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Drachenchronik

~ Erstes Buch ~
von

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Buchmesse

Drachenchronik
 

Buch 1: Die Ankunft

By René Sauer (Rainbowdragon)
 

Kapitel 1: Buchmesse
 

Ryu seufzte und blickte auf die Uhr. Wie konnten die Straßen um halb zwölf nur bereits so voll sein? Das war ja beinahe wie in Tokio, dabei war Frankfurt um ein vielfaches Kleiner. Er seufzte erneut und setzte nach links in eine Parklücke. Tokioter Probleme benötigten nun mal eine Tokioter Lösung. Er stieg in die U-Bahn hinab. Doch auch hier war es ziemlich voll. So ist das nun einmal während der Buchmesse, überlegte er und schmunzelte. Doch die volle Bahn störte ihn nicht, so lange er nur endlich ankam. Das einzigste Problem war jetzt nur, das er sich den Namen der Station merken musste, um seinen Wagen später wieder zu finden.

“Nächster Halt: Frankfurt Messe. Ausstieg in Fahrtrichtung Links.“ Ertönte die Stimme aus den Lautsprechern. Gemeinsam mit dem Großteil der Fahrgäste, darunter auch viele Kostümierte, stieg er nun aus und ging in die Halle.

Die Empfangsdame lächelte, er zu ihr kam, und nahm seine Eintrittskarte entgegen. “Sehr gut, Herr Tanaka. Sie werden bereits ungeduldig erwartet.“ Sie reichte ihm die Karte wieder. “Ein Kollege bringt sie sofort zur Halle.“

“Danke, das wäre praktisch.“ Ryu nickte und folgte einem Mitarbeiter der Messe auf das Außengelände, von wo aus es mit dem Elektromobil weiter ging. Auf diese Weise war es deutlich schneller, als wenn sie sich ihren Weg durch die Hallen hindurch gebahnt hätten. Am Eingang der Halle, in welcher er seinen Termin hatte, wartete bereits der der Lektor seines deutschen Verlages auf ihn. Dieser wirkte sichtlich erleichtert, als er Ryu sah.

“Gott sei Dank, endlich sind sie hier. Wir hatten doch halb Zwölf ausgemacht.“ Stieß er hervor. Bevor Ryu allerdings antworten konnte, schob der Lektor ihn bereits rein. “Naja, immerhin sind sie noch vor Zwölf angekommen.“

“Sind den viele Leute da?“

“Darauf können sie Gift nehmen.“ Lachte der Lektor. “Die Nachbarstände beschweren sich schon, weil kaum Kunden durchkommen.“

“Ich verstehe. Aber wieso sollte ich deswegen Gift nehmen?“ fragte er und sah seinen Begleiter fragend an, doch dieser Schüttelte den Kopf. “Erklär ich dir später. Hier lang.“ Meinte er nur und führte Ryu an einem Stand mit polnischen Kinderbüchern entlang hinter die Stände. Der Stand ihres Verlages war in der Ecke der Halle aufgebaut, und nun konnte Ryu auch den Lärm der Menge hören.

“Also, du wartest erstmal hier. Ich werde erstmal kurz mit den Leuten reden, bevor ich dich raus rufe, okay?“ erklärte ihm der Lektor, dann ging er hinaus. Währenddessen lehnte Ryu sich an die Wand lauschte. Der Lektor begrüßte die Gruppe und erklärte den Ablauf der Autogrammstunde: Als erstes gab es Handgebundene Sondereditionen, welche verlost wurden, ehe die Leute die normalen Bücher kaufen und signieren lassen konnten. “Und hier ist er nun für euch. Extra aus Japan angereist. Ryu Tanaka-sensei.“ Unter großem Applaus der Leute kam Ryu raus.
 

Verdammt, meine Hand. Dachte er und seufzte. Es hatte insgesamt drei Stunden gedauert, bis alle Bücher verkauft und signiert wurden waren. Doch zum Glück war es nun erstmal das letzte mal. Der nächste große Termin dieser Art war erst wieder in einem dreiviertel Jahr.

Er zuckte zusammen, als er plötzlich eine kalte Getränkedose an die Wange gehalten bekam. Er drehte den Kopf zu Seite und sah eine junge Frau neben sich stehen. Sie war geschätzte achtzehn Jahre alt, hatte hüftlanges, blondes Haar, grasgrüne Augen und trug ein weißes, leichtes Sommerkleid. “Du siehst erschöpft aus.“ Meinte sie sanft und reichte ihm die Dose. “Nimm einen Schluck.“

“Danke.“ Er nahm die Dose und nahm einen tiefen Schluck, ehe er wieder zu ihr zu ihr blickte. “Mangogeschmack, genau wie ich es mag.“

“Ja. Zum glück gab es hier einen Stand, der so was verkaufte.“ Sie lächelte. “Hab ich extra besorgt.“

“Ich verstehe. Offenbar hast du mein Interview im Frühjahr gelesen.“ Er lächelte nun ebenfalls leicht. “Und irgendwie kommst du mir bekannt vor. Ist das möglich?“

“Selbstverständlich. Wir haben uns erst vor drei Stunden gesehen.“ Sie zog eines der in dunkelblau gebundenen Sonderausgaben aus ihrer gut gefüllten Tasche. “Ich hab das hier gewonnen.“

Ryu sah das Buch an und nickte. Ja, jetzt wo sie es sagte, erinnerte er sich. Sie hatte nicht nur ein Buch gewonnen. Nein, was sie in Händen hielt war die Nummer eins der Sonderausgaben. “Ich erinnere mich, ja. Und dein Name war Nicole, wenn ich mich recht erinnere.“

“Genau. Nicole Felicitas um genau zu sein.“ Bestätigte sie und packte das Buch wieder weg. “Hast du vielleicht Hunger? Dort hinten gibt es einen indischen Stand, welcher echtes Curry anbietet.“

“Eine hervorragende Idee. Ich habe heute nur eine Kleinigkeit zum Frühstück gehabt.“ Ryu lächelte. “Gehen wir.“

Den Rest des Tages verbrachten sie gemeinsam. Nach dem Essen schlenderten sie durch die Hallen und sahen sich die Stände an, und gingen in das kleine Kino in einer der Hallen. Am frühen Abend verließen sie das Messegelände.

“Das war schön.“ Meinte Nicole und streckte sich zufrieden in der untergehenden Sonne, ehe sie wieder zu Ryu sah. “Bist du morgen auch wieder da? Ich würde gerne noch einen tag mit dir verbringen.“

Ryu überlegte kurz, ehe er nickte und antwortete: “Das bin ich. Morgen ist immerhin der Autorenwettbewerb dieses einen deutschen Verlages. Das wollte ich mir ansehen.“

“Um die neue Konkurrenz schon mal auszuchecken?“ fragte Nicole frech und grinste. Doch Ryu antwortete nur schmunzelnd: “Ich sehe es nicht als Konkurrenz. Ich sehe sie als neue Generation der Schriftsteller. Und vielleicht kann ich ja auch Tipps geben.“

“Der edelmütige Herr Schriftsteller will also die junge Generation unterstützen, auf das er eines Tages von ihnen überflügelt werde?“

Nun musste Ryu lachen. “Du klingst ja jetzt selbst wie eine Schriftstellerin.“

“Danke. Aber ich denke, das ist nicht mein Ding.“ Sie sah ihn noch mal an. “Naja, ich nehme mir nun ein Taxi. Wir sehen uns ja dann morgen um zwölf Uhr beim Wettbewerb in Halle 3.“ Sie lief zum Taxistand und winkte ihm noch mal, ehe sie in ein Taxi stieg, welches dann los fuhr. Ryu stieg die Stufen hinab zur U-Bahn.
 

“Ein Magier,

eins mit den Schatten,

eins mit den Geistern.

Ein Krieger,

Eins mit dem Licht,

gewand und Stark.

Aus fremden Welten kommend

Werden sie uns retten und einen.“
 

Ryu setzte sich auf und sah sich verwirrt um. Was war das für eine Stimme gewesen? Sie hatte sich zu echt angefühlt für einen Traum. Viel eher war so gewesen, als es ihm jemand im Schlaf ins Ohr geflüstert. Doch niemand war da. Mit einem Seufzer sah er auf die Uhr. Neun Uhr Morgens. Er hatte sich eigentlich erst für zwölf mit Nicole verabredet, doch da er nun nicht mehr schlafen konnte, konnte er auch genau so gut zur messe gehen.

An der Messe angekommen ging er gleich zu dem Verlag, welcher den Autorenwettbewerb veranstaltete. Und nach einem kurzen Wortwechsel durfte er sich tatsächlich bereits im Vorfeld die Wettbewerbsbeiträge ansehen. Viele vielversprechende Werke waren dabei. “Wirklich sehr gut.“ Murmelte er leise. Diese jungen Leute, die hier am Wettbewerb teilnahmen, waren wirklich talentiert.

Gegen Mittag füllten sich nun die Ränge vor der Bühne, und Ryu verließ den Hinterraum der Bühne. Nun sollte auch Nicole bald auftauchen.

“He, Ryu. Hier bin ich!“ hörte er jemanden rufen. Kurz blickte er sich um, dann sah er jemanden, in den vorderen Reihen, der ihm zu winkte. Er kam etwas näher und stutzte. “Nicole? Bist du das?“ Er hatte sie zuerst gar nicht erkannt. Statt des weißen Kleides von gestern trug sie nun eine Art weiß-goldene Uniform. Ihr langes Haar hatte sie zu einem Zopf gebunden, und dazu trug sie weiße Plüschkatzenohren und einen Schweif am Gürtel. Und aus irgendeinem Grund hatte er das Gefühl, dieses Outfit zu kennen. “Was sind das denn für Sachen?“ fragte er sie verwirrt.

“Jetzt bin ich aber enttäuscht. Grade du solltest das eigentlich erkennen.“ Sie grinste.

“Ich sollte es erkennen?“ er überlegte und musterte sie eine Weile eingehend, ehe es ihm wie Schuppen von den Augen fiel. “Commander Rika Nekome!“

“Genau. Ich hab es nach dem Bild im Innenfutter des Buches geschneidert. Aber echt traurig, das du es nicht sofort erkannt hast.“ Sie seufzte. “Wo es doch aus deinem eigenen Buch kommt.“

“Na hör mal. Immerhin war Abenteuer der Nekomata mein Debütroman. Das ist mittlerweile zehn Jahre her.“ Meinte Ryu und zuckte mit den Schultern. “Da kann ich mich nicht mehr an die Details jedes Buches erinnern, das ich bisher geschrieben habe.“

Sie hätten noch eine Weile so weiter gemacht, doch nun trat ein Mann auf die Bühne, der Direktor des veranstaltenden Verlages, und eröffnete den Wettbewerb. Es gab verschiedene Genres wie zum Beispiel Fantasy, Historie, Krimi und Thriller, aber auch andere Themen wie zum Beispiel Lyrik und Kurzgeschichten. In jeder Kategorie gab es drei im Voraus von der Jury ausgewählte Teilnehmer, welche nun auf der Bühne ihr Werk vorstellen und anschließend von der Jury ausgesuchte Passagen vorlesen mussten, ehe ein Gewinner bestimmt wurde. Den erstplatzierten winkte ein in ihrer Kategorie ein Vertrag mit dem Verlag, so das sie dort ihren ersten großen Roman raus bringen konnten.

Nach drei Stunden war der Wettbewerb vorbei. Ryu stand auf und seufzte: “Meine Favoriten haben alle gewonnen, schade.“

“Wieso schade?“ fragte Nicole und sah ihn verwirrt an.

“Na, dann hätte ich sie vielleicht mal mit meinem Verlag bekannt gemacht.“

“Das war also dein Plan.“ Sie grinste. “Von einem International renommiertem Schriftsteller empfohlen zu werden ist noch besser, als so einen Wettbewerb zu gewinnen.“

“Du hast es erfasst.“ Ryu zuckte mit den Schultern und verließ mit Nicole die Bühne. “Naja, dann warte ich jetzt eben, bis sie ihre ersten richtigen Romane raus bringen. Hoffentlich werden die so gut wie die Wettbewerbsbeiträge.“

“Willst du die dann weiterempfehlen?“

“Wenn sie gut sind.“ Die beiden folgten der Menge zum Außengelände. Ryu sah hoch und seufzte. “Es hat sich zugezogen. Hoffentlich fängt es nicht an zu regnen.“

“Wieso?“ Nicole stupste ihn an und grinste. “Angst, nass zu werden? Wie eine Katze?“

“Momentan bist du von uns beiden ja wohl die Katze.“

“Stimmt auch wieder. Aber ich habe keine Angst vor Wasser.“ Die beiden mussten nun laut lachen.

Die nächsten Stunden verbrachten sie wieder wie am Vortag. Sie bummelten durch die Hallen und gingen und gingen auch wieder in das kleine Kino. Als sie am Abend endlich die Halle verließen, seufzte Ryu zufrieden: “Ah, Endlich.“

“Hm? Was denn?“

“Ach, ich bin nur erleichtert.“ Er sah noch mal zurück in den Eingangsbereich der Messehalle. “Das war jetzt erst einmal die letzte große Buchmesse in diesem Jahr. Die nächste ist erst wieder im April in Osaka.“

“Stimmt ja. Daran hatte ich gar nicht gedacht.“ Auch Nicole sah zurück. “Aber ich habe ja jetzt erstmal genug neuen Lesestoff. Das sollte reichen bis zur Messe in Leipzig.“

“Du liest wohl gerne.“ Meinte Ryu und sah zu ihr. “Soll ich dich nach Hause fahren? Dann sparst du dir das Geld für das Taxi.“

“Oh, Nach hause ist ein bisschen weit. Aber ich habe hier in der Nähe ein kleines Zimmer in einer Gaststätte, da könntest du mich hin bringen. Ich erkläre dir den Weg.“

Ryu nickte und die beiden fuhren in seinem Wagen los.

“Es wird immer schlimmer.“ Murmelte Nicole und sah aus dem Fenster. “Hoffentlich kommen wir an, bevor es anfängt zu regnen. Ich mag nicht nass werden.“

Nun lachte Ryu: “Du bist wirklich eine echte Katze.“ Dann sah er aber auch raus. “Das sieht nicht nur nach Regen aus. Das scheint ein richtiges Gewitter zu werden.“ Und kaum war es ausgesprochen, geschah es auch schon. Dicke Regentropfen schlugen gegen die Scheiben, Blitze zuckten über den Himmel und Donner hallte zwischen den Hochhäusern. Nach einigen Sekunden aber wurde es im Wagen verdächtig ruhig. Der Regen fiel weiter, doch es war, als hätte man den Ton abgedreht. Stattdessen konnte man eine Mysteriöse Stimme hören:
 

“Ein Magier,

eins mit den Schatten.

Ein Krieger,

eins mit dem Licht.
 

Gefunden…“
 

Ryu sah sich verwirrt um. Da ist schon wieder diese Stimme. Es war also kein Traum, dachte er. Doch wo kam sie her? Mit einem Schlag wurde Ryu geblendet. Ein Blitz war in den Wagen eingeschlagen. Vor Schreck riss Ryu das Steuer rum. Er konnte noch Nicoles panischen Schrei hören, dann prallte der Wagen gegen eine Hausfassade. Einige Passanten kamen sofort angelaufen, um ihnen zu helfen. Doch als sie in den Wagen sahen, erschraken sie: Er war leer! Doch die Sicherheitsgurte waren immer noch geschlossen…
 

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Kapitel 1 Ende ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
 

Beim nächsten mal:
 

Nach dem Blitzeinschlag wachen Ryu und Nicole wieder auf. Doch als sie sich umblicken, stellen sie schnell fest: Sie sind nicht mehr in Frankfurt! Und höchstwahrscheinlich sind nicht einmal mehr in ihrer eigenen Welt! Sie entdecken viele befremdliche Pflanzen, und ebenso treffen sie auf viele merkwürdige Lebewesen, die sie oftmals nur aus Büchern kennen. Sie müssen schnell raus finden, dass mehr in ihnen steckt, als sie denken. Denn diese neue Gegend ist nicht ungefährlich!
 

Das nächste Kapitel heißt:
 

Calagas und Nirás

Calagas und Nirás

Kapitel 2: Calagas und Nirás
 

~~~~~~~~~~~~~~~~ Was beim letzten mal geschah ~~~~~~~~~~~~~~~~
 

Ryu Tanaka, ein international renommierter Schriftsteller, trifft nach einer Autogrammstunde auf der Frankfurter Buchmesse eine junge Frau Namens Nicole Felicitas. Auch wenn sie sich grade erst getroffen haben, verstehen sie sich sofort gut und verbringen die beiden Messetage gemeinsam. Doch als sie am zweiten Tag die Messe verlassen und er sie zu der Gaststätte bringen will, in der sie ein Zimmer gemietet hat, beginnt es zu gewittern. Dabei wird auch Ryus Wagen vom blitz getroffen und prallt gegen eine Hauswand. Doch als Passanten näher kommen, ist der Wagen leer!

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Ryu stöhnte auf und öffnete die Augen. Was war geschehen? Wieso war er ohnmächtig? Vorhin hatte er doch noch am Steuer seines Wagens gesessen. Hatte er etwa einen Unfall gebaut? Schnell setzte er sich auf, bereute es aber sofort, als ihm dadurch schwindelig wurde. Er hielt sich den Kopf.

“Ah, du bist endlich aufgewacht.“ Hörte er Nicoles Stimme. Er sah auf und bemerkte, das sie grade ins Zimmer gekommen war. “Wie fühlst du dich, Ryu?“

“Kopfschmerzen.“ Antwortete er leicht brummend und sah zu ihr. “Was ist geschehen? Wo sind wir?“

“Was geschehen ist, darüber können wir nur spekulieren. Aber wo wir sind, das weiß ich. Wir sind im Haus einer Heilerin in Calagas.“

“Wo Bitte?“

“Calagas. Das ist eine kleine Stadt im grünen Herzen von Elodinir.“ Erklärte sie lächelnd. Doch Ryu schüttelte nur den Kopf.

“Ich versteh kein Wort. Was erzählst du da?“ er blickte sich ein wenig im Raum um und stutzte. Die gesamte Einrichtung wirkte überaus fremdartig. An der Wand hingen viele Dekoelemente, welche offenbar aus Stoff gefertigt waren. Der Nachttisch hatte eine polierte Oberfläche mit Intarsien und der Kleiderschrank feine Schnitzereien. Doch nichts, was er irgendeiner Epoche zuordnen konnte.

Nicole nahm seine Hand und zog ihn mit zum Fenster. “Sieh es dir an. Das ist einfach Unglaublich.“ Sie blickte mit ihm gemeinsam hinaus. Vor Überraschung entfuhr Ryu ein: “Was ist das?“

Er blickte auf einen runden, gepflasterten Platz, auf welchem offenbar grade Markt war. Überall standen Karren, von Pferden oder Ochsen gezogen, von denen aus Händler, Bauern und Handwerker ihre Waren und Dienstleistungen anboten. Die Häuser, die den Platz umsäumten, hatten nur zwei Stockwerke und waren zum Großteil aus Fachwerk und mit Schiefer gedeckt. Dies kannte er noch so mancher Altstadt in Europa, welche Manchmal mehrere Jahrhunderte überdauert hatten. Aber hin und wieder konnte er dort unten auch Gebäude sehen, welchen Komplett aus Holz oder Stein gefertigt waren und viele feine Schnitzereien aufwiesen, die er erneut keinerlei Epoche zuordnen konnte.

“Was ist hier nur los?“ murmelte Ryu und legte eine hand aufs Glas. So langsam kam ihm ein Verdacht. Doch war das möglich? Sie waren hier doch nicht in irgendeinem Manga.

“Ich nehme an, du denkst grade an das selbe wie ich, oder?“ fragte Nicole und sah Ryu von der Seite her an. “Das wäre die einzigste logische Erklärung.“

“Wirklich unglaublich.“ Ryu ging einen Schritt von der Scheibe weg und überlegte. Und ob er an dasselbe dachte wie Nicole. Wenn sie sich nicht täuschten, dann waren sie offenbar in eine fremde Welt transportiert worden. “Wer hätte gedacht, das so etwas möglich ist?“

“Nun, bisher hast du ja immer nur darüber geschrieben. Nun bist du einmal mitten drin.“ Meinte Nicole schmunzelnd und sah zu ihm. “Die Frage ist: Was machen wir nun?“

“Ist das nicht offensichtlich? Wir müssen versuchen, zurück zu kommen.“

“Und wie stellst du dir das vor?“

“Eine gute Frage.“ Seufzte Ryu und starrte an die Wand. Wie sollten sie zurück kommen? Gab es hier in dieser vielleicht Magie? Dann könnten sie könnten sie ja einen Zauber zur Reise durch Dimensionen nutzen, falls es so etwas gab.

“Also, ich denke, die Antwort ist einfach.“ Unterbrach Nicole Ryus Grübeleien. “Wie ist das den normalerweise in solchen Geschichten?“

“Das Hauptmotiv für solche Geschichten?“ Ryu seufzte. Wieso hatte er nicht gleich so überlegt? “Das Hauptmotiv wäre eine Mission. Normalerweise wird eine Person in eine fremde Welt transportiert, um dort eine Mission zu erfüllen, die die Bewohner selbst nicht erledigen können.“

“Genau. Also haben wir vermutlich auch eine. Aber was für eine?“

“Du warst vor mir wach. War denn niemand da, um uns einzuweihen?“

“Nein. Ninim sagte, sie hätte uns ohnmächtig im Wald gefunden.“

“Wer ist Ninim?“ fragte Ryu und sah verwirrt zu Nicole.

“Hm?“ sie blickte zu Ryu, dann lächelte sie. “Oh. Das ist die Heilerin, bei der wir momentan zu Gast sind. Und wo wir grade dabei sind…“ Sie ließ sich von der Fensterbank, auf welcher sie zwischenzeitlich Platz genommen hatte, fallen und ging zu Ryu. “Lass uns runtergehen. Ich bin mir nicht sicher, wie viel Zeit vergangen ist von unserem Verschwinden in Frankfurt bis zu unserem Aufwachen hier. Aber ich hab mittlerweile tierischen Hunger.“

“Ja, jetzt wo du es sagst, bekomme ich auch Hunger.“ Also nickte Ryu und ging gemeinsam mit Nicole runter. Auch der Rest des Hauses war so fremdartig geschmückt wie das Zimmer, in dem er aufgewacht war.

Auch unten war das Haus rustikal eingerichtet. Der Tisch sah aus, als wäre er einfach der länge nach aus einem Baumstamm geschnitten worden, und auch die Stühle bestanden aus schwerem, massivem Holz. Und dort, mit dem Rücken ihnen zugewandt, schien eine junge Frau grade an irgendwas zu arbeiten. Nicole lächelte und ging zu ihr.

“Kann ich ihnen helfen, Ninim?“ fragte sie freundlich. Die angesprochene sah zu ihr und schüttelte den Kopf, während sie antwortete: “nicht mehr nötig, ich bin grade fertig geworden.“

Ryu setzte sich und stutzte, als er die Heilerin genauer ansah. Ihre Ohren waren ungewöhnlich spitz. War sie etwa eine Elfe? Er sah zu Nicole, als diese sich neben sich ihn setzte, und flüsterte ihr zu: “Hast du ihre Ohren gesehen?“

“Natürlich.“ Antwortete sie leise und schmunzelte. “Eine Elfe. Erstaunt dich das etwa?“ sie kicherte kurz, dann sah sie zum Essen, welches Ninim auf den Tisch stellte: frisch gebackenes Graubrot, ein dickes Stück Käse, ein ebenso dickes Stück Schinken, frische Butter, dazu für jeden eine Schüssel mit Brei-ähnlichem Inhalt und Gläser mit einer Honigfarbenen Flüssigkeit. Eine richtig rustikale Mahlzeit.

“Wie geht es euch, nachdem ihr endlich aufgewacht seit?“ fragte Ninim sanft und sah ihn an. Ninim hatte wie Nicole grüne Augen, nur das ihre wie tiefe, dunkle Smaragde wirkten.

“Soweit ganz gut.“ Ryu sah sie ebenfalls an. “Ich habe nur noch ein wenig Kopfschmerzen.“

Kopfschmerzen?“ Ninim legte einen Finger an Ryus Stirn und schloss für einen Moment die Augen. Während dessen blickte Ryu verwirrt zu Nicole, welche anfing zu kichern. “Das scheint ihre Methode zu sein, Diagnosen anzustellen. Mach dir keinen Kopf darum.“ Meinte sie schmunzelt und begann schon mal Schinken und Käse in Scheiben zu schneiden.

“Ich spüre es.“ Flüsterte Ninim nach einigen Sekunden und nahm den Finger von Ryus Stirn, ehe sie sich einem Schrank zu wandte. Diesem entnahm sie eine kleine smaragdgrüne Flasche, aus welcher sie drei Tropfen in Ryus Glas tropfen ließ. “Nimm einen Schluck, das wird helfen.“

Ryu sah kurz zu ihr, dann nickte er und nahm einen Schluck. Es half wirklich. Die Kopfschmerzen klangen bereits ab. Und nach dem zweiten Schluck waren sie schon völlig verschwunden. “Unglaublich. Sie sind wirklich weg.“ Er sah wieder zu Ninim. “Danke.“

“Das ist meine Aufgabe. Du brauchst mir nicht danken.“ Antwortete sie lächelnd und setzte sich zu ihnen. Gemeinsam frühstückten sie und unterhielten sich. Natürlich kam dabei auch die Frage auf, wo Ryu und Nicole herkamen und was sie weiter tun sollten. Natürlich antworteten sie nicht ehrlich, dass sie aus einer anderen Welt kamen, sondern einfach von einem anderen Kontinent. Und so wurde auf Ninims Vorschlag hin der Entschluss gefasst, nach Nirás zu gehen, einer Hafenstadt und dazu auch die größte Stadt im Land.

“Und wir kommen wir da am besten hin?“ fragte Ryu später nach dem Essen, während sie gemeinsam mit Ninim den Tisch abräumten und das Geschirr abwuschen.

“Ihr fragt am besten einen der Händler, ob er euch mit nimmt.“

Antwortete Ninim und räumte das Geschirr weg. “Ich glaube, ich kenne da einen, der Morgen nach Nirás reisen wollte. Wir können ihn gleich mal fragen.“

“Gute Idee. Du bist uns wirklich eine Hilfe, Ninim.“ Meinte Nicole lächelnd und klopfte ihr auf die Schulter.

Etwas später verließen sie zu dritt das Haus und gingen auf den Markt. Im Haus hatte man es kaum bemerkt, doch nun hier draußen merkte man, wie laut der Markt war. Die Tiere schrien durcheinander, die Händler boten lautstark ihre Waren an und die Kunden antworteten ebenso lautstark auf die Angebote. Eine Atmosphäre, wie er sie normalerweise nur von Mittelaltermärkten kannte. Der Stand von Ninims Bekannten, welchen sie Fragen wollten, war ganz am anderen Ende des Platzes, gleich neben dem Laden eines Schmiedes. Der Händler hatte ihnen grade den Rücken zugedreht und hantierte an seinem Pferdekarren.

“Hallo, Sha. Lange nicht mehr gesehen.“ Begrüßte Ninim den Händler, welcher sich umdrehte und lachte: “Ninim! Aber wirklich. Wie lang ist das letzte Treffen her? Sechs Monate?“ Schließlich umarmte er sie freundschaftlich. Währenddessen musterte Ryu ihn irritiert. Der Händler hatte beinahe Goldfarbenes, etwas längeres Haar mit schwarzen Strähnen und goldene Augen mit schlitzförmigen, Katzenähnlichen Pupillen. Zudem ragten aus seinem Haar große gelbe Katzenohren mit schwarzen Streifen. “Auch wenn wir uns lange nicht mehr gesehen haben.“ Meinte Ninim und sah ihn an. “ich hab gehört, das schon morgen nach Nirás weiter willst, habe ich Recht?“

“Allerdings. Aber ich wäre heute Abend schon noch bei dir vorbei gekommen, keine Sorge.“ Er lächelte. “Ich habe einen klasse Tee in Rhyot ergattern können. Da wollte ich dir was zum Probieren vorbei bringen.“

“Klingt gut. Aber es geht um meine Gäste hier.“ Ninim wies auf Nicole und Ryu. “Sie wollen auch nach Nirás. Da wollte ich fragen, ob du sie mit nehmen könntest.“

“Generell kein Problem.“ Er ging um die beiden rum und musterte sie. “Aber habt ihr auch was drauf? Der Weg ist nicht ungefährlich, und ich hab keine Lust, neben meinen Waren auch euch beide beschützen zu müssen.“

Nicole und Ryu beobachteten jeden Schritt des Händlers. Irgendwie war das unangenehm, wie er sie musterte. Schließlich trat Nicole vor ihn.

“Das wird kein Problem sein. Wir können uns schon selbst verteidigen. Nicht wahr, Ryu?“

“Hm?“ Ryu blickte zu ihr und nickte leicht. Er war immer noch leicht abgelenkt vom außergewöhnlichen Aussehen des Händlers.

“Na dann gibt es ja kein Problem. Ich komme heute Abend vorbei. Und morgen gegen Sonnenaufgang ziehen wir los.“ Erklärte der Händler grinsend und schüttelte Ninim noch mal die Hand, ehe er sich dem Kunden zuwandte, welcher mittlerweile näher gekommen war. Zu dritt gingen sie dann wieder ins Haus.
 

“Ryu! Wach auf, Ryu!“ rief Nicole und schüttelte ihn. Nach einer Weile schließlich öffnete er die Augen und setzte sich auf.

“Was soll denn dieser Krach?“ murmelte er und gähnte ausgiebig, ehe er zu Nicole sah. “Es ist ja noch dunkel.“

“Bist du immer so eine Schlafmütze?“ Nicole schüttelte den Kopf und seufzte. “Der Händler sagte doch, bei Sonnenaufgang würde er los ziehen.“

“Ach ja. Stimmt ja.“ Seufzte Ryu und stand schließlich auf. Er wusch sich in der Wasserschüssel, die bereit stand und blickte im Spiegel zu Nicole. “Wie lange willst du dieses Kostüm eigentlich noch tragen?“

Kostüm?“ sie sah fragend zu ihm, ehe sie auf ihrem Kopf tastete. “Oh, ich habe gar nicht bemerkt, das ich das noch trage. Aber wieso nicht?“ sie kicherte. “Sieht doch süß aus.“

“Na, wenn du meinst.“ Er trocknete sich ab und kam zu ihr. “Gehen wir dann runter?“

“Ja. Sofort.“ Nicole zog nun doch an den Ohren. Doch dann stutzte sie. Sie gingen nicht ab. Hieß das etwa, dass sie nun echt waren?

“Ist irgendwas, Nicole?“ fragte Ryu, welcher bereits an der Türe war, und sah zu ihr. Schnell nahm sie die Hände weg und lachte: “Nein nein, es ist alles in Ordnung. Gehen wir.“ Schnell ging sie mit ihm hinab. Offenbar waren beim Transport in diese Welt ihre Katzenohren echt geworden. Doch Ryu dachte immer noch, es wäre ein Kostüm. Wie lange würde es dauern, bis er es bemerken würde? Bei dem Gedanken musste sie leise kichern.

Unten angekommen sahen sie nur Ninim. Offenbar schlief der Händler noch. Als sie die beiden bemerkte, lächelte sie. “Gut, ihr seid wach.“ Meinte sie lächelnd. “Sha ist auch bereits wach. Er ist schon im Stall und bereitet den Karren vor.“

“Er ist also bereits wach? Mist. Sind wir doch nicht die ersten.“ Murrte Nicole und setzte sich. Das Frühstück stand bereits bereit, wovon sie sich auch gleich bedienten, während Ninim noch an etwas auf der Arbeitsfläche arbeitete. Nach einigen Minuten kam auch der Händler wieder hinein. Als er Ryu und Nicole sah, grinste er.

“Sehr schön, Sehr schön. Ich hätte euch nämlich nicht geweckt, wenn ihr nicht rechtzeitig wach gewesen wärt.“ Erklärte er und setzte sich zu ihnen. “Wenn ihr fertig seit, brechen wir gleich auf.“

Ryu und Nicole nickten. Als sie fertig waren, räumten sie noch gemeinsam mit Ninim den Tisch ab, ehe sie zu viert das Haus verließen. Der Karren des Händlers stand bereits vor dem Haus bereit. Er sprang auch gleich vorne auf den Kutschbock und sah zu den anderen beiden. “Einer kann mit hier vorne drauf, der andere muss in den Wagen klettern.“ Also kletterte Ryu vorne neben dem Händler auf den Bock, während Nicole es sich im Wagen auf einigen Fellen bequem machte. Ninim reichte ihnen noch einen Korb mit rauf.

“ich wünsche euch eine gute Reise.“ Sie schüttelte allen zum Abschied noch mal die Hand, ehe der Wagen sich in Bewegung setzte.

Die erste Zeit verlief die Fahrt schweigend. Ryu sah sich um und analysierte die Umgebung. Diese Welt war nicht hundertprozentig fremd. Jetzt hier im Wald sah er auch viele Sachen, die genau gleich waren mit ihrer Welt. Das waren Hauptsächlich Tiere wie Kaninchen und Rehe, aber auch Pflanzen wie Efeu und Eichenbäume. Nach einigen Stunden brachte der Händler den Wagen auf einer Lichtung zum stehen und sprang ab.

“Machen wir Pause.“ Meinte er schmunzelnd und ging zum Wagen, wo er den Korb von Ninim raus holte und diesen auf einem Baumstumpf abstellte. Dann sah er zu Nicole und Ryu, welche immer noch im Wagen saßen, und seufzte. “Nun kommt schon. Nicht so Schüchtern. Sie hat auch für euch was eingepackt.“

Schließlich kamen die beiden zu ihm und setzten sich neben dem Stumpf auf den Boden, während der Händler den Korb auspackte.

“Hm. Der Schinken scheint dieses mal ganz besonders gut zu sein.“ Meinte der Händler und schnupperte an dem Fleischstück. Dumm nur, das er sich nur bedingt als Handelsware eignet.“ Meinte er seufzend und verteilte kleine Brotlaibe an die anderen, ehe er den Schinken kleinschnitt und ebenfalls verteilte. “Lasst es euch schmecken.“ Wünschte er noch, ehe er herzhaft in den Schinken biss. Auch die anderen beiden aßen nun.

“Wie lautet dein Name nun eigentlich genau?“ fragte Ryu den Händler. “Soweit ich verstanden habe, nennt Ninim dich immer `Sha`?“

“Das ist richtig. Das ist die Abkürzung für Sharion.“ Erklärte der Händler und schmunzelte. “Ihr könnt mich bei einen der beiden Namen nennen, wie ihr auch wollt.“ Bot er an und verschlang noch ein Stück Fleisch. “Und eure Namen waren Nicole und Ryu?“

“Ryu Tanaka, um genau zu sein.“ Stellte er sich vor. “Aber Ryu reicht.“

“Und ich heiße Nicole Felicitas.“ Stellte auch Nicole sich vor und lächelte. “Danke für deine Hilfe.“

“Nix zu danken.“ Sharion trank einen Schluck. “Aber ich mach es wohl nur, weil ihr in Begleitung von Ninim wart.“

“Magst du sie etwa?“ fragte Nicole grinsend.

“Natürlich. Aber nicht so, wie du denkst!“ fügte er hinzu, als er Nicoles Grinsen bemerkte. “Wir sind schon seit langem Freunde.“

“Und wie habt ihr euch kennen gelernt?“

“Das ist Privat. Das tut nichts zur Sache.“ Sharion seufzte und lehnte sich gegen einen der Bäume.

“Mal eine andere Sache: Wann werden wir in Nirás ankommen?“ fragte Ryu nun. Sharion überlegte. “Morgen gegen frühen Abend sollten wir ankommen.“ Antwortete er schließlich und schloss die Augen. “Entspannt euch etwas, wir machen ein wenig Pause hier.“ Meinte er gähnend und streckte sich. Nicole und Ryu nickten und legten sich ebenfalls ins Gras.

Die Reise ging nach einer Stunde schließlich ereignislos weiter. Während der Reise lernten sie von Sharion ein paar Sachen, unter anderem über die Rasse, welche er angehörte. Die so genannten Felyn waren Katzenmenschen. Erkennbar waren sie wie Sharion und Nicole an den Katzenohren und Schweifen. Manchmal hatten sie aber auch Fell, Tatzen und wirkten generell mehr Katzenartig. In den meisten Fällen kämpften Felyn mit blossen Fäusten, im Umgang mit Waffen waren sie nicht sehr begabt.

Gegen Abend stoppten sie am Ufer eines großen Sees. Sharion spannte die Pferde vom Karren ab und band sie an einem Baum fest, nahe genug, das sie trinken konnten. Nicole stieg vom Wagen und sah sich um.

“Wo sind wir hier?“ fragte sie und überlegte. “Ist eine schöne Gegend hier.“

“Schön, aber nicht ungefährlich.“ Erklärte Sharion schmunzelnd und striegelte die Pferde. “Der See wird Tränensee genannt. Um ihn rankt sich eine interessante Legende. Wollt ihr sie hören?“

“Natürlich. Besonders du, nicht wahr, Ryu?“ sie sah grinsend zu ihm. Ryu zuckte nur mit den Schultern. “Wenn wir grade dabei sind, kann es nicht schaden.“ Meinte er und lehnte sich an den Wagen.

“Ach komm.“ Sie piekste ihn in die Seite. “Du stehst doch auf solche Geschichten, nicht wahr? Als kleine Inspiration?“

“Du liest offenbar gerne meine Interviews, was?“

Das Gespräch der beiden verfolgte Sharion mit leicht verwirrter Mine. Er verstand nicht, wovon sie sprachen, die ganze Sache mit Inspiration und Interview.

“Okay, okay. Ich erzähl es euch.“ Unterbrach er sie schließlich und warf die Pferdebürste auf den Wagen. “Vor langer Zeit, wie lang genau ist unbekannt, soll sich an dieser Stelle nur ein Krater mit unbekannter Herkunft befunden haben. Eines Tages geschah es, Das in diesem Krater eine kleine Kampftruppe auf eine mächtige Dämonin stieß. Nach einem langen, harten Kampf gelang es der Truppe, die Dämonin zu töten, doch zu einem harten Preis.“ Begann Sharion zu erzählen. “Nicht nur, das die vorher sechsköpfige Gruppe auf grade einmal drei Personen dezimiert wurde. Mit ihrem letzten Atemzug verfluchte die Dämonin den Helden, den Anführer der Gruppe, so das dieser sich in ein abscheuliches Wassermonster verwandelte. Über diesen Verlust sollen die beiden übergebliebenen Mitglieder, seine kleine Schwester und seine Verlobte dermaßen traurig gewesen sein, das sie den Krater nach und nach mit ihren Tränen füllten.“ Sharion blickte ins Wasser. “Und irgendwo dort drinnen soll das Seeungeheuer immer noch leben.“

“Was für eine tragische Story.“ Kommentierte Nicole leise, als Sharion seine Geschichte beendete. “Sie gewannen gegen die Dämonin und haben doch so viel verloren.“

“Da hast du Recht. Aber es ist eine Legende, mehr nicht.“ Meinte Sharion mit einem Schulterzucken und holte einige Decken aus dem Wagen. Er warf jedem eine zu und gähnte. “Wir sollten uns hin legen. Wir waren lange unterwegs und ich bin müde.“ Nicole und Ryu stimmten zu. Also legten sie sich ins weiche Moos und waren bald eingeschlafen.
 

“Sie schlafen, Boss.“ Murmelte der Räuber und sah zum Boss der Bande, welcher im Schatten eines Baumes stand. “Jetzt ist der perfekte Moment gekommen.“

“Lohnt es sich denn?“ fragte der Boss und sah ebenfalls zum Wagen. “Ist das Opfer bekannt?“

“Allerdings. Es ist kaum zu glauben, aber wahr.“ Der Räuber grinste zufrieden. “Es ist Sharion, der Katzenhändler. Unterwegs mit zwei Passagieren, die wir allerdings nicht einordnen können.“

“Der Katzenhändler? Oh, wirklich eine fette Beute.“ Der Boss stieß sich vom Baum ab und lachte. “Macht euch bereit, wir greifen an. Aber weckt sie nicht!“ Die Räuber nickten und schlichen langsam näher. Sie waren zu sechst, und bewaffnet mit Dolchen. Der erste erreichte Sharion und grinste. Leise kniete er neben dem Händler und zog den Dolch aus der Scheide.

“Das ist leider dein Ende, Katzenhändler.“ Flüsterte er leise und schlug zu. Doch bevor er traf, sprang auf einmal eine kleine Pelzkugel aus Sharions Gewand und grub dem Räuber die Klauen tief ins Gesicht. Vor Schmerzen jaulte er laut auf und weckte dadurch Sharion, Ryu und Nicole auf.

“Was? Räuber!“ Schnell sprang Sharion auf, grade rechtzeitig, da der Räuber nun zuschlug, allerdings nur den weichen Moosboden traf. Sharion schlug dem Räuber mit dem blanken Handrücken gegen die Schläfe, ehe er ihm gegen die Brust trat. Auch Nicole und Ryu kamen nun auf die Beine. Nicole trat ihrem Angreifer die Beine weg, ehe sie aufsprang und den Angriff eines anderen abblockte. Ryu hingegen hatte es schwerer. Dem hinterhältigen Angriff im Schlaf hatte er nur knapp ausweichen können, was einen kleinen Schnitt auf seiner Wange hinterlassen hatte. Nun verteidigte er sich eher notdürftig mit einem dicken Ast gegen zwei der Räuber.

“Ryu! Ich helfe dir!“ Nicole sprang dazwischen. Sie packte einen der beiden Räuber am Kragen und zog ihm die Beine weg. Kurz abgelenkt, gelang es Ryu, den anderen mit einem gezielten Hieb auf dem Kopf außer Gefecht zu setzen.

“Ich wusste gar nicht, das du so gut kämpfen kannst, Nicole.“ Er sah zu ihr. “Wirklich erstaunlich.“

“So erstaunlich ist das nicht.“ Sie sah grinsend zu ihm. “Ich mache seit der ersten Klasse verschiedene Kampfsportarten. Judo, Karate, Aikido und so. In Karate bin ich sogar Europameisterin.“

“Na dann kein Wunder. Aber wir sollten Sharion helfen.“ Er sah zum Händler. Nur dieser brauchte keine Hilfe mehr. Sharion hatte den Anführer der Bande bereits erledigt und sah zu Nicole und Ryu.

“Alles klar bei euch beiden?“ Er kam zu ihnen und sah Nicole an. “Du warst wirklich gut. Aber war auch nicht anders zu erwarten von einer Felyn.“ Er grinste und sah dann zu Ryu. “Aber du… Kann es sein, das du eigentlich eine andere Waffe gewohnt bist?“

“Richtig. Ich bin nicht sonderlich bewandert im Umgang mit dem Schwert oder ähnlichen Waffen.“ Ryu seufzte und warf den Stock weg. “Doch ich bezweifle, das ich hier irgendwas passendes für mich finde.“

“Nicht, wenn man den passenden Händler fragt.“ Sharion holte einige Seile aus dem Wagen und grinste. “ich kann dir in Nirás jemanden vorstellen. Aber jetzt helft mir erstmal, diese Typen zu fesseln.“ Er warf den beiden einige Seile zu und begann den Anführer der Gruppe zu fesseln. Auch Nicole und Ryu fesselten die übrigen Mitglieder.

“Was machen wir nun mit ihnen, Sharion?“ fragte Nicole dabei.

“wir nehmen sie mit. Auf diese Bande ist ein recht ansehnliches Kopfgeld ausgestellt.“ Er warf die Räuber auf den Wagen und seufzte. “Legen wir uns noch ein wenig hin. Ich bin müde.“ Ryu und Nicole stimmten zu.
 

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Kapitel 2 Ende ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
 

Beim nächsten mal:
 

Nach einem ersten Vorgeschmack auf die Gefährlichkeit dieser fremden Welt in Form von Räubern, erreichen Ryu, Nicole und Sharion endlich Nirás, die größte Stadt des Landes. Und das grade rechtzeitig, den es findet dort ein großes Fest statt! Im Rahmen dessen lernen Nicole und Ryu viele neue Leute kennen und Ryu kann sein Problem mit der Waffe lösen.
 

Das nächste Kapitel heißt:
 

Tinúviel Auríel, Feuerklinge

Tinuviel Auriel, Feuerklinge

Kapitel 3: Tinúviel Auríel, Feuerklinge
 

~~~~~~~~~~~~~~~~ Was beim letzten mal geschah ~~~~~~~~~~~~~~~~
 

Ryu und Nicole wachen verwirrt in einer völlig fremden Umgebung auf. Den beiden wird schnell klar, dass sie nicht mehr in ihrer eigenen Welt sind. Nach einer kurzen Unterhaltung mit der Heilerin, bei welcher sie aufwachten, wird der Entschluss gefasst, nach Nirás zu reisen. Um dort hin zu kommen, schließen sie sich dem Händler Sharion an, von dem sie unterwegs einige interessante Informationen bekommen. Als sie rasten, wird die Gruppe von Räubern angegriffen, doch sie können sie mit Leichtigkeit zurück schlagen und ihren Weg fortsetzen…

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
 

“Darf ich euch Willkommen heißen?“ Sharion stand auf und sah zu seinen beiden Passagieren. “Im Moment stehen wir grade vor den Mauern der größten Stadt des Landes: Nirás! Und alle hier sind nur aus einem Grund gekommen.“ Er blickte sich um. Sharion Karren stand in einer langen Reihe mit anderen Wagen. Die Wagen, welche ganze vorne standen, wurden oberflächlich durchsucht, ehe sie hinein gelassen wurden. Sharion grinste. “Dieser Grund ist das große Erntefest, welches glücklicherweise heute statt findet.“

“Schwing keine großen Reden, Katze!“ lachte die Wache, die nun an ihrem Wagen angekommen war. “Ich sehe schon, du hast dieses mal überaus interessante Ware dabei?“

“Das kannst du laut sagen. Das ist die Bande, die die letzten drei Jahre die Wälder unsicher gemacht hat.“ Er grinste. “Doch dieses mal haben sie sich an den falschen vergriffen.“

“Ich sehe es.“ Der Soldat blickte nun auf den Kutschbock. “Und deine beiden Passagiere?“

“Ryu Tanaka. Das hier ist meine Begleiterin Nicole Felicitas.“ Stellte Ryu sich vor und verneigte sich leicht. “Wir sind auf der Durchreise.“

“Na, Hoffentlich wollt ihr nicht allzu bald weiter. Sonst würdet ihr was verpassen.“ Der Soldat klopfte Sharion auf die Schulter. “Ihr dürft rein. Die Bande könnt ihr beim Sheriff abliefern. Platz für den Wagen gibt es noch am Südende des Platzes, neben der Gaststätte `Drachenlotus`. Viel Spaß noch.“ Dann ging der Soldat weiter, um die anderen Wagen zu kontrollieren. Währenddessen steuerte Sharion den Wagen an den anderen vorbei und fuhr in die Stadt.

“Ich wollte dich schon eine ganze Weile was fragen, Sharion.“ Nicole sah den Händler an. “Letzte Nacht, als wir angegriffen wurden, was war das für ein kleiner Pelzball, der da auf dem Wagen gesessen hatte?“

“Das?“ Sharion lachte. “Das ist meine kleine Begleiterin. Hier.“ Er griff in sein Gewand und holte besagte Pelzkugel hervor. Sie konnten nun sehen, dass es eigentlich eine kleine Katze war, welche Platz in seiner flachen hand hatte. Sie hatte goldgelbes Fell mit schwarzen Streifen. “Ihr Name ist Tiara.“

“Oh, wie süß. Kann ich sie mal halten?“

“Sicher. Aber schön vorsichtig sein.“ Er legte das Kätzchen in Nicoles Hände und hielt den Wagen vor einem Haus. “Ryu, hilf mir, die Bande abzuladen. Dann können uns auch das Kopfgeld abholen.“ Er sprang vom Wagen und hievte den Anführer der Räuber hoch, welcher sich heftig wehrte. Doch Sharion schnaubte: “Gib es auf. Der Kerker ist alles, was euch von nun an noch erwartet!“ mit einem Schlag in den Nacken knockte er ihn aus, ehe er ihn in das haus brachte. Ryu folgte ihm mit einem der anderen Räuber, welcher wohl bereits aufgegeben hatte und sich nicht mehr wehrte.

Ein paar Minuten später kamen sie wieder raus, beide mit einem dicken Sack in der Hand. Ihnen folgten einige Soldaten, welche die restlichen Bandenmitglieder vom Wagen zogen und ebenfalls hinein brachten. Sharion winkte den Soldaten noch mal zu und fuhr weiter zum Marktplatz. Dieser war bereits voll, viele Marktstände waren offen, und es war noch lauter als auf dem Markt in Calagas.

“Ist wirklich ziemlich voll hier.“ Sharion sah sich um, dann sah er zu Ryu und Nicole. “Ihr wartet hier am Wagen. Ich schaue, ob wir hier in der Gaststätte noch Zimmer und einen Platz im Stall kriegen.“

“Oh, ich schau mich schon mal um. Bleib du hier, Ryu.“ Nicole sprang gemeinsam mit Sharion ab und reichte diesem Tiara wieder. Sie winkte noch mal, dann verschwand sie in der Menge. “Wenn was ist, komme ich wieder zu dieser Gaststätte.“ Konnten sie noch hören, ehe sie schließlich verschwand. Sharion sah ihr nach und schmunzelte.

“Ist wohl eine sehr lebhafte, was?“

“Hm, sieht so aus.“ Bestätigte Ryu. Sharion musste lachen.

“Sieht so aus? Du müsstest sie doch besser kennen als ich.“

“Um ehrlich zu sein.“ Meinte Ryu mit einem Seufzer. “Wir kennen uns eigentlich auch erst seit wenigen Tagen.“

“Und da versteht ihr euch bereits so gut?“

“Wir verstehen uns doch auch bereits sehr gut, oder nicht?“

“Stimmt auch wieder.“ Sharion lachte. “Warte kurz hier. Ich geh rein und schau, ob wir noch Zimmer bekommen.“ Immer noch grinsend ging er hinein. Nach einigen Minuten kam er wieder raus und nickte. “Hat alles geklappt. Wir haben noch Zimmer bekommen.“

“Gut. Und nun?“

“Wir bringen den Wagen in den Stall und gehen über den Markt. Hier lang.“ Er führte den Wagen in eine kleine Gasse, wo er ein Scheunentor öffnete und den Karren hinein führte. Während Ryu hinab kletterte, löste Sharion die Pferde vom Wagen, band sie fest und fütterte sie.

“Wenn der Wagen hier drin steht, kannst du doch gar nichts verkaufen.“ Merkte Ryu an und sah sich um.

“Das hatte ich auch gar nicht vor. Ich wollte von Anfang an nur zum Fest.“ Sharion tätschelte die Pferde noch mal, dann verließ er mit Ryu den Stall. “Pass aber gut auf deinen Geldbeutel auf. Solche Events locken leider auch viel Gesindel an.“

Ryu nickte und folgte Sharion über den Markt. Es war deutlich anders als der Markt in Calagas. Dies hier war deutlich mehr auf Vergnügen ausgelegt. Es gab hauptsächlich Stände, die alle möglichen und teilweise auch unmöglichen Arten von Nahrungsmittel anboten. Es gab Stände, die Schauspiele mit allen Arten von Puppen anboten, Spielleute, die sangen und tanzten. Neben dem Brunnen in der Mitte des Platzes standen drei Haushohe Strohpuppen.

“Komm, er muss hier lang sein.“ Zielsicher führte Sharion Ryu durch die Menge. Nach kurzer Zeit blieb er vor einem kleinen Laden stehen und grinste. “Vóila, der beste Waffenhändler in Elodinir. Was du hier nicht findest, das existiert auch nicht.“

“Ich bezweifle immer noch, das ich was passendes finde.“ Seufzte Ryu. Dennoch betrat er mir Sharion den Laden und blickte sich um. Es gab einige Vitrinen in den teilweise überaus prachtvoll geschmückte Waffen lagen. Im Gegenzug dazu standen hier und da Fässer rum, in denen relativ einfache Schwerter und Äxte angeboten wurden. Doch wie er vermutete, auf dem ersten Blick konnte er nix sehen, was seinen Ansprüchen entsprach.

“Hallo? Lohan? Bist du da?“ rief Sharion und blickte sich um. “Kundschaft ist da!“

“Ja. Ich bin sofort da.“ Antwortete Lohans tiefe Stimme aus dem Hinterraum. “Fünf Minuten, seht euch ruhig schon mal um.“

“Du hast ihn gehört. Wir sollen uns umsehen.“

“Habe ich schon. Hier ist nix passendes dabei.“ Erklärte Ryu mit einem Kopfschütteln.

“Ein sehr schwieriger Kunde also? Da wird Lohan seine Freude dran haben.“ Sharion lachte. “Er kommt nicht oft dazu, sein exotisches Sortiment zu präsentieren.“

“Habe ich da exotisches Sortiment gehört?“ fragte Lohan, welcher aus dem Hinterraum gekommen war. Er war ein wahrer Riese, über zwei Meter groß und mit so breiten Schultern, das er durch kaum eine Türe grade durch kam. Sein Haar war kurz und ebenso schwarz wie sein Schnurrbart. Auf seinem dicken Oberarm prangte ein großes Tattoo. “Braucht ihr etwa mein exotisches Sortiment?“

“Offensichtlich. Mein Freund hier ist ein sehr schwieriger Kunde. Hier drin entspricht nichts seinen Vorstellungen.“ Sharion klopfte Ryu auf die Schulter. “Vielleicht denkt er anders, wenn er den Rest sieht.“

“Was wird den gesucht?“

“Das ist schwer zu erklären, denke ich. Ich bin mir nicht sicher, ob es hier bekannt ist, oder ob es eventuell hier einen anderen Namen hat.“ Erklärte Ryu mit Blick auf den Waffenhändler. “Ich würde mir erstmal ihr Sortiment ansehen. Vielleicht haben sie ja durch Zufall, was ich suche.“

“Wirklich mysteriös. Jetzt bin ich wirklich neugierig. Gehen wir nach hinten.“ Lohan trat hinter dem Verkaufstresen hervor und ging an den beiden vorbei zu einer Türe an der Rückwand. Sharion und Ryu folgten ihm. “Hier drinnen bewahre ich mein sogenanntes `Exotisches Sortiment` auf. Waffen, die so selten nachgefragt werden, das es sich nicht lohnt, sie im Laden auszustellen.“ Erklärte Lohan und zündete einige Kerzen im Raum an.

Wie er gesagt hatte, waren die Waffen hier überaus exotisch: Man sah Handschuhe, an deren Fingerspitzen lange Klingen befestigt waren. Ein Bumerang und andere Klingen, die wohl als Wurfwaffen gedacht waren. Und dort, auf einem der Regale lag genau, was Ryu suchte.

“Das ist es!“ Ryu nahm den kleinen Revolver vom Regal und untersuchte ihn. Eine kleine Trommel, nur vier Schuss. Das war nicht viel, und er würde dann oft nachladen müssen. Doch fürs erste reichte es. Und dass er diesen hier gefunden hatte, hieß, dass es auch in dieser Welt Schusswaffen gab. Also würde er früher oder später noch andere finden.

“Das soll es sein?“ Lohan nahm den Revolver und musterte ihn. “Sicher?“

“Oh ja. Das ist genau, was ich brauche. Fürs erste jedenfalls.“ Ryu sah Lohan an. “Oder haben sie noch mehr Waffen dieser Art?“

“Ich fürchte, nein. Das hier ist wirklich sehr exotisch. Um ehrlich zu sein, bist du der erst der zweite den ich kennen lernen durfte, der eine solche Waffe bedienen kann.“ Erklärte Lohan, während zu dritt den Raum wieder verließen. Er ging wieder hinter den Verkaufstresen und begann unter diesem rumzuwühlen. Dort holte er Zubehör für den Revolver hervor: einen Holster für den Gürtel, eine Munitionstasche, Munition und eine Hilfe, um die Waffe schneller zu laden. “Mal überlegen. Die Waffe zweihundert Goldstücke. Den Rest schenke ich dir. Kann ich eh nichts mehr mit anfangen, wenn die Waffe weg ist.“ Lohan schrieb alles auf. “Sonst noch etwas?“

“Nein, das war es dann.“ Antwortete Ryu und zog den Geldbeutel hervor, doch Sharion legte noch etwas neben den Revolver.

“Das hier solltest du noch mit nehmen.“

Ryu nahm das Bündel und öffnete es. “Handschuhe? Wozu?“

“Nicht für dich. Die sind für Nicole.“ Sharion nahm ihm die Handschuhe ab. “Zum Schutz für sie. Im Gegensatz zu dir wird sie direkten Kontakt zu Gegnern haben, und da kommt sie manchmal mit bloßen Händen nicht weit. Sie sind an den Knöcheln verstärkt.“

“Klingt logisch. Nun gut, nehmen wir das auch noch.“ Er sah zu Lohan. “Die hier noch dazu.“

“Das sind noch mal einhundertfünfzig Goldstücke. Also insgesamt dreihundertfünfzig.“ Lohan nahm das Gold von Ryu entgegen und nickte. “Ich danke für den Einkauf. Und sehen wir uns heute Nacht noch, Sharion?“

“Natürlich. Wir treffen uns am Brunnen. Bis später dann, Lohan.“ Sharion verließ mit Ryu den Laden wieder.

“Du bist offenbar mit vielen Leuten bekannt, ist das möglich?“ fragte Ryu, während sie den Weg zurück zur Herberge gingen.

“Natürlich. Als Händler kommt man nun mal viel rum und lernt viele Leute kennen. Aber was für eine Geschichte Lohan und mich verbindet, würdest du eh nicht glauben.“ Sie kamen zur Gaststätte, an welcher Nicole bereits wartete.

Gemeinsam schlenderten sie erneut über den Platz, nachdem sie die neuen Waren auf die Zimmer gebracht hatten. Nun hatten sie Zeit, die lokalen Köstlichkeiten zu probieren, durch welche Sharion sie führte. Es gab hauptsächlich Obst, welches entweder frisch oder in Form von Gebäck angeboten wurde. Dazu gab es auch Fleisch, zubereitet in allen Formen. Später, als richtig dunkel war, führte Sharion seine Begleiter schließlich zum Brunnen, wo Tische und Bänke aufgebaut waren. Direkt am Brunnen stand ein großer Stand, welcher Getränke verkaufte. Als sie ankamen, konnte man bereits Lohans Stimme hören: “Sharion! Wurde auch zeit, das du dich endlich blicken lässt!“ gröhlte er leicht angeheitert und winkte den dreien. Er saß direkt am Getränkestand. Ihm Gegenüber saß eine junge Frau mit flammend roten, langen Haaren, und direkt an der Theke stand ein kleiner, dicker Mann mit Glatze und gigantischem Schnauzer. Sharions kleine Gruppe kam näher.

“Nicole. Das hier ist Lohan. Er ist ein Händler und ein Freund von mir.“ Stellte Sharion vor.

“Oh ja, davon habt ihr mir erzählt.“ Nicole nickte.

“Unser stattlicher Wirt hier heißt Navarion, auch ein alter Gefährte meinerseits. Und die junge Dame hier heißt Tinúviel. Sie ist unsere Gastgeberin für diese Nacht.“

Ryu und Nicole schüttelten allen die Hände, ehe sie sich zu ihnen setzten. Den Rest des Abends verbrachten sie damit, zu trinken und sich Geschichten anzuhören, während die Stadtbewohner nach und nach die Strohpuppen abbrannten.
 

Nicole gähnte und sah sich verschlafen um. Was war los? Wo war sie hier? Langsam setzte sie sich auf und gähnte erneut. Oh ja, richtig. Sie waren in Nirás angekommen und hatten dort viele Leute kennen gelernt. Und sie hatten Zimmer in einem Gasthaus bekommen. Schlaftrunken kam sie runter in dem Gastraum. Im Moment war außer Tinúviel, der Wirtin, niemand da. War aber auch offensichtlich, nach der langen Nacht. Sie waren alle noch müde.

“Oh. Du bist aber früh wach für eine Katze.“ Meinte Tinúviel, als sie Nicole bemerkte. “Felyn sind eigentlich als Langschläfer bekannt.“

“Ach wirklich?“

“Natürlich. Sonst wäre euer Begleiter, der Katzenhändler, längst wach.“

“Also, ich habe ihn die letzten Tage eher als Frühaufsteher erlebt. Der einzigste Langschläfer bei uns ist Ryu.“ Nicole grinste und setzte sich an die Theke. “Aber nach so einem Abend wie gestern ist es nicht verwunderlich, mal länger zu schlafen. Aber jetzt will ich Frühstücken.“

“Um ehrlich zu sein, ist dieser Ryu schon seit einer Stunde außer Haus. Er wollte in die Buchhandlung.“ Tinúviel stellte Nicole ein Brett mit Brot, Butter und geräuchertem Fisch hin. “Er wollte gegen Mittag wieder da sein.“

“Er ist bereits wach? Was für eine Überraschung.“ Murmelte Nicole und begann zu essen.

Ryu kam tatsächlich gegen Mittag wieder in die Gaststätte. Mit dabei hatte er einige Bücher, welche er auf einem Tisch fallen ließ und seufzte. Er blickte sich um.

“Immer noch so leer hier? Sind die die anderen Gäste noch nicht wach?“

“Es gibt keine anderen Gäste. Ihr seid die einzigen.“ Tinúviel kam zu ihm. “Ich bin zugegebener Maßen ein wenig wählerisch, was meine Gäste angeht. Ich gewähre nicht jedem ein Zimmer.“ Sie zog das größte der Bücher aus Ryus Stapel und seufzte. “`Grundlagen der Magie`? Du hättest kaum ein schwereres Buch auswählen können. Und dann auch noch die Komplettausgabe.“ Sie sah zu ihm. “Es wäre besser gewesen, du hättest eine Teilausgabe deinem Element entsprechend geholt.“

“Ich habe aber kein Element.“ Er nahm ihr das Buch ab. “Ich habe es aus Interesse geholt. Dort, wo wir her kommen, gibt es keine Magie.“

“Keine Magie? Was soll das für eine Welt sein?“

“Also, für uns ist das normal. Wir kennen Magie nur aus Büchern.“

“Hm… Das ist interessant.“ Tinúviel wandte sich dem großen Kessel zu, welcher über dem offenen Feuer hing. “Und Was habt ihr weiter vor?“

“Na, wir müssen einen Weg zurück nach hause finden. Das bedeutet, das wir bald weiter reisen werden.“ Ryu sah sich um. “Ist Nicole eigentlich noch nicht wach?“

“Das ist sie schon längst. Sie nimmt grade ein Bad.“ Die Wirtin stellte Ryu eine dampfende Schüssel auf den Tisch. “Wann wollt ihr weiter reisen?“

“Ich denke, recht bald. Ich habe nicht vor, allzu viel Zeit zu vergeuden.“

“Muss das den sein?“ murrte Nicole, welche plötzlich hinter Ryu auftauchte. “Entspann dich doch mal, Ryu. Sieh das hier doch als großes Abenteuer, und als eine Art Inspiration.“

“Und unsere Familien?“ Er sah sie streng an. “Wir werden sicherlich vermisst.“

“Stimmt auch wieder.“ Sie schmollte. “Dann reisen wir eben bald ab.“ Sie warf sich auf den Sitz gegenüber von Ryu und zog die Schüssel, die Tinúviel ihr hin gestellt hatte, an sich. “Und wo wollen wir hin?“

“Wir sollten in die Hauptstadt.“ Er zog einen Atlas unter den Büchern hervor und zeigte ihr eine Karte. “Es sollte etwa eine Woche dauern.“

“Und was machen wir dann dort?“

“Ich habe gelesen, dass es dort eine magische Akademie gibt. Die Magier dort sollten uns hoffentlich helfen können.“

Nicole überlegte und fuhr mit dem Finger über die Karte. Das Land war auf der Karte dunkelgrün gefärbt, und durch Symbole waren Bäume angedeutet. “Das ganze Land scheint nur aus Wald zu bestehen.“ Meinte sie und sah zu ihm.

“Das ist es auch. Deshalb wird es auch grünes Herz genannt.“ Er klappte das Buch wieder zu.

“Du hast dich offenbar ziemlich schnell, ziemlich gut informiert.“ Nicole kicherte und leerte ihre Schüssel.

“Wenn ihr durch den Wald wollt, braucht ihr Waffen. Der Weg in die Hauptstadt ist nicht ungefährlich.“ Unterbrach Tinúviel die beiden. “Könnt ihr euch verteidigen? Völlig ohne Magie?“

“Natürlich. Schließlich sind wir ja auch von Calagas hierher gekommen. Und Ryu hat sich ja gestern erst eine Waffe besorgt, oder?“ fragte Nicole an Ryu gewandt. Dieser nickte und legte den kleinen Revolver auf den Tisch.

“Fürs erste sollte das kleine Ding hier reichen.“

“Wirklich sehr Klein.“

“Für dich hab ich aber auch noch was.“ Ryu reichte Nicole die Handschuhe, die er gemeinsam mit dem Revolver gekauft hatte. “Sharion hatte mir empfohlen, sie für dich mitzunehmen.“ Er sah zu, wie Nicole die Handschuhe anzog. “Sie sollen dich schützen, wenn du kämpfst.“

“Ich merke es. Das wird eine große Hilfe sein.“ Sie lächelte. “Nach dem Angriff der Räuber taten mir nämlich die Hände ein wenig weh.“

“Ihr seit in der Tat vorbereitet. Und wenn ihr noch heute aufbrechen wollt, dann bleibt mir noch eines zu tun.“ Sie ging wieder zur Theke. “ich werde euch etwas Reiseproviant vorbereiten, wenn ihr noch die Geduld dazu habt.“

“Das haben wir.“ Ryu und Nicole standen ebenfalls auf. “Wir müssen noch alles einpacken, bevor wir los können.“

Eine Stunde später standen sie reisebereit unten im Gastraum. Ryu hatte einen großen Rucksack geschultert, in welchem er die Bücher untergebracht hatte. Der kleine Revolver steckte nun in seinem Holster an seinem Gürtel, ebenso wie die Munitionstasche. Nicole trug eine Umhängetasche, in welche Tinúviel den Proviant gepackt hatte.

Mittlerweile war auch Sharion aufgewacht. Noch ein wenig schlaftrunken musterte er die beiden und schmunzelte. “Schade, das wir uns schon trennen müssen.“ Er schüttelte beiden die Hand. “Aber wir werden uns sicherlich wiedersehen.“

“Ganz bestimmt.“ Ryu drückte seine Hand kurz. “Und danke für deine Hilfe, hierher zu kommen, Sharion.“ Dann schüttelte er Tinúviels Hand. “Und dir danke für deine Gastfreundschaft.“

“Ihr seit jederzeit willkommen, wenn ihr mal wieder in Nirás seit.“ Tinúviel lächelte leicht, und sah Ryu und Nicole nach, wie sie das Gasthaus verließen.
 

“Zu Schade, das wir nicht bleiben konnten.“ Seufzte Nicole. Sie rasteten am Ufer eines kleinen Baches. Nicole hatte die Schuhe ausgezogen und plantschte mit den Füßen im Wasser. “Tinúviels Speisen sind wirklich gut. Ich hätte es eine Woche bei ihr ausgehalten.“

“Das hatten wir doch schon.“ Ryu seufzte. Er lehnte an einem Baum und blätterte in dem Buch `Grundlagen der Magie`. So schwer, wie er es sich nach Tinúviels Andeutungen vorgestellt hatte, war es gar nicht. Nur an manchen Stellen war es vielleicht schwer zu lesen, da die Schrift golden war und bei manchen Lichtverhältnissen ziemlich stark schimmerte. “Wir müssen zurück. Wir werden sicherlich vermisst.“

“Ich weiß. Ich meine ja nur.“ Seufzte Nicole und warf einen Stein ins Wasser, ehe sie aufsprang und zu Ryu ging. “Steht irgendwas interessantes in dem Buch?“

“Hm… Naja, bisher habe ich nix entdecken können, was wir nicht schon wüssten.“

Er klappte das Buch zu und sah zu ihr. “Es gibt hier verschiedene elementare Magien. Und zwar die üblichen Verdächtigen: Feuer und Wasser, Wind und Erde, Eis und Blitz und schließlich Licht und Finsternis.“

Nicole nickte und hörte zu. “Okay. Das ist soweit verständlich.“

“Zu jedem Element gibt es verschiedene Zauberarten: Offensive Magien, um dem Gegner zu schaden, und defensive sowie Unterstützungsmagien, um sich selbst und die eigenen Kameraden zu unterstützen.“

“Auch keine sonderliche Überraschung. Und weiter?“

“Nix weiter. Weiter bin ich noch nicht gekommen.“ er steckte das Buch ein und holte den Atlas hervor. Sie waren beide mit dem Rücken dem Bach zugewandt, so dass sie nicht merkten, das sich was tat. Langsam erhob sich das Wasser aus seinem bett und wandte sich den beiden zu wie Schlange. Es stieg langsam höher und näherte sich den beiden. Einige Tropfen fielen hinab und Nicole erschauderte.

“Ich glaube, es fängt an zu regnen.“ Sie sah auf und erstarrte. “R…. Ryu… Was ist das?“

Auch er sah auf. Er packte Nicoles und zog sie weg, grade rechtzeitig, als die Wasserschlange zuschlug. Die Wassermassen schlugen auf den Boden.

“Schnell. Zurück!“ er zog Nicole am Handgelenk zurück. “Das muss Wassermagie sein!“

“Dann muss es auch irgendwo einen Magier geben!“ Nicole sah sich um, während sich die Wassermassen wieder erhoben. Ryu zog seine Waffe.

“Ja. Und zwar… Dort!“ er schoss in die Büsche. Kurz darauf war ein Lachen zu hören, und jemand trat aus den Büschen hervor.

“Du hast offenbar ein gutes Gespür. Gar nicht mal so schlecht für einen Anfänger.“ Der Angreifer breitete die Arme aus, und die Wasserschlange glitt zu. Sie umspielte seinen Körper wie ein harmloses Haustier, während er Nicole und Ryu ansah. “Ich glaube, ihr könnt euch vorstellen, wie das hier nun abläuft. Leert eure Taschen, und euch wird nichts geschehen.“

“Und wenn wir es nicht tun?“ Ryu richtete seine Waffe auf den Fremden, während Nicole in Position ging. Kurz blickte Ryu zu ihr. Er hatte schon einmal geschossen, doch irgendwie hatte dieser Typ es abgewehrt. Doch vielleicht konnte er ihn ablenken, so das Nicole näher ran kam. Langsam schlich er etwas nach rechts, hielt den Fremden aber im Blick. “Wir haben nicht das geringste Interesse daran, dir unser Gepäck zu überlassen.“ Er sprang noch etwas zur Seite und schoss zweimal auf den Fremden. Nicole nutzte die Gelegenheit und griff schnell von der anderen Seite an. Der Fremde lachte jedoch nur und machte eine Handbewegung, und die Wasserschlange schlug die beiden zur Seite.

“Ein Distanzkämpfer und eine Nahkämpferin also. Ich denke, ich fange mit dem jungen Kätzchen hier an.“ Er zog sein Schwert und ging auf Nicole zu. Diese wich zurück und schluckte. Das war also Magie? Wie sollten sie ohne eigene Magie nur da gegen ankommen?

“Es ist eure eigene Schuld. Ihr hättet einfach ruhig euer Gepäck ausliefern können.“ Meinte der Fremde grinsend und schlug zu. Nicole schrie auf und kniff die Augen zusammen.

“Was? Was soll das? Wer bist du?“ Der Fremde knurrte. Seine Klinge war an der Scheide eines gigantischen Breitschwertes abgeprallt, welches die Person, die zwischen ihnen aufgetaucht war, auf dem Rücken trug.

“Wer ich bin?“ Der Neuankömmling drehte sich zu dem Angreifer um und ergriff den Griff des Schwertes, welches über seine Schulter ragte. “Mein Name ist Tinúviel.“ Sie löste das Schwert samt Scheide von ihrem Rücken und richtete es auf den Fremden. “Tinúviel Auríel, die Feuerklinge!“
 

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Kapitel 3 Ende ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
 

Beim nächsten mal:
 

Nachdem sie von Tinúviel aus einer Ausweglosen gerettet werden, schließt sich diese den beiden an. Doch der Weg nach Landir, der Hauptstadt des waldreichen Landes Elodinir, ist noch weit. Unterwegs lernen sie vieles wissenswertes über das Land kennen.
 

Das nächste Kapitel heißt:
 

Fendrir

Fendrir

Kapitel 4: Fendrir
 

~~~~~~~~~~~~~~~~ Was beim letzten mal geschah ~~~~~~~~~~~~~~~~
 

Gemeinsam mit Sharion erreichen Nicole und Ryu endlich Die Hafenstadt Nirás, in welcher grade ein großes Fest stattfindet. Hier kann Ryu sein Problem Lösen und findet eine Waffe, mit welcher er umgehen kann. Während dessen Festes treffen sie unter anderem auch auf die Gastwirtin Tinúviel, bei welcher sie für die Nacht unterkommen. Als sie am nächsten Tag alleine weiter reisen, geraten sie jedoch in eine verfahrene Situation, aus der sie sich nicht alleine befreien können. Doch dann werden sie von niemand anderem als Tinúviel gerettet…

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
 

“Wer ich bin? Mein Name ist Tinúviel.“ Sie löste ihre Waffe vom Rücken und richtete sie auf den Fremden. “Tinúviel Auríel, die Feuerklinge!“

“Feuerklinge? Das ich nicht lache!“ Der Fremde sprang einen Schritt zurück. “Die Feuerklinge war vor fünfzig Jahren eine wahre Koryphäe unter den Kopfgeldjägern. Das bedeutet, heute müsste sie eine alte Frau sein. Und nun lass ebenfalls Alles fallen, was du bei dir trägst!“

Tinúviel seufzte nur leise und schüttelte den Kopf. “Mein Name ist nicht vergessen, aber offenbar meine Geschichte.“ Sie löse einen Knopf an der Schwertscheide und nahm die obere Hälfte ab. Dabei strich sie mit dem Finger über die Klinge, welche sofort Feuer fing. Der Fremde wich noch einen Schritt zurück.

“Wie kann das sein?“ fragte er nervös. “Du müsstest alt und verschrumpelt sein!“

“Normalerweise. Nur dein Pech, das ich eine Halbelfe bin!“ Mit einer schnellen Drehung schlug Tinúviel zu, jedoch schirmten die Wassermassen den Fremden ab. Es zischte laut und Dampf trat auf.

Er sah nur zu und lachte. “Und selbst wenn du es sein solltest: Es bedeutet Feuer gegen Wasser. Ich denke, der Gewinner steht bereits fest.“

Tinúviel jedoch sah ihn nur einem regungslosen Ausdruck an. “Glaubst du, du wärst der erste Wasserelementar, gegen den ich je gekämpft habe? Da täuschst du dich.“ Sie legte eine Hand auf die brennende Klinge, und die Flammen schossen in die Höhe. Das Wasser verdampfte und Tinúviels Schwerthieb hatte nun freie Bahn auf den Körper des Fremden.

Mit Mühe hatte er den Angriff grade so mit seinem eigenen Schwert parieren können, doch die pure Wucht des gigantischen Schwertes schleuderte ihn zurück gegen einen Baum. Mit einer Handbewegung färbte sie die die Flammen, die ihr Schwert umgaben, zu einem eisigem Blau, ehe sie erneut zuschlug. Die Klinge schlug in die Seite des Baumes ein, bis sie von der anderen Hälfte der Schwertscheide, gestoppt wurde. Dabei grub sie sich auch einige Zentimeter in die Seite des Fremden, welcher laut aufschrie. Von dem Punkt, an dem das Schwert ihn getroffen hatte, begann sein Körper zu gefrieren.

Tinúviel zog ihr Schwert wieder aus dem Baum richtete seine Spitze nun auf das Gesicht des Fremden, doch schob sie die die andere Hälfte der Schwertscheide wieder über die Klinge und versiegelte damit die Flammen. “Alles Okay bei euch?“ fragte sie und sah zu Ryu und Nicole, welche sich zwischenzeitlich aufgerappelt und vom Ort des Kampfes entfernt hatten. Als Tinúviel sie ansprach, nickten die beiden.

“Ja, danke. Du hast uns wirklich gerettet.“ Nicole trat vor und schüttelte ihre Hand. “Danke.“

“Ich muss mich auch bedanken. Aber was tust du hier?“ fragte Ryu und musterte sie. Im Gasthaus hatte Tinúviel meist Kimonos getragen, welches im Vergleich zum Aussehen der Stadt ein wenig deplaziert gewirkt hatte, aber immer ziemlich gut aussah. Nun trug sie stattdessen einen ärmellosen, bodenlangen schwarzen Mantel, welcher auf dem Rücken eine stilisierte Flamme trug und einen roten Pelzkragen hatte, welcher ein wenig an Flammen erinnerte. An den Armen trug sie stabile Armschienen aus Metall mit rotgoldenem Dekor, ebenso an den Beinen. Unter dem Mantel trug sie eine schwarze Hose und ein rotes Oberteil mit langen Ärmeln. Ihr Feuerrotes haar trug sie nun offen. Selbst wer sie noch nie kämpfen gesehen hatte, in diesem Outfit konnte man spüren, das sie eine überaus erfahrene Kämpferin war.

Sie sah zu Ryu, schloss dann aber die Augen. Sie nahm sich die Zeit, Ihr Schwert wieder auf ihrem Rücken zu befestigen, ehe sie ihm antwortete: “Ich bin euch gefolgt. Ich finde euch überaus interessant.“ Sie schmunzelte leicht. “Ein Land ohne Magie? So etwas habe ich noch nie gehört. Deshalb habe ich mich etwas später nach eurem Aufbruch entschlossen, euch zu folgen.“

“Das wird eine große Hilfe sein. Offenbar kommen wir ohne eigene Magie nicht weit.“

“Sieht so aus.“ Meinte nun auch Nicole und blickte zu dem Fremden, welcher mittlerweile ohnmächtig geworden war. Das Eis hatte sich mittlerweile über seinem gesamten Brustkorb ausgebreitet. “Was passiert nun mit ihm?“

“Mit dem? Das Eis wird sich ausbreiten, bis er völlig eingeschlossen ist. Nach etwa einer Woche wird es sich wieder auflösen. Wenn er bis dahin überlebt hat, hat er Glück gehabt.“ Tinúviel zuckte mit den Schultern und sah wieder zu den beiden. “Ihr solltet euch umziehen. Ihr seid völlig durch nässt.“

“Wir haben aber nichts zum Wechseln dabei.“ Nicole sah zu Ryu. “Das haben wir völlig vergessen in der Stadt.“

“Stimmt. Daran hatte ich auch nicht gedacht. Dann müssen sie eben so trocknen.“

Er sah sich um. “Sammeln wir etwas Holz, um ein Feuer zu machen.“ Sie teilten sich auf und kamen nach einigen Minuten mit genügend Holz wieder zurück. Tinúviel reichte Nicole ein einfaches, weißes Kleid, mit welchem sie im Gebüsch verschwand, während Ryu sich bereits auszog und seine Sachen auf Ästen neben dem Feuer auf hing. Seine Hose trug er noch, da es ihn nur am Oberkörper erwischt hatte. Er setzte sich auf einen Baumstumpf und sah zu Tinúviel.

“Was war das für Magie?“ fragte er sie neugierig.

“Das? Das war die so genannte Bändigungsmagie. Die, die diese Magie nutzen, sind nicht in der Lage, die Elemente aus eigener Kraft zu erzeugen. Stattdessen manipulieren die Elemente in ihrer Umgebung.“ Erklärte Tinúviel und sah zu ihm. “Diese Magie kann durchaus mächtig sein. Aber sie hat nun mal den Nachteil, dass man eine äußere Elementare Quelle braucht. Ist diese nicht gegeben, hat man Pech gehabt.“

“Und was ist mit deiner Magie?“

“Meine Magie? Sogenannte Waffenmagie.“ Sie zog ein kleines Messer aus ihrem Stiefel. “Ich kann meine Magie nur durch eine Klingenwaffe Kanalisieren. Ohne ein Schwert oder Messer kann ich mit meiner Magie nur wenig anfangen.“

“Wie verwirrend.“ Ryu seufzte und lehnte sich zurück. Waffenmagie… Bändigungsmagie… Wie sollten sie dagegen ankommen? “Und welches ist die mächtigste Magieart?“ fragte er nach einiger Zeit Tinúviel wieder.

“Die mächtigste? Das ist Schwer zu sagen.“ Nachdenklich blickte sie in den Himmel. “Wenn du erfahren im Umgang mit Magie bist, ist jede Magieart mächtig. Aber meiner Meinung nach ist Beschwörungsmagie eine sehr mächtige Art, zu zaubern.“

“Beschwörungen? Ich verstehe. Das klingt logisch.“

“Wenn du mehr wissen willst, dann schau in den schlaues Buch.“ Tinúviel steckte das Messer wieder weg. “Deine Begleiterin braucht aber lange.“

“Bin ja schon da.“ Nicole kam aus dem Gebüsch und seufzte leise. “Ich mag keine Kleider.“

“Aber es sieht doch nett aus.“ Meinte Ryu und sah zu ihr. “Und bei unserem ersten Treffen hast du doch auch eines getragen.“

“Aber auch unfreiwillig.“ Sie seufzte und setzte sich. “Ich wollte die Uniform erst am Sonntag anziehen, aber dummerweise war das Kleid sonst das einzigste, was meine Mutter mir eingepackt hatte.“

“Ich verstehe.“ Ryu schmunzelte und schloss die Augen.
 

“Wir sollten uns für heute ein Nachtquartier suchen.“ Tinúviel stand auf der Kuppe eines kleinen Hügels und sah sich um. “Es sieht nach Regen aus. Wir sollten also das zelt aufbauen.“ Sie drehte sich um und sah zu Nicole und Ryu, welche grade zu ihr den Hügel hinauf gekommen waren. Sie hatten so lange am Fluss gerastet, dass der Fremde am Baum mittlerweile völlig vom Eis eingeschlossen worden war. Eigentlich waren sie noch nicht müde, doch Tinúviel hatte Recht: wenn es anfing zu regnen, dann konnten sie nicht weiter. Und diesen Wolken nach zu urteilen war es nicht nur ein leichter Schauer.

Tinúviel ging zu einer flachen Stelle auf der Kuppe des Hügels und holte ein Paket aus ihrer Tasche, aus welchem sie Stoffbahnen und Holzstangen entnahm. Nach wenigen Minuten hatte sie ein Zelt von der Größe eines Pavillons aufgebaut. Sie sah zu Nicole und Ryu, welche staunend zu gesehen hatten.

“Nach euch. Nur herein.“ Meinte sie und lächelte. Ryu war der erste, der hinein ging. Es war groß genug, das sie sogar noch zu sechst genug Platz gehabt hätten. Und in der Mitte war eine Öffnung im Dach, so das man im Zelt sogar ein Feuer entfachen konnte. Ryu stellte den Rucksack ab und sah zu Tinúviel, welche nun ebenfalls mit Nicole herein kam.

“Wirklich erstaunlich. Bei dem kleinen Päckchen, das du aus der Tasche geholt hattest, hatte ich nicht erwartet, das es doch so groß ist.“

“In der Tat.“ Bestätigte auch Nicole. “Bei uns hätte man an so einem Zelt ziemlich schwer zu schleppen. Das ist wirklich praktisch.“

“Das ist nur ein Taschenspielertrick, welcher nun einmal mittels Magie möglich ist. Ihr werdet schon noch sehen, das dort noch um ein vielfaches mehr geht.“ Tinúviel warf ihre Tasche in eine Ecke und hing ihr Schwert an einer Halterung an einem der Stützpfosten auf. “Ich würde sagen, wir bereiten unser Lager vor und essen in aller Ruhe.“

“Gute Idee.“ Nicole nickte. “Ich helfe dir beim Vorbereiten.“

“Dann hole ich eben Holz.“ Sagte Ryu und verließ das Zelt wieder.

Eine halbe Stunde später saßen sie an einem prasselnden Feuer. Und mittlerweile hatte es auch angefangen zu regnen. Und wie sie vermutet hatten, war es nicht nur ein Schauer. Der Regen kam in Bindfäden runter und prasselte hart auf das Zeltdach.

“Richtig gemütlich.“ Meinte Nicole schmunzelnd, während sie nach draußen sah. “Draußen regnet es, und wir sitzen hier schön am prasselndem Feuer. Das könnte ich ruhig öfters so haben.“

“Wäre gut möglich, das dass so kommt. Hier in Elodinir regnet es oft. Mal mehr, mal weniger stark.“ Auch Tinúviel sah raus, während sie im Feuer rumstocherte. Ab und sah auch nach dem Fleisch, welches über dem Feuer hing. “Das hier ist jetzt momentan schon ein stärkeres Gewitter.“

“Ist das nicht schwer, wenn es so oft regnet?“

“Aber nein. Ihr seht doch, dem Wald tut es gut.“ Tinúviel stach nun mit einem Messer ins Fleisch und überlegte. “Das Fleisch ist fertig. Wollt ihr etwas?“

Oh ja. Liebend gerne.“ Nicole schnappte sich einen der hölzernen Teller und rutschte näher ans Feuer. Das Fleisch roch bereits gut und erfüllte das Zelt mit seinem Duft. Tinúviel schnitt es an und verteilte Fleisch auf drei Teller. Als Beilage gab es frisches Brot und Wurzelgemüse, das sie zufällig in der Nähe ihres Lagers gefunden hatten.

Ryu hatte noch nicht mit bekommen, das dass Essen fertig war. Er saß auf seinem Lager und blätterte in dem Atlas, den er sich besorgt hatte. Er hatte den Ort gefunden, an dem sie rasteten. Auf der Karte jedoch sah es aus, als hätten sie sich kaum von Nirás entfernt. Wenn es in dem Tempo weiter ging, dann bezweifelte er, das sie die Hauptstadt in einer Woche erreichen würden. Und das hieß, noch länger in dieser Welt bleiben, während ihre Familien sich Sorgen um ihn und Nicole machten. Oder zumindestens Nicoles Familie. Immerhin war sie noch Schülerin und wohnte bei ihren Eltern, wie sie ihm mal verraten hatte. Ryu hingegen war ein erwachsener Mann ohne Frau oder Kinder, und seine Eltern und Geschwister lebten weit weg von Tokyo. Am ehesten waren es wohl die Mitarbeiter seines Verlages, die ihn vermissen würden.

“Ryu.“

Ryu überlegte weiter. Würde man ihnen in der magischen Akademie helfen können? Es war sicherlich kein einfacher Zauber, sie beide zurück zu schicken. Zumindestens vermutete er das.

“RYU!“

“Hm? Was ist?“ verwirrt sah er auf. Nicole stand vor ihm und hielt ihm einen Teller hin.

“Na, das Essen ist fertig.“ Sie seufzte. “Meine Güte, bist du am träumen?“ Sie stellte den Teller ab und setzte sich neben ihn. “Hast du etwas?“

“Nein. Nein, es ist alles in Ordnung.“ Er nahm den Teller und aß etwas. Nicole sah noch mal zu ihm und seufzte, dann begann sie ebenfalls zu essen.
 

Am nächsten Morgen kam Ryu als erster aus dem Zelt. Der Regen hatte mittlerweile aufgehört, stattdessen lag nun dicker Nebel unterhalb des Hügels, auf welchem sie gerastet hatten. Der war klar und die Luft frisch. Er atmete tief ein und schloss die Augen. Diese frische Luft tat wirklich gut. Und zusammen mit dem Duft des Waldes erinnerte es ihn an die Campingausflüge, die er früher gerne mit seiner Familie unternommen hatte. Er überlegte und schlug noch mal den Atlas auf. Sie hatten gestern nur so wenig Weg zurück gelegt, weil sie am Bach zu lang gewartet hatten, bis ihre Kleider trockneten. Doch heute würden sie hoffentlich weiter kommen. Nach einigen Minuten ging er wieder rein und schnitt die Reste des Fleisches von gestern Abend klein. Ein sehr gehaltvolles Frühstück, doch was anderes hatten sie nicht. Also musste es damit gehen.

Erst nach einer halben Stunde wurde auch Nicole wach. Sie streckte sich und gähnte ausgiebig, ehe sie sich verschlafen umsah. “Du bist schon wach, Ryu.“ Nuschelte sie verschlafen und befreite sich aus ihrer Decke. “Wie lange schon?“

“Noch nicht lange. Eine halbe Stunde vielleicht.“ Er sah zu ihr. “Hast du gut geschlafen?“

“Sehr gut! Und du?“ Sie sah sich um. “Wo ist eigentlich Tinúviel?“

Ryu sah zum Lager der Halbelfe. Tatsächlich war dieses leer. Die Felldecke lag ordentlich gefaltet am Fußende. Doch ihr Gepäck war noch da, also gab es keinen Grund, sich Sorgen zu machen. Er zuckte mit den Schultern und reichte Nicole etwas vom Fleisch. “Offenbar ist sie raus gegangen. Sie kommt sicherlich bald wieder.“

“Vermutlich.“ Nicole überlegte und sah zu ihm. “Bist du sicher, das wir in der Hauptstadt Hilfe bekommen werden?“

“Ich will es hoffen. Es gibt dort eine magische Akademie. Und das bedeutet, das es dort sehr mächtige Magier geben muss.“ Er überlegte und aß etwas. “Probieren schadet nicht.“

“Und wenn es nicht funktioniert?“

“Dann weiß ich auch nicht.“ Er schüttelte den Kopf. “Dann müssten wir erstmal weiter sehen.“

“Eigentlich will ich aber gar nicht so schnell wieder von hier weg.“ Sie grinste. “Ist doch spannend hier.“

“Spannend? Wir wären gestern von diesem Typen beinahe getötet worden. Ohne eigene Magie kommen wir hier nicht weit.“

“Weiß ich auch.“ Nicole seufzte. “Ich bin hin und her gerissen.“ Sie stand auf. “Aber egal. Lass uns schon mal alles vorbereiten für die Abreise, bis Tinúviel wieder da ist.“

Ryu nickte und ging mit Nicole hinaus. Während sie die Teller abwusch, baute Ryu das Zelt ab. Das hieß, er versuchte es. Denn irgendwie war diese Konstruktion doch so fremdartig, dass er einfach nicht zu Recht kam.

Nach einigen Minuten kam Tinúviel schließlich wieder. Ryu kämpfte immer noch mit den Zeltbahnen, mittlerweile unterstützt von Nicole. Als sie Tinúviel merkte, sah sie zu ihr.

“Hilf uns. Wir kommen nicht klar.“

“Was für ein Chaos.“ Tinúviel seufzte und kam zu ihnen. Mit einem Handgriff hatte sie die beiden befreit, mit einem weiteren das Zelt verstaut. “So macht man das.“

“Danke, Tinúviel.“ Nicole grinste. “Das war wirklich kompliziert.“

“Das ist doch leicht. Aber egal.“ Tinúviel sah die beiden an. “Ich nehme an, ihr seid bereit, weiter zu reisen?“

“Natürlich. Allzeit bereit.“ Meinte Nicole grinsend und legte sich ihre Tasche um. “Gehen wir.“ Sie sah noch mal zu den beiden, ehe sie los lief.
 

Die nächsten drei Tage reiste die kleine Gruppe ereignislos weiter. Kleinere Pausen nutzte Tinúviel, um mit Ryu und Nicole zu trainieren. Wenn sie schon keine Magie hatten, dann mussten sie ihre Fähigkeiten mit der Waffe verbessern. Nicole als Martial Arts Kämpferin zeigte einiges an Talent. Einmal hätte sie es sogar beinahe geschafft, einen Treffer gegen Tinúviels Schulter zu landen.

Ryu, als Schütze hingegen, war unzufrieden. Die Waffe, die er in Nirás gekauft hatte, war einfach zu schwach. Das Kaliber war einfach zu klein, sämtliche Kugeln schmolzen, bevor sie auch nur annähernd an Tinúviel ran kamen. Tinúviel sah zu den beiden und beobachtete ihre Bewegungen. Dieses Mal kämpften Nicole und Ryu gemeinsam gegen sie. Dabei benutzte sie ihr Schwert nicht, sondern eines der Messer, welches immer in ihrem Stiefel steckte. Langsam schlich Ryu sich von links an sie heran. Wenigstens einmal wollte er einen Treffer landen. Als Tinúviel ihn plötzlich angriff, sprang er zurück und schoss auf ihre Schulter. Doch erneut schmolz die Kugel, bevor sie Tinúviel auch nur annähernd treffen konnte. Er blockte den Angriff des Messers mit seinem Revolver, ehe er ihrem Arm packte.

“Ich hab dich!“ Während er Tinúviel fest hielt, griff Nicole sie von der Seite an. Doch Sie verzog keine Mine.

“Es ist ein böser Fehler, einen erfahrenen Kämpfer derart fest zu halten.“ Sie warf das Messer von einer Hand in die andere, welches sie blitzschnell an Nicoles Hals legte. Mit der anderen drehte sie Ryu den Arm auf den Rücken.

“Argh! Okay. Okay.“ Keuchte Ryu vor Schmerz, worauf sie ihn wieder los ließ. Er rieb sich die Schulter und seufzte. Keine Chance. Er hatte einfach keine Chance gegen sie. Und Nicole erging es kaum anders. Diese hatte ihren Angriff gestoppt, nachdem sie die Klinge an ihrem Hals gespürt hatte. Tinúviel steckte das Messer wieder weg.

“Das wird schon noch. Ihr seid beide ziemlich gut.“ Beurteilte sie das Training und sah zu den beiden. “Wir müssen einfach so weiter machen.“

“Wenn es dann noch nötig ist, so bald wir die Hauptstadt erreichen.“ Ryu klopfte sich den Dreck vom Mantel und seufzte, ehe er seine Waffe wieder lud. Zum Glück hatte der Händler in Nirás ihm sämtliche Munition mit gegeben, die er gehabt hatte.

Er sah auf, als man plötzlich ein Knirschen hören konnte. Auch Tinúviel und Nicole sahen sich verwirrt um. Die drei rückten näher zusammen, Rücken an Rücken und spannten sich an. Die Geräusche wurden stärker, und nun begann sich auch der Boden unter ihnen zu bewegen.

“Könnte… Könnte das Erdmagie sein, Tinúviel?“

“Gut möglich.“ Tinúviel legte eine Hand an den Griff ihres Schwertes. “Seid auf jeden Fall wachsam!“

Ryu und Nicole nickten. Ryu entsicherte seine Waffe, Nicole ging in Angriffsposition. Doch es half nichts. Mit einem Lauten Knirschen riss der Boden zwei Meter neben ihnen auf, und sie stürzten hinab in die Dunkelheit.

Tinúviel kam als erste wieder zu sich. Sie richtete sich auf und blickte sich um. Sie waren in einem Tunnel. Wie tief, das wusste sie nicht, doch das Licht aus dem Riss, durch welchen sie gestürzt waren, konnte den Tunnel kaum noch erleuchten. Auf diesen Weg kamen sie nicht so schnell wieder raus. Sie seufzte und zog das Messer aus ihrem Stiefel, welches daraufhin wie eine Fackel Feuer fing. “Rausklettern können wir nicht.“ Murmelte sie und blickte sich um. Und in eine Richtung war der Tunnel versperrt, also gab es nur einen Weg, den sie gehen konnten. Sie seufzte und stieß Nicole und Ryu an, welche schließlich auch zu sich kamen.

“Mein Kopf.“ Stöhnte Nicole auf und stand auf. Sie hielt sich den Kopf. “Was ist geschehen?“

“Wie es aussieht, haben wir mit unserem Training für den Zusammenbruch dieses alten Tunnels gesorgt.“ Tinúviel sah zu ihnen. “Alles okay bei euch?“

“ich denke schon. Mit Ausnahme der Kopfschmerzen.“ Seufzte Nicole und blickte sich um.

“Bei mir nicht.“ Ryu hielt sein Handgelenk. “Ich glaube, ich habe mir was gestaucht.“

“Auch das noch. Zeig mal her.“ Tinúviel kniete neben Ryu und steckte das brennende Messer in die Wand. Sie tastete Ryus Handgelenk ab. “Scheint zum Glück wirklich nur gestaucht zu sein. Da hab ich was.“ Sie holte eine kleine Flasche, eine Tube und einen Verband aus der Tasche. Zu erst rieb sie eine Salbe auf sein Handgelenk, ehe sie die Verbände mit einer Flüssigkeit tränkte und ihn verband. “So. Fürs erste sollte es reichen. Aber in der Hauptstadt solltest du einen Heiler aufsuchen.“

Ryu tastete den Verband ab. Die Mittel wirkten, es tat bereits nicht mehr weh, die Hand zu bewegen. Und dennoch wusste er, dass er sie nicht überbeanspruchen sollte. “Danke.“ Er nickte und stand auf. Tinúviel räumte ihre Sachen wieder ein und nahm das Messer aus der Wand.

“Wie es aussieht, gibt es nur einen Weg.“ Meinte Ryu, nachdem er sich umgesehen hatte. Tinúviel nickte und ging voran, da sie das Licht trug. Der Tunnel war lang und ohne die kleinste Abzweigung. Sie wanderten eine Stunde, sie wanderten zwei Stunden, doch es war einfach kein Ende in Sicht.

“Kennst du diese Tunnel hier, Tinúviel? Wo führen sie hin?“ fragte Ryu, während sie weiter gingen. Doch Tinúviel schüttelte den Kopf.

“Keine Ahnung. Doch diese Gänge scheinen uralt zu sein.“ Sie drehte sich zu den beiden um. “Ich vermute, es ist wohl eine Art Fluchtunnel. Entweder kommen wir irgendwo im Freien wieder raus, oder aber in irgendeinem alten Gemäuer.“

“Ein altes Gemäuer?“ Ryu holte ein Buch aus seinem Rucksack hervor und schlug es auf. Es war ein Buch über Schlösser, Klöster und Ruinen in Elodinir. Die nächste Stunde verbrachte er mit Lesen, während sie weiter gingen. Doch irgendwann schlug er das Buch wieder zu und seufzte. Es gab viele alte Gemäuer in diesem Land, doch alleine aus diesem hatte er leider auch nicht schließen können, wo sie wohl waren.

“Ich glaube, ich sehe da vorne ein Licht.“ Nicole lief etwas vor und blieb neben Tinúviel stehen. Tatsächlich, in einigen hundert Metern war ein heller Lichtpunkt zu sehen. “Wer zuerst da ist!“ Nicole grinste und lief los. Die anderen beiden sahen ihr jedoch nur nach und gingen normal weiter. Nach zehn Minuten erreichten sie Nicole, welche bereits vor ihnen den Tunnel verlassen hatte.

Der Tunnel hatte die Gruppe in Gebäude geführt. Sie standen nun einem langem Korridor, von dem einige Türen und weitere Gänge abgingen. Der Staub lag Zentimeterdick auf dem Boden und es gab viele Spinnenweben. Offensichtlich ist lange niemand mehr hier gewesen. Und doch wurden die Gänge durch Fackeln mit strahlend weißen Flammen erhellt. Tinúviel löschte das Feuer an ihrem Messer und ließ es in ihre Armschiene gleiten. “Ewige Flammen.“ Sie nahm eine der Flammen aus ihrer Halterung. “Einer der schwierigsten Feuerzauber überhaupt. Seit fünfhundert Jahren gibt es niemanden mehr, der sie beherrscht.“ Sie sah zu den anderen beiden. “Das hier ist vermutlich eine über fünfhundert Jahre alt Ruine.“

“So sieht es hier auch aus.“ Nicole grinste. “Sollen wir die Räume durchsuchen? Vielleicht finden wir einen Schatz.“

“Wir sollten lieber schauen, das wir hier raus kommen, Nicole.“ Meinte Ryu und schüttelte den Kopf.

“Ich weiß, ich weiß.“ Nicole seufzte. “Aber vielleicht führt einer dieser Räume ja auch hier raus.“

“Ich wäre auch dafür, uns hier umzusehen, Ryu.“ Fügte Tinúviel hinzu. “Vielleicht findest du hier eine neue, stärkere Waffe.“

“In solch einem alten Gemäuer?“ er schüttelte den Kopf. Das bezweifelte er stark. Dennoch stand es zwei gegen einen. “Na gut, dann sehen wir uns eben ein wenig um.“ “Juhu. Dann mal los.“ Nicole wollte die erste Türe aufreißen, doch Tinúviel hielt ihre Hand fest.

“Steh nicht so offen direkt vor der Türe.“ Meinte sie und zog Nicole ein wenig zur Seite. “Es könnte Fallen geben, also seid immer vorsichtig, wenn ihr eine Türe öffnet und den Raum betretet.“ Tinúviel drehte am Griff und öffnete die Türe vorsichtig. Nichts geschah. Sie ließ das Messer wieder aus ihrer Armschiene gleiten und warf es in den Raum. Ein metallisches Knirschen ertönte und aus dem Boden schossen Metallstacheln. “Seht ihr?“ Sie betrat nun den Raum und blickte sich um. Es gab einen Bett, einen Schrank, einen Tisch und Stühle. Generell sah der Raum danach aus, als hätte eine Person hier gelebt. Doch gab es hier nichts Wertvolles. Offenbar hatte der ehemalige Bewohner nicht gewollt, dass jemand hier rumschnüffelt.

Sie durchsuchten Raum an Raum in diesen unterirdischen Gängen, doch finden taten sie nur wenig. Der größte Fund war ein kleiner Sack mit Gold, den jemand in einem Geheimfach im Schrank versteckt hatte. Doch nach Tinúviels Meinung waren die Münzen als Zahlungsmittel nicht mehr zu gelassen, da sie ebenfalls über fünfhundert Jahre alt waren. Im letzten Korridor schließlich fanden sie eine Treppe, welche nach oben führte.

“War ja nicht sehr ergiebig, diese Schatzsuche.“ Seufzte Nicole, während sie nach oben gingen. “Vermutlich waren schon viele andere vor uns hier.“

“Gut möglich. Aber es hat Spaß gemacht.“ Antwortete Tinúviel und machte kurz. Ryu sprach derweil überhaupt nicht. Er war wieder in das Buch über die Schlösser in Elodinir vertieft. Er hatte jetzt so einiges von diesem Gemäuer gesehen, doch eine Identifikation war immer noch schwierig. Er wurde erst aus seinen Gedanken gerissen, als er Tinúviel flüstern hörte: “Da sind Stimmen. Wir sind nicht alleine.“ Sie sah zu den beiden. “Haltet euch bereit.“ Nicole nickte und zog ihre Handschuhe an, während Ryu seine Waffe entsicherte. Die Treppe hatte die Gruppe in einen kleinen Raum mit großen Rundbogenfenstern geführt, durch welche man allerdings nur in eine Höhle sehen konnte. Auch hier lag dicker Staub, als wäre er Jahrhunderte nicht mehr genutzt worden. Die fremden Stimmen drangen durch ein großes Portal mit großen Flügeltüren.

“Sehr schön. Wir haben es endlich gefunden.“ Hörte man eine Stimme lachen. “Vor fünfhundert Jahren verschollen gegangen, doch nun von uns wieder gefunden.“ Mann konnte lautes Gegröle holen. Es hörte sich nach einer größeren Gruppe an. “Und niemand seiner Anhänger ist hier. Niemand kennt mehr diesen Ort. Wir können also unsere Aufgabe ohne Störung voll richten.“ Wieder antwortete die Gruppe mit lautem Gegröle. “Verzeih uns, großer Fendrir, das wir hier einfach so eindringen.“ Dann wurden die Stimmen leise, so dass sie nichts mehr hören konnten.

“Fendrir.“ Murmelte Tinúviel leise starrte auf die Türe. Sie hatte eine Gänsehaut. “Sind wir hier etwa in Fendrirs verschollenem Tempel?“ Sie ging einen Schritt von der Türe zurück. “Der verschollene Tempel.“

“Tinúviel? Was ist los?“ Nicole hielt sie am Arm fest. “Wer oder was ist Fendrir?“

“Fendrir.“ Tinúviel sah zu ihr. “Fendrir ist die Schutzgottheit unseres Landes. Aus bisher unbekannten Gründen verschwand sein Tempel vor fünfhundert Jahren aber von der Karte.“ Sie fasste sich langsam wieder. “Was haben diese Fremden nur mit dem Tempel vor?“

Sie sah zur Türe durch welche man nun wieder die Stimme hören konnte: “Okay! Dann wollen wir mal anfangen, ihr Irrlichter!“

“Die Irrlichter? Oh nein!“ Tinúviel knurrte auf und stürzte aus dem Raum. Sie konnten Schreie hören, ehe Nicole und Ryu ihr folgten. Hinter den Türen erwartete sie eine gigantische, aber beinahe völlig leere Kammer. Auf dem Boden war ein großes Mosaik, welches einen Moosgrünen Drachen zeigte. Die Wände und Säulen waren mit goldenen Platten bedeckt. Die beiden standen vor einem goldenen Altar, welcher zwischen den Beinen einer gigantischen Statue zu stehen schien.

Tinúviel war mitten in eine Versammlung von fünfzehn Personen gestürmt. Sie hatte ihr Schwert gezückt, welches sie nun mit dem eines großen Mannes mit Glatze kreuzte. Die anderen Männer standen geschockt um die beiden herum.

“Nicole! Ryu!“ rief Tinúviel ihnen zu. “Haltet diese Typen um jeden Preis auf!“ sie stieß den Glatzkopf weg und löste eine Hälfte ihrer Schwertscheide vom Schwert. “Ihr werdet es bereuen, hier her gekommen zu sein!“ rief sie dem Glatzkopf zu.

“Sie scheint aus irgendeinem Grund ziemlich wütend zu sein.“ Meinte Nicole zu Ryu, während sie einem Angriff der anderen Männer auswich. Auch Ryu wich aus und nickte.

“Sie wird es uns sicherlich noch erklären.“ Antwortete er und schoss auf einen der Männer. Er traf ihn in die Schulter, und der Mann wich keuchend zurück. Ryu beobachtete das und schmunzelte. Also war diese Waffe doch nicht ganz nutzlos.

Gemeinsam schalteten Ryu und Nicole viele Männer der aus. Am Ende standen nur noch zwei von ihnen: einer, etwa so groß wie Nicole, mit olivgrünem, fettigem Haar, bewaffnet mit zwei Dolchen. Der andere war deutlich größer und kämpfte mit einer Axt.

“Die sehen deutlich härter aus.“ Meinte Nicole und spannte sich an. “Das wird vermutlich schwer werden.“

“Höchstwahrscheinlich.“ Er öffnete die Trommel seines Revolvers und ließ die verbrauchten Patronen zu Boden fallen. Er griff in seine Munitionstasche und erstarrte. Langsam zog er die Hand raus. Nur noch drei Patronen? Wie konnte das sein? So viele hatte er in diesem Kampf doch gar nicht verbraucht. Hatte er etwa welche verloren, als sie in diesen Tunnel hinab gestürzt waren?

“Sie kommen, Ryu. Alles okay bei dir?“

“Muss es wohl.“ Er lud die Waffe und zielte, doch da war der große schon bei ihm und schlug zu. Er blockte wieder mit seiner Waffe ab, doch die Wucht des Schlages schleuderte ihn zurück. Er prallte gegen den Altar und keuchte auf. Er sah, wie der große näher kam und mit der Axt zuschlug. Er rutschte an dem Altar runter, so dass sein Gegner nur dessen goldene Oberfläche traf. Er schoss ihm in die Schulter und rutschte weg. Sein Gegner schien die Wunde jedoch kaum zu spüren. Er griff einfach immer weiter an, und Ryu hatte Probleme, erneut anzugreifen. Er musste den Schwachpunkt dieses Mannes heraus finden, um ihn lahm zu legen. Er hatte nur noch zwei Patronen, und wenn er ihn damit außer Gefecht setzten konnte, hatte er ein Problem.

Nicole kämpfte mit dem kleineren der beiden. Sie war sehr schnell, allerdings war es ihr Gegner auch. Sie hatten schon einige Treffer ausgetauscht, ihre Arme waren mit Schnittwunden übersät, und ihre Handschuhe waren ebenfalls leicht in Mitleidenschaft gezogen worden. Sie beobachtete ihn und überlegte. Er hatte keine festen Angriffsmuster, also musste sie versuchen, einen Glückstreffer zu landen. Sie lief auf ihn zu und täuschte einen Angriff auf die Brust an. Als er diesen abblocken wollte, ging sie runter und trat ihm die Beine weg, ehe sie mit der flachen Hand auf seine Brust zielte. Doch er rollte sich weg und Nicole traf nur den blanken Boden. Sie verzog das Gesicht und rutschte schnell weg, ehe ihr Gegner sie angreifen konnte.

Ryu wich einem Axthieb des großen aus. Er sprang auf den Altar und lief zur Seite, so dass er hinter seinen Gegner kam. Er zielte und schoss erneut in die Schulter, die er beim ersten mal schon getroffen hatte. Und dieses Mal zeigte es offenbar Wirkung. Der große stöhnte vor Schmerz auf und hielt die Hand an die Wunde. Ryu nutze den Moment und schoss erneut, dieses mal auf die Hand, mit welcher sein Gegner seine Wunde bedeckte. Wenn er seine Schulter und seine Hand nicht würde bewegen können, dann würde er Ryu auch nicht mehr angreifen können. Er packte ihn am Kragen und trat ihm gegen die Knie, um ihn zu Boden zu bringen. Sein Gegner war jedoch stärker. Er packte Ryu und schleuderte auf den Altar. Mit seiner durchlöcherten Hand hielt er Ryu auf dem Altar fest, während er mit der anderen die Axt hob.

Das war es. Ich habe versagt. Überlegte er und zappelte. Er wollte hier nicht sterben. Doch was sollte er tun? Nicole und Tinúviel waren zu beschäftigt, um ihm helfen.

Ein plötzliches Klicken erregte seine Aufmerksamkeit. Die Trommel seines Revolvers, welcher neben ihm lag, hatte sich selbstständig weiter gedreht, auf die leere Kammer. Doch diese war nicht mehr leer. Dort war auf einmal eine vierte Patrone drin. Er packte die Waffe und schoss. Er traf die Schneide der Axt, welche in tausend Stücke zersprang. Überrascht ließ der Große Ryu los, welcher sofort aufsprang. Auf dem Altar lag eine Munitionskiste, welche er sich griff und nachlud. Erneut schoss er auf seinen Gegner, welcher nicht mehr reagieren konnte. Er traf die Schulter, Oberschenkel und in die Füße. Der Große ging in die Knie und Ryu sprang vor. Er schlug ihn mit dem Griff der Waffe gegen die Schläfe und knockte ihn damit aus. Keuchend lehnte er sich an den Altar und schloss die Augen. Er hatte es geschafft.

Nicole wankte und wich zurück. So langsam wurde sie müde. Sie schaffte es einfach nicht, diesen Typen fertig zu machen. Sie beobachtete ihn und zischte wütend. Er griff wieder an. Sie wollte ausweichen, doch sie strauchelte über den Körper eines der anderen Männer, welche immer noch am Boden lagen. Ihr Gegner holte zum Schlag aus und sie riss die Arme hoch zum Schutz. Er traf ihre Handschuhe. Doch sie spürte nichts. Es war, als läge eine unsichtbare Panzerung um ihre Hände. Kurz sahen beide verwirrt auf das Schwert, dann packte sie seine Hand. Sie zog ihn zu sich und schlug ihm die Faust in den Magen. Sie konnte es spüren: Irgendwas war anders. Sie schlug mit voller Kraft zu, doch irgendwie war es um ein Vielfaches Stärker, als sie es normalerweise kannte. Sie ließ ihn zurück taumeln, dann sprang sie vor und griff erneut an. Er blockte noch ab mit seinen Schwertern, Doch ihr schlag zertrümmerte die Klingen einfach. Sie traf ihn an der Brust und er wurde zurück geschleudert, gegen den Altar, ehe er auf seinem Partner landete. Keuchend ging sie in die Knie und schloss die Augen. Sie war so erschöpft.

“Wirklich sehr gut.“ Tinúviel kam zu ihr. “Ihr habt gut gekämpft.“ Sie strich eine Salbe auf Nicoles Wunden.

“Was war hier los? Wieso hast du diese Typen so plötzlich angegriffen?“ fragte Nicole und sah sie an.

“Diese Typen nennen sich Irrlichter.“ Erklärte sie und versorgte Nicole weiter. “Sind die Anhänger einer Religion, die den Drachen Rhyot verehrt. Er ist der Schutzgott des gleichnamigen Nachbarlandes und ihren Augen der größte Rivale Fendrirs. Sie wollten diesen Ort hier zerstören.“ Sie schüttelte den Kopf und verband die vielen Schnitte an Nicoles Armen, ehe sie zu Ryu ging. “Alles in Ordnung bei dir?“

“Bis auf mein Handgelenk, das wieder schmerzt, und ein paar blaue Flecken geht es mir gut.“ Bestätigte er und seufzte. “Aber was ist geschehen? Ich war in der Klemme und hatte keine Munition mehr. Doch als drauf und dran war, zu sterben, habe ich das hier auf dem Altar gefunden.“ Er zeigte Tinúviel die Munitionskiste, die er gefunden hatte. Sie nahm eine der Kugeln raus und musterte sie.

“Munition, mit Erdmagie ummantelt. Damit könntest du leichtere Panzerungen durch schlagen.“ Sie reichte ihm die Kiste wieder und zog Ryu vom Altar weg. Mit der anderen Hand nahm sie Nicole an der Hand und führte die beiden in die Mitte des Bodenmosaiks. “Seht, das ist Fendrir. Der Hüter des Waldes, Schutzgott Elodinirs und der Waldelfen.“ Sie zeigte auf die Statue, unter welcher der Altar gestanden hatte. Nicole und Ryu kamen aus dem Staunen nicht mehr raus. Die Halle war an die fünfzig Meter hoch und dreimal so breit. Der Altar stand zwischen zwei goldenen Sockeln, auf welchen wiederum die gigantische Statue eines Drachen aufgebaut war. Er stand auf den Hinterbeinen, die Vorderbeine leicht gestreckt wie zum Sprung, den Kopf zu einem stummen Brüllen erhoben. Seine Flügel waren beinahe auf die gesamte Länge des Raumes ausgebreitet, gehauen aus Obsidian, mit Einlagen aus Smaragden und Gold. Und obwohl hier seit fünfhundert Jahren keiner mehr gewesen muss, war die Statue immer noch blank poliert.

“Die Munition, die du gefunden hast, war wahrscheinlich ein Geschenk von ihm. Weil du für den Erhalt seines Tempel gekämpft hast.“ Erklärte Tinúviel und sah zu ihm. “Und dir hat er vermutlich auch geholfen, Nicole.“

“Vermutlich.“ Nicole überlegte. “Dieser Typ hatte auf einmal meine Handschuhe nicht mehr treffen können. Als hätte eine unsichtbare Panzerung drüber gelegen. Und meine Schläge fühlten sich plötzlich auch um einiges stärker an.“

“Das war auch Fendrir.“ Tinúviel sah hoch zu der Statue, dann ging sie in die Knie und schloss die Augen. Nicole und Ryu tauschten ein paar fragende Blicke aus, dann taten sie es Tinúviel einfach gleich. Sie richteten in Gedanken beide dieselben Worte an die Statue: Danke, Fendrir.
 

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Kapitel 4 Ende ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
 

Beim nächsten mal:
 

Nach dem Erschöpfenden Kampf in Fendrirs Tempel erreicht die Gruppe endlich Landir, die Hauptstadt. Doch als sie sich ihr nähern, bemerkt Tinúviel, das etwas nicht stimmt. Etwas scheint in der Stadt und vor allem in der magischen Akademie, vor sich zu gehen. Um doch noch Hilfe zu erlangen, müssen sie also schon bald wieder kämpfen. Und dann erwacht auch noch etwas, womit keiner gerechnet hätte.
 

Das nächste Kapitel heißt:
 

Das Erwachen des Lichtes

Das Erwachen des Lichtes

Kapitel 5: Das Erwachen des Lichtes
 

~~~~~~~~~~~~~~~~ Was beim letzten mal geschah ~~~~~~~~~~~~~~~~
 

Nach ihrer Abreise aus Nirás geraten Ryu und Nicole in einen Kampf mit einem Wassermagier, den sie beinahe nicht überleben. Im letzten Moment werden sie allerdings von Tinúviel gerettet, welche sie daraufhin begleitet. Auf der langen Reise zur Hauptstadt trainieren Ryu und Nicole mit ihr, allerdings ohne viel Erfolg. Am Ende eines Trainings bricht ein alter Tunnel unter ihnen ein, welchem sie schließlich in ein altes Gemäuer folgen. Wie sich raus stellt, ist es der Tempel des Schutzgottes des Landes. Dort treffen sie auf die Anhänger eines anderen Gottes, welche den Tempel zerstören wollen, doch die drei gehen dazwischen. Nur mit Mühe und der Hilfe des Schutzgottes Fendrir können Ryu und Nicole schließlich gewinnen.

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Ein paar tage nach dem Kampf im Tempel erreichten sie endlich die Hauptstadt. Sie standen auf einem Hügel und sahen hinab auf die Stadt. Die Gebäude waren alle gleichgroß. Nur drei ragten deutlich über die anderen hinweg: Eine große Kathedrale, der Herrscherpalast und die magische Akademie.

“Seht ihr?“ Tinúviel wies auf den Turm, welcher in der Mitte der Stadt emporragte. “Dieser Turm gehört zur magischen Akademie. Dies ist euer Ziel.“

“Hoffentlich kann man uns dort Helfen.“ Seufzte Ryu und überlegte. “Aber es sieht schon vielversprechend aus.“

“In der Tat.“ Nicole grinste. “Sieht nach Spaß aus.“

“Spaß? Bist du verrückt?“ Ryu sah zu ihr. “Wir wären im Tempel beinahe getötet worden.“ Er schüttelte den Kopf und seufzte.

“Stell dich nicht so an, Ryu. Wir haben es doch überlebt.“

“Aber nur dank Fendrirs Hilfe in letzter Sekunde.“

Tinúviel hörte dem Gespräch der beiden gar nicht mehr richtig zu. Sie war bereits einige Schritte den Hügel hinab gewandert und blickte zu den Toren der Stadt. Irgendwas war hier faul. Die Tore waren geschlossen. Das waren sie normalerweise nie um die Tageszeit. Sie ließ ihr Messer aus ihrer Armschiene gleiten und sah zu Nicole und Ryu.

“Ruhe, ihr beiden!“ zischte sie und winkte die beiden zu sich. “Seid wachsam. Hier ist irgendwas scheint hier nicht richtig zu laufen.“

“Was meinst du, Tinúviel?“ Ryu sah zur Stadt. “Ich sehe nichts ungewöhnliches.“

“Weil du fremd hier bist.“ Tinúviel ging langsam weiter. “Es sind die Tore. Sie sind normalerweise um diese Tageszeit nicht geschlossen. Wir sollten uns vorsichtig nähern.“

“Siehst du das nicht etwas eng? Was soll schon los sein?“ fragte Nicole, während sie ihr den Weg hinab zur Stadt folgte. “So was ändert sich eben manchmal.“

“Denkst du vielleicht.“ Tinúviel sah einfach zu ihr. “Bleib einfach wachsam.“

Sie kamen schließlich an den Stadttoren an. Als sie stehen blieben, kamen einige Wachen aus einem Turm neben dem Tor und bauten sich vor ihnen auf. Einer der Männer trat vor.

“Eure Papiere!“ verlangte er mit strenger Stimme. Nicole konnte sehen, wie Tinúviel das Messer in ihrer Hand etwas fester packte. Dann jedoch zog sie einen kleinen Lederumschlag aus der Tasche und reichte dieses dem Mann.

“Ist irgendetwas geschehen? Was sollen diese Kontrollen plötzlich?“

“Das hat euch nicht zu interessieren!“ Der Mann öffnete den Umschlag und zog die Papiere heraus. “Soll das ein Witz sein? Die Papiere entsprechen überhaupt nicht unseren neuen Normen!“ Die Soldaten legten die Hände an ihre Schwerter.

“Ich habe nie etwas von neuen Normen gehört. Wann sollen die aufgestellt worden sein?“ antwortete Tinúviel. Als die die Soldaten nach ihren Waffen griffen, spannte sie sich noch mehr an und ließ blaue Flammen an ihrem Messer hochzüngeln.

“Vor etwa zwei Monaten wurden sie erlassen.“

“Vor zwei Monaten erst? Ich komme aus Nirás. Da wundert ihr euch, das wir diese Informationen noch nicht bekommen haben?“

“Hm… Klingt logisch.“ Er wandte sich an Ryu und Nicole. “Was ist mit euch beiden?“

Die beiden sahen sich nervös an, dann seufzte Ryu. “Versuchen wir es.“

Nicole nickte und beide zogen ihre Personalausweise raus. Der Soldaten nahm sie und sah drauf.

“Wollt ihr mich zum Narren halten? Was soll das sein?“ Der Soldat zog sein Schwert und richtete es auf Ryu. “Was sollen das für Papiere sein?“

“Wir sind fremd. Bei uns sind die Papiere nun einmal so!“

“Fremd? Der Soldaten sah kurz zu den anderen. “Packt sie alle!“ Die Soldaten zogen ihre Schwerter und umrundeten die Gruppe. Tinúviel beobachtete sie und seufzte.

“Wirklich eine schlechte Idee, was ihr da vor habt.“

“Und was hast du vor? Wir sind in der Überzahl. Ihr werdet in die Kerker gebracht.“

Der Anführer lachte. “Packt sie!“ Die Soldaten sprangen vorwärts und versuchten die Gruppe zu packen, doch Tinúviel war schneller. Man konnte nur ihre hellblauen Flammen sehen, welche im Kreis durch die Gruppe fuhren. Außer dem Anführer brachen alle Soldaten zusammen. Tinúviel packte ihn und schleuderte ihn gegen das Tor, ehe sie ihm das Messer an den hals hielt. Er sah zur Klinge. “Eis… Eisflammen? Die letzte, die das konnte, war… Feuerklinge.“

“Die eine und einzige. Und nun sprich!“ Zischte sie und sah ihn an. “Was ist hier los? Landir war früher als offene und gastfreundliche Stadt bekannt. Wieso wollt ihr plötzlich meine Begleiter einsperren, nur weil sie fremd sind?“

“Das… das sind die Befehle des Königs!“ antwortete er und zitterte. “Wir können nichts dafür!“

“Des Königs?“ Sie sah ihn fragend an. “Was hat das zu bedeuten?“

“Es hat vor drei Monaten begonnen. Er hat irgendwie begonnen, sich zu verändern.“ Der Soldat schluckte und schielte zu dem Messer, welches Tinúviel immer noch an seinen Hals hielt. “Als erstes ließ er alle Wachen, die keine Hochelfen waren, feuern. Und seit einiger Zeit ist er ständig in der Akademie zu sehen.“

“Das klingt nicht gut.“ Murmelte sie leise und nahm das Messer von seinem Hals. “Ryu, Nicole! Gehen wir!“ sie schob ihr Messer wieder in die Armschiene und ging zur Türe, aus der die Soldaten gekommen waren.

“Was habt ihr vor? Wollt ihr euch etwa mit dem König anlegen?“ Der Soldat sah zu ihnen.

“Natürlich! Was du erzählt hast, hat mich besorgt.“ Tinúviel sah zu ihm. “Wenn er sich wirklich verändert hat, dann muss ich raus finden wieso. Und einen Weg finden, es wieder rückgängig zu machen.“

“Wieso? Jede Regierung kann sich doch mal ändern.“

“Aber nicht auf diese Art. Das er außer den Hochelfen alle raus geschmissen hat und auch noch Fremde gefangen nehmen lässt, ist Rassismus. So einen König kann ich nicht akzeptieren!“ Tinúviel schüttelte den Kopf. “Und ihr solltet das auch nicht!“

“Wir…“ er schluckte. “Es ist doch unsere Pflicht, dem König zu dienen.“

“Sieh es, wie du willst.“ Meinte Tinúviel und schüttelte den Kopf. “Dieses mal hab ich euch verschont, aber wenn ihr euch mir noch mal in den Weg stellt, werde ich euch töten.“ Sie sah zu Ryu und Nicole lief schließlich mit ihnen hinein. Der Soldat sah ihnen nach.

“Völlig verrückt.“ Er kniete neben einen seiner Untergebenen. Tinúviels Angriff hatte nur die Rüstung getroffen, welche nun langsam einfror. Er zerschlug das Eis und half ihm auf.
 

“Das war ein ziemlich beängstigender Auftritt, Tinúviel.“ Nicole sah zu ihr. “Das wollte ich dich schon länger mal fragen: Wer bist du? Viele Leute scheinen dich zu kennen.“

“Ihr habt es von dem Wassermagier doch gehört, nachdem ihr Nirás verlassen hattet.“ Erklärte sie, während sie durch ausgestorbene Straßen liefen. “Bis vor fünfzig Jahren war ich eine sehr fähige Kopfgeldjägerin und starke Kriegerin. So stark, das ich im ganzen Land bekannt wurde.“

“Und was ist passiert? Wieso hast du aufgehört?“

“Weil es nichts mehr gab, was mein Interesse aufrecht erhalten konnte. Irgendwann wurde es mir einfach zu langweilig.“ Tinúviel grinste.

“Aber was hat dich dann dazu bewegt, doch wieder aktiv zu werden?“ fragte Ryu nun von der anderen Seite.

“Auch das habe ich doch schon erklärt.“ Sie seufzte und sah zu ihm. “Ihr wart es. Ihr habt mich neugierig gemacht. Ich möchte sehen, wie euer Weg euch weiter durch unser Land führt.“

“Du bist wirklich merkwürdig.“ Ryu zuckte mit den Schultern. “Aber was hast du jetzt vor?“

“Habt ihr noch vor Augen, wie es in Nirás aussah?“ Tinúviel blieb auf einem ausgestorbenen Marktplatz stehen. “Normalerweise würde es in Landir noch viel lauter und bunter sein als in Nirás. Doch seht euch um.“ Sie seufzte und schüttelte den Kopf. “Es ist einfach traurig.“

“Stimmt. Traurig ist es.“ Bestätigte Nicole und sah sie um. “Es ist richtig trostlos hier.“

“Und deshalb werde ich zur magischen Akademie gehen.“ Sagte Tinúviel und ging zur nördlichen Abzweigung, die vom Marktplatz abging. Sie blieb stehen und sah zu Ryu und Nicole. “Das hier wird vermutlich ein ganz anderes Level sein als der Kampf im Tempel. Ich kann es verstehen, wenn ihr lieber hier bleiben wollt. In Sicherheit.“

“Sicherheit ist relativ.“ Widersprach Ryu und schüttelte den Kopf. “Wir sind Fremde, die gewaltsam in die Stadt eingedrungen sind. Wenn man uns entdeckt, werden vermutlich so oder so gefangen genommen werden.“

“Auch wieder wahr.“

“Wir werden dich begleiten, Tinúviel. Wir haben schließlich immer noch Fendrirs Segen. Also können wir dir helfen.“ Meinte nun auch Nicole und sah sie lächelnd an. Tinúviel seufzte leise und schüttelte den Kopf.

“Ihr seid wirklich verrückt.“ Meinte sie leise. “Na gut. Zur Akademie geht es hier lang.“

Sie ging vor, die Straße entlang.

Zehn Minuten später erreichten sie einen weiteren Platz, welcher etwa doppelt so groß war wie der andere. Er war sehr dunkel, da er direkt im Schatten des großen Turmes lag. Vor dem großen Portal standen vier Wachen. Tinúviel und ihre Begleiter beobachteten das Gebäude aus dem Schatten heraus.

“Der König scheint grade drinnen zu sein.“ Meinte Tinúviel leise. “Die Wachen vor der Türe, das ist die königliche Garde.“

“Und wie sollen wir rein kommen?“ fragte Nicole.

“Wir sollten auf die Nacht warten.“ Schlug Ryu vor. Tinúviel nickte.

“Auf die Nacht warten ist eine gute Idee. So sollten wir besser rein kommen.“ Sie schlich sich mit den anderen beiden wieder tiefer in die Gasse hinein. “So lange sollten wir uns eine Gaststätte suchen.“

“Das sagt sich so leicht.“ Nicole blickte sich um. “Hier ist alles geschlossen. Wie sollen da irgendwo rein kommen?“

“Das ist das geringste Problem. Hier lang.“ Tinúviel lief los. Sie führte die anderen beiden durch viele kleine, dunkle Gassen, ehe sie vor einer Türe stehen blieb. Es sah aus wie die Hintertüre eines Lokals oder so. Tinúviel klopfte dreimal kurz, zweimal lang, einmal kurz und wartete. Nach einer Minute öffnete sich ein kleines Fenster in der Türe und jemand sah hinaus.

“Oh.“ Konnte man die Stimme der Person hinter der Türe hören. “Ohhhh… Bist du… Bist du es wirklich?“ Das Fenster wurde wieder zu geschlagen, dann konnte man hören, wie ein Riegel zurück geschoben wurde. Ein Vorhängeschloss wurde geöffnet, eine Kette aus Halterungen gezogen, und schließlich wurde der Schlüssel im Schloss rumgedreht. Die Türe öffnete sich. “Schnell. Kommt rein.“ Zischte die Person ihnen zu. Tinúviel, Ryu und Nicole traten ein und sahen sich um. Sie standen in einer kleinen, recht engen Küche. Während dessen wurde hinter ihnen die Türe wieder geschlossen und mit Riegeln und Ketten gesichert. Tinúviel winkte Ryu und Nicole zu und ging mit ihnen nach vorne in einen ebenfalls recht kleinen, aber urig gemütlichen Gastraum mit deutlich maritimen Touch.

“Das ich dich noch einmal wiedersehe, hätte ich nie erwartet.“ Kam eine Stimme hinter ihnen. Alle drei drehten sich um. Die Person, die sie herein gelassen hatte, war ein älterer Mann. Er sah aus wie ein alter Seebär: kurze, weiße Haare, hellblaue Augen, eine riesige Narbe, welche hinter seinem Ohr anfing, quer über die Wange lief und auf der anderen Seite am Hals endete. An seinen Armen sah man diverse Tattoos: Einen Anker, eine Meerjungfrau und eine Möwe auf dem linken Arm, auf dem rechten Arm das Bild eines Meermannes mit wilden tanggrünen Haaren und bewaffnet mit einem Dreizack. Er trug eine dunkelblaue Uniformjacke, ein blau-weiß geringeltes Hemd darunter, und eine weiße Hose. Obwohl er alt war, machte er keinen sonderlich gebrechlichen Eindruck. Ganz im Gegenteil wirkte er noch überaus Fit und Stark.

Er grinste und reichte Tinúviel die Hand. “Du hast dich wirklich nicht verändert, Feuerklinge. Du siehst haargenau so aus wie damals.“

“Ihr habt euch indes ganz schön verändert, Captain.“ Antwortete Tinúviel grinsend und schüttelte die Hand des alten.

“Im Gegensatz zu dir bin ich nur ein normaler Mensch.“ Lachte er. “Da ist das völlig normal. Aber wer sind deine Begleiter dort?“

“Oh, sie sollen sich besser selbst vorstellen.“ Tinúviel nickte den beiden zu.

“Ryu Tanaka lautet mein Name.“ Stellte Ryu sich vor.

“Und ich heiße Nicole. Nicole Felicitas.“ Fügte Nicole hinzu. Der Alte musterte die beiden und murmelte: “Nicole und Ryu? Merkwürdige Namen. Wirklich merkwürdig.“

Als Tinúviel sich räusperte, sah er auf. “Oh, stimmt. Ich muss mich ja jetzt auch vorstellen.“ Er sah zu Nicole und Ryu. “Mein Name ist Kyle van der Decken. Ich bin ein alter Gefährte von Tinúviel. Aber setzt euch doch.“ Er ging hinter die Theke und füllte vier Krüge auf, welche er zu ihnen brachte. Er setzte sich zu ihnen und sah zu ihnen. “Jetzt erzähl aber mal.“ Wandte er sich an Tinúviel. “Was hat dich dazu bewegt, wieder aktiv zu werden? Das hier ist doch sicherlich kein Höflichkeitsbesuch um unserer Freundschaft willen.“

“In der Tat ist es das nicht.“ Tinúviel nahm einen tiefen Schluck aus ihrem Krug. “Es sind meine Begleiter hier. Sie kommen aus einem Land ohne Magie. Das hat mich neugierig gemacht.“

Kyle stutzte und sah erst zu Ryu, welcher vorsichtig am Krug nippte, dann zu Nicole, welche überhaupt nicht trank. “Wirklich? Ohne Magie?“ fragte er verwundert.

“Ja, komplett. Bei uns existiert Magie nur in Büchern.“ Bestätigte Nicole und grinste. “genau so wie vieles andere, was wir hier bisher kennen lernen durften, auch.“

“Wirklich erstaunlich. Und das heißt, ihr beherrscht auch keine Magie?“

“Natürlich nicht. Wie sollten wir denn, wenn es bei uns keine gibt.“

“Klingt logisch.“ Murmelte Kyle. Dann seufzte er. “Das ist momentan eine schlechte Zeit für Fremde in dieser Stadt.“

“Das haben wir bereits mit bekommen.“ Tinúviel stellte ihren Krug wieder ab. “Vor dem Stadttor hatte man versucht, uns gefangen zu nehmen.“

“Was du dir vermutlich nicht hast gefallen lassen.“ Meinte Kyle schmunzelnd. “Hast du sie eingefroren?“

“Nein. Sie wollten ja nur ihre Pflicht erfüllen. Eine Pflicht, die ihnen von einem veränderten König auferlegt wurde.“

“Du bist weich geworden.“ Lachte Kyle. “Früher hättest du sie getötet. Aber du hast Recht. Unsere Majestät hat sich verändert.“ Er stutzte und sah zu ihr. “Oh nein… Sag mir bitte nicht, das du vorhast, was ich denke.“

“Du kennst mich, Captain.“ Meinte Tinúviel ruhig und erwiderte Kyles Blick. “Du kannst dir doch denken, was ich vorhabe.“

Du bist unverbesserlich.“ Stöhnte Kyle auf. “Das ist doch Selbstmord.“

“Glaubst du etwa, meine Fähigkeiten wären die letzten fünfzig Jahre derart eingerostet?“ sie schnaubte. “Auch wenn ich mich zur Ruhe gesetzt hatte, habe ich nie vernachlässigt, mich fit zu halten.“

“Das meinte ich auch nicht!“ Kyle sah sie an. “Aber du kannst doch nicht einfach so gegen den König vorgehen!“

“Du kennst meine Einstellung dem Königshaus entsprechend.“ Tinúviel stand auf. “Nachdem, was ich bisher gehört und gesehen habe, hat es sich in eine Richtung entwickelt, die ich nicht gut heißen kann!“ Sie schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, dann ging sie zur Treppe, welche nach oben führte. “Ich lege mich etwas hin. Wir wollen heute Nacht in die Akademie eindringen, da müssen wir ausgeruht sein. Gute Nacht.“

“Völlig verrückt.“ Murmelte Kyle und schüttelte den Kopf. Auch er stand nun auf und verschwand in der Küche.

“Und jetzt, Ryu?“ fragte Nicole. Sie saßen immer noch da und hatten das Gespräch der beiden mitverfolgt. Ein wenig hatte Kyle ja Recht. Es war verrückt, sich einfach so gegen einen König zu erheben. Dadurch konnten sie sich leicht selbst zum Staatsfeind Nummer eins des Landes machen. Ryu seufzte und sah zu Nicole.

“Wir sollten auch hoch gehen und uns hinlegen. Wie gesagt wollen wir heute Nacht los.“

“Da hast du wohl Recht.“ Nicole nickte und ging mit ihm hinauf.
 

Am Abend waren sie zu dritt im Gastraum und bereiteten sich vor. Tinúviel schärfte mit einem Schleifstein die Klinge ihres Schwertes. Ryu war damit beschäftigt, seine Patronen in ringförmige Halterungen zu stecken. So konnte er später mit nur einem Handgriff nachladen. Nicole hingegen machte Aufwärmübungen. Nach einer Weile hörte sie aber auf und ging hinüber zu Tinúviel, um ihr beim Schleifen zuzusehen.

“Da ist noch etwas, was ich mich eine ganze Weile schon frage, Tinúviel.“ Meinte sie schließlich.

“Hm? Was denn?“

“Wieso ist die Scheide deines Schwertes eigentlich zweigeteilt?“

“Hm…“ Tinúviel schmunzelte. “Was glaubst du denn, wieso das so ist?“

“Ich glaube, es ist ein Siegel.“ Meinte Nicole und nahm die eine Hälfte der Schwertscheide, welche Tinúviel neben sich an ein Tischbein gelehnt hatte, in die hand. “kann es sein, das die andere Seite deines Schwertes vielleicht stärker ist?“

“Ziemlich gut.“ Urteilte Tinúviel und nickte. “Es ist nicht direkt `stärker` in dem Sinne. Vielleicht werdet ihr es irgendwann erleben, wenn ich mal in der Klemme stecke.“ Sie nahm Nicole die Schwertscheide ab und machte diese wieder an ihrem Schert fest, dann sah sie zu den beiden. “Seid ihr bereit?“

“Ja. Von mir aus können wir los.“ Nicole nickte. “Ich bin bereit.“ Ryu antwortete nicht, nickte aber und steckte seine Munition wieder in die dazugehörende Tasche.

“Gut. Dann wollen wir mal los. Wir gehen wieder hinten raus.“ Sie gingen wieder nach hinten in die Küche und verließen das Gasthaus. Nun in der Nacht waren die Gassen, durch die Tinúviel sie führte, noch finsterer. Erleuchtet wurde ihr Weg nur von den Blauen Flammen, die um Tinúviels Messer flackerten. Kurz bevor sie den Platz vor der Akademie erreichten, ließ sie diese Flammen jedoch auch erlöschen. Sie schlichen sich näher und beobachteten den Platz. Dieser wurde von mehreren großen Feuern hell erleuchtet. Tinúviel knurrte leise auf: “Das darf doch nicht wahr sein.“

“Was denn?“ flüsterte Nicole leise.

“Sie haben die Wachen sogar verdoppelt! Offenbar haben sie damit gerechnet, dass jemand die Dunkelheit ausnützen würde. Sie haben die Wachen verstärkt und beleuchten den ganzen Platz.“

“Und nun?“ Nicole sah auf den Platz und überlegte. “Was, wenn wir einfach schnell genug sind, um sie auszuknocken, bevor sie Alarm schlagen können?“

“Dann müsste jeder von uns vier Wachen gleichzeitig ausschalten. Das ist unmöglich.“

“Und wenn wir uns von hinten anschleichen?“ schlug Ryu vor.

“Klingt besser. Versuchen wir es.“ Tinúviel nickte und wollte zurück, doch dann hörte man ein Zischen. Verwirrt sahen die drei zum Platz. Eines der Großen Feuer war erloschen und dampfte nun stark. Sie sahen, wie ein Wassertropfen von der Größe eines Menschen vom Himmel fiel und nun ein zweites Feuer löschte. Immer mehr Dampf erfüllte den Platz.

“Unsere Chance!“ zischte Tinúviel. “Schaltet die Wachen aus. Schmeißt sie in die dunklen Seitengassen!“ sie stürmte vor in den Dampf, gefolgt von Ryu und Nicole. Während dessen zischte es immer wieder, und ein Feuer nach dem anderen erlosch. Nach fünf Minuten trafen sich die drei am Tor.

“Was ist hier los? Woher kommt das Wasser?“ fragte Nicole und sah zum Platz. Langsam legte sich der Dampf wieder.

“Ist doch egal. Es hat uns geholfen.“ Meinte Tinúviel leise und sah zum Tor. Es gab keinerlei Griff. Also musste es auf magische aufgehen. Sie überlegte und tastete das Tor und die Säulen ab. “Hier.“ Hauchte sie leise. Am linken Pfeiler waren kleine Symbole eingeritzt, neun Stück an der Zahl. Und das mittlere, das war das Zeichen für… “Feuer.“ Tinúviel entzündete ihr Messer wieder und berührte mit der Klinge vorsichtig das mittlerweile der Symbole. Es schien die Flammen vom Messer aufzusaugen. Als es alle Flammen verschlungen hatte, leuchtete es auf und das Tor schwang knirschend auf. Grade weit genug, das sie sich hindurch quetschen konnten.

“Wir sind tatsächlich drin.“ Flüsterte Nicole und sah sich um. “Das war ja einfach.“

Im letzten Moment noch hatte Ryu einen Lacher zu einem Husten umbiegen können. Nicole sah zu ihm und fragte schmunzelnd: “War irgendwas?“

“Nein, überhaupt nicht.“ Gab er zurück und schüttelte den Kopf, ehe er sich ebenfalls umsah. Sie standen in einer großen, marmornen Halle. Direkt vor ihnen führte eine gewaltige Granittreppe in die oberen Stockwerke. “Wohin nun, Tinúviel?“ fragte er an sie gewand.

“Das ist in der Tat eine gute Frage.“ Antwortete sie und sah sich um. “Am besten sehen wir uns um, bis wir den König gefunden haben. Wenn ich mich recht entsinne, waren die Zimmer für Gäste der Fakultät im Westflügel.“

“Im Westflügel? Also dort entlang.“ Ryu ging als erster vor und betrat die Treppe. Die anderen beiden folgten ihnen.

Im Westflügel angekommen, sahen sie sich um. “Hier müssen wir ganz besonders vorsichtig sein.“ Flüsterte Tinúviel den anderen beiden zu.

“Wieso denn das?“

“Weil hier im Westflügel auch die Lehrer ihre Zimmer haben.“ erklärte sie, während sie weiter schlichen. “Und die Lehrer hier sind sehr mächtige Magier. Sollte es zu einer Situation kommen, in der wir uns ihnen entgegen stellen müssen, sollten wir lieber fliehen.“

“Aber bist du nicht auch eine mächtige Magierin, Tinúviel?“ fragte Nicole leise. “Bist du ihnen nicht ebenbürtig?“

“Ich? Ich bin stark, das mag stimmen. Aber ich bin keine Magierin.“ Antwortete Tinúviel und seufzte leise. “Es gibt einen großen Unterschied zwischen Kriegern, welche Magie beherrschen und richtigen Vollblutmagiern.“ Sie sah auf. “Halt! Das hier muss das Gästezimmer des Königs sein.“

“Was macht dich da so sicher?“ fragte Nicole und musterte die Türe. Sie sah nicht viel anders aus als die anderen Türen hier im Gang. Tinúviel drehte den Türgriff vorsichtig und schob die Türe auf. Leise schlich sie rein und ließ Ryu und Nicole nachkommen, ehe sie die Türe wieder schloss.

Das Zimmer sah vollkommen anders aus als die Gänge. Wo draußen kalter, weißer Marmor und Granit dominierten, War der Raum mit dunklem Holz getäfelt, welcher einen leichten Rotschimmer hatte. Es gab ein Sofa mit dicker, Blutroter Polsterung und einen Schreibtisch mit Marmorplatte. An einer Seite des Raumes stand ein riesiges Himmelbett mit ebenfalls Blutroten Vorhängen. Tinúviel schlich leise zum Bett.

“Verdammt.“ Konnte man sie hören. Sie sah zu Ryu und Nicole. “Er ist nicht hier. Vielleicht ist er noch wach.“ Sie kam wieder zu ihnen.

“Und wo könnte er sein?“ fragte Ryu leise.

“Mal überlegen. Er hat gerne noch einen Mitternachtsimbiss zu sich genommen. Vielleicht ist er im Speisesaal.“ Murmelte sie und ging im Kreis auf und ab. “Oder die andere Möglichkeit… Die magischen Labore.“ Sie sah zu den Beiden. “Okay! Wir sehen erst in Speisesaal und Küche nach, Danach gehen wir in die magischen Labore.“

Zu dritt verließen sie das Zimmer wieder. Im Speisesaal saß eine Person, ein zwei Meter Riese mit gigantischem Bauch. Es war jedoch nicht der König, den sie suchten. Auch in der Küche war außer dem Koch niemand zu sehen. Wieder zurück in der Eingangshalle seufzte Tinúviel leise.

“Bleiben nur noch die Labore.“ Meinte sie leise. “Kommt. Sie sind unten, in den Katakomben.“ Sie führte die zwei an der Granittreppe vorbei in einen schmalen Gang, welcher schließlich in einer Wendeltreppe nach unten führte. Nach fünf Minuten, die immer nur im Kreis nach unten führten, konnten sie endlich Stimmen hören. Sie kamen an einem Treppenabsatz hinaus, von welchem aus sie in eine gewaltige, unterirdische Höhle blicken konnten. Als erstes bemerkten sie einen steinernen Tisch, auf welchem ein Junge angekettet war. An Stirn, Schläfen und auf der Brust waren Pads angebracht, welche offenbar durch Kabel mit einer Art Monitor verbunden waren. Seitlich zum Tisch stand ein Gerüst, auf welchem mehrere Metallrohre befestigt waren, deren Enden durch Glaskugeln verschlossen wurden. Weitere Merkwürdige Sachen waren ebenfalls an den Rohren befestigt.

“Das…“ Ryu musste schlucken. “Das sieht aus wie ein Experiment. Ein Experiment an lebenden Versuchspersonen.“

“Und ganz offensichtlich hat sich diese Testperson nicht freiwillig gemeldet.“ Fügte Nicole hinzu und zeigte auf den Steintisch. Der Junge sah panisch zu dem Gestell neben sich und zappelte stark.

“Und da. Dort ist auch der König!“ flüsterte Tinúviel. Sie zeigte zu dem Monitor, welcher mit dem Jungen verbunden war. Um diesen herum standen fünf Personen. Der König war leicht zu erkennen. Er hatte glänzendes, schwarzes Haar und spitze Ohren. Er trug einen samtenen, Rubinroten Umhang, während die anderen weiße Kittel trugen.

“Können wir anfangen?“ Wandte der König sich an die anderen Männer. “Und hoffentlich funktioniert es endlich. Langsam habe ich genug von den ständigen Fehlschlägen!“

Na… Natürlich.“ Stotterte einer der Männer. “Diese Werte… Sie sind sehr gut. Es sollte funktionieren.“

“Gut. Dann fangen wir an!“ Der König ging einen Schritt zurück und zog sich wie die anderen Männer eine Schutzbrille an. Die vier Weißkittel sahen noch mal nervös zu ihm, ehe einer der Männer einen Hebel umlegte. Die Gerätschaft auf dem Gestell begann zu summen, ehe die Glaskugeln begannen zu leuchten. Das Licht wurde immer heller. Erst, als es selbst bei geschlossenen Augen kaum noch auszuhalten war, veränderte es sich. Es wurde zu Schwarzlicht, welches nun direkt auf den gefesselten Jungen gerichtet wurde.

Geschockt sahen Nicole, Ryu und Tinúviel zu, wie er sich veränderte. Unter Schmerzensschreien brachen als erstes lange Hörner aus seinem Kopf hervor. Seine Haut verfärbte sich schwarz, während seine Augen blutrot wurden.

“Das reicht. Ich habe genug gesehen.“ Tinúviel legte eine Hand aufs Geländer und holte Schwung, als wolle sie runter springen, doch Ryu zog sie wieder runter in die Deckung des Geländers.

“Hast du irgendeinen Plan?“ fragte er sie leise.

“Einen Plan? Ich werde diese Magier töten und die Maschine abstellen.“ Sie knurrte. “Dann werde ich den König zur Rede stellen.“

“Ich habe eine andere Idee.“ Er zog seine Waffe aus dem Holster und zielte auf das Gerät, von dem immer noch das Schwarzlicht ausging. Das die Leute da unten die Schüsse hörten, bezweifelte er. Dafür schrie der Junge zu laut, und die Maschine selbst war auch nicht grade leise. Kurz sah er noch mal zu Tinúviel, dann drückte er dreimal ab. Er traf jede der Kugeln, welche förmlich in kleinen Explosionen aufgingen. Das Schwarzlicht erlosch und der Junge auf dem Steintisch wimmerte nur noch leise. Ryu öffnete die Trommel des Revolvers und ließ die Hülsen raus fallen, ehe er einen der vorbereiteten Munitionsringe nahm und nachlud. Er zielte erneut schoss dieses mal alle vier Kugeln ab. Er traf einen der Magier in beide Schultern, einen traf er ins Bein, die letzte Kugel schlug in den Monitor ein.

“Jetzt!“ rief er den anderen beiden zu. Er lud schnell nach, während Nicole und Tinúviel runter sprangen. Die Magier waren noch zu überrascht, um zu reagieren. Nicole stürmte vor und knockte den ersten, den Ryu in die Schultern getroffen hatte, mit einem Schlag gegen das Kinn aus. Dem zweiten trat sie die Beine weg und schlug ihm gegen die Brust, so dass er hart auf dem Boden landete.

“Wie unverschämt.“ Meinte der König knurrend. Er trat vor und zog sein Schwert aus der Scheide, ebenso wie auch Tinúviel ihre Waffe nahm. “Wie könnt ihr es wagen, diese wichtigen Experimente zu unterbrechen?“

“Wichtige Experimente? Soll das ein Witz sein?“ Tinúviel blickte zu den Jungen, der immer an den Tisch gefesselt war. “Was soll daran wichtig sein? Ihr selbst hattet diese Art von Experimenten verboten? Was ist geschehen? Was hat euch so verändert?“

“Verändert? Ja, das habe ich wohl.“ Der König schmunzelte. “Ich hatte es so satt. Dieses friedliche nebeneinander. Das hat mich angekotzt! Auf diese Art wollte ich neue, mächtige Krieger erschaffen, um unser Land endlich zur Nummer eins zu machen.“ Er lachte verrückt. “Und wir hätten alle anderen erobert und kontrolliert.“

“Das ist doch krank! Niemals werde ich so etwas zu lassen!“

“Ach ja? Wirst du das, wer auch immer du bist?“ er schnaubte abfällig und schnippte mit den Fingern. Aus mehreren Türen kamen Soldaten in den Raum gestürmt, welche Nicole und Tinúviel umzingelten. Ein paar Soldaten stürmten die Treppe hoch, um Ryu zu erwischen.

“Mist!“ zischte Ryu und sprang auf. Gegen so viele Soldaten konnte er alleine nicht antreten, er musste weg. Doch einer der Soldaten warf ein mit einem Gewicht beschwertes Seil, welches sich um seine Beine schlang und ihn stürzen ließ. Der Soldat lachte und begann Ryu zu sich zu ziehen. Dieser zappelte. Bei dem Sturz hatte er seine Waffe verloren. Er konnte das Seil nicht durch schießen. Und ein Messer, um es durch zu schneiden, hatte er auch nicht. Der Soldat grinste und schlug mit seinem Schwert zu. Ryu schloss die Augen…

…und konnte hören, wie Stahl auf Stahl traf. Er öffnete die Augen und sah einen Soldaten vor sich stehen, der den Angriff des anderen abgewehrt hatte. Er war noch völlig verwirrt, als auch schon noch mehr Soldaten aus dem Gang kamen, den er zuvor mit Nicole und Tinúviel genommen hatte. Einer der Soldaten schnitt das Seil an Ryus Füßen entzwei und half ihm auf, ehe er ihm seine Waffe reichte.

“Danke.“ Er nahm sie und sah zu dem Soldaten. “Aber… Was? Wieso?“

“Feuerklinge hatte Recht.“ Antwortete der Soldat nur und lief zur Treppe. Ryu sah ihm verwirrt nach, ehe er sich umsah. Einige dieser Soldaten, die nun gegen ihre Kollegen kämpften, hatten tiefe Scharten im Brustbereich. Jetzt fiel es ihm wieder ein. Es waren die Torwächter, welche sie zuerst hatten mit nehmen wollen.

“Was hat das hier zu bedeuten?“ brüllte der König und sah sich um. Im Raum war das Chaos ausgebrochen. Soldaten kämpften gegen Soldaten, und man konnte sie kaum auseinander halten. Einer der Krieger trat neben Tinúviel und nahm seinen Helm ab. Er hatte Goldenes Haar und spitze Ohren. Es war der Anführer der Torwächter.

“Was das zu bedeuten hat? Es bedeutet, das Feuerklinge uns aufgeweckt hat, eure Hoheit.“ Er zog ebenfalls sein Schwert und richtete es auf ihn. “Und was wir hier gesehen haben, hat uns erst Recht überzeugt.“

“Ihr… Ihr Verräter.“ Der König brüllte auf und griff die beiden an. Seine Klinge war filigran, nur etwa einen Finger dick, und sehr schnell im Angriff. Und doch konnte er mit dieser schmalen Klinge das Ritterschwert des Soldaten und sogar Tinúviels gigantisches Breitschwert ohne Probleme aufhalten. Er stieß die beiden zurück und holte aus. Wie ein Peitschenhieb schoss seine Klinge hervor und durchdrang die Rüstung des Soldaten, als wäre sie aus Papier.

Der Soldat keuchte auf. Der König hatte ihm das Schwert in die Seite gerammt. Mit zitternder Hand ergriff er die Hand des Königs. “Los, Feuerklinge!“ brüllte er. Tinúviel nickte. Schnell kam sie hinter den König und schlug mit brennender Klinge zu. Doch plötzlich war der König samt Schwert verschwunden. Die Spitze ihres Schwertes verpasste das Gesicht des Soldaten nur knapp. Die beiden sahen sich verwirrt um. Wo war der König hin?

Dieser tauchte hinter Tinúviel wieder auf und holte aus. Er schlug zu, doch seine Klinge traf nicht. Mit einem lauten Krachen war ein gewaltiger Anker hinter ihr zu Boden gestürzt und hatte den Angriff abgefangen. Die Klinge hatte sich in der Kette, welche daran befestigt war, verfangen. Erschrocken drehte sie sich um. “Der Anker?“ meinte sie erstaunt und sah sich um. Neben Ryu stand Kyle, der alte Seebär. Er hielt das andere Ende der Kette in Händen und Grinste.

“ich mag zwar alt sein.“ Rief er ihr zu. “Aber zum alten Eisen gehöre ich noch lange nicht!“ er riss die Kette in die Höhe, worauf der Anker hoch flog. Dabei riss er dem König das Schwert aus der Hand. Neben ihm legte Ryu an und schoss. Nicole hatte es hinter den König geschafft und schlug zu, genau auf das Steißbein. Tinúviel holte aus und versuchte ihm das Schwert in den Bauch zu rammen. Kyle zog an seiner Kette und sorgte dafür, dass der Anker über ihm runterstürzte.

Doch es half nichts. Der König brüllte und eine schwarze Schockwelle fegte über die Anwesenden hinweg. Nicole und Tinúviel stürzten zu Boden. Kyles Anker schleuderte in die Höhe und blieb in der Decke stecken. Ryus Patronen wurden umgelenkt. Eine traf Tinúviel in den Fuß, die anderen blieben in den Wänden stecken. Die meisten Soldaten blieben benommen liegen. Tinúviel kniete am Boden und hielt sich den Kopf, welchen sie sich gestoßen hatte. Sie kämpfte da gegen an, nicht ohnmächtig zu werden. Der König nahm sich das Schwert von einem der Soldaten und sah sich um. Er grinste und ging auf Nicole zu.

“Wieso fange ich nicht gleich mit dir an, Kätzchen?“ hauchte er und packte sie an der Schulter. Er drückte sie gegen die Überreste des Monitors und hielt ihr das Schwert an den Hals. “Du siehst gar nicht mal so schlecht aus. Genauso wie die kleine mit dem Riesenschwert.“ Er grinste. “Vielleicht sollte ich mich noch ein wenig vergnügen, ehe ich euch alle töte.“ Er leckte über ihren Hals. Sie erschrak und zappelte.

“Nein!“ schrie sie und schlug ihm in den Magen. Doch er zuckte nicht einmal mit den Augenbrauen.

“Hast du etwa Angst?“ hauchte er ihr ins Ohr und grinste. “Es könnte dir sicherlich gefallen.“

“Niemals.“ Knurrte sie und schlug nochmals zu. “Lass mich los, du perverses Schwein!“

Der König lachte und ließ sie tatsächlich los. Sie rutschte weg, doch da holte er schon aus. Doch er verletzte sie nicht. Er hatte nur ihr Oberteil getroffen, welches nun der Länge nach aufriss. “NEIN!“ schrie sie auf und lief davon.

“Lass sie in Ruhe!“ rief Ryu. Er stützte sich am Geländer ab und schoss auf den König. Gleichzeitig schleuderte Tinúviel ihr in Flammen gehülltes Messer auf ihn. Der König blieb stehen und grinste. Er hob die rechte Hand und das Messer sowie Ryus Kugeln lösten sich auf. Dann hob er die linke Hand und beides Tauchte wieder auf. Tinúviels Messer bohrte sich in Ryus Schulter, während sie von Ryus Kugeln getroffen wurde. Beide schrien schmerzerfüllt auf. Nicole sah das und schluckte. War es wirklich so aussichtslos? Hatten sie wirklich verloren? Sie wich noch etwas zurück. Irgendwie mussten sie das hier beenden. Tinúviel und Ryu mussten versorgt werden, sonst verbluteten sie noch.

“Ich hab dich.“ Rief der König und zerrte Nicole an ihren Katzenohren aus ihrem Versteck. Sie schrie auf und zappelte. Der König lachte und drückte sie zu Boden. “Entspann dich, sonst tut es nur unnötig weh.“

“Nein!“ sie schrie und schlug nach ihm. “Lass mich in Ruhe!“

Der König lachte, doch dann blinzelte er. Es wurde Heller im Raum. Und das mochte er ganz und gar nicht. Er sah zu Nicole und sprang auf. Das Licht kam von ihr! Ihre ganze Erscheinung begann zu leuchten. Langsam richtete sie sich auf und sah zu ihm.

“Was soll das? Was hat das zu bedeuten?“ knurrte er. “Du bist ein Lichtelementar? Vorhin habe ich noch gar nichts von dir gespürt!“

Ryu sah zu und schluckte. Was geschah da mit Nicole? Langsam kroch er zum Geländer, um besser sehen zu können. Vom licht geblendet sah auch Tinúviel auf und bemerkte Nicoles Veränderung. “Offenbar… haben sie durch ihre Ankunft hier auch Magie bekommen.“ Murmelte sie leise. “Das ist das Erwachen des Lichtes.“
 

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Kapitel 5 Ende ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
 

Beim nächsten mal:
 

Der König von Elodinir scheint unbezwingbar. Ryu und Tinúviel sind außer Gefecht. Doch als er sich an Nicole vergreifen will, geschieht das unfassbare: In Nicole erwacht Magie! Dadurch sind sie in der Lage, den König zu bezwingen.

Nachdem sie sich von den Wunden dieses Kampfes erholt haben, können sie die Magier endlich um das bitten, was sie antreibt: Eine Möglichkeit, wieder nach Hause zu kommen. Doch die Antwort ist nicht das erwartete, und außerdem müssen noch einige Sachen geregelt werden nach dem Kampf gegen den König.
 

Das nächste Kapitel heißt:
 

Trauerzug

Trauerzug

Kapitel 6: Trauerzug
 

~~~~~~~~~~~~~~~~ Was beim letzten mal geschah ~~~~~~~~~~~~~~~~
 

Die Gruppe erreicht endlich Landir, die Hauptstadt. Doch Tinúviel glaubt, das etwas nicht stimmt, was sich schließlich bestätigt, als sie versuchen, in die Stadt rein zu kommen. Mann will sie verhaften, weil sie fremde sind, doch Tinúviel hat was dagegen. Spielend schaltet sie die Wachen aus und erfährt Besorgnis erregendes von ihnen: Der König hat begonnen, sich zu verändern. Das will Tinúviel sich ansehen und notfalls verhindern. So kommt es schließlich zum Showdown gegen den König und seinen Soldaten in der magischen Akademie, doch sie sind ihm nicht gewachsen. Doch da passiert etwas mit Nicole…

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Der König knurrte und wich einen Schritt vor Nicole zurück. Es war hell. Viel zu hell. Und das tat ziemlich weh in den Augen. “Wie ist so etwas möglich?“ knurrte er und blinzelte. Vorhin hatte er noch nichts von ihr gespürt, und nun plötzlich das. Er hob die Hand und schleuderte eine Kugel schwarzer Energie auf sie. Doch je näher diese Nicole kam, umso schwächer wurde sie. Kurz vor Nicoles Gesicht schließlich verpuffte sie in einem harmlosen Wölkchen. Nicole sah zum König und spannte sich an, dann stürmte sie vor. Einer erneuten Energiekugel wich sie aus, dann stand sie auch schon vor ihm. Mit einem harten Aufwärtshaken gegen das Kinn schleuderte sie ihn in die Höhe, ehe sie selbst hochsprang. Sie trat ihm in den Magen, so dass er wieder hart zu Boden stürzte. Sie landete elegant wieder auf den Füßen und holte tief Luft.

“Das tut gut.“ Meinte sie leise und sah zum König, welcher sich wankend wieder aufrichtete. Sein hübsches Gesicht war nun wirklich wutverzerrt.

“Na Warte, du kleines Miststück.“ Knurrte er wütend und holte ebenfalls tief Luft. Er begann sich zu verändern. Seine Brust weitete sich aus und sprengte sein Hemd. Er schoss in die Höhe und zeriss dabei auch die Hose. Sein Körper wurde mit schwarzem Fell überwuchert, seine Füße zu Hufen, und aus seinem nun ziegenförmigen Kopf kamen Hörner. “Ich werde dich zermalmen!“ brüllte er und stürmte auf sie zu. Nicole wich jedoch elegant aus, und er stieß gegen die Wand. Leicht benommen wankte er zurück. Diese Chance nutzte Nicole und trat ihm in die Kniekehle, woraufhin er in die Knie ging und erneut mit dem Schädel gegen die Wand prallte. Nicole wich mit mehreren Salti zurück und beobachtete ihn. Dabei berührte sie mit dem Fuß leicht Tinúviel, was sie aber nicht bemerkte. Sie griff erneut an, während Tinúviel von Nicoles Licht eingehüllt wurde. Sie erschauderte und spürte, wie ihre Wunden heilten.

Verwirrt blickte sie auf ihre Hand, dann sah sie wieder zu Nicole und dem verwandelten König. Vorsichtig richtete sie sich auf und nahm ihr Schwert in die Hand. Sie kniete sich hin und richtete die Klinge auf ihn. Dabei stützte sie das Schwert auf ihren Knien ab. Sie legte eine Hand auf die klinge und ließ die Flammen wieder hoch züngeln, ehe sie in ihre Tasche griff und eine Flasche raus holte. Sie enthielt ein paar der weißen, ewigen Flammen aus dem Tempel, welche sie nun zu den auf ihrem Schwert befindlichen Flammen goss. Knisternd verschmolzen die beiden Flammenarten. “Gut, und nun das.“ Sie hielt eine Hand über die Flammen, welche hoch züngelten und eine Art Griff formten, und erhob ihre Waffe nun wie eine Kanone. Sie richtete es auf den König.

“Zur Seite, Nicole!“ rief Tinúviel. Nicole sah zu ihr und sprang zurück. Tinúviel sah zum verwandelten König. “Das ist das Ende.“ Die Flammen auf ihrem Schwert bildeten nun eine Kugel, welche immer mehr komprimiert wurde, bis sie grade noch faustgroß war. Diese schoss sie ab. Als sie den König an der Brust traf, dehnte sie sich schlagartig wieder aus und verschlang ihn in einem weiß-rotem Flammenwirbel. Er brüllte vor Schmerz auf, und als die die Kugel sich auflöste, brach er keuchend zusammen und verwandelte sich wieder zurück. Aus seinem Körper trat schwarzer Rauch auf, von welchem man hören konnte: “Ich habe versagt. Verzeiht, Meister.“

Tinúviel seufzte laut auf und ließ ihr Schwert sinken. Langsam ging sie auf den König zu.

“Ist es vorbei?“ fragte sie Nicole, welche bereits neben ihm kniete. Sie sah zu ihr und nickte.

“Es scheint so.“ meinte sie ruhig. “Er ist offenbar besessen gewesen.“ Sie legte dem König die Hand auf die Schulter und er wurde wie Tinúviel von ihrem Licht eingehüllt. Während dessen befreite Tinúviel ihn von den weißen Flammen, welche immer noch brannten.

“ich kann nicht sagen, ob er überleben wird.“ Meinte Nicole und stand auf. Sie sah sich um und ließ in ihrer Hand eine weiße Kugel erscheinen, welche sie in die Mitte des Raumes warf. Ein sanftes Licht erfüllte ihn und heilte die Wunden aller, die dem Licht ausgesetzt waren. Nach einer Minute erlosch es wieder und Nicole schloss die Augen.

Tinúviel legte ihr eine Hand auf die Schulter und lächelte. “Wie fühlst du dich?“

Fragte sie Nicole leise.

“Erschöpft.“ Antwortete sie nur und lehnte sich an Tinúviel. Kurz darauf war sie im Stehen eingeschlafen und das Leuchten ihres Körpers erlosch.

“Ja, ich auch.“ Murmelte Tinúviel. Vorsichtig ließ sie Nicole zu Boden gleiten, ehe sie sich ebenfalls hinlegte und ziemlich schnell einschlief.
 

Ryu blinzelte und setzte sich langsam auf. Was war nun los? Was war das für ein Schmerz in der Schulter? Sah hin und tastete seine Schulter ab. Sie war verbunden, da Nicoles Lichtkugel ihn nicht hatte komplett heilen können. Verwirrt sah er sah er sich um.

Er lag im Bett in einem gewaltigen, prachtvollen Raum. Er war deutlich heller als der Raum, den er in der Akademie gesehen hatte. Die Holzvertäfelungen waren deutlich heller, und die Vorhänge des Himmelbettes und alle anderen Stoffe waren in grasgrün gehalten. Er schlug die Decke zur Seite und stutzte. Er trug ein weißes Nachthemd. Was sollte das denn? Wo waren seine Sachen? Er sah sich um, konnte jedoch nichts sehen.

“Hallo?“ rief er und sah sich um. Er stand auf und ging zur Türe. Vielleicht fand er irgendjemanden, der ihm sagen konnte, wo seine Sachen waren. Er hatte die Türe noch nicht halb erreicht, als jemand anklopfte und schließlich die Türe öffnete. Ein Elf trat ein und sah zu ihm.

“Ah, ihr seid wach.“ Meinte er mit melodischer Stimme und kam zu ihm. Er hatte stachelige, silberweiße Haare und smaragdfarbene Augen. Er trug eine goldene Halskette und am linken Ringfinger einen silbernen Ring. “Setzt euch und lasst mich erstmal nach eurer Wunde sehen.“

“Ähm, Okay.“ Ryu setzte sich wieder aufs Bett und sah zu dem Elf. Dieser löste den Verband an Ryus Schulter und tastete die Wunde ab.

“Wirklich sehr gut verheilt.“ Meinte er und lächelte. “Es wird nur eine blasse Narbe zurück bleiben.“ Erklärte er und rieb die Wunde noch einmal mit Salbe ein, ehe er sie wieder verband. “Ihr solltet den Verband noch ein paar Tage drauf lassen, dann können wir Narbenbildung vielleicht sogar ganz verhindern.“

“Danke.“ Ryu schob das Nachthemd wieder hoch und sah den Elf an. “Wo bin ich hier?“

“Oh, ihr seid hier im Königlichen Palast von Landir.“ Erklärte der Elf und ging zum Kleiderschrank. Er öffnete ihn und überlegte, dann holte er einige Kleidungsstücke hinaus und legte sie zu Ryu aufs Bett. “Zieht euch an. Ich glaube, die anderen sind auch schon wach. Ich soll euch in den Speisesaal bringen, wenn ihr wach seit.“

Ryu sah zu den Klamotten und seufzte. “wo sind meine eigenen Sachen?“

“Oh, die sind stark beschädigt. Wir versuchen grade zu retten, was noch zu retten ist.“ Der Elf lächelte. “Nun zieht euch an. Ich warte vor der Türe.“ Er verneigte sich kurz und ging hinaus. Ryu seufzte und musterte die Sachen, die der Elf ihm raus gesucht hatte. Ein glänzender grasgrüner Stoff mit goldenen Dekoren. Er erschauderte und sah selbst in den Schrank. Schließlich nahm er sich eine dunkelblaue ohne Dekore heraus und zog diese an. Es war nicht sehr bequem, aber für eine Weile sollte es gehen. Er musterte sich noch einmal im Spiegel, ehe er seufzte und hinaus ging. Der Elf nickte und begleitete ihn in den Speisesaal. Nicole und Kyle saßen bereits mit einigen der Torwächter am Tisch und unterhielten sich. Tinúviel und einige andere fehlten noch.

Als Ryu eintrat, sahen alle auf. Nicole stand auf und ging zu ihm. Sie trug ein sonnengelbes Kleid mit Knöpfen aus Bernstein goldenen Nähten. Sie sah ihn an und lächelte. “Wie geht es dir, Ryu?“ fragte sie und führte ihn zum Tisch. Er setzte sich auf einen Stuhl direkt neben sie.

“Soweit ganz gut.“ Er sah sie an. “Und was ist mit dir, Nicole?“

“Oh Bestens. Alles ist bestens.“ Sie grinste. “ich fühle mich, als könnte ich Bäume ausreißen.“

“Das ist schön.“ Meinte Ryu und nickte. “Was ist da in der Akademie eigentlich passiert?“

“Darüber haben wir uns grade unterhalten. Der Captain hat dazu eine Idee gehabt.“

“Und was für eine?“ er sah fragend zu Kyle. “Und wieso eigentlich Captain?“

“Na, weil ich mal einer war.“ Kyle lachte, dann hustete er. “Naja, meine Zeit als Captain eines Schiffes war eigentlich erst nach meiner gemeinsamen Zeit mit Tinúviel. Trotzdem hat sie mich immer so genannt, weil ich Seemann bin, ein Wasserelementar und im Kampf einen Anker einsetze.“ Er räusperte sich. “Doch das tut eigentlich nichts zur Sache. Es geht um das, was in der Akademie geschah.“ Alle am Tisch sitzenden nickten und hörten ihm zu. Kyle erhob sich und ging hinter seinem Platz auf und ab.

“Ihr sagtet, ihr kämt aus einem Land, in dem es keine Magie gibt. Ist das richtig?“

“So ziemlich, ja.“ Bestätigte Ryu, und Kyle fuhr fort.

“Dann ist meine Theorie, das Magie bei euch sehr wohl existiert. Nur das sie aus irgendeinem Grund bei euch nicht aktiviert und benutzt werden kann.“ Er sah abwechselnd von Ryu zu Nicole. “Doch nun, wo ihr hier seit, auf einem Kontinent, auf dem es sehr wohl Magie gibt, wird auch die Magie in euch beiden erweckt. Und unten in der Akademie ist das bei Nicole offenbar passiert.“

“Hm.“ Ryu überlegte und nickte. Es klang logisch, so wie Kyle es erklärte. “Und was hast du für eine Magie?“ fragte er Nicole.

“Lichtmagie.“ Sie grinste und ließ ihre Hand aufleuchten. “Und Heilungsmagie.“

“Heilungsmagie? Das ist praktisch.“

“Ja, nicht wahr?“ sie lächelte. “Aber noch einmal so wie in der Akademie werde ich es wohl erst einmal nicht mehr einsetzen können.“ Seufzte sie dann.

“Wieso denn nicht?“

“Weil ich keine Ahnung habe, wie ich das anstelle.“ Sie sah Ryu mit großen Augen an. “Das war da unten eher instinktiv, was ich da gemacht habe.“

Ryu nickte und überlegte. Nach einer Weile sah er dann auf. “Wie lange haben wir eigentlich geschlafen?“

“Oh, fast den ganzen Tag.“ Nicole zeigte nach draußen. Die Stadt war ins rotgoldene Licht der untergehenden Sonne getaucht. Er ging näher zum Fenster und sah raus, als die Türe aufging. Tinúviel und der Anführer der Torwächter traten ein, gefolgt von einem kleinen Gefolge Elfen, welche von einem Elf mit langem, pechschwarzem Haar angeführt wurde. Dieser trug eine schmale, beinahe unauffällige Krone im Haar und prachtvolle rotgoldene Gewänder. Tinúviel setzte sich links neben Ryu, der Soldat zu seinen Kameraden. Die Begleiter des Schwarzhaarigen Elfen setzten sich an ein Ende des Tisch, welches frei gelassen worden war, während der schwarzhaarige sich zu einem Platz am Kopfende begab, direkt zwischen Nicole auf der einen und Kyle auf der anderen Seite.

“Es freut mich, das ihr endlich alle aufgewacht seit und euch nun hier an unserer Tafel befindet.“ Begann er und sah sich in der Runde um. “Ihr habt den ganzen Tag geschlafen, also wäre es am besten, denke ich, wenn wir erst einmal essen, bevor wir uns wichtigerem zu wenden.“ Er nahm eine kleine Glocke und ließ sie zweimal klingeln, worauf Diener begannen, die Speisen aufzutragen. Es gab viel Wild und Geflügel, dazu viele verschiedene Arten Gemüse und Beilagen. Als Dessert gab es Gebäcke und Pudding in verschiedenen Sorten und zu trinken Kirschwein, Met und Fruchtsäfte. Nach zwei Stunden, es war mittlerweile dunkel geworden, räumten die Diener die Tische leer und der schwanzhaarige erhob sich wieder. “Ich hoffe es hat euch geschmeckt.“

Meinte er und sah in die Runde. Als Antwort gab es zustimmendes Gemurmel.

Der Schwarzhaarige nickte und lächelte. “Gut, dann können wir nun richtig reden.“ Meinte er und lächelte. “Erst einmal muss ich mich vorstellen. Mein Name ist Carchagar Ifíriel, meines Zeichens ältester Prinz von Elodinir und damit erster Nachfolger für den Thron.“ Nach dieser Anmeldung verstummten die meisten. Der Prinz von Elodinir? Und das nach dem Kampf gegen seinen Vater? Unbehaglich sahen sich die Soldaten gegenseitig an, doch Carchagar hob beschwichtigend die Hände. “Bitte, ihr braucht euch keine Sorgen zu machen. Ich mache euch keine Vorwürfe.“ Erklärte er und lächelte. “Eher will ich euch danken.“

“Uns danken?“ fragte der Anführer der Torwächter und sah den Prinzen an, als hätte dieser den verstand verloren. “Nachdem wir euren Vater verraten haben?“

“Ich sehe das nicht als Verrat.“ Meinte Carchagar und verschränkte die Arme hinter dem Rücken. Er ging zum Fenster und sah hinaus. “Ihr habt mich vor einer schweren Bürde bewahrt. Ich habe meinen Vater die letzten Monate besorgt beobachtet. Ich war mir der Experimente in der Akademie durchaus bewusst, was er aber nicht gewusst hatte.“ Mit einem Seufzer wandte er sich wieder dem Tisch zu. “So konnte es nicht weiter gehen. Also hatten meine Brüder…“ er wies auf drei der Elfen, die am anderen Ende des Tisches Platz genommen hatten. Darunter auch silberhaarige, der Ryu aus seinem Zimmer hier her gebracht hatte.

Carchagar fuhr fort: “Also hatten meine Brüder und ich uns entschlossen, einzugreifen. Doch das Problem war, verlässliche Krieger zu finden. Nur wir vier alleine hätten vermutlich keine Chance gehabt.“ Die Brüder nickten zustimmend, während Carchagar sich wieder setzte. “Als wir endlich genug Männer beisammen hatten, machten wir uns auf dem Weg zur Akademie. Doch was sahen wir, als wir dort ankamen?“

“Ein Schlachtfeld.“ Beantwortete der Prinz mit dem silbernen Stachelhaar die Frage.

“Jemand, der bereits beendet hatte, was wir eigentlich vorhatten zu tun.“ Sagte ein anderer Prinz mit ebenfalls pechschwarzem Haar, allerdings zu einem Zopf gebunden.

“Das war vermutlich ein Schock.“ Meinte Ryu und sah zwischen den Prinzen hin und her. “Aber was meintet ihr mit Bürde?“

“Die Bürde? Nun…“ Prinz Carchagar holte Luft. “Damit meinte ich die Bürde, unseren Vater notfalls zu töten.“ Alle anderen am Tisch holten tief Luft, dann wurde es eine Weile ganz ruhig.

“Also… Das heißt, er ist gestorben?“ unterbrach Nicole schließlich die Stille.

“Noch nicht.“ Antwortete Prinz Carchagar mit einem Kopfschütteln. “Noch lebt er, aber selbst unsere besten heiler sehen mehr als schwarz, was seine Genesungschancen angeht. Es wird vermutlich nur eine Frage der Zeit sein, bis er stirbt.“ Der Prinz seufzte leise, dann wandte er sich an Ryu und Nicole. “Wir haben uns die Freiheit genommen, uns eure Sachen genauer anzusehen, während ihr geschlafen habt. Ihr habt ein paar äußerst merkwürdige Sachen dabei. Und erst diese merkwürdigen Ausweispapiere.“

Ryu erschrak. Ihre Sachen? Kurz dachte er nach. Was hatte er denn alles in den Taschen gehabt? Seine Geldbörse mit Führerschein, Ausweis, einem großen Set an Karten und natürlich das Geld, sowohl Euro als auch Yen. Dann natürlich sein Handy, was er seit ihrer Ankunft hier ausgeschaltet hatte, da er es hier eh nicht benutzen konnte. Den MP3 Player mit Kopfhörer und ein Feuerzeug.

“Dieses Japan… Was soll das für ein Land sein? Davon habe ich noch nie gehört.“ Meinte Carchagar und sah Ryu an. Es war kein verlangender Blick, der unbedingt eine Antwort haben wollte. Eher ein neugierig-interessierter, sowie auch Tinúviel und Kyle die beiden beim ersten Mal angesehen hatten.

“Naja.“ Begann Ryu dann und sah zu Nicole. “Nun, wo wir hier in Landir sind und der Akademie so nahe, sollten wir langsam die Wahrheit sagen.“

“Meinst du?“ sie sah ihn misstrauisch an. Ryu nickte und stand auf.

“Japan könnten sie hier lange eure suchen, eure Hoheit.“ Meinte er dann schließlich und sah zu Prinz Carchagar. “Es befindet sich nicht auf diesem Kontinent. Und auch auf keinem anderen in dieser Welt.“ Er sah nun reihum jeden einmal an. “Nicole und ich kommen aus einer völlig anderen Welt.“

Nach dieser Ankündigung kam erstauntes Schweigen über alle anwesenden. Nur Tinúviel lachte auf: “Eine andere Welt? Na das ist doch mal spannend!“

Carchagar nahm es nicht so leicht auf. “Das ihr Fremd seit, habe ich schon kapiert.“ Meinte er überrascht und setzte sich. “Aber aus einer völlig anderen Welt? Ist das möglich?“

“Oh, technisch gesehen schon, eure Hoheit.“ Meldete sich nun einer der Elfen vom anderen Tischende. Alle sahen zu ihm. Er trug dieses mal keinen weißen Kittel, doch jetzt erkannte Ryu, das es der Magier war, dem er zuvor in der Akademie in beide Schultern geschossen hatte. Nachdem alle nun auf ihn blickten, räusperte er sich und stand auf. “Es ist nicht unbekannt, das es neben unserer Welt noch weitere Welten, so genannte Parallelwelten, gibt. Und wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind, kann es durchaus möglich sein, das man von einer Welt in die andere reisen kann.“ Erklärte er und sah zu Ryu. “Was ist geschehen? Wie seit ihr hier gekommen?“

“Wie genau wüsste ich auch gerne.“ Er zuckte mit den Schultern. “Wir wurden von einem Blitz getroffen, und als wir wieder aufwachten, waren wir schon hier.“

“Hm. Ich verstehe.“ Murmelte der Magier und rieb sich das Kinn. “Und deshalb seit ihr? Weil ihr euch erhofft habt, wir könnten euch zurück bringen?“

Ryu und Nicole nickten, worauf der Magier den Kopf schüttelte. “Da muss ich euch enttäuschen. Das ist unmöglich. Jedenfalls bei uns. Wir haben viel zu wenig Information, zu wenig Wissen, um solche Reisen möglich zu machen.“

“Nicht bei euch?“ Ryu stöhnte auf und setzte sich wieder. “Aber ist es denn durchaus möglich?“

“Nun, das kann ich nicht sagen. Wir haben über die Dimensionen kaum Informationen. Aber es gibt jemanden, der zu diesem Thema quasi alles weiß.“

“Und wo finden wir diese Person?“

“Ebenfalls in einer Schule.“ Meinte der Magier und schmunzelte leicht. “Neben unserer Akademie gibt es auf diesem Kontinent noch zwei große Schulen. Eine im Feuerland und eine in Etalis. Es heißt, ihr findet diese Person in einer der beiden Schulen. Leider kann euch nicht genauer sagen, wie die Person aussieht oder wie sie heißt. Ich weiß nicht einmal, ob sie männlich oder weiblich ist, aber fest steht, dass sie Informationen hat. Entweder kann sie euch selbst zurück schicken, oder euch zumindest mit genügend Informationen versorgen, um uns dazu in die Lage zu versetzen.“

Ryu seufzte leise. Er hatte den Kopf sinken lassen, als der Magier gesprochen hatte. Diese Hoffnung war also geplatzt. Doch als der Magier weiter gesprochen hatte, hatte er zugehört. “Also dauert es noch länger.“ Murmelte er und schüttelte den Kopf. “Klasse.“

“Ach komm schon, Ryu. Noch mehr Spass.“ Nicole grinste und klopfte ihm auf die Schulter. “Dann sehen wir noch mehr von dieser Welt. Und vielleicht hast du ja auch versteckte Magie, die irgendwann aufwacht.“

“Und selbst wenn es sofort möglich wäre.“ Fügte Prinz Carchagar hinzu. “Möchte ich darauf bestehen, das alle hier in Anwesenden in der Stadt bleiben, bis unser Vater wirklich verstorben ist. Ihr wohnt solange hier im Schloss, in den Räumen, in denen ihr zum ersten Mal aufgewacht seid. Und Gentleman…“ er wandte sich an die Torwächter. “Bis es soweit ist, würde ich euch gerne frei stellen. Genießt ein wenig freie Zeit und sortiert eure Gedanken.“

“Hast du gehört, Ryu? Der Prinz möchte, das wir noch bleiben.“ Flüsterte Nicole und sah ihn an.

“Habe ich. Ich bin ja nicht taub.“ er seufzte. “Vielleicht tut es ganz gut, mal etwas abzuspannen. Es wird jetzt eh noch länger dauern.“

“Was meinst du?“ sie sah ihn fragend an.

“Na, die Schulen. In Feuerland und Etalis. Ich habe diese beiden Länder im Atlas schon mal gesehen. Feuerland wäre näher dran, aber da wir zu Fuß gehen müssen, wird das bestimmt ein paar Wochen dauern. Und wenn wir dort nicht richtig sind, müssen wir nach Etalis. Und da dauert der Weg von Feuerland aus bestimmt noch dreimal so lange.“

“Ist doch toll.“ Sie grinste und stand auf. “Komm. Gehen wir schlafen.“

Ryu brummte nur und stand auf, ehe er in sein Zimmer ging.
 

Fünf Tage lang genossen sie einfach nur das ruhige Leben auf dem Schloss. Auch Ryu freundete sich langsam mit der Situation an. Sie konnten es eh nicht mehr ändern, und Trübsal blasen half auch nicht.

Heute waren Ryu, Nicole und Tinúviel zusammen mit Prinz Kimaro, dem silberhaarigen und nach seiner Aussage jüngsten der vier Prinzen, in der Stadt unterwegs. Sie hatten ihre Sachen wiederbekommen, welche die Elfen aber nicht mehr hatten retten können. Also musste sich die Dreiergruppe nun neu einkleiden.

Tinúviel hatte Recht behalten. Nun, wo alles wieder wie vorher war, waren Landirs Straßen tatsächlich noch voller, lauter und bunter als die von Nirás. Und trotzdem kamen sie problemlos überall durch, da sie immerhin den Prinzen dabei hatten. Während sie weiter gingen, klärte der Prinz sie über einzelne Sehenswürdigkeiten der Stadt auf: Ein Haus, in welchem vor hunderten von Jahren mal ein großer Künstler geboren wurde. Eine Statue, um die sich eine blutige Legende, ihren Erschaffer betreffend, rankte. Ein verlassenes Geisterhaus, das aus irgendeinem Grund niemand haben wollte. Und die größten Sehenswürdigkeiten waren natürlich der große Turm der Akademie, welcher mit seinen prachtvollen, bunten Glasfassaden einen interessanten Kontrast zur Pompösen, Barocken Kathedrale und den Gotischen Fassaden des Schlosses bildete.

“Kommt, hier lang.“ rief der Prinz und verschwand plötzlich zwischen zwei Gebäuden. Als sie hinliefen, sahen sie einen schmalen Schlitz, durch welchen er sich gezwängt hatte. Die drei sahen sich kurz gegenseitig an, dann zwängte Nicole sich ebenfalls hinein und folgte ihm. Tinúviel und Ryu jedoch nahmen lieber den langen Weg außen rum und trafen die beiden auf einem Großen Platz.

“Wie viele von diesen Plätzen gibt es in dieser Stadt?“ fragte Ryu verwundert und sah sich um. “Das nun schon der fünfte, durch den ihr uns geführt habt.“

“Oh, ich glaube, insgesamt gibt zehn solcher Plätze in der Stadt. Aber das hier ist der, zu den ich euch führen wollte.“ Erklärte Kimaro und sah die drei an. “Ihr wolltet euch doch neu einkleiden, und dafür ist das hier die beste Adresse.“

“Beste Adresse gut und schön. Aber das sieht so teuer aus hier.“ Meinte Ryu unbehaglich und sah sich um.

“Oh, Preise können euch egal sein.“ Kimaro ging vor und deutete den dreien, ihm zu folgen.

“Was meint ihr damit, Preise können uns egal sein?“ fragte Tinúviel nun, als sie den Prinzen eingeholt hatte.

“Ich meine damit, was ich gesagt habe.“ Erklärte Kimaro sah zu den dreien. “Es kann euch egal sein, weil ihr nicht zahlen werdet. Meine Brüder und ich haben entschlossen, dass wir es euch spendieren. Also nur nicht schüchtern sein.“

Wie vom blitz getroffen blieben Ryu, Nicole und Tinúviel stehen und sahen den Prinzen fassungslos an. Die Prinzen wollten ihnen die neue Ausstattung bezahlen?

“Das können wir doch nicht annehmen, eure Hoheit!“ meinte Tinúviel und sah ihn an. “Das ist… zuviel.“

Ryu nickte zustimmend. “Wir können uns unsere Ausrüstung auch selbst besorgen.“

“So seht ihr das also?“ Kimaro verschränkte die Arme hinter dem Kopf und die drei an. “Dann sage ich es eben anders: Tinúviel Auríel, als Mitglied der Herrscherfamilie befehle ich dir, es anzunehmen.“ Meinte er dann und schmunzelte. Doch er hatte keinen Befehlston angewandt, sondern es immer noch freundlich gesagt. “Und Ryu, Nicole. Ihr seid keine Bürger unseres Landes, aber so lange ihr euch in Elodinir befindet, steht ihr unter unserer Autorität. Also gilt für euch dasselbe.“

Tinúviel seufzte leise, dann nickte sie. “Jawohl, eure Majestät.“ Antworteten sie dann schließlich zu dritt.

“Gut.“ Sagte Kimaro und nickte zufrieden. “Dann kommt weiter.“ Er führte sie weiter über den Platz. Er steuerte als erstes einen Damenausstatter an, in dem Tinúviel und Nicole sich neu einkleiden konnten. So unangenehm es ihnen es anfangs auch gewesen war, hatten sie sich schnell an den Gedanken gewöhnt. Sie durchstöberten das Geschäft, ohne wirklich auf die Preise zu achten, während Kimaro und Ryu am Eingang warteten.

Als nächstes ging es zu einem Herrenausstatter an einer anderen stelle des Platzes. Auch Ryu hatte sich an den Gedanken gewöhnt und sammelte ein paar Sachen zusammen, die er interessant fand. Am späten Nachmittag verließen sie auch diesen Laden. Pakete hatten sie aber nicht dabei. Diese würden samt Rechnung ins Schloss geliefert werden.

“Braucht ihr noch etwas?“ fragte der Prinz und überlegte. “Sonst würde ich vorschlagen, machen wir uns langsam auf den Weg zurück.“

“Hier gab es nur Kleidung.“ Antwortete Tinúviel und sah sich auf dem Platz um. “ich brauche aber auch neue Arm- und Beinschienen.“

“Und ich brauche neue Handschuhe. Mein sind völlig ruiniert.“ Fügte Nicole hin zu.

“Und ich würde mich auch gerne noch nach einer neuen Waffe umsehen.“

“Also Waffen und Rüstungen? Da müssen wir hier lang.“ Antwortete Prinz Kimaro und lief los, gefolgt von den anderen. Er führte sie auf einen anderen Platz, mittlerweile dem sechsten. Hier konnte man das Klirren von Metall hören, das Pfeifen der Blasebalge für die Öfen und das Knistern der Kohlen in der Glut. Es roch Rauch, Schmierfett und Leder. Ein völlig anderes Bild als der Platz, auf dem sie vorher gewesen waren.

Kimaro winkte und führte die drei als erstes zu einem Rüstungsschmied. Sie sahen sich erst einmal in dessen Geschäft um. Doch es gab nichts, das Tinúviels Anspruch entsprach, also musste etwas bestellt werden. Ryu und Nicole indes fanden etwas, was nützlich für sie beide war, und kauften es.

Im Anschluss ging es zum Waffenhändler. Aus dessen Geschäft kamen sie etwa eine halbe Stunde später wieder raus. Ryu musste leicht Grinsen und sah in den Himmel. Im Moment fühlte er sich grade wie die Hauptfigur in einem RPG. Nur das er hier ohne Blick auf den Geldbeutel Shoppen konnte.

Seine Gedanken wurden zerrissen, als auf einmal der Ton einer großen Glocke durch die Luft dröhnte. Er sah zur entfernten Kathedrale. Gab es etwa eine Messe dort? Doch Nicole zupfte an seinem Ärmel und zeigte zum Schloss. Von dort kam das Geläut.

“Prinz Kimaro. Was hat das zu bedeuten?“ fragte er den Prinzen laut, um die Glocke zu übertönen.

“Diese Glocke… sie wird nur geschlagen, wenn etwas großes passiert ist.“ Erklärte der Prinz zögernd und sah zu ihnen. “Und in unserer momentanen Lage kann es nur eines Bedeuten: Mein Vater… Er muss verstorben sein.“
 

Die vier waren unverzüglich zurück gekehrt, nur um zu erfahren, das es tatsächlich so gewesen war: Der König war verstorben. Alle Flaggen am Schloss und auf den Mauern wurden auf Halbmast gezogen. Zuerst gab es drei Tage interne Trauerzeit, in der die Angehörigen der Königsfamilie und die Bediensteten Abschied nehmen konnten. Der König wurde Präpariert, und die Experten hatten es sogar geschafft, sein verbranntes Gesicht wieder herzustellen. Er wurde in eine prachtvolle, schwarze Robe gekleidet und ihm wurde ein silbernes Diadem mit einem Jadestein angelegt, ehe er in einem Jadesarg gebettet zur Kathedrale transportiert wurde, so dass auch das Volk Abschied nehmen konnte. Außerhalb des Schlosses hatte niemand eine Ahnung von letzten Taten des Königs: Die letzten drei finsteren Monate wurden vom gemeinen Volk einem Betrüger zu geschrieben, welcher den König irgendwie ersetzt und nun schlussendlich getötet hatte.

Ganz vorne an der Prozession ging der Priester der Kathedrale. Ryu hatte den Priester schon einmal gesehen. Normalerweise trug er prächtige Smaragdfarbene Roben, einen goldenen Hut und einen glänzenden schwarzen Umhang. Doch nun trug er nichts außer einer ziemlich einfachen, mattschwarzen Robe und eine schwarze Kappe. Offensichtlich, um nicht von der Pracht des Toten abzulenken.

Dem Priester folgte ein von prächtigen Schimmeln gezogener Wagen, auf welchem der Sarg des Königs transportiert wurde. Neben dem Wagen gingen die vier Prinzen auf der einen Seite, Ryu, Nicole und Tinúviel auf der anderen Seite. Besonders Tinúviel hatte sich zu erst dagegen gewehrt. Dieser Platz gebührte nur Familienmitgliedern und engsten Vertrauten des Toten, und das waren sie definitiv nicht. Und auch, wenn die Heiler ihr immer wieder versicherten, das sein Tod hauptsächlich Schuld des Wesens war, das von ihm Besitz ergriffen hatte, fühlte sie sich manchmal verantwortlich für seinen Tod.

Hinter dem Wagen folgten die Würdenträger anderer Länder. Natürlich war keiner der anderen Herrscher selbst gekommen. Sie hatten meistens ihre ältesten Söhne an ihrer Stelle geschickt.

Den fremden Würdenträgern folgten schließlich die Lehrer der magischen Akademie, welche in der Stadt ebenfalls eine gewisse Autorität darstellten und deshalb eingeladen. Nach den Magiern kamen die Ritter und ganz zum Schluss, nach Rängen sortiert, das restliche Dienstpersonal des Schlosses.

Die Prozession führte schließlich in die Kathedrale. Auch wenn es eigentlich unpassend war, mussten Ryu und Nicole sich unauffällig umsehen. Der Innenraum sah verdächtig nach einer kleineren Ausgabe des Fendrir-Tempels aus, samt der gewaltigen Drachenstatue. Der Sarg des Königs wurde vom Wagen auf den Altar zwischen den Beinen des Drachen gehievt. Die Mitläufer der Prozession setzten sich, die übergebliebenen Plätze füllten Einwohner der Stadt auf.

Der Priester begann zu sprechen. Er hielt eine Stunde lang Predigt, ehe er den Platz räumte. Nun konnten die Gäste sprechen. Als erstes die Besucher der anderen Länder, sie verlasen Briefe ihrer Väter, sagten noch ein paar eigene Worte, ehe sie dem Toten ein kleines Präsent mit in den Sarg legten. Als irgendwann auch Tinúviel vortrat, ging ein leises Raunen durch die Menge, hier und da gab es kurze Geflüster. Sie beendete ihre Rede und legte ihr Präsent in den Sarg, dann setzte sie sich wieder. Ryu und Nicole wurde diese Prozedur erspart, da sie so Fremd hier waren, wie man nur Fremd sein konnte. Zu Guter letzt trat Prinz Carchagar vor. Er richtete letzte Abschiedsworte an den Toten, Dankesworte an alle Gäste für ihr Erscheinen und die Geschenke an seinen Vater. Abgeschlossen wurde Zeremonie schließlich damit, dass der Prinz gemeinsam mit seinen Brüdern den Sarg mit seinem schweren Deckel verschloss.
 

“Was wird nun weiter geschehen, Tinúviel?“ fragte Ryu die Halbelfe leise beim Abendessen. Die Prinzen waren in Gespräche mit den Gästen vertieft.

“Nun.“ Antwortete Tinúviel und nahm einen Schluck Met. “Der Sarg wird nun erst einmal drei Tage lang in der Kathedrale aufgebahrt, damit sich alle Einwohner der Stadt und möglichst viele Einwohner aus dem Rest des Landes verabschieden können.“ Erklärte sie ihm. “Dann wird der Sarg fort gebracht. Und erst danach kann es Prinz Carchagar öffentlich machen, dass er die Nachfolge seines Vaters antreten wird. Auch wenn das wirklich kein sehr großes Geheimnis ist.“

“Ich verstehe.“ Ryu nickte. Und dann?“

“Nix dann. Nach der Krönungszeremonie ist es vorbei. Die Bürger werden zwar sicherlich noch eine Weile um ihn trauern, aber irgendwas Zeremonielles gibt es dann nicht mehr.“ Tinúviel sah zu den Prinzen. “Ich habe übrigens mit ihm gesprochen. Prinz Carchagar besteht darauf, das wir bis zur Krönungszeremonie bleiben.“

“Noch eine Zeremonie.“ Ryu seufzte leise. Doch eine Wahl hatten sie wohl kaum.
 

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Kapitel 6 Ende ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
 

Beim nächsten mal:
 

Nach der Krönungszeremonie von Elodinirs neuem Herrscher, König Carchagar, können Tinúviel, Ryu und Nicole endlich weiter reisen. Von den Magiern der magischen Akademie erhalten sie die Namen zweier möglicher Ziele. Doch nach beinahe zwei Wochen die Stadt wieder zu verlassen, bedeutet auch, sich in neue und vielleicht sogar gefährliche Abenteuer zu begeben. Doch sie haben eine komplett neue Ausrüstung, die ihnen auf dem Weg helfen wird.
 

Das nächste Kapitel heißt:
 

Neue Ziele

Neue Ziele

Kapitel 7: Neue Ziele
 

~~~~~~~~~~~~~~~~ Was beim letzten mal geschah ~~~~~~~~~~~~~~~~
 

Beim Kampf in der Akademie gerät Nicole in ausweglose Situation, und die anderen können ihr nicht helfen. Doch bevor der böse König ihr irgendetwas antun kann, erwacht in ihr die ziemlich mächtige Lichtmagie. Dadurch kann sie Tinúviel heilen und gemeinsam mit ihr den König besiegen. Wie sich jedoch heraus stellt, wurde dieser von einem bösen Wesen unter kontrolliert.

Nach dem Kampf lernen die drei die Prinzen des Landes kennen. Sie machen ihnen jedoch keine Vorwürfe, im Gegenteil danken sie ihnen sogar, dieses Problem gelöst zu haben. Die Prinzen bringen sie dazu, in der Stadt zu bleiben, so das sie schließlich an der Trauerzeremonie des Königs, welcher ein paar Tage nach dem Kampf stirbt, teilnehmen.

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Drei Tage später versammelten sie sich wieder in der Kathedrale. Der Priester trat nun vor. Er trug nun wieder seine übliche grüne Robe und den goldenen Hut, und auch die Prinzen und die anderen Gäste waren nun nicht mehr in schwarzer Trauerkleidung gekleidet. Die meisten der Bediensteten und der Soldaten sind im Schloss geblieben, so dass nun mehr Bürger diesem Teil beiwohnen konnten.

“Wir haben uns hier heute versammelt, um unseren Geliebten Herrn, König Arín Ifíriel, das letzte Geleit zu geben.“ Er trat noch einen Schritt vor, so dass er nun in der Mitte der Zuschauerränge stand. Er wandte sich zu der Drachenstatue und hob beide Hände. “Oh Fendrir, Herr der Wälder! Ewiger Beschützer all derer, die deinen Wald ihre Heimat nennen! Geleite deinen Sohn zu seinen Ahnen!“

Die Smaragdaugen der Statue begannen zu leuchten, als der Priester kurz darauf begann, in einer fremdartigen Sprache zu singen. Der gewaltige Obsidiankörper der Statue begann sich langsam zu bewegen. Er streckte die Flügel ein wenig mehr, bewegte zwei Klauen, ehe er den Blick senkte und grollte. Aus dem Boden neben dem Altar schossen Ranken in die Höhe, welche den Sarg mit sich nahmen, auf Höhe der Brust des Drachen. Dieser senkte den Kopf und schnupperte an dem Sarg. Kurz darauf hob er den Sarg von den Ranken und schloss die Flügel um ihn. Als die Statue die Flügel fünf Minuten später wieder öffnete, war der Sarg verschwunden. Der Drache nahm seine alte Position wieder ein, und als der Priester zu singen aufhörte, erstarrte er vollständig.

“Unglaublich.“ Murmelte Ryu leise. “Wo ist der Sarg hin?“

“Seine Brust.“ Erklärte Tinúviel und zeigte drauf. Dort gab es im Obsidian ein kleines Fenster, hinter welchem man nun das helle Grün des Jadesargs sehen konnte. “Jeder Tote Herrscher wird eins mit unserem Schutzgott, um gemeinsam mit ihm seine Untertanen zu beschützen.“ Erzählte sie ihm und lächelte. “Aber er nimmt nur gute Herrscher in sich auf. Deshalb war ich ein wenig nervös, als der Drache am Sarg geschnuppert hatte. Doch offenbar hat er bemerkt, das er es nicht aus freien Stücken getan hatte.“

“Was wäre denn geschehen, wenn der Drache ihn als böse erkannt hätte?“

“Dann hätte er den Sarg stattdessen gefressen. Als Zeichen, das er und seine Verwandten vom Schutzgott verlassen wurden. Man hätte die Prinzen unverzüglich aus dem Schloss gejagt, und dann hätte der Streit begonnen, welche unserer vielen, alten Adelsfamilien im Land wohl nun die Herrschaft übernimmt.“ Sie seufzte. “Dummerweise testet Fendrir die potentiellen Herrscher nicht vorher, sondern richtet erst hinterher über sie.“ Tinúviel stand auf und streckte sich.

“Kommt, gehen wir.“ Meinte sie zu den anderen beiden. “heute Nachmittag findet Prinz Celegs Krönungszeremonie statt. Lass uns davor noch ein wenig entspannen.“ Sie nickten und gingen hinaus, zurück zum Schloss.
 

Die Krönungszeremonie begann mit dem Glockenschlag um drei Uhr nachmittags. Die Gäste hatten sich im Thronsaal versammelt und unterhielten sich miteinander. Als die Glocke drei schlug, verstummten sie jedoch. Die Türen zum Saal öffneten sich, und Prinz Celeg trat ein. An seiner Seite ging Tinúviel, welche sich leicht unbehaglich umsah. Wieder einmal war sie in einer Position, die ihr ganz und gar nicht passte. Erst beim Trauerzug, wo sie direkt neben dem Sarg laufen sollte, und nun das hier. Normalerweise war es Aufgabe der Frau des Prinzen. Doch dummerweise war Prinz Celeg nicht verheiratet. Sie seufzte leise und ging mit ihm Richtung Thron.

Neben dem Thron wartete bereits der Priester. Die Krone lag auf einem rotem Samtkissen auf dem zweiten Thron, welcher normalerweise der Königin gehörte. Celegs drei Brüder hatten sich auf der anderen Seite des Thrones aufgebaut.

Als Celeg und Tinúviel den Thron erreicht hatten, ging er in die Knie und senkte sein Haupt vor dem Priester.

“Prinz Celeg Ifíriel. In Anbetracht der jüngsten Ereignisse ist es nun an dir, den Platz deines Vaters einzunehmen und dein Land zu führen.“ Begann der Priester würdevoll. “Wirst du immer alles in deiner Möglichkeit stehende Tun, um das Land auf dem Weg weiter zu führen, auf dem dein Großvater es einst gebracht hatte?“

“Das werde ich!“ Antwortete der Prinz, ohne aufzusehen.

“Wirst du immer weise handeln, niemals Impulsiv, um deinem Land nicht zu schaden?“

“ich werde immer weise handeln, werter Hohepriester.“

“Sehr gut.“ Der Priester lächelte und reichte ihm eine runde, weiße Kugel. “Nimm diesen Stein, schließe ihn fest in deine Hand und schließe die Augen.“

Celeg tat, wie der Priester sagte, und schloss die Augen. Eine Minute kniete er so vor dem Priester. Nichts schien zu passieren. Dann öffnete er die Hand wieder und hielt sie dem Priester hin.

“Hm.“ Der Priester nahm die Kugel. Doch sie war nun nicht mehr weiß. Sie gelb-braun mit Runden Mustern. “Das Tigerauge. Sehr schön.“ Der Priester lächelte zufrieden und nahm vorsichtig die Krone von ihrem Kissen und befestigte die Kugel in einer speziellen Halterung. “In Fendrirs Namen kröne ich dich hiermit zum fünfundfünfzigsten König von Elodinir!“ Sämtliche Gäste begannen zu Applaudieren. Anschließend waren die Prinzen wieder einmal mit Gesprächen mit den Prinzen der anderen Länder beschäftigt. Tinúviel seufzte erleichtert und kam wieder zu Ryu und Nicole.

“Endlich!“ murmelte sie und sah zu den Prinzen. “Wieso grade ich?“

“Was hast du denn, Tinúviel?“ fragte Nicole und schmunzelte.

“Was ich habe?“ sie seufzte erneut. “Das ich nun schon zum zweiten mal in eine Position gezwungen wurde, in die ich nicht gehöre. Das stört mich!“

“Positionen?“ Nicole legte den Kopf schief. “Was meinst du?“

“Erst einmal bei der Trauerprozession. Es hat uns nicht zugestanden, direkt neben dem Sarg herzulaufen.“ Sie schüttelte den Kopf. “Und dann grade eben. Das ich ihn bis zum Thron begleitet habe. Das ist normalerweise Aufgabe der Frau des Prinzen.“

“Hm? Seiner Frau?“ Nicole sah zu den Prinzen. “Vielleicht hat das was zu bedeuten?“

“Was soll das denn schon bedeuten?“

“Na was wohl?“ Nicole grinste und stupste Tinúviel in die Seite. “Vielleicht mag er dich. Vielleicht sollte das eine Art indirekter Heiratsantrag sein.“

“Ein Antrag?“ die Halbelfe wurde leicht rot. “So ein Unsinn. Ich bin keine Adelige!“

“Na und? Das ist der Liebe doch egal.“

“Ein Prinz kann doch keine einfache Kriegerin heiraten!“

“Also, bei uns ist das gar nicht so unnormal.“ Meinte Nicole nippte an ihrem Drink. “ich meine, das Adelige Bürgerliche heiraten. Oder, Ryu?“

“Hm.“ brummte er nur und ging einen Schritt weg. Aus solchen Gesprächen hielt er sich lieber raus.

So schnell was das Thema bei den Frauen aber nicht durch. Tinúviel hatte sich schnell von diesen gefährlichen Gesprächen abgesetzt, während Nicole im Beisammensein anderer Frauen sich darüber ausließ.

Tinúviel seufzte leise und ging in den Garten des Schlosses. Sie öffnete den oberen Kragen ihres Kleides und grübelte. Die Krönungszeremonie war nun durch. Das bedeutete, dass sie morgen endlich weiter reisen konnten. Sie überlegte und sah noch mal zurück zum Thronsaal. Vielleicht sollte sie Nicole stoppen. Auf diese Weise entstanden sonst schnell Gerüchte. Dann aber schüttelte sie den Kopf und setzte sich an den Brunnen. Sie sah hinein und bemerkte Ryu, welcher dort am Geländer stand und über die Stadt blickte.

“Hast du dich auch von der Party abgesetzt?“ fragte sie und ging zu ihm. Ryu nickte, sah aber nicht zu ihr.

“Sieht so aus.“ Meinte er und überlegte. “Ich bin kein Freund solch großer Veranstaltungen.“

“Ich auch nicht. Das habe ich schon immer gehasst.“

“Warst du schon öfters auf solchen Veranstaltungen?“

“Naja, in dieser Größenordnung noch nicht. Aber früher musste ich alle paar Wochen vor irgendeinen Herrscher treten und irgendein Fest über mich ergehen lassen, wenn Kyle und ich irgendwas gemacht haben, was ihn gefreut hatte.“ Sie seufzte und legte den Kopf auf die steinerne Brüstung. “Bin ich froh, wenn wir morgen endlich weiter können.“

“Ja, das bin ich auch.“ Murmelte Ryu. “Wir waren viel zu lange in dieser Stadt.“

“In der Tat.“ Tinúviel begann zu Gähnen. “Oh. Ich lege mich dann schon mal hin.“

“Mach das. Ich bleib auch nicht mehr lange.“ Meinte Ryu und sah ihr nach.
 

Am nächsten Morgen standen die drei zur Abreise bereit im Thronsaal. Nicoles neue Kleidung war wieder weiß und sah aus wie eine Mischung aus einer Uniform und einem Karateanzug. Es bot kaum Schutz, dafür aber ziemliche Bewegungsfreiheit. An den Händen trug sie nun neue Handschuhe, aus weißgefärbtem Leder. An den Knöcheln waren Metallnieten angebracht und die Fütterung der Handschuhe war ein Metallgewebe eingearbeitet, so dass sie nicht mehr so schnell zerschnitten werden konnten.

Tinúviels Kleidung ähnelte stark ihrer alten. Nur trug sie dieses Mal ein ärmelloses, asiatisch geschnittenes Oberteil in feurigem Rot mit schwarzen Akzenten. Ihre Hose war aus braunem Leder mit leichtem Rotstich und mehreren Taschen an den Beinen. An Armen trug sie nun Schienen, welche an ihren Handgelenken anfingen und leicht über die Ellenbogen hinaus ragten. Ihre Beinschienen fingen kurz über den Knöcheln an und ragten bis leicht über die Knie. Die schienen glänzten silbern und hatten Einlagen aus Obsidian und Smaragd. In jeder Schiene waren versteckte Messerscheiden. Über dem allem trug sie einen Bodenlangen, schwarzen Mantel mit roten Akzenten am Kragen, der Knopfleiste und den Armausschnitten.

Ryu trug nun einen schwarzen Rollkragenpullover und eine sehr schmal geschnittene, schwarze Hose. Am Gürtel hing der Holster seiner neuen Waffe, ein um einige Nummern größerer Revolver mit sieben Schuß-Trommel. Nachdem er sie gekauft hatte, hatte sich die restliche Munition, die er noch aus dem Fendrir-Tempel hatte, dieser neuen Waffe angepasst. Darüber trug er einen langen schwarzen Mantel mit Stehkragen, dem der Schneider aus irgendeinem Grund mit Lederresten ein schuppiges Aussehen verpasst hatte. Der Mantel war ziemlich schwer, da in sein Futter Kettengewebe eingearbeitet worden war, um ihn vor Schnitten zu schützen.

“Was ist nun unser erstes Ziel?“ fragte Nicole die beiden anderen. “Wie geht’s weiter?“

“Nun, am logischsten wäre es, erstmal Feuerland anzusteuern. Dafür reisen wir am besten zurück nach Nirás, oder, wofür ich eher wäre, wir steuern Carvahal an, um in einer der beiden Städte ein Schiff zu nehmen.“ Antwortete Tinúviel, während sie ihre Ausrüstung noch einmal überprüfte. “Sonst müssten wir über den Drachenrücken und durch Kiri reisen.“

Ryu hatte den Atlas wieder raus genommen, während Tinúviel gesprochen hatte, und untersuchte die Karte. Carvahal war eine Stadt südwestlich von Landir. Den Informationen im Buch zufolge hatte Carvahal etwa halb so viele Einwohner wie Nirás, war flächenmäßig aber beinahe gleich groß. Der Drachenrücken, den sie erwähnt hatte, war offenbar ein erster Ausläufer der Berge, ehe es im Nachbarland Kiri schließlich richtig bergauf ging.

Er steckte das Buch wieder weg und sah zu Tinúviel. “Ein Schiff zu nehmen wäre mir lieber. Lass uns nach Carvahal gehen.“

“Dann wäre Carvahal also beschlossene Sache.“ Stellte Tinúviel fest und sah auf die Uhr. “Wo bleiben sie? Wir sollten uns wenigstens noch vom König und den Prinzen verabschieden, ehe wir uns auf den Weg machen.“

Sie warteten noch eine Weile, ehe irgendwann ein Diener mit Staubwedel bewaffnet in den Raum kam. Als er die drei dort stehen sah, stutzte er und fragte: “Wartet ihr auf etwas, Lady Auríel?“

Tinúviel drehte sich abrupt um und sah zu dem Diener. “Wir habt ihr mich genannt?“ fragte sie verwirrt. “Lady Auríel?“

“Ja. So war es.“ Antwortete der Diener, ein wenig Irritiert aufgrund dieser Reaktion. “Ihr und eure Begleiter seid Freunde unserer Herrscher, also gehört es zur Etikette, euch so zu nennen.“

Tinúviel seufzte nur kurz und schüttelte den Kopf. “Wie ihr wollt. Wisst ihr, wo König Celeg bleibt?“

“Um ehrlich zu sein warten der König und seine Brüder schon seit geraumer Zeit am Westtor auf, um euch zu verabschieden.“ Nach dieser Antwort sah Tinúviel äußerst missmutig drein und schnaubte. Sie griff ihre Tasche und warf sie sich über die Schulter.

“Da hätten wir hier noch ewig warten können.“

Zu dritt verließen sie den Saal. Im Hof trafen sie auf den Anführer der Torwächter, welcher ein wenig aussah, als er die drei bemerkte.

“Ihr seid noch hier.“ Bemerkte er verwirrt. “Ich dachte, ihr wolltet gegen Mittag abreisen.“

“Ein kleines Missverständnis.“ Antwortete Tinúviel knapp. “Wir haben auf den König und die Prinzen im Thronsaal gewartet, während diese eigentlich längst am Westtor auf uns warten.“

Der Soldat begann zu lachen und schüttelte den Kopf. “Oh Mann, was für eine Geschichte.“ Dann beruhigte er sich aber wieder und sah zu den dreien. “Ich begleite euch zum Tor.“

Zu viert verließen sie den Palast. Er lag im Ostteil der Stadt, und wenn sie zum Westtor wollten, mussten sie nun einmal durch die Stadt. Doch zum glück waren die Straßen recht simpel angelegt: Vom Platz vor dem Palast aus musste man einfach immer nur grade aus der Hauptstraße folgen. Die Passanten machten ihnen Platz, wenn sie vorbeikamen. Zum einen wohl, weil sie einen der königlichen Ritter dabei hatten, der größere Grund war aber wohl eher, das sie nach den letzten Tagen mittlerweile selbst sehr bekannt waren und offenbar für adelige gehalten wurden. Manchmal konnten sie aus der Menge Rufe hören wie: “Seht, das ist Lady Auríel, die Feuerklinge!“ - “Oh, dieser Mantel steht Sir Tanaka wirklich sehr gut.“ - “Lady Nicole ist einfach niedlich!“

Ryu geriet kurz ins Straucheln, als er im vorbeilaufen hören konnte, wie man ihn `Sir` nannte. Das sollte doch wohl ein Scherz sein.

Nach fünf Minuten erreichten sie das Westtor, welches geschlossen war. Als sie sich näherten, ertönte vom Wehrgang über ihnen einen Fanfare und die drei Prinzen erschienen auf der Mauer.

“Wolltet ihr euch etwa einfach so davon schleichen?“ fragte Prinz Kimaro und sah zu ihnen hinab. “Doch so schnell entkommt ihr uns nicht. Wir haben extra hier…“

“Um ehrlich zu sein hatten wir im Thronsaal gewartet, um uns zu verabschieden.“ Unterbrach Ryu die Rede des Prinzen. Wie erwartet sahen alle drei Gruppe verdutzt an, als sie das hörten, und Prinz Kimaro kratzte sich am Kopf.

“Oh, Ach so.“ murmelte er verlegen. Nun ja… Ähm… Ich bin aus dem Konzept.“

Aus dem Turm neben dem Tor hörten sie das Lachen von König Celeg, welcher nur die Türe öffnete und hinaus trat. “Da hätten wir uns wohl doch besser abgesprochen.“ Meinte er und trat auf die drei zu. Er reichte Tinúviel die Hand und lächelte. “Es hat mich gefreut, dich einmal wiederzusehen, Feuerklinge.“

Tinúviel, die Hand bereits erhoben, um die Hand Celegs zu schütteln, sah verwirrt zu ihm. “Wieso wiedersehen?“

“Weil wir uns schon einmal gesehen hatten.“ Erklärte er und schmunzelte. “Als du das erste mal aktiv warst und gemeinsam mit dem Captain Landir vor einer Gruppe starker Magier beschützt hattest.“

Tinúviel sah ihm in die Augen und überlegte. An diesen Zwischenfall erinnerte sie sich. Sie grinste und schüttelte nun Celegs Hand. “Dann wart ihr der junge Prinz, der sich schüchtern im Hintergrund rumgedrückt hatte und sich nicht traute, uns anzusprechen?“ Alle Anwesenden, selbst der König selbst, begannen zu lachen. Anschließend wandte Celeg sich an Ryu und reichte auch im die Hand. “Es hat mich gefreut, euch kennen zu lernen, Weltenreisende. Ich hoffe, ihr findet eine Möglichkeit, zurück zu kehren.“

Ryu nickte und schüttelte die Hand des Königs. “Das hoffe ich auch. Aber vielleicht werden wir uns noch einmal wieder sehen.“ Celeg nickte und schüttelte auch Nicole die Hand, ehe er zur trat und rief: “Öffnet das Tor!“ Aus dem Turm kam gedämpft die Bestätigung der Soldaten, ehe das Tor knirschend langsam aufschwang. Als es weit genug geöffnet war, traten Ryu, Nicole und Tinúviel hindurch. Sie winkten den Prinzen, König Celeg und den Soldaten noch einmal zu, ehe sie weiter gingen und irgendwann am Horizont verschwanden.

“Endlich wieder unterwegs.“ Seufzte Tinúviel und ließ ihre Tasche sinken. Sie hatten Landir vor beinahe Vier Stunden verlassen und machten nun grade Pause auf einer Lichtung. Nicole hatte eine Decke auf einem Baumstumpf ausgebreitet und sah schmunzelnd zu ihr.

“Es war doch schön in der Stadt.“ Meinte sie und holte etwas Proviant aus der Tasche. “Ich hätte es gerne noch länger so haben können.“

“Naja.“ Tinúviel lehnte ihr Schwert an den Baum und sah zu ihr. “Obwohl, noch so eine große Zeremonie hätte es vermutlich nicht eh nicht mehr gegeben. Aber ich glaube, das hätte Ryu nicht gefallen, noch länger dort zu bleiben.“

“Gut möglich. Es stört ihn ja eh schon, das es in der Akademie keine Lösung gab und wir nun diesen langen Marsch nach Feuerland machen müssen.“ Sie stellte nun noch eine Flasche mit einem Getränk auf dem Stumpf. Ryu reagierte nicht darauf, dass sie über ihn redeten, das er Feuerholz am Sammeln war. “Wo wir grade dabei sind: Du warst nicht sonderlich überrascht, als Ryu erklärt hatte, wir kämen aus einer anderen Welt.“ Fügte sie mit fragendem Blick an Tinúviel gewandt hin zu.

“Ein bisschen überrascht war ich schon.“ Antwortete Tinúviel und schloss die Augen. “So etwas hätte ich mir in meinen Träumen nicht auszumalen gewagt, aber das irgend etwas normal war, das dachte ich mir schon. Denn wärt ihr nur aus einem anderen Land von einem fremden Kontinent gekommen, dann hättet ihr schon in Nirás einfach ein Boot nehmen können. Aber nein, ihr wolltet nach Landir und in der Akademie um Hilfe fragen.“ Sie zuckte mit den Schultern.

“Klingt logisch.“ Meinte Nicole mit einem Nicken und sah zu Tinúviel. Diese war nun ein wenig eingedöst. Erst, als sie Ryu hörten, der mit dem Holz wieder kam, wurde sie wach und setzte sich zu ihnen an dem Baumstumpf, welcher nun als Provisorischer Tisch diente. Tinúviel entzündete ein Feuer und begann das gepökelte Fleisch, welches sie vom Hofkoch unter anderem als Wegproviant eingepackt bekamen, gemeinsam mit einigen Wurzeln und Beeren zuzubereiten. Zur Neutralisierung des starken Salzgeschmackes gab sie etwas wilden Honig hinzu.

Nach dem Essen lehnte Tinúviel sich wieder an den Baum und streckte sich zufrieden, während Nicole die Reste wieder einpackte. Das Besteck putzte sie schnell mit einem Lappen ab, während sie die Großen Blätter, die sie als Tellerersatz benutzt hatten, einfach neben dem Baumstumpf vergrub. Ryu holte den Atlas hervor und suchte nach dem Kürzesten Weg von Landir nach Carvahal.

“Was meinst du, Tinúviel? Wie lange werden wir brauchen?“ fragte er die Halbelfe. Diese öffnete ein Auge und sah zu ihm.

“Wenn wir auf den festen Wegen bleiben, schätze ich ein bisschen mehr als eine Woche. Zehn Tage vielleicht. Bis nach Carvahal. Erfahrene Waldläufer könnten auf sechs Tage abkürzen, wenn sie die Wege verlassen würden.“ Antwortete sie und streckte sich. “Die Passage von Carvahal nach Feuerland würde dann noch mal vier Tage dauern. Allerdings weiß ich nicht, wie es vom Hafen in Feuerland dann bis zur Schule weiter geht.“ Sie stand auf und zog ihr Messer aus ihrer Armschiene. “Wer will trainieren?“

“Ich!“ Nicole sprang auf und baute sich einige Schritte vor Tinúviel auf. “Dann kann ich meine neuen Fähigkeiten direkt ausprobieren!“

“Dann zeig, was du kannst!“ meinte Tinúviel und beobachtete sie. Nicole tat erst einmal nichts. Sie beobachtete Tinúviel und schlich sich leicht kreisförmig um sie herum. Doch natürlich ließ Tinúviel nicht zu, dass Nicole hinter sie kam.

“Dann anders!“ rief Nicole und spurtete plötzlich vor. Ziemlich schnell stand sie plötzlich vor Tinúviel und schlug zu. Doch sie traf nur ihre Armschiene, welche bei dem Schlag leicht knirschte. Tinúviel holte mit dem Messer aus, doch Nicole packte Tinúviels unbewaffneten Arm und stemmte sich hoch, so dass sie nun kopfüber in der Luft stand, auf Tinúviels Arm abgestützt. Ehe diese Nicole abschütteln konnte, stieß sie sich von ihrem Arm und landete hinter ihr.

Aus dieser Position heraus versuchte sie nun, Tinúviel zu Boden zu ringen, in dem sie Versuchte, ihr das Bein weg zutreten, doch die Halbelfe stand felsenfest. Tinúviel drehte sich nun um und legte Nicole die Klinge ihres Messers an den Hals.

“Und wieder habe ich gewonnen.“ Meinte Tinúviel und sah Nicole an. “Doch du bist um einiges besser geworden.“

“Nicht so schnell.“ Gab Nicole mit einem Schmunzeln zurück. “Ist es dir noch nicht aufgefallen?“

“Was aufgefallen? Was?“ Tinúviel sah Nicole fragend an, dann fiel es ihr ein. Doch zu spät: Mit nun hell leuchtenden Händen schlug Nicole gegen Tinúviels Handgelenk. Durch die Magie um einiges verstärkt, schaffte Nicole es so, ihr das Messer aus der hand zu schlagen. Dem Tritt in den Magen konnte Tinúviel grade noch ausweichen. Sie brachte einige Schritte zwischen sich und Nicole und beobachtete ihre Begleiterin: Das war richtig. Nicole hatte ja nun auch Magie, mit der sie rechnen musste. Und dann auch noch ausgerechnet Lichtmagie, welche die Gegner des Anwenders blenden konnte.

Doch so schnell gab Tinúviel nicht auf. Auch wenn es nur ein Trainingskampf war, wollte sie gewinnen. Sie zog nun das Messer aus ihrer anderen Armschiene und aus ihrer linken Beinschiene, da stand Nicole plötzlich schon wieder vor ihr und schlug zu. Tinúviel blockte den Angriff mit gekreuzten Klingen ab. Sie wich wieder zurück, gefolgt von Nicole.

Nicole duckte sich und versuchte einen Fußfeger, doch Tinúviel sprang auf den Baumstumpf und Nicole traf nur das Holz. Doch zum Glück hatte ihre Magie ihr Bein geschützt, so dass sie nur einen dumpfen Schlag gespürt hatte. Nun brachte sie den Abstand zwischen sich und Tinúviel, doch diese schleuderte nun ihre beiden Messer auf sie, in Richtung ihre Beine. Sie blieb stehen und die Messer verfehlten. Sie atmete kurz tief ein, dann stürmte sie wieder vor. Sie sah, wie Tinúviel ihr Verbliebenes Messer aus der Rechten Beinschiene zog und auf Nicole richtete. Doch Nicole war schneller. Sie war nur noch zwei Schritte vom Baumstumpf entfernt…

…Als ein Schmerz ihre Beine durchfuhr und sie ins Straucheln brachte. Während des Sturzes sah sie Tinúviels Messer, welche durch dünne Flammen mit dem Messer in Tinúviels Hand verbunden waren. Schnell versuchte sie sich aufzurappeln, doch da stand die Halbelfe neben ihr und drückte sie sanft runter, während sie ihr ein Messer an den hals hielt.

“Jetzt habe ich dich aber.“ Meinte sie und sah sie an. Nicole lag auf dem Bauch, und so lange Tinúviel sie so runter drückte, konnte sie nichts mehr tun.

Schließlich gab Nicole auf und seufzte. “Okay, du hast wieder gewonnen.“ Bestätigte sie und setzte sich auf, nachdem Tinúviel sie los gelassen hatte. “Ich bin noch nicht gut genug.“

“Du hast deine Magie erst seit wenigen Tagen. Du musst sie noch richtig beherrschen lernen, dann wird das schon.“ Erklärte Tinúviel und kniete sich zu ihr, um Nicoles Füße zu untersuchen. “Und hiermit können wir gleich anfangen.“

“Was?“ fragte Nicole und sah zu ihr. “Womit anfangen?“

“Ich meine damit, das du versuchen sollst, deine Kratzer hier zu heilen.“ Sie zeigte auf Nicoles Fußgelenke. Dort hatte sie zwei dünne Schnitte, die leicht bluteten.

“Und wie mache ich das?“ Nicole sah Tinúviel fragend an.

“Wie machst du das denn, wenn du deine Hände und Füße so leuchten lässt?“

“Wie ich das mache? Eine Gute Frage.“ Nicole seufzte und sah in den Himmel. “Ich hab keine Ahnung.“

“Dann fangen wir eben klein an.“ Schlug Tinúviel überlegte und grübelte. “Wie war das noch gleich?“

“Als erstes muss sie den Fluss ihrer magischen Energie kennen lernen.“

“Genau. Du musst den Fluss deiner magischen Energie kennen… Was?“ Überrascht drehte Tinúviel sich um. Es war Ryu gewesen, der ihr auf die Sprünge geholfen hatte. “Woher weißt du darüber Bescheid?“

“Hier.“ Antwortete er und hielt das Zauberbuch hoch. “Steht doch alles drin.“

“Stimmt ja. Ich hatte vergessen, dass du dieses Buch hast. Dann kannst du es ihr ja erklären. So bekommst du auch gleich ein bisschen Erfahrung mit Magie. Vielleicht erwacht ja dann auch in dir welche.“ Tinúviel setzte sich nun auf den Baumstumpf, während Ryu sich neben Nicole kniete. Diese sah ihn erwartungsvoll an.

“Was muss ich tun, Herr Lehrer?“

“Als erstes Musst du deine Augen schließen.“ Antwortete Ryu, während er das Buch nahe an sein Gesicht hielt. Die Seiten für Lichtmagie waren strahlend weiß, und zusammen mit der goldenen Schrift sorgte das dafür, dass es nur schwer zu lesen war.

“Schließe deine Augen und entspanne dich erst einmal vollständig.“

“Augen zu und entspannen. Okay.“ Sie schloss die Augen holte tief Luft. Nach einer Weile merkte sie, wie sie sich entspannte. Und sie konnte noch etwas spüren. Direkt neben ihrem Herzen war etwas. Etwas überaus Helles.

“Ich sehe etwas Helles.“ Hauchte sie leise, ohne die Augen zu öffnen. “Direkt neben meinem Herzen.“

“Sehr gut.“ Ryu nickte. “Das ist die Quelle deiner magischen Energie. Versuche, deine Hand zum leuchten zu bringen, und beobachte, wie sich die Energie dabei bewegt.“

Nicole tat, wie Ryu es erklärte. Sie ließ ihre Hand leuchten und beobachtete die Magie. Ein kleiner Teil davon floss durch ihren Arm zu ihrer Hand.

“Ich sehe es.“ Erklärte sie. “Und nun?“

“Heilmagier leiten ihre Heilmagie hauptsächlich durch ihre Hände. Versuch daran zu denken, das du Wunden heilen willst, und manipuliere den Magiestrom.“

Nicole nickte und versuchte es. Sie wollte heilen. Sie wollte nicht angreifen. Mit diesen Gedanken konzentrierte sie sich auf ihren Magiestrom, und nach einer Weile konnte sie spüren, wie der Strom sich veränderte.

“ich glaube, ich habe es.“ Sie öffnete ihre Augen nun wieder und legte ihre Hand auf die Schnitte an ihren Fußgelenken. Sie glühten kurz auf, ehe sie einfach verschwanden. Kurz sah sie auf ihre Gelenke, dann sprang sie auf. “ICH HABE ES GESCHAFFT!!!“ rief sie glücklich. “ICH BIN EINE GÖTTIN!“

Ryu und Tinúviel sahen sie nur verwirrt an.
 

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Kapitel 7 Ende ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
 

Beim nächsten mal:
 

Das neue Ziel unserer Freunde heißt nun Feuerland. Um dieses zu erreichen, wollen sie in die Hafenstadt Carvahal, um von dort aus ein Boot zum Feuerland zu nehmen. Doch auf dem Weg dorthin kommen sie an einen erschreckenden Ort vorbei, der ihnen die Gänsehaut die Arme hochjagt.
 

Das nächste Kapitel heißt:
 

Geisterdorf

Geisterdorf

Kapitel 8: Geisterdorf
 

~~~~~~~~~~~~~~~~ Was beim letzten mal geschah ~~~~~~~~~~~~~~~~
 

Nach dem Tod des Königs von Elodinir nehmen Ryu und seine Gefährten an der Krönungszeremonie von König Carchagar, dem ältesten Sohn des verstorbenen Königs, teil. Am darauf folgenden Tag brechen sie nach einem zweiwöchigen Aufenthalt in Landir endlich auf, mit neuem Ziel: Feuerland. Sie entschließen sich, dafür nach Carvahal zu gehen, um dort ein Boot zu nehmen.

Bei einer Rast während der Reise trainieren Nicole und Tinúviel erneut miteinander, bei dem Nicole deutliche Fortschritte zeigt. Dennoch wird sie von Tinúviel besiegt und leicht verletzt. Bei dem Versuch, sich selbst zu heilen, lernt sie ihre Magie mehr zu kontrollieren.

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Es war mittlerweile vier Tage her, dass sie Landir verlassen hatten. Während jeder Rast hatte Nicole nun mit Tinúviel trainiert, mit immer demselben Ergebnis, das sie gegen Tinúviel verlor. Doch es wurde knapper. Mittlerweile schaffte Nicole gelegentlich schon, Tinúviel den einen oder anderen Treffer zu verpassen.

Nach dem Kampftraining übte sie anschließend ihre Magie. Auch wenn es nur kleine Kratzer, Blaue Flecken und Schürfwunden waren, die sie bei ihren Begleitern zu heilen hatte, tat sie es gerne. Immerhin wollte sie darin Übung bekommen, um irgendwann vielleicht größere Sachen wie zum Beispiel Brüche heilen zu können.

Ryu hielt sich mit dem Training zurück. Zwar hatte er sich in Landir vollständig ausgerüstet, unter anderem auch so viel Munition geholt, wie er hatte bekommen können, wollte er es nicht riskieren, noch einmal in so eine Situation wie im Fendrir-Tempel zu geraten. Er beschäftigte sich hauptsächlich damit, das Magiebuch zu lesen, um vernünftig informiert zu sein, auch wenn er bislang nichts gesehen hatte, was er nicht bereits kannte oder sich denken konnte.

Ihre Rast verbrachten sie dieses Mal in einem kleinen Gasthaus, zu dem Ryu sie geführt hatte. Von außen wirkte das Gasthaus wie eine kleine Kirche mitten im Wald, doch von innen sah es völlig anders aus. Wo einst die Bänke gestanden hatten, standen nun Tische und Stühle, dort wo früher der Altar stand, war nun die Bar. Von oben, wo zuvor die Orgel gewesen war, hörte man Münzen klimpern und das Rascheln von Karten. Für so ein kleines Gasthaus, das ein wenig abseits des Weges stand, war es relativ gut besucht: in einer kleinen Nische an einem Tisch saßen vier Männer, bewaffnet. Räuber waren es aber nicht, vermutlich einfach nur Abenteurer. An der Theke schien ein Bär zu sitzen, doch als Tinúviel, Ryu und Nicole eintraten und sich an einen der Tische setzten, sahen sie, dass der Bär ein grobes, menschliches Gesicht hatte. Und schließlich saßen auf dem Balkon noch drei Männer, die Karten spielten.

“Wirklich ein spannendes Gebäude.“ Meinte Nicole leise und sah sich neugierig um.

“In der Tat.“ Bestätigte auch Ryu. “Eine alte Kirche auf diese Art zu nutzen, das sieht man nicht alle Tage.“

Die Bedienung kam zu ihnen und reichte ihnen Menukarten, ehe sie sich den Abenteurern in der Nische widmete.

“Diese Kirche ist beinahe tausend Jahre alt.“ Erklärte Tinúviel. Sie öffnete ihre Karte nicht, sie wusste bereits, was sie nahm. “Damals gab es schlimme Bürgerkriege in Rhyot. Irgendwann wurden diese so heftig, das eine große Einwohnergruppe hierher, in diese Gegend floh. Sie bauten diese Kirche, um auch hier weiterhin ihrem Gott, Rhyot, zu huldigen. Die Flüchtige blieben über sechshundert relativ isoliert in diesem Teil des Waldes, doch nach und nach zog es sie entweder zurück in ihre Heimat, wo sich schließlich alles beruhigt hatte, oder sie zogen um, in unsere Städte, und wandten sich schließlich Fendrir zu.“

Ryu und Nicole lauschten gebannt. Als die Bedienung wieder kam, bestellten sie alle was zu Essen und zu trinken, ehe Tinúviel fortfuhr: “Als diese Gegen dann schließlich wieder entsiedelt war, blieb die Frage: Was tun mit den Alten Gebäuden? Da sie allesamt Rhyot geweiht waren, wollte damals kein Einwohner die Gebäude haben, und so verrotteten sie schließlich. Die alte Wohnsiedlung liegt immer noch als Geisterdorf hier in der Nähe. Und was aus der Kirche wurde: Ihr seht es ja.“ Sie breitete die Hände aus und sah sich in dem Gebäude um.

“Können wir uns das Dorf ansehen?“ fragte Nicole leise.

“Natürlich. Es ist keine halbe Stunde von hier entfernt.“ Tinúviel sah zu Nicole. “Aber wir werden nicht die einzigsten sein.“

“Werden wir nicht?“

“Nein.“ Tinúviel nickte mit dem Kopf in die Nische, in der die Abenteurer saßen. “Ich wette, die dort wollen auch dort hin. Sie sind hinter der Statue von Rhyot her, die sie damals hier aus der Kirche entfernten. Sie soll nun irgendwo im Geisterdorf stehen.“

“Das verstehe ich nicht.“ Nicole sah Tinúviel fragend an. “Was wollen sie mit der Statue?“

“Ihr kennt doch Fendrirs Statue, oder? Woraus besteht sie?“ stellte Tinúviel als Gegenfrage und klopfte mit einem Finger auf die Einlagen in ihren Armschienen.

“Fendrirs Statuen sind aus Obsidian und Smaragd.“ Antwortete Ryu schließlich.

“Exakt. Statuen von Rhyot sind stattdessen aus Sumpfstahl und Gold.“ Als die Bedienung kam und den dreien die bestellten Speisen und Getränke auf den Tisch stellte, unterbrach Tinúviel ihre Erklärung kurz. Als sie wieder gegangen war, fuhr Tinúviel fort. Sie beantwortete die Frage, die sich mittlerweile auf Ryus und Nicoles Gesichtern gezeigt hatte.

“Sumpfstahl ist ein seltenes Material, welches nur in Rhyot abgebaut wird. Es ist dort heilig und wird nur zum Bau der Statuen verwendet. Dieses Material hat die Eigenschaft, dass es sich bei bestimmten Wetterverhältnissen oder bei Kontakt mit bestimmten Substanzen in eine Art Dampf verwandelt. Ein Dampf, der aber immer noch kompakt bleibt und selbst beim stärksten Wind nicht weggeblasen wird. Wenn man sich mal vorstellt, man würde daraus ein Schwert schmieden. Ein Schwert mit einer Klinge aus Dampf, die kein Schwert, kein Schild, keine Rüstung zu blocken vermag. Die Dampfklinge würde durch die kleinsten Ritzen in der Rüstung dringen und erst vom Fleisch aufgehalten werden.“

“Klingt ja grausam.“ Murmelte Nicole und musste schlucken.

“Naja, der Nachteil wäre dann aber auch, das man selbst mit der Dampfklinge keinen Angriff abblocken kann.“ Meinte Tinúviel mit einem Schulterzucken und begann zu essen.

“Sollten wir diese Leute dann nicht aufhalten, wenn sie hinter der Statue her sind?“ flüsterte Nicole leise und schielte zu den Abenteuern in der Nische. “Wenn dieses Material so gefährlich ist?“

“Wieso?“ gab Tinúviel nur zurück und knabberte an einer Möhre. “Es ist nicht hundertprozentig sicher, das die Statue dort im Dorf ist. Dieses Gerücht geht seit dreihundert Jahren um, und noch nie ist es jemandem gelungen, sie zu finden.“ Sie sah zu Nicole und seufzte leise. “Aber wenn es dir keine Ruhe lässt, können wir gerne mal nach sehen. Oder spricht was da gegen, Ryu?“ wandte sie sich an ihn. Ryu hatte die ganze Zeit nicht gesprochen, sondern sich nur Notizen gemacht.

Als Tinúviel ihn ansprach, sah er auf und antwortete: “Von mir aus können wir gehen.“
 

Die Gruppe in der Nische verließ das Gebäude etwa nach einer Stunde. Zehn Minuten später erhoben sich auch Ryu und die anderen und folgten den Männern nach draußen. Es war mittlerweile leicht dämmrig und am Boden hatte sich ein hartnäckiger Nebel fest gesetzt. Nach einer halben Stunde sah man die ersten verfallenen Gebäude. Es war kaum mehr als ein runder Platz, von dem zwei kleine Gässchen abgingen. Es waren zusammen nicht mehr als vielleicht zwei Dutzend Gebäude. Die Schemen der Männer konnten sie in einer der kleinen Seitengassen beobachten.

“Und jetzt?“ fragte Tinúviel Nicole leise.

“Na, wir warten erst einmal, ob sie was finden.“ Antwortete Nicole leise. Und schlich vorwärts. Sie versteckten sich in einem verfallenen Stall direkt am Platz.

Nach einer Stunde versammelten sich die Männer am verfallenen Brunnen in der Mitte des Platzes. Lauthals beschwerten sie sich darüber, dass sie nichts gefunden hatten. Einer hatte Probleme damit, dass sie in der Dämmerung gegangen waren. Doch der Anführer der Gruppe, ein Muskelpaket mit einem Schwert, das beinahe so groß war wie das von Tinúviel, beschwichtigte seine Begleiter. So wurde der Entschluss gefasst, erstmal schlafen zu gehen, um am nächsten Mittag mit magischen Aufspürhilfsmitteln wieder zu kommen. Lachend machten sich die Männer auf den Weg zurück.

Grade, als sie eines der der letzten Häuser passierten, kam aus dem Brunnen ein ersticktes Stöhnen. Erschrocken drehten die Männer sich um, während Ryu und seine Begleiter alles Beobachteten.

“Hört sich an, als wäre da jemand drin. Das Seil, Levero.“ Hörten sie den Anführer sagen. Levero, ein hagerer Typ, der beinahe so dünn war wie der Speer, den er trug, reichte seinem Anführer ein Ende des Seils und ließ das andere Ende in den Brunnen fallen.

“Halten sie sich am Seil fest.“ Rief er mit rauer Stimme, als würde er gegen eine Erkältung ankämpfen, in den Brunnen und trat dann zurück. Es gab einen Ruck am Seil, und der Anführer zog. Dank seiner dicken Muskeln dauerte es keine dreißig Sekunden, bis er das andere Ende wieder oben hatte.

Doch was dort am Seil hing, war kaum noch als Mensch oder Elf zu erkennen. Die linke Körperhälfte des Wesens war grotesk transformiert: sein Bein war spindeldürr und gut fünfzehn Zentimeter länger als sein rechtes Bein. Der Arm war so lang, das seine spindeldürren Finger über den Boden schliffen. Die linke Körperhälfte war pechschwarz und offenbar mit kleinen Stacheln übersät. Seine rechte Körperhälfte war aufgedunsen und grün verfärbt wie eine alte Wasserleiche.

Das Wesen sprang nun vom Brunnenrand auf seine ungleichen Beine. Es wankte, und kurz machte es den Anschein, als würde es rücklings wieder in den Brunnen fallen, doch dann fasste es sich und humpelte auf den Anführer zu. Dieser ließ das Seil fallen und griff nach seinem Schwert.

“Was zur Hölle bist du für ein Ding?“ knurrte er und beobachtete das Wesen. Dieses stöhnte jedoch nur und humpelte weiter. “Na warte.“ Murmelte der Krieger und schlug zu. Er setzte zu einem horizontalen Hieb gegen die linke Seite an. Der linke Arm des Wesens war so dünn, das er sicherlich sofort brechen würde. Er traf das Wesen, welches aufstöhnte. Es wurde von der Wucht weg geschleudert, doch der Arm brach nicht. Es schleuderte in Levero, welcher dem Wesen den Speer durch die Brust jagte und es gut einen Meter über den Boden stemmte. Für seine mickrige Gestalt, war er erstaunlich kräftig.

Mit dem aufgespießten Monster wandte Levero sich wieder dem Brunnen zu, doch dann bemerkte er: “Das Ding hat ein Seil um die Hüfte geschlungen!“

“Was? Schnell, in den Brunnen damit und zurück!“ befahl der Anführer und lief zu Levero. Er packte dessen Speer und versuchte das Wesen an Brunnenrand abzustreifen, als eine weitere Hand am Brunnenrand auftauchte und ein weiteres Wesen den Weg nach oben fand. Einer der Männer schleuderte Feuerbälle und versuchte dieses zweite Wesen zurück zu drängen, doch es schützte sich mit einem verunstalteten Flügel, während es auf den Mann zuging.

Immer mehr Wesen kamen nun aus dem Brunnen, und keines sah aus wie das andere. Jedes hatte andere Missgestaltungen. Und irgendwie hatte Ryu das Gefühl, so was ähnliches schon einmal gesehen zu haben. Doch er hatte keine Zeit, drüber nachzudenken.

“Wir müssen ihnen helfen!“ rief er und zog seine Waffe. Doch das hätte er nicht mehr sagen müssen. Tinúviel und Nicole waren bereits vorgestürmt und griffen diese Wesen an. Nicole hielt die Wesen in Schacht, welche offenbar ihre Lichtmagie scheuten, während Tinúviel zum Brunnen lief. Sie rammte zwei der Wesen, welche grade raus kletterten, das Schwert durch die Körper und legte eine Hand auf die Klinge. Die geöffnete Seite ihrer Klinge ragte nach unten in den Brunnen, und man konnte sehen, wie gewaltige Stichflammen die Röhre nach unten jagten.

Ryu lief außen rum. Einem der Wesen, das sich grade auf Levero stürzen wollte, schoss er in die Schulter und kaum einen Augenblick später explodierte das Geschoss und das Wesen stürzte stöhnend zu Boden.

“Alles Okay?“ fragte er Levero, welcher Ryu verwirrt ansah und nickte. “Gut.“ Er klopfte dem Speerkämpfer auf die Schulter und lief weiter zum Anführer der Gruppe, welcher es gleich mit sechs auf einmal zu tun hatte. Ryu erledigte zwei weiter mit seiner explodierenden Munition, ehe der Anführer die anderen weg stieß.

“Danke.“ Keuchte der Große hervor und sah zu Ryu. “Zum glück seit ihr hier.“

Ryu nickte und erschoss noch eines der Wesen. “Es sind zu viele.“ meinte er und sah zu dem großen. “Wir müssen uns irgendwo verbarrikadieren.“

“Und das soll helfen?“ fragte der Krieger und rammte eines der Wesen das Schwert tief in die Schulter.

“Diese Typen scheinen Licht nicht zu mögen.“ Erklärte er und wich zurück, während er nach lud. “Deshalb vermute ich, das sie sich zum morgen hin verziehen.“

“Na klasse. Es vor nicht mal einer Stunde erst Nacht geworden.“ Stöhnte der große auf, dennoch nickte er. “Und wo verbarrikadieren wir uns? In dem alten Kirchengasthaus?“

“Nein, dann würden wir die Gäste dort nur mit hinein ziehen. Wir nehmen besser den alten Kerker hier im Dorf. Das ist das stabilste Gebäude hier.“ Ryu schoss auf zwei der Wesen. “Aber wir müssen dafür sorgen, das diese Dinger nicht aus dem Dorf kommen, sonst könnten sie sonst was anstellen.“

“Eine Feuerbarriere.“ Der Große Krieger pfiff. “Pyro! Eine Feuerbarriere um den gesamten Platz!“

Der Feuermagier sah kurz zu seinem Anführer, dann nickte er und schritt den Platz ab, von Levero abgeschirmt, damit die Wesen ihn nicht angriffen. Nachdem er den Platz einmal umrundet hatte, schnippte er mit den Fingern und er wurde von einem Ring aus Feuer umgeben. Die Wesen stöhnten auf. Offenbar mochten sie das ganz und gar nicht.

“Hey, Feuermagier!“ rief Tinúviel vom Brunnen aus. Immer noch sorgte sie mit ihren Stichflammen dafür, dass nichts Neues aus dem Brunnen nachkam. “Kannst du auch Öl erzeugen?“

Pyro nickte. Zufrieden nickend zog ließ sie die Flammen erlischen und die mittlerweile verkohlten Reste der Wesen in den Brunnen fallen. Doch ein Stöhnen und ächzen kündigte an, das dort immer noch welche waren.

“Füll den Brunnen soweit wie möglich mit Öl, aber nicht anzünden.“ Der Magier nickte erneut und begann Öl in den Brunnen zu füllen. Nach drei Minuten hörte er auf und nickte Tinúviel zu, ehe er zurück trat. Sie holte eine kleine Flasche mit ewigen, weißen Flammen aus ihrer Tasche und warf sie in den Brunnen. Als sie zersprangen, schossen die weißen Flammen zwei Meter aus dem Brunnen in die Höhe.

“Weg hier!“ riefen Ryu und der Anführer der Abenteurer gleichzeitig und liefen los, gefolgt von den anderen. Der Kerker war ein massives Steingebäude in einer finsteren Ecke des Platzes. Tatsächlich sah es als einzigstes noch so aus, wie es wohl vor fünfhundert Jahren ausgesehen haben musste.

Ryu stieß als erster die Türe auf ließ die anderen herein. Als alle drin waren, schlug er die Türe zu und stellte einen Stuhl davor. Alle Anwesenden atmeten tief durch und sanken zu Boden.

“Was… zur Hölle hat das zu bedeuten?“ fragte der Anführer erschöpft und sah zu Ryu. “Was sind das für Wesen?“

“Eine gute Frage.“ Antwortete Ryu und schüttelte den Kopf. “Doch wir haben keine Ahnung.“

“Jedenfalls sind für den Moment in Sicherheit.“ Meinte Tinúviel und sah aus dem Fenster. “Doch wie sieht der Plan nun aus?“

“Wir werden hier bleiben, bis die Sonne aufgeht.“ Erklärte Ryu und lud seine Waffe nach. “Diese Wesen scheinen Lichtscheu zu sein, und wenn die Sonne aufgegangen ist, sind sie hoffentlich schwach genug, das wir sie beseitigen können.“

“Klingt nach einem Plan.“ Sie nickte und stellte ihr Schwert an der Wand ab. “Dann können wir uns ja so lange bekannt machen: Mein Name ist Tinúviel Auríel, Meine Begleiter hier sind Ryu Tanaka und Nicole Felicitas.“

Stellte Tinúviel vor. Ryu und Nicole nickten nur, als die Halbelfe die beiden vorstellte.

Der Anführer seufzte und musterte die drei kurz, ehe er nickte. “Mein Name ist Bear.“ Stellte er sich vor. “Der Dünne da heißt Levero, Der Hitzkopf Pyro, und der im Umhang…“ Bear zeigte auf den größten der Vierergruppe, der neben der Türe stand und aus dem Fenster sah. “will Ghost genannt werden.“ Ryu und Nicole nickten jedes Mal höfflich, wenn einer der Fremden vorgestellt wurde.

“Wir sollten uns ausruhen.“ Erklärte Tinúviel und sah sich in der Gruppe um. “Zwei sollten jeweils Wache halten. Wir wechseln uns ab.“

Alle akzeptierten. Die erste Wache übernahmen Ryu und Ghost, Anschließend Tinúviel und Pyro, und schließlich Nicole und Bear.
 

Es war in den frühen Morgenstunden, als es geschah. Ein metallisches Knirschen erregte Nicoles Aufmerksamkeit. Neugierig sah sie sich im Raum um, von Bear beobachtet.

“Was ist?“ fragte er, wurde dann aber von Nicole mit einem “Psst!“ unterbrochen. Sie lugte um eine Ecke, wo wohl früher die Wachen gesessen hatten, um auf die Gefangenen acht zu geben.

“Hörst du das?“ fragte sie leise. Bear lauschte und nickte. Auch er sah um die Ecke. In diesem Moment schoss das gusseiserne Gitter in die Höhe und eines der Wesen schob sich mühsam raus.

“Oh Gott! Sie sind hier drinnen! Rief sie laut. Sofort wurden die anderen hellwach. “Schnell raus hier!“ rief den anderen zu, während sie versuchte, das Ding zurück zu schieben. Ryu sah aus dem Fenster, ehe er den Stuhl weg trat und die Türe aufriss. Die weißen Flammen aus dem Brunnen loderten immer noch, doch das Flammensiegel um den Platz war beinahe erloschen. Waren diese Wesen etwa entkommen?

Doch dann hörte er das Stöhnen. Hinter jedem Gebäude, aus jeder Ecke kamen sie hervor. Hatten sie sich etwa versteckt? Offenbar hatten die Wesen eine gewisse Intelligenz. Und es waren noch mehr als vorher.

Die anderen kamen nun auch raus und erstarrten. Sie stellten sich im kreis auf, Rücken an Rücken.

“Und nun?“ fragte Nicole leise.

“Gute Frage.“ Gab Ryu leise zurück. Die Wesen schienen wie zu erwarten schwächer geworden zu sein, aber gleichzeitig hatten sie sich vermehrt. Sie offenbar noch mehr Löcher gefunden, wo sie raus kommen konnten.

Eines der Wesen versuchte den dürren Levero zu packen. Dieser sprang erschrocken zurück, doch das Wesen zappelte hilflos in der Luft. Gehalten wurde es von einem anderen Wesen. Doch dieses sah völlig anders aus als die anderen: Es war komplett verwandelt, fast sein ganzer Körper war mit schmalen, schwarzen Schuppen bedeckt. Seine Arme und Beine waren lang und dünn, allerdings nicht knochendürr wie bei den meisten dieser Monster, sondern schlank und sogar leicht trainiert. Auf dem Kopf saßen zwei lange Hörner, und mit roten Augen sah es zu der Gruppe.

“Alles okay bei euch?“ fragte es sanft, ehe es das Wesen, welches es noch in der Hand hielt, einfach weg schleuderte.

Die große Gruppe starrte den Neuankömmling einfach nur an. Nur langsam dämmerte es Ryu. Dieses Wesen kannte er doch. Er hatte doch damals in der Akademie mit ansehen müssen, wie ein junger Elf gegen seinen Willen in so etwas transformiert wurde. Wie vom Blitz getroffen sah er sich um.

“Sagt mir nicht, das diese Wesen alle…“ er konnte es nicht aussprechen. Doch der Neuankömmling nickte mit traurigem Blick. Er holte eine kleine Kugel hervor und warf sie in die Luft. Sie Explodierte in einem lauten Knall und zwei Elfen tauchten in der Mitte der Gruppe auf. Ryu erkannte sofort zwei der Magier, die an dem Tag in der Akademie gewesen waren.

“Zu unserem Bedauern sind sie es leider.“ Meinte einer der beiden leise. “Misslungene Experimente.“

“Misslungene Experimente?“ Wiederholte Tinúviel und sah sich um. Nun kapierte auch sie es. Geschockt schlug sie die Hand vor den Mund. “So viele? Und nur drei Monaten?“

“Ja, leider. Es wurden jeden Tag mehrere Versuche verlangt. Es war tragisch.“ Sprach nun der andere Magier. “Wir dachten, sie wären tot, und haben sie… Entsorgt. Doch offenbar war das nur ein vorübergehender Zustand.“

“Und haben sie nun vor?“ Ryu sah die Magier scharf an. Das Bear und seine Leute mittlerweile gar nichts mehr verstanden, hatte er völlig vergessen. “Was machen wir wegen der Plage?“

“Wir gar nichts. Ryusuke übernimmt das.“ Antwortete nun der erste Magier wieder schlicht.

Ryusuke, der schwarze Neuankömmling, nickte kurz und sah sich um. Er legte die flache Hand auf den Boden und schloss die Augen. Nach einer halben Minute zeichnete sich, von seiner Handfläche ausgehend, ein riesiger magischer Zirkel auf dem Boden ab, welcher das ganze Dorf umfasste. Ryusuke hob die Hand nun wieder, in welcher sich eine schwarze Kugel bildete. “Tor zu einer anderen Welt! Ich stoße deine Flügel auf und leite die Energie dieser armen Seelen durch dich hindurch!“ rief er laut. Der magische Zirkel am Boden begann zu leuchten und die Experimente stöhnten auf. Ihre Körper lösten sich auf.

Nach Fünf Minuten verschwand das Siegel am Boden und die schwarze Kugel in Ryusuke Hand löste sich auf.

“Was? Was war das?“ Fragte Ryu erstaunt. Ryusuke drehte sich zu ihm um und lächelte.

“Das war eine Art umgekehrte Beschwörungsmagie. Normalerweise ruft man bei einer Beschwörung etwas herbei, doch ich habe alles weg geschickt.“ Erklärte er ruhig. Doch dann wankte er und stützte sich an einen der Magier, der vorgesprungen war, um ihn zu stützen. “Ich bin noch unerfahren.“ Meinte er leise. “Beschwörungsmagie ist mit Abstand die Magie, die am meisten Energie verbraucht.“

Nun trat Bear vor. Als dieser anfing zu sprechen, zuckte Ryu zusammen. Er hatte tatsächlich vergessen, dass er und seine Gruppe auch da gewesen waren. “Ich denke, ihr seit Erklärungen schuldig.“ Sagte er erstaunlich ruhig. Sein Blick wanderte dabei über Ryu, über die Magier und Ryusuke.

Doch einer der Magier seufzte nur. “Schlaft lieber.“ Er schnippte mit den Fingern und wie vom Schlag getroffen kippten die vier um, fest schlafend. “Der Magier schnippte noch mal mit den Fingern und ihre Körper leuchteten kurz auf.

“Er hat Recht. Wir sind noch ein paar Erklärungen schuldig. Gehen wir ins Gasthaus.“ Meinte er an seinen Kollegen gewandt, ehe er mit einer Handbewegung Ryu und die anderen bat, vorzugehen.
 

Zu dieser frühen Tageszeit war das Gasthaus noch leer. Offenbar hatte man von den Geschehnissen im Dorf hier rein gar nichts mit bekommen. Als die Gruppe rein kam und sich in die Nische setzte, in der am Vorabend Bears Gruppe gesessen hatte, kam die Bedienung unbekümmert zu ihnen und reichte ihnen die Karten, ehe sie wieder ging.

“Also?“ begann Ryu und sah die Magier an. “Was hat das zu bedeuten?“

“Das bedeutet in erste Linie vor allem, das wir nicht genau wussten, was der König mit diesen Experimenten bezweckte. Beziehungsweise, was das Wesen, das von ihm Besitz genommen hatte, bezweckte.“ Erklärte der kleinere, blonde der beiden Magier. “Wir sollten nur ausführen.“

“Erst, nachdem ihr ihn getötet hattet, waren wir in der Lage, es heraus zu finden.“ Erzählte der zweite weiter. “Offenbar wollte es seine eigene Superarmee erschaffen.“

“Eine Superarmee?“ Ryu schnaubte. “Oh Mann. So ein Unsinn. Und er?“ fragte Ryu und nickte in Richtung Ryusuke, der ganz in der Ecke saß.

“Es war am Tag nach eurem Sieg gegen dieses Wesen. Wir räumten das Labor aus und fanden ihn, noch an den Tisch gefesselt.“ Erzählte der blonde wieder. “Wir hatten gedacht, er wäre auch Tod, und wollten ihn wie die anderen entsorgen. Doch dann…“

“Dann wurde ich wach. Ich wurde zwar verwandelt, doch ich habe mein eigenes Bewusstsein behalten. Die Magier fanden raus, das dass daran lag, das die Maschine vorzeitig zerstört wurde.“ Erzählte Ryusuke nun selbst weiter. “Sonst wäre wohl ein Monster geworden und hätte euch gemeinsam mit dem besessenen König angegriffen.“ Ryusuke senkte den Kopf. “Danke.“

“Nichts zu Danken.“ Leicht verlegen schüttelte Ryu den Kopf. “Ich konnte es einfach nicht mehr mit ansehen.“

“Und kann man es wieder rückgängig machen?“ fragte Nicole dazwischen.

“Gute Frage. Wir haben keine Ahnung. Jede weitere Forschung, die der besessene König damals eingeleitet hatte, wurde von König Celeg verboten.“

“Und außerdem möchte ich nicht zurück verwandelt werden.“ Warf Ryusuke ein. Als die anderen ihn verwirrt ansahen, lächelte er. “Was denn?“

“Du willst nicht zurück verwandelt werden?“ fragte Tinúviel verwirrt.

“Nein.“ Er schüttelte den Kopf. “Ich war vorher sehr schwach, ständig hatte ich irgendeine Krankheit. Doch jetzt bin ich stark.“ Er kratzte sich am Kopf. “Ich hab nur keine Ahnung, was genau ich eigentlich bin.“

“Und was hast du nun weiter vor?“ fragte Ryu ihn.

“Oh, ich wohne in der Akademie. Ich lerne dort meine Magie zu beherrschen.“ Erzählte er und lächelte. “Es macht Spaß. Und die Schüler sind sogar recht offen mir gegenüber.“

“Dann hat sich für dich ja fast alles zum besseren gewendet.“ Stellte Ryu unter Gähnen fest. Er war so müde, das er beinahe einschlief. “Wir brauchen Ruhe.“ Murmelte er leise.

“Wir sollten auch langsam verschwinden.“ Meinte der blonde Magier mit Blick auf die Uhr. “Der Unterricht beginnt bald.“

“Da hast du Recht.“ Stimmte der andere zu. Alle standen auf. Ryusuke und die Magier verließen das Gasthaus, während Tinúviel und Begleitung Zimmer im Gasthaus nahmen.
 

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Kapitel 8 Ende ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
 

Beim nächsten mal:
 

Nach den Erlebnissen im Geisterdorf erwacht unsere Gruppe gestärkt wieder im Gasthaus. Ryu ist sich sicher, das sie Ryusuke bald wieder sehen. Doch irgendwie hat er ein komisches Gefühl, wenn er daran denkt.

Sie brechen wieder auf und erreichen bald Carvahal. Doch zu ihrem Schrecken sind keine Schiffe da. Genau genommen sind schon seit einigen Wochen keine mehr angekommen. Also müssen wohl oder Übel über den Drachenrücken.
 

Das nächste Kapitel heißt:
 

Carvahal und der Drachenrücken

Carvahal und der Drachenrücken

Kapitel 9: Carvahal und der Drachenrücken
 

~~~~~~~~~~~~~~~~ Was beim letzten mal geschah ~~~~~~~~~~~~~~~~
 

Ein paar Tage nach dem Verlassen von Landir rastet die Gruppe in einem kleinen Gasthaus mitten im Wald, in welchem Tinúviel ihre Begleiter ein wenig über die Gegend aufklärt, wobei sie auch ein Geisterdorf erwähnt, welches ganz in der Nähe des Gasthauses liegt. Sie folgen am Abend einer Gruppe Abenteurer, die sich ebenfalls zu diesem Dorf begeben, um einen Schatz zu suchen. Stattdessen ziehen sie aber ein Monster aus dem Brunnen. Sie können es nicht los werden, und aus dem Brunnen strömen immer mehr Monster, und schließlich verbarrikadieren sie sich, in der Hoffnung, dass diese Wesen am Tag schwach genug sind, um sie zu töten. Als sie am Morgen aufwachen, merken sie, dass diese Wesen zwar schwächer geworden sind, sich ab auch deutlich vermehrt haben. Sie sind in der Klemme, werden dann jedoch von einem Wesen gerettet, das ähnlich aussieht wie die Monster. Wie sich raus stellt, heißt dieses Wesen Ryusuke und ist der Junge, dessen Verwandlung Ryu beim Kampf im Labor unterbrochen hatte. Und sie erfahren, was es mit den Monstern auf sich hat.

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Am nächsten Morgen erwachte Ryu und sah an die Decke. Er hatte fast einen Tag geschlafen, und doch fühlte er sich wie gerädert. Er drückte eine Hand an seinen Kopf und knurrte leise. Irgendwas stimmte nicht. Er hatte das Gefühl, ganz leise Stimmen in seinem Kopf zu hören. Zu leise, als das er verstehen konnte, was sie sagten. Also seufzte und stand auf. Schnell wusch er sich und zog sich an, ehe er rüber in die Kirche ging. Die Gästezimmer dieser Gaststätte waren in einem separaten Gebäude untergebracht.

Als er das Gebäude betrat, sah er Nicole und Tinúviel bereits an einem Tisch sitzen und Frühstücken. Er setzte sich zu ihnen und gähnte: “Morgen.“

“Morgen.“ Antwortete Nicole fröhlich und sah zu ihm. “Hast du nicht gut geschlafen? Du siehst noch erschöpft aus.“

Er seufzte und schüttelte den Kopf. “Überhaupt nicht. Ich hab keine Ahnung, wieso.“ Erklärte er, während er sich was von Brot und Schinken abschnitt.

“Sollen wir dann noch einen Tag hier bleiben, damit du dich noch ausruhen kannst?“

“Nein, mir wäre es lieber, bald weiter zu kommen.“ Er nahm das Brot in den Mund und holte den Atlas hervor. Nachdem, was er hier sah, bräuchten sie noch gut vier Tage.

“Weißt du, ich fand, Ryusuke sah aus wie ein Dämon.“ Meinte Nicole plötzlich, während sie in ihrem Tee rührte. “Ich meinte, mit der schwarzen Haut, den Hörnern und den roten Augen.“

“Dämon? Ich kenne nur Katzendämonen.“ Antwortete Tinúviel und blätterte in einer Zeitung. “Solch einen Dämon habe ich noch nie gesehen.“

Katzendämonen? Erzähl.“ Fragte Nicole nun neugierig und sah Tinúviel mit funkelnden Augen an. “Was sind Katzendämonen? Wie unterscheiden sie sich von Felyn?“

“Na, Vor allen im Aussehen.“ Erklärte die Halbelfe und musterte ihre Begleiterin. “Felyn sehen meistens so aus wie du: Mit Ausnahme von schweif und Ohren meistens menschlich. Es gibt sicher auch ein paar, die mal mehr, mal weniger nach Katze aussehen, Manchmal so extrem, das man nicht unterscheiden kann, ob sie nun Felyn oder Katzendämon sind. Katzendämonen hingegen…“ Tinúviel unterbrach sich um einen Schluck zu trinken.

“Katzendämonen hingegen.“ Fuhr sie fort. “kannst du dir am besten Vorstellen, in dem du dir aufrecht auf zwei Beinen gehende Katzen vorstellst.“

“Oh, ich weiß, was du meinst.“ Nicole nickte begeistert. “Gibt es sonst Unterschiede?“

“Allerdings. Wie du vielleicht schon weißt, kämpfen Felyn normalerweise nur mit Faustwaffen und Nahkampftechniken. Katzendämonen hingegen sind Krieger, die Breitschwerter und Äxte schwingen. Ausnahmen natürlich immer ausgeschlossen. Und dann gibt’s natürlich Unterschiede in ihrem Sozialverhalten.

Männliche Katzendämonen sind Weiberhelden. Es ist bei ihnen nicht unnormal, dass ein Mann vier Weibchen hat. Begünstigt wird das natürlich dadurch, dass es mehr Weibchen als Männchen gibt. Felyn hin gegen sind meistens einem Partner treu.“

Erzählte Tinúviel weiter, während Nicole neugierig zuhörte.

Ryu hörte nur halb zu. Er dachte an die Ereignisse von gestern. Irgendwie fühlte er sich seitdem komisch. Hatte er sich beim Kampf gegen diese Wesen vielleicht was eingefangen?

“Ryu?“ Nicole sah fragend zu ihm. Er blinzelte und sah zu ihr.

“Ja?“ fragte er ein wenig verwirrt.

“Warst du in Gedanken? Tinúviel hat hier wahnsinnig interessante Sachen erzählt. Die Unterschiede zwischen Katzendämonen und Felyne.“

“Ja.“ Ryu nickte leicht. “Ich habe noch an gestern gedacht.“

“Ach so. Ryusukes Magie war wirklich beeindruckend.“ Meinte Nicole ebenfalls nickend. “Was hatte er noch mal gesagt, was das war?“

“Er meinte, das war eine Art umgekehrte Beschwörungsmagie. Anstatt etwas in den Kampf zu schicken, hat er etwas vom Kampf weg geschickt.“ Erklärte Ryu ihr und überlegte. “Aber es war in der Tat beeindruckend.“

“Aber wie er auch gesagt hatte, ist Beschwörung die Magieart, die am meisten Energie verbraucht. Immerhin ruft man dabei Wesen aus einer anderen Dimension.“ Fügte Tinúviel hinzu. Ryu horchte auf. Andere Dimension? Tinúviel hatte Recht. Beschwörungsmagier waren zudem in der Lage, was er und Nicole suchten. Sie manipulierten die Dimensionen, und vielleicht wusste ein Beschwörer, wie sie wieder nach Hause kamen.

Er aß das Frühstück auf und sah zu seinen Begleiterinnen. “Seit ihr fertig?“ fragte er sie. Er wollte unbedingt weiter. Nach Carvahal, um von dort aus weiter nach Feuerland zu reisen. Die beiden jungen Frauen nickten, also reisten sie los.
 

Sie erreichten die Stadt Carvahal nach vier Tagen. Damit waren sie, den einen Tag Rast in der alten Kirche mit eingerechnet, einen Tag schneller gewesen, als Tinúviel gerechnet hatte. Und nun wusste Ryu, wieso die Stadt zwar weniger Einwohner hatte, aber laut seinem Atlas genau so groß sein sollte wie Nirás: Offenbar hatten die Schreiber des Atlasses die ganzen Felder, die die Stadt umsäumten, mit eingerechnet. Ohne diese war der Ort nur halb so groß wie Nirás.

“Wie es aussieht, müssen wohl ein wenig warten.“ Murmelte Tinúviel. Sie wanderten grade durch die Felder, die immer wieder kaum merklich anstiegen und auch wieder sanken. Nach dem dritten dieser sanften Hügel hatten sie endlich einen guten Blick über den Ort, und Ryu sah, wieso sie warten mussten: Es war grade kein Schiff im Hafen vor Anker.

“Oh, und das da hinten ist übrigens der Drachenrücken und im Hintergrund die Berge von Kiri.“ Fügte Tinúviel hinzu und zeigte in die Ferne. Ryu beschattete seine Augen mit der hand und spähte in die Ferne. Er erkennte sofort, woher dieser kleine Vorläufer des Gebirges seinen Namen hatte. Der Drachenrücken war Rund gewölbt und lief vorne und hinten flach aus. Vor der Flanke des Berges gab es eine große graue Stelle, wo es wohl mal einen Geröllrutsch gegeben hatte.

“Mit ein wenig Fantasie könnte man tatsächlich meinen, das wäre ein gigantischer, schlafender Drache.“ Meinte er und schmunzelte.

“In der Tat.“ Bestätigte auch Nicole. Tinúviel nickte und ging mit den beiden weiter.

“Wie ihr euch vermutlich vorstellen könnt, gibt es auch zum Drachenrücken eine Legende.“ Begann sie zu erklären, während sie an einigen arbeitenden Bauern vorbei kamen. “Früher, bevor es überhaupt Elfen, Menschen und sonstige Wesen gab, sollte es einst wirklich solch riesige Drachen gegeben haben. Die ersten frühzeitlichen Elfen, welche angeblich grade auf die Welt kamen, als diese Drachenart auszusterben begann, nannte sie ehrfurchtsvoll Titanendrachen. Eine Erklärung des Namens ist wohl nicht von Nöten.“

Die drei gingen weiter und grüßten einen fahrenden Händler, der ihnen entgegen kam. Während sie Platz machten, um ihn auf dem Schmalen Weg durch zu lassen, erzählte Tinúviel weiter: “Einer dieser Titanendrachen soll genau an der Stelle gestorben sein, wo nun der Drachenrücken liegt.“ Ryu sah noch mal zu dem Berg und schluckte. Wenn er ihn mit dem Gebirge weiter im Hintergrund verglich, dann maß der Drachenrücken doch ungefähr einen Kilometer in der Höhe. Und wenn er sich nun vorstellte, ein solch gigantisches Lebewesen würde umherwandern.

“Da hätte bei jedem Schritt die gesamte Erde gebebt.“ Flüsterte er leise.

“Bitte was?“ Tinúviel sah ihn fragend an.

“Ach Nix.“ Er schüttelte den Kopf und ging mit ihnen weiter. Während dessen war Tinúviel noch immer nicht fertig mit erzählen.

“Auf dem Drachenrücken wachsen spezielle Bäume, die wir aufgrund dieser Story als Titanenbäume bezeichnen. Sie sind fast so hart wie Diamant und schwierig zu bearbeiten. Aber wenn man es geschafft hat, ist das, was man daraus gemacht hat, beinahe unzerstörbar.“ Erklärte sie den beiden, während sie die Stadt nun betraten. “Sämtliche Türen im königlichen Palast von Landir und die Stadttore waren zum Beispiel aus Titanenholz.“

“Ein beinahe unzerstörbares Holz? Was könnte Titanenholz den trotzdem Zerstören?“ fragte Nicole neugierig.

“Was dieses Holz zerstören könnte? Naja, die Werkzeuge, mit denen es bearbeitet werden kann, zum Beispiel. Wenn man eine Axt hat, mit der man diese Bäume fällen kann, dann kann man auch einen Speerschaft aus diesem Material zerstören.“ Tinúviel blinzelte und blieb stehen, als sie gegen eine auf Kniehöhe angebrachte Kette stieß. Nicole und Ryu blieben hinter ihr stehen und sahen sich um.

“Ich habe gar nicht bemerkt, das wir schon im Hafen sind.“ Bemerkte sie überrascht. “Ich frage mal in der Hafenbehörde nach einer Fahrt nach Feuerland. Seht ihr euch doch eine Weile um.“ Erklärte sie und ging in ein kleines Gebäude ein wenig links am Pier entlang.

Ryu atmete tief ein. Die Seeluft tat irgendwie gut. Die letzten Tage hatte er immer Kopfschmerzen gehabt. Und manchmal waren da die Stimmen, die er nicht verstand. Doch momentan war alles okay. Während Nicole am Strand Muscheln sammelte, sah er sich die Stege ein wenig an. Irgendwas war komisch. Wenn hier regelmäßig Schiffe anlegten, mussten die Taue dann leicht feucht und vielleicht ein wenig vom Grünspan angelaufen sein? Doch diese hier waren trocken und sauber. Beinahe, als hätte hier schon länger kein Schiff mehr angelegt.

Tinúviel bestätigte den Verdacht, als sie wieder aus der Hafenbehörde heraus kam. “Das ist doch komisch.“ Meinte sie verwundert. “Der Angestellte hatte wir gesagt, es wären seit zwei Wochen keine Schiffe mehr eingelaufen.“ Sie schüttelte den Kopf. “Planmäßig wäre schon morgen ein Schiff gekommen, das uns hätte mitnehmen können. Aber er bezweifelt es eher, das es wirklich ankommen wird.“

“Und nun?“ Nicole sah Ryu fragend an.

“Naja. Ich würde sagen, wir suchen eine Übernachtungsmöglichkeit. Vielleicht haben wir Glück und das Schiff kommt.“ Er sah Tinúviel an. “Was gäbe es sonst für einen Weg nach Feuerland?“

“Entweder zurück nach Nirás, um von dort ein Schiff zu nehmen. Aber das wäre idiotisch, wo wir jetzt schon mal hier sind.“ Tinúviel blickte zum Drachenrücken. “Dann müssen wir über den Drachenrücken und durch Kiri. Aber wenn wir jetzt gehen, müssten wir auf dem Rücken übernachten. Ich würde sagen, wir bleiben für heute hier in der Stadt und ziehen morgen früh los. Dann sollten wir bis morgen Abend Kirana, Kiris Hauptstadt, erreichen.“

“Du bist die Expertin hier.“ Antwortete Ryu und nickte leicht. “Wenn du es so für besser findest, machen wir es.“

“Gut. Dann folgt mir. Ich kenne eine gute Herberge.“ Tinúviel sah noch mal kurz zum entfernten Drachenrücken, ehe sie los ging. Nicole und Ryu folgten ihr und sahen sich um.

“Lass mich raten.“ Meinte Nicole grinsend und sah Tinúviel an. “Diese Herberge wird mal wieder von einem alten Bekannten von dir geleitet?“

“Naja, so alt nicht.“ Antwortete sie mit einem Schulterzucken. “Sie hat die Herberge erst vor kurzem von ihrem Vater übernommen. Ich habe sie auf einem Zunftstreffen einmal kennen gelernt.“

“Ein Zunftstreffen?“ Nicole sah sie fragend an. “Was soll das sein?“

“Na, die Schankzunft.“ Antwortete Tinúviel. Sie sah ihre Begleiterin ebenso fragend an. “Gibt es das bei euch nicht?“

“Ich glaube nicht. Oder?“ fragend sah Nicole zu Ryu. Dieser seufzte, ehe er antwortete.

“Zünfte gab es bei uns einmal. Im Mittelalter ungefähr kamen sie auf. Hauptsächlich Handwerker, aber auch andere Personengruppen wie zum Beispiel Wirtsleute und sogar Diebe schlossen sich zu Zünften zusammen. Meistens hatten diese Zünfte irgendwo eine Art Hauptquartier, wo regelmäßig Treffen stattfanden und wo der Meister der Zunft wohnte.“ Erklärte er. “Die Treffen hatten vor allem den Zweck des Informationsaustauschs und des Handels. Ebenso konnten sich Zunftsmitglieder in Notsituationen an die Zunft wenden, welche ihrem Mitglied dann bestmöglich half, wieder aus der Not zu kommen.“

“Hört sich nett an.“ Kommentierte Nicole, welche aufmerksam zugehört hatte. “Wieso gibt es das heutzutags nicht mehr?“

“In dieser Form gibt es das nicht mehr. Aber so was Ähnliches gibt es bei uns noch heute. Heutzutage wird es aber als Gewerkschaft bezeichnet.“

“Hm…“ Nicole nickte. “Jetzt habe ich verstanden.“

Nach zehn Minuten Fußmarsch blieb Tinúviel mit ihnen vor einem Gebäude am Rand des Ortes stehen. Es hatte ungefähr dieselbe Größe wie Tinúviels Gasthaus in Nirás und war auch im selben Stil erbaut.

“ich glaube, das da ist das Symbol eurer Zunft, kann das sein?“ fragte Ryu. Ihm war ein kleines Schild aufgefallen, auf dem ein Bierkrug mit einem Teller und Besteck abgebildet war. Dasselbe Schild hatte er auch in Tinúviels Gaststätte und in der Herberge von Kyle in Landir gesehen.

“Ganz genau. Dasselbe Bild haben wir noch mal transportabel.“ Bestätigte Tinúviel und zog ein kleines Holzschild in der Größe einer Streichholzschachtel hervor. “So können sich Mitglieder untereinander identifizieren und bekommen dann von den anderen Mitgliedern meist Vergünstigungen, wenn man in ihrem Laden absteigt.“ Sie stieß die Türe auf und sah sich um.

Obwohl es erst früher Nachmittag war, war das Gasthaus gut besucht, es gab nur noch wenige freie Plätze. Sie setzten sich an einen Tisch direkt am Fenster.

“Die sehen alle aus wie Seeleute.“ Meinte Tinúviel mit einem Blick durch den Raum. “Offenbar haben sie nichts zu tun, da keine Schiffe einlaufen.“ Sie gab der Bedienung ein kurzes Zeichen.

“Dann haben sie hier hoffentlich noch freie Zimmer.“ Nicole hatte sich ebenfalls umgesehen. “Der Laden muss aber gut sein, wenn sie alle hier her kommen, anstatt in ein Gasthaus am Hafen zu gehen. So verpassen sie doch eventuell, wenn doch noch ein Schiff einlaufen sollte.“

“Oh, ihr werdet es schon sehen.“ Als die Bedienung kam, stand Tinúviel auf und reichte ihr die Hand. “Schon, dich wiederzusehen, Amalia.“ Begrüßte sie diese Lächelnd.

Amalia war jung. Ryu schätzte, das sie nicht viel älter war als er selbst. Ihr Haar war lang und von meeresblauer Farbe, welches sie zu einem Zopf gebunden hatte. Ihr Kleid hatte einen dunkleren, beinahe schwarzen Blauton. Über dem Kleid trug sie eine weiße Schürze mit blauen Nähten und dem Symbol ihrer Zunft auf der Brust.

Mit einem Lächeln umarmte sie Tinúviel und antwortete: “Mich freut es auch. Schön, das du mich einmal hier besuchst.“ Sie musterte Tinúviel und zog eine Augenbraue hoch. “Aber wie siehst du aus? Was ist mit diesen merkwürdigen Kleidern, die du sonst immer getragen hast?“

“Du meinst die Kimonos? Die trage ich momentan nicht, weil dies hier kein Vergnügungsbesuch ist.“ Auf diese Antwort runzelte Amalia die Stirn. Sie gab ihren beiden Mitarbeiterinnen ein Zeichen, dann setzte sie sich zu ihnen.

“Was meinst du denn damit?“ fragte sie Tinúviel. “Dies sein kein Vergnügungsbesuch?“

“Na, ich habe es so gemeint, wie ich es sagte: Wir sind auf der Durchreise.“

“Oh, du reist also wieder?“

“Ja. Meine Begleiter hier brachten mich dazu.“ Mit einem Schmunzeln nickte sie zu Ryu und Nicole. “Ich begleite sie auf ihren Weg, um einen weg nach Hause zu finden.“

Amalia musterte Ryu und Nicole neugierig. “Und wer seid ihr?“ fragte sie dann.

Dieses Mal war Nicole schneller mit Antworten. “Mein Name ist Nicole.“ Erklärte sie der Wirtin. “Und das hier ist Ryu.“

Amalia nickte und stand wieder auf. “Wenn ihr bald weiter reisen wollt, dann wollt ihr euch sicherlich stärken. Ich bereite was für euch vor.“

“Das wäre nett. Und hast du noch Zimmer, die du für uns vorbereiten könntest?“

“Hm, ich hab nur noch zwei freie Zimmer. Das bedeutet, zwei von euch müssten sich eines teilen.“ Erklärte Amalia, während sie was notierte. “Das müsst ihr aber unter euch ausmachen. Ich bringe euch jetzt jedenfalls mein Spezialmenue!“

Mit diesen Worten verneigte sich die Wirtin und ging nach hinten in die Küche.

“Sie ist aber keine Kämpferin, sowie Kyle und du, oder?“ fragte Nicole. Tinúviel lachte nur und schüttelte den Kopf.

Amalia hatte ihr Spezialmenue `Meeresengel´ getauft. Es war eine Art Fisch, mit Reis als Beilage und Zitronengras. Doch Gewöhnungsbedürftig war die Farbe. Das Fleisch des Fisches hatte eine satte, himmelblaue Farbe. Und noch dazu hatte Amalia es irgendwie auch noch geschafft, den Reis ebenfalls blau zu färben.

Ryu musterte seinen Teller. War das wirklich essbar? Er kam zwar aus Japan, aber dennoch schreckte ihn diese Farbe irgendwie ab.

“Ich gebe es ja zu.“ Meinte Amalia, als sie Ryus Blick bemerkte. “Die Farbe ist außergewöhnlich. Aber es schmeckt wirklich sehr gut.“ Erwartungsvoll blickte sie ihn an. Ryu seufzte leise und nickte nur, dann nahm er mit der Gabel einen Bissen vom Fisch.

Und er erstarrte. Es schmeckte einfach himmlisch. So etwas hatte er noch nie gegessen, er konnte es einfach nicht mit irgendwas bekannten aus seiner Welt vergleichen.

“Wirklich sehr gut.“ Meinte er zwischen zwei Bissen und sah zu Amalia. “Der Fisch ist wirklich ausgezeichnet.“

“Danke. Ich habe mein bestes gegeben, alles aus den Zutaten raus holen.“ Amalia wirkte erleichtert, das es allen schmeckte. Sie lächelte und legte zwei Schlüssel auf den Tisch. “Ich habe mittlerweile die Zimmer für euch vorbereiten lassen. Die Treppe raus und dann die letzten beiden Türen.“

“Ah, meine Lieblingszimmer. Wie passend.“ Tinúviel nahm die beiden Schlüssel und reichte Ryu einen. Sie hatten abgemacht, das Tinúviel und Nicole gemeinsam ein Zimmer nahmen, während Ryu das andere alleine nahm. Sie blieben noch bis zur Abenddämmerung im Gastraum. Manchmal unterhielten sie sich mit Amalia, wenn diese etwas Zeit hatte, oder belauschten die anderen Gäste. Diese hatten viele Ideen, wieso keine Schiffe mehr einliefen, doch eine war verrückter als die andere.

Gegen zehn Uhr allerdings sah Tinúviel auf und streckte sich, ehe sie aufstand. Auch Ryu und Nicole erhoben sich und gemeinsam gingen sie nach oben.
 

“Endlich. So lange warte ich schon.“

Ryu sah sich um. Was war nun schon wieder? Er stand auf einer leeren, weiten Steppe. Hier und da gab es ein paar vertrocknete, krüppelige Bäume.

“Hallo?“ rief er unsicher. Wo war er hier? Vorhin hatte er sich doch in Amalias Gasthaus schlafen gelegt, und nun stand er hier in dieser einsamen Steppe?

“Wie stark du bist.“

Ryu drehte sich um. Doch hinter ihm war nichts. So langsam wurde ihm diese Sache hier unheimlich. Kurz überlegte er, ehe schließlich los lief. Wohin, das war schwer zu sagen, da hier alles gleich aussah.

“Ja. Komm zu mir. Befreie mich!“

“Lass mich in Ruhe!“ knurrte Ryu und blieb stehen. “Komm raus und zeig dich! Was ist hier los? Wo bin ich?“

“Raus kommen? Ich will es versuchen.“ Mann konnte ein knistern hören. Ryu drehte sich um und sah, das einer der Bäume in pechschwarze Flammen aufgegangen war. Diese stiegen immer höher und schließlich bereitete der schwarze Flammenvogel die Flügel aus. “Mein Name ist Su…“

Ryu blinzelte und sah an die Decke. Er war aufgewacht. Also ist das alles offenbar nur ein Traum gewesen. Er schloss die Augen und versuchte sich daran zu erinnern. Die leere Steppe. Die Stimme. Und die schwarzen Flammen, welche die Form eines Vogels bildeten. “Was hatte das zu bedeuten?“ flüsterte er leise und sah auf die Uhr. Sie zeigte sieben Uhr morgens, also noch etwa eine Stunde, ehe die beiden Frauen aufwachten.

Mit einem Seufzer stand er auf. Er machte sich am Wasserbottich frisch, ehe er sich anzog und hinaus ging. Nach einer Minute, die er zur Orientierung im Dunkeln brauchte, ging er hinab in den Gastraum, in welchem Amalia bereits am hantieren war.

Als sie ihn bemerkte, schrak sie auf. “Oh, hast du mich erschreckt.“ Meinte sie und holte tief Luft. “Schleich dich nicht noch einmal so an. Sonst krieg ich noch einen Herzinfarkt!“

“Verzeihung. Ich wollte dich nicht erschrecken.“ Gab Ryu mit einem Schmunzeln zurück. “Ich konnte nicht mehr schlafen, da bin ich schon mal runter gekommen. Könnte ich eine Schokolade zu trinken bekommen?“

Natürlich. Dauert fünf Minuten.“ Amalia holte einen Topf raus, in welchem sie nun Milch zu erhitzen begann. “Du konntest nicht mehr schlafen? Hattest du vielleicht einen Alptraum?“

“Alptraumhaft würde ich ihn nicht nennen. Gruselig war zumindest nicht.“ Als Amalia ihm eine Tasse mit heißer Schokolade nahm er einen tiefen Schluck und seufzte.

“Um was ging es denn?“

“Hm, nichts besonderes eigentlich. Ich war in einer leeren Steppe, nur ein paar verdorrte Bäume in der Nähe. Doch immer wieder hörte ich eine Stimme.“ Erklärte er und schloss die Augen. “Es war nur ein Traum.“

Den Rest der Stunde verbrachte er an einem Tisch mit seiner Tasse Schokolade. Außer Amalia, die in der Küche das Geschirr abwusch, rührte sich nichts, bis etwa um acht Uhr Nicole und Tinúviel runter kamen. Während des Frühstücks erklärte Tinúviel, wie es weiter ging. Wie sie von ihr erfuhren gab es einen Fluss, welcher von Carvahal aus bis zu einem See führte, der am Fuße des Drachenrückens lag. Und dann mussten sie den Berg auch nicht komplett besteigen, sondern seitlich an seiner Seite entlang wandern. Wenn es keine Probleme gab, so Tinúviels Vermutung, sollte die Grenze etwa am frühen Nachmittag erreicht sein, ehe sie ein paar Stunden später die Hauptstadt des Nachbarreiches erreichten.

Nach dem Frühstück packten sie ihre Sachen und machten sich auf, um den Weg in Anspruch zu nehmen. Während er an diesem Morgen alleine im Schankraum gesessen hatte, hatte Ryu überlegt. Es war mittlerweile schon über einen Monat her, dass sie hier in dieser Welt aufgetaucht waren. Ihre Verwandten und Bekannten in der anderen Welt machten sich sicherlich Sorgen um die beiden. Doch sie konnten nichts tun, außer den Weg weiter zu gehen, den sie in Landir geplant hatten.

“Da wären wir.“ Tinúviel hatte die beiden zu einer kleinen Hütte an einem Fluss geführt. Im Wasser waren Stege angebracht, an welchen lange, beinahe zerbrechlich wirkende Boote fest gemacht waren. Und als Ryu sah, das Tinúviel nur nach einem Boot verlangte, schüttelte er den Kopf. Sie glaubte doch nicht allen ernstes, das diese zerbrechlichen Dinger auch nur einen von ihnen tragen konnte. Doch da sprang Tinúviel auch schon ins Boot, welches zwar schwankte, aber hielt. Nicole folgte ihr kurz darauf. Wieder schwankte es, doch es blieb über Wasser. Also blieb ihm letzten Ende nichts anderes übrig, als ebenfalls ins Boot zu klettern. Er konnte spüren, dass es in der Tat deutlich stabiler war, als der äußere Eindruck vermuten ließ.

“Wir müssen stromaufwärts.“ Erklärte Tinúviel, während sie einen langen Stab nahm, mit der sie das Boot vom Ufer abstieß.

“Mit dem Steuern sollten wir uns abwechseln, da das sehr anstrengend sein wird.“ Die anderen beiden nickten, und Tinúviel begann das Boot mit Hilfe des Stabes den Fluss entlang zu führen. Sie wechselten sich halbstündlich ab. Nach etwa zwei Stunden, Tinúviel hatte grade zum zweiten Mal den Stab an Ryu weiter gereicht, konnten sie das Brausen eines Wasserfalls hören. Zehn Minuten später, nachdem sie eine Biegung des Flusses hinter sich gelassen hatten, konnte sie ihn schließlich sehen. Der Fluss hatte sie zu einem mittelgroßem See gebracht, welcher am Fuße des Drachenrückens lag. Das Grün um den See herum war prächtig gewachsen und manchen Stellen so dicht, das wohl nicht mal mehr Insekten durch kamen. Der Wasserfall stürzte aus einem Felsen, der einige Meter über den See ragte, hinaus in den See. Mit ein wenig Fantasie konnte man sagen, es wäre ein Drachenkopf, aus dessen halb geöffneten Maul das Wasser kam.

“Bring uns dort hinten an das Ufer.“ Wies Tinúviel Ryu an. Dieser nickte und führte das Boot an das Ufer, wo Tinúviel hinaus sprang und das Boot an Land zog, damit auch Ryu und Nicole ohne Probleme an Land kamen.

“Was machen wir mit dem Boot?“ fragte Nicole die Halbelfe. “Lassen wir es hier liegen?“

“Nein. Wir werden es mit nehmen.“ Als Nicole sie verwirrt ansah, schmunzelte Tinúviel. “Diese Boote sind dafür konstruiert worden. Sie wurden extra so leicht gebaut, dass zwei Leute es problemlos auch über Land transportieren können. Hilf mir mal, Ryu.“ Meinte sie schließlich an ihn gewandt und ging zum Bug des Bootes. Hier waren, ebenso wie am Heck, Griffe angebracht, an denen die beiden nun das Boot aus dem Wasser hoben.

“Nun dann.“ Tinúviel holte tief Luft. “Machen wir uns an den Aufstieg auf den Drachenrücken.“

Die anderen beiden nickten, und so machte sich die Gruppe auf den Weg Richtung Norden.
 

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Kapitel 8 Ende ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
 

Beim nächsten mal:
 

Nach dem Erfolgreichen Aufstieg des Drachenrückens erreicht die Gruppe am Abend endlich Kirana, die Hauptstadt von Kiri. Doch hier scheint nicht alles mit Rechten Dingen zuzugehen, und erneut geraten sie in eine Verfahrene Situation, in die auch der König seines Landes die Finger im Spiel hat. Und dann geschieht auch noch etwas…
 

Das nächste Kapitel heißt:
 

Ich rufe dich!

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Aftershow:
 

“`Ich rufe dich!`. Was soll das für den merkwürdiger Titel sein?“ fragte Nicole und schlug das Skript zu. “Wer ruft hier wen?“

“Nun, ich denke, das ist es grade.“ Antwortete Tinúviel und schloss ihr Skript ebenfalls. “Die Leser sollen sich genau diese Frage stellen. Und das soll sie so neugierig machen, das sie das nächste Kapitel ebenfalls lesen werden.“

“Klingt logisch.“ Nicole sah zu ihr. “Aber wieso trägst du dein Kostüm eigentlich noch? Hast du nicht einmal gesagt, das wäre ziemlich unbequem?“

“Das einzig unbequeme daran ist das hier!“ Mit einem Schnauben knallte Tinúviel das Schwert auf den Tisch, welcher unheilvoll knarrte. “Welcher Depp kam auf die Idee, ein derart idiotisch großes Schwert zu erfinden? Ich kann nur froh sein, das dass hier eine Gummiattrappe ist.“ Mit einem Murren ließ sie die Schultern kreisen. “Ein echtes Schwert wäre vermutlich noch schwerer. Vermutlich hat meine Rolle damals ihr Abenteuerleben nicht aufgegeben, weil es ihr zu langweilig wurde, sondern weil sie dieses Schwert nicht mehr ertragen hatte.“

“So schlimm?“ fragte Nicole und griff nach dem Griff des Schwertes. Langsam hob sie es an und schnaubte. “Uff! In der Tat. Wie erträgst du das?“

“Oh, ich hab einen Massagesessel in meinem Wagen. Das entspannt mich am Ende immer ganz gut.“ Erklärte Tinúviel, während sie nun auch die Spitzen ihrer Ohren abzog. “Aber was ist mit dir, Ryu? Du hast die ganze Zeit geschwiegen.“

“Ich habe nur nach gedacht.“ Brummte dieser. Er hielt immer noch das vorige Skript in Händen. Das neue hatte er noch gar nicht angerührt. “Diese Nummer mit den Booten, die man über Land tragen kann, kommt mir irgendwie bekannt vor.“

“Meinst du?“ auch Nicole lugte wieder in das vorige Manuskript. “Also, mir sagt es nichts.“

“Naja, vielleicht auch nur Einbildung.“ Mit einem Seufzer schloss er das Skript.

Doch dann zuckten alle zusammen, als sie eine Stimme hörten: “Oder vielleicht auch nicht!“ Alle drei sahen sich um und erblickten am Ende des Tisches eine Person. Sie war klein und…

“Hoppla, beinahe hätte ich mich selbst beschrieben.“ Lachte die Person und sah wieder zu Ryu. “Es könnte sein, das dir diese Idee bekannt vor kommt, weil ich sie geklaut habe. Glaube ich zu mindestens.“ Grübelnd sah die Person an die Decke.

“Was soll das heißen?“ fragte Ryu verwirrt.

“Wer bist du?“ wollte Nicole wissen.

Und Tinúviel fragte: “Wie bist du hier rein gekommen?“

“Was das heißen soll? Nun, ich glaube, dass ich in einem anderen Buch mal über solch eine Idee gelesen hatte. Ich glaube, es war Eragon, bin mir aber nicht sicher. Und was eure Fragen angeht.“ Mit einem schelmischen Grinsen wandte sich der Fremde an Nicole und Tinúviel und schob seine Brille grade. “Ich bin hier der Autor."

Ich rufe dich!

Kapitel 10: Ich rufe dich!
 

~~~~~~~~~~~~~~~~ Was beim letzten mal geschah ~~~~~~~~~~~~~~~~
 

Nach einer erholsamen Nacht nach den Ereignissen im Geisterdorf reisen unsere Freunde endlich weiter und erreichen Carvahal, die Hafenstadt. Doch gute Neuigkeiten gibt es nicht; sie erfahren, das schon seit zwei Wochen kein Schiff mehr Carvahal erreicht hat. Doch da sie nicht rum sitzen wollen, bis schließlich irgendwann einmal ein Schiff auftaucht, entschließen sie, den anstrengenden Weg über den Drachenrücken zu nehmen.

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Das Mitführen des Bootes machte den Aufstieg auf den Drachenrücken nicht grade leichter. Es war zwar leicht genug, das zwei Mann es tragen konnten, dennoch war es auch schwer genug, um sie schnell an ihre Grenzen zu bringen, so das sie nun jede Stunde ein paar Minuten Pause machten. Erst nach sechsstündigem Marsch konnten sie endlich wieder Wasserplätschern hören, und Tinúviel verkündete, das dass schwerste gleich geschafft wäre. Sie führte nun an, während Nicole und Ryu das Boot trugen, und wies ihnen den Weg.

Das Ziel war ein etwas größerer Bach, der grade genug Wasser führte, so dass er das Boot tragen konnte. Wie Tinúviel erklärt hatte, konnten sie nun mit dem Boot direkt bis vor die Tore der Hauptstadt fahren, was sie dann auch Taten.

Kirana, Kiris Hauptstadt, konnte kaum unterschiedlicher zu Landir sein. Während Landirs Mauern schön weiß verputzt waren und die Tore fein geschnitzt, waren Kiranas Mauern einfach nur aus grauen Blöcken zusammen gesetzt. Und die Tore waren auch nur aus Holzplanken zusammen gezimmert, grob und jeden Schmuck. Ryu sah an den Mauern auf und seufzte leise.

“Hoffentlich ist es innen gemütlicher. Hier von außen wirkt es ziemlich abweisend.“ Meinte er, während er mit den anderen beiden zum Tor ging. Immerhin waren die Tore hier geöffnet, wie er erfreut fest stellte, also waren sie Besuchern wohl nicht so ganz abgeneigt. Als sie das Tor passierten, nickten die Wachen ihnen kurz zu, beachteten sie aber sonst nicht weiter. Stattdessen hielten sie einen Karren, der hinter der Gruppe hinein wollte, an und kontrollierten ihn.

“Als erstes brauchen wir wieder ein Nachtquartier.“ Sagte Tinúviel und sah sich um. “Ich würde vorschlagen, wir suchen nach einem Mitglied der Zunft.“

“Also wieder einen Bekannten von dir?“ Nicole grinste und sah zu ihr. “Hast du in jeder Stadt welche?“

“Zunftsmitglieder gibt es in der Tat in jeder Stadt. Doch das bedeutet nicht, dass ich jeden auch persönlich kenne. Hier in Kirana jedenfalls würde mir keiner einfallen.“ Erklärte Tinúviel kurz und ging mit den beiden los. Sie wusste schon, wo hin. Wenn man eine vergleichsweise gute Herberge suchte, sollte man am besten am Marktplatz anfangen. Dort ankommen, blickte sie sich kurz um und nickte.

“Wie zu erwarten.“ Meinte sie schmunzelnd. Hier am Platz gab es sogar zwei Herbergen, doch nur eine trug das Zeichen der Schankzunft. Und in dieses gingen sie nun. Der Gastraum bestand nur aus einem, ziemlich kleinen Raum. Es gab grade einmal genug Platz für vier Tische, von denen nur einer besetzt war. Ganz in der hintersten, dunkelsten Ecke saß eine vermummte Gestalt und nippte an einem Glas, welches mit einer rubinroten Flüssigkeit gefüllt war. Die Tische und Stühle wirkten alt und schon reichlich abgegriffen, waren aber recht gut gepflegt. Der Rest des Raumes war ziemlich nackt, es gab keinerlei Dekor, und beleuchtet wurde er mehr schlecht als Recht von einem dutzend kleiner Laternen, deren Fenster mal wieder geputzt werden müssten.

Die Gruppe setzte sich an einen Tisch am Fenster, wo es am hellsten war. Ryu sah sich ein wenig um, ehe er sich an Tinúviel wandte.

“Hat eure Zunft nicht irgendwelche Vorschriften, die die Mitglieder einhalten müssen? In Richtung Sauberkeit und so?“ fragte er sie flüsternd. So richtig wohl fühlte er sich in diesem kleinen Laden nicht. Für den Moment war es zwar leer, doch irgendwie wurde er das Gefühl nicht los, das diese Spelunke eher zweifelhafter Natur war.

“Natürlich. Und dieser Laden hier erfüllt alles, wenn auch nur die Mindest-Standards.“ Gab sie ebenso leise zurück. “Wir können nicht nur schicke Edelherbergen aufnehmen, solche eher einfachen muss es nun einmal auch geben.“ Dann schwieg sie, als die Bedienung ihnen die Karten brachte. Es war ein riesiger, leicht ungepflegt wirkender Kerl. Sein Haar war lang und fettig und er hatte einen Dreitagebart. Mann konnte noch Ansätze dicker Muskeln sehen, doch mittlerweile hatte er wohl aufgehört zu trainieren, so dass nun stattdessen sein Bauch immer größer wurde. Mit leichtem Unbehagen sah Ryu ihm nach, als er wieder ging. Hoffentlich war dieser Kerl nicht auch der Koch, sonst würde er es sich noch einmal Überlegen, hier etwas zu essen. Doch Nicole hatte offenbar kein Problem. Sie hatte die Karte bereits aufgeschlagen und blätterte drin rum. Immer noch etwas unbehaglich zu Mute öffnete nun auch Ryu die Karte. Er sollte wirklich nicht nur vom äußeren Ausgehen. Immerhin war dieser Laden hier Mitglied der Zunft, und das musste heißen, dass es eigentlich nicht so schlecht sein sollte.

Kiris Speisekarte war hauptsächlich geprägt von Geflügelgerichten. Es gab einige Tiere wie Hühnchen und Taube, die ihm durchaus bekannt waren, aber auch fremde Tiere wie zum Beispiel ein Niwatori genanntes. Tinúviel erklärte ihnen, das es Grunde ein Huhn war, allerdings von der Größe eines Schwans, mit weißem Fleisch, das auf dem Teller beinahe von selbst zerfiel, wenn es richtig zubereitet war. Es klang überaus interessant, aber schließlich entschied sich Ryu doch lieber für ein halbes Hähnchen, ein Gericht, das er kannte. Nicole hingegen war mutiger und nahm das Niwatori, während Tinúviel ein Rehgericht wählte.

“Und wie geht es nun weiter?“ fragte Ryu, nach dem sie ihre Bestellungen aufgegeben hatten. Er holte den Atlas aus seinem Rucksack und legte ihn auf den Tisch. “Mal sehen. Kirana, hier sind wir.“ Meinte er und zeigte auf die Karte. “Und wo ist die Magieschule in Feuerland?“

“Ich glaube, die liegt hier ungefähr.“ Tinúviel zeigte auf der Karte auf eine leere Stelle neben einem großen See. “Wir werden morgen mit dem Boot weiterfahren. Wir können bis hier her.“ Sie fuhr mit dem Finger über eine blaue Linie, welche einen Fluss darstellte, und blieb auf einer Stadt an der Küste des Feuerlandes stehen. “Meerburg. Das wäre auch unser Ziel gewesen, wenn wir in Carvahal ein Schiff bekommen hätten. Und von dort aus sollten wir erstmal nach Kraterstadt, der Hauptstadt.“

“Und wieso können wir nicht direkt zu der Schule?“ fragte Nicole.

“Weil ich mir wie gesagt nicht ganz sicher bin, ob die Schule wirklich am Ufer dieses Sees liegt.“ Erklärte Tinúviel und seufzte. “Das sollten wir erst einmal in Erfahrung bringen.“

“Das sollten wir wirklich. Nicht das wir ziellos irgendwo umher laufen.“ Ryu räumte nun den Atlas wieder weg, da der Wirt das Essen brachte. Ein wenig misstrauisch beäugte Ryu sein Hähnchen. Er musste sagen, das dass Essen wirklich gut aussah. Kurz sah er zu den beiden Frauen, welche bereits aßen, ehe er selbst zu essen begann.

“Oh, wirklich gut.“ Murmelte Nicole zufrieden und klopfte auf ihren Bauch. “Ich bin satt.“ Ryu nickte nur zustimmend und schob seinen Teller weg. Er musste zugeben, dass er wirklich Vorurteile gehabt hatte, was diese Gaststätte anging. Er lehnte sich zurück und schloss die Augen. Nun, wo er satt war, fühlte er eine gewisse Schwere. Sie waren lange aufgewesen und hatten einen anstrengenden Weg hinter sich. Also war es kein Wunder, das er nun müde wurde. Er öffnete die Augen und sah, dass es den anderen ebenso erging. Nicole hatte den Kopf auf den Tisch gelegt und ihr Schweif schlenkerte leicht durch die Luft, was er kaum wahrnahm. Tinúviel winkte den Wirt noch einmal zu sich und bestellte drei Zimmer. Der Wirt nickte kurz knapp und nahm drei Schlüssel von seinem Bund, welche er ihr gab, ehe er begann den Tisch abzuräumen.

“Kommt. Gehen wir schlafen.“ Meinte sie gähnend zu den anderen beiden und stand auf. Sie gab jedem einen Schlüssel. “Wir hatten einen langen, anstrengenden Tag hinter uns. Das wird uns gut tun.“

Gemeinsam gingen die drei hinauf und teilten sich auf. Es gab nur vier Zimmer, und Nicoles war das hintere rechte. Tinúviels war gleich Gegenüber, während Ryu das Zimmer direkt neben der Treppe bekam. Müde schloss er die Zimmertüre hinter sich und blickte sich um. Das Zimmer war relativ einfach. Es gab kein direktes Bett, sondern einen großen, mit Stroh gefüllten Stoffsack, auf dem er schlafen sollte. Es gab einen Tisch und einen Stuhl, welche beinahe so abgegriffen waren wie die Möbel im Gastraum, und einen Kleiderschrank, an dem sich eine Türe offenbar nicht mehr schließen ließ. Er seufzte und ließ seinen Rucksack zu Boden fallen, dann schmiss er sich auf den Strohsack und war schon bald darauf eingeschlafen.
 

“Endlich bist du angekommen.“

Ryu zuckte zusammen und sah sich um. Er stand in einer leeren, weiten Steppe. Nur ein paar verdorrte Bäume waren hier und da zu sehen. Er stöhnte auf und rollte mit den Augen. Nicht schon wieder. Er hatte schon wieder diesen merkwürdigen Traum. Und da war auch wieder diese merkwürdige Stimme.

“Ich habe lange auf jemanden wie dich gewartet.“ Sagte die Stimme leise. “Jemand, der so stark ist, kann mich sicherlich befreien.“

“Was meinst du mit befreien?“ fragte er in die Leere und blickte sich um. “Bist du etwa gefangen?“

“Das bin ich. Ich wurde vor drei Jahren eingesperrt, und seitdem zapft jemand meine Macht an, um sie für sich zu nutzen.“ Erklärte die Stimme mit einem Seufzen. “Doch du kannst mich befreien.“

“Und wie soll ich das machen?“ er blickte sich weiter um. Irgendwie war es komisch, mit einer Stimme zu reden, die keinen Körper hatte. “Was soll ich tun?“

“Du… Du musst nur…“ begann die Stimme, doch dann rauschte sie immer mehr, wie bei einem schlecht eingestellten Funkgerät. “Und dann musst du… rufen… mein Name…“

“Hey! Was ist los? Ich kann dich kaum verstehen.“ Unsicher blickte Ryu sich um, doch da riss der Boden unter ihm auf und verschlang ihn.

Ryu schrak aus seinem Traum auf und blickte sich um. Irgendwas stimmte ganz und gar nicht! Er blickte auf nackte, grobe Felswände, und außerdem lagen Nicole und Tinúviel neben ihm, welche beide noch schliefen. Er sah zur anderen Seite und Erschrak. Dort konnte er eine massive Holztüre sehen, in der ungefähr auf Augenhöhe Gitter eingelassen waren. Sie waren offenbar in einer Art Gefangenenraum.

“Nicole! Tinúviel! Wacht auf!“ zischte er leise und rüttelte die beiden. Nicole brummte leise und blinzelte. Als sie Ryu sah, schrak sie auf und verpasste ihm einen Kinnhaken.

“Was machst du in meinem Zimmer?“ rief sie, doch Ryu hielt ihr schnell die Hand auf den Mund und zischte: “Sei leise!“

Auch Tinúviel richtete sich nun langsam auf. Sie sah sich um und seufzte. “Nun, das ist nicht schön.“ Meinte sie trocken und sah zu ihren Begleitern. “Alles okay bei euch?“

Die beiden nickten, und Nicole wisperte leise: “Was ist hier los? Wie kommen wir hierher? Und wieso?“

“ich vermute, man hat uns im Schlaf hergebracht.“ Tinúviel stand auf und blickte sich um. “Offenbar hatte der Wirt uns ein Schlafmittel ins Essen gemischt.“

“Und wieso? Was machen wir jetzt?“

“Ich habe nicht vor, hier zu bleiben, um raus zu finden, was hier los ist. Überprüft erst einmal, was ihr noch alles dabei habt.“ Alle drei leerten ihre Taschen. Tinúviel hatte außer einigen getrockneten Beeren nichts mehr dabei. Sie hatten ihr alles, sogar die die versteckten Messer in den Armschienen, abgenommen. Nicole hatte noch ihren Hausschlüssel, ihre Geldbörse und ihr Handy, ebenso trug sie ihre Handschuhe noch, genauso wie auch Ryu noch alles aus der anderen Welt dabei hatte. Doch nichts davon konnte offenbar helfen. Sie wollten es grade weg stecken, als Tinúviel plötzlich Ryus hand fest hielt.

“Warte. Was ist das?“ sie ergriff sein Schlüsselbund und untersuchte einen der Schlüsselanhänger, der die Form eines kleinen Katanas hatte. Als sie dann auch raus fand, dass man die winzige Klinge aus der Scheide raus ziehen konnte, lächelte sie.

“Du hast uns gerettet, Ryu.“ Meinte sie leise “Mit diesem kleinen Ding kann ich uns befreien. Allerdings vermute ich, dass es das nicht überstehen wird. Ist das schlimm?“

“Nein, nur zu. Das ist nur so ein Billiganhänger.“ Er sah Tinúviel verwirrt an. Wie wollte sie es mit dem kleinen Ding schaffen, sie hier raus zu holen? Er fing den Schlüsselbund, den Tinúviel ihm zuwarf, auf, und folgte ihr zur Türe. “Wie willst du uns mit diesem Ding raus holen?“ fragte er sie verwundert. Auch Nicole war mittlerweile zu ihnen gekommen. Sie stand auf der anderen Seite von Tinúviel und sah zu.

“Ich brauche einfach irgendwas, um meine Magie kanalisieren zu können.“ Erklärte Tinúviel leise. “Normalerweise mache ich das durch mein Schwert, doch ich könnte dafür auch gut Küchenmesser oder scharfkantige Steine verwenden. Und da dieses Ding hier wie ein Schwert aussieht, wird es auch gehen.“ Sie kniete vor der Türe und schob die winzige Klinge des Schlüsselanhängers in das Türschloss. Kurz darauf konnten sie sehen, wie kleine Flammen aus diesem züngelten. Das Schloss begann zu schmelzen und das Holz drum herum zu kohlen. Nach etwa zehn Minuten pustete Tinúviel leicht und ließ die Flammen erlöschen. Sie warf die Reste des Schlüsselanhängers weg und schmunzelte.

“Vielleicht sollte ich mit irgendwann auch mal so ein kleines Ding anfertigen lassen. Allerdings aus einem Material, das meine Magie aushält.“

Sie zog leicht an der Türe und das verkohlte Holz um das Türschloss brach. Die Türe schwang auf und die drei schlichen sich hinaus. Draußen sah es nicht viel besser aus. Es gab einen schmalen Gang mit groben Steinwänden, welcher nur alle paar Meter von einer Ölfackel beleuchtet wurde.

“Die städtischen Kerker.“ Flüsterte Tinúviel und sah zu den anderen beiden. “Wir müssen unbedingt unsere Ausrüstung wieder bekommen und dann raus finden, was hier abgeht. Wieso hat man uns hier eingesperrt?“

“Schön und gut. Aber wo sollen wir anfangen?“ fragte Nicole ebenso leise. “Unsere Sachen können überall sein.“

“Ich vermute, sie sind in der Asservatenkammer des Kerkers.“ Tinúviel blickte sich um. “So etwas hat normalerweise jeder Kerker. Dort werden die Waffen der Soldaten aufbewahrt und die Besitztümer der Gefangenen.“

Tinúviel nahm zwei Fackeln aus ihren Halterungen und gab eine Ryu, ehe sie die beiden ansah. “Nicole und ich gehen vor. Ryu, du bleibst hinten.“

Ryu sah Tinúviel und nickte leicht. Er hatte keine Waffe, also hatte er eh keine andere Möglichkeit. Tinúviel ging nun vor, den Gang entlang. Aus keiner der anderen Zellen kam irgendein Laut. Erst, als sie die Treppe erreichten, konnten sie an ihrem oberen Ende Stimmen hören. Tinúviel sah zu Nicole und Ryu und deutete ihnen noch mal, leise zu sein, ehe sie hinauf stieg. Sie öffnete die Türe einen winzigen Spalt und lugte hinaus.

“Ich sehe sechs Wachen.“ Erklärte sie und schloss die Türe wieder, ehe sie zu Nicole sah. “Nicole, du bist schneller als ich. Wenn wir raus kommen, halte ich die Wachen in Schach. Du gehst gleich zur Türe und schaust raus, ob draußen Wachen stehen. Wenn es welche gibt, schalte sie aus. Verstanden?“

“Ja.“ Flüsterte Nicole und nickte. “Ich bin bereit.“

“Gut. Dann auf drei. Eins… Zwei…“

Doch dann wurden sie abgelenkt. Mann konnte Stühle rücken hören, ehe er einer der Soldaten sprach. “Also, die neuen Gefangenen sind interessant.“ Sagte er mit einer Stimme, rauer als ein Reibeisen. “Besonders diese Halbelfe. Ich liebe es, starke Frauen zu brechen.“

Die anderen Soldaten lachten, und ein anderer meinte: “So einer bist du also.“ Dieser zweite Soldat hatte eine wechselhafte Stimme, als wäre er im Stimmbruch hängen geblieben. “Ich stehe ja mehr auf die Katze. So schön zerbrechlich und zart.“

Wie lachten die Soldaten, und man konnte den ersten erneut hören: “Dann lass uns doch gemeinsam runter gehen, ein wenig Spaß haben.“

“Gute Idee.“ Mann konnte hören, wie jemand zur Türe ging, dann wurde diese auch schon geöffnet. Die Soldaten erstarrten, als sie Nicole und Tinúviel erblickten. Schnell sprang Tinúviel vor und zog einem der Soldaten die Fackel über den Kopf, ehe sie rief: “Nicole! Schnell!“

Nicole nickte und sprang durch die Lücke, die Tinúviel ihr frei gemacht hatte, und lief direkt zur Türe. Einer der Soldaten versuchte sie zu packen, doch sie duckte sich und trat ihm die Beine weg.

In der Zwischenzeit hatte Tinúviel sich das Schwert von einem der Soldaten geklaut und griff an. Es dauerte keine fünf Minuten, bis sie den Raum erobert hatte. Von den sechs Soldaten lagen fünf am Boden. Nur noch einer, der mit der Reibeisenstimme, stand noch. Tinúviel drängte ihn in die Ecke des Raumes und rammte das Schwert nahe seines Halses in die Wand.

“Wie war das noch gleich?“ fragte sie ihn kühl. “Spass haben mit der Halbelfe?“

“Da… das war… war doch nicht… so gemeint.“ Antwortete er stotternd und sah sie ängstlich an. “Das sind doch nur so Sprüche.“

“Wirklich erbärmlich.“ Schnaubte sie und legte eine Hand auf die Klinge, welche zu brennen begann. Als das Feuer zu lodern begann, fing der Soldat an zu wimmern. “Nun sprich! Wieso wurden wir hier in den Kerker gebracht?“ Ihre Stimme war ruhig, doch ihre Augen schienen zu brennen.

“Ich weiß auch nichts genaues!“ antwortete der Soldat panisch. “Es war ein Befehl des Königs, aber uns wurden keine Gründe genannt, weshalb ihr eingesperrt wurdet! Das ist die Wahrheit!“

“Der König?“ Tinúviel sah ihn durchdringend an. “Ich verstehe. Und unsere Ausrüstung? Wo ist sie? Hier in der Asservatenkammer?“

“Nein. Euer Gepäck hat die Leibgarde des Königs mit genommen. Es wurde höchstwahrscheinlich zum Schloss gebracht!“ Der Soldat wurde immer panischer. Tinúviels wütender Blick, das brennende Schwert, all das war zu viel.

Tinúviel sah kurz zu dem Schwert und schnaubte. Es begann bereits weich zu werden. Das war der Nachteil ihrer Magie. Nur Schwerter aus speziellem Metall waren in der Lage, ihrer Magie stand zu halten.

“Wo ist eure Asservatenkammer?“ wandte sie sich wieder an den Soldaten.

“Da hinten. Diese Türe da.“ Antwortete der Soldat und schluckte. Er wies auf eine Türe gegenüber der Eingangstüre. Tinúviel nickte kurz und ließ das Feuer erlöschen. Der Soldat atmete erleichtert auf, doch da schlug sie ihn mit einem Hieb gegen die Schläfe bewusstlos. Sie seufzte leise und sah zu Ryu und Nicole.

“Wir haben ein großes Problem hier.“ Meinte sie und setzte sich erst einmal an den Tisch, der im Raum stand. “Aus irgendeinem Grund ließ der König uns einsperren, und nun müssen wir in den Palast, um unsere Ausrüstung wieder zu bekommen.“

“Aber wieso hat er uns einsperren lassen?“ fragte Nicole. Sie stand immer noch neben der Eingangstüre. “Das verstehe ich nicht.“

“Was haltet ihr davon, wenn wir ihn das selbst fragen?“ Tinúviel sah zu den beiden, ehe sie zur Türe der Asservatenkammer ging und diese aufzog. “Denn diese Frage würde mich auch nur zu gerne interessieren. Aber nun müssen wir uns erst einmal ausrüsten.“ Schon verschwand sie in der Kammer. Nicole und Ryu folgten ihr. Die Kammer war voller Waffen und Rüstungsteile.

Seufzend sah Tinúviel sich um, ehe sie die Schwerter untersuchte. Doch wie sie erwartet hatte, war keines aus dem besonderen Metall, um ihrer Magie widerstehen zu können. Sie schüttelte den Kopf und legte erst einmal die Arm- und Beinschienen einer Rüstung an, ehe sie sich nicht nur ein Schwert, sondern gleich sechs Stück nahm. Zwei Stück trug sie jeweils links und Rechts an den Hüften, während sie die anderen vier auf dem Rücken befestigte.

“Wird dir das nicht zu schwer?“ fragte Nicole staunend, während sie zusah. Doch Tinúviel schüttelte den Kopf und schmunzelte.

“Überhaupt nicht. Flambergè ist um einiges schwerer als diese sechs zusammen.“ Erklärte sie. Als sie Nicoles verwirrten blick sah, fügte sie hinzu: “Flambergè ist der Name meines Schwertes.“

“Oh. Ich verstehe.“ Nicole nickte und sah nun zu Ryu. Dieser untersuchte ein Jagdgewehr, welches er gefunden hatte. Kurz darauf nickte er und warf sich den Tragegurt der Waffe um, ehe er eine Kiste mit Munition nahm.

“Ich bin bereit.“ Sagte er zu Tinúviel. “Von mir aus können wir los.“

“Gut, dann gehen wir.“ Sie verließen die Kammer. Grade, als sie sie den Wachraum durch schritten, regte sich jedoch einer der Soldaten und richtete sich auf. Bevor sich dieser allerdings orientieren konnte, zog Ryu ihm einen mit dem Griff des Gewehrs über, ehe sie hinaus gingen.

Sie hatten Glück. Der städtische Kerker lag direkt im Schatten des königlichen Palastes. Sie brauchten keine zehn Minuten und konnten durch die dunklen Gassen schleichen, so dass man sie nicht entdecken konnte. Sie umrundeten den ganzen Palast einmal und entschlossen sich schließlich, eine kleine Pforte an einem Seitenflügel zu nutzen. Dies war offenbar eine Art Dienstboteneingang, und nur eine Woche war dort positioniert. Nach kurzer Beratung wurde entschlossen, dass Nicole die beste war, um die Wache schnell und leise auszuschalten.

Leise sprang Nicole über die Dächer der angrenzenden Häuser und anschließend auf einen Baum, welcher direkt über der Wache wuchs. Der Baum bewegte sich kaum, so das die Wache nicht drauf aufmerksam wurde. Als der Soldat sich kurz den Helm abnahm, um sich die Stirn abzuwischen, sprang Nicole hinab. Mit einer Hand hielt sie ihm den Mund zu, ehe sie ihm mit der Handkante der anderen hand in den Nacken schlug. Erstickt röchelnd brach der Soldat zusammen und Nicole schleppte in zur Seite in die Büsche, ehe sie den anderen zuwinkte.

Leise kamen Ryu und Tinúviel näher.

“Wirklich gut gemacht.“ Meinte Tinúviel anerkennend und lächelte zu Nicole. “Du bist gut.“

“Ach was.“ Hauchte Nicole leise, während sie eintraten. Der Gang war dunkel, aus weißem Marmor. Das einzigste Licht war das Mondlicht, welches aus dem Innenhof in den Gang schimmerte. “Was machen wir nun?“

“Eine gute Frage. Vielleicht sollten wir mal den königlichen Gemächern einen Besuch abstatten.“ Überlegte Tinúviel leise. Sie waren nun zwar im Palast, doch wie sollte es nun weiter gehen? Sollten sie erst einmal mit dem König reden? Das allerdings konnte gefährlich werden ohne vernünftige Ausrüstung. Den keiner der drei wusste, was der König eventuell für Magie beherrschte. Doch um an ihre Ausrüstung zu kommen mussten sie wiederum erst einmal jemanden finden, der wusste, wo ihre Sachen aufbewahrt waren.

Da den anderen beiden nichts Besseres einfiel, entschieden sie sich also erst einmal dazu, den König zu suchen. Und sollten sie doch entdeckt werden, konnten sie notfalls den König dazu benutzen, um die Wachen zu beeinflussen. Die Königlichen Gemächer waren leicht zu finden. Sie lagen in den größten, am prächtigsten ausgestatteten Gängen des Schlosses. Hier lag dicker, Rubinroter Teppich auf den Boden und ein grossteil der Wände war behangen mit Wandteppichen, die Bilder großer Ereignisse aus der Vergangenheit oder Portraits der Vorfahren des derzeitigen Königs trugen.

“Hier sind wir wohl richtig. Jetzt müssen wir vorsichtig sein.“ Flüsterte den Tinúviel den andern beiden zu. “Das Schlafgemach des Königs wird vermutlich bewacht.“ Und tatsächlich, als sie um eine Ecke spähten, sahen sie einen Raum, vor dem zwei Wachen standen. Sie schlichen wieder ein Stück zurück.

“Tatsächlich Wachen. Und ziemlich schwer gepanzert auch noch. Das kann Probleme geben.“ Murmelte Tinúviel. Sie hatten sich in eine kleine Nische verzogen, in der eine Statue stand und ihnen ein wenig Schutz bot. “Es wird nicht leicht, hinein zu kommen.“

“Und wenn wir sie ablenken?“ fragte Nicole. “Dann wird einer, vielleicht sogar beide, den Posten verlassen.“

Tinúviel überlegte eine Weile, ehe sie antwortete. Mit einem Seufzer sah sie zum Gang. “Ablenkung klingt gut. Aber wie sollen wir sie ablenken? Hast du da eine Idee?“

“Um ehrlich zu sein ja, das habe ich. Seht einfach zu.“ Leise schlich Nicole sich wieder aus dem Versteck. Sie schlich bis zur Kreuzung des Ganges und kniete sich hin. Ryu und Tinúviel konnten beobachten, wie sie eine kleine Kugel aus der Tasche nahm und diese kurz in der Hand fest hielt. Nach einer Minute legte sie die Kugel auf den Boden und ließ sie links den Gang entlang rollen. Die Wachen standen rechts. Noch einmal dreißig Sekunden später kam ein grelles Licht aus dem Gang, welches die Aufmerksamkeit der Wachen auf sich zog.

“Was soll das?“ rief eine der Wachen. “Kontrollier das mal.“

“Ja. Sofort!“ antwortete der andere und lief los. Er kam an Nicole vorbei, doch vom Licht geblendet bemerkte er sie nicht, so das sie ihn Problemlos packen und auf die selbe Art wie den Wächter am Tor ausschalten konnte. Sie winkte den anderen beiden zu, ehe sie in den Gang lief und den anderen Soldaten ebenfalls ausschaltete.

Tinúviel und Ryu derweil versteckten den ersten Soldaten in der Nische, in der sie sich zuvor selbst versteckten, ehe sie zu Nicole kamen. Den zweiten Soldaten verbargen sie ihn anderen Nische in diesem Gang. Tinúviel sah nun zur Türe und atmete tief ein.

“Bereit?“ fragte sie die beiden leise. Ryu nahm das Gewehr von der Schulter und entsicherte es, ehe die beiden nickten. Leise öffnete Tinúviel die Türe und ließ die beiden rein, ehe sie die Türe hinter sich wieder schloss. Hier im Raum zog auch sie nun eines ihrer Schwerter.

Die drei sahen sich im Raum um. Doch da es dunkel war, konnten sie nicht viel sehen. Allerdings konnten sie die Umrisse eines Himmelbettes sehen, auf welches Tinúviel nun stumm zeigte. Leise schlichen sie sich an, Tinúviel von Links, Nicole rechts, während Ryu sich am Fußende aufbaute und auf den Kopf des schlafenden Mannes zielte. Tinúviel sah noch einmal zu Nicole, welche nickte, und gemeinsam schlugen sie die Decke zurück.

Die Person im Bett schrak auf. “Was? Was soll das?“ rief sie, da drückte Tinúviel ihr schon die Hand auf den Mund und drückte sie wieder runter.

“Ganz ruhig, Majestät.“ Hauchte sie leise und legte dem König das Schwert an den Hals. “Ihr seid uns ein paar Erklärungen schuldig!“

“Erklärungen? Was soll das hier werden?“ sagte der König, nachdem Tinúviel die Hand von seinem Mund genommen hatte. “Erst einmal Verlange ich Erklärungen! Wer seid ihr? Und was wollt ihr von mir?“

“Stellt euch nicht dumm!“ zischte Tinúviel und drückte das Schwert etwas näher an seinen Hals. “Ihr habt uns betäuben und einsperren lassen! Und Unsere Ausrüstung ist irgendwo hier im Schloss. Die hätten wir auch gerne wieder!“

“Ich weiß von gar nichts! Und nun lasst von mir ab!“ begann der König zu knurren. “Ihr werdet das hier sonst noch bitter bereuen!“

“Erst wenn wir Antworten haben!“ Tinúviel drückte den König noch tiefer aufs Bett. Die Klinge ihres Schwertes schnitt sich schon leicht in seinen Hals. “Also redet!“

“ich habe keine Ahnung, wovon ihr sprecht!“

“Das hat er in der Tat nicht. Wieso stellt ihr nicht mir stattdessen eure Fragen?“ kam eine Stimme von der Türe her. Mann konnte das schnippen von Fingern hören, und auf magische Weise flammten die Fackeln im Raum auf. Tinúviel, Nicole, Ryu und der König wandten sich um, und Tinúviel erstarrte.

“Was hat das zu bedeuten?“ fragte sie überrascht. Dort in der Türe stand eine weitere Person, die genau wie der König aussah. Der einzige Unterschied war, das der König dort in der Türe sauber und gepflegt aussah, während der im Bett, wie sie nun im Licht sehen konnten, lange, fettige Haare hatte und Lumpen trug.

“Was das zu bedeuten hat? Wirklich eine interessante Frage, fürwahr.“ Der gepflegte König trat nun näher und musterte die Gruppe am Bett. “Ich sage nur soviel: Dies dort war einmal der echte König.“ Meinte er und wies mit der Hand auf den ungepflegten Mann im Bett, welcher seinen Doppelgänger wütend ansah und begann: “Was heißt hier `War`? Was wird hier gespie…“ doch weiter kam er nicht, da der andere König ihm in die Brust geschossen hatte. Vier mal hatte er abgedrückt, und das mit, wie Ryu voll Schrecken bemerkte, seinem Revolver.

Als der gepflegte Mann den anderen im Bett erschoss, waren Tinúviel und Nicole weg gesprungen. Tinúviel griff sofort an, während auch Ryu sich nun umdrehte und zweimal auf den Mann schoss. Dieser jedoch wich Tinúviels Schwerthieb gespielt aus, ehe er zu Ryu sah. Dessen Kugeln waren von einem schwarzen Wirbel aufgesogen worden, bevor sie den Mann hatten berühren können, und tauchten nun wo anders wieder auf. Sie trafen den Leichnam im Bett.

“Also wirklich.“ Meinte der Mann höhnisch und lachte. “Du hast ihn doch schon einmal erschossen. Wieso tust du es gleich noch mal?“

“Ich habe gar nichts getan!“ rief Ryu wütend. Er klappte das Gewehr auf und ließ die alten Patronen raus fallen, da hatte der Fremde ihn am Hals gepackt und gegen den Pfosten des Bettes gedrückt.

“Hast du nicht?“ hauchte er und hielt Ryu den Revolver unter die Nase. “Ist das nicht deine Waffe?“

“Das war sie. Aber wie man sieht, Haben sie sie in der Hand, nicht ich!“

Der Fremde lachte nur. “Sicher. Aber wer soll dir das glauben? Wir stehen hier, ich habe Attentäter erwischt, die mich ermorden wollten. Doch leider erwischten sie nur meinen Doppelgänger, den ich angeheuert hatte, da ich mich seit einiger Zeit bedroht fühlte. Na? Wie ist diese Geschichte?“

“Eine Komplette Lüge ist das!“ rief Ryu und rammte ihm das Knie in den Magen, während Nicole nun von Links und Tinúviel von rechts angriff. Doch kein Angriff zeigte Wirkung. Ihre Angriffe wurden von schwarzen Wirbeln abgefangen, welche Tinúviels Schwert brechen ließ. Nicole keuchte auf und hielt sich den Arm. Für sie hatte es sich angefühlt, als hätte sie mit bloßer Faust gegen eine Steinmauer geschlagen.

Der König grinste und warf Ryu aufs Bett zu dem Toten, ehe er Pfiff. Sechs schwer gepanzerte Wachen stürmten in den Raum und auf Befehl des Königs stürzten sich jeweils Zwei von ihnen auf Tinúviel, Nicole und Ryu. Benommen ließen sich die drei von den Wachen abführen. Dieses Mal brachten sie die drei in den Kerker des Palastes, welcher tief unter seinen Mauern lag. Hier roch es stark nach modrigem Stroh und Rattenkadavern, welche in irgendwelchen Löchern in den Mauern vor sich hin rotteten. Aus der einen oder anderen Zelle konnte man noch Lebenszeichen vernehmen, ein leises Röcheln oder Stöhnen, mehr aber auch nicht. Die Wachen brachten die drei in einen Raum ganz am Ende des Ganges. Es war keine gewöhnliche Zelle, sondern eine Art kleine Halle, in dessen Mitte mehrere steinerne Tische standen. Auf drei dieser Tische wurden Nicole, Ryu und Tinúviel nun geschnallt, ehe die Wachen sie alleine ließen.
 

Drei Tage lang blieben sie angekettet auf den Steintischen liegen. Miteinander hatten sie in der Zeit kaum gesprochen. Was sollte sie in ihrer Verzweifelten Situation auch noch groß sagen?

Nach drei Tagen kam jemand in den Raum. Es war ein hagerer, älterer Mann, etwa fünfzig Jahre alt, mit grau meliertem Haar und in einen weißen Kittel gekleidet. Er trat vor den mittleren der drei Tische, auf denen die Gruppe gefesselt war, und hob eine Hand, worauf die Tische begannen sich zu bewegen. Sie stellten sie in eine Vertikale Position auf, während gleichzeitig der Boden, auf dem sie standen, wie ein Aufzug nach oben fuhr.

Nach kurzer Zeit blinzelten sie, als die Plattform mit den Steintischen im hellen Thronsaal wieder raus kam. Der König saß auf dem Thron und grinste, während die Plattform sich nun so drehte, dass die drei zu ihm sehen mussten. Er stand auf und ging zu ihnen.

“Ihr seht wirklich nicht gut aus.“ Meinte er frech und strich mit dem Finger über Tinúviels Wange. “Habt ihr etwa Hunger? Habt ihr Durst?“

“Als ob wir so etwas sagen würden.“ Knurrte Tinúviel schwach und funkelte ihn an.

“Immer noch so widerspenstig?“ lachte der König und wandte sich an Nicole. “Was ist mit dir, Kätzchen? Fühlst du dich schwach?“

“Tinúviel hat es doch gesagt.“ Meinte Nicole nur und sah ihn zitternd an. “Ich sage nichts.“

“So ist das also. Dein Körper sagt aber genug.“ Er grinste und ging zu Ryu. “Und was ist mit dir? Du musst doch umkommen vor Hunger.“

Ryu antwortete nicht. Er hatte den Blick zu Boden gesenkt und murmelte leise vor sich hin. Der König kam näher.

“Wie war das? Was sagst du?“ fragte er grinsend und versuchte zu lauschen. Ryu reagierte immer noch nicht, sondern murmelte vor sich hin. “Red lauter!“ meinte der König nun ein wenig unwirsch. “Ich würde gerne deine letzten Worte hören, bevor wir euch hinrichten.“

Ryu blickte mit leicht leerem Blick auf und sprach nun tatsächlich ein wenig lauter:
 

“Tiefschwarze Schwingen…

silberner Schnabel…

Blutrote Klauen…

Aus schwarzen Flammen geboren,

fliegst du brennend über das Land.“
 

“Was? Was soll das? Was tust du da?“ Der König wich zurück. Aus seinem Hemd drang ein violettes Leuchten. Mit einem Aufschrei griff er an seinen Hals und riss dort eine Kette ab, die er zu Boden warf. An der Kette war eine Glaskugel angebracht, von der nun das Leuchten ausging.

Ryu wiederholte seinen Spruch:
 

“ Tiefschwarze Schwingen…

silberner Schnabel…

Blutrote Klauen…

Aus schwarzen Flammen geboren,

fliegst du brennend über das Land.“
 

Der König sprang auf und schrie: “Nein! Tötet ihn! Schnell!“ Doch die Glaskugel, die am Boden lag, platzte nun auf und schwarze Flammen erfassten die Teppiche am Boden und die Vorhänge, die den thron umrahmten.

Ryu blickte nun auf und sah direkt zum König. Zum dritten male wiederholte er seinen Spruch, setzte dieses Mal aber noch etwas dazu:
 

“ Tiefschwarze Schwingen…

silberner Schnabel…

Blutrote Klauen…

Aus schwarzen Flammen geboren,

fliegst du brennend über das Land.
 

Breite deine flammenden Schwingen aus

Und setzte alles in Brand.

Horche auf und folge mir, da ich dich rufe.

SHUKAKU! ICH RUFE DICH!“
 

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Kapitel 10 Ende ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
 

Beim nächsten mal:
 

In Kirana, Kiris Hauptstadt, geraten unsere Freunde mal wieder in eine gefährliche Situation. Sie werden vom Doppelgänger des Königs gefangen genommen, der ihnen den Mord am echten König anhängen will, doch dann geschieht das unfassbare: Auch in Ryu erwacht nun Magie. Und dazu auch noch eine ziemlich mächtige, den er wird zu einem Beschwörer und ist in der Lage ein Wesen zu rufen, welches sich seit einiger Zeit in Gefangenschaft des falschen Königs befand. Gemeinsam mit diesem kann er die Situation lösen und sich und seine Freunde befreien. Dieses Wesen erklärt ihnen einige Sachen, und nach einer längeren Erholpause nach der erschöpfenden Gefangenschaft reisen sie endlich weiter.
 

Das nächste Kapitel heißt:
 

Shukaku, schwarz lodernde Flamme

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Aftershow:
 

“Ist das schon mal einem von euch aufgefallen?“ Nicole klappte das Skript zu und sah zu den anderen beiden. Diese jedoch sahen sie nur verwirrt an.

“Du musst schon genauer definieren, was uns auffallen sollte.“ Meinte Ryu schließlich. Wie üblich hatte er das neue Skript noch nicht gelesen. Er ließ sich gerne überraschen.

“Oh ja, stimmt.“ Meinte Nicole kichernd und nickte, dann klopfte sie auf das Skript vor ihr. Es trug den Titel `Ich rufe dich`. “Der Autor lässt ziemlich oft die Kapitel mit den gleichen Worten enden, die auch im Titel stehen.“

“Oh, das ist mir schon aufgefallen.“ Antwortete Tinúviel und strich ihr Haar zurück, ehe sie die künstlichen Spitzen von ihren Ohren abzog. “Schon gleich beim dritten Kapitel, in dem meine Rolle zum ersten mal Vor kommt.“

Nicole nickte zustimmend und sah zu ihr. “Sag ich doch, sag ich doch. Findet ihr das nicht merkwürdig?“

“Wieso merkwürdig? Ich finde es eigentlich sogar eine ziemlich gute Idee. Das kennt man so schließlich nicht.“ Ryu stand auf und klemmte sich seine Skripte unter den Arm. Nicole sah zu ihm und grinste.

“War klar, das du als Schriftsteller so etwas sagen würdest.“

“Ich bin nicht wirklich Schriftsteller. Das ist doch nur meine Rolle!“

“Ach? Schreibst du etwa nicht abends kleine Geschichtchen am PC, um sie irgendwo im Internet online zu stellen?“

“Und wenn?“ Er schnaubte und verließ den Wohnwagen. Nicole und Tinúviel sahen ihm nach.

“Und weg ist er.“

“Jo… Und nun?“

“Hm… Wie wäre es mit den heißen Quellen?“ schlug Nicole grinsend vor und stand ebenfalls auf. “Das wird gut tun nach so einem harten Tag.“

“Klingt gut. Aber du willst doch nicht in deinem Kostüm zu den heißen Quellen gehen?“

“Gut, das du mich dran erinnerst. Ich habe mich so daran gewöhnt, das ich es manchmal vergesse.“ Nicole zog die Plüschohren aus ihrem Haar und löste den Schweif von ihrem Gürtel. Sie warf beides auf den Tisch und verließ mit Tinúviel den Wohnwagen, welchen sie sorgsam verschloss. Ein kurzer Abstecher in ihre eigenen Wohnwagen, um ihre Bade- und Waschsachen zu holen, dann gingen zur heißen Quelle.

“Oh, das wird wunderbar.“ Meinte Nicole fröhlich und summte, während sie zu den Becken gingen. “Das Wasser wird schon entspannend sein.“

“Oh ja, das wird es. Das wird gut tun. Wobei ich dieses verdammt schwere Schwert heute gar nicht so lange tragen musste.“ Bestätigte Tinúviel und überlegte. Sie zogen sich um Umkleideraum aus und schlangen sich Handtücher um die Körper.

“Ja. Aber dafür diese ganzen anderen Schwerter. Die hatten doch sicher auch was an Gewicht.“

“Es hielt sich in Grenzen. Ich glaub, diese Dinger war zu sechst etwa halb so schwer wie das große Schwert einzeln.“

“Oh ja, in der Tat.“ Antwortete ihr eine Stimme. Während sie geredet hatte, waren die beiden bereits weiter gegangen zum Becken. Nun sahen beide verwirrt ins Wasser. Dort saß bereits ein kleiner, d…

“Jo! Wie geht’s denn, ihr zwei?“ fragte er die Frauen und grinste.

“Was zum… Was machst du hier drin? Das hier ist doch das Frauenbad!“

Der Autor lachte und schüttelte den Kopf. “Aber nein. Das hier ist ein gemischtes Becken.“

“Seit wann?“

“Seit dem ich es dazu gemacht habe.“ Grinsend schob der Autor seine Brille grade, doch da packte Tinúviel ihn und zerrte ihn aus dem Wasser.

“Nicole!“ rief sie nur und warf ihn zu ihrer Begleiterin, welcher ausholte und ihm einen Haken unters Kinn setzte, das er durch das Dach und davon flog.

“Das hätte er wohl gerne!“ schnaubte die Rothaarige und stieg ins Wasser, wo ihr Nicole kurz darauf Gesellschaft leistete.

Shukaku, schwarz lodernde Flamme

Kapitel 11: Shukaku, schwarz lodernde Flamme
 

~~~~~~~~~~~~~~~~ Was beim letzten mal geschah ~~~~~~~~~~~~~~~~
 

Die Gruppe erreicht endlich Kirana, wo sie in einem Gasthaus absteigen. Doch wie sich schnell heraus stellt, scheinen sie nicht sehr willkommen zu sein, denn der Wirt betäubt sie, ehe sie anschließend in den Kerker gebracht werden. Sie können fliehen und dringen in den Palast ein, um den König zur Rede zur Stellen, auf dessen Befehl hin es geschah, doch sie geraten in eine Falle: Ein Doppelgänger ermordet den König und möchte es Ryu anhängen, da er dafür dessen Revolver benutzt. Alle drei werden erneut gefangen genommen. Kurz, bevor sie hingerichtet werden sollen, erwacht in Ryu jedoch Magie, mit der er ein mächtiges Wesen rufen kann, um sie alle zu retten…

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Der König sprang auf und schrie: “Nein! Tötet ihn! Schnell!“ Doch die Glaskugel, die am Boden lag, platzte nun auf und schwarze Flammen erfassten die Teppiche am Boden und die Vorhänge, die den thron umrahmten.

Ryu blickte nun auf und sah direkt zum König. Zum dritten male wiederholte er seinen Spruch, setzte dieses mal aber noch etwas dazu:
 

“ Tiefschwarze Schwingen…

silberner Schnabel…

Blutrote Klauen…

Aus schwarzen Flammen geboren,

fliegst du brennend über das Land.
 

Breite deine flammenden Schwingen aus

Und setzte alles in Brand.

Horche auf und folge mir, da ich dich rufe.

SHUKAKU! ICH RUFE DICH!“
 

Die schwarzen Flammen, die mittlerweile das gesamte Podest, auf dem der Thron stand, verschlungen hatten, zogen sich zurück und begannen sich um den Steintisch, an den Ryu gekettet war, zu sammeln. Vom Thron war nur noch ein Haufen Kohle Übrig.

“Du Rufst, ich folge.“ Ertönte eine Stimme aus den Flammen. Sie war tief und hatte einen leichten Hall, als würde sie aus der Tiefe eines Brunnens kommen. Die Flammen kletterten an Ryus Steintisch hinauf, wo sie schließlich die Form eines gewaltigen Vogels bildeten. Aus den schwarzen Flammen trat ein scharfer, silberner Schnabel hervor, mit dem der Vogel mit Leichtigkeit Ryus Ketten durchtrennte.

Ryu rutschte an der Steinplatte runter und blieb kurz benommen stehen, ehe er sich aufrichtete und zu dem falschen König und seinen Soldaten sah.

“Ich sagte es dir, Abrax! Niemand kann mich ewig fest halten!“ konnte man die Stimme des Vogels hören. Bei diesen Worten blickte er ebenfalls zu dem falschen König. “Nicht nur, das du mich eingesperrt hast! Nun hast du auch noch Viktor getötet und willst seinen Platz einnehmen!“ Wütend kreischte der flammende Vogel auf und breitete die Schwingen aus. “Ihr alle dort seit besessen! Werdet in meinen Flammen gereinigt! Los Junge, sag es!“ fügte er an Ryu gewandt zu.

Dieser sah den Vogel kurz verwirrt an. Er sollte was sagen? Was denn? Doch dann merkte er es: Der Vogel war in Angriffsposition, doch er griff nicht an. Offenbar, so schien es, wartete er auf einen Befehl. Langsam hob Ryu die Hand und richtete sie auf Abrax und die Soldaten. Die schwarzen Flammen hatten sie in eine Ecke gescheucht, wo sie nun nicht mehr weg konnten. “Shukaku! Angriff!“ rief Ryu. Der Vogel kreischte erneut, ehe er sich von der Steinernen Plattform abstieß und wie ein Pfeil auf die Gruppe in der Ecke hinab schoss.

“Nicht so schnell. Komm nur her!“ rief Abrax triumphierend und lachte. Er hielt ein Amulett vor sich, und tatsächlich war es in der Lage, den Angriff des Vogels abzuwehren. Es schien die schwarzen Flammen sogar aufzusaugen.

“Los, weiter!“ Ryu feuerte den Vogel an. “Du schaffst es!“

“Sicher. Aber nur dank dir!“ antwortete der Vogel. Auf einmal schossen die schwarzen Flammen in die Höhe, und Abrax begann zu schreien. Das Amulett in seiner Hand zersprang und die schwarzen Flammen erfassten nun seinen Ärmel. Zugleich konnte Ryu spüren, wie etwas aus seinem Körper gezogen wurde. Was war das nur?

“Nur keine Angst.“ Meinte Shukaku beruhigend, dieses mal aber offenbar nur in Ryus Kopf. “ich habe mir nur etwas magische Energie von dir genommen, um dieses Amulett zu vernichten.“ Der Vogel zog sich nun zurück und ließ sich auf der Steinplatte, auf der Nicole fest geschnallt war, nieder. Kurz blickte er in die Ecke, in der noch immer die schwarzen Flammen loderten, ehe er den Kopf sank und nun auch Nicoles Fesseln durch trennte. Diese wankte und drohte zu stürzen, doch Ryu stützte sie. Auch Tinúviel befreite der Vogel.

Sie sah hoch zu dem flammenden Tier und nickte leicht. “Wer bist du?“ fragte sie dann, während sie sich die Gelenke rieb. “Und was ist eigentlich geschehen?“

“Wer ich bin? Mein Name Shukaku, die schwarz lodernde Flamme. Ich bin ein Esper.“ Erklärte der Vogel und sah zu ihr runter. Als Ryu ihn vorhin gerufen hatte, hatte er die Größe eines ausgewachsenen Elefanten gehabt. Doch nun, wo er sich beruhigt hatte, war Shukaku nur noch so groß wie ein Schwan. “Was allerdings passiert ist, ist eine längere Geschichte. Aber denke, vielleicht wollt ihr erst einmal essen und dann vernünftig schlafen.“

“Das ist in der Tat ein guter Vorschlag.“ Meinte Tinúviel leise. Nun, wo sie frei war, zitterten ihr die Knie. Sie hatten seit drei Tagen nichts mehr gegessen, und auf diese Steinplatten gefesselt war auch an Schlaf kaum zu denken gewesen. Ryu hatte sich bereits mit Nicole auf den Boden gesetzt und hielt sich den Kopf.

“Ihr könnt raus kommen, Prinz!“ rief Shukaku und wandte sich zu einem Wandteppich hinter den verkohlten Überresten des Thrones um. “ich weiß längst, das ihr da seit.“

Der Teppich zuckte, dann trat ein junger Mann hervor, ungefähr in Ryus Alter. Mit ehrfürchtigem Blick sah er zu Shukaku auf, welcher den Blick erwiderte und den Kopf zur Seite legte. “Ihr wisst bereits über alles bescheid?“

Fragte Shukaku den Prinzen. Dieser nickte und antwortete: “Das tue ich, leider. Mein Vater ist tot, getötet von Abrax, dem er mehr als jedem anderen Vertraute.“

“So war es leider. Sorgt bitte dafür, das die jungen Leute hier…“ Shukaku wies mit dem Flügel auf Tinúviel, Ryu und Nicole “ausreichend Schlaf und was zu essen bekommen. Ich werde mich wieder melden, wenn sie fit sind.“ Mit diesen Worten machte es `Puff` und der flammende Körper löste sich in Wohlgefallen auf.

Der Prinz sah kurz zu Ryu, Nicole und Tinúviel, ehe er die Wachen rief. Er wies sie an, die drei in Gemächer zu bringen, damit sie ausschlafen konnten, ehe er sich den Resten des Thrones zu wandte. Ryu und Nicole waren mittlerweile ohnmächtig, und auch Tinúviel war drauf und dran, auf der Liege, auf der zwei Soldaten sie weg brachten, einzudösen.
 

Ryu erwachte erst zwei Tage später wieder. Doch erholt fühlte er sich kaum, sondern immer noch erschöpft. Erschöpft und vor allem Hungrig. Mit einem Seufzen setzte er sich auf. Kurz darauf konnte er ein leises Murren hören und spüren, wie sich jemand an ihn schmiegte. Er drehte sich um und erschrak, als er sah, dass Nicole neben ihm lag. Sie hatte sich leicht eingerollt und schmiegte den Kopf an Ryus Seite.

“Wieso liegt sie hier bei mir im Bett?“ fragte er leise und musterte sie. Vorsichtig versuchte er sie zu wecken, was ihm nach einigen Minuten auch gelang.

“Hm?“ brummte sie müde. “Was denn?“ Verschlafen blickte sie auf und bemerkte ihn. “Ryu? Was ist los?“ sie setzte sich schließlich auf, wobei die Decke runter rutschte. Eine Weile blickte sie sich verschlafen um.

Ryu war inzwischen aufgestanden. Er wankte ein wenig und hielt sich am Pfosten des Himmelbettes fest. “Wir sind jedenfalls nicht mehr gefangen.“ Meinte er und sah zu ihr. “Wir sollten zusehen, das wir etwas zu essen bekommen.“

“Wäre eine gute Idee. Ich hab ganz schön Hunger.“ Stimmte Nicole zu und stand nun ebenfalls auf. Sie öffneten die Türe und wollten den Raum verlassen, doch vor der Türe stand eine Wache. Als die Türe sich öffnete, wandte der Soldat sich um.

“Ihr seid endlich erwacht. Sehr gut.“ Sagte er und nickte. “Ich führe euch dann am besten in den Speisesaal. Eure Begleiterin ist auch bereits wach.“

Der Soldat ging vor und gab den beiden ein Zeichen, ihm zu folgen, was sie auch taten. Auf dem Weg zum Speisesaal kamen sie an einer schwarz verbrannten Türe vorbei. Ryu musterte sie und wandte sich an den Soldaten.

“Was ist denn mit dieser Türe hier passiert?“ fragte er ihn, während sie weiter gingen.

“Oh, Die?“ der Soldat sah ihn an. “Erinnert ihr euch nicht mehr? Das war die Türe zum Thronsaal. Der ist absolut unbrauchbar geworden. Die schwarzen Flammen haben sogar das Dachgebälk angegriffen.“ Erklärte und öffnete nun eine Türe, welche in einen weitläufigen Saal führte, in dem ein ellenlanger Tisch aufgebaut war. An einem Ende des Tisches sahen sie Tinúviels rote Haare zwischen Bergen von Essen.

Als die beiden ankamen, sah Tinúviel auf und winkte ihnen zu. Die beiden nahmen gegenüber ihrer Freundin Platz.

“Auch endlich mal entschlossen, aufzuwachen?“ begrüßte Tinúviel die beiden. “Wie fühlt ihr euch?“

“Immer noch nicht wirklich berauschend.“ Antwortete Ryu und seufzte leise. “Ich könnte noch etwas Schlaf vertragen. Andererseits möchte ich aber auch wissen, was passiert ist.“

“Dann esst erst einmal.“ Tinúviel schob ihnen ein Korb mit Brötchen zu. “Währenddessen kann Shukaku uns dann alles erklären.“

“Shukaku?“ fragte Ryu und nahm ein Brötchen. Er biss einfach so nackt hinein, ohne es irgendwie zu belegen. “Wer soll das sein?“

“Erinnerst du dich nicht mehr? Shukaku ist ein Esper. Du hast ihn doch gestern gerufen.“ Tinúviel sah ihn mit klarem Blick an. “Du bist ein Beschwörer, Ryu. Damit kontrollierst du einen der schwierigsten Magiezweige.“

“Ein Beschwörer?“ murmelte er leise. “Ja, ich glaube, ich erinnere mich. Dieser schwarze Flammenvogel.“

“Genau der. Versuch ihn doch zu rufen. Dann kann er uns alles erklären.“

“Und wie mache ich das?“ fragte er und sah Tinúviel verwirrt an. Diese seufzte nur leise.

“Rufe einfach seinen Namen, das sollte reichen. Die volle Beschwörungsformel hast du ja schon einmal aufgesagt.“ Erklärte sie, während sie das Croissant, in welches sie grade hatte beißen wollen, wieder auf den Teller legte. “Das Aufsagen der Formel ist nur ein Test, um heraus zu finden, ob potentielle Beschwörer gut genug sind. Danach reicht es, wenn sie einfach nur den Namen des Wesens rufen, welches sie Beschwören wollen. Versuch es.“

“Na gut. Ich versuche es.“ Meinte er leise und überlegte. “Shukaku?“ fragte er dann ziemlich leise. Doch nichts geschah.

“Nein. Nicht so!“ seufzte Tinúviel. “Wenn schon, dann musst du es mit fester Stimme machen! So ungefähr: ´Shukaku! Ich rufe dich!`“ rief sie laut aus. Doch natürlich geschah nichts. Tinúviel blickte wieder zu Ryu und nickte. “So geht das. Und jetzt versuch du es noch mal.“

Ryu nickte und holte tief Luft, ehe er laut rief: “Shukaku! Ich rufe dich!“

Einen Sekundenbruchteil geschah nichts, doch dann flackerte eine schwarze Flamme auf Ryus Hand auf. Erschrocken versuchte er die Flammen abzuschütteln, doch dann bemerkte er, dass sie überhaupt nicht heiß waren. Er spürte nur ein leichtes prickeln auf der Haut. Die Flammen sprangen nun auf den Tisch, wo sie begannen, den Körper eines Vogels zu formen. Doch dieses Mal bestand er nicht aus Flammen. Diese erloschen und enthüllten einen durchaus greifbaren, schwarz gefiederten Körper von der Größe einer Taube.

Erstaunt sah Ryu zu. Er hatte dieses Wesen einfach so, aus dem Nichts auftauchen lassen? Er musterte den Vogel, dann tastete er seine Hand ab. Dort war nichts zu sehen.

“Das ist Shukaku?“ fragte Nicole und musterte den kleinen Vogel. “War der damals nicht deutlich größer?“

“Das war ich auch!“ antwortete Shukakus Stimme. Der Vogel bewegte den Schnabel nicht. Es schien, als käme seine Stimme aus dem Nichts. “Meine derzeitige Verfassung liegt an ihm.“ Mit diesen Worten blickte der kleine Vogel zu Ryu, welcher den Blick verwirrt erwiderte.

“Was meinst du damit, das es an mir liegt?“ fragte er verwirrt. “Das verstehe ich nicht.“

“Das kommt daher, das du noch Anfänger bist. Aber selbst als solcher bist du anderen bereits um einiges Voraus. Normalerweise wäre kein Anfänger in der Lage, mich zu rufen. Und wenn doch, dann hätte ich vielleicht die Größe eines Kolibris angenommen.“ Begann Shukaku zu erklärten und flatterte auf Ryus Armlehne. “Ich bin ein Level vier Esper. Bei einigen von uns hängt die Erscheinung von den magischen Kräften des Beschwörers ab: Je schwächer und unerfahrener der Beschwörer, umso schwächer werden wir, wenn es ihnen überhaupt gelingt, uns zu rufen.“

“Also heißt das, wenn ich stärker werde, wirst du ebenfalls stärker?“ versuchte Ryu die Sache klar zu stellen. Vorsichtig strich er dem Vogel über den Kopf. “Aber wie konnte ich dich dann vor einigen Tagen und dieser gigantischen Form rufen?“

“Das war nur, weil deine Magie da grade erst erwacht ist.“ Als Ryu begann, ihn zu streicheln, schloss der Vogel leicht die Augen. “In einem solchen Moment explodiert die magische Kraft in einem Körper förmlich. Das heißt, an diesem Tag warst du wenige Minuten lang der mächtigste Beschwörer, der auf diesem Kontinent existierte. Du hättest dort locker Esper rufen können, die noch um ein vielfaches mächtiger sind als ich. Level Fünf Esper, die grade einmal ein Prozent aller existierenden Beschwörer in der Lage sind zu rufen.“

Wie gebannt lauschte Ryu den Erklärungen des Vogels. Was er sagte, machte Sinn. Seit sie damals an diese Steintische gefesselt worden waren, hatte er das Gefühl gehabt, das sich etwas in seinem Körper veränderte. Das dort in ihm etwas anwuchs. Und nur dieser unglaublichen Magiemenge war es wohl zu verdanken, das er damals noch hatte stehen können, als Shukaku ihn befreite. Ansonsten wäre er wohl zu Boden gesunken und dort sitzen geblieben.

Gedankenverloren streichelte er Shukaku weiter, bis er Nicole fragen hörte: “Aber woher kannte Ryu die Formel?“

“Ich habe sie ihm vorgesagt.“ Erklärte Shukaku und wandte sich zu ihr um. “Schon, seit ihr Kiris Grenze passiert hattet, hatte ich versucht, Kontakt zu ihm aufzunehmen.“

“Dann waren diese Träume also von dir erzeugt?“ Ryu sah den Vogel verwundert an. “Der Traum in dieser weiten, leeren Ebene?“

“Ganz Recht. Doch leider wurden wir immer wieder unterbrochen.“

“Aber als wir an diese Steintische gebunden wurden, hatten wir genug Zeit.“

“Bist du deshalb die ganze Zeit so still gewesen?“ fragte Nicole Ryu nun. “Weil du dich mit Shukaku unterhalten hattest?“

“Ich denke schon.“ Antwortete Ryu und nickte zögerlich. “Ich kann mich kaum daran erinnern.“

Sie blieben noch eine ganze Weile am Tisch sitzen. Sie hatten nun schon fünf Tage lang nichts mehr gegessen, deshalb schlugen sie nun zu, als würden sie die nächsten Tage wieder eine Hungerzeit erwarten. Irgendwann jedoch lehnten sich alle drei zurück. Tinúviel schloss die Augen und streckte sich, während Nicole behaglich zu schnurren begann. Shukaku putze sein Gefieder und sah erst auf, als die Türen aufgingen und eine kleine Gruppe hinein kam. Vorne ging offenbar der Prinz, ein junger Mann in Ryus Alter mit kurzen schwarzen Haaren und grauen Augen. Er trug ein schwarzes Gewand und wurde begleitet von zwei älteren Herren. Offenbar waren sie beiden wohl so was wie Minister. Einer der beiden trug eine große Vase auf dem Arm.

“Ich habe gehört, das ihr endlich alle aufgewacht seit.“ Begann der Prinz und trat zu ihnen an den Tisch. “Das freut mich. Mein Name ist Prinz Viktor der zweite. Beziehungsweise…“ er seufzte leise. “Bald wohl König Viktor.“

“Ihr wisst also über alles Bescheid, eure Hoheit?“ fragte Ryu ein wenig unbehaglich. Offenbar schien auch Prinz Viktor ihnen keine Vorwürfe zu machen.

“Natürlich weiß ich Bescheid!“ antwortete der Prinz und setzte sich an die Spitze des Tisches. “Ich bin nicht so bescheuert, wie Abrax offenbar gedacht hatte. Ich bin auf der Beerdigung des Königs von Elodinir gewesen und hab mit König Celeg gesprochen. Nach diesem Gespräch wurde ich ein wenig misstrauisch, da auch ich Veränderungen bemerkte an meinem Vater. Doch das es sich bei der Person, die ich seit einigen Wochen für meinen Vater gehalten hatte, eigentlich um Abrax handelte, darauf wäre ich wohl nie gekommen.

Ich habe begonnen, die Aktionen meines Vaters zu beobachten.“ Der Prinz nahm sich einen Becher und nahm einen tiefen Schluck. “Und manchmal auch die der Wachen, mit denen er den meisten Kontakt hatte. So habe ich beobachten können, wie man euch in die Kerker brachte. Da wurde mir klar, dass diese Person nicht mehr mein Vater war. Ich befürchtete, das er sich auf die selbe weise verändert hatte wie König Celegs Vater.“ Der Prinz stieß einen tiefen Seufzer aus und leerte den Becher.

Ryu, Nicole und Tinúviel hatten dem Prinzen aufmerksam zugehört. Als er aufhörte zu sprechen, fragte Ryu ihn: “Und hattet ihr etwas vor gehabt, um ihn aufzuhalten?“

Der Prinz lachte kurz, ehe er antwortete: “Ihr denkt an die Elfenbrüder in Landir, die sich entschlossen, ihrem Vater entgegenzutreten? Zu so etwas wäre ich nicht in der Lage gewesen. Nein. Ich habe ein paar vertrauenswürdige Soldaten gesammelt und wollte euch aus den Kerkern holen, doch da hattet ihr euch bereits selbst befreit. Also kehrten wir direkt in den Palast zurück, wo wir von einem großen Tumult hörten. Es hieß, fremde wären eingedrungen und hätten den Doppelgänger des Königs getötet.“ Der Prinz ließ ein hohles Lachen hören. “Mein Vater hatte noch nie einen Doppelgänger gebraucht! Als ich zum Schlafzimmer kam, sah ich den Toten im Bett und bemerkte sofort, dass dieser mein richtiger Vater war. Und das der noch lebende Mann der Doppelgänger war. Im nach hinein habe ich natürlich versucht, euch aus dem Schlosskerker zu befreien, doch die Soldaten ließen mich nicht rein, nur der König durfte den Raum betreten. Es bleib also nichts übrig, als zu warten, bis er euch irgendwann raus holte.“

“Was er dann auch getan hat. Beziehungsweise von einem Magier tun ließ.“ Meinte Ryu und schloss die Augen. Er erinnerte sich, wie die Steintische auf einer Plattform hoch gefahren waren wie ein Lift.

“Genau. Ich hatte mich hinter dem Wandteppich hinter dem Thron auf die Lauer gelegt. Dort ist ein Geheimgang, damit der König im Gefahrenfall schnell fliehen kann. Ich stand dort und sah zu, wie ihr hoch kamt. Meine Männer und ich waren bereit, raus zu stürmen und euch zu befreien. Doch dann geschah es plötzlich ganz schnell und Shukaku tauchte auf.“

“Was geschah, nachdem alles vorbei war?“ fragte Nicole dieses mal. “Ich kann mich kaum erinnern.“

“Nun, wie Shukaku mir sagte, ließ ich euch in Gemächer bringen, damit ihr ausschlafen konntet. Derweil habe ich weitere mögliche Anhänger von Abrax finden und einsperren können. Und wir räumten den Thronsaal auf, doch leider ist dieser unbrauchbar, da das Dach einsturzgefährdet ist.“ Seufzte der Prinz. “Wir müssen erst einmal das Dach reparieren.“

“Und was geschah mit diesem Doppelgänger und seinen Soldaten?“ Wieder war es Nicole, die fragte. Der Prinz lachte laut auf.

“Shukakus Flammen haben sie gereinigt! Was denkst du, geschah wohl mit ihnen?“ Er gab einem der älteren Herren, welche sich mittlerweile ebenfalls an den Tisch gesetzt hatten, ein Zeichen. Dieser nahm die Vase vor sich hoch und kippte den Inhalt, eine große menge Asche, in eine der leeren Frühstücksschüsseln. “Da. Das ist alles, was von ihnen übrig geblieben ist.“

Shukaku flatterte von Ryus Armlehne und landete neben der Schüssel. Kurz musterte er den Inhalt, ehe er schnaubte: “Ich bin aus der Übung! Normalerweise sollte nicht einmal Asche überbleiben.“ Aus irgendeinem Grund mussten alle am Tisch über diesen Spruch lachen.
 

Auf Anraten von Prinz Viktors Heiler blieben die drei noch drei weitere Tage im Schloss, welche Ryu hauptsächlich mit schlafen verbrachte und Wellnesssitzungen mit den persönlichen Masseuren des Prinzen. Nicole schlief sogar noch mehr als Ryu. Eigentlich sah man sie nur zum Essen. Tinúviel lag derweil nicht auf der faulen Haut. Sie trieb sich hauptsächlich mit den Soldaten rum und trainierte mit ihnen.

Beim Abendessen am dritten Tag verkündete der Prinz schließlich, das man das der drei gefunden hatte. Er pfiff und einige Soldaten brachten es herein. Ein Soldat trug die Taschen aller drei, während zwei einzig damit abgemüht waren, Tinúviels gigantisches Schwert in den Raum zu schleppen. Tinúviel lief zu ihnen und nahm es ihnen ab. Als sie sahen, dass sie es ohne große Mühe hoch hob und untersuchte, wichen die Soldaten beinahe ehrfürchtig einen Schritt zurück.

“Endlich habe ich es wieder.“ Sagte sie zufrieden und strich mit einem Finger über die Scheide. “Ich habe schon begonnen, es zu vermissen.“

“Dieses Schwert ist sicherlich sehr wertvoll, nicht wahr?“ fragte der Prinz. Doch Tinúviel lachte und wandte sich zu ihm um.

“Ihr habt ja gar keine Ahnung. Dieses Schwert ist ein paar hundert Jahre alt und während des Schmiedevorgangs mit mächtiger Magie getränkt worden. Es ist heutzutage wohl mehr wert als die gesamte Ausrüstung all eurer Soldaten zusammen.“ Sie kam mit dem Schwert wieder an den Tisch. “Aber nicht deswegen habe ich es vermisst. Sondern weil es für mich auch persönlich sehr wichtig ist.“

“Ich verstehe.“ Er nickte und sah von Tinúviel zu Nicole und Ryu. “Nun, wo ihr eurer Gepäck wieder habt, wollt ihr sicherlich bald weiter, oder?“

“Eigentlich schon. Oder was sagt ihr?“ fragte Tinúviel an Ryu und Nicole gewandt. Diese nickten, und Ryu wandte sich an den Prinzen.

“Wir wollen zur Magieschule in Feuerland.“ Erklärte er dem Prinzen. “Das wollen wir nicht unnötig heraus zögern, wenn wir sofort weiter könnten.“

“Das verstehe ich durchaus.“ Meinte Prinz Viktor, ehe er mit einem schmunzeln hinzufügte: “Und wenn ich gerne noch hätte, das ihr bis zu meiner Krönung hier bleibt?“

Kurz sahen sich die drei gegenseitig an, ehe, Tinúviel für sie antwortete: “Wenn ihr es wünscht, Majestät.“

Doch da lachte der Prinz und schüttelte den Kopf. “Nein, schon gut.“ Erklärte er lächelnd. “Ich hab in Elodinir durchaus bemerkt, das solche Zeremonien nix für euch sind. Ich werde euch nicht zwingen, zu bleiben.“ Deutlich merkbar atmete Tinúviel erleichtert aus, ehe sie sich wieder zum Prinzen wandte.

“Das freut uns. Wir würden dann gerne die Gelegenheit nutzen und Morgen weiter reisen.“ Erklärte sie ihm, während sie ihr Schwert an eine Säule lehnte und sich wieder an den Tisch setzte, um weiter zu essen. “Wir sollten dann auch möglichst bald ins Bett, da wir Morgen früh los sollten.“ Meinte sie schließlich an Ryu und Nicole gewandt, welche nickten. Den Ablauf kannten sie ja bereits. Nach einer Stunde verließen sie dann schließlich den Tisch und gingen in ihre Gemächer.

Am nächsten Tag trafen sich die drei mit dem Prinzen und den beiden Ministern vor dem Schlosstor. Prinz Viktor verabschiedete die drei ganz unförmlich mit einem Handschlag, erst Tinúviel, dann Nicole und schließlich Ryu. “Passt auf euch auf.“ Wünschte er ihnen noch, ehe er ihnen nach sah.

Tinúviel führte die beiden zum See vor den Toren der Stadt. Wie sie ihnen bereits erklärt hatte, konnten sie von hier aus mit dem Boot weiter bis nach Meerburg, der Hafenstadt im Feuerland. Von dort aus ging es weiter nach Kraterstadt, der Hauptstadt, ehe sie zur Schule kamen. Die Fahrt auf dem Fluss ging dieses mal ziemlich schnell, und sie mussten auch nicht mit dem langen Stab nachhelfen, da es hier Beinahe nur noch bergab ging. Bereits gegen Mittag kam eine Stadt am Ufer des Flusses in Sicht. Auf den ersten Blick vermutete Ryu, das diese ungefähr so groß wie Carvahal. Er überlegte und blätterte in seinem Atlas.

“Diese Stadt heißt Kumori.“ Erklärte er den anderen beiden. “Weithin anerkannt für den Anbau exzellenter Kräuter, aus denen Tees mit verschiedensten Wirkungen hergestellt werden.“ Er sah sie anderen beiden an. “Wir machen dort Rast, würde ich sagen. Oder was meint ihr?“

“Oh ja, hervorragende Idee.“ Stimmte Nicole zu. Und auch Tinúviel meinte: “Das machen wir. Sie benutzen ihre Kräuter auch zum Kochen, ihr werdet überrascht sein, was sie aus gewöhnlichen Zutaten machen können.“

Eine Viertelstunde später, als sie die Grenzen der Stadt endlich erreicht hatten, steuerte Tinúviel ihr Boot zu einer Reihe von Stegen, an denen bereits einige andere Boote befestigt waren. Ein paar waren so schmal und zerbrechlich wie ihr eigenes, Ryu sah zwei oder drei, die aussahen, als wären sie nicht aus Holz sondern aus irgendwelchen dicken Gräsern hergestellt. Im Kompletten Gegensatz dazu lagen auch einige Boote vor Anker, die so groß, grob und massiv wirkten, das Ryu sich wunderte, das sie überhaupt schwimmen konnten. Geschweige denn, dass sie durch den nicht grade breiten Fluss passten.

Sie kamen in die Stadt und blickten sich um. Kumori war deutlich einladender als Kirana, die Hauptstadt. Zwar war auch sie von einer Groben Steinmauer umgeben, allerdings nicht aus dem kalten, Grauen Stein, sondern aus einem hellen, sandfarbenen. Und zwischen den meisten Spalten der Mauer sprossen Moos hervor oder kleine Blumen. Die Tore war ebenfalls deutlich feiner, aus einem Holz mit leichtem Rot-Ton und kleinen, dezenten Schnitzereien, passend zu den Terrakottafliesen, welche Böden und Dächer der Wehrgänge und in den Türmen neben den Toren zierten. Es herrschte geschäftiges Treiben und aus vielen Fenstern wehte der Duft von Kräutern, die auf vielfältige Weise verarbeitet wurden.

Nach kurzer Zeit fanden die drei ein Gasthaus, in welches sie einkehrten. Der Gastraum war groß und offen. Es gab viele Tische, die besetzt waren, so dass sie sich an den einzigsten freien setzen mussten, ganz in der Nähe der Küche. An einem der Pfosten neben der Küche hing zudem ein Holzschild, welches das Zeichen der Schankgilde trug.

“Wie praktisch.“ Meinte Tinúviel und schmunzelte, während sie in die Karten sahen, die auf dem Tisch bereits parat standen.

Nach dem Essen lehnte Nicole sich zurück und schnurrte zufrieden. “Und nun?“ fragte sie die anderen beiden. “Bleiben wir noch ein wenig hier und sehen uns um?“

“Also, ich wäre dafür, uns umzusehen. Was sagst du?“ antwortete Tinúviel und sah zu Ryu. Dieser zuckte mit den Schultern.

“Wenn ihr euch noch umsehen wollt, bleiben wir halt noch ein wenig.“ Meinte er schließlich und trank seinen Tee aus. Er sah auf und bemerkte, wie drei Männer zu ihrem Tisch kamen. Sie sahen alle drei ziemlich ungepflegt aus und trugen teilweise ziemlich große Narben am Körper.

“Na, ihr süßen?“ sagte einer der beiden und legte eine Hand auf Tinúviels Schulter. Er hatte eine schmierige, leicht heisere Stimme. “Was wollt ihr den mit diesem Weichei? Kommt doch lieber mit uns.“

“Ja. Zusammen könnten wir viel Spaß haben.“ Fügte ein anderer mit hoher, gackernder Stimme hinzu. Tinúviel schnaubte nur. Unbemerkt von den dreien griff sie unter ihren Mantel, und kurz darauf löste sich ihr Schwert von ihrem Rücken. Mit einem dumpfen Aufschlag schlug die Spitze auf den Boden auf, ehe es umkippte und dem Mann mit der gackernden Stimme auf den Fuß fiel. Dieser jaulte auf und hüpfte auf einen Bein, während Tinúviel sich umdrehte.
 

“Oh nein, das tut mir aber leid.“ Meinte sie und stand auf. “Die Halterung muss wohl gebrochen sein. Alles okay bei ihnen?“

“Ja… Ja, denk schon.“ Keuchte der Mann und sah zu ihr.

“Wie kann ich das wieder gut machen?“ fragte Tinúviel und sah ihn unschuldig an, während Nicole und Ryu Blicke miteinander tauschten. Wer hätte gedacht, dass ihre Freundin so eine gute Schauspielerin ist?

“Nun, indem du uns begleitest.“ Meinte der Mann mit der Gackerstimme. “Und deine Freundin auch.“

“Oh, gerne, wenn ihr wollt. Aber könnt ihr mir wohl eben mein Schwert noch reichen? Es sollte nicht hier liegen bleiben.“

“Wenn es sein muss.“ Gackerstimme schnaubte und bückte sich, um das Schwert anzuheben. Doch er brachte es nicht einmal einen Fingerbreit in die Höhe, ehe er es wieder fallen lassen musste. “Was zum…?“ keuchte er überrascht und sah zu Tinúviel auf.

“Stimmt etwas nicht?“ fragte sie leise. Ihr unschuldiges Gehabe war nun verschwunden. “Dachtet ihr, wir wären leichte Beute?“ sie kniete sich hin und hob das Schwert spielend in die Höhe, ehe sie es Gackerstimme direkt ins Gesicht hielt. “Ihr solltet noch einmal überdenken, wie ihr euer Geld verdient, sonst könnte es euch eines Tages noch leid tun.“ Flüsterte sie bedrohlich. Die drei Männer wichen zurück und verließen den laden fluchtartig. Tinúviel seufzte und befestigte ihr Schwert wieder an der Halterung an ihrem Rücken, ehe sie sich wieder setzte. Das nun alle anderen Gäste im Raum zu ihnen rüber starrten, ignorierte sie.

“Was… war das eben?“ fragte Nicole leise und sah Tinúviel an.

“Oh, nur ein paar Menschenhändler.“ Antwortete Tinúviel und schnaubte. “Sie hatten wohl gehofft, uns beide abschleppen zu können, um uns an ein Bordell oder so zu verkaufen.“ Sie schüttelte mit angewidertem Blick den Kopf. “Aber offenbar haben sich diese ein wenig in ihrem Beuteschema geirrt.“

“Ihr Beuteschema? Du meinst, was für Frauen sie fangen?“

“Genau. Solche Personen sammeln normalerweise reiche Damen, entführen Töchter aus gutem Hause, aber auch Obdachlose Frauen und generell schwache Frauen. Aber hallo?“ sie schüttelte den Kopf. “Würdet ihr an Stelle dieser Typen eine Frau aussuchen, die so ein Schwert mit sich trägt?“ sie zeigte den Griff ihres Schwertes, welches über ihre Schulter ragte.
 

“Vermutlich nicht. Wer so etwas mit sich umträgt, sollte auch in der Lage sein, damit umzugehen.“ Antwortete Ryu nach kurzer Bedenkzeit. Tinúviel nickte.

“Naja, die werden erst einmal bedient sein.“ Sagte sie dann schließlich winkte dem Wirt, damit sie bezahlen konnten. “Lasst uns noch ein wenig durch den Ort schlendern.“

“Sollten wir diese Menschenhändler nicht lieber schnell unschädlich machen?“ fragte Nicole Tinúviel, doch diese schüttelte nur den Kopf.

“Wir können nicht in jeder Stadt, in die wir kommen, Gesetzeshüter spielen und alles üble Gesindel beseitigen.“ Sie zeigte dem Wirt ihren Mitgliedsausweis der Gilde, ehe sie bezahlte. “Dafür gibt es immer noch die Stadtwache und andere offizielle Stellen.“

“Da hast du vielleicht auch Recht.“ Murmelte Nicole leise. Dennoch fühlte sie sich unwohl dabei. Sie wusste von der Existenz einer Gruppe von Bösewichten, und dennoch taten sie nichts dagegen. Alle drei standen nun auf und verließen das Gasthaus. Sie gingen Richtung Markt, ohne zu bemerken, dass sie beobachtet wurden.
 

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Kapitel 11 Ende ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
 

Beim nächsten mal:
 

Die Gruppe macht auf ihrer Reise nach Kraterstadt, der Hauptstadt des Feuerlandes, eine kleine Pause in Kumori, einer Stadt in Kiri. Nach ihrem kurzen Zusammentreffen mit drei der Menschenhändler in der Gaststätte kommt es in der Stadt schließlich zum Showdown zwischen den Menschenhändlern und unseren drei Freunden. Des Weiteren finden sie in dieser Stadt einen neuen Begleiter.
 

Das nächste Kapitel heißt:
 

Kraterstadt

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
 

Aftershow
 

“Puh! Wieder einmal geschafft.“ Stieß Nicole zufrieden aus. Mit einer flinken Bewegung ließ sie ihre Schuhe von den Füßen gleiten und machte sich auf der Bank lang. “Immerhin wissen wir nun, Wer hier wen ruft.“ Meinte sie grinsend und sah zu Ryu. “Das war dein großer Moment, was?“

“Nun, ich war zugegebener maßen ein wenig aufgeregt.“ Antwortete er ruhig. “Immerhin war Shukakus Auftritt ziemlich beeindruckend.“

“Hehe, da Danke ich doch höflich!“ Verwirrt sahen sich Ryu und Nicole im Wohnwagen um, doch Shukaku rief: “Nein. Schaut nach oben.“ Der schwarze, taubengroße Vogel sah durch eine geöffnete Dachluke in den Raum. Als die beiden hoch sahen, legte er einen Flügel wie zum Salut an die Stirn. “Tag, ihr beiden.“

“Dann wird die Aftershow wohl demnächst noch chaotischer, wie?“ fragte Nicole mit einem grinsen hinauf, ehe sie sich wieder im Wagen umsah. “Wieso ist Tinúviel eigentlich nicht hier?“

“Gute Frage.“ Auch Ryu hatte sich umgesehen. “Sollen wir sie suchen?“

“Gute Idee!“ Nicole zog ihre Schuhe wieder an und sprang bereits aus dem Wohnwagen. Ryu folgte ihr kurz darauf. “Aber wo fangen wir an?“ fragte sie und sah sich grübelnd um.

Shukaku kam vom Dach runtergeflattert und landete auf Nicoles Kopf.

“Vielleicht bei den Quellen.“ Schlug er vor. Nicole nickte und ging Mit Ryu hin. Vor dem Gebäude flatterte Shukaku hoch und umflog es, während Ryu und Nicole rein gingen. Sie fragten die Empfangsdame, welche Tinúviel aber nicht gesehen hatte. Trotzdem suchte Nicole noch einmal in den Umkleiden und bei den Becken, doch sie war tatsächlich nicht da. Nach fünf Minuten kamen sie wieder raus.

“Naja, ist ja auch egal.“ Meinte Nicole dann und streckte sich. “Sie wird schon wieder auftauchen. Aber wo ist Shukaku nun abgeblieben?“ fragte sie und sah sich suchend um. Doch Ryu hatte ihn schon entdeckt.

“Da oben ist er.“ Antwortete er Nicole und zeugte an dem Gebäude hoch. Der Vogel saß dort auf einem Fensterbrett und sah konzentriert hinein. Dabei konnte man ihn ab und an leise kichern hören.

“Oh, da oben? Na dann. Lassen wir ihn.“ Summend machte sie sich mit Ryu auf den Weg zurück, doch nach einigen Schritten blieb sie stehen. “Moment Mal. Diese Fenster sind doch, wenn ich mich nicht irre...“ begann sie und drehte sich wieder um. Leise nahm sie einen Stein und sah zu dem Vogel. “Na warte, du kleiner Spanner!“ rief sie und warf den Stein. Sie traf den Vogel hart am Flügel, welcher aufkreischte und hinabstürzte. Nicole fing ihn noch im Sturz und schnaubte.

“Nicole, was tust du denn da?“ fragte Ryu und kam zu ihr gelaufen. “Was tust du da mit Shukaku?“

“Hat sich was mit Shukaku!“ rief sie wütend. Sie hielt den Vogel am Hals fest und würgte ihn. “Die Fenster da oben sind die der Frauenumkleideräume! Dieser verdammte Vogel hat gespannt.“ Schnaubte sie und packte fester zu.

“Hör… hör auf.“ Röchelte Shukaku und zappelte. Seine Stimme klang auf einmal elektronisch verzerrt. “Lass…mich los! Ich sagte: LASS MICH LOS!“

Ryu sah den Vogel verwirrt an. Die letzten Worte waren überhaupt nicht mehr tief und hallend gekommen. Stattdessen waren sie normal menschlich gewesen und ihm auf irgendeine weise vertraut.

“Du also.“ Zischte Nicole und hob den Vogelkörper, so dass sie ihm die Augen sehen konnte. “Du mieser, Fe…“

“Wehe du nennst mich so!“ rief die Stimme, die aus dem Lautsprecher im Schnabel kam. “Ich bin hier immerhin der Autor!“

“Von mir aus. Und Adieu.“ Ohne mit der Wimper zu zucken riss sie dem Robotervogel den Kopf ab. “Was für ein Typ.“ Sie ging und warf die Reste des Roboters in die Mülltonne.



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