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Wintermond

Herz des Frostdrachen
von

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Kapitel 1 – Von einer, die Auszog, einen Frostdrachen zu finden

Der silberne Mond über Atali tauchte die eis- und schneebedeckten Frostmeer-Hügel in ein unwirkliches Licht. Die hohen Schneeverwehungen und Berge zeichneten Schatten in das ewige Weiß und der Wind lies einige Schneekristalle in der Luft tanzen. Es war still. Einzig und allein Atalis leise Schritte waren zu hören, Nim neben ihr, verursachte keinen Laut.
 

Es nützt nichts, dachte Atali. Sie war schon seit Tagen in dieser eisigen Welt unterwegs, nur mit Nim als ihrer Begleitung. Nim war eine Schneehündin und reichte der vierzehnjährigen Atali bis zur Hüfte. Ihr Fell lag dicht an ihrem muskulösen Körper an und bis auf eine rotbraune Maske um die Augen war es schneeweiß. Ihre Ohren waren aufmerksam aufgerichtet und sie lauschte angestrengt in das karge Hügelland. Sie waren auf der Suche nach einem Frostdrachen, um ihm sein Herz zu nehmen.
 

In einem alten Buch, dass sie tief verborgen in der Hochzeitstruhe ihrer Großmutter gefunden hatte, stand geschrieben, dass das Herz des Frostdrachens selbst den strengsten Winter in die Knie zwingen würde. Die Klauen des Winters hatten Atalis Dorf schon viel zu lange in seiner Gewalt und aufgrund des schlechten Sommers wurden die Vorräte bereits knapp. Doch keiner wollte auf sie hören, als sie von dieser Legende berichtete. Keiner der Männer wollte sich auf die Suche nach einem Frostdrachen machen. Also hatte sie sich selbst auf den Weg gemacht. Heimlich war sie zusammen mit Nim aufgebrochen. Sie konnte einfach nicht die Hände in den Schoß legen und darauf warten, dass sie der Hungertod ereilte.
 

Wenn es so sein sollte, dass sie diesen Winter nicht überlebte, dann wollte sie wenigstens das Gefühl haben, alles für sich und ihr Dorf getan zu haben. Doch jetzt war sie schon so lange unterwegs und von einem Frostdrachen fehlte jede Spur. Vielleicht hätte sie ihr vorgehen genauer Planen sollen, sie wusste ja nicht einmal, wie so ein Frostdrache aussah und ihre wenigen Vorräte, die sie mitgenommen hatten, neigten sich bereits dem Ende zu.
 

Auf einer Anhöhe blieb Sie stehen und stützte sich auf ihren Speer. Nim war noch einige Meter weitergelaufen. Sie drehte sich zu Atali um und sah sie abwartend und, sofern ein Tier das konnte, mütterlich an. So lange Atali denken konnte war Nim an ihrer Seite. Selbst wenn sie gewollt hätte, sie hätte die Hündin nicht zurücklassen können. Sie wäre ihr gefolgt, sie hätte sie gesucht und, sie hätte sie auch gefunden. Außerdem hätte sich Atali allein in dieser weißen Weite ziemlich verloren gefühlt. Zudem hätte sie alleine auch Angst gehabt, sich einem Frostdrachen zu stellen. Nim hatte es schon immer verstanden ihr Mut zu machen und sie würde ihr beistehen, egal was kommen sollte.
 

Auch jetzt spürte Atali, wie Nim ihr Kraft gab. Ihre braunen Augen ruhten auf dem Mädchen und schienen zu sagen: Nur Mut! Hinter der nächsten Schneeverwehung könnte schon ein Frostdrache auf uns warten, soll er sich etwa totlachen, wenn er so eine traurige Gestalt wie dich erblickt?
 

„Ach Nim“, murmelte Atali in die Tücher, die ihr Gesicht verhüllten und sie vor der Kälte schützten. Sie ließ ihren Blick über das Gelände schweifen, doch es gab keinerlei Anzeichen dafür, dass es außer ihr und der Schneehündin auch nur irgendetwas lebendiges hier gab. Sie wandte ihren Blick dem zunehmenden Mond am Winterhimmel zu, den er sich in dieser Nacht mit einigen versprengten Wolken teilte. Wenn sie jetzt umkehren würde, könnte sie zum Vollmond zuhause sein. Sie könnte am warmen Feuer sitzen und ihrer Großmutter zuhören.
 

Sie hatte ihre Großmutter nach dem Frostdrachen gefragt. Doch diese meinte, sie könne ihr nichts weiter dazu sagen, nur dass es eine sehr alte Legende sei und es noch niemand geschafft hätte mit dem Herzen eines Frostdrachen den Winter zu beenden.
 

Ein kalter Windstoß riss Atali aus ihren Gedanken. Irgendjemand muss ja die erste sein, wieso nicht sie? Nim hatte sich keinen Zentimeter gerührt, während sie einfach nur den Mond angestarrt hatte. Erst als sie sah, dass sich nun auch Atali wieder in Bewegung setzte, machte auch sie sich daran, die Erhöhung hinabzusteigen.
 

„Wo soll es den hingehen?“, ertönte eine Stimme eines Mannes hinter den beiden, gerade als sie den Fuß des Hügels erreicht hatten. Dort, wo zuvor noch Atali gestanden hatte, stand nun ein Mann. Er war noch jung möglicherweise gerade erst dem Jungendalter entwachsen. Seine Gestalt schien im Mondlicht sacht zu leuchten und seine Haare schienen weiß wie der Schnee um sie herum. Ungläubig starrte Atali zu ihm hinauf. Sie hatte nicht gehört, dass jemand hinter ihr und Nim den Hügel hinaufgegangen wäre. Außerdem war die Kleidung des Mannes für diese Jahreszeit, überhaupt für diese Gegend vollkommen ungewöhnlich.
 

Während Atali schwere Pelzstiefel samt passendem Mantel trug, war dieser Mann lediglich mit einer leichten Hose bekleidet und einem Sommermantel ohne Ärmel. Auf dem Stoff hatte man funkelnde Kristalle angebracht, die ihn ebenso glitzern ließen wie den Schnee.
 

Nim hatte ihr Nackenfell aufgestellt und auch ihre Rute glich mehr einem Besen als dem Schwanz eines Hundes. Atali umklammerte ihren Speer fester. „Wer will das wissen?“, fragte sie und schaffte es sogar, dass ihre Stimme dabei nicht zitterte und damit ihren Schreck über sein plötzliches Auftauchen verriet.
 

„Wer das wissen will?“, fragte er und in seinem Tonfall klang eindeutig Spott mit angesichts des Kindes mit seinem kümmerlichen Speer und seinem Hund, „Salis ist mein Name“ Seine grün-blauen Augen hafteten an den beiden Gestalten vor ihm, die sich schon so lange vergeblich durch diese eisige Hölle schlichen, die kaum etwas lebendiges auf ihrer Oberfläche zuließ.
 

Salis? Was für ein merkwürdiger Name. Woher er wohl kam und was er hier machte? Atali war sich sicher, dass er unmöglich ein Mensch sein konnte. Er müsste tot sein, bei seiner spärlichen Bekleidung, erfroren und starr wie ein Brett. Doch die Kälte schien ihn gar nicht zu stören. „Und was machst du hier?“, fragte sie weiter und musterte ihn weiter.
 

„Nein, so funktioniert das nicht“, sagte er und seine schmalen Lippen verzogen sich zu einem Grinsen, „Jetzt stelle ich eine Frage, nämlich wer du bist.“
 

Diese einfache Frage traf Atali vollkommen unvorbereitet, sie hatte immer noch nicht ganz verdaut, dass sie hier, mitten in der Einöde einen Menschen getroffen hatte, der offenbar nicht fror und überhaupt ein ganz seltsamer Geselle zu sein schien. Nim neben ihr wollte sich einfach nicht entspannen, angesichts dieses Salis’.
 

Er hob eine Augenbraue und sah das Mädchen weiterhin spöttisch und herablassend an. Sollte sie ihm ihren Namen verraten? Doch was sprach schon groß dagegen. „Atali“, antwortete sie ihm also, „und neben mir, das ist Nim. Sieh diese Information als Zugabe. Also, was machst du hier?“ Sie hoffte einfach, dass die Antwort darauf nichts davon enthielt, dass er sie verfolgt hatte und verhexen würde. Sie wusste nicht, ob Salis zauberkundig war, aber sein merkwürdiger Name und seine Ausstrahlung erweckten bei ihr zumindest den Eindruck, dass es nicht ganz auszuschließen war.
 

„Ah, Atali und Nim also? Dann kommt ihr aus einem der Dörfer westlich des Sonnensees?“, stellte er fest und registrierte zufrieden den überraschten Ausdruck in den Augen des Mädchens.
 

Ja, ihr Dorf lag am Sonnensee, der seinen Namen aufgrund seiner Form bekommen hatte und um den es einige Siedlungen gab. Wieder schmerzte sie die Sehnsucht nach ihrem vertrauten Zuhause. Außerdem war es ihr gar nicht recht, dass dieser Mann so viel über sie herausgefunden hatte, nur aufgrund ihres Namens. „Erst beantwortest du meine Frage“, sagte sie zerknirscht. Sie wusste, dass er bereits durchschaut hatte, dass er einen Treffer mit seiner Antwort gelandet hatte, aber sie wollte ihn einfach partout nicht bestätigen.
 

Er grinste nur noch breiter und antwortete: „Ich wohne hier in der Gegend und du und deine Hündin, ihr seid mir eben ins Auge gefallen während ich umherzog.“
 

Er wohnte hier? Atali konnte sich beim besten willen nicht vorstellen, dass hier irgendjemand lebte, abgesehen von einem Frostdrachen. Zumindest hoffte sie das letzterer hier lebte. Außerdem hatte sie beim besten willen niemanden gehört und Schneehunde wie Nim hatten ein sehr feines Gehör. Sicher war Nim schon ziemlich alt, aber das Gehör ihrer Rasse war bis ins hohe Alter exzellent. Log dieser Salis sie an? Doch bevor sie weiter darüber nachdenken konnte, ging ihr Frage- und Antwortspiel wieder weiter.
 

„Also, kommen wir auf meine erste Frage zurück“, sagte er. Er stand immer noch oben auf der Hügelkuppe und sah auf Atali und Nim herab. „Wo soll es denn hingehen?“
 

„Ich habe kein bestimmtes Ziel, was den Ort angeht“, gab Atali zur Antwort und überlegte sich die nächste frage, doch das stellte sich als gar nicht mal so leicht heraus. Das Stehen bekam ihr nicht gut und die Kälte machte ihr zu schaffen. Wieso überhaupt hielt sie sich mit diesem Salis auf? Sie sollte doch versuchen einen Frostdrachen zu finden. Genau, das ist es.
 

Salis, der ihre nebulöse Antwort schweigend hingenommen hatte, erwartete ihre nächste Frage. Diese aber überraschte ihn, denn von einem Mädchen wie Atali hätte er sie nicht erwartet.
 

„Gibt es hier Frostdrachen?“, wollte sie von ihm wissen und sie versuchte seinen veränderten Gesichtsausdruck zu deuten. Der Spot war etwas anderem gewichen. Überraschung, ja und noch etwas anderes. Es dauerte einen Moment länger als die male zuvor, bis Salis ihr eine Antwort gab. Sie war kurz und knapp. Ja.
 

Atalis Herz machte einen aufgeregten Hüpfer. Es gab tatsächlich Frostdrachen. Sie waren nicht nur eine Legende! Nim neben ihr spürte ihre Aufgeregtheit, jedoch waren ihre Augen weiterhin auf Salis geheftet, wie schon die ganze Zeit über. Ungeduldig wartete Atali, darauf, dass Salis ihr wiederum eine Frage stellen würde, damit sie schnellstmöglich wieder dran war.
 

„Also Atali, Frostdrachenjägerin“, sagte er und in seinem Gesicht spiegelte sich nun wieder ein spöttischer Ausdruck, doch Atali machte es nichts aus, dass sie mit dieser Frage wieder ein Stück von sich offenbart hatte, „Was hältst du davon, wenn wir unsere kleine Fragerunde auf meinem Schloss fortsetzen, wo es wärmer ist?“
 

Ein Schloss? Dieser Salis hatte ein Schloss? Hier in den Frosthügeln? Wieso wusste sie nichts von einem Schloss hier in der Gegend? Sie hätte sich wirklich besser auf ihre Reise vorbereiten sollen. Aber wollte sie wirklich mit einem Fremden mitgehen? Doch es war wirklich kalt und ihre Vorräte waren knapp. Wenn sie verhungern oder erfrieren würde, konnte sie den Frostdrachen auch nicht mehr finden. „Ja, ich denke, das wäre vernünftig“, sagte sie, „Ist es weit?“
 

„Nein, nicht allzu sehr“, antwortete Salis und stieg zu den beiden hinunter, was Nim zu einem tiefen Knurren veranlasste. „Nim“, sprach Atali ihre Hündin flüsternd an. Sie ging neben ihr in die Hocke und streichelte beruhigend über ihre Flanken, „Mir gefällt es auch nicht, aber es ist wirklich das beste so.“
 

„Na, kein Grund zu knurren werte Nim“, sagte Salis, „Ich werde euch kein Haar krümmen. Im Gegenteil, ich werde euch ein guter Gastgeber sein. Folgt mir.“
 

Während Atali sich bereits daran machte Salis zu folgen, setzte sich Nim nur widerwillig in Bewegung. Sie trottete neben Atali her und behielt den fremden Salis weiterhin argwöhnisch im Blick. Während sie zum Schloss gingen sprach keiner von ihnen ein Wort.
 

Schließlich erschien in ihrem Blickfeld das Schloss, oder vielmehr eine Burg.
 

„Was ihr hier seht ist Wintermond, mein Zuhause“, sagte Salis in einem feierlichen Tonfall.

Schloss Wintermond

Hoch ragten zwei Wehrtürme in den langsam lichter werdenden Himmel. Der Mond begann bereits zu verblassen und Salis Schloss wurde in ein dämmriges Licht getaucht. Vor dem Schloss gab es eine tiefe Spalte, die mit einer Zugbrücke überbrückt werden konnte. Das dazugehörende Tor war gewaltig und mindestens doppelt so hoch wie das Haus von Atalis Familie. An beiden Seiten des Tores hatte man die Abbilder von Tieren und Ungeheuern in den hellen Stein geschlagen. Über allen thronte eine Gestalt, für die Atali nur eine einzige Bezeichnung in den Sinn kam: Drache.
 

Auf den Zinnen stand niemand, der sie hätte sehen können, aber dennoch wurde die Zugbrücke heruntergelassen, sobald sie sich dem Schloss näherten.
 

Sie gelangten in einen Hof, den man frei von Schnee geräumt hatte. Der Hof war nicht sehr groß. Es gab ein weiteres Tor, das zu einem Pferch führte. Er beherbergte große Tiere, ähnlich den Blauhirschen, die in den Sommermonaten von den Männern ihres Dorfes gejagt wurden. Doch diese hier waren größer und ihre Geweihe wuchtiger, zudem war ihr Fell nicht bläulich schwarz sondern cremeweiß. Zufrieden fraßen sie ihr Futter, ein paar hoben neugierig ihren Kopf, als Salis und Atali an ihnen vorbei gingen.
 

Auf der anderen Seite gab es einen Zugang zu einem Gebäude mit einem gläsernen Dach und hohen Fenstern, jedoch war es gerade zu dunkel um zu erkennen, was sich darin befand.
 

Salis lies ihr aber auch nicht viel Zeit, in der sie sich hätte umsehen können. „Da vorne geht es ins Hauptgebäude“, sagte er und deutete auf ein Tor, dass in etwa ein viertel der Größe der Zugbrücke aufwies. An seinem Tonfall konnte Atali erkennen, dass sie dieses Tor genau jetzt benutzen würden und sich nicht weiter im Hof aufhalten würden.
 

Als sie eintraten wurden sie von einer Wärme empfangen, die Atali dazu veranlasste ihre Kopfbedeckung abzunehmen. Darunter kam das sommersprossige Gesicht eines jungen Mädchens zu Tage, dass bald zu einer jungen Frau heranreifen sollte, umrahmt wurde es von rötlich blonden Haaren.
 

Salis musterte sie erneut, doch Atali bemerkte dies nicht, da sie ihren Blick durch die Halle schweifen ließ. An den Wänden hingen, mit Mustern und Wappen bestickte Wandteppiche. Eine steinerne Treppe führte nach oben und einige Türen, vier an der Zahl führten vom Eingangsbereich weiter in andere Räumlichkeiten des Untergeschosses.
 

„Du brauchst ein Bad“, beschloss Salis, „geh einfach durch diese Tür dort.“ Er deutete auf eine der Türen neben der Treppe. „Ich werde dir frische Kleidung bringen lassen, danach können wir etwas essen.“
 

Atali mochte es nicht, dass Salis ihr sagte, was sie zu tun hatte, aber da sie hier in seinem Hause waren, gehorchte sie ihm. Immerhin wollte sie keinen Ärger mit ihm und noch hatte sie nicht ausgeschlossen, dass es sich bei ihm um einen Zauberer handelte und als Kröte würde sie wohl kaum an das Herz eines Frostdrachen kommen. Sie ging also durch die Tür, die er ihr gezeigt hatte. Nim folgte ihr, nicht ohne Salis nochmals einen misstrauischen Blick zuzuwerfen. Sie traute ihm nicht.
 

Das Mädchen Stieß die Türe zum Badezimmer auf und staunte erst mal. Zuhause badete sie lediglich im See oder in einem Waschzuber aus Holz. Sie wusste gar nicht, dass es Bäder dieser Art gab. Der Raum war mit hellem Stein ausgelegt. Im Oberen drittel gab es ovale Fenster, mit buntem Glas, doch am beeindruckendsten war die Badegelegenheit an sich. Es war ein Becken, dass die gesamte Stirnseite des Raumes einnahm. Darin könnten mindestens sechs erwachsene Männer Platz finden. Der Zulauf des Beckens sah wiederum aus wie ein Drache, ähnlich dem, der das Tor krönte. Aus seinem Maul spie er unaufhörlich Wasser in das Becken.
 

Nim legte sich neben der Türe zu Boden und bettete ihren Kopf auf ihre Pfoten. Atali lehnte ihren Speer gegen die Wand, dann trat sie an das Becken heran und steckte ihre Hand ins Wasser. Die Temperatur war genau richtig, weder zu heiß noch zu kühl. Langsam schälte sie sich Schicht um Schicht aus ihrer Kleidung. An der Wand fand sie in eingelassenen Schränkchen bunte Seifenstücke und Öle, die nach allerlei fremdartigen Dingen dufteten. Auch Handtücher befanden sich darin. Atali entschied sich für ein gelbliches Seifenstück, das fruchtig duftete und stieg damit ins Wasser.
 

Ihr letztes Bad doch schon einige Monate her. Ihre Holzvorräte des Dorfes waren bereits rationiert und so war es nahezu unmöglich an genügend heißes Wasser für ein Band zu kommen. Sie genoss das warme Wasser und den fremdartigen, süßlichen Duft der Seife.
 

Irgendwann schloss sie ihre Augen und ließ ihren Gedanken freien Lauf. Vielleicht war es ja Glück, dass sie Salis getroffen hatte? Vielleicht würde er ihr sogar bei ihrer Suche nach einem Frostdrachen helfen? Und wenn sie dann glorreich nach Hause zurückkehrte und das Ende des Winters mit sich brachte, wie sehr würde man sie feiern? Ihre Eltern, ihr Bruder, ihre Großmutter, alle wären stolz auf sie. Die unscheinbare Atali, Überbringerin des Frostdrachenherzens und Bezwingern des Winters. Ihr Ruhm würde bis über ihr Dorf hinauswachsen. Sie, die mutiger war, als alle Männer ihres Dorfes.
 

Dann öffnete sie ihre Augen wieder und ihr Blick viel auf den Drachenkopf des Wasserzulaufs. Vielleicht wäre es doch keine gute Idee, nach Salis Hilfe zu fragen. Der Drache hier und der Drache an der Tür... am ende verehrte man in diesem Haus die Frostdrachen? Ach, sie machte sich zu viele Gedanken. Drachen waren sehr beliebt als Dekoration.
 

Es klopfte an der Badezimmertür. Nim stellte sich vor Atali und das Becken. Das Mädchen selbst tauchte etwas weiter unter und legte ihre Arme auf den Rand. Nicht, dass es bei ihr sonderlich viel zu sehen gab. „Herrein“, sagte sie und eine junge Frau mit blondem, zu einem Zopf gebundenem Haar trat ein. Sie trug ein einfaches Gewand und schien eine Dienerin zu sein. „Ich bringe dir einen Bademantel“, sagte die Frau und hing den Mantel an einen Haken neben der Tür. „Brauchst du noch lange?“ „Nein, nein“, sagte Atali schnell, sie wollte dieser Frau keine Umstände machen. Sie stieg sogleich aus dem Bad und lies sich von ihr in den Mantel helfen. „Ich bringe dich gleich in dein Zimmer, dort werden wir dich für das Abendessen fertig machen.“

Nim beobachtete die Frau ähnlich argwöhnisch, wie sie es bei Salis getan hatte, jedoch knurrte sie nicht.
 

Sie und Nim wurden von der Frau, die sich als Iris vorstellte, in ein Zimmer im oberen Stockwerk gebracht. Das Zimmer war sehr komfortabel eingerichtet mit einem großen Bett, einem eigenen Kamin, in dem munter ein Feuer prasselte und einem großen Schrank mit passendem Spiegel. Dort wurde sie erst mal eingekleidet und frisiert. Noch nie in ihrem Leben war so viel Aufsehen um ihr Aussehen gemacht worden, kam es Atali in den Sinn. Dabei war sie nur irgendein Mädchen, dass der seltsame Hausherr in der Einöde aufgesammelt hatte. Sie versuchte eine Unterhaltung mit Iris zu beginnen.

„Was ist das eigentlich für ein Ort?“, fragte sie, als Iris ihr die Haare kunstvoll hochsteckte. „Das Schloss Wintermond?“, fragte Iris und hielt kurz in ihrer Tätigkeit inne um zu überlegen. „Man könnte sagen... es ist ein magischer Ort.“ Sie sah über Atalis Schulter und lächelte sie durch den Spiegel an. „Also, ist Salis ein Zauberer?“, stellte Atali schon die nächste Frage, da sich die Dienerin redewillig zeigte. Wer weiß was für Antworten sie Salis später noch entlocken konnte, wenn überhaupt.
 

„Salis ist vieles“, sagte Iris verschwörerisch und zupfte weiter an Atalis Haaren rum, „Unter anderem auch sehr gutaussehend, nicht wahr?“ Darüber hatte sich das Mädchen ehrlich gesagt keinerlei Gedanken gemacht. Nun, Salis war keineswegs unansehnlich. Auch wenn er irgendwie ungewöhnlich war mit seinen weißen Haaren und den grün-blauen Augen. „Schon irgendwie“, bestätigte Atali Iris, damit die Konversation am laufen blieb. „Schon irgendwie?“, fragte Iris lachend, „Ach, du bist noch ein junges, unbescholtenes Ding, ich sollte nicht mit dir über solche Dinge reden, hm?“ Atali lächelte unsicher. Ein junges, unbescholtenes Ding. Sie war doch kein kleines Mädchen mehr! Immerhin war sie auf einer gefährlichen Mission. Während andere Mädchen in ihrem Alter lernten zu Kochen und zu Nähen und was sonst noch für langweilige Dinge zu tun, war sie hier in der Wildnis und rettete ihr Dorf. Na gut, gerade war sie nicht in der Wildnis, aber sie würde sich wieder dorthin begeben und einen Frostdrachen finden. „Fertig!“, verkündete Iris stolz und Atali betrachtete sich im Spiegel.
 

War das wirklich sie? Sie sah so anders aus. Sogar ein bisschen älter, würde sie sagen. Ihre Lippen hatte Iris mit einem seltsam fettigem Stück Kreide eingefärbt, so dass sie nun rosig schimmerten. Sie trug ein edel aussehendes Kleid in grün, dass ihre schmale Taille betonte. Irgendwie gefiel sich Atali, wenn sie sich so sah, aber andererseits fand sie diese Verwandlung auch etwas beängstigend. „Na, was sagst du? Kann man so mit dem Herren des Hauses essen?“, fragte Iris. Atali nickte nur und betrachtete weiterhin verwundert ihr Spiegelbild.
 

Iris führte sie zu einem Raum in dem eine kleinere Tafel aufgebaut war. Sie solle sich schon einmal setzen, sagte Iris, Salis sei gleich hier. So lies sie Atali allein mit Nim, der man eine schale mit Wasser und eine weitere mit etwas Fleisch auf den Boden gestellt hatte. Sie lappte etwas Wasser und roch misstrauisch an dem Fleisch.
 

„Es ist nicht vergiftet, verehrte Nim“, sagte Salis, der Gerade den Raum betrat. Auch er hatte sich umgezogen. Er trug nun ein grünes Gewand, dass mit Stickereien in der Farbe seiner Augen verziert war. Sein Haar hatte er zu einem lockeren Zopf zusammen gefasst. „Ah, was für ein Anblick“, sagte er und nahm Atalis Hand und deutete einen Kuss auf eben dieser an. Seine Hand war kühl, nicht so kalt wie die eines Toten, aber auffällig kühl. Vielleicht bildete sich Atali das auch nur ein.

„Danke“, sagte sie und überlegte ob sie das Kompliment erwidern sollte. Sie dachte daran, dass Iris Salis sehr gutaussehend genannt hatte, Atali beschloss jedoch, bei ungewöhnlich zu bleiben. In der farbigen Kleidung wirkte er sehr bleich, seine Haut annähernd so weiß wie seine Haare.
 

Salis setzte sich gegenüber von Atali an den Tisch. „Wein?“, fragte er und nahm eine Karaffe zur Hand. Atali hatte noch nie in ihrem Leben Wein getrunken. Sie wusste nur, dass er die Sinne vernebeln konnte und etwas für die gehobenere Gesellschaft war. Andererseits konnte es ja nicht schaden zu probieren. „Ja bitte, aber nur ein bisschen“, sagte sie und lies sich von Salis den Becher füllen.
 

„Also, du sagtest du bist auf der Suche nach einem Frostdrachen?“, fing Salis das Gespräch an, während er sich selbst einschenkte.

„Ja, ich möchte sein Herz“, antwortete Atali, „Kannst du mir dabei helfen?“

„Hm, sein Herz also?“, fragte Salis und grinste verschwörerisch, „Ob ich dir dabei helfen kann...“ Salis Tonfall gefiel Atali nicht. Wieso antwortete er ihr nicht einfach?
 

„Ja, kannst du? Ich brauche es um den Winter zu beenden, der mein Dorf plagt“, sagte Atali und sah Salis hoffnungsvoll, aber immer noch mit einer Spur misstrauen im Blick an.
 

„Das ist ein nobles Vorhaben und auch kein leichtes Vorhaben“, sagte Salis und hob seinen Becher um ihr zu zuprosten und sie tat es ihm gleich. „Wie soll ich dir sagen... theoretisch könnte ich dir dabei helfen. Doch darüber sollten wir erst sprechen, wenn wir uns näher kennen.“ „Ich habe aber nicht viel Zeit, meinem Dorf geht es schon sehr schlecht“, warf Atali ein. Wenn Salis ihr nicht helfen würde, täte sie eben wieder alleine mit Nim losziehen. So wie sie es ursprünglich geplant hatte.
 

„Die Zeit wirst du dir nehmen müssen“, sagte Salis, „Abgesehen davon kommst du von hier nicht fort, wenn ich es nicht erlaube.“ Seine grünen Augen sahen direkt in Atalis blaue und der Ausdruck darin lies dem Mädchen flau im Magen werden. „Iss doch etwas“, sagte er viel zu sanft in Anbetracht seiner vorhergegangenen Aussage, und nippte an seinem Wein.
 

Sie war in eine Falle getappt. Was sollte sie jetzt tun? Ihren Speer hatte sie im Badezimmer gelassen und wenn Salis tatsächlich ein Zauberer war, würde auch Nim nicht viel gegen ihn Ausrichten können. Auch wenn sie ihr Glück gerne versuchen würde, wenn man den Blick betrachtete, mit dem sie Salis festnagelte. Dieser schien sich daran nicht zu stören, im Gegenteil, er schien sich darüber zu amüsieren. Am besten spielte Atali jetzt einfach mit. Sie nahm sich also etwas zu essen und nippte an ihrem Wein. Er war süß.
 

Salis beobachtete sie eine Weile. „Ich wollte dich nicht erschrecken“, sagte er. Sie sah ihn an. Was sollte man auf so etwas sagen? Er hatte ihr gerade offenbart, dass es seiner Laune oblag, ob sie eine Gefangene oder ein Gast war. Sie trank weiter von ihrem Wein. „Ich... du hast mich nicht erschreckt“, sagte sie und hoffte, dass Salis nicht erkannte, dass sie log. „Salis, wer oder was bist du?“, fragte sie und hoffte, dass er nicht zu verärgert war, für eine Antwort. „Ich bin der Herr dieses Hauses“, war seine Antwort, „Mehr brauchst du vorerst nicht zu wissen. Er zähl mir lieber etwas von dir.“
 

Sie sollte wohl besser tun, was er sagte, wenn sie jemals wieder hier weg kommen wollte.

„Nun, wie du weist komme ich vom Sonnensee, aus dem Dorf Seehaim. Mein Vater ist ein Fischer und meine Mutter arbeitet im Sommer auf den Feldern, wobei ich sie unterstützte. Meine Großmutter hat mir beigebracht zu lesen und zu schreiben. Mein Leben... ist recht beschaulich, wenn ich so darüber nachdenke“, begann sie zu erzählen, „Dann kam dieser Winter... wir hatten schon viele harte und lange Winter, aber keiner was so hart wie dieser hier und in einem Buch meiner Großmutter, fand ich die Legende vom Herz des Frostdrachen.“ „Und damit willst du den Winter in die Knie zwingen, so wie es dort beschrieben steht“, schlussfolgerte Salis. Atali nickte und fügte hinzu: „Leider steht nicht genau beschrieben, was mit dem Herz zu machen ist... aber ich glaube meine Großmutter weiß es, sie will es mir nur nicht sagen.“
 

„Ist dein Dorf zu retten der einzige Grund, warum du diese Gefahren auf dich nimmst?“, fragte Salis. „Natürlich, welchen Grund sollte ich sonst haben?“, fragte Atali und wieder log sie ihn an. An seinem Blick erkannte sie genau, dass er sie durchschaut hatte. Sie nahm einen Schluck Wein aus ihrem Becher und gab dann zu: „Na gut. Ruhm und Ehre sind natürlich auch nicht zu verachten.“
 

Salis lächelte. Doch es war kein freundliches lächeln. Er schüttelte den Kopf. „Ruhm und Ehre also, glaubst du wirklich es ist so einfach? Du bist ein Mädchen“, sagte er und Atali sah ihn zweifelnd an. Ja, sie war ein Mädchen. „Worauf willst du hinaus?“, fragte sie.

„Das wirst du schon noch lernen“, sagte Salis, „und ich überlege derweil ob ich dich für deinen Mut bewundern oder doch eher für deine Unwissenheit und Naivität bemitleiden soll, Mädchen.“ Atli leerte ihren Weinbecher und sah Salis verständnislos und gekränkt an. Sie war nicht naiv.
 

„Wie sieht es eigentlich aus, bist du bereits versprochen?“, fragte er sie und Atali stand der Mund offen. Versprochen? Verlobt? Sie? Nein. Nicht das sie wüsste und wenn, dann wollte sie es gar nicht wissen. „Nein, bin ich nicht“, sagte sie und erinnerte sich dunkel an ihre Freundin Mara, die ein Jahr älter war als sie selbst und Anfang des Jahres geheiratet hatte. Heiraten und mit einem Mann zusammen sein, das war für sie noch alles ganz weit weg. Zumal die Frage noch nicht geklärt war ob sie oder jemand, den sie eventuell heiraten konnte noch am Leben wäre, wenn das Ende des Winters kam. Das war alles ganz weit weg. „Wieso fragst du?“, wollte sie nun wissen. ER wollte sie doch nicht etwa am Ende heiraten? „Ach, nur so“, antwortete er und lächelte. Atali spürte wie ihr die Röte angesichts dieses Lächelns ins Gesicht stieg. „Vielleicht solltest du dich nun etwas ausruhen... und Nim vorher vielleicht davon überzeugen, doch etwas von diesem Fleisch zu versuchen“, sagte er.

Ein Traum vom Sommer

Sie konnte Nim tatsächlich davon überzeugen das Fleisch zu essen. Sie und Salis speisten ebenfalls zu Ende. Schließlich verabschiedete er sich und wünschte ihr eine Gute Nacht. Er sagte ihr, das Iris sie gleich abhole und anschließend wieder zu ihrem Zimmer geleite.
 

Sie wanderten durch die Gänge des Schlosses. Hie und da waren ein paar Fackeln ausgebrannt und durch die Fenster viel das fahle Licht der Dämmerung. Da es in der Legende hieß, der Frostdrache zeige sich nur in der Nacht, war Atali zumeist auch in der Nacht gewandert. Sie musste öfters Gähnen, während sie Iris folgte. „Na, wie fandest du dein Mahl mit Salis?“, fragte sie. „Das Mahl war ausgezeichnet, ich glaube der Wein ist mir etwas zu Kopf gestiegen und was Salis angeht bin ich immer noch nicht schlauer geworden“, gab Atali zur Antwort, „Ich hoffe nur, dass er mir hilft.“ „Wieso sollte er einem reizenden Mädchen wir dir seine Hilfe verwehren?“, meinte Iris darauf und öffnete die Türe zu ihrem Zimmer. Drinnen half sie Atali sich bettfertig zu machen.
 

Nun lag Atali in dem großen und bequemen Bett, Nim zu ihren Füßen auf der Decke. Die schweren Vorhänge vor den Fenstern tauchten das Zimmer in Dunkelheit. Atali starrte in eben diese Finsternis und versuchte ihre Gedanken zu ordnen. Was meinte Salis nur? War es wirklich so problematisch, dass sie ein Mädchen war? Doch was hätte sie den tun sollen? Ihre Hände in den Schoß legen und hoffen, dass sie es überstehen würden und nicht verhungerten? Das konnte sie nicht, das wollte sie einfach nicht. Sie musste etwas tun, wenn die Männer allesamt zu feige waren. „Wir tun doch das richtige Nim?“, fragte sie.
 

Sie hatten sich vor etwa sieben Tagen heimlich in der Nacht aus dem Dorf gestohlen. Sie hatte ihrer Großmutter einen Brief hinterlassen, der ihr sagte, was sie tat und in der sie ihre Hoffnung ausdrückte das Herz des Frostdrachen schnell zu erhalten und zurück zu kehren. Doch jetzt erst begann sie erst richtig über die Tragweite ihrer Handlungen nachzudenken. Ihre Familie machte sich sicher große Sorgen um sie und sie wusste nicht, ob sie sie jemals wieder sehen würde. Worauf hatte sie sich da nur eingelassen? Sie musste Salis dazu bringen ihr zu helfen. Sie glaubte einfach fest daran, dass er es konnte. Er musste nur noch überzeugt werden, doch wie sollte sie das nur anstellen?
 

Wenn sie sich nicht ganz täuschte, schien er ja ein gewisses Interesse an ihr zu haben. Wie gut, dass sie sich in der Dunkelheit nicht zu sehen brauchte. Sie war sicher rot bis zu den Haarspitzen. Sie wälzte sich hin und her und versuchte Schlaf zu finden. Doch mit all ihren Sorgen war das gar nicht so leicht. Am liebsten hätte sie geweint, doch sie war immerhin eine angehende Heldin, da konnte sie es sich nicht erlauben zu weinen. Sie spürte wie Nim ihren Kopf auf ihre Beine bettete und auch wenn sie die Augen der Hündin nicht sehen konnte, so glaubte sie doch ihren Blick auf sich zu spüren. Atali wurde ruhiger und fand schließlich den Schlaf, denn sie so sehr brauchte.
 

Es war Sommer und sie saß am Sonnensee. Sie beobachtete die Boote der Fischer auf dem Wasser, die Vögel am Himmel und neben ihr saß jemand, ein junger Mann, sie hatten vertraut ihre Finger in einander verschenkt. In der Nähe hörte man Kinder lachen und Spielen. Frauen trugen üppige Körbe mit Beeren ins Dorf und vollbeladene Karren werden eingefahren. Der junge Mann neben ihr beugte sich zu ihr hinüber und flüsterte ihr etwas ins Ohr: „Damit es wahr wird, brauchst du das Herz des Drachen“ Atali wollte ihm antworten, dass sie es doch wusste, dass nur nicht wusste wie. Sie wandte sich dem Mann zu, doch er war verschwunden. Sie saß nicht mehr am See, sondern befand sich nun vor Schloss Wintermond. Über dem Schloss hing ein voller Mond am Himmel. Sie trug noch immer die Sommerkleidung, die sie am See getragen hatte. Sie starrte in die Augen des Drachen über dem Tor. Seine Augen, sie wirkten auf einmal so echt, sie schauten sie an. Sie waren grün-blau und blinzelten. Auch der Rest des Drachens schien plötzlich sehr lebendig. Er schüttelte seine Flügel reckte seinen langen schuppigen Hals in ihre Richtung. „Du willst mein Herz?!“, zischelte er und klang empört und amüsiert zugleich. Sie konnte nichts sagen und der Drache brüllte sie laut an. „Sag schon! Willst du mein Herz?“ Sie nickte. Sie nickte heftig. „Ja, ich will es, ich brauche es!“, antwortete sie ihm. Der Drache brüllte nochmals, es klang fast wie ein Lachen. „Weist du kleines Mädchen überhaupt, was es heißt das Herz eines Drachen zu haben?“ Er löste sich nun komplett von der Mauer und flog in den Himmel, immer höher und höher. „Weißt du’s? Weißt du’s?“, rief er immer wieder. Irgendwann waren seine Rufe nicht mehr zu hören und auch der Drache war nicht mehr zu sehen. Atali stand verloren vor dem Schloss. Ihr war kalt. Dort wo der Drache in der Mauer gesessen hatte, klaffte nun ein Loch. Sie würde erfrieren. „Salis?“, rief sie. „Salis, lass mich rein!“, bat sie. Doch keiner antwortete. Stattessen hörte sie nun vom Himmel her ein Geräusch, dass sehr schnell näher kam. Es war der Drache! Er stürzte sich im Sturzflug auf sie, sie wollte loslaufen, doch ihre Beine waren wie festgefroren. Immer näher kam der Drache...
 

Mit einem Schrei erwachte Atali aus ihrem Traum. Sofort war Nim an ihrer Seite und sie drückte ihre Nase in das weiche Fell der Schneehündin. Was bedeutete es das Herz eines Drachen zu haben und wie bekam man es? So viel hing davon ab. Oder nicht? Wer konnte schon sagen, ob es nicht schon bald wieder wärmer werden würde und der Frühling Einzug hielt am Sonnensee? Doch irgendetwas sagte ihr, dass es nicht so ist, dass sie tatsächlich das Herz des Frostdrachen brauchten, um den Winter zu besiegen. Aber hatte sie sich vielleicht zu viel zugemutet? Hätte sie einfach hartnäckiger sein sollen, damit sich jemand anderes auf die Suche nach einem Frostdrachen machte? Sie wusste es einfach nicht. Überhaupt wusste sie gar nichts. Sie war ein kleines Mädchen. So wie Salis es gesagt hatte und so wie es der Drache in ihrem Traum gesagt hatte. Das hier war alles viel zu groß für sie. Jetzt weinte sie endlich. Still und heimlich liefen die Tränen in Nims Fell und diese lies es geschehen. Schließlich hatte die angehende Heldin Atali genug geweint und viel wieder in den Schlaf. Dieses mal ohne von Sommern am See, Drachen oder ähnlichem zu träumen.
 

*
 

Salis derweil stand auf einem seiner Türe und Blickte in Richtung Südost. Aus dieser Richtung war das Mädchen gekommen. Wegen einer Legende, die er eigentlich längst von der Welt vergessen geglaubt hatte. Doch eben diese Legende hat Atali dazu gebracht, sich hier her zu begeben. Er hatte sie eher zufällig entdeckt und wer weiß, ein, zwei Tage später und sie wäre vielleicht tot gewesen. Der Winter musste wirklich hart für die Menschen am See sein, wenn er ein junges Mädchen zu so einer verzweifelten Tat trieb. Er kannte den Sonnensee nur aus Erzählungen, dabei wäre es ein leichtes für ihn sich dorthin zu begeben. Er könnte sich an jedem beliebigen Ort dieser Welt begeben, doch er blieb in den Frostmeer-Hügeln, die nahezu das gesamte Jahr von Eis und Schnee bedeckt waren. Selbst wenn er sich dazu entscheiden würde irgendwo anders Leben zu wollen, am Ende würde er doch zurückkehren. Hier in dieses Schloss, in dem sein Geschlecht schon immer gelebt hatte, unter dem fahlen Wintermond. Einer von ihnen musste der Herr über die Feste sein. Hier in der Einsamkeit.
 

Er würde dem Spiel des Windes über den weißen weiten lauschen und dem Fließen des Wassers, wenn die Sonne es schließlich doch schaffte, die Hügel für ein paar Monate von ihrer weißen Decke zu befreien. Dieses Jahr hörte er es noch nicht, das vertraute Geräusch. Der Winter weigerte sich zu weichen.
 

In seinen Augenwinkeln sah er wie sich die Sonne über die Hügel erhob. Dem Himmelsstern fehlte es noch an Kraft, seine wärme- und lebensspendende Wirkung zur Entfaltung zu bringen.
 

Ja, auch er fühlte, das dieser Winter anders war.



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Kommentare zu dieser Fanfic (3)

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Von:  Dragonangel-Jana
2014-02-02T18:25:06+00:00 02.02.2014 19:25
gleich mal vornweg: Salis hat`s mir angetan <3
Er wirkt beim Lesen so authentisch und geheimnisvolle Männer, die auch noch gut aussehen, sind irgendwie total anziehend.
Auf jeden Fall wären die zwei ein interessantes Pärchen.
Deine Story liest sich richtig gut und ich bin sehr gespannt, wie`s weiter geht. :)

LG DA-Jana *-*
Von:  Taroru
2013-01-22T16:01:28+00:00 22.01.2013 17:01
*sich vorsichtig um schaut*
*rein tippel*
also.... ich muss sagen, ich habe diese story schon ein bissel länger in meiner liste drin... und hab den anfang auch schon lange gelesen... nur geschrieben habe ich noch nichts, weil ich mir nicht sicher war, ob du mein entresse halten kannst oder nicht :-p
aber doch, du hast mich so gar noch mehr neugierig gemacht :-)
ich finde du hast die worte gut gewählt. es macht spaß zu lesen. die dialoge wirken durch aus lebendig. auch das geschehen selbst, es wirkt nicht so übermenschlich oder so, sondern doch durch dacht. ich finde jedenfalls, das manche dinge einfach sinn machen. wie sie reagieren und mit einander umgehen.
ein paar dinge kamen schon ein bissel holperig rüber, aber ich denke es ist einfach die art atali, sie ist einfach so und das finde ich gut so :-)
ich denke, ich werde die story auf jeden fall weiter verfolgen. schließlich will ich nun wissen, was salis ist. und was es mit dem herzen auf sich hat :-)
also, lass mich bitte nicht so lange warten, mein lesehunger ist noch lange nicht gestillt :-D

gruß taroru
Von:  Shishara
2013-01-03T22:59:00+00:00 03.01.2013 23:59
Also es ist ja noch nicht allzu viel in deiner Geschichte passiert. Trotzdem dachte ich mir.. wäre es nett wenn ich.. wo ich sie schon mal durchgelesen habe auch gleich einen Kommentar hinterlasse ^^ Ich muss sagen das Gerüst deiner Geschichte gefällt mir bisher. Ich weiß nicht warum aber ich wurde sehr von dem Hund angetan, der deine Protagonistin begleitet und hoffe das die Hündin noch mehr hervor gehoben wird :D Ich weiß noch nicht genau ob ich deine Geschichte bis zum ende verfolgen werde, da mir die 5 Seiten noch nicht wirklich zum einlesen gereicht haben. Aber ich werde mir auf jeden Fall dein nächstes Update durchlesen :)

LG. Shishara ^.^


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