In allen Herbstfarben von -Moonshine- ================================================================================ - 2 - ----- Erst am Abend kam Lana dazu ihren Koffer auszupacken und sich im Gästezimmer, das nun vorrübergehend ihr Zimmer sein würde, auszubreiten. Mit einem Bett, einem Schrank, einem Schreibtisch und einem vollbepackten Bücherregal war es eher spartanisch eingerichtet, aber durch das Fenster fiel genug Licht in den Raum, sodass er hell und freundlich wirkte. Tante Julia hatte Lana dazu aufgefordert, das Zimmer so zu verändern und zu gestalten, wie sie wollte – sie hatte sie auch dazu eingeladen, so lange zu bleiben wie Lana es wollte. Während sie auf dem Boden kniete und ihre Sachen aus dem Koffer holte, hörte sie, wie die Tür sich öffnete. Sie drehte sich um und bemerkte Felix, der in ihrem Zimmer stand, die Hand noch auf der Türklinke. "Hey", sagte er. Sie hatten sich heute schon unterhalten, aber eher oberflächlich, denn Tante Julia und Paulie hatten Lana zu sehr vereinnahmt. Sie hatte Paulie bereits versprechen müssen, mit ihr Blätter für den Kunstunterricht sammeln zu gehen, um sie nachher mit Wasserfarben anzumalen. Trotzdem war Lana neugierig auf Felix gewesen und hatte ihn hin und wieder aus den Augenwinkeln beobachtet. Er schien ein fröhlicher und selbstbewusster junger Mann zu sein, der gerne lachte und Witze machte. Lana merkte, dass er seine Mutter und Schwester zwar liebte, doch er begegnete ihnen mit einer spöttischen Art, als nähme er sie nicht wirklich ernst. Dann begriff sie, dass er einfach der Typ dafür war. Die süffisant hochgezogenen Augenbrauen und das verschmitzte Lächeln - das war Felix. Felix, der Glückliche. "Noch nie was von Klopfen gehört?", beschwerte sich Lana halb im Spaß. "Ich hätte nackt sein können." Felix zuckte mit den Schultern, grinste und ließ sich auf ihr Bett plumpsen. "Damit hätte ich kein Problem." Sie verdrehte die Augen, wandte sich ihm ganz zu und betrachtete ihn nun genau - nicht mehr nur heimlich aus sicherer Entfernung. "Und, freust du dich schon auf deinen ersten Tag?", wollte er wissen. Diese Frage hörte Lana momentan von jedem, dem sie über den Weg lief, und langsam ermüdete sie sie. "Denk schon...", murmelte sie. Es klang nicht sehr überzeugt. Würde sie neue Leute, neue Freunde, kennen lernen? Würde sie es schaffen, einen ordentlichen Stundenplan zusammenzubasteln? Würden ihre Dozenten in Ordnung sein? Würde sie die richtigen Räume finden? War sie überhaupt klug genug für die Uni? Geeignet? "Nervös?", erriet Felix belustigt. "War ich auch. Keine Sorge, wird schon." Lana warf ihm einen zweifelnden Blick zu. Er hatte gut reden, als jemand, der das alles schon in- und auswendig kannte. "Du hast doch sicher die Planung für die Einführungswoche bekommen?", hakte er nach. "Am Montag hast du bestimmt die Begrüßung und danach eine Informationsveranstaltung, oder?" Lana nickte und griff in ihre Umhängetasche, die am Schreibtisch lehnte. Sie hielt ihm ein zusammengefaltetes Blatt Papier hin, das sie immer mit sich herumschleppte, seitdem sie den Brief mit der Post bekommen hatte. "Hier." Felix faltete es auf und grinste. "Erstiparty am Donnerstag. Perfekt. Gehst du hin?" "Ich kenn doch da keinen", wich Lana unsicher aus. Felix lehnte sich zurück, faltete das Blatt wieder zusammen und gab es ihr wieder. "Bis dahin kennst du eine Menge Leute", versicherte er ihr. "Außerdem hast du ja mich. Ich kann dir beim Stundenplan helfen", schlug er vor. "Das kann ganz schön knifflig sein." Lana runzelte die Stirn. "Darfst du überhaupt auf 'ne Erstsemesterparty?" Er lachte. "Klar. Da kommt jeder hin." Sie schwiegen eine Weile, während Lana über die neuen Informationen nachdachte. "Und, was hast du heute noch vor?", unterbrach Felix ihre Gedanken. Sie klappte den Deckel ihres Koffers herunter, weil sie sich langsam ihrer Unterwäsche näherte, und sie hatte nichts an der Öffentlichkeit verloren, solange Felix hier im Zimmer hockte. "Ich wollte mit Paulie in den Wald." "Tja, Pech. Ma hat sie gerade zum Übernachten zu ihrer Freundin gefahren." Lana machte ein empörtes Gesicht. "Aber sie hat doch so darauf bestanden?" "Frauen halt, gewöhn dich dran", winkte er großspurig ab. "Aber wenn du willst, komme ich mit. Ma hat gesagt, ich soll mich um dich kümmern, solange sie weg ist." "Oh", machte Lana überrascht. Es gefiel ihr nicht, dass Felix es für seine Pflicht hielt, den Entertainer für sie zu spielen. Sie war schließlich kein dreijähriges Kind mehr, das sich nicht allein beschäftigen konnte. "Das musst du nicht, ich komm schon klar." Felix musste grinsen. "Ich war eine gefühlte Ewigkeit nicht mehr dort. Vielleicht finden wir Pilze. Oder du überredest mich wieder dazu, mit dir Ritter zu spielen. Das darf ich mir doch nicht entgehen lassen." Das entlockte Lana ein Lächeln. "Ich auch nicht", stimmte sie zu. "Lass uns gehen. Gibt es eigentlich noch dieses mysteriöse Baumhaus unten am Bach?" Felix erhob sich und zuckte mit den Achseln. "Gute Frage. Lass es uns rausfinden." "Früher hat es dort gespukt", gab Lana zu bedenken. "Quatsch. Sag bloß, du machst dir immer noch ins Hemd wegen diesem Ammenmärchen?" Felix klang belustigt, als er so auf sie herunterschaute. Lana stand ebenfalls auf, straffte ihre Schultern und setzte einen entschiedenen Gesichtsausdruck auf. "Mach ich gar nicht!", protestierte sie. Der Wald war still und ruhig, wie schon früher, wenn sie von Frühling bis Herbst hier herumgetollt waren. Die ehemalige Wohnung von Lana’s Eltern war nicht allzu weit von hier entfernt, genauso wie der Kindergarten, den sie und Felix beide besucht hatten. Die einzigen Geräusche waren das Vogelgezwitscher um sie herum und das Rascheln des vertrockneten Blättermeeres unter ihren Füßen. Im Licht der untergehenden Sonne leuchteten die Farben der noch an den Bäumen hängenden Blätter hell und bunt, rot, orange, gelb, golden, und die Baumkronen wogen sacht im sanften Wind. Lana und Felix hatten den Pfad verlassen und schlugen sich mühevoll durch Zweige und Gestrüpp. Lana packte mit der Hand in einen Spinnweben und musste sich schwer zusammenreißen, um aus Ekel nicht laut loszukreischen. Aus einer Laune heraus bückte sie sich und nahm einen angebrochenen Ast in die Hand. Sie schwang ihn ein paar Mal hin und her und lächelte. "Weißt du noch, Felix?", feixte sie schadenfroh. "Ich hab dich früher immer geschlagen." Er zog eine Augenbraue hoch und sah ziemlich unbeeindruckt aus. "Ich hab dich gewinnen lassen." "Quatsch, so nett warst du nicht", widersprach sie, aber in ihrer Stimme klang eine gewisse Unsicherheit mit. Er zuckte mit den Schultern und lächelte still vor sich hin. "Red dir das ruhig ein, wenn es dir damit besser geht." "Tu bloß nicht so edel. Ich wette, ich könnte dich noch immer in Grund und Boden fechten." Felix kickte einen Pilz weg, der eine gräuliche Staubwolke absonderte, und steckte seine Hände in die Jackentaschen. "Ich dachte, Mädchen spielen lieber Prinzessin und so was." "Warum denn das?" "Romantik und so?" "Ach ja?" "Schätze schon?" "Damit scheinst du dich ja auszukennen", versuchte Lana zu provozieren, aber Felix ließ sich da gar nicht erst drauf ein. "War nur ein Gedanke." "Nicht alle Mädchen sind so..." Sie suchte nach den passenden Worten. "Mädchenhaft?", half Felix ihr amüsiert nach. "Mittelalterlich!" Er lachte. "Wollt ich auch gerade sagen." Sie beeilte sich, mit ihm Schritt zu halten. "Sei nicht so ein Chauvi, Felix." "Bin ich doch gar nicht." Kampflustig hob Lana ihren Stock und piekste ihn damit in den Bauch, ein herausforderndes Lächeln im Gesicht. "Na warte", murmelte er, wollte sich gerade auf sie stürzen, um ihr den Stock wegzunehmen und sie vermutlich durchzukitzeln, doch die Natur kam ihm dazwischen. Er blieb mit dem Fuß im Brombeerstrauch hängen, suchte mit den fuchtelnden Händen verzweifelt nach Halt und fand ihn auch - an Lana’s Schultern. Er riss sie mit zu Boden, begrub sie unter sich und war gerade noch geistesgegenwärtig genug, um sich mit den Ellenbogen links und rechts von ihrem Kopf abzustützen, sodass sie nicht sein ganzes Gewicht tragen musste. Vor Überraschung und Schreck stöhnte sie schmerzerfüllt auf. Doch als sie die Augen öffnete und Felix' Gesicht vor sich erblickte, verstummte sie auf der Stelle. Einen Moment lang sahen sie sich schweigend an. Keiner blinzelte, keiner wagte es zu atmen. Auf Felix’ Gesicht breitete sich ein spöttisches Lächeln aus. "Okay", rang Lana sich heiser die ersten verlegenen Worte ab. "Hast gewonnen..." Felix blieb einfach liegen, grinste wie ein Honigkuchenpferd, zutiefst unverschämt, und bewegte sich kein Stück vom Fleck. Ihr war sogar, als verlagerte er sein Gewicht so, dass sie kaum mehr eine Fluchmöglichkeit für sich sah – oder überhaupt eine Möglichkeit, sich zu bewegen. "Mit Brombeeren hattest du's wohl noch nie, was?", hakte Lana mit einem unsicheren Lächeln nach. Felix' Verhalten wollte ihr einfach nicht in den Sinn. Normalerweise würde sie sagen, er flirtete. Aber das konnte nicht sein. Sie waren schon immer Freunde gewesen. Wahrscheinlich neckte er sie nur ein bisschen, um sie zu ärgern. Jungs waren eben so. "Jetzt geh endlich runter, du Klotz, wie viel wiegst du? Eine Tonne?", wehrte sie sich dann ein bisschen heftiger und es zeigte endlich Wirkung. Felix erhob sich und streckte ihr die Hand hin, die sie sofort ergriff. Sie ließ sich von ihm hochziehen, was ihm kaum Mühe zu bereiten schien. "Tut mir leid. Hab vergessen, dass du so klein bist." Lana warf ihm einen grimmigen Blick zu, während sie versuchte, sich von den Blättern, die an ihrer Kleidung hängen geblieben waren, zu befreien. Felix sah kurz zum Himmel hinauf. "Wir sollten nach Hause gehen. Es wird gleich dunkel und für heute ist ein Gewitter angekündigt." Tatsächlich waren bereits düstere Wolken aufgezogen und verdeckten die Sonne, die gerade dabei war, hinter dem Horizont zu entschwinden. "Schade", murmelte Lana enttäuscht. "Ich dachte, wir schaffen es noch bis zum Bach." "Das Baumhaus suchen wir ein andermal, Kleine", versuchte er sie zu beschwichtigen und lächelte ihr aufmunternd zu. "Ich bin nicht 'Kleine'", murrte Lana erbost. "Nenn mich nicht so." Felix grinste ihr frech ins Gesicht. "Ich bin zwei Jahre älter und mindestens zwei Meter größer", prahlte er. "Ich darf dich nennen, wie ich will." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)