Blur - Ancient Curse von AraniShadon ([Aoi & Kai] [Ruki & Uruha] [Karyu & Zero] [MC] [Singlework]) ================================================================================ Kapitel 15: 14 -------------- In den ersten Sekunden seines Erwachen erblickte er ein Meer aus herrlichen Farben über sich. Sie flossen ineinander, bildeten Wirbel und Formen von rot, gelb, orange und gold. Ab und an schienen sie von einem Wind getroffen, da sie dann behäbig von der einen zur anderen Seite schaukelten. Wind war es auch, der leicht über sein Gesicht strich und Aoi letztendlich blinzeln ließ. Die Farben schwanden, transformierten in bunte Blätter von mächtigen Bäumen. Der Herrscher Kistaras lag in einem Wald auf weichen Moos. Sein Kopf rollte träge von rechts nach links, während er sich umsah und an einen anderen Ort erinnerte. Aoi lächelte und tat einen tiefen, zufriedenen Atemzug. Er hatte es vermisst. Diesen Sinn für Ruhe. Das Gleiche, das er auch verspürt hatte, als er das erste Mal in Kais Welt angekommen war. Die Erde dort war nur Erde. Sie schwieg, so wie hier. Es gab keine starken magischen Impulse, die seinen Leib durchdrangen, gab kein fortwährendes Wispern in der Luft, dass ihm sagte, wer er war. Diese Welt hier, sie gehörte ihm nicht. Er musste sie nicht beschützen und konnte bedenkenlos auf ihr wandeln. Blätter dunkelroten Ahorns fielen lautlos auf ihn hinab, streiften seine Stirn und blieben neben ihm liegen. Aoi streckte die Finger, nahm eines von ihnen und hob es in die Höhe. Die Nachmittagssonne machte die zarte Membran durchscheinend. Feine Äderchen präsentierten sich dem Herrscher und er drehte es einige Male, fasziniert und gefangen von diesem Anblick. Ein leises Klingeln, wie die Glöckchen am Seelenbaum. Es durchdrang die Stille seiner Welt, riss ihn aus seinen Beobachtungen. Der Dämon lauschte und setzte sich auf. Das Klingeln wiederholte sich, rief ihn, weswegen er sich fließend zu seiner vollen Höhe aufrichtete. Sein Körper wurde von einen schwarzen Yutaka umhüllt, der mit einem goldenen Obi gebunden war. Dieser und auch die Ärmel seines Gewandes waren ungemein lang. Beides glitt hinter ihm über den Boden, ohne Spuren in der Endlosigkeit aus gefallenen Laub und Moos zu hinterlassen. Aoi lief auf Geta, traditionellen japanischen Schuhen, die ihn immer gestört hatten, wenn er sie hatte tragen müssen. Nun schwebte Aoi in ihnen dahin, bis er eine Brücke erreichte. Behutsam legte er eine Hand auf das Geländer. Sie war aus Holz, filigran, doch schlicht gearbeitet, mit mehreren Bögen und sorgsam über dem schmalen Fluss ausgerichtet. Er trat auf und über sie hinweg, folgte dem sich dahin schlängelnden Weg. Vögel huschten über diesen, saßen in den Baumwipfeln und zwitscherten leise, als würden sie ihn begleiten. Aoi war von dem Frieden hier berauscht, ein Mundwinkel leicht angehoben. Alles hier war wie ein Traum, aus dem man erholt erwachte. Einfach herrlich. Der Pfad endete und er erreichte eine Treppe aus schwarzen, glatten Gestein. Etliche Meter erstreckte sie sich monumental in die Höhe, gesäumt von Kirschbäumen, die in ihrer vollen Blüte standen. Wann immer der Wind wehte, lösten sie sich einige der zarten Gebilde, um lautlos zu Boden zu gleiten. Sie säumten seine Füße, als er die ersten Stufen hinauf schritt und als er stehen blieb, um das leicht funkelnde Gestein genauer zu betrachten. Es hielt Muster inne, große Blüten mit unzähligen schlanken Blättern. Man nannte sie Pfingstrosen. Aoi kannte sie gut. Sie waren Kais liebste Blumen. Es hatte in seiner Wohnung immer eine Vase mit ihnen gegeben und der Dämon hatte auf Uruhas Rat hin einige Samen nach Kistara mitgenommen und sie im Garten von Lagua gesät. Wann immer er sie sah, erinnerten sie ihn an seinen Gefährten. Auch nun keimte dies bekannte Gefühl in ihm und wie gewohnt drehte der Dämon den Kopf über seine Schulter, hoffend Kai hinter sich zu sehen. Er blieb allein. Ein Seufzen, dann straffe er die Schultern und schritt weiter hinauf. Die Treppe schien endlos und dennoch strengte es den Dämon in keiner Weise an sie zu erklimmen. Der Himmel über ihm war wolkenlos, die Äste der Bäume ragten über seinen Kopf, so das Rosa und Blau wundervoll miteinander kontrastierten. Es war ein Anblick den Aoi hätte Stunden über Stunden betrachten können und er vermisste ihn bereits, als er das Ende der Treppe erreichte. Er sah über seine Schulter und blickte den Weg zurück, den er gerade gekommen war. Aoi musste zu lange dort gestanden haben, denn das Glöckchen erklang abermals und lockte ihn weiter zu gehen. Er folgte willenlos. Hinter ihm fielen Treppe, Bäume und Pfad lautlos in sich zusammen, verschwanden in einem hellen Nebel, der hinter dem Dämon schwebte. Aoi registrierte es nicht. Sein Blick blieb geradeaus gerichtet. In einiger Entfernung fand er ein traditionell japanisches Gebäude, dessen Schiebetüren geöffnet waren. Dahinter ließ sich ein Steingarten erahnen und als Aoi die weitläufige Veranda betreten hatte, sah er sorgsam arrangierte Muster und Wellen. Auch diese kannte er aus Kais Welt: ein Zen-Garten. Er vermittelte er dem Dämon Ruhe, eine Art von Frieden, die in Kistara nicht existierten konnte. Ein kleiner Pfad führte durch den Garten, vorbei an einen Wasserlauf mit hölzerner Pumpe und endete an einer Wiese. Mitten auf dieser stand ein weiterer ausladender Kirschbaum, darunter befand ein flacher Tisch mit drei Sitzkissen. Zwei von ihnen waren bereits besetzt. Eine der beiden Personen war hellblond und trug das Haar in einem sorgsam gesteckten Dutt, in dem ein Schmuckstäbchen steckte, eine Strähne säumte ein schmales, doch klar männliches Gesicht. Schlanke Hände ragten unter den Ärmeln des ausladenden Gewandes hervor und gossen Tee ein. Der andere Mann war ebenfalls blond, aber größer und weit rauer im Antlitz. Seine Kleidung war schlichter und ähnelte mehr der des Dämonen, doch mit kürzeren Ärmeln, die einen Blick auf kräftige Arme voller Narben preisgaben. Sein Blick war stechend, der Kiefer kantig und die Augen schwarz, ganz so wie Aois. Der zierlichere Mann schenkte ihm ein warmes Lächeln und hob einladend die Hand. „Willkommen. Bitte, setze dich und zelebriere mit uns einen Tee.“ Der Dämon kam der Aufforderung nach, trat näher und ließ sich auf das Kissen sinken. Er senkte dankend den Kopf, als ihm ein zierlicher Becher mit Deckel gereicht wurde. Diesen hob er an seine Lippen, trank einen winzigen Schluck. Kai hatte ihn immer ermahnt, weil er seinen Tee zu schnell getrunken hatte. „Ich nehme an, deine Reise hier her war angenehm?“ Abermals hatte der hellblonde Mann gesprochen, weswegen Aoi leise summte, ihn musterte. Das Gesicht war ihm vertraut. Vor allem die Augen. Jenes warme Braun, auch wenn es in seiner Erinnerung immer mit einem härteren Glanz behaftet war. Es waren Kyōs Augen die er da sah. Allerdings war der Mann vor ihm definitiv nicht Kyō. Trotzdem war er sich sicher, auch diese feinen Züge zu kennen. Doch wo? Wo waren sie sich begegnet? Irritation sickerte durch seinen Geist, schwach und kaum wahrnehmbar. Irgendetwas war seltsam hier, er konnte nur noch nicht deuten, was genau. „Wo sind wir hier? Was ist das für ein Ort?“ Wind fuhr in die Krone des Baumes über ihnen, weswegen einige Blütenblätter auf sie herab regneten – und verschwanden, bevor sie das Haupt der beiden ihm gegenüber sitzenden Männer berührten. „Dies hier ist, was du erschaffen hast“, erhob der kantige Mann zum ersten Mal das Wort. Seine Stimme war dunkel, rau und klang unangenehm. „Es sind Gedanken und Erinnerungen, mit denen du Einklang und Harmonie verbindest.“ „Demnach ist es nicht real.“ „Es ist so wirklich, wie du es gerne willst“, entgegnete der zierliche Mann. Die Worte waren melodiös, wenn er sprach, weich und fließend wie Wasser. Aoi nippte abermals an seinem Tee und genoss den Geschmack. Genau so bereitete Kai ihn auch immer zu. Zeitweilig herrschte Schweigen zwischen ihnen und Aoi studierte die beiden Männer mit leicht gerunzelter Stirn. Die von ihm gesuchte Erinnerung entfloh ihn immer wieder. „Ich kenne euch“, sagte er schließlich. Sanftes, melodisches Lachen erfüllte die Luft statt einer Antwort. Der zierliche Mann legte die Finger in einer vornehmen Geste vor das Gesicht, um ein Lächeln zu verbergen, das wirklich bildhübsch war. Doch Aois milde Irritation wuchs dadurch nur an. Er mochte es nicht sonderlich, wenn man lachte, ohne seine Fragen zu beantworten. Der andere Mann warf dem Zierlicheren einen strengen Blick zu, auf welchen dieser entschuldigend den Kopf senkte und die Hände wie ein Porzellanpüppchen übereinander legte. „Bitte verzeih mir. Ich konnte nicht an mich halten“, erwiderte er.„Wir dürften dir lediglich aus Schriften und Bildnissen vertraut sein. Das ist Kova. Ich bin Hina.“ Kova und Hina. Die Legenden. Der erste wahre Herrscher Kistaras und der mächtigste Hoheelf den Kistara je gesehen hatte. Hina hatte den Todesengel Karyu gebannt, Aoi kannte die Lieder, war mit jedem Wort der Schriften vertraut. Kova hatte den Frieden ins Land gebracht, indem er die Schleier geschlossen und die Gesetze geschaffen hatte. Er hatte die Generäle ins Amt gerufen und den Zauber geformt, der Aois Wachstum aufgehalten hatte, bis er die seinen gefunden hatte. Kova hatte Zero besiegt und so ermöglicht, das Hina nah genug an Karyu heran gekommen war. Er war ein Ideal nach dem Aoi viele Jahre gestrebt hatte. Nun saß er ihnen gegenüber, trank mit ihnen Tee und begriff, dass sie so normal wie er selbst waren. Es machte ihre Taten nicht weniger beeindruckend, doch es nahm etwas von ihrer gar göttlichen Präsenz. Es stellte sie und ihn auf die gleiche Stufe. Und es machte seinem erwachenden Geist bewusst, dass es diese Situation so nicht geben konnte. Behutsam stellte er seine Tasse ab, musterte beide Männer eindringlich. „Ihr seit tot.“ „Wie scharfsinnig“, kicherte Hina amüsiert, „Ich sehe, der Schlag auf den Kopf hat deinem Denkvermögen keinerlei Abbruch getan.“ Der Herrscher Kistaras schnaubte leise. Er konnte dem Ganzen nur wenig humorvolles abgewinnen, sah aber ein, dass dies offensichtlich Hinas Wesen war. Mit neu erwachtem Auge studierte er seine Umgebung ein weiteres Mal. Es hätte ihm bereits zuvor auffallen müssen. Diese Welt, sie war zu perfekt. Alles in ihr schien sich nach Aoi zu richten, um ihn so besänftigt wie nur irgend möglich zu halten. Es war viel mehr als einfache Erinnerungen. Das Glöckchen ertönte und als Aoi suchte, entdeckte er es, an einer roten Kordel befestigt, in den Zweigen des Kirschbaumes. Genauso eines hatte auch in Kais Fenster gehangen. Sein Geliebter war hier überall, jedes Detail schrie nach ihm – nur der Mann selbst war nicht anwesend und Aoi fragte sich, warum dem so war. Wieso hatte er sich nicht Kai geschaffen? Sondern Kova und Hina? Es musste einen Grund geben. Er nippte erneut an seiner Tasse und bedachte die beiden Männer über ihren Rand hinweg mit einem langen, ernsten Blick. „Warum seid ihr hier?“ „Weil du es so wolltest“, entgegnete der Hoheelf sanft, „Du hast Fragen und suchst nach Antworten, die dir Kai nicht geben kann.“ Aois Stirn zog sich zusammen. „Welche Art von Fragen?“ „Das weißt nur du allein.“ Kovas dunkle Augen fanden die seinen und hielten sie gefangen. Es war hypnotisch, wirklich. „Konzentriere dich auf dein Ziel. Suche danach, dann wirst du deine Frage finden.“ Aois atmete tief ein und beruhigte seinen Geist. Er dachte nicht bewusst nach, sondern ließ es fließen, im Einklang mit seiner Umgebung. Es brauchte nicht lange, da fand er etwas, das ihn drängte, es näher zu studieren und zu erkennen, warum er hier war. Der Herrscher trat einen Schritt darauf zu und streckte die Fingerspitzen danach aus, berührte es und wusste seine Frage klar zu formulieren. „Wie besiege ich Zero?“ Hina legte den Kopf interessiert auf die Seite. „Das ist eine verblüffend“, stellte er fest und Kova brummte zustimmend auf die Worte. „Ich hätte damit gerechnet, das du nach Karyu fragst. Ist er für dich nicht die wesentlich größere Gefahr?“ Aoi zog die Brauen zusammen, schwieg. Ja, warum? Hina hatte recht, er sollte sich mehr Gedanken um Karyu machen, als um Zero. Die Kräfte des Geistes waren zwar außergewöhnlich mächtig aber Karyu konnte – und würde – die Schleier einreißen. Er würde die Welten fusionieren und so Kistara, die Erde und etliche andere Zivilisationen dem Untergang weihen. Weswegen war es ihm also wichtiger, Zero vernichtet zu wissen? Lag der Ursprung für dieses Verlangen in der Schmach seiner Niederlage? Abermals runzelte sich seine Stirn, überlegend, bis er von einem ungewohnten Geräusch aus seinen Gedanken gerissen wurde. Irritiert sah er sich um, bis sich der Laut wiederholte. Ein Lachen. Das Lachen eines Kindes. Aoi erhob sich, ließ den Blick schweifen. Unweit von ihnen fiel die Landschaft ab, glitt einem Wasserfall gleich aus Blüten und Gras den Abhang hinunter. Dort, wo es ebener wurde, tobten die Kinder. Es waren sechs, nein, sieben. Sie jagten nach den großen Schmetterlingen, rannten hintereinander her, oder rollten sich durch das Gras. Sie waren befreit von allen Zwängen und Ängsten, von aller Verantwortung, die Erwachsene plagte. Es war schön zu beobachten und zu wissen, dass für sie die Sonne tatsächlich so hell und rein strahlte, wie sie am Himmel stand und deren Wärme Erwachsene nicht mehr richtig wahrzunehmen wussten. Aoi seufzte leise, als er ihnen zusah, fest davon überzeugt, dass ihre positive Energie das war, was sein Unterbewusstsein dazu bewegt hatte, sie in diese Welt hinein zu projizieren. Bis eines der Kinder den Kopf hob und direkt in seine schwarzen Augen starrte. Aus Iriden die so bekannt, so zeitlos waren, dass es Aoi für einen Moment den Atem stahl. Kyō. Er würde ihn überall wieder erkennen. Nur was tat er hier? „Zero und Karyu sind nicht die Antwort auf deine innersten Fragen, Aoi. Sie mögen eine Bedrohung für dich, dein Land und deine Familie sein, doch er ist hier, dir die Antworten zu schenken, die er in der realen Welt niemals über die Lippen bringen würde. Er ist hier, damit ihr über Vergangenes sprechen könnt. Eine Wunde in dir, eitrig und unfähig zu heilen.“ Hina war an seine Seite getreten, lautlos wie der Geist, der er war. Auf seinen Zügen lag ein zärtliches Lächeln, als er Kyō einen Moment beobachtete und dann die Hand hob, um seinen Sohn zu ihnen zu rufen. Kyō folgte augenblicklich, ließ die anderen Kinder hinter sich. „Wähle weise, was du ihn fragst.“ Aoi nickte seicht, weswegen Hina sanft seinen Unterarm drückte. Ihre Blicke trafen und hielten einander. „Eine Antwort möchte ich dir noch geben, der Ruf des Vergangenen, der bleiben wird, auch wenn du erwachst: Zero ist der Puppenspieler, Karyu die Puppe. Trenne die Fäden, die die beiden miteinander verbinden, doch zerreiße sie nicht, forme sie neu. Mehr kann ich dir nicht mit auf den Weg geben, Herr über Kistara. Wir waren hier, um dir Kraft zu geben, dir zu zeigen, dass du ebenso Großes vollbringen kannst, wie wir es getan haben. Wenn du uns in deinem Herzen mit dir führst, dann wird es dir gelingen Zero und Karyu von Angesicht dieser Welt zu tilgen.“ Aoi senkte den Kopf, erwies den beiden Männern seinen Respekt. „Es war mir eine Ehre, euch kennen zu lernen.“ Der Hoheelf und auch Kova spiegelte die Geste. Hina legte eine schmale Hand auf Kovas Brust, derweil dieser lose einen Arm um den schlankeren Mann schob. „Denk an meine Worte und sei wachsam, Aoi. Kistara wird großes Leid erfahren und es mag der Augenblick kommen, an der alle Hoffnung versiegt. Dein Herz wird zerreißen, aber es wird schlagen. Und solange es dies tut, ist nichts verloren. Vergiss das niemals.“ Sie schwanden, lösten sich in einem sanften Sturm von Blüten und Funkeln auf und nahmen mit sich die gesamte Welt. Sie schmolz unter Aois Füßen, fiel in sich zusammen wie ein Gemälde, das mit Wasser überschüttet worden war. Das Lachen der Kinder wurde schwächer, entfernte sich und verstummte am Ende ganz. Was zurück blieb war Schwärze. Und Kyō. Die kindliche Version des Hoheelfen glühte sanft von innen heraus, die einzige Quelle an Licht, die noch existierte. Seine Augen waren auf ihn gerichtet, die Pose entspannt. Der Dämon straffte seine Schultern und ging die wenigen Schritte, die ihn von dem Hoheelf trennten. Der Kopf des Kindes hob sich, um ihn direkt ansehen zu können, klar wartend, das Aoi das Gespräch begann. Er würde ihm seine Fragen offen beantworteten. Nicht in Rätseln und kryptischen Worten verpackt oder in kleinen Brocken vor seine Füße gespuckt, immer nur gerade soviel, wie Aoi wissen musste, damit Gefahren von Kistara abgewandt wurden. Hier in dieser Welt die Aoi für sich selbst erschaffen hatte würde er offen sein – vielleicht zum ersten Mal. Hinas Worte entsprachen der Wahrheit. Hier ging es nicht um Zero oder Karyu oder Kistara. Hier ging es nur um Aoi und seine Wunde, die nicht aufhörte zu bluten. Seine Lippen öffneten sich und stellten die Frage, die er sich in hundertern von dunklen Nächten gestellt hatte, die seit diesem Tag vergangen waren und die nicht einmal Kai hatte wirklich erhellen können. „Warum hast du es getan, Kyō? Warum hast du ihn mir entrissen? Du wusstest, dass ich ihn liebe, dass ich ihn zu meinen Gefährten ernennen wollte – warum mein Engel?“ Das Kind vor ihm blinzelte ob des deutlichen Schmerzes in der Stimme nicht einmal, sah ihn einfach an und antwortete: „Es war notwendig, um Kistara zu retten.“ Seine Stimme war leise, melodisch, ähnlich der von Hina, ihr Klang so sanft, dass jedes Wort verzaubert schien. „Das ist nicht wahr!“, zischte Aoi, plötzlich ebenso aufgebracht, wie in dieser Nacht, „Er hatte damit nichts zu tun!“ „Du verleugnest die Fakten, mein Fürst. Der Engel war alles, das ihnen fehlte. Sie hätten ihn benutzt, um Kistara zu zerstören. Das konnte ich nicht zulassen. Es war meine Pflicht.“ „Wir hätten einen anderen Weg gefunden“, erwiderte Aoi bitter, derweil er vor dem Hoheelfen in die Knie sank,“Du hättest nur mit mir reden müssen.“ „Aber das habe ich doch getan,“ Kyōs kleine Hand hob sich und legte sich auf Aois Wange, die Berührung seltsam beruhigend und warm,“Du wolltest es nicht hören, Aoi. Du warst der Überzeugung, ihn zu schützen und Kistara retten zu können. Es war nobel und großmütig, doch es hätte nicht funktioniert.“ Aoi starrte in die dunklen Augen. „Wie kannst du dir so sicher sein?“ Die Finger wanderten langsam über seine Wange, hinauf zu den Augen und schließlich zur Stirn, wo sie im Zentrum stehen blieben. „Weil ich es gesehen habe.“ Aois Herzschlag setzte aus. Er hatte es gesehen? Das hatte er nicht gewusst. Oder hatte er einfach nicht gut genug zugehört, verblendet von Zorn? Kyō sprach weiter, wobei er ihn eindringlich ansah, als müsse er Sorge tragen, dass Aoi jedes Wort registrierte und verstand. “Ich sah, wie sie dich zerstören würden und Kistara ebenfalls. Das konnte ich nicht zulassen. Für mich gibt es nichts, dass wichtiger als Kistara ist. Um es zu retten, würde ich alles machen. Immer wieder und egal, welche Konsequenzen das für mich hat. Auch nun, da sich die Vergangenheit wiederholt.“ ~~~~~ Reita saß im Schneidersitz auf der Brüstung eines kleinen Balkons und starrte in den Horizont. Sein linker Arm ruhte auf seinem Oberschenkel, der rechte führte ein Messer, dessen Spitze sich immer wieder in das grob gehauene Gestein bohrte und kleine Splitter aus diesem schlug. Der Geist war hier hoch gekommen, um seine Gedanken zu sortieren, doch sie sprangen noch immer umher wie eine ungezähmte Bande von Kobolden. Aoi und Zero. Kai und Tsukasa. Kistara. Das Artefakt der Zeit. Sein Versagen. Kai wäre Zero nicht in die Hände gefallen, wenn er bei Tsukasa geblieben wäre. Und dann wäre diese ganze Scheiße nicht passiert. Das jedenfalls schrie sein Herz, sein Kopf konterte indes klar und nüchtern, dass es andere Aufgaben für ihn gegeben hatte. Aber was hatten diese Befehle genutzt? Nichts und wieder nichts. Reita seufzte schwer und fuhr sich durch das Haar. Bei Kova, er redete sich Dinge ein, die gar nicht stimmten! Seine Befehle waren gut gewesen, logisch, in Anbetracht der damaligen Situation. Es war Wunschdenken, sich die Schuld an dem Desaster geben und zu hoffen, dass es ihm danach besser ging. Es wäre der einfache Weg und der war wesentlich bequemer zu bestreiten, als sich einzugestehen, dass er in Wahrheit ein ganz anderes Problem hatte. Er wollte Kai sehen. Und Tsukasa. Und diesen Jungen Namens Ari. Trotzdem saß er hier oben und verbarg sich vor ihnen. Weil er Angst hatte, ihnen in die Augen zu blicken und darin Enttäuschung zu finden. Hinzu kam die Schmach, dass man ihm den Zutritt zum Innersten Heiligtum verwehrt hatte. Ihm, der Hand des Herrschers! So etwas hatte er noch nie erlebt. Was trieben sie nur da drinnen? Seit Stunden waren sie darin zugange und nicht ein verdammtes Wort, wie es um Aoi stand. Seitlich des Balkons hielt sich Geokia am Gestein fest und reckte ihren Kopf in seine Richtung. Sie stieß leise Töne aus, die ihn trösten sollten. Ein schwaches Lächeln huschte über seine Lippen, als er die freie Hand gegen ihre Schnauze legte. „Is' schon gut, Hübsche. Ich komm' schon klar.“ Sie glaubte ihm nicht. Das tat sie nie, wenn er sie anlog. Sacht stieß sie gegen seine Schulter, klappte das Maul auf und stieß dann einen leisen Ton aus, der an den Ruf eines Kauzes erinnerte. Es klang auffordernd fragend, weswegen Reita seufzte. Er straffte die Schultern und wollte sein Herz ausschütten, da blieb sein Messer in Gestein des Balkons stecken. Er musste zu hart zugestoßen haben, doch als er nach unten sah, stellte er fest, dass die Klinge in soliden Eis steckte. Seine Brauen zogen sich zusammen. Solche aus dem Nichts auftauchende Phänomene bedeuteten in der Regel nichts Gutes. Wind kam auf, eisig kalt drückte er gegen seinen Körper. Das Geisterwesen presste eine Hand gegen sein Schlüsselbein, suchend den Schmerz zu lindern, der in seinen Lungen ausbreitete Geokia kroch rückwärts und klackte verstört mit den Zähnen. Sie zog sich auf den Fels über den Balkon zurück, reckte sich, um ihren Kopf gegen Reita zu pressen. Er hob seinen Arm, um sie beruhigend zu streicheln, murmelte leise Worte, völlig zusammenhanglos, weil er versuchte zu verstehen, was gerade passierte. Eiszapfen hingen der Brüstung, der Fels selbst war mit Reif bedeckt, die Sonnenstrahlen fühlten sich kühl auf seiner Haut an. In ihm gab es den Drang zurück zu weichen, wie als müsse er einem Angriff entgehen. Nur gab es keine offensichtliche Gefahr. Die Falten auf seiner Stirn wurden tiefer, als Reita seine Augen schloss und die Sinne streckte, um nach der Quelle zu suchen. Eine Technik, die Ruki ihm gelehrt hatte, aber es war eine Weile her, dass er diese Fähigkeit des Sehens benutzt hatte und dementsprechend holprig war der Beginn: Wie ein unbeholfenes Junges wanderte der Blick seines inneren Auges über die umliegenden Felsen, fiel und überschlug sich, bevor er an Geschwindigkeit gewann und über die Landschaft von Java raste. Vorbei an hohen Grassteppen, Felsen und über den Fluss, bis sein Blick unvermittelt gefangen und in eine andere Richtung gezwungen wurde. Es war derart ruppig, dass er die Orientierung verlor und dann tauchte Zero direkt vor ihm auf. Reita war, als würde der Geist sein Kinn packen; es war unmöglich sich zu regen oder den Blick abzuwenden. „Eigentlich habe ich mit einem anderen Boten gerechnet“, begrüßte Zero ihn nonchalant, „Doch die Hand des Herrn ist mir natürlich weit lieber. So kannst du mein Wort direkt überbringen: Sag deinen Hoheelfen, das Ulka untergehen wird. Er kann es sich gerne ansehen. Das Heiligtum der Fenir bietet eine gute Sicht.“ Ein kurzes Lächeln, ließ er Reita los und seine Gabe wurde zurück geschleudert, so stark, dass er rückwärts taumelte. Er prallte gegen Geokia, die ängstlich fiepste und mit den Flügeln schlug. Reita keuchte, spuckte aus und suchte, sich zu halten und gleichzeitig die Drachendame zu beruhigen. Es gelang beides nur mäßig. Mit einer Hand krallte er sich an der Brüstung fest, weil seine Beine nicht im Traum daran dachten, sein Gewicht zu halten. In seinem Schädel dröhnte es dumpf und alle Geräusche waren verzerrt. Er schüttelte den Kopf, aber es brachte nur geringfügig Linderung. Geokias Laute wurden lauter, ängstlicher – sie glich den Affen, die Reita in Kais Welt kennengelernt hatte. Reita versuchte zu ihr zu sprechen, streckte wieder die Hände nach ihr aus, doch sie ließ es nicht zu, kletterte nervös über und um den Balkon, schlug mit den Flügeln, so als würde sie am liebsten davon fliegen und nur ihre Verbindung zu Reita sie hindern. Er fand den Grund für ihre Hysterie, als sich sein Blick genug stabilisiert hatte und über den Horizont glitt: Am Himmel über Ulka zeichneten sich schwarze Schwingen in den Himmel. Bedrohlich und unaufhaltsam verdrängten sie Licht und Farben des Sonnenuntergangs, tilgten Rot, Orange und Violett. Lange starrte Reita es nur an, Kopf und Körper unbewegt und leer. Seine Lippen bebten, bevor sie sich öffneten. Ein Name, erst nur gewispert, dann immer lauter, immer schneller, bis es durchdringende Schreie waren. Sie fanden ihn auf den Knien sitzend vor, die Arme locker an den Seiten, das Gesicht blass und die Augen starr auf den Horizont gerichtet. Uruha stürzte sofort an seine Seite, warf sich neben zu Boden ihn und schlang die Arme um ihn. Der Rest von ihnen sammelte sich dahinter. In erster Reihe Ruki, Kyō und Kaoru, danach Hizumi, Tsukasa, Kai, Die und Ari. Sie alle hatten Reitas gellende Schreie vernommen, die ihn durch Mark und Bein gefahren waren und wie er sahen sie nun die schwarzen Schwingen ihre langen Schatten über Kistara warfen. Ihre äußeren Spitzen reichten beinahe bis an das Heiligtum heran, umgeben von einem bedrohlichen Glühen. Kyō – die Lippen in einer dünnen Linie zusammengepresst – trat neben Reita und Uruha. Er sah aber nicht sie an und auch nicht die Schwingen. Stattdessen fixierte er einen Punkt weiter westlich, nahe der Felsen. „Ich weiß, dass du hier bist! Du kannst dich uns zeigen und das Versteckspiel sein lassen!“ forderte er und an der Stelle an der eben noch nichts gewesen war, regte sich die Luft, begleitet von einem leisen Lachen. „So herzlich, wie sein Vater seinerzeit“, säuselte Zero, während sich sein Gesicht aus dem Flimmern erhob, „Und dabei hatte ich gar nicht vor, euch zu belästigen und wollte lediglich Zeuge des fantastischen Werks meines Gefährten werden.“ Stoff flatterte laut, dann das Geräusch der Baretta, die entsichert wurde, doch bevor Ruki feuern konnte, legte Kyō die Hand auf die Waffe. „Nutzlos“, raunte er leise, „Es ist nur eine Täuschung, ein Abbild. Der echte Zero würde sich nie so nah an uns heran trauen.“ „Welch wahre Worte der Hoheelf spricht!“ Das Spiegelbild hatte sich inzwischen zu einer vollständigen Person entwickelt und stolzierte vor ihnen in der Luft hin und her. „Wahrlich ein kluger Mann. Aber nicht klug genug, nicht wahr?“ Kyō schwieg, während die Täuschung stehen blieb und den Elf nach vorn übergebeugt und die Hände auf den Hüften gestützt spottend ansah. Im Gegenzug wurde Zero von ihnen allen gemustert. Eine große, hässliche Narbe zog sich über seine Wange zur Schläfe hinauf, die rechte Hand ruhte tiefer in der Hüfte als die linke und war von einem Handschuh verhüllt. Außerdem schien Zero sie nicht zu einer Faust schließen zu können. Verletzungen, die von Aois Magie stammen mussten. Es machte sie zufrieden, sie zu sehen. Zero kratzte unterdessen mit einer Kralle seines linken Handschuhs über Lippen und das Kinn des Hoheelfen. „So stolz, so unnahbar. Der große Hoheelf. Ob es Euch Euer Kaoru verzeihen kann, dass Ihr zulasst ganz Ulka zu opfern? Für das eine, große Ziel? All das Blut, das fließen wird, das verbrannte Fleisch und die zersplitterten Knochen – werdet Ihr zwischen den Euren wandeln, mein Herr? Werdet Ihr klagen, wie es Euer geliebtes Kistara nun tut?“ Hinter Zeros lächelnden Abbild, hoben sich die Schwingen im Himmel, bis sich ihre Spitzen berührten und dann wie ein Blitz nach unten in die Erde fuhren. Der Stille folgte ein Beben. Ein rumpelnder Laut, der schnell lauter wurde. Solch ein grausames Geräusch, befremdlich und surreal. Selbst die Wesen die Kais Welt besucht hatten, die Atomexplosionen kannten, konnten es nicht greifen. Sie hatten Angst, jeder einzelne von ihnen. Denn dies hier war kein Monster, war keine Magie mit der sie je konfrontiert worden waren. Dies hier war schlimmer. Kyōs Herzschlag pochte heiß in seinem Hals und seinen Schläfen. Sein Mund war trocken, seine Zunge fühlte sich geschwollen an. Am Himmel zeichnete sich ein greller Blitz ab, dann begann es zu donnern. Lauter und lauter. Die, Kai und Ari warfen sich zu Boden, auch die anderen folgten, doch es war klar, dass sie unsicher waren, wie sie sich vor dem schützen sollten, was sie sahen. Würde es sie doch erreichen? Was konnten sie tun, wenn es so war? Es war zu spät, sie in Sicherheit zu bringen. Kyō hörte Hizumi brüllen, doch ignorierte es. Er trat nach vorn, an Uruha und Reita vorbei, hin zur Brüstung, auf die er sacht ein Hand legte. Hinter ihm entfachte sich mächtige schwarze Magie. Ruki. Das Auge Aois würde die anderen hier weg bringen und das war gut so. Er hingegen konnte nicht gehen. Sie ja, er nicht. Seine Hand hob sich und seine Magie reagierte auf seine Ruf, kroch träge und benommen an die Oberfläche. Beinahe war sie zu langsam, er konnte bereits fühlen, wie Rukis Magie ihn umschloss, doch dann stand sein Schild. Die gegensätzliche Magie beider Elfen prallte zischend und knisternd aufeinander, haschte sich wie zwei wütende Wölfe. Ruki rief ihn, doch Kyō reagierte nicht, drehte nicht einmal den Kopf. Kaoru würde dafür sorgen, dass sie gingen. Er würde Kyō verstehen und begreifen, warum er bleiben musste. Der Himmel sah aus, als würde sich aus ihm die Hölle gebären von der Die ihn manches Mal erzählt hatte, aber Kyō wusste, es war in Wirklichkeit die Erde, die Bäume und Blüten Ulkas. Sie schrien in ihren Qualen und der Elf konnte es hören, fühlen. Es legte sich wie eine Kette um ihn, die sich enger und enger zusammenzog. Durch den Plan der Evakuireung mochte er den größten Teil seines Volkes gerettet haben, aber die Lebewesen und Pflanzen, all die Schätze seines geliebten Landes, seiner heiligen Erde, die hatte er nicht bewahren können. Seine Lippen pressten sich in einer blutleeren Linie zusammen. Die heilige Eule des Schimmerwaldes, eine alte und gute Bekannte. Kyō hatte sie gewarnt, doch die ihren lebten weit verteilt – war es ihr gelungen, sie alle zu finden, ihnen zu sagen, was bevorstand? Was würde aus den Saphirbergen mit ihren wunderschönen blauen Kuppen, was aus den Tal des Lichts und den Kristallbergen? Kyō hatte gewusst, dass es soweit kommen würde. Er hatte es gesehen und mit aller Macht versucht, es zu verhindern. Waren all seine Entscheidungen wirklich die richtigen gewesen? Hätte er Kais Leben beenden müssen, nachdem Aoi dafür zu schwach war? War nicht er selbst auch zu schwach gewesen? Kais Tod durch seine Hand hätte seine Verbannung nach sich gezogen. War nicht seine Angst Kistara verlassen zu müssen zu groß gewesen, um tatsächlich zu handeln? Kyō liebte diese Welt – nie, niemals hatte er ihr weh tun wollen und nun war der größte Schaden entstanden, weil er sie nicht hatte loslassen können. Es gab so viele Welten. War es da nicht egal, wo er lebte? Eine Heimat definierte sich nicht durch den Standort. Kluge Worte eines goldenen Drachen und Kyō hatte sie weder verstanden, noch beachtet. Ein weiterer Blitz zog über den Himmel, fuhr mit ohrenbetäubenden Krach nach unten und im Nachhall des Donners hörte Kyō den Klang der feinen Glöckchen, erst noch deutlich, dann starben sie. Eines nach dem anderen und mit ihnen der Baum der Weissagung. Er presste eine zitternde Hand gegen seinen Bauch, mit der anderen krallte er sich an der Brüstung fest. Ein schmerzerfülltes Stöhnen brach sich, ein Klagelaut unter vielen. Kyō stand in Flammen, fühlte sich, als würde ihm gewaltige Stücke Fleisch aus dem Leib gerissen. Nie. Nie hatte es in seinem langen Leben eine solche Pein gegeben. Sie war so gewaltig, so physisch, dass er kaum Stand bewahren konnte. Sein Atem war abgehakt und harsch – er spuckte aus, doch sein Hals war zu trocken und so brannte es nur noch schlimmer als zuvor. Er stieß sich die Hüfte, als der Arm an der Brüstung nachgab und er ein Stück nach unten sackte. Seit dem Tod seines Vaters hatte Kyō nicht mehr geweint. Nun tat er es und die Tränen rannen über sein Gesicht und die Hand, die er sich vor den Mund geschlagen hatte, um die wimmernden Laute gefangen zu halten, die sich von seinen Lippen brachen. Sie mischten sich mit dem Blut, das abermals aus seiner Nase lief, schneller und stärker als zuvor. Was gäbe er nicht dafür, in sich zusammenzusinken, sich einzurollen, wie es kleine Kinder taten. Kurz nur wollte er allem entfliehen. In die Leere einer Ohnmacht, sich selbst entrückt. Aber das Wissen, dass er von Zero beobachtet würde und das sich der Geist an seiner Gram erfreute, ließ ihn halb aufrecht verharren und bis zuletzt zusehen. Der Himmel war pechschwarz nun, voll von Rauch, der die Monde und die Sterne bedeckte. Es machte die Nacht und die Welt um sie herum so viel dunkler, doch nichts davon reichte an die Schwärze der Trauer heran, die nun in seiner Seele regierte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)