Polly von Rayligh (Wichtelfanfiction für PolarisNoctis) ================================================================================ Kapitel 1: Das Zimmer --------------------- Polly Das Zimmer war klein, dunkel und zugestellt mit tausenden von Gegenständen, die sich, wenn man die verblichenen, ehemals purpurnen Vorhänge öffnete, um das späte Nachmittagslicht hereinzulassen, als Holzspielzeuge entpuppten, zwischen denen sich Stofftiere, Figuren und Porzellanpuppen mit roten Wangen und blauen Nickaugen tummelten. Der Boden, der ob der Menge des Spielzeugs so gut wie gar nicht mehr zu sehen war, bestand aus dunklen Dielen, deren Oberfläche soweit abgeschliffen war, dass das hellere Naturholz bereits durchschimmerte,und die Wände waren mit braun-beige gestreiften Tapeten bedeckt. Alles in Allem konnte man sagen, dass es ein Zimmer war, dass trotz seiner Altmodischkeit eine bedrückende, sogar leicht unheimliche Atmosphäre versprühte. Ob das daran lag, dass auf dem Gesicht des Holzpferdes, dass in der Ecke bei den Fenstern manchmal leicht vor und zurück zu wippen schien,ein hinterhältiges Grinsen lag, dass die Augen der Stofftiere teilweise herausgerissen waren oder die Augen der Puppen einen allzeit höhnisch anzustarren schienen- Niemand, der sich in dieses Zimmer verirrte, hielt sich dort jemals länger als einige Sekunden auf, bevor er oder sie sich schleunigst davon machten, um an einem sonnendurchfluteten Ort erst langsam die düsteren Schatten abzuschütteln, die von diesem Ort auszugehen schienen. Wie gesagt- niemand. Ausser ihr. Manche Leute sagten, sie sei verrückt, andere, sie sei vielleicht sogar geistesgestört- ich aber sage, sie war etwas besonderes. Ihr Name war Polly, aber ihr Nachname war schon vor langer Zeit in Vergessenheit geraten und niemand wusste, wer ihre Eltern waren und wo ihre Familie lebte. Was man wusste, war, dass sie ganz alleine in dem großen, alten Haus mit den leeren Fluren lebte, dass sie wohl mal eine Schwester gehabt hatte, und dass die alte Mrs Higgins von nebenan, deren Mann, Gott habe ihn selig, vor einigen Jahren gestorben war, sich von Zeit zu Zeit ächzend hinüber begab, um nach dem Mädchen zu sehen und vielleicht auch etwas zu essen vorbei zu bringen. Polly war unheimlich und wenn man auf sie traf, dann war es, als ob der düstere Raum zu einem kommen würde. Dennoch sah sie gar nicht so aus: Sie hatte blonde Locken, die ihr bis über die Schultern reichten und bei jeder Bewegung, die sie machte, auf und ab hüpften , blaue Augen, deren Blick eine solch große Intensität hatte, dass niemand es lange aushielt, sie anzusehen, und sie trug meistens ein weißes Kleid mit Rüschen und Schleifen. Allen in Allem sah sie aus wie ein kleiner Engel- ein verträumter Engel indes, denn obgleich ihr Blick die genannte Intensität entwickeln konnte, schaute sie doch meist eher an den Menschen um sich herum vorbei und meist brauchte es mehrere Anläufe, um sie aus ihrer Traumwelt herauszuholen, wollte man mit ihr sprechen. Was eher selten vorkam, denn wie gesagt- Polly war den Menschen unheimlich, so unheimlich, dass sich niemand um sie kümmerte und alle, wenn sie einmal im Jahr ins Dorf hinab kam, um höflichst beim Krämer um einige Zuckerstangen zu bitten, einen großen Bogen um sie machten. Das schien ihr aber nichts auszumachen; vielmehr wirkte es, als ob sie niemanden bräuchte, weil sie in ihrem Kopf so viele Freunde hatte, dass es ihr komplett unsinnig vorkommen musste, sich mit den Menschen um sie herum einzulassen. Polly saß die meiste Zeit in dem kleinen, düsteren Zimmer im Erker des Herrenhauses, die Augen geschlossen, die Hände adrett im Schoß gefaltet und den Mund zu einem leichten „O“ geöffnet. Mrs Higgins hat mir erzählt, dass sie sie einmal gefragt hatte, was sie da mache; daraufhin hatte das Mädchen ihr diesen Blick geschenkt, gelächelt und gesagt „Ich sitze da und sie erzählen mir Geschichten.“ Von da ab hatte Mrs Higgins nicht mehr nachgefragt und auch ihre Besuche hatten sich immens verringert. Am Abend des 31.10 saß Polly wieder mit diesem merkwürdig zufriedenen Ausdruck im kleinen Engelsgesicht im Schneidersitz auf dem Boden. Sie hatte gehört, dass andere Kinder an diesem Tag mit Freunden von Tür zu Tür zogen, um Süßigkeiten zu erbitten, aber Polly mochte keine Süßigkeiten und sie mochte auch die Leute im Dorf, die ihr immer so merkwürdig hinterher sahen, nicht. Außerdem war das hier eine besondere Nacht. Als die alte Standuhr neben der Tür elf Uhr schlug, regte sich zuerst dass Schaukelpferd und dann, wie eine Welle, erfasste es auch die anderen Spielzeuge im Raum. Polly schlug die Augen auf und lächelte, als die Gestalten ungelenk näher kamen, um sie herum wuselten und sich an ihre Beine und in ihren Schoß schmiegten. Vorsichtig streckte sie die Hand aus und strich dem Pferd über die Nüstern über dem grausigen, mit Filzstift aufgemaltem Grinsen. Mit der anderen Hand hielt sie Zuckerstangen, um die sich schon die Porzellanpuppen versammelt hatten. Sie hörte sie flüstern- nicht so wie sonst, leise und kaum verständlich, sondern laut und deutlich, und in diesem Moment erzählten sie ihr tausend Geschichten, in denen sie mitgespielt hatten. Manche waren so lustig, dass Polly kichern musste; andere waren grausig und handelten von Kämpfen, sodass Polly ein bisschen Angst bekam und sich schutzsuchend an den großen Bären schmiegte, dessen Augen mit schwarzem Faden zugenäht waren. Hier fühlte sie sich sicher und dann waren die grausigen Geschichten auch schon gar nicht mehr so schlimm. Manchmal spielten sie zusammen verstecken; Polly oder eine der Puppen musste dann zählen, während sich die andern in Schränken und hinter Türen verbargen, die Luft angehalten und darauf bedacht, keinen Ton von sich zu geben. Aber meistens saßen sie zusammen, erfanden Geschichten oder sahen aus dem Fenster zu den Sternen hinauf, die sich wie auf einer wunderschönen Decke glitzernd über den Himmel erstreckten. Sie und die Spielzeugfiguren kannten sich und sie verstanden sich. Sie hatten eine gemeinsame Geschichte und zwei große, gemeinsame Geheimnisse. -drei Jahre zuvor- Polly hatte Schmerzen, Schmerzen von den Schreien in ihrem Kopf. Ihre Mama hatte sie einmal zu einem Mann gebracht, der ihren Kopf untersucht hatte, nachdem sie ihr davon erzählt hatte, aber der konnte die Schreie auch nicht zum verstummen bringen. Seitdem hatte sie ihrer Mama nichts mehr davon erzählt und auch nicht von den flüsternden Stimmen, die ihr manchmal nachts Geschichten erzählten, wenn Polly eigentlich in dem kleinen, weißen Bett schlafen sollte. Sie war vier Jahre alt, aber sie war nicht dumm und sie wusste, dass ihre Mami es nicht verstand. Und sie spürte, dass es ihr Angst machte, während ihr Vater wütend wurde, wann immer seine jüngste Tochter davon anfing. Als sie es nicht mehr aushielt, kletterte sie über das Geländer ihres Bettes und schlich sich über den Flur bis zum Zimmer von Rosie, ihrer großen Schwester. Rosies kleines Zimmer war mit lustigem Spielzeug, Stofftieren und Puppen gefüllt, aber sie war ein schlechter Mensch. In dem Augenblick, in dem Polly die Tür vorsichtig aufschob, nähte sie gerade dem großen Teddy mit den lustigen blauen Augen hässliche, schwarze Fäden ins Gesicht, die über seine Augen liefen und ihn blind machten. „Wie gefällt dir das, hm? Hässlicher, doofer, alter Teddybär.“ Rosie lachte hämisch aus und aus den Augen der Puppe mit dem angeschlagenen Porzellanköpfchen traf Polly ein trauriger Blick. „Hör damit auf, du tust ihnen weh.“ Ihre Stimme klang leise, leise aber bestimmt, als sie da im Türrahmen stand und ihrer Schwester in die hämisch funkelnden Augen im zu einem grausamen Grinsen erstarrten Gesicht sah. „Was geht dich das an, du kleines Miststück? Komm her, dann zeig ich dir, was wirklich weh tut, du irre Hexe.“ Mit einem irren Glitzern in den Augen stand Rosie auf, die große Schere aus Mamas Gartenhaus in der Hand und bewegte sich lauernd auf ihre kleine Schwester zu. Die Stimmen in ihrem Kopf flüsterten „Bring es zuende! Rette uns! Hilf uns!“ und noch derlei Sachen mehr. Hektisch sah Polly sich um, aber außer dem rosa Spielzeugstuhl neben der Tür gab es nichts, womit sich das kleine Mädchen verteidigen könnte und das Schaukelpferd aus massivem Eichenholz, dem ihre Schwester einen Tag zuvor ein hässliches Grinsen aufgemalt hatte, und dass wie von Zauberhand vor die Tür gerückt war, war viel zu schwer, als dass die Vierjährige es hätte bewegen können. „Rette uns!“ „Bring es zuende!“ Die Stimmen in ihrem Kopf hatten sich zu einem hysterischen Chor vereinigt, ein Chor, der das kleine Mädchen schier wahnsinnig machte. In dem Moment, in dem ihre Schwester die Schere erhob, um zuzustechen, stürzte die Kleine sich mit einem wahnsinnigen Schrei auf sie. Schlagen, schlagen, immer wieder, die Fäuste nicht stoppen lassen, den tretenden Füßen keine Ruhepause gönnen. Schlagen, Blut, die Schreie ihrer Schwester, ein leichter Schmerz, als die Schere in ihre Hand eintrat, schlagen, schlagen, und mittendrin der Chor dieser Stimmen in ihrem Kopf, die sie immer noch schier wahnsinnig anfeuerten. Als ihre Schwester sich schon lange nicht mehr rührte, sank das kleine Mädchen schließlich erschöpft neben ihr zusammen; das Pferd war wieder an seinem ursprünglichen Platz, die Augen der Puppe schauten, wie Spielzeugaugen es nun einmal taten, stumpf geradeaus, kein Leben in ihnen- und wenn das Blut auf Pollys weissem Nachthemd nicht gewesen wäre, hätte die Szenerie beinahe unauffällig, fast schon normal gewirkt. Die Stimmen in ihrem Kopf hatten sich beruhigt, aus dem Schreien war ein leises, sanftes Flüstern geworden, dessen Worte sie umschmeichelten und sie in einen Zustand eiskalter Ruhe versetzen. „Noch eines... noch eines.. Unten sind sie, können sie spüren, ihren Herzschlag, ihr hohles Gerede... musst sie zerstören, sie vernichten“ Mit eiskalter Ruhe, beinahe eckigen Bewegungen, verließ Polly das Zimmer, ihre Hand umklammerte die Schere. Still tappste sie die Treppe hinab, die Augen weit aufgerissen wie eine Wahnsinnige, bis ins Wohnzimmer, wo ihre Eltern saßen, den Kürbis mit der eingeritzen Fratze und der Kerze im inneren vor sich auf dem Wohnzimmertisch. Der Vater schlief. „Polly? Was ist denn, was hast du gemacht? Wieso blutet deine Hand? Polly, das... Polly!“ Hysterisch klang die Stimme, hysterisch und laut, und sie schmerzte in ihrem Kopf, in dem doch bis eben noch herrliche Ruhe geherrscht hatte. Sie sollte verstummen und auf einmal entwickelte sich in ihrem Herzen eine Wut, ganz ähnlich der, die sie in diesem Zimmer an diesem Abend schon einmal verspürte. Diesmal war es leichter; dennoch stieß Polly mehrmals zu, bis sich ihre Sicht schließlich von rot in schwarz wandelte und sie im Blut ihrer Eltern erschöpft zusammensank. Am nächsten Tag wurde sie vom Gezwitscher der Vögel geweckt. Das Blut und die Leichen ihrer Familie waren verschwunden, aber die Spielzeuge waren noch da, im Licht des Tages vollkommen bewegungslos. Der Teddybär hatte ein paar Blutspritzer im schokobraunen Fell, der zarte Rosenmund der Porzellanpuppe war rot, als ob ihr jemand mit Lippenstift ein ewiges Lächeln hätte schenken wollen und ein paar andere hatten sich hinzu gesellt, etwas älter, genauso zerschunden, aber ansonsten war alles gleich geblieben. Die Stimmen in ihrem Kopf flüsterten wieder, aber diesmal waren es beruhigende Worte. Sie stellten sich vor, erzählten mal dies und mal das. Sie hatten viel zu erzählen, diese Spielzeuge. Und immer an Halloween erwachen sie wieder zum Leben und dann ist es für einen Moment so, als ob Pollys Familie wieder zurückgekehrt wäre. Hallo Polaris! Diese Geschichte entstand vollkommen spontan- erst war da dieses Zimmer, dann kam der Rest. Ich hoffe es gefällt dir- ich hab versucht, es nicht allzu brutal werden zu lassen, weil ich von dem, was du schreibst, nicht glaube, dass du auf Splattergeschichten stehst und hoffe, dass es mir zumindest ansatzweise gelungen ist. Wie und ob überhaupt du diese Geschichte interpretierst, bleibt dir überlassen und natürlich auch jedem anderen, der dass hier liest. Auf jeden Fall wünsche ich dir viel Spass damit und noch ein fröhliches Halloween=) SG Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)