Alle Jahre wieder von Raschka ================================================================================ Kapitel 1: Die Welt, in der wir leben ------------------------------------- Heute fällt der Schnee in großen Flocken vom Himmel. Überall leuchtet mir das unschuldige Weiß entgegen. Das unschuldige Weiß, an dem man jeden Makel erkennt. Ich bin einer dieser Makel. Die kalte Winterluft sticht in meiner Lunge, als ich tief einatme und den Kopf in den Nacken lege, um den grauen Himmel über mir zu betrachten. Grau und öde, leer und grausam. Ja, der Winter ist grausam. Grausam kalt für alle anderen. Doch für mich ist die Kälte schon beinahe tröstlich, wenn ich mir vorstelle, dass das Eis nicht nur den See gefangen hält, an dem ich gedankenverloren sitze,und die Tiere in einen tiefen Winterschlaf schickt, sondern auch mein dummes, kleines Herz. Es erstarrt einfach und hört auf, zu schlagen. Und dafür bin ich dankbar. Denn ich zerbreche an dem Schmerz, der mein Herz jeden Tag in meinem Leben mit scharfen Klauen zerreißt. Ihn nicht mehr fühlen zu müssen, kommt Vergessen schon sehr nahe. Es macht es erträglich, weil ich weiß, dass der Tod nicht kommen würde. Noch nicht. Für mich ist es kein Leben mehr, das ich führe. Für mich ist es einfach nur noch ein Warten. Ich sehe mich um. Lasse meinen Blick über die graue Landschaft schweifen, über die schneebedeckten Tannen, den zugefrorenen See, die sanft geschwungenen Hügel. Eine Welt, in der die Farben verblassten und alles gewöhnlich wurde. Ich lebe in derselben Welt, wie alle anderen. Ich habe nur mehr davon gesehen. In dieser Welt, die ich gesehen habe, will ich nicht leben. In einer Welt, in der es egal ist, wer du bist und was du tust, solange du mit trübem Blick wie ein Schatten den anderen Schatten folgst und keine Fragen stellst. Solange du nicht anders bist, als der Rest, ständig in der Illusion gefangen, ein eigenes Leben zu führen. Wenn du die Augen öffnest, zerbrichst du an der Realität. Ich hatte mein eigenes Leben. Einen Sommer lang hatte ich mein eigenes Leben. Bis der Tod es mir wieder genommen hatte. Denn das ist die Bedeutung von "Leben". Es ist vergänglich. Irgendwann verschwinden die Farben und die Wärme. Irgendwann endet jedes Leben. Dieser Vorgang wiederholt sich alle Jahre. Im Frühling wird ein Leben erschaffen, ein Leben, das wächst. Im Sommer wird ein Leben geformt, ein Leben, das aufblüht. Im Herbst wird ein Leben zerstört, ein Leben, das verwelkt. Im Winter wird ein Leben genommen, ein Leben, das stirbt. Ich weiß, dies wird mein letzter Winter sein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)