen verzerrten Gesichtsausdruck bescherten. „Was hattest du gesagt?“ Sie verdrehte die Augen, nahm einfach meinen Teller und ging zum Backofen, wo sie – so vermutete ich – den Fisch für mich warm hielt. Alles andere stand auf dem Tisch. „Na Ed, alles klar?“, nuschelte Emmett freudig über sein Essen. Ich brummelte etwas und bemerkte, dass er rascher kaute, um etwas zu sagen. Meine Mutter kam ihm, nachdem sie mir den Teller gegeben hatte, zuvor: „Was war mit dem Mädchen? Ging es ihr nicht gut? War ihr schlecht? Wegen eurer Versuche?“ „Nein, nein, das wohl eher nicht“, antwortete ich und gab ein paar Kartoffeln auf meinen Teller, obwohl mein Appetit verflogen war. Aber so hatte ich etwas zu tun. „Edward?“, fragte sie nach und zog die Augenbrauen hoch. „Was willst du hören? Was soll ich dir sagen? Ich habe keine Ahnung, was sie hatte…“ Ich zuckte mit den Schultern und tat mir noch etwas Salat drauf. Sie war einfach eine übermotivierte Auslandsstipendiatin. Punkt. „Habt ihr euch gestritten?“, wollte sie fürsorglich wissen und schob sich einen Champignon zwischen die Lippen. „Nein“, meinte ich nur. „Zu schnell klar gemacht, was?“, kam Emmetts schnippischer Kommentar von der Seite. Ich ignorierte ihn und sah auf zu meiner Mum. „Tut mir leid, ich habe keinen Hunger.“ Ich stand auf, ging um den Tisch herum, schnurstracks die Treppen hoch. Ich spürte ihre Blicke auf mir und meine Mutter hatte auch noch was gesagt, doch ich hatte nicht wirklich hingehört. Ich wollte nicht über Bella reden. Ich wollte nicht über heute reden. Ich verstand sie nicht, ich wollte nicht näher mit ihr zu tun haben und das war’s. Unschlüssig, was ich tun sollte, setzte ich mich in den Sessel, in dem vorhin meine Mum noch gelesen hatte. Wenn meine Familie wüsste, dass ich ihr das gesagt hatte… sie würden ausflippen. Es war nicht so, dass die Tatsache an sich für irgendjemanden in meiner Familie schlimm war. Nein, das war es für niemanden. Mein Vater hatte meine Mutter schon seit der Schule gekannt, aus der Nachbarschaft. Mit sechzehn wurde sie dann ungewollt schwanger – und ihr damaliger Freund ließ sie im Stich. Als meine Mutter dann in Umständen gewesen war, wurde sie von ihren Eltern verstoßen. Dad’s Eltern waren damals schon liberaler und nahmen sie bei sich auf. Mein Vater tröstete sie und sie verbrachten als gute Freunde viel Zeit miteinander. So kamen dann über kurz oder lang auch meine Eltern zusammen. Mein Vater nahm mich wie sein eigenes Kind an und adoptierte mich schließlich auch. Ich bewunderte die Selbstlosigkeit meines, wenn auch nicht leiblichen, Dads. Wer nahm schon ein Mädchen damals noch auf, schwanger von einem anderen, von der Familie vor die Tür gesetzt, in der Nachbarschaft schief angesehen? Das Verhältnis zwischen meinem Vater und mir war so, wie es zwischen Vater und Sohn sein sollte. Ich spürte keinen Unterschied und er gab mir keinen Anlass dazu. Seine Zuneigung mir gegenüber war ehrlich und deshalb konnte ich auch nur selbiges zurückgeben. Meinen Erzeuger hatte ich nie kennen gelernt; meine Mutter hat nicht mal ein Foto, worüber ich insgeheim froh war. Unkenntnis in irgendeiner Hinsicht nagt an einem – das war menschlich und unumgehbar. Wenn man jedoch wusste, dass man nicht den Hauch einer Chance hatte dieses Wissen zu erlangen, war es einfacher. Ich hatte eine Familie und mehr brauchte ich nicht. Ich hatte nie etwas vermisst. Auch zu meinen Großeltern mütterlicherseits waren die Beziehungen gespannt. Meine Mutter telefonierte ab und an mit ihnen. Konversationen mit mir, wenn sie alle paar Jahrhunderte zu Besuch kamen, waren spärlicher. Mein Vater war immer betont höflich zu ihnen, doch er wusste, was sie meiner Mutter damals angetan hatten und wie schlecht es ihr ergangen war – er konnte seine Vorbehalte (verständlicherweise) nicht abstellen. Dass ich noch zwei Geschwister hatte, die meine Eltern drei Jahre nach meiner Geburt als Säuglinge zu sich genommen hatten, hatte eine andere Bewandtnis. Nach meiner Geburt hatte sie hormonelle Störungen, die sich nicht mehr ausgleichen ließen und schließlich zur Diagnose „Unfruchtbarkeit“ führten. Mein Vater konnte ihr nicht helfen, was zur ersten und bislang auch einzigen Krise meiner Eltern führte. Meine Mutter wollte immer Kinder und eine große Familie haben. Nicht mit sechzehn, nicht ungeplant, doch als sie mit fast achtzehn erfuhr, dass sie nie wieder Kinder bekommen konnte und ich nie ein Geschwisterkind erhalten sollte, brach für sie eine Welt zusammen. Ich weiß nicht, wie mein Vater das vollbracht hatte, aber er konnte sie soweit beruhigen, dass er ihr schwor, sie immer zu lieben, auch wenn er nie ein eigenes Kind mit ihr haben würde. Sie heirateten. Kein Ersatz, aber im Nachhinein doch eine Befriedigung war die Adoption von Alice und Emmett – nahezu zeitgleich – im Alter von sieben bzw. drei Wochen. Auch wenn meine Familie zusammengewürfelt und alles andere als klassisch war, so war sie doch, im Gegensatz zu vielen anderen, intakt. Für niemanden von uns spielte die Genetik eine große Rolle. Dass das in der Gesellschaft, in der wir uns befanden, anders war, war nicht zu leugnen. Kinder adoptieren war edel. Man tat etwas Gutes. Das Kind eines anderen mit in die Ehe zu bringen, ein uneheliches Kind… das war nicht gewünscht, nicht akzeptiert. Zumindest würde es Aufsehen in den wohlhabenden Kreisen dieser Region erregen. Zu diesem Schutz hatte niemand ein Wort darüber verloren – und es war niemandem aufgefallen. Ich sah halt meiner Mutter ähnlicher und das Interesse an der Naturwissenschaft hing mit meinem Vater zusammen. Dabei war das wirklich nur Interesse, kein Talent, nichts Vererbtes. Mein Talent und meine Leidenschaft galt der Musik – und das, hatte ich von meiner Mutter. Ich hörte wie jemand die Treppen heraufkam. Allerdings hatte sie nie etwas daraus gemacht. Für sie war es immer nur Spaß gewesen, singen und Klavier spielen. Sie hatte ihre Erfüllung in der Innenarchitektur gefunden, was sie zu studieren begann, als Alice und Emmett in die Grundschule kamen. Manchmal wusste ich nicht, wen meiner Eltern ich mehr bewundern sollte. „Hier, wenn du nachher Hunger bekommst.“ Meine Mutter stellte mir den Teller von eben, mit Folie überzogen und Besteck, auf das kleine Tischchen zwischen den zwei Sesseln. Sie ging jedoch nicht, sondern setzte sich tief ein und ausatmend in den anderen Sessel. „Alles in Ordnung mit dir?“, fragte sie. Ich nickte. Sie erwiderte es milde lächelnd, nahm das Buch von der Lehne meines Sessels und begann weiter darin zu lesen. Ich wusste, dass das eine Einladung zum Gespräch war und sie verstand es auch ganz genauso: Ich konnte ablehnen oder annehmen. Mir war nach ersterem. Ich konnte ihr das nicht sagen. Wenn Bella das verriet, in einer doofen Situation ausplauderte oder im Streit gegen mich verwendet, bekam meine Mutter Probleme. Die meisten Probleme. Was tat ich ihr an… all die Bemühungen, unser Ansehen… Ich musste Bella vertrauen – und ich tat es. Innerlich fluchend schmiss ich den Stift zurück auf den Block, der auf der Notenablage des Klaviers lag. Er prallte ab und fiel klirrend auf die Klaviertasten. Diese bescheuerte Symphonie. Jegliche – interessante – Variation wurde ihrem strengen Muster nicht mehr gerecht und somit auch nicht den Vorstellungen von Mr. Cato. Es frustrierte mich, dass ich nicht walten konnte, wie ich Lust hatte. „Ach Edward? Entschuldige, das hab ich ganz vergessen“, sagte meine Mutter, die um die Ecke, von der Küche her, hinüber schaute. „Carmen kommt nachher zum Kaffee.“ Sprich, ich musste oben Klavier spielen, schloss ich. Dabei mochte ich den Flügel im Wohnzimmer, wegen der Akustik, viel lieber. Der Klang war exzellent. „Und Tanya?“, fragte ich vorsichtig nach Carmens Tochter. Halb als Wunsch geäußert, halb als Hoffnung, dass es nicht so war. „Ich denke schon, ich habe alle eingeladen, die Zeit haben. Und schließlich haben ja alle Universitäten der Region diese Besichtigungswoche. Ich denke, dass sie kommt“, meinte meine Mutter Schultern zuckend. „Ihr habt euch länger nicht gesehen, oder?“ „Viel zu tun“, murmelte ich. Tanya und Alice hatten den Sommer über fast ununterbrochen zusammengehangen. Tanyas Begehren mir gegenüber wurde nur allzu deutlich – eine Zerreißprobe für unsere Familien, weil es bei mir nicht so war. Nicht war und nicht sein würde. Ich wusste wie empfindlich Tanya war. Carmen Denali war die beste Freundin meiner Mutter aus Kindertagen. Sie hatte sie auch während ihrer Schwangerschaft sehr unterstützt. Beide verband eine sehr innige Freundschaft. Carmen hatte gemeinsam mit ihrem Mann Eleazar drei Töchter, die aber insgesamt etwas jünger waren, als wir. Wir waren alle sehr eng befreundet und verstanden uns alle gut – doch ich wollte nichts von Tanya. Jetzt waren wir seit gut einem Monat zusammen. Seit Semesterbeginn genauer gesagt und ich hatte es sofort bereut. Ich wusste nicht, wie ich mich aus dieser Situation raus winden konnte. Ich war die Beziehung nur des lieben Familienfriedens eingegangen. Beziehungen aus Mitleid einzugehen, war nicht mein Stil, aber es war auch nicht bewusst so gewesen. Tanya und ich hatten auf dem Sommerfest, Ende der Semesterferien, welches meine Eltern immer veranstalteten, Sex gehabt. Es… es war einfach die Stimmung gewesen, der Umstand, die Lust. Nichts weiter. Tanya nahm das direkt als Liebeserklärung und so kam eines zum anderen. Die drei Worte hatte ich nie gesagt, doch das hatte sie entweder nicht bemerkt oder bisher erfolgreich ignoriert. Ich würde sie auch nicht sagen; ich hatte sie noch zu keinem meiner bisherigen Freundinnen gesagt. Ich hatte die Mädchen gemocht, begehrt, aber nie geliebt. Ich sparte mir die Worte für die eine Frau in meinem Leben auf… „Emmett? Kannst du dir bitte etwas anziehen?!“, rief meine Mutter, als Emmett von dem Fitnessraum oben im Haus nach unten gegangen war und, im wahrsten Sinne des Wortes, hinter dem Rücken meiner Mutter noch einmal in den Pool gesprungen war. „Du musst ja nicht dabei sein, aber bitte zieh’ dich vernünftig an“, bat sie. „Ei, ei, Sir“, witzelte er und lief weiter, um ihrem Wunsch nachzukommen. Ich starrte auf die bisher geschrieben Noten des letzten Satzes und strich sie durch. Ein neuer Versuch musste her. Wenn Tanya tatsächlich heute mitkam… ich musste ihr klar machen, dass die Sache zwischen uns beendet war. Genau genommen hatte es nie angefangen und war nie eine wirkliche Beziehung gewesen. Wir waren zusammen essen oder einkaufen gegangen und danach zu irgendeinem von uns, wo wir dann miteinander geschlafen hatten. Ihr reichte das, mir reichte es so langsam auch. Ich fand mich schon etwas abstoßend, als sie nach Carmen und Kate, Irina und Eleazar waren nicht dabei, eintrat und ich ihr einen Kuss gab. Nach allgemeiner Begrüßungsmanier setzten wir uns an den Tisch und meine Mutter servierte den eben gebackenen Kuchen. „Ist Alice nicht da?“, wollte Carmen wissen, als sich alle gesetzt hatten. „Nein, sie ist auf einer Jung-Designer-Messe, wo sie mit ein paar anderen ihres Jahrgangs von der Uni ihre Kollektion vorstellt“, klärte meine Mutter sie auf. „Sie haben wochenlang dafür gearbeitet, ich hoffe, dass wird alles gut. Leider wollte sie uns nicht dabei haben. Wir würden sie ‚ablenken’“, schmunzelte meine Mutter. „Das will ich auch mal studieren, wenn ich soweit bin“, meinte Kate schwärmerisch. „Zum Glück hast du ja noch etwas Zeit, Schatz.“ Carmen strich ihr übers Haar. Mit dreizehn brauchte sich das Nesthäkchen wirklich noch keine Gedanken machen… „Ich meine, jedes Mädchen möchte doch Modedesign studieren, wenn es die Möglichkeit bekommt, oder?“ Sie schaute mit großen Augen in die Runde. Alle lächelten. Ich auch, jedoch künstlich. Ich kannte ein Mädchen, für welches das nicht zutraf… Ich konnte es mir einfach machen und mit ihr pro forma zusammen bleiben – um des Familienfriedenswillen. Ihr reichte ja diese (für mich) Bettgeschichte. Ich blieb mit ihr einfach so lange zusammen, bis sie von sich aus kein Interesse mehr hatte oder jemand anderes fand, so wie es geplant war. Dennoch: Ich wollte nicht mehr. Ich wollte diese Schmierenkomödie nicht mehr. Ich wusste nicht, warum genau jetzt, woher der das Fass zum Überfluss bringende Tropfen herrührte, doch ich hatte keine Lust und Kraft mehr ihr und unseren Freunden gegenüber den liebenden Freund zu spielen, der sie vergötterte. Ich wollte mich nicht mehr verstellen und ihr künstlich irgendeine Zuneigung zeigen. „Kommst du mit hoch?“, fragte ich Tanya, als alle überwiegend fertig waren. Emmett warf mir einen vielsagenden Blick zu. Als ahnte er etwas. Er wusste von meiner Einstellung zu der Sache mit Tanya. Vielleicht war es für ihn zu auffällig, dass ich mit ihr allein sein wollte. Wenn ich nicht mit ihr hätte allein reden wollen, wäre ich am Tisch sitzen geblieben und hätte mich in Gespräche verwickeln lassen, um bloß nicht mit ihr allein zu sein. „Klar“, sagte sie Augen strahlend, nahm meine Hand und folgte mir hoch. Ich ging noch ein paar Meter und blieb im Wohnzimmer stehen. Im hinteren Teil, damit unser Gespräch nicht unten zu hören war. Weiter gehen wollte ich allerdings nicht; ich wollte es schnell hinter mich bringen. „Rate, wer in dieser Studienwoche kein Referat halten muss, weil er schon so viele Leistungspunkte hat, dass die Dozenten das nicht für nötig hielten“, fragte sie breit grinsend. „Ich schätze du?“, fragte ich künstlich lächelnd. Sie hatte es immer schon sehr eilig gehabt, mit allem. Dass sie ihr Sprachstudium eher abschloss, war da kein Wunder. „Richtig.“ Sie küsste meine Wange, wand sich dann jedoch nicht ab, sondern glitt zu meinem Ohr. „Dann können wir uns öfter sehen, oder?“, flüsterte sie. „Tanya, hör mal…“, begann ich und schob sie sanft weg. „Ich meine, muss auch nicht sein, wenn du zu tun hast. Musst du ein Referat halten?“, erwiderte sie sofort. „Darum geht es nicht“, murmelte ich und sah ihr in die Augen. Ich merkte, dass es mir nicht schwer fiel. Das einzige, was ich nicht wusste war, wie ich es ihr beibringen sollte; welche Worte ich wählen würde… Wie sollte ich ihr sagen, dass ich für sie nichts empfand? Nicht mal so viel – oder wenig – wie für die anderen vielen Mädchen vor ihr? Das die Wochen mit ihr nur… ja was waren die Wochen eigentlich gewesen? Der Versuch, sich etwas einzubilden? Vorzumachen? Nur damit unsere Eltern glücklich waren? Schnapsidee. „Hör zu, ich denke, es hat keinen Sinn mehr“, sprang ich über meinen Schatten und fing an. Ihr Gesicht wechselte sofort in Unverständnis. Ein bisschen lügen musste ich… „Die letzten Wochen, Tanya, die waren schön, aber ich glaube nicht, dass es eine Zukunft hat.“ Tanya ließ von mir ab und macht einen Schritt zurück. Sie kniff verständnislos die Augenbrauen zusammen und starrte mich an. „Bitte?“ Ihr Ton war vorwurfsvoll, ohne Zweifel, denn sie wusste genau, was ich sagen wollte. Das gab ich ihr dann auch zu bedenken: „Du weißt, was ich meine.“ Sobald ich es ausgesprochen hatte, merkte ich, wie kühl das klang. Ihr Gesichtsausdruck wurde härter. „Du machst mit mir Schluss?“ „Tanya, ich habe nie- ich empfinde nicht so wie du-“ „Du machst hier und jetzt mit mir Schluss?!“, kreischte sie. „Indem du mir sagst, dass du mich nie geliebt hast?!“ Ich sah sie stumm an und öffnete den Mund, obwohl ich keine Ahnung hatte, was ich sagen sollte und überlegte eilends – doch das war die eindeutigste Antwort, die ich ihr geben konnte. „Du Arsch!!“, schrie sie mich an, stieß mich zur Seite und rannte an mir vorbei, quer durch das Wohnzimmer. Scheiße, dachte ich sofort, das musste ja so kommen. „Tanya warte“, sagte ich halbherzig, sehr halbherzig, und lief ihr hinterher. Sie polterte die Treppen runter und nahm sich den Autoschlüssel von Carmens Wagen von der Küchenanrichte weg. Carmen, Kate, meine Mutter und Emmett schauten ungläubig und beobachtend zu uns herüber. „Hey, warte!“, brachte ich es nun etwas lauter über die Lippen und hielt sie am Handgelenk fest. „LASS MICH LOS!!“, brüllte sie mich an und machte sich los bzw. ich ließ sie gewähren. „Fass mich nie wieder an!! Ich will dich nie wieder sehen!!!“, kam es lauthals von ihr und schon war sie aus meinem Blickfeld verschwunden. Genau das hatte ich befürchtet und das könnte einen Riss in der Freundschaft unserer Familien bedeuten. Denn dafür sahen wir uns alle viel zu oft. Wir gingen bei ihnen ein und aus, sie bei uns – was auch nicht zuletzt daran lag, dass sie nur einen Block weiter wohnten. Eigentlich konnte es mir egal sein, doch das war es nicht. Mir waren die Kommilitonen an der Uni, die Dozenten, andere Freunde egal. Sie waren mir gleichgültig – meine Familie war es nicht. Das hatte ich Carmen und meiner Mutter nicht antun wollen, denn ich war mir sicher, dass es ihre Freundschaft auch belasten würde. „Edward? Was ist passiert?“, fragte meine Mutter ruhig nach, doch der Vorwurf lag unterschwellig darin. Ich wand mich langsam um. „Was ist mit ihr? Was ist geschehen?“, wollte Carmen um einiges empörter wissen. „Wir haben uns getrennt“, sagte ich nur und schaute kurz Emmett in die Augen. Er nickte kaum merkbar und verstand. „Was?! Warum das?!“, kam es entrüstet von Kate. „Tut mir leid, Esme, aber ich muss nach meiner Tochter schauen.“ Carmen stand sogleich auf. „Aber Carmen-“, begann meine Mutter. Carmen ging gar nicht auf sie ein und drehte sich zu Kate neben sich. „Wenn du willst, kannst du noch bleiben-“ „Nein, ich komme mit“, meinte Kate und war schon auf den Beinen. Wortlos gingen beide an mir vorbei, mit zwei bitterbösen Blicken, und verließen das Haus. Daran hatte auch das Zureden meiner Mutter nichts geändert. Wenn Alice auch so reagieren würde… „Das musst du mir erklären“, bat Mum zwischen Interesse, Unverständnis und Missbilligung. Ich hatte genug. Ich war niemandem Rechenschaft schuldig. „Muss ich nicht“, entgegnete ich nur eisig, lief – keine Notiz an meiner Mutter nehmend – zur Tür, schnappte mir meinen Schlüsselbund und eine Jacke und verließ das Haus. Ich vertrieb mir die Zeit mit sinnlosem durch die Gegend fahren und der Flucht, vor meinen eigenen Gedanken. Ich hatte jedoch nicht mal Reue oder Mitleid, die ich empfinden konnte. Es wäre einfach so nicht länger gut gegangen – nicht von meiner Seite aus. Ich mochte mir gar nicht ausmalen, was bei den Denalis jetzt los war. Und Carmen war noch nie so abweisend zu meiner Mutter gewesen… Natürlich durfte ich mir die Vorwürfe meiner Mutter anhören. Sie war außer sich, was sie von Carmen am Telefon erfahren habe. Und natürlich hatten sich die beiden gestritten. Meine Mutter sah das ganze zwar so wie Carmen, aber sie kam auch nicht drum herum mich bis zu einem bestimmten Maße zu verteidigen. Wie sie mich erzogen hätte und was ich mir dabei gedacht hätte, durfte ich mir von ihr anhören. Ich ließ es über mich ergehen, das war’s aber auch. Es ging allen nicht so sehr darum, dass ich die Beziehung beendet hatte. Nein, denn sie wollte ja nicht, dass ich weiter mit Tanya spielte. Viel mehr warfen sie mir vor, dass ich es erstens überhaupt begonnen und zweitens einfach so weiter gemacht hatte. In solch einem Moment wünschte ich mir, ausgezogen zu sein. Ich hatte mich dagegen entschieden, weil es keinen ersichtlichen Grund gab und das ein falsches Licht auf unsere Familie geworfen hätte. Außerdem wusste ich, dass meine Mutter noch nicht so weit war. Sie bemutterte mich nicht, aber uns verband doch viel. Nicht zuletzt mochte ich meine Geschwister und ich würde sowieso früh genug ausziehen. „War’s das?“, fragte ich pampig. Ich wartete keine Antwort ab und stiefelte hoch. Dasselbe würde ich noch von meinem Vater, wenn auch nicht ganz so emotional wie meine Mutter es formuliert hatte, zu hören bekommen und auch noch von Alice, fürchtete ich. Wenn man vom Teufel sprach. Ich hatte gehofft, dass sie noch auf der Messe war. Mit einem Bein über das andere geschlagen, saß sie im Sessel, ein Modemagazin in der Hand und blickte nicht auf, als ich sie von der Treppe aus erblickte. Sie strafte mich mit Schweigen. „Sag nichts“, knurrte ich. Die Anschuldigungen standen ihr ins Gesicht geschrieben und schrieen mich an. „Tue ich auch nicht, mit so jemanden wechsle ich garantiert kein Wort mehr“, grummelte sie arrogant. „Ich habe niemals gesagt, dass ich sie liebe!“, entfuhr es mir aus der Wut heraus. Ich hatte es satt, dass alle auf mir herumhackten. Ich liebte sie nicht, fertig. Sauberer Schlussstrich. „Ach!“, fauchte Alice und schaute finster drein. „Und das gibt dir das Recht, sie zu verletzen?! Hauptsache schnell flach legen, wie?“ Bevor ich antworten konnte, hatte sie einen Blick über die Schulter, aus dem Fenster, geworfen und verkündete: „Mal sehen, was Dad davon hält.“ Ich schnaubte und setzte mich ans Klavier. Vielleicht fiel mir ja in Missstimmung etwas Gutes für die verhasste Symphonie ein. Passend wäre es. „Ich würde gerne mit Edward allein reden“, bat mein Vater. Stühle rückten, Alice und Emmett gingen ein Stockwerk höher in ihre Zimmer. Ich presste kurz die Lider aufeinander. Klar, das musste ja so kommen. Nachdem Mum mit ihm über eine halbe Stunde geredet hatte, schickte sie ihn selbstredend zu mir. Ich ließ die Klappe für die Tasten geräuschvoll runterfallen und wartete, bis er sich mit einem Stuhl zu mir gesetzt hatte. Ich schaute auf meine Komposition. Nicht aus Scham, weil ich ihn nicht ansehen konnte, sondern weil ich mich gegen Vorwürfe wehren wollte. Ich schätzte ihn jedoch falsch ein. „Ich verstehe, warum du das getan hast, denke ich“, begann er gelassen. „Und eigentlich sollten wir dir für diese Absicht danken. Diese war sehr edel.“ Irritiert sah ich ihn an. Das hatte ich nicht erwartet. Ich schwieg. „Dennoch merkst du sicherlich, dass du im Endeffekt das Gegenteil erreicht hast.“ Er senkte kurz nachdenklich den Blick. „Erst mal bitte ich dich, die Reaktion deiner Mutter nicht übel zu nehmen. Ich weiß auch, dass sie sonst besonnener ist, aber so wie sie mir erzählt hatte, war Carmen ziemlich sauer gewesen und hatte auch am Telefon nicht sonderlich freundlich geklungen. Du weißt, wie sehr die zwei aneinander hängen.“ Er schaute mir in die Augen und sah die Anerkenntnis dessen in den meinigen. „Nun gut, nichtsdestotrotz bitte ich dich inständig zu Tanya zu gehen und dich bei ihr zu entschuldigen.“ Ruckartig wand ich den Kopf zu meinem Vater. Was?! Ich sollte mich bei ihr entschuldigen?? „Schau mich nicht so entgeistert an“, meinte er mit einem leichten Zucken in den Mundwinkeln. „Du hast ihr was vorgemacht und sie verletzt. Sei so ehrlich und entschuldige dich. Ich weiß“, er hielt die Hand hoch, als ich empört etwas einwenden wollte, „dass deine Absicht gut war, trotzdem hat es Tanya wehgetan. Und wenn ihr jemals wieder einen einigermaßen normalen Umgang miteinander haben wollt, dann geh bitte und entschuldige dich. Jetzt.“ „Weißt du, was du da verlangst?“, fragte ich nahezu entsetzt von seiner Forderung. „Ich denke schon“, behauptet er. „Aber Edward, es ist wichtig. Gerade wenn es dir um den Familienfrieden geht.“ Ich sah in seinem Blick, dass ich keine andere Wahl hatte – was mich sauer machte. Meine Wut bestmöglich zurückhaltend, stand ich energisch auf und stapfte nach unten. „Edward?“, ertönte Dads Stimme. Ich blieb kurzerhand stehen, drehte mich aber nicht zu ihm. „Sei bitte nett.“ Ich verdrehte die Augen und ging weiter. „Zu Kreuze kriechen“ passte sehr gut zu dem, was ich dann rasch hinter mich gebracht hatte. Ich hatte mich so aufrichtig entschuldigt wie es eben ging, obgleich ich mich nicht sehr schuldig fühlte. Wir waren in der Kiste gelandet und es hatte sich dann was daraus ergeben, was niemand von uns aufgehalten hatte. Carmen war verstimmt, um es vorsichtig auszudrücken. Kate und Irina waren allerdings mindestens genauso sauer wie Tanya selbst, doch sie ließen mich einen Augenblick mit ihr allein. Tanyas Gesicht war rot und die Augen aufgequollen. Sie hatte wirklich sehr geweint – und ließ es sich nicht nehmen, mich wieder anzuschreien. Kleinlaut musste ich dann die gewünschte Entschuldigung vorbringen. Ich hasste es. Ich atmete erleichtert durch, als sich die Tür der Denalis hinter mir schloss. Der heutige Tag war beschissen und der morgige bei Bella würde nicht netter werden. Rosige Aussichten. Ich parkte am nächsten Tag das Auto vor dem Studentenwohnheim und griff danach zunächst einmal in meine vordere Hosentasche. Ich schaltete das Handy aus. Tanya hatte mich mit nicht gerade freundlichen SMS bombardiert, absolut kindisch, und ich hatte keine Lust nachher von ihr abgelenkt zu werden. Das gleich würde sowieso eine mittelschwere Katastrophe werden und ich brauchte nicht noch die Probleme von zu Hause dazu. Nachdem Bella mir aufdrückte, betrat ich das Gebäude. Mir fielen sofort die Zeitungsberge im Flurbereich auf. Vermutlich legten die Studenten hier nicht viel wert auf Bildung, obwohl sie, soweit ich das wusste, die Zeitungen der Region umsonst bekamen. Ich schritt die Treppen durch den etwas heruntergekommenen Flur. Hier lebte sie? Es mochte sein, dass ich etwas empfindlich war, weil ich etwas anderes gewöhnt war, aber… Im zweiten Stock erkannte ich eine geöffnete Tür. Mit Ordnern und Büchern in den Händen ging ich dorthin. Kaum war ich an der Wohnung angelangt, stand Bella in der Tür und bat mich rein. „Geh schon mal durch, ich komme sofort“, sagte sie matt und verschwand links ins Bad. „Durchgehen“ war gut. In zwei Schritten befand ich mich in der Mitte des Zimmers, welches unbewusst all meine Aufmerksamkeit auf mich zog. Die Möbel waren einfach und deren Anordnung ebenso, doch was mich stutzig machte, war etwas anderes. Die ganzen Wände waren gepflastert mit Zusammenfassungen, Tabellen, Grafiken und Übersichten. So wie andere ihre Lieblingsstars an die Wände klebten, hingen hier Reaktionsgleichungen und Krankheitsbilder. Jede Wand hatte ein anderes Thema mit weiteren Untergliederungen. Ich ließ meine Unterlagen auf den großen Tisch in der Mitte sinken, auf dem jedoch kaum noch Platz war. Langsam drehte ich mich um mich selbst, ließ den Blick schweifen und stoppte bei ihrem Regal. Mit kleinen Zetteln versehen hatte sie Hefter, Bücher und sonstige Mappen erst thematisch geordnet und dann nach dem Alphabet. Ebenso glich das Bett einer Bibliothek. Das Zimmer – die Wohnung – war nicht unordentlich, ganz im Gegenteil, sie war einfach strukturiert. Da ich Bella immer noch im Bad hörte, warf ich einen Blick auf den Laptop und riss die Augen auf. Dass sie damit arbeiten konnte… Ich war mir sicher, dass ich gestern gedanklich recht gehabt hatte und Bella wirklich niemals ihr Studium mit einem Modedesign-Studium austauschen würde. „So, tut mir leid“, ertönte ihre Stimme hinter mir. Sie ging an mir vorbei und setzte sich auf den Stuhl mir gegenüber. Ich ließ mich ebenfalls auf einem Stuhl nieder. Sie nahm den Stapel Skripte vor sich in die Hände, atmete dann jedoch tief durch und sah mich an. Mit ziemlicher Sicherheit wollte sie nichts Biologisches ansprechen. „Ich wollte mich noch mal wegen gestern entschuldigen“, begann sie zwar mit fester Stimme, aber auswendig gelernt. „Ich hätte mich nicht einmischen dürfen, denn das geht mich eigentlich nichts an.“ Meine Stimmung sank augenblicklich und ich spürte wie mein Gesichtsausdruck härter wurde. Die anfänglich unfreiwillige Ablenkung hatte sie nun wieder durchbrochen. „Natürlich behalte ich das für mich und werde niemandem etwas davon sagen. Ich bin sowieso bald wieder weg und wir sehen uns nie wieder. Also sei ganz unbesorgt.“ Sie nickte leicht zu sich selbst, als sei sie zufrieden mit ihrer Entschuldigung. Ich konnte den dumpfen Schlag nicht definieren, der mir durch die Glieder gefahren war, als sie das sagte. Ich erwiderte ihr Nicken. „Wir haben viel vor“, fuhr sie fort. Ihre Stimmfarbe war nun ganz anders, ausgeglichener, ruhiger, die ihr viel besser stand. „Wir müssen das Referat komplett fertig schreiben, die Versuchsanordnung und -durchführung schriftlich durchgehen und ich habe noch ein paar Zusatzthemen rausgesucht, die wir vielleicht am Rande einfließen lassen sollten, um das Thema mehr abzurunden.“ Sie reichte mir die Skripte in ihrer Hand. Ich warf einen Blick darauf, obwohl ich von ihrer Energie zunächst einmal überrascht war und mich fragte, ob das nur bei dem Referat so war oder, ob sie das durchgehend durchhielt. „Anästhesie?“, fragte ich nach und zog die Augenbrauen hoch. „Ich denke kaum, dass das zu unserem Thema passt…“ Ich hielt ihr die Skripte hoch. „Oh, tut mir leid.“ Sie nahm mir den Zettelberg wieder ab, schaute sich rechts und links auf dem Tisch um, bis sie die Erkenntnis gelangte, dass das, was sie suchte, nicht dabei war. Sie stand auf, machte einen Schritt auf das Bett zu und gab mir die richtigen Zettel. Ich nahm jedoch wenig Notiz daran, sondern beobachtete, wie sie die zusammen getackerten Zettelhäufchen auf die Stapel verteilte. „Und? Was sagst du?“, fragte sie, als sie sich wieder zu mir setzte. „Ähm.“ Ich blickte rasch herab und las die Überschriften. „Können wir machen.“ „Sehr gut.“ Sie tippte auf ihrem Laptop herum. „Also… ich habe deine und meine Datei hier und werde die jetzt mal zusammenfügen, damit wir die hinterher für die Präsentation aufteilen können. Die Zusatzthemen hab ich bereits verfasst, ließ dir die Originalquellen aber bitte trotzdem durch. Solange bereite ich das Dokument vor“, wies sie mich an. „Gut“, murmelte ich nur. Sie vertiefte sich in ihren Laptop. Zugegeben, ihre Lebensverhältnisse waren bescheiden, doch mit so einem alten, langsamen Laptop konnte doch keine erfolgreiche Auslandsstipendiatin arbeiten? Ich schüttelte innerlich den Kopf. Was ging es mich an? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)