Green Moon von Rosenmaedchen (Full Eclipse: One [♥]) ================================================================================ Kapitel 11: Shapeshifter ------------------------ Gestaltwandler „Wahrheit ist die Übereinstimmung von Denken und Sein.“ - Thomas von Aquin Sie blinzelte, als sie dem Blick nicht mehr standhalten konnte und senkte den Kopf. „Alessio.“ Sein Name kam mit einem heiseren Flüstern über ihre Lippen. Sie konnte noch nicht ganz glauben, was sie gesehen hatte. Oder war es am Ende nur Einbildung gewesen? Sie hatte deutlich Liebe in seinen Augen gesehen. Richtig warm hatten sie sie angestrahlt. Zögerlich hob sie ihren Kopf wieder, und sah, dass er sich kein Stück bewegt hatte. Seine Augen ruhten immer noch auf ihr. Und in ihnen lagen immer noch die Gefühle, die sie sich ersehnte. „Du hast dein Versprechen gehalten.“ Er blinzelte, als er ihre Stimme vernahm, so als hätte er sie bisher gar nicht wahrgenommen. Dann lehnte er seine Stirn gegen ihre, wodurch der Abstand zwischen ihnen sehr gering wurde. „Natürlich. Hast du kein Vertrauen in mich?“ Seine leise Stimme strich wie Samt über sie. „Doch.“ Ihre Stimme war immer noch ein leises Flüstern. Die Luft um sie herum schien unter Strom zu stehen. Die Anspannung war fast greifbar. Sie waren sich so nah wie schon lange nicht mehr. Selena sehnte sich nach ihm, und war froh über die Nähe, die er ihr momentan gab. „Alessio.“ Sie schloss halb die Augen, während sie gegen seine Lippen flüsterte: „Es tut mir leid.“ Sie spürte eine sanfte Streifung seiner Lippen mit ihren. „Scht…“ Dann küsste er sie so sanft, dass Selena am liebsten geschmolzen wäre. Sie hielt sich an seinen Armen fest und gab sich dem Kuss ganz hin. Sie bot sich Alessio regelrecht dar. Alessios Besinnung kehrte mit einem Schlag zurück. Er wollte gar nicht so weit gehen. Nein, eigentlich war er doch sauer auf sie gewesen. Und jetzt stand er hier und küsste sie. Dass er sie vermisst hatte, stand gar nicht zur Debatte. Aber er hatte gedacht, dass er sich besser unter Kontrolle hätte. Trotzdem noch sanft, löste er sich von ihr und nahm ihr Gesicht zwischen seine Hände. „Ich kann dir verzeihen. Sofern du dazu bereit bist, mir zuzuhören und dir alles erklären zu lassen.“ Selena nickte leicht, worauf er sie auf die Stirn küsste und anschließend los ließ. „Ist Matthew auch ein –“ „Ja. Hat er dir doch gesagt, oder nicht?“ „Schon, aber ich wollte dich noch einmal fragen.“ Alessios Mund umspielte ein kleines Lächeln. „Verstehe.“ Dann wurde er wieder ernst. „Kommst du mit uns mit?“ Sie biss sich auf die Unterlippe und sah zu Helena, die sich aufgeregt mit Matthew unterhielt und wild mit ihren Händen gestikulierte. „Ich muss auf meine Schwester aufpassen.“ „Sie kann auch mit.“ Energisch schüttelte sie ihren Kopf. „Nein. Sie soll nichts darüber erfahren, Alessio. Es ist doch schon für mich zuviel gewesen. Besser sie weiß es niemals.“ „Ich habe nicht vor, ihr irgendetwas davon zu erzählen, oder zu zeigen. Aber sie kommt trotzdem mit.“ Verwirrung schlug ihm aus Selenas Gesicht entgegen, was ihn amüsierte. Mit einem leisen Lachen fuhr er fort: „In ein paar Minuten wird sie so müde sein und so fest schlafen, dass sie rein gar nichts mitbekommen wird. Bis ihr wieder zu Hause seid.“ Selena stockte der Atem. „Ihr wendet Magie an.“ „Nein. Matthew wendet Magie an. Irische Magie. Sie wird erst aufwachen, wenn sie sich in deiner Wohnung befindet, in einem Bett. So können wir euch mitnehmen, ohne das sie irgendetwas mitbekommt.“ „Ist das ungefährlich?“ „Aber ja doch.“ Er sah sie aus seinen kornblumenblauen Augen an. „Ich würde nie irgendetwas tun, was dir oder Menschen, die dir wichtig sind, schaden könnte.“ Ein leises „Danke“ raunte sie ihm zu, bevor sie wieder zu Helena sah. Matthew fing sie gerade auf, als sie zur Seite wegknickte. Selena wollte sich schon in ihre Richtung bewegen, doch Alessio hielt sie sanft fest. Als sie zu ihm emporblickte, deutete er leicht wieder in Matthews Richtung. Sie sah, wie er Helena ganz sanft hochnahm, als wäre sie zerbrechliches Porzellan. Ihr schien es auf seinen Armen zu gefallen, denn sie kuschelte sich im Schlaf an seine Brust. Dann kam er zu Alessio und Selena herüber. „Vielleicht sollte ich schon mal vorgehen, Helena soll nicht frieren und ihr wollt mit Sicherheit noch reden.“ Matthew sah Selena an und lächelte sanft. „Mach dir keine Sorgen, bei mir ist sie gut aufgehoben.“ Sie nickte. „Ich vertraue dir.“ „Danke.“ Dann glitt sein Blick zu seinem Freund. „Hals- und Beinbruch. Wir sehen uns dann später.“ Mit diesen Worten ging er weiter, in eine, für Selena, unbestimmte Richtung. Alessio hielt ihr seine Hand hin. „Komm, wir sollten auch langsam aufbrechen. Es ist schon ein ganzes Stückchen.“ Sie legte ihre Hand in seine. Sie war rau und zeugte von einem harten Leben, aber es war nicht unangenehm. Sie mochte seine Hände. Genau genommen mochte sie ja irgendwie alles an Alessio. Sie hatte noch nie einen Mann getroffen, der so eine Anziehung auf sie ausübte. „Wohin gehen wir denn?“ „Zu unserem Zuhause. Du wirst nach meinen Erzählungen verstehen, wieso wir dort wohnen und nicht woanders.“ Sie gingen langsam los, Hand in Hand. Zunächst schwiegen sie sich an. Doch beiden war das Schweigen unangenehm. Selena wartete nur darauf, dass Alessio anfing zu erzählen. „Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll.“ Alessio fuhr sich mit seiner freien Hand durch die Haare. „Vielleicht kannst du mit einer Frage anfangen?“ „Vielleicht erklärst du mir erst einmal, was du nun eigentlich bist.“ „Meine Spezies nennt man Gestaltwandler. Meine Gefährten und ich, wir verwandeln uns in Wölfe, das hast du ja gesehen. Dabei unterscheiden wir uns nur in einer Sachen von echten Wölfen, du erkennst es nur an den Augen.“ „Ja, das ist mir schon aufgefallen. Wie viele seid ihr?“ „Wir sind eigentlich acht Krieger. Einer davon ist mit seiner Frau gerade in seiner Heimat. Dann hat ein weiterer noch eine Frau und der dritte hat seine letztens verloren.“ Tiefe Trauer war am Ende des letzten Satzes aus seiner Stimme zu hören. Selena drückte sanft seine Hand. Sie wollte ihm damit zeigen, dass er nicht allein war. „Das tut mir leid. Es muss schrecklich sein.“ Alessio nickte. „Vielleicht siehst du ihn, dann verstehst du, was ich meine.“ Er räusperte sich und sah wieder nach vorne. „Jedenfalls gibt es einige von uns, auf der Erde, schon länger als die Menschen. Mittlerweile sind wir nur noch ein kleiner Zusammenschluss von ein paar Tausenden weltweit. Es gibt da noch die anderen Wandler, die Katzen, die sich in Berglöwen verwandeln können. Ihre Anzahl ist etwas größer als unsere. Und wir stehen im Krieg mit ihnen.“ „Wieso?“ „Es geht um die Vorherrschaft, den alten Kampf Katze gegen Hund. Von dem hast du sicherlich schon gehört. Dann streiten wir uns um die gleichen Frauen. Aber vor allem geht es darum, die anderen Spezies auszurotten. Die Menschen wissen davon nichts, und so soll es auch bleiben.“ Er sah sie an. „Fünfundneunzig Prozent von uns werden von klein auf zu Kriegern ausgebildet um später gegen die Berglöwen zu kämpfen. Nur fünf Prozent halten sich aus allem raus und möchten nichts damit zu tun haben.“ Selena strich sich einige ihrer Haarsträhnen zurück. „Aber ihr schickt keine Kinder in den Kampf?“ „Nein. So grausam sind wir nicht.“ Er hörte, wie sie erleichtert ausatmete und lächelte leicht. „Kinder sind für uns alles, ein Geschenk. Wir würden sie nicht leichtfertig in den Kampf schicken. Und jeder kann selbst entscheiden, was er später tun möchte. Aber egal, wie man sich entscheidet, wir haben alle einstimmig ein Tattoo.“ Fragend sah sie zu ihm empor. „Ein Tattoo? Er blieb stehen und da er sie noch immer an der Hand festhielt, musste auch sie stehen bleiben. Sie blickte ihn nur verwirrt an, und ihre Augen nahmen einen erstaunten Ausdruck an, als er seine Jacke aufzog und sein T-Shirt langsam hochzog. Im Schein der Straßenlaterne sah sie oberhalb seines Bauches einen verschnörkelten Schriftzug in einer Sprache, die sie nicht kannte. „Jeder, der als Wolf geboren wird, hat diesen Tattoo irgendwo auf seinem Körper. Es sind unsere Glaubenssprüche, in der Sprache unserer Vorfahren. Die Berglöwen haben auch eines, bei denen ist es eine springende Katze.“ Selena nickte und nachdem Alessio sich wieder angezogen hatte, suchte sie seine Hand. Er erfasste ihre, hauchte ihr einen Kuss auf den Handrücken und dann gingen sie weiter. Alessio mied zwar ihren Blick, doch sie hörte nicht auf, ihn anzulächeln. Ihr war warm geworden, durch seine kleine, herzliche Geste und deswegen verschränkte sie ihre Finger mit seinen. Er ließ es zu. Doch dann bemerkte sie etwas. „Du wirkst so angespannt.“ Erst jetzt fiel Selena auf, dass er noch nie wirklich entspannt gewirkt hat. „Was hast du?“ „Nichts. Es ist nur so, dass mein Wolf sich in der Großstadt nicht so wohl fühlt. Wir lieben mehr die Natur und die Freiheit. Wir sind eben zur Hälfte Tier.“ „Könnt ihr euch eigentlich immer verwandeln? Oder geht das nur bei Vollmond?“ Er schüttelte den Kopf. „Es funktioniert immer. Nur wir beschränken uns auf nachts und da nur auf Ausnahmesituationen. Meistens sind wir anderweitig bewaffnet. Wir vermeiden Verwandlungen in Menschennähe.“ Alessio sah sie direkt an. „Nur bei dir hatte ich damals keine Wahl.“ Sie sah auch zu ihm empor. „Kann man euch einfach so töten?“ Ein unheimliches Grinsen schlich auf sein Gesicht. „Hast du vor, mich abzustechen, wenn ich es nicht erwarte?“ Energisch schüttelte Selena den Kopf. „Nein, ich dachte nur, es wäre vielleicht nicht schlecht, dass zu wissen. Falls mich mal wieder jemand angreift.“ Alessio fiel plötzlich ein, das ja ihr Ex-Freund Norman noch immer hinter ihr her war – und der war einer der Berglöwenwandler. „Nein. Man kann beide Wandlerarten töten, indem man entweder selbst ein Wandler ist oder man eine Waffe hat, in die Chrom eingearbeitet wurde.“ „Chrom? Dieses silbrige Metall?“ „Ja, genau das. Es wirkt richtig giftig auf uns.“ Alessio zog einen Dolch hervor und hielt ihn ihr hin, damit sie ihn sich anschauen konnte. „Das, was hier sich so glänzend durchzieht“, dabei deutete er auf einen dickeren Streifen an der Klinge, der silbern glänzte, „das ist das Chrom. Es ist in all unseren Waffen. In den Dolchen, Messern, Schwertern und allen anderen Nahkampfwaffen. Aber wir pressen es auch in unsere Munition für die Pistolen.“ „Verstehe.“ Selena schien zu überlegen, was Alessio natürlich nicht entging. „Was geht dir durch den Kopf?“ Sie wies ihn mit einer Handbewegung an, ihr den Dolch auszuhändigen. „Den würde ich gern haben. Man weiß ja nie, was passiert.“ Alessio reichte ihr den auch, und sie steckte ihn ein. Auch wenn sie sich anders verteidigen konnte, zum Beispiel mit ihrem persönlichen Fluch, wollte sie es nicht darauf anlegen. Es musste ja nicht wie damals werden. Kopfschüttelnd vertrieb sie die Gespenster der Vergangenheit. Die Gegenwart war nun viel wichtiger. Alessio war viel wichtiger. Das Hier und Jetzt zählte. Und auf Anhieb fiel ihr auch die nächste Frage für ihn ein. „Bei deinem Tattoo vorhin, da hast du gesagt, dass das in der Sprache eurer Vorfahren sei. Wie lange gibt es euch schon?“ „Das habe ich schon mal so am Rande erwähnt. Uns gibt es schon immer. Wir leben entweder als Tier oder als Mensch versteckt unter anderen und bis auf ein paar kleine Fehler haben Menschen nie von uns erfahren. Durch uns ist dieser Mythos um Werwölfe entstanden, einige konnten sich eben im Laufe der Zeit nicht beherrschen.“ „Und wie lebt ihr so? Mehr als Mensch oder mehr als Wolf?“ „Das ist unterschiedlich, ganz wie wir möchten oder es brauchen. Je öfter wir als Wolf umherstreifen, desto mehr Muskeln sammeln sich mit der Zeit an. Also kannst du das bei jedem selbst ablesen, was er vorzieht.“ Auf ihren stutzigen Blick hin musste er lachen. „Lach mich nicht aus, das ist nun mal merkwürdig.“ Er grinste. „Nein, für uns ist das normal. Meine Gefährten und ich sind eher Menschen als Tiere. Wir essen, zum Beispiel, auch nur sehr selten als Tier.“ Alessio hatte sich schon lang nicht mehr so unbeschwert gefühlt. Sie hörte ihm zu, sie stellte ihm Fragen und das Beste daran war, sie verabscheute ihn nicht. Nein, sie hielt seine Hand. Seinetwegen könnte es ewig so weiter gehen. „Warte mal.“ Selena wurde etwas langsamer, während sie überlegte. „Wölfe sind doch Rudeltiere. Seid ihr dann so was wie ein Rudel?“ Er nickte. „Ja, so ziemlich. Ich bin, sozusagen, der Alpha. Wir sind wie eine Familie, wir geben uns gegenseitig Halt. Wir sind sehr berührungsfreudig. Im Gegensatz zu den Berglöwen, die sind meistens eher Einzelgänger und werden schneller aggressiver. Aber das liegt auch in der tierischen Natur. Wenn wir verwandelt sind, können wir außerdem in Gedanken kommunizieren, wenn wir wollen. Wir können auch eine Blockade errichten, damit man in Ruhe gelassen wird.“ „Verstehe. Und wie ist das dann so? Ihr habt eine Rangordnung, dass hab ich ja verstanden. Aber kann man auch einfach das Rudel verlassen, oder funktioniert das nicht?“ „Doch. Jeder kann tun und lassen, was er will. Man kann sich in ein Rudel eingliedern, aber man muss nicht. Kinder müssen bis sie achtzehn sind in dem Rudel ihrer Eltern bleiben, dann ist es ihnen freigestellt. Die meisten, die in einem Rudel sind, sind befreundet oder verfolgen das gleiche Ziel. So wie wir. Der stärkste von den Mitgliedern ist dann der Alpha, der über alles wichtige bestimmt. In unserem Fall bin ich das.“ Alessio bemerkte, dass sie sich langsam auf den Stadtrand zu bewegten, doch es würde noch zu lange dauern, bis sie erstmal in Lake Vista angekommen sind. Und dann mussten sie noch so weit in den Wald hinein… Selena schrie auf, als Alessio sie plötzlich an der Hüfte packte. Sie konnte ihn leise lachen hören. „Schrei nicht so, es passiert doch nichts. Spring mal auf.“ Er stand mit dem Rücken zu ihr. „Du willst mich Huckepack tragen?“ „Ja, das geht schneller.“ Er hielt ihr seine Hände hin. Sie sprang auch auf seinen Rücken und legte die Arme um seinen Hals. Alessio hielt sie mit seinen Händen fest. Dann rannte er los, in die Nacht hinein. Selena hatte überhaupt keine Ahnung, wo sie sich befanden, als Alessio sie herab ließ. Natürlich war klar, dass es sich um einen Wald handelte, da sie von sehr dichtem Blattwerk umgeben waren. Aber in welche Richtung sie Chicago verlassen hatten, war ihr ein Rätsel. Alessio nahm wieder ihre Hand und führte sie weiter in den Wald hinein, vorbei an Bächen und mit Blumen überfüllten Lichtungen, die sie gerade so im Dunkeln erahnen konnte. Sie nahm an, dass es auch nicht weit vom Lake Michigan fort sein musste, da die Siedlung, die sie davor passiert hatten, fast direkt daran lag, was sie am kleinen Hafen erkannt hatte. „Wieso gehen wir so tief in den Wald hinein?“, fragte Selena ihn schließlich doch. Ihre Neugier hatte mal wieder gesiegt. „Erinnerst du dich daran, dass ich vorhin gesagt habe, wir lieben die Natur und meiden eher die Großstadt?“ Selena hinderte sich gerade so daran, sich gegen die Stirn zu schlagen. „Natürlich, hast du. Okay, ist es denn noch weit?“ „Nein, ich sehe es schon.“ Er bemerkte, dass sie ihre Augen zusammenkniff und versuchte, etwas zu erkennen. „Vermutlich kannst du noch nichts sehen. Meine Augen sind besser als deine“, sagte er grinsend. Seufzend murmelte sie ein Wort, was in etwa klang wie: „Gemein.“ Doch plötzlich erahnte sie im Mondlicht Umrisse einer Hütte. „Sag jetzt nicht, dass du dort wohnst.“ Auf sein Lachen hin sah sie ihn skeptisch an. „Nein, aber so ähnlich. Ich zeig es dir.“ Gemeinsam gingen sie zu der Hütte und auch hinein, nachdem Alessio die Tür zur Seite gezogen und sie anschließend wieder eingehangen hatte. „Es ist so dunkel, Alessio.“ Er sah, wie sie dastand und die Arme um ihren eigenen Körper schlang. Er zog darauf ein Feuerzeug aus seiner Hosentasche und entzündete eine der Fackeln, die in der Nähe des Geheimganges hing. Überrascht über das plötzliche Licht blinzelte sie ein paar Mal. Dann sah sie sich um. „Sieht aus wie eine leere, morsche Hütte.“ „Es ist auch eine leere, morsche Hütte.“ Alessio schlenderte zu einer der Wände hinüber und trat dabei auf eine bestimmte, aber verdeckte Stelle am Boden, sodass eine animierte Tastatur erschien. „Aber nicht mehr lange.“ Er tippte eine komplizierte Zahlen- und Buchstabenkombination ein und eine der Wände schob sich beiseite. Selena blieb erstaunt der Mund offen stehen. „Ein Geheimgang?“ „Natürlich. Komm, schnell.“ Er nahm ihre Hand und zog sie mit hinein. Kurz darauf schloss sich die Wand hinter ihnen wieder. „So halten wir unerwünschte Besucher von uns fern.“ Er wies sie an weiter zu gehen. Der Gang ging leicht hinab und Selena fiel dann etwas ins Auge. „Kameras?“ „Ja. Für optimalen Schutz. Auch der Wald rund um die Hütte ist verkabelt. Ungefähr im fünf Kilometer Radius.“ „Ihr lasst euch nicht überraschen.“ „Genauso ist es.“ Am Ende des Ganges kamen sie in einen gigantischen Keller, welcher mit dutzenden Schränken gefüllt war. Der Keller war kahl und wirkte sehr kalt. „Hier sind unsere Wechselsachen, falls wir uns schnell verwandeln und raus müssen oder eben rein kommen und etwas zum Anziehen brauchen. Außerdem sind hier auch Waffen, für alle Fälle.“ „Verstehe.“ Alessio öffnete dann eine Luke am Boden, die in ein tiefes Nichts zu führen schienen. „Hab keine Angst, ich fang dich unten auf.“ Selena nickte zaghaft, als er die Luke hinab sprang. Sie konnte sich einen winzigen Aufschrei nicht verdrücken. „Alessio? Alles okay?“ „Ja!“ Seine Stimme war leise. Wie es aussah, war das Loch doch tiefer als gedacht. „Spring runter! Und hab keine Angst, ich fange dich auf jeden Fall auf!“ „Falls nicht dann kannst du was erleben.“ Zögerlich setzte sie sich an den Rand der Luke und ließ ihre Beine in die Tiefe baumeln, ganz langsam. Noch einmal holte sie tief Luft, dann stieß sie sich ab. Sie fiel in die schwarze Unergründlichkeit und konnte sich einen Aufschrei wieder einmal nicht verkneifen. Doch dann wurde sie aufgefangen, von starken Armen. Alessio flüsterte an ihr Ohr: „War das jetzt so schlimm?“ „Ja, verdammt.“ Sie stieß sich leicht von ihm weg. „Schickst du mich als nächstes durch eine Schlangengrube?“ Ein leises Lachen erklang von oben. Er hatte die Luke wieder geschlossen und nahm nun ihre Hand. „Nein. Wahrscheinlich siehst du nichts, deswegen musst du mir vertrauen.“ Sie brummte nur. Er zog sie sanft und bestimmt hinter sich her. „Fass nicht an die Wände, es ist die pure Erde. Nur Holzbalken stützten den Gang.“ „Na super. Vielleicht sterbe ich ja auch als Schuttopfer, weil euer super Gang eingestürzt ist.“ Er seufzte. „Hör auf zu meckern oder ich lasse dich hier stehen.“ Sofort verstummte sie und konzentrierte sich auf den Boden. Es ging ziemlich steil bergab, aber sie stürzte nicht. Alessio führte sie perfekt. Als er plötzlich stehen blieb, rannte sie in ihn hinein. „Aua!“ „Du musst halt schauen, wo du hinläufst.“ Ein Schmunzeln schwang in seiner Antwort mit. „Ha-ha. Findest du das auch noch komisch?“ Sie hörte irgendetwas mechanisch arbeiten. „Was ist das?“ „Im Augenblick, der Augenscanner. Ich werde genau gescannt, an vielen Stellen. Das ist die letzte Barriere, dann sind wir da.“ Als es wieder mechanisch klickte, Schlösser und Ketten gelöst wurden, strömte gleißendes Licht an ihr vorbei. Sie kniff die Augen zusammen. Alessio zog sie sanft, aber immer noch bestimmt mit herein. Hinter ihnen schloss sich die Tür. Jetzt standen sie auf einem Gang, von denen ein dutzend Türen abgingen. Der Gang selbst machte irgendwann einen Knick nach rechts weg. Der Boden bestand aus weißem Marmor, was besonders schön und edel aussah. Es passte fast nicht an diesen Ort. Auch die Wände hatten etwas Edles durch die originalgetreuen Wolfsbilder, die wie Höhlenmalerei, nur viel schöner, daran gezaubert wurden. Sie zeigten Wölfe, in verschiedenen Farben, Größen und Posen. Mal spielerisch, mal auf der Jagd, mal schlafend. In allem, was man sich vorstellen konnte. „Willkommen in unserem Stützpunkt“, raunte Alessio an ihr Ohr. Selena hauchte nur ein schwaches „Wow“. Dann wurde sie schon sanft von Alessio weitergezogen. „Hey, lass mich doch erstmal richtig ankommen!“ „Die anderen möchten dich aber kennenlernen.“ Er deutete auf die Türen, an denen sie vorbeigingen. „Hier sind die Wohnungen. Jeder Krieger hat seine eigene und in jeder gibt es ein Wohnzimmer, Bad, Schlafzimmer, Küche und noch einem zusätzlichen Raum.“ Sie gingen gemeinsam um die Ecke. „Hier sind noch ein paar Wohnungen. Insgesamt gibt es vierzehn Stück, einige davon sind aber leer. Und hier hinten“, er blieb vor einer Tür stehen „ist unser Techniklabor. Aber das ist jetzt momentan unwichtig.“ Er deutete auf die Tür gegenüber. „Hier, dass ist unser Versammlungsraum.“ Selena suchte seine Hand und als sie diese gefunden hatte, öffnete er die Tür und sie traten gemeinsam ein. Selena sah sechs Männer und eine Frau, die sich, mehr oder weniger, angeregt unterhielten. Als Alessio sich räusperte, brachen sie ab und schauten zu ihnen. „Meine Freunde, das ist Selena.“ Er drückte sanft ihre Hand, als würde er ihre Nervosität merken. Und dann stellte er ihr seine Gefährten, sein Rudel vor. Zuerst wäre da ein Mann mit schwarzen Haar und hellen, braunen Augen, welcher er ihr als Kenneth bekannt machte. Einen seiner engsten Freunde, wie sie erfuhr. Und die hübsche Brünette, mit der gebräunten Haut und dem bobähnlichen Haarschnitt war seine Frau und Gefährtin, Rahel. Neben Rahel saß ein Mann mit braunen, etwas längeren Haaren und grauen Augen. Er wurde ihr als Brandon bekannt gemacht. Zu ihrer Verwunderung kannte sie den Mann, der neben ihm saß. Es war der Mann, dessen Frau damals entführt wurden war. „Ich kenne Sie.“ Er blinzelte ein paar Mal auf ihre Worte hin, so, als wäre er die ganze Zeit nicht anwesend gewesen. Und sein Blick verriet ihr ebenfalls, dass er sie erkannt hatte. „Das ist Jackson. Er hat vor wenigen Wochen seine Frau verloren.“ Ein Schmerz durchfuhr Selena bei Alessios Worten. Sie hatte so gehofft, dass sich alles zum Guten wenden würde. Als sie sich Jackson genauer besah, sah sie auch, was aus ihm dadurch geworden war. Ein regelrechtes Wrack. „Das tut mir so leid.“ Jackson reagierte nicht sondern starrte wieder vor sich hin. Brandon bedachte ihn mit einem besorgten Blick. Alessio strich sanft über ihren Arm. Diese Geste hatte etwas Tröstliches und dafür war Selena ihm sehr dankbar. Dann stellte er ihr den Rest vor. Matthew, der auf der anderen Seite von Jackson saß, kannte sie ja bereits. Er versicherte ihr noch, dass ihre Schwester friedlich in seiner Wohnung schlief. Sie glaubte ihm. Matthew war kein schlechter Kerl und Alessio vertraute ihm. Wenn er es tat, tat sie es auch. Neben Matthew saß ein Mann, der sehr südländische Züge hatte. Dunkelbraunes Haar und ebensolche Augen besaß er. Alessio stellte ihn als Ashton vor. Seinen Akzent, als Ashton sie begrüßte, fand sie atemberaubend. So sehr, dass sie fast nicht bemerkte, dass der letzte Mann etwas abseits saß und sie merkwürdig anstarrte. Er hatte etwas Wildes an sich, sie konnte es nicht erklären. Seine Augen hatten eine merkwürdige Sandfarbe angenommen, sein Haar war schwarz. „Das ist Damian.“ Alessio flüsterte anschließend an ihr Ohr. „Lass dich nicht abschrecken, er ist allen zuerst misstrauisch. Er hat seine Gründe.“ Sie nickte, zur Bestätigung, dass sie ihn verstanden hatte. Die beiden setzten sich zu Alessios Familie und sie fingen an zu erzählen, über alles Mögliche. Natürlich beteiligten sich nicht alle an diesem Gespräch, aber das hatte Selena gar nicht erwartet. Wie es schien, wohnten ein paar schwierige Charaktere hier. Nach einiger Zeit – Selena konnte nicht sagen, wie viel Zeit vergangen war, seitdem sie mit Alessio zusammen war – stieß genau dieser sie sanft unter dem Tisch an, beugte sich zu ihr hinüber und flüsterte in ihr Ohr: „Komm, ich möchte dir jetzt etwas zeigen.“ Damit stand er auf, nahm ihre Hand und zog sie sanft und bestimmt hinter sich her. Vorher verabschiedeten sie sich von dem Rest, von dem sich jeder seine eigene Meinung über Selena bildete. Gute und schlechte Meinungen. Und viele hatten mit Alessios Seelenzustand zu tun. Doch keiner verlor mehr ein Wort darüber. To be continued. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)