The Dark Abyss von Ritterschaf (Oneshots über Davy Jones) ================================================================================ Kapitel 1: Control ------------------ Seeluft war nichts für ihn. Soviel wusste Beckett, als er aus seiner Kabine stürmte und schnellen Schrittes auf den Hafen zueilte, den frisch ernannten Admiral Norrington kaum mehr als einen halben Schritt hinter sich. Die Soldaten stürmten an ihnen vorbei, in genau dieselbe Richtung. Es war weniger als eine halbe Stunde her, dass das Schiff mit Norrington den Hafen erreicht, und der mehr oder weniger blinde Passagier dem Kopf der East India Trading Company seine Beute überreicht hatte. Als Norrington den schmutzigen Sack auf seinen Schreibtisch hatte fallen lassen, hatte Beckett große Lust gehabt ihn einfach zu erschießen. „Was soll das?“, hatte er gefaucht und seine Hand war automatisch zu einer der polierten Schubladen geschossen und zu der Pistole die darin lag. Wut und Enttäuschung hatten seinen Verstand beherrscht und dann kam dieser heruntergekommene, ehemalige Commodore daher, und... Er hatte ihn wirklich erschießen wollen, wie einen räudigen Köter. Zumindest bis zu dem Moment, in dem er die Bewegung gesehen hatte. Und das leise Schlagen seine Ohren erreicht hatte. Thump-thump... Das träge Geräusch hatte, trotz seiner geringen Lautstärke, einen Schock durch sein gesamtes Nervensystem gejagt. Für einen Moment hatte sein Verstand stillgestanden, für einen Moment war alles um ihn herum verschwunden, für einen Moment war da nur dieses Geräusch, für einen einzigen, winzigen Moment... Thump-thump Beckett hatte nach Luft geschnappt. Seine Hand hatte den Griff der Schublade langsam losgelassen, während er sich leicht zu dem Sack hingebeugt hatte. Norrington vor ihm hatte jede seiner Bewegungen sorgfältig beobachtet, hatte so gut wie jedes kleine Zeichen studiert... „Was ist das...?“, Becketts Stimme war nicht mehr als ein leises Flüstern gewesen, doch die Ohren des ehemaligen Commodores hatte sie trotz allem erreicht. Warum hatte er diese Frage gestellt? Er kannte die Antwort. Doch... „Das Herz von Davy Jones.“ Beckett knirschte mit den Zähnen, während seine Schritte stetig schneller wurden. Norrington hinter ihm, schien jedoch keinerlei Probleme mit dem Schritthalten zu haben. Doch...trotz dieser wahrlich großen Errungenschaft wollten die Wut und die Enttäuschung einfach nicht verschwinden. Eine halbe Ewigkeit schien vergangen zu sein, bis er endlich Stein, anstatt einem Teppich unter den Füßen spürte. Die Wachen, die eigentlich links und rechts am Ende des Ganges hätten stehen sollen, waren nicht anwesend, doch Beckett sagte nichts dazu, falls er es überhaupt bemerkt hatte. Der Seewind fuhr ihm mit weichen Fingern über seine Wangen und hinterließ ein leichtes Frösteln. Seeluft war nichts für ihn, er zog den leichten Geruch nach beschriebenen Papier, den rauen Winden des Meeres eindeutig vor. Beckett runzelte die Stirn, die mittägliche Kühle des Windes machte ihm normalerweise nicht sonderlich viel aus, doch dieser Wind war einfach nur kalt. Zu kalt für seinen Geschmack. Und dieser unnatürlich kalte Wind kam von...der Anlegestelle? Beckett drehte den Kopf und wäre fast einen Schritt zurückgetreten. Im Hafen lag das Schiff, welches er, seit Lebzeiten schon, gleichermaßen verehrt und gefürchtet hatte. Das Schiff, welches er, seit Lebzeiten schon, unter seiner Kontrolle wissen wollte. Die Flying Dutchman lag im Hafen, die fasrigen, hellen Segel eingezogen. Der grünliche Bug des majestätischen Schiffes hob und senkte sich leicht mit der eintretenden Flut, das feuchte Holz leuchtete leicht in der Mittagssonne, selbst die beinahe nicht mehr sichtbaren, goldenen Ornamente an den Seiten des Schiffes, fingen das Licht ein und warfen es in farbenfrohen Formen zurück. Es war ein prachtvolles Schauspiel, welches die Soldaten in seinen Bann zu ziehen schien, vielleicht hatten die meisten schon vergessen, welches Schiff es war, wessen Schiff es war, das dort vor Anker lag. Beckett hingegen, hatte nicht einmal einen einzigen winzigen Blick für das Farbenschauspiel übrig. Er starrte direkt nach oben, auf die Person an der Reling und es kam ihm vor, als würde er in zwei Eisberge starren. Davy Jones starrte ihn mit eiskalter Ruhe in den hellen Augen an, die rechte Hand entspannt auf dem Schwertgriff ruhen lassend. Er wirkte völlig gelassen, auch wenn Beckett wusste, das Jones über die Lage genauestens im Bilde war. Allein die Tatsache, dass es der Kapitän der Flying Dutchman schaffte, seine eiskalte Fassade trotz der wahrlich misslichen Lage aufrecht zu erhalten, rang dem Lord widerwillig ein wenig Respekt ab. Wenige Momente verstrichen in vollkommener Stille. Dann wandte Beckett den Blick ab, und ging die Treppe zu der hölzernen Anlegestelle hinunter, blieb jedoch kurz vor der Stelle, wo der Stein von solidem Holz abgelöst wurde, stehen. Er hatte keinerlei Bedürfnis, sich im Moment in Jones' Reichweite zu begeben. Zumindest noch nicht. Jones tauchte nur einen halben Augenblick später vor ihm im Schatten seines Schiffes auf, jedoch schien er Becketts Bedürfnis von wenig Nähe zu teilen. Wenige Meter trennten ihn und den Lord, doch Beckett war überaus froh über diese wenigen Meter. Obwohl er im Schatten stand, schienen Jones' Augen unnatürlich hell zu leuchten, und Beckett versuchte vergebens, in seiner Statur irgendein Zeichen von Beunruhigung zu finden. Die Tentakel wanden sich träge, während der Kapitän seinen Blick langsam über die mehreren Dutzend Soldaten hinter dem Lord und den Admiral schweifen ließ. Sein Mundwinkel zuckte höhnisch, als sein Blick wieder den von Beckett fand, und der Kapitän langsam näher trat. Jones' Augen leuchteten wie reines Eis, als er den Schatten des Bugs der Flying Dutchman verließ, und ins Sonnenlicht trat. „Ihr habt etwas, was euch nicht gehört.“, die Feststellung war so eisig, wie seine Augen. Der Kapitän wirkte so unerschütterlich wie ein Fels in der Brandung und beinahe auch ebenso gelangweilt. Becketts Lippen kräuselten sich zu einem leichten Lächeln. So durchschaubar. Wortlos nickte er Norrington zu, und der Admiral trat nach vorn. Ohne den Blick vom Kapitän der Dutchman zu wenden, griff er in den Lederbeutel. Thump-thump... Jones' Augen weiteten sich unmerklich und das erste Mal schien seine Fassade zu bröckeln. Er wollte es nicht glauben, obwohl er genau wusste, das seine schlimmsten Befürchtungen wahr geworden waren. Er starrte Beckett an und der Lord erwiderte den Blick mit einem sanften Lächeln. Der Kapitän der Dutchman spürte einen plötzlichen Druck auf der Brust. Das Atmen fiel ihm auf einmal schwerer, als hätte sich etwas Unsichtbares mit gelassener Bestimmtheit um seine Luftröhre gelegt. Thump-thump... Als das goldene Licht der Sonne das Herz, sein Herz berührte, zuckte Jones plötzlich zurück. Sein gesamter Körper versteifte sich, die Tentakel zuckten unruhig. Beckett studierte jede noch so kleine Reaktion der lebenden Legende vor ihm. Irrte er sich, oder sah er da auf einmal einen Funken Angst in den himmelblauen Augen des Kapitäns? Sein Lächeln verbreiterte sich ein wenig, doch Jones merkte nichts davon. Sein Blick war starr auf das Herz gerichtet, welches auf Norringtons ausgestreckter Hand lag. Dann schnappte sein Blick zur Seite, und traf genau auf Becketts blaue Iriden, die ihn mit einer stillen Genugtuung verachteten. Die eben noch dagewesene Ruhe in Jones' Augen wandelte sich von einem Augenblick zum anderen in reine, blanke Wut. „Glaubt ihr etwa, mich damit kontrollieren zu können?“, knurrte er wütend, doch Beckett hörte die leichte Verzweiflung heraus. Becketts Lächeln verwandelte sich in ein höhnisches Grinsen. „Oh, das glaube ich in der Tat, mein guter Jones.“, die Wut und die Enttäuschung von eben, waren wie weggewaschen. Sein Pulsschlag beschleunigte sich, sein gesamter Körper fühlte sich leichter an, der Drang , laut zu lachen wurde übermächtig, allein bei dem einen Wort, das seine Gedanken beherrschte. Triumph. Er machte eine leichte Handbewegung über die Schulter hinweg, zu den mehreren Dutzend bewaffneten Soldaten hinter ihm. Die Soldaten reagierten wie eine Maschine, deren Schalter man umgelegt hatte. Einer einer einzigen fließenden Bewegung hoben alle ihre Bajonette und legten sie auf genau ein Ziel an. Jones. „Wenn Ihr nicht tut, was wir verlangen, werde ich Euch einfach exekutieren lassen.“, Beckett war höchst zufrieden, Jones hörte es daran, wie er sich jedes seiner Worte auf der Zunge zergehen ließ. Und an dem siegessicheren Funkeln in dessen blauen Augen. „Dann wird jemand gehorsameres Euren Platz einnehmen...aber warum die Mühe, wenn es doch gar nicht nötig ist..?“, Becketts Stimme wurde zum Satzende hin leiser. Der Hohn darin, war nicht zu verkennen. Jones fletschte die Zähne, doch bewegte er sich nicht von der Stelle. „Wenn mein Herz vernichtet wird, muss ein anderes seinen Platz einnehmen. Das ist der Fluch der Dutchman!“, knurrte er, „Aber Wissen kann man nicht von jedem verlangen, wie es scheint.“ Nun war auch in seiner Stimme eine leichte Spur Verachtung zu hören, doch Beckett ging auf die Provokation nicht ein. Genauer gesagt, er beachtete sie nicht einmal. Er sprach weiter als wäre nichts geschehen. „Ihr werdet in unserem Auftrag Piraten jagen und sie ihrer gerechten Strafe zuführen.“ Jones' Blick verdunkelte sich, wie Wolken die Sonne, seine Tentakel zuckten ungehalten. Lord oder nicht, was bildete sich dieser Mann ein wer er war? Er hatte den Mund schon zu einer verächtlichen Erwiderung geöffnet, doch- „Oder ihr werdet sterben.“ In einem nahezu gelangweilten Ton, nahm Beckett das Herz aus Norringtons Hand, und betrat den hölzernen Steg. Jones' eisblaue Augen glommen mit einem Hass, der bodenlos zu sein schien. Beckett hatte seine Reichweite betreten, doch machte der Kapitän keinerlei Anstalten sich auf ihn zu stürzen, obwohl er gute Lust dazu gehabt hätte. Diesen dünnen Hals zu brechen, wäre ein Kinderspiel...oh, wie er das leise Knacken der Knochen genießen würde... Doch er bewegte sich keinen Zentimeter von der Stelle, sondern starrte Beckett nur mit unverhohlenem Hass in den hellen Augen an. Beckett starrte ihn herausfordernd an. „Die Entscheidung liegt ganz bei Euch, Jones.“ Sein Hass war kalt wie ein Blizzard und doch rasend wie ein Inferno. Jeglicher logischer Gedanke war eingefroren, war verbrannt worden. Seine Augen verengten sich zu Schlitzen, das Glimmen in seinen Iriden wurde zu einem Feuersturm; die Dreistigkeit dieses Lords war nicht zu fassen. Dieser elende Bastard; so etwas nannte er Entscheidung? Jones ballte die Rechte zur Faust, immer fester, doch auch der leicht stechende Schmerz verscheuchte den schier endlosen Hass nicht, den er gerade empfand. Immer tiefer gruben sich die Nägel in das weiche, helle Fleisch und er stoppte erst, als ihm dunkles Blut durch die Finger lief und die Reise in die Tiefe antrat. Ein einziger Gedanke hatte Eis und Feuer überlebt, ein einziger Gedanke, drei Worte, die sich wie ein heißes Brandeisen immer tiefer in seinen Kopf brannten, stetig wiederkehrend wie ein gestörtes Mantra,. Ich hasse dich, ich hasse dich, ich hasse dich... „Verfluchter Sohn einer...“, presste er hervor, während seine Augen förmlich Funken sprühten. Er hatte die Hand immer noch so fest geballt, das sein Arm zu zittern anfing. Jones konnte die besorgten Blicke seiner Crew spüren, doch ignorierte er sie. Seine gesamte Aufmerksamkeit war auf Beckett gerichtet, der leicht die Augenbrauen hob, bevor er im nächsten Moment in schallendes Lachen ausbrach. Das Zittern ging auf Jones' gesamten Körper über. Ein lähmendes Gefühl der Machtlosigkeit machte sich in ihm breit und er realisierte langsam, das sein Hass sinnlos war, das seine Wut eine hoffnungslose Wut war... Ich hasse dich, ich hasse dich, ich hasse dich! Die Worte in seinem Kopf wollten nicht verschwinden. Er zwang sich selbst zur Ruhe, brachte das Zittern zu einem Stillstand und holte lautlos einen tiefen Atemzug. Er wollte das hier so schnell wie möglich hinter sich haben. Jones musste es sich wohl oder übel eingestehen, er konnte nicht anders als Becketts Wünschen Folge zu leisten, oder es würde seinen eigenen Untergang bedeuten. Erst jetzt bemerkte er, das Beckett aufgehört hatte zu lachen und ihn wieder mit diesem kühlen Blick musterte, den er schon zu Anfang verabscheut hatte. „Meine Geduld währt nicht ewig, Jones.“ Auf einmal hatte Becketts Stimme etwas Gefährliches, wenn nicht sogar etwas Bedrohliches in sich. Der Hass in Jones' Blick ging langsam zurück und wieder nahm diese eiskalte Ruhe ihren rechtmäßigen Platz ein. Doch es war wieder nur Fassade. Ich hasse dich. Im Inneren kochte der Kapitän des verfluchten Schiffes nach wie vor vor Wut und Hass. Wenige Momente lang war absolute Stille, nicht einmal der Wind schien diese Stille brechen zu wollen. Dann seufzte Jones leise. Wortlos hob der Kapitän die Rechte zu seinem Hut, und nahm ihn nach einem kurzen Moment ab. Über sich hörte er jemanden scharf einatmen, doch wieder ignorierte er das Geräusch. Einen Moment starrte er Beckett noch in die Augen, bevor er den Kopf leicht neigte. Ich hasse dich! „Meinetwegen.“, sagte er ruhig, „Es soll sein, wie Ihr es wünscht.“ Er bemerkte das leichte Aufblitzen des Triumphs in Becketts Augen, und kämpfte gegen den Drang, ihm diese dunkelblauen Augen aus dem Kopf zu reißen. Ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen fuhr er herum und trat wieder in den Schatten der Flying Dutchman. Wieder verging ein vollkommen stiller Moment, in dem selbst der Wind schwieg. Dann drehte Jones noch einmal den Kopf und seine eisigen Augen leuchteten gespenstisch aus den Schatten heraus. Mit einer fließenden Bewegung setzte er seinen Hut wieder auf, bevor sich sein Mund zu einem höhnischen Grinsen verzog. „Für's Erste.“ Bevor Beckett noch etwas hatte sagen können, war Jones verschwunden und die Dutchman lief aus. Ohne auch nur ein Wort, oder einen Blick an seine Crew zu verschwenden, ging Jones sofort in seine Kabine und verriegelte die Tür hinter sich. Dann setzte er sich wortlos an seine Orgel und begann zu spielen. Die Melodie war geladen wie eine Gewitterwolke und genauso hasserfüllt wie Jones selbst. Er bemerkte es kaum, als die Dutchman durch die Wasseroberfläche glitt und seine Lungen nunmehr Wasser statt Luft aufnahmen. Er schenkte seiner Umgebung keinerlei Aufmerksamkeit, seine Tentakel rasten förmlich über die Tasten, solange bis sie taub wurden. Nach dem letzten Akkord richtete Jones sich auf. Im nächsten Moment stand er nicht mehr vor seiner Orgel, sondern vorn an der Reling seines Schiffes. Seines Schiffes, welches nun einem anderen gehörte, zusammen mit seinem Leben. Plötzlich fühlte er das dringende Bedürfnis nach Luft, doch er stand weiterhin da und starrte auf den Meeresgrund. Der Steuermann hingegen schien seinen Wunsch zu spüren, denn die Dutchman durchbrach plötzlich die Wasseroberfläche und Jones sah sich selbst erneut mit dem leuchtend blauen Sommerhimmel konfrontiert. Das Meer glitzerte in den verschiedensten Farben, doch zum ersten Mal in seinem langen Leben hatte er keinerlei Aufmerksamkeit für die See übrig. „Beckett...“, er flüsterte den Namen nur, doch die Wirkung war grausam. Als wäre plötzlich ein Damm in seinem Geist gebrochen, stürzten Hass und Wut wieder auf ihn ein. Das Zittern kehrte zurück, doch es war kein Zittern der Angst. Der Wind peitschte hohe Wellen gegen die Reling und besprühte Jones mit Wasser, doch dem Kapitän war das egal. Er hob den Kopf und starrte in den Himmel, starrte auf die dunklen Gewitterwolken die sich nun vor die Sonne schoben und dunkle Schatten auf das Wasser warfen. „Beckett...“, er flüsterte den Namen erneut und das Mantra in seinem Kopf wurde ein Sturm. Ein Sturm aus Eis und Feuer, ein Sturm aus Hitze und Kälte, ein Sturm aus unsagbar mächtigem, bodenlosem Hass. Und er ließ den Sturm gewähren und schrie die Worte, die ihm auf der Seele lasteten hinaus in den tosenden Wind. „ICH HASSE DICH!!“ Kapitel 2: Memories ------------------- "Ihr werdet in unserem Namen Piraten jagen und sie ihrer gerechten Strafe zuführen." "Oder ihr werdet sterben." Dem Kapitän der Dutchman kam es fast schon wie eine Paranoia vor. Jedes Mal, wenn er dem Lord über den Weg lief, hörte er die Worte in seinem Kopf, so als würde Beckett sie genau neben ihm aussprechen. Nicht das das nötig gewesen wäre, um Jones an seine mehr oder weniger freiwilligen "Pflichten" zu erinnern. Pflichten. Allein das Wort genügte, um schon wieder Zorn, so glühend wie Magma, in ihm hochkochen zu lassen. Er fand sich selbst an der Reling stehend, den Blick abwesend auf das, vom Sonnenuntergang rötlich gefärbte, glitzernde Wasser gerichtet, die Gedanken auf Reisen. In letzter Zeit verlor er sich immer mehr in Gedanken. Und das war nicht gut. Denn wenn er auf das abendliche Meer starrte, während die Sonne seine eisigen Augen ebenfalls mit einem sanften, warmen Leuchten versah, dann kamen Erinnerungen in ihm hoch. Erinnerungen von denen er nichts mehr wissen wollte. Erinnerungen an vergangene Tage. Erinnerungen an sie. „Calypso...“ Der Name hatte seine Lippen passiert, ehe er sich dessen überhaupt bewusst war. Ohne wirklich zu realisieren was er tat, holte er das herzförmige Medaillon aus seiner Manteltasche und betrachtete es gedankenverloren. Wie es dir wohl geht? Es war ihre Idee gewesen. Er selbst hatte nie solche Beweise für die Liebe gebraucht. 'Überflüssig' hatte er es genannt. Aber sie hatte darauf bestanden, ihm ihr Herz auch metaphorisch zu schenken. Und sie hatte es getan. Sein Herz hatte schneller geschlagen, als er das kühle Herz auf seiner Handfläche betrachtet hatte. Mit geschickten Fingern hatte sie das Medaillon geöffnet, um ihm das Lied zu zeigen. „Das Meer hat viele Melodien.“ , hatte sie ihm damals ins Ohr geflüstert, „Aber diese hier ist meine Liebste.“ Damals hatte Jones über den Gedanken lächeln müssen. Es war seine Melodie gewesen. Seine, die er für sie geschrieben hatte, damals. Damals... ...es war leicht wie eine Feder gewesen, das Medaillon. Ohne das er etwas dagegen tun konnte, stahl sich ein winziges Lächeln auf sein fahles Gesicht. Beinahe zweieinhalb Jahrhunderte war es her, das er es erhalten hatte. Sind deine Erinnerungen ebenso klar, wie meine es sind? Jones hatte es kaum gespürt, als es kurz über seinem Herzen geruht hatte. Bei jeder Erinnerung daran, hatte sich sein Puls beschleunigt. Bei jeder Erinnerung hatte sich ein kleines Lächeln auf seine Lippen geschlichen. Er hatte die Monate gezählt, die Wochen, die Tage. Bei jedem neuen Sonnenaufgang hatte sich sein Puls beschleunigt, bei jeder Brise, die sein Gesicht gestreift hatte, war die Erinnerung an ihre sanften Hände in ihm aufgestiegen. Eine weitere Erinnerung, die ihm ein Lächeln auf die Lippen gezaubert hatte. Kurz nach Sonnenaufgang hatte er die Insel, ihren Treffpunkt betreten. Und kurz vor Sonnenuntergang hatte er sie wieder verlassen. Jedes Mal allein. Habe ich dir eigentlich je etwas bedeutet...? Damals hatte er gedacht, seine Wut und Trauer würden ihn in den Wahnsinn treiben. Wie falsch er doch gelegen hatte. Jones' Hand schloss sich unmerklich fester um das kleine Medaillon, während seine Gedanken immer weiter wanderten. Sein momentaner Gefühlszustand war mit dem Damaligen vergleichbar, wenn er den Damaligen nicht sogar schon übertraf. Nur das in seinem momentanen Gefühlschaos noch zusätzlich ein Hauch von Hilflosigkeit und Verzweiflung mit von der Partie war. Hasst du mich für das, was ich getan habe? Ein leises Seufzen entwich seinen Lippen, ohne das er etwas dagegen tun konnte. Mit einer Feder über dem Herzen hatte er die Insel damals betreten. Mit einem Stein hatte er es wieder verlassen. Schwer wie Blei hatte es monatelang über seinem schmerzendem Herzen gehangen, bis er dieses Gefühl nicht mehr hatte ertragen können. Jedes Mal hatte es ihn daran erinnert, wer es ihm gegeben hatte, was sie ihm angetan hatte; was er ihr schlussendlich aus Rache angetan hatte. Und was sie ihm immer noch bedeutete. Doch trotz des Gewichtes, welches ihn jedes Mal aufs Neue an seinen Verrat erinnerte, konnte - und wollte - er sich nicht davon trennen. So war es in seiner Manteltasche verschwunden, immer noch in seiner Nähe, nur nicht allzu nah. Doch auch dadurch waren die lähmenden Schmerzen, der ohnmächtige Zorn und die verzweifelte Trauer nicht verschwunden. Es hätte den Kapitän des verfluchten Schiffes wahrscheinlich in den Wahnsinn getrieben, bis er in einer Nacht diese wahnsinnige Entscheidung gefällt hatte. All sein momentaner Schmerz, all sein momentaner Hass. Diese eine Entscheidung war der Beginn von alledem gewesen. Ist für so etwas wie „Vergebung“ überhaupt Platz in dieser Welt? Auch wenn es schon zwei Jahrhunderte zurücklag, erinnerte er sich trotz allem an jede Einzelheit. Der Mond war in dieser Nacht besonders hell gewesen, hatte das Meer in einen, sich kräuselnden, Spiegel aus reinem Silber verwandelt. Er wusste noch genau, wie scharf die Klinge im Mondlicht ausgesehen hatte, wie eisig sie war...und er hörte immer noch den erschrockenen Aufschrei seines ersten Maats. Mit blankem Horror in den Augen hatte er seinen Kapitän angestarrt, welcher in einer immer größer werdenden Blutlache stand, in einer Hand eine Klinge und in der anderen sein...sein... Jones schloss die Augen kurz und verscheuchte die Erinnerung mit einem unwilligen Kopfzucken. Er hatte das ungute Gefühl das ihn jemand beobachtete und fuhr in einer einzigen fließenden Bewegung herum. Sein Gefühl hatte ihn bisher nur selten getäuscht und auch jetzt leistete es ihm gute Dienste. Hinter ihm stand, die Arme lässig vor der Brust verschränkt, der Schoßhund seines „Meisters“ persönlich. Jones machte sich gar nicht erst die Mühe etwas zu sagen, sondern starrte Mercer nur mit unverhohlener Verachtung in den hellblauen Augen an. Nicht für sie. „Lord Beckett verlangt Euch zu sehen, Jones.“, Mercer schien Jones' verächtlichen Blick nicht zu bemerken, und falls er es doch tat, dann sagte er nichts dazu. Der Kapitän der Dutchman nickte einmal wortlos, dann wandte er seinen Blick wieder auf die glitzernde See. Ob es für mich Vergebung gibt? Wer weiß. Sein Blick streifte das silberne Schmuckstück in seiner Hand erneut, welches ebenfalls von den roten Strahlen der untergehenden Sonne nicht verschont wurde. Er unterdrückte ein weiteres Seufzen und starrte kurz hinauf zum Himmel. Dann ließ er das Medaillon ohne ein weiteres Wort in seiner Manteltasche verschwinden und ging passierte Becketts Schoßhund, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen. Auf seinem Weg durch sein Schiff fiel sein Blick auf die mittlerweile schon recht zahlreich gewordenen Company-Soldaten. „Company Schiff, Company Crew“, wie Mercer zu sagen pflegte. Jones beobachtete wie ein paar ihre Bajonette reinigten und schnappte ein paar Wortfetzen über Schlachttaktiken auf. Ohne sein Zutun verzogen sich seine Lippen zu einem wölfischen Lächeln. In dem Moment, wo er sein Herz wieder unter seiner Kontrolle wissen würde, würden ihnen selbst die genialsten Waffen und Taktiken nicht helfen...er hatte den Namen „Teufel der Meere“ schließlich nicht ohne Grund erhalten. Und es war seit Urzeiten ein ehernes Gesetz, das man sich mit Teufeln und ihresgleichen nicht anlegte. Ihn und die Dutchman kontrollieren zu wollen, war wie der Wunsch den Wind zähmen zu wollen; es war schlicht und ergreifend nicht möglich. Früher oder später würde sich Jones aus Becketts Griff befreien und dann würde das Blut nur so vom Himmel regnen. Company-Blut. Jones schob den Gedanken beiseite. Die Zeit für Rache würde kommen, aber leider war diese Zeit noch in etwas weiterer Ferne, wie es schien. Das Gespräch mit Beckett hatte momentan Vorrang. Und der Kapitän der Dutchman hatte keinerlei Bedürfnis den Lord warten zu lassen. Er besitzt vielleicht mein Herz, doch es gehört ihm nicht. Dieses Herz gehört niemandem. Außer ihr. Für alle Zeit. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)