Vergänglichkeit von DanteMaxwell ================================================================================ Kapitel 1: Vergänglichkeit -------------------------- Vergänglichkeit Ich schlug die Augen auf. Fahles Sonnenlicht schimmerte durch die ramponierten Gardine und tauchte den Raum in ein ungesundes Gelb, welches tabakverseuchten Zahnreihen glich. Mein Blick war noch getrübt und es dauerte viel zu lange, bis sich meine Sicht einigermaßen klärte. Die Funkuhr zeigte mir an, dass mein Wecker erst in zehn Minuten klingeln würde. Ich stöhnte. Warum war ich schon so früh wach? Mein Nacken fühlte sich steif an. Jeder Wirbel knackte, als ich mich langsam aufrichtete. Ich hatte furchtbar geschlafen. Schon seit Tagen hatte ich das Gefühl unruhig wach zu liegen, mit geschlossenen Augen die Nächte zu verbringen ohne wirklich Schlaf zu finden. Wann hatte ich das letzte mal durchgeschlafen und war erholt aufgewacht? Ich wusste es nicht mehr. Vielleicht letzte Woche...? Zeit bedeutete mir nichts. Ich richtete mein Tageswerk nach festgelegten Normen, funktionierte wie eine Maschine, aber ich lebte schon lange nicht mehr. Monate strichen belanglos an mir vorbei, Jahre und bald auch Jahrzehnte. Ich alterte mit der Zeit, doch die Zeit alterte nicht mit mir. Das schrille Piepen meines Weckers riss mich aus meinen Gedanken und ich schlug auf den großen Knopf, um den Lärm zu beenden. Mühsam schlurfte ich ins Badezimmer. Hier war es immer stickig. Ich hatte kein Tageslichtbad und der Lüftungsfilter war schon lange verstopft. Auf dem Boden flüchteten ein paar Silberfische vor mir. Ekliges Getier. Doch der Kampf gegen sie war aussichtslos. Ich beugte mich über das Waschbecken und starrte in den Abfluss. Dort war es wohl genauso dunkel wie in meinen Gedanken. Ein stumpfes, ausdrucksloses Gesicht starrte mir aus dem Spiegel entgegen. War ich das? Natürlich gehörte mir dieses Gesicht. Eingefallene Wangen, Tränensäcke und Augenringe. Alter und schlechte Pflege. Nur mein Haar gefiel mir. Es war seit jeher ein voluminöser Busch, welcher sich durch keine Bürste zähmen ließ. Aber er gefiel mir. Mechanisch griff ich zur Zahnbürste und begann meine Zähne zu putzen. Nach drei Minuten spuckte ich aus und beobachtete das Rinnsal Blut, vermischt mit Zahnpasta. Seit über einer Woche riss ich mir immer wieder das Zahnfleisch auf. Früher hatte ich nie Probleme mit meinen Zähnen gehabt. Letztens ist mir ein Backenzahn ausgefallen. Ich habe jede Mundspülung sämtlicher Supermärkte ausprobiert, doch nichts scheint meine Zähne zu stärken. Das Alter zerfrisst mich. Ich starre zurück in mein Spiegelbild. Der alte Glanz war aus meinen Augen verschwunden. Ich zwang mich zu einem Lächeln, doch das Blut an meinen Zähnen ließ jedes Lachen verschwinden. In meinem Schlafzimmer war es nun heller. Die Sonne versuchte mein trübes Dasein mit ihrer Kraft zu überstrahlen. Schnell zog ich die Gardinen fester zusammen. Ich quetschte mich in eine alte Hose von mir. Sie zerfranste schon am Saum. Jedoch waren ihre Hosenbeine angenehm weit. Ich habe Probleme mit dem rechten Bein. Früher war ich ein gesunder Mensch gewesen, hatte nie Schmerzen oder Verletzungen gehabt. Nun fühlte sich mein rechtes Bein steif an. Ich humpelte zurück ins Badezimmer und griff nach meiner Schminkschatulle. Gegen all die Furchen half nur meterdickes Make-up. Meine Lippen färbte ich rot ein, versuchte ihre bläuliche Farbe so zu überdecken. Meine Wimpern bekamen einen neuen Anstrich und ich verteilte einen Hauch Rosa auf meinen Wangenknochen. Mein Spiegelbild schien mich auszulachen. Ich sah aus wie eine ramponierte Puppe, welche versucht wurde vor ihrem Verfall zu retten. Keine Schminke der Welt würde mich wieder gesund erscheinen lassen. Ich warf die Schatulle in die nächste Ecke und schlug gegen den Spiegel. Er zersprang nicht. Natürlich nicht. Täglich schlug ich auf ihn ein, doch er vergönnte mir sein Ableben nicht. Jeden Tag würde ich mit mir selbst und meiner Vergänglichkeit konfrontiert werden. Langsam humpelte ich zum Kühlschrank. Griff mir eine Fleischwurst und steckte sie in meine Arbeitstasche. Früher hatte ich viel Gemüse gegessen, heute aß ich fast nur noch Fleisch. Selbst Brot ekelte mich an. Ein Grinsen huschte über meine überschminkten Lippen. Meine alten Freunde würden über mich lachen, wenn sie meine jetzigen Vorlieben kennen würden. Ich überprüfte, ob ich meinen Haustürschlüssel eingepackt hatte, griff nach der Türklinke und verließ mein kleines Apartment. Die große Straße war wie leergefegt. Vereinzelnd standen Autos herum, doch ich sah niemanden. Vorsichtig humpelte ich los, Richtung Bürogebäude. Ach ja – es ist wahrlich nicht leicht ein Zombie zu sein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)