Via Inquisitoris: Ein Sarg in Transsylvanien von Hotepneith (der vierte Vampirkrimi) ================================================================================ Kapitel 9: Erklärungen ---------------------- Als die beiden Inspektoren mit Sarah in Copa ankamen, bemerkten sie durchaus, dass es deutlich weniger „Gäste“ geworden waren. „Ich hätte nicht gedacht, dass man Ihnen so gut glauben würde,“ gestand Ilie Florinescu. „Ich bin erfreut,“ erwiderte die Inquisitorin höflich. Das war die Auswirkung der Tatsache, dass ein Vampir auf Menschen äußerst vertrauenerweckend wirkte, aber das sollte sie nicht erwähnen. „Ich werde zum Bürgermeister gehen und ihm sagen, dass sein Zwillingsbruder tot ist und noch dazu diesen ganzen Wirbel angezettelt hatte.“ Florinescu seufzte: „Das mag ich immer. - Lady Sarah, es wäre nett, wenn Sie sich mit dem Rest der noch hier Gebliebenen unterhalten und das erzählen. Oder fühlen Sie sich noch schwach?“ „Nein, das geht schon.“ Nun, die Bisswunde war schon verheilt und eigentlich hätte sie den Verband nicht benötigt, aber um der Unauffälligkeit willen musste sie ihn weiterhin tragen. „Was soll ich machen?“ fragte Kenneth Cuillin: „Mit Ihnen oder mit Lady Sarah gehen?“ „Höflich. Wirklich, ich bin erfreut mal jemanden von Interpol kennengelernt zu haben, der das beachtet!“ Der rumänische Inspektor grinste: „Kommen Sie nur mit mir. Sie kennen diese Gespräche ja, das macht keinen Spaß.“ „Und immerhin bin ich ja praktisch Schuld an Gavrils Tod,“ gab der Schotte zu: „Auch, wenn ich ihn nicht erschießen wollte.“ „Oh,“ meinte Sarah hastig: „Nein, da reden Sie sich keine Schuld ein. Sie wollten ihn nicht töten und Sie haben es auch nicht getan.“ „Nun, das ändert wohl nichts daran, dass er am Schock starb.“ Sie war geknickt. Aber sie konnte ihm doch nicht sagen, dass ihr Blut, ihre Manipulation, zu dem Tod geführt hatten: „Bitte, Kenneth.....“ „Schon gut. Das gehört doch auch zu unserem Beruf. Ich werde wohl ein gewisses Schuldgefühl nicht loswerden, auch, wenn ich Sie damit gerettet habe. - Himmel, ja. Sie sind nicht schuld,“ beteuerte er hastig: „Es war unser Fehler Sie mit dem Irren allein zu lassen.“ „Es war ja mein eigener Wunsch....“ „Oh,“ unterbrach der Rumäne die gegenseitigen Entschuldigungen: „Rotaru ist ja auch noch da.“ Natürlich hatte der nicht gewagt ohne Erlaubnis des Inquisitors abzureisen, dachte Sarah, lächelte jedoch: „Das ist fein, dann habe ich jemanden, der mich zurück nach Bukarest fährt.“ Und da war ja auch dieser Mr. Jordan von dem Vampirinstitut und der Draculagesellschaft. Hoffentlich würde der ihr abnehmen, dass alles eine rein menschliche Sache war. Irgendwie verursachte dieser Mann ihr Unbehagen. Ilie Florinescu stoppte den Wagen auf dem Marktplatz. „Noch alle hier?“ erkundigte er sich im Aussteigen: „Dabei ist die Sache soweit klar.“ „Schön, wenn Sie das sagen,“ antwortete Jules Jordan: „Klären Sie uns auf?“ „Lady...ich meine, die lady hier, wird das machen. Ich muss mit dem Bürgermeister reden. - Kommen Sie, Kenneth.“ Mit gewissem inneren Seufzen trat die Inquisitorin zu dem Amerikaner. Sie vermutete, dass auch die anderen vier Mitglieder der Draculagesellschaft waren, Wissenschaftler und Tourismusfachleute, die sich auf die Spuren von Vampiren gesetzt hatten. „Tja, so wie es aussieht, ist Graf Balaur einfach auf eine längere Reise gegangen,“ sagte sie jedoch: „Gavril Acatiu, sein Vermögensverwalter, nahm an, dass er nicht mehr hierher zurückkommen würde, warum auch immer. Da er jedoch an das Vermögen des Grafen gelangen wollte, und als dessen Erbe eingesetzt war, wollte er, dass dieser für tot erklärt wird. Darum stahl er eine Urne mit Asche aus einer Stadt, deren Namen mir gerade nicht mehr einfällt, und arrangierte das alles hier. Sich einen Sarg selbst auszusuchen und zu kaufen ist in einigen Gegenden noch heute so üblich, dass es nicht weiter auffiel. Inzwischen hat sich die Familie des Toten, also, der Asche, gemeldet und die Überreste werden ihr übergeben.“ „Und die Polizei hat die Aussagen des Vermögensverwalters?“ erkundigte sich Jules Jordan. „Ja, soweit es noch ging. - Er fiel bei dem Verhör über mich her. Bei dem folgenden Schusswechsel starb er.“ Das war soweit gesehen die Wahrheit. „Oh, daher der Verband? Ich wunderte mich schon. Da haben Sie wohl einen ziemlichen Schreck bekommen, plötzlich von einem Vampir überfallen zu werden.“ „Wenn Sie das so nennen wollen....Er ist, sagen wir es klar, durchgedreht. Anscheinend hatte ihm die Reaktion seines Bruders und der anderen Leute hier im Dorf so zugesetzt, dass er sich selbst in der Tat für einen Vampir hielt. Damit, so dachte er, wäre er nun in alle Ewigkeit verflucht, was natürlich Unsinn ist. Das führt zu seinem gewissen Wahn.“ Mit einem etwas zynischen Lächeln ergänzte sie: „Und kommen Sie mir jetzt nicht mit: oh, das könnte den Tatsachen entsprechen. Kein rumänischer Vampir oder auch keiner in den westlichen romantischen Legenden kann durch eine einfache Kugel sterben.“ „Ich sehe schon, Sie glauben nicht an Vampire.“ „Wissen Sie, spätestens, als ich hörte, rumänische Vampire sind möglicherweise Kinder, ließ meine Begeisterung nach. Es mag ja romantisch sein, wenn ein gutaussehender, düster-melancholischer Adeliger aus dem Hals Blut saugt – bei einem verwesenden Baby oder Greis, der einen in die Brust beißt, sieht das doch anders aus.“ „Das mag stimmen. Aber haben Sie schon einmal daran gedacht, dass es diese Vampirlegenden rund um die Welt gibt? Eine echte Ursache ist da nicht auszuschließen.“ „Die Menschen hatten sehr lange guten Grund nachts Angst zu haben. Straßenbeleuchtung ist nicht sehr alt und so war es in der Nacht wirklich ganz dunkel und niemand konnte sehen, was fünf Meter entfernt ist. So bildeten sich Sagen.“ Sie bemerkte, dass sich die anderen Vier der Draculagesellschaft an der Diskussion beteiligen wollten, aber abgelenkt wurden. Auch sie nahm nun das Motorengeräusch wahr und drehte sich um. Ein dunkles Auto fuhr auf den Marktplatz – ein Taxi. Sie sah, dass sich Alecu Rotaru, der bislang nachlässig auf den Stufen vor der Wirtschaft gesessen hatte, erhob. Den Grund konnte sie sich vorstellen, als ein alter Mann aus dem Fond ausstieg – ein Vampir. Ein gut fabrizierter Bannkreis ließ ihn weit über Achtzig erscheinen, aber sie entdeckte dahinter einen Mann scheinbar Sechzig – das Alter seiner Verwandelung. „Ja, was ist denn hier los?“ fragte er erstaunt. So viele Fremde im Ort kamen nicht vor ohne dass etwas Ungewöhnliches passiert war. Dann entdeckte er Rotaru, den er kannte: „Sie hier?“, noch ehe ihm bewusst wurde, dass auch Sarah eine seines Volkes war. „Graf Balaur, nehme ich an?“ fragte sie, bereits auf ihn zugehend. Das wurde kritisch. Sie hatte zwar seine rumänische Fragen nicht übersetzen können, aber vermutete, um was es ging: „Schön. Dass Sie Ihre....Reise beendet haben.“ Sie sprach englisch, nahm aber an, dass er sie verstand. Prompt wechselte er die Sprache: „Darf ich fragen, wer Sie sind und was hier geschehen ist?“ „Die Polizei wird es Ihnen gleich erklären, denke ich,“ sagte Sarah, die die beiden schon über die Straße kommen sah: „Inspektor Florinescu und Inspektor Cuillin von Interpol.“ Auch Alecu Rotaru war schon heran, bemüht, dass seinem alten Bekannten nicht vor den Augen des Kadash ein Fehler passierte, noch ehe Balaur wusste, wer das war. Der Graf sah auch zum ihm: „Alecu...“ murmelte er, ehe er sich etwas aufrichtete und die Polizisten ansah. „Graf Balaur, vermute ich?“ fragte der Schotte: „Mein Name ist Kenneth Cuillin von Interpol. Sie waren wohl auf einer langen Reise?“ „Ja, ich besuchte einige Bekannte. Darf ich fragen, was Sie das angeht?“ „Sie kannten Gavril Acatiu?“ „Ja, natürlich Er ist mein Vermögensverwalter....Moment. Sie wählen die Vergangenheitsform? Was ist mit ihm?“ Das klang nun deutlich besorgter und Sarah wusste nur zu gut warum. Immerhin war das sein „Kind“ gewesen, sein Schüler. „Er ist tot. - Graf, als Sie abfuhren, haben Sie ihn als Erben eingesetzt, nicht wahr?“ „Ja, aber tot?“ Der Blick des alten Vampirs glitt zu seinen Artgenossen: „Das kann ich nicht glauben.“ „Er starb an den Folgen einer Schussverletzung.“ „Unmöglich!“ „Es ist leider so. Er hat eine Menge Wirbel hier verursacht. - Geht es Ihnen nicht gut, Graf?“ Er griff schon vorsorglich hin, aber dieser nahm sich zusammen. „Ich...ich bin erschüttert. Gavril war seit langem mein Freund, wir haben einiges zusammen erlebt....“ „Natürlich. Leider nahm er an, dass Ihnen....etwas zugestoßen sei. Um an Ihr Erbe zu kommen, stahl er Asche aus einer fremden Urne und legte diese in einen Sarg in Ihrem Schlafzimmer. Er wollte Sie wohl für tot erklären lassen. Stattdessen kamen Vampirjäger aller Art und Medienvertreter her. Die Dörfler fanden das nicht gerade gut und haben ihn mehr oder weniger aus dem Ort gejagt.“ „Asche in einem Sarg...?“ Ovidiu Balaur dachte sichtlich rasch nach, ehe er seufzte: „Oh nein, er sagte, ich sei ein Vampir?“ „Er sagte auch, dass er einer sei und der Hölle anheimgefallen. - Tut mir Leid, Graf, dass wir Sie mit solch schlechten Nachrichten überfallen, aber hier war wirklich einiges los.“ Kenneth Cuillin sah seitwärts: „Sarah, wären Sie so nett und begleiten den Grafen nach Hause? Sie können ihm dann ja noch so einiges von Ihrem Gespräch mit Acatiu berichten.“ „Ja, natürlich,“ erwiderte die Inquisitorin unverzüglich. Das war ihr auch viel lieber: „Alecu? Kommen Sie auch mit? Der Graf hat da noch einen Koffer stehen....“ Den hatte der Taxifahrer inzwischen ausgeladen und sich bereits abfahrbereit wieder in seinen Wagen gesetzt. Ohne Worte nahm der Manager den Koffer. Das schien ja schlimmer zu sein, als er gedacht hatte. Balaur war sichtlich mitgenommen. War dieser Gavril Acatiu etwa sein einziger Schüler gewesen? Sarah fiel noch etwas ein: „Oh, Kenneth: da der Graf nun wieder da ist, sollten Sie oder Inspektor Florinescu ihm auch sein Tagebuch und die anderen Unterlagen zurückgeben.“ „Ja, klar,“ sagte der rumänische Polizist sofort und fuhr in seiner Heimatsprache fort, was sehr entschuldigend klang. Balaur winkte nur müde ab. Erst, als die drei Vampire auf dem Weg zur Burg waren und nicht mehr gehört werden konnten, fragte er: „Mein Tagebuch? Die Menschen haben mein Tagebuch...zum Glück ist es auf dakisch. Sie haben es noch nicht entschlüsselt?“ Er wandte sich an den Vampir, den er kannte. Alecu Rotaru schüttelte den Kopf: „Das dürfen Sie mich nicht fragen.- Lady Sarah? Wissen Sie etwas darüber? Oh, Balaur, Lady Sarah ist die Inquisitorin.“ Sie bemerkte den ungläubigen Blick des alten Vampirs und nahm ihre Plakette zur Hand. Da der Daker nur einen flüchtigen Blick drauf warf, ehe er nickte, steckte sie sie wieder weg: „Seit einiger Zeit trage ich diese Bürde,“ erklärte sie: „Und, soweit ich weiß, wurde Ihr Tagebuch bislang nicht entschlüsselt. Zum Glück haben Sie es in einer alten Sprache geschrieben, dazu noch mit Zeichen, die kaum einer kennt.“ „Ich hoffe, die Regel der Unauffälligkeit zu kennen, Inquisitor. Nur, was ist hier alles passiert und schon gar mit Gavril?“ Nur wenige Minuten später wusste der alte Vampir, was geschehen war. Er sah zu Boden: „Ich habe Gavril falsch eingeschätzt, oder auch seine Verbindung zu den rumänischen Sagen. Ich kannte ihn aus den Zeiten des Exils und schätzte ihn als psychisch stabil ein. Auch während der Umwandlung ließ nichts darauf hindeuten, dass er damit Probleme haben könnte. Sicher, ein Meister soll bei seinem Schüler bleiben, aber ich nahm doch an, dass ich ihn auf ein Jahr allein lassen könnte. Ein Jahr ist keine sehr lange Zeit für einen Vampir, wie Sie wissen, Inquisitor. Ich wollte an die Schwarzmeerküste zu den Ausgrabungen von Pietrele. Das ist die Gegend, in der ich einst, als Mensch, lebte. Ich wollte sehen, wie weit sie mit den Ausgrabungen sind, was sie vorfinden...Mit zunehmendem Alter sehnt man sich nach seiner Vergangenheit. Ich wusste Gavril sicher versorgt und hatte ihm auch Aufgaben gegeben....Und ich habe ihm ja auch gesagt, dass ich wiederkomme....“ „Sie haben ihn als Erben eingesetzt. Und irgendwie hat er nicht begriffen, dass das nicht für sofort gilt, oder auch nur, wie lange sein Leben künftig sein würde. Schlimmer noch, er hielt sich nun für verflucht. Und Sie hatten ihm keine Telefonnummer hinterlassen, keine Adresse, an der er Sie erreichen könnte. Ein Jahr kann sehr lang sein, gerade für einen Neugeborenen...“ Sarah sagte es behutsam. Es tat ihr fast weh, einen so alten Vampir so geknickt zu sehen. Er hatte geglaubt ein Jahr sei kurz – das mochte für jemanden seines Alters stimmen, jedoch nicht für jemanden, der vor zehn Jahren noch ein Mensch gewesen war und dessen Zeitwahrnehmung besaß. Sie hatten die Burg erreicht. Im Vorhof sah sie seitwärts: „Stellen Sie den Koffer in die Halle, Alecu und warten hier draußen?“ Der gehorchte schweigend. Auch er wusste nun, was passiert war – und welche Entscheidung der Kadash hatte treffen müssen. Keine, um die er sich selbst gerissen hätte. Das Amt war in der Tat schwer und mochte die Seele des jeweiligen Trägers belasten. Alles zu tun, um das verborgene Volk zu schützen...Und er hatte seine kleinen Probleme mit der Regel der Unauffälligkeit schon für relevant gehalten? Nein. Sarah war wirklich nicht zu beneiden. Umso mehr Respekt sollten ihr alle Vampire zollen, dafür, dass der jeweilige Kadash die Blutschuld auf sich nahm. Balaur blickte auf und streckte sich, als er mit Sarah allein in der Halle stand: „Ich bin mir bewusst, dass ich nicht nur einen einzigen schweren Fehler begangen habe, einen Fehler, der die Regel der Unauffälligkeit mehr als verletzt hat. Ich hätte Gavril nicht verwandeln dürfen, wenn er so an die Sagen seiner Heimat glaubte, und ich hätte ihm zumindest eine Adresse, einen Ansprechpartner, da lassen sollen, damit er sich nicht so allein fühlt.“ Er sah in die Augen seines Gegenübers: „Ich war so alt – und so unerfahren. Seit Jahrhunderten hatte ich kaum andere Vampire getroffen, gerade mal drei Mal in tausend Jahren Alecu. Das soll keine Entschuldigung sein. Es gibt keine.“ Er ließ sich auf ein Knie nieder: „Sagen Sie mir nur eines, Kadash – schmerzt es sehr, wenn Sie töten?“ Sarah holte tief Atem, als sie begriff, dass dieser alte Mann wirklich glaubte, sie würde ihn umbringen. Er sah seinen Fehler und bedauerte ihn – und zog die Konsequenz. „Sie vergessen etwas, Balaur. Der Kadash ist nicht nur der Henker, sondern auch, und vor allem, der Richter. Würde ich jedes Mal den Meister töten, wenn der Schüler einen Fehler beging...Sie haben sich in einem Menschen geirrt, ja. Aber es konnte wohl niemand vorhersehen, was die Verwandlung in ihm auslöste. Sie kannten ihn als erwachsenen Mann aus den Jahren des Exils und rechneten anscheinend nicht damit, dass er wie ein kleines Kind neu zu leben beginnt. Bitte, stehen Sie auf. - Ich möchte Sie allerdings bitten, dass Sie sich ein Telefon, wenigstens ein Mobilphone, ein Handy, zulegen und die Nummer an Alecu weitergeben. So kann der Hohe Rat oder auch ich Ihnen mitteilen, wenn etwas Wichtiges passiert. Und umgekehrt.“ „Moderne Zeiten, ich sehe es ein. Alecu soll mir etwas besorgen, da kenne ich mich nicht so aus. Würden Sie ihm das ausrichten, Inquisitor. Danke – für mich und danke auch, für Gavril. Ich sehe ein, dass Sie keine andere Wahl hatten. Und in gewisser Hinsicht finde ich es bewundernswert, wie Sie die Regel der Unauffälligkeit unter den Augen von Polizisten, ja, Kameras bewahren konnten. Aber einen neuen Schüler werde ich mir nicht mehr nehmen.“ Wieder lag Kummer in seiner Stimme. „Das liegt bei Ihnen, Graf,“ meinte Sarah höflich: „Ich werde mich dann verabschieden. Die Polizei wird Ihre Unterlagen bald bringen lassen, denke ich.“ „Danke. Ich werde mich etwas ausruhen und dann in das Dorf gehen. Ich denke, Bürgermeister Acatiu hat mir viel zu erzählen. - Gute Jagd, Inquisitor.“ „Gute Jagd, Balaur.“ Als Sarah in den schattigen Hof trat, wandte sich Alecu Rotaru zu ihr um, ein wenig erstaunt wirkend. Das erklärte sich aber sofort, als er fragte: „Sie wollen gehen?“ „Es gibt hier nichts mehr zu tun.“ „Sollten wir Balaur nicht...nun ja, begraben?“ „Er lebt, aber benötigt Ruhe. Ich habe mit ihm vereinbart, dass Sie ihm ein Handy besorgen, damit er erreichbar ist.“ Also hatte er auch gedacht sie würde den alten Vampir hinrichten? Das erklärte durchaus das Unbehagen, das fast alle Vampire empfanden, wenn sie wussten, wem sie gegenüberstanden. Allerdings bewiesen sie damit nur, dass selbst ein so altes Volk mehr auf Sagen und Mythen gab, als dass es die eigene Grundregel verstanden hätte. „Eine weise Entscheidung, Inquisitor. Darf ich Sie dann um Ihre Handynummer bitten?“ „Ich kann Ihnen unten im Dorf meine Email-Adresse geben. Die junge Dame, die mein Konto verwaltet, ist da sehr gewissenhaft.“ „Und Sie möchten nicht pausenlos angerufen werden, natürlich.“ Als sie zurück ins Dorf kamen, nickte Alecu Rotaru seitwärts: „Dieser Amerikaner ist gefährlich,“ sagte er leise: „Er hat eine Wärmebildkamera. Das bedeutet, er kann damit feststellen, wann ein Wesen nicht mehr warmblütig ist.“ „Hat er Sie oder mich fotografiert?“ erkundigte sie sich hastig. „Mich wollte er, aber ich habe es rechtzeitig erkannt und einen Bannkreis legen können. Nicht perfekt, aber es sollte reichen.“ „In der Tat. Ich werde mich um ihn einmal kümmern müssen und dieses Institut. Solange es Einzelgänger sind, denen niemand glaubt, geht es ja noch.“ Eine Wärmebildkamera, doch, so etwas kannte sie von Sendungen, die sie Thomas zuliebe im neuen Fernsehzimmer angesehen hatte. Das würde in der Tat beweisen, dass kein warmes Blut mehr durch die Adern der Person floss – oder, dass die Kamera defekt war. Schließlich verspürte kein Vampir Lust dauernd mit einem Bannkreis herumzulaufen – das zehrte zu sehr an der Kraft, je jünger einer war. Ein bekanntes Gesicht ließ sie jedoch lächeln: „Ah, Kenneth – alles erledigt?“ „Hier, ja. Ich glaube der Bürgermeister war alles in allem erleichterter, dass es hier vorbei ist als dass er seinen Zwillingsbruder vermissen würde. - Sie fahren mit Mr. Rotaru zurück nach Bukarest?“ „Ja, mal sehen, welchen Flug ich bekommen kann. Und Sie?“ „Auf uns wartet noch Papierkram, Spesenabrechnungen und alles andere, das man in Krimis nie zu Gesicht bekommt.“ Aber der schottische Interpolinspektor lächelte etwas: „Ich bin jedenfalls froh, dass dem alte Herrn nichts zugestoßen ist. Ob es wirklich so gut ist, da allein in der Burg zu hocken? Hat er zu Ihnen etwas gesagt?“ „Nur, dass er sich jetzt etwas von dem Schock erholen will und dann mit dem Bürgermeister reden.“ „Nun ja. Vielleicht kommt dann öfter jemand aus dem Dorf. Er ist doch nicht mehr der Jüngste.“ „Ja, aber da können wir ihm nicht dreinreden,“ sagte die Inquisitorin wider besseres Wissen, hatte sie doch genau das getan. „Jedenfalls sind die Dörfler hier sicher mehr als froh, wenn alles wieder seinen gewohnten Gang geht. Ich sehe, sogar Mr. Jordan packt.“ „Ja, die Leute von der Draculagesellschaft wollen zurück nach Burg Bran, wo sie eigentlich ihre Jahrestagung abgehalten hatten, als das hier dazwischenkam. Er erzählte vorher etwas von einem möglichen Beweisphoto.....“ Der Schotte zuckte die Schultern, ohne zu bemerken, dass die beiden Vampire vor ihm sich unwillkürlich anspannten: „Ich fürchte, die alte Bäuerin würde in Panik verfallen, wüsste sie, dass er sie jetzt als Musterbeispiel eines echten Vampirs hernehmen will.“ „Oh,“ sagte Sarah erleichtert: „Das glaube ich allerdings auch. Immerhin muss ein Vampir nach rumänischen Vorstellungen ja tot sein. Und sie läuft noch lebendig herum....Auf Wiedersehen, Kenneth.“ „Danke fürs Herkommen, Sarah.“ „Gern geschehen.“ Erst, als sie im Auto saßen, erkundigte sie sich: „Alecu, Sie erwähnten da etwas von einem Bannkreis?“ „Ja.“ Der Manager zuckte die Schultern: „Es war etwas knapp. Als ich bemerkte, dass dieser Amerikaner mich photographieren will, konnte ich das Bild nur noch spiegeln. Ich übernahm die Körpertemperatur einer anderen Person und sie die meine.“ „Nun gut, das erklärt, warum er da auf einer falschen Fährte ist. Die arme Frau wird jetzt wohl erst Ruhe finden, wenn sie eine Blutprobe von ihr haben. Immerhin ist sie ein echter Mensch, da kann keiner was dran deuteln. Aber ich muss diese Gesellschaft mal genauer überprüfen. Sie sind mir zu nahe an der Wahrheit. Und das bedeutet auch, dass wir alle uns Fehler gegen die Regel der Unauffälligkeit nicht mehr leisten dürfen.“ „Ich verstehe durchaus, Inquisitor. - Darf ich Sie noch etwas fragen? Als Sie....wenn ich es richtig verstanden habe, haben Sie Gavril Acatiu so manipuliert, dass er Ihr Blut trank, obwohl er normalerweise wusste, dass es tödlich für jeden Vampir ist, das eines Artgenossen zu trinken.“ „Ja.“ „Könnten Sie das...auch bei mir?“ So sachlich er das fragte, etwas wie ein Zittern lag unter seinen Worten. „Vermutlich, wenn Sie sich in diesem Geisteszustand befinden würden. Er sagte zuvor schon, dass er eine gewisse Anziehung von mir spüren würde. Ich sei die Dunkelheit und er der Vampir. - Das erleichterte die Sache. Angenehm war es dennoch nicht.“ Sie zog sich den Verband ab. Die Verletzung war bereits abgeheilt. „Er war noch so jung.“ „Es ehrt Sie, dass Sie sich Gedanken machen. Und, ehrlich gesagt, ist es ein wenig beruhigend, Sie persönlich kennengelernt zu haben.“ Lord John setzte sich in den Flugzeugsessel und schloss den Gurt, ehe er nachdachte. Sein kleiner Spanienausflug war nicht der Erfolg gewesen, den er sich erhofft hatte, aber in diesem Fall war keine Antwort auch eine. In den Annalen des kleinen Dorfes und auch der Familie hatte weder eine Heirat noch eine Geburt um diese Zeit stattgefunden – sein Lieblingsverdächtiger war aber auch dort nicht begraben worden. Das wiederum legte den Schluss nahe, dass sich weitere Indizien nur in London befinden konnten. Er würde also noch einmal die Gesellschaftsnotizen und Familienanzeigen durchlesen müssen, diesmal allerdings auf der Suche nach einem festen Namen, einer Heiratsanzeige – und der Geburt einer Tochter. So viele englisch-spanische Heiraten konnten damals nicht stattgefunden haben. Und die Tatsache, dass sein Verdächtiger kein Begräbnis in seiner Heimat aber auch nicht in England vorweisen konnte, legte auch nahe, dass er zu einem Vampir geworden war. Natürlich nach der Entstehung seines Kindes. Nur – was war dann in den Jahren danach geschehen? Lord John hoffte, dass seine schlimmsten Befürchtungen nicht wahr werden würden, aber je mehr er fand, desto mehr sah es genau danach aus. Und er würde, wenn er die Wahrheit gefunden hatte, wirklich überlegen müssen, ob und was er Sarah davon sagte. Die Wahrheit war nicht immer das Beste, sie konnte manchmal auch höllischen Schaden anrichten, das hatte er doch in den langen Jahren seit der Bronzezeit gelernt. Sein armes Mädchen... ** Als nächstes kommt wieder ein Sesshoumaru-Krimi, aber ich hatte eine Idee zu einem kleinen Lord-John-Special, mal sehen, was draus wird. Danke fürs Lesen bye hotep Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)