Auf der anderen Seite des Gartenzauns von Riku (RusPol) ================================================================================ Prolog: Prolog - Wachen und Warten ---------------------------------- Auf der anderen Seite des Gartenzauns Prolog : Wachen und Warten 1612 Wir haben Smolensk. Litauen hielt den Brief in seinen Händen, seine Ränder mit schmutzigen Fingerabdrücken und Rissen übersät, die Knicke an den Stellen, an welchen das Papier zusammengefaltet worden war, weich wie Lappen; so oft hatte er ihn auf- und wieder zu gefaltet. In dem Brief standen nur diese drei Worte. Wir haben Smolensk. Polens krakelige Schrift verriet Eile. Nach zwanzig Monaten der Belagerung war das durchaus verständlich. Er hatte schnell zurückkehren wollen, nach Moskau. Moskau. Die Stadt, die seit Juli 1610 unter polnischer Flagge geführt wurde. In Polens Abwesenheit hatte Litauen oft mit russischen Volksaufständen kämpfen müssen. Aber wenn er es nicht tat, wer sollte sich sonst dafür zuständig fühlen, das polnische Heer anzuleiten, wenn ihr eigentlicher Führer kilometerweit entfernt eine ganz andere Schlacht zu schlagen hatte? Er hatte sich daran gewöhnt. Daran, dass er, auch wenn Polen gerne das Gegenteil behauptete, ihm doch untergeben war. Er fügte sich seinen Entscheidungen und Fehlentscheidungen, immer darauf bedacht, ihm helfen, ihn aus dem Gröbsten wieder herausziehen zu können. Nun, zwei Jahre nach der erfolgreichen Übernahme Moskaus, waren sie die Belagerten. Litauen blickte auf den Brief. Egal, wie dahingeschmiert diese Notiz wirkte; er konnte die Begeisterung, die Hoffnung, die Polen in dem Augenblick des Schreibens übermannt hatte, deutlich herauslesen. Nun musste er hoffen, dass diese Belagerung, die von Russland ausging, sie nicht den Kopf kostete. Hier waren sie eingesperrt. Zwei Vögel mit gestutzten Flügeln, die nicht entkommen konnten, selbst wenn der Käfig nach oben hin geöffnet war. Litauen legte den Brief auf den Tisch und verschränkte seine Arme vorm Bauch. Er konnte spüren, wie sich sein Magen erneut verkrampfte, wie er es üblicherweise tat, wenn er sich zu sehr grämte. Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn und er kniff die Augen zu, spannte seinen ganzen Körper an, bis seine Magenkrämpfe in einem lauten Knurren ihr Ende fanden. Vielleicht war es doch nur der Hunger, der ihn quälte. | … | Es war spät. So spät, dass die Sonne bereits hinter den Gebäuden der Stadt versunken war und nur noch ein orange-rosafarbenen Streifen am Horizont und ein paar Schleierwolken, die von unten her angestrahlt zu werden schienen, ihre Präsens unter Beweis stellten. Polen blickte aus einem der unteren Fenster des Kremls, das schwarze Eisentor prüfend musternd. Das Haus war umstellt. Sie konnten nicht nach draußen. Was noch unmöglicher war, war Hilfsgüter und Nahrung irgendwie hineinzubringen. Dieser verfluchte Kerl hatte es doch tatsächlich geschafft, sie zu umstellen – und das trotz der Uneinigkeiten in seiner Armee. „Alles in Ordnung, Polen?“ Litauens Stimme klang rau und trocken. Er hörte ein Räuspern, erst dann drehte er sich um, um seinem Freund ein breites Lächeln zu schenken. „Klar. Warum fragst du?“ „Weil du so nach draußen guckst.“ Litauen trat zu ihm ans Fenster und suchte mit den Augen nach dem Punkt, auf den Polen zuvor noch so fixiert gewesen war. Dieser nahm ihm die Suche ab und deutete auf eine Gestalt, die auf der anderen Seite des Eisentors stand, die behandschuhten Fäuste um zwei der Gitter geschlungen, der Rock eines langen Mantels sich im lauen Wind ein wenig aufblasend. Zwar war, da er das Licht der untergehenden Sonne im Rücken hatte, nicht viel mehr als seine Silhouette zu erkennen, doch ahnte Litauen sofort, um wen es sich handelte. „Er steht dort draußen?“ „Yep.“ „Wie lange schon?“ „Seit ein paar Stunden.“ Polen lehnte sich gegen den Fenstersims und drückte seine hohe Stirn gegen die kühle Scheibe. Litauen tastete mit einer Hand nach dem Vorhang und hielt sich daran fest. Russland bewegte sich nicht von der Stelle. Er stand einfach nur da, zwischen zwei Gitterstäben hindurch auf den Kreml blickend. Nicht sicher, ob er sie sehen konnte, ging Litauen ein Stück zurück. „Er sieht traurig aus, findest du nicht?“ fragte er halblaut. „Das kannst du von hier aus doch gar nicht erkennen“, gab Polen ein wenig patzig zurück und löste sich von der Scheibe, gleichgültig abwinkend. „Dem geht’s gut da draußen. Er kann froh sein, dass wir Sommer haben, sonst würde er selbst in seinem Mantel ganz schöne Frostbeulen ansetzen. Aber im Juni...“ Er zuckte mit den Schultern und stemmte seine Hände in die Hüften. „Mach dir bloß keine Gedanken um den. Wenn er seinen neuen König akzeptieren würde, könnte er hier bei uns sitzen und Kakao schlürfen.“ Litauens Augenbrauen zuckten leicht. Er musste sich Mühe geben, sich nicht erneut vollkommen anzuspannen, als sein Magen sich erneut verkrampfte. Seine Hand zuckte kurz in Polens Richtung. Er wollte seinen Arm berühren, irgendetwas tun, um ihn von diesem Fenster und den Blick auf Russland abzulenken, doch er besann sich, als sein Freund erneut seine Stirn gegen die Scheibe presste und die Arme vor sich auf dem Sims verschränkte. „Wie lang der Typ da wohl noch stehen wird?“ fragte er, mehr zu sich selbst. Litauen zuckte mit den Schultern. Langsam wurde es so dunkel, dass er seine eigene Reflexion in der Scheibe, klar wie ein Spiegelbild, erkennen konnte. „Ich geh ins Bett“, hauchte er tonlos und wandte sich zum Gehen. „Gute Nacht.“ „Schlaf gut, Liet.“ [tbc] Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)