You're second to none von Ryo (NaNoWriMo 2012) ================================================================================ Kapitel 12: Kapitel zwölf ------------------------- Was hatte ich nur gemacht? Was nur? Ich hatte gerade meinen Bruder geküsst! Für einen Moment die Beherrschung verloren und schon war es passiert. Mein Körper schien immer noch zu glühen, doch das war mir egal. Er sollte aufhören damit. Ich hatte gerade innerhalb von 5 Sekunden unsere Beziehung von etlichen Jahren kaputt gemacht. So etwas zerstört Vertrauen. Ganz und gar. Das hätte ich eigentlich wissen müssen. Ich hatte das selbe getan, was Blake bei mir gemacht hat. Verdammt. Ich rutschte an der Zimmertür hinab, lehnte mich an diese und zog die Beine an. Jetzt war alles aus. Alles war vorbei. Tränen rannen mir über die Wangen. Diese Worte... diese Worte, die mein Herz einen Marathon haben laufen lassen... sie sorgten dafür, dass mein Verstand aussetzte. Ganz und gar. Oh Dem, du bist so doof... das hast du nun davon, wenn du deinen Verstand ausschaltest und das Herz machen lässt. Scheinbar konnte ich mich auf keine der beiden Seiten verlassen. Was ich auch machte, es ging schief... es war mir egal, dass dieser Kuss das Schönste war, was ich je erlebt hatte. Trotz der Flüchtigkeit. Ich wollte es rückgängig machen, wollte die Zeit zurück drehen, aber das ging natürlich nicht. Ich hatte Jay verloren. Für immer. Es klopfte an der Tür. „Dem? Ich weiß, dass du da drin bist, mach die Tür auf.“ Ich antwortete nicht. Ich konnte ihn gerade nicht in die Augen sehen. Sollte er mich doch durch die Tür fertig machen. Ich schlang meine Arme um die Beine und legte den Kopf auf diese. Er klopfte noch einmal. „Glaubst du echt ich sei angepisst, nur weil du mich geküsst hast?“ Nur? NUR? Ich hab gerade meinen Bruder geküsst und er tut so, als wäre das ne Lappalie? Meine Atmen ging schneller. „Mach die Tür auf. Bitte.“ Ich bewegte mich nicht. „Dem, ich klettere sonst durchs Fenster oder schlag durch Graces Zimmer die Wand ein. Bitte. Ich will nicht durch ein Holzbrett mit dir reden.“ Ich schluckte. Langsam, nur ganz langsam ließ ich von der Tür ab, rappelte mich hoch und öffnete das Schloss. Ich ging ein paar Schritte in den Raum hinein, ließ den Kopf hängen. Die Tränen wollten nicht aufhören. Jay öffnete die Tür und kam unweigerlich auf mich zu, zwang mich in eine Umarmung. „Hey. Ich sagte doch es ist okay, hör auf zu weinen. Alles ist gut.“ Ich wollte mich von ihm lösen, aber mein Körper gehorchte nicht. Stattdessen klammerte ich mich an ihn, zog mich näher an seinen Körper, vergrub meinen Kopf an seine Halsbeuge und schluchzte. Er strich mir beruhigend über den Rücken. Ich konnte die ganze Situation absolut nicht einschätzen. Er müsste sauer auf mich sein oder zumindest eine Erklärung verlangen. „Jay... du bist mein Bruder.“ „Stiefbruder. Ja.“ Ich sah auf. Es war das erste Mal, seit wir uns kannten, dass er diesen kleinen, doch wichtigen Unterschied aussprach. Dass wir nicht blutsverwandt sind, hatte bis jetzt nie interessiert. „Du bist Familie. Man küsst seine Familie nicht.“ „Warum hast du es dann gemacht?“ In der Frage klang weder Anklage noch Verurteilung, jeder Abscheu noch Spott. Einfach nur Neugierde. „Ich... es tut mir Leid.“ „Hey, das bedeutet nicht, dass du dich dafür entschuldigen musst.“ Nicht? Jetzt war ich endgültig verwirrt. Ich schaute ihn fragend an. Er strich mir eine Strähne aus dem Gesicht, lehnte sich vor und legte seine Lippen auf meine. Nur kurz. Ganz kurz. Und dennoch. Meine Wangen färbten sich augenblicklich rot. „W-was...“ Er lächelte. „Ich fand es nicht schlimm. Es war eigentlich ganz schön.“ Es war... was? Okay, Stop. Ich würde gleich aufwachen und in meinem Bett liegen. Mit Sicherheit. Das passierte gerade nicht wirklich, oder? Aber es fühlt sich so real an... Okay! Wenn es ein Traum war, konnte ich auch alles auf eine Karte setzen. Wenn nicht jetzt, dann nie. Ich suchte den Augenkontakt. „Ich liebe dich, Jay.“ Meine Stimme war seltsam klar und deutlich und ich dankte ihr in diesem Moment, dass sie nicht abbrach. Nun war es an ihm rot zu werden. Er sah überrascht aus, öffnete seinen Mund um etwas zu sagen, schloss ihn aber gleich wieder, lächelte stattdessen. Er schlang seine Arme um meinen Hals. Ich erwiderte die Umarmung. Wir blieben eine Weile so stehen bis er seine Stimme wiederfand. „Weißt du... ich hab das vorhin ernst gemein. Dass ich mir manchmal wünsche, einfach mit dir zusammen sein zu können.“ „...Aber?“ „Kein Aber. Was meinst du?“ Ich schaute ihn fragend an. „Wir sind Brüder, Jay...“ Er löste sich aus der Umarmung, legte seine Hände auf meine Schultern. „Fakt ist, wir sind Stiefbrüder. Das ist weder verboten, noch strafbar. Fakt ist, du bist für mich der wichtigste Mensch der Welt. Und Fakt ist, dass dieser Kuss vorhin mir sämtliche Sinne geraubt hat. Also, was soll daran falsch sein?“ Es waren genau die Punkte, die Chris mir immer runtergebetet hatte, als ich ihr von meinen Problemen erzählte. Doch ich hätte in meinem Leben nie gedacht, dass Jay es genauso sehen würde wie sie. „Dem, diese Frage ist vielleicht wahnsinnig veraltet, aber trotzdem: Willst du mit mir gehen?“ Erneut rannten mir Tränen in die Augen. Wann bitte war ich so sentimental geworden? Aber diese Frage aus seinem Munde zu hören... ich war immer noch der festen Ansicht, dass ich träumen musste. Ich lächelte, legte eine Hand auf seine Wange. „Ja... ja, natürlich. Nichts würde ich lieber.“ Es war einfach so irreal. Es war alles, was ich mir je gewünscht hatte. Und doch, es passierte. „Darf ich dich küssen?“ Ich musste nachfragen. Ich wollte nichts tun, was ihn vielleicht umstimmen könnte. Jay schloss die Augen und grinste. „Natürlich.“ Ich lehnte mich vor und zum dritten Mal an diesen Tag trafen sich unsere Lippen. Diesmal löste sich der Kuss allerdings nicht wieder nach einigen Sekunden, sondern ging sehr viel länger und war viel intensiver. Leicht saugte ich an deiner Unterlippe, erst sehr vorsichtig, dann etwas fordernder. Stupste mit der Zunge an seine Lippen. Er öffnete diese ein wenig und gewährte mir Einlass. Sanft tippte ich seine Zunge an, forderte sie auf mit meiner zu tanzen, zu spielen. Es war unbeschreiblich. Mein Körper kribbelte vor Aufregung, meine Knie wurden weich und es fiel mir schwer, mich aufrecht zu halten. Ich hätte ihn am liebsten noch stundenlang so geküsst, wenn wir nicht die Zimmertür von Grace gehört hätten. Schlagartig lösten wir uns voneinander und schauten zur Tür, wo unsere Schwester drei Sekunden später auch schon auftauchte. Sie schaute uns skeptisch an. „Was macht ihr denn hier?“ Es musste wirklich komisch aussehen, wie wir beide nun so völlig planlos mitten im Raum standen. „Gar nichts. Wir wollten gerade gehen.“ Jay ergriff mein Handgelenk und zerrte mich aus dem Bad und in unser Zimmer, welches er hinter sich abschloss. Ich bemerkte, dass er mindestens so rot sein musste wie ich. „Sie muss es nicht unbedingt wissen, oder?“ Ich schüttelte mit dem Kopf. „Nein... und unsere Eltern auch nicht... und die Anderen...?“ Jay schwieg einen Moment, zuckte dann mit den Schultern und setzte sich auf sein Bett. „Weiß nicht... ich weiß nicht mal wer genau weiß, dass wir nicht richtig verwandt sind. Meinst du, das kommt komisch, es öffentlich zu machen?“ „Wahrscheinlich...“ Ich hatte mir darüber nie Gedanken gemacht. Ich hatte nie gedacht, dass dies jemals passieren könnte. Doch jetzt war es passiert und jetzt kommt das Danach. „Also bleibt es unter uns?“ Er seufzte. „Irgendwie ist das schade.“ Ich setzte mich neben ihn, lehnte meinen Kopf an seine Schulter. Er schlang seinen Arm um mich, fuhr mir durch die Haare. „Es ist jetzt schon mehr, als ich mir je erhofft hatte.“ Ich schloss die Augen. „Dem? Wie lange bist du schon...“ Er zögerte. „...in mich verliebt?“ Jetzt war die Katze aus dem Sack, also konnte ich ihm auch alles erzählen. „Ne Ganze Weile. Ein paar Jahre vielleicht. Ich weiß es nicht mehr.“ Er schwieg einen Moment. „So lange...“, seine Stimme wurde leise. „Dann muss die Sache mit Summer... oh shit.“ Ich nickte nur. „Jetzt versteh ich das alles ernst. Oh es tut mir leid, Dem. Warum hast du nichts gesagt?“ Ich schnaufte. „Ich hatte ne Heidenangst dich deswegen zu verlieren. Sag mir mal wie wahrscheinlich es ist, dass ein Bruder die Gefühle seines Bruders erwidert.“ „Sag nicht ständig das Wort ‚Bruder’...“ „Aber es ist doch so. Du bist Familie, Jay. “ „Momentan bin ich dein Partner und nicht dein Bruder.“ Mein Herz setzte einen Schlag aus. Das war... Wow. Es von ihm so ausgesprochen zu hören. Ich hätte dahinschmelzen können. Ich zog ihn in einen erneuten Kuss. Jay grinste. „Deine Küsse sind tausendmal besser als die von Summer.“ Eine ganze Weile blieben wir einfach nur auf dem Bett liegen, sahen uns in die Augen, küssten uns gelegentlich. Es kam mir so unwirklich vor, dass die ganze Sache mit Blake erst gestern war. Es kam mir vor, als sei es eine Ewigkeit her. Überhaupt kam mir alles um mich herum gar nicht mehr wichtig vor. Ich wollte, dass dieser Moment nie aufhörte. Ich hatte ihn hier neben mir liegen. In meinen Armen. Als meinen festen Freund. Ich hätte nie gedacht, diese Worte wirklich einmal aussprechen zu dürfen. Doch sie gingen in meinem Kopf, die ganze Zeit. Und sie waren real. Wirklich. Ich wollte mich nicht von Jay lösen, doch die Zeit verging und ich musste wohl oder übel unter die Dusche. Das heiße Wasser prasselte auf mich nieder. Wir waren wirklich zusammen. Ich hatte das Gefühl, eine kaputte Schallplatte würde immer wieder die gleichen Wörter abspielen. Als ich zurück ins Zimmer kam, hatte Jay sich schon fertig gemacht und lag in seinen Bett unter die Decke gekuschelt. Ich stand einige Sekunden im Raum, wusste nicht so recht, was ich jetzt machen sollte. Konnte ich zu ihm ins Bett? Oder war das zu früh? Vielleicht war ihm das genug Gekuschel für einen Tag? Sollte ich ihn fragen? Aber das kommt auch irgendwie komisch, oder? Durch unsere jetzige Beziehung hatte sich für mich scheinbar alles verändert. Sämtliche Situationen mussten nun in einen anderen Licht betrachtet werden, über das ich mir bis jetzt natürlich keine Gedanken gemacht hatte. Natürlich hatte ich oft genug diese 'Was-wäre-wenn' Szenarios, die sich in meinem Kopf abspielten, aber diese gingen nie weiter als bis zum Liebesgeständnis und deren Reaktion, die in den meisten Fällen nicht unbedingt zu meinem Vorteil ausgingen. Ich ging in Richtung meines Bettes, war schon im Begriff, mich in dieses zu legen, als Jays Stimme mich aufhielt. "Dem? Komm her..." Ich hielt in der Bewegung inne, sah auf die andere Seite des Raumes. Jay hielt seine Decke hoch, bot mir so an, mich zu ihm zu legen. Ich lächelte. Innerhalb weniger Schritte war ich bei ihm und kuschelte mich an seinen kleineren Körper. "Das ist alles noch so wahnsinnig neu. Ich hab keine Ahnung, was okay ist und was nicht.", gab ich offen zu. "Geht mir genauso." Er strich mir übers Haar. "Aber das wird schon mit der Zeit." "Ja." Das würde es sicher. Meine Gedanken rasten. Ich fragte mich, wie ich schlafen sollte, mit diesem Kopf und dem rasanten Herzschlag, den Jays Anwesenheit verursachte. Mir gingen alle möglichen Dinge durch den Kopf. Was, wenn es schief ging? Wenn er irgendwann merkte, dass es nicht so ist, wie er es sich vorgestellt hatte? Wenn ich seine Erwartungen nicht erfüllen konnte? Was war dann? Man wünscht sich zwar, nach einer Beziehung könnte man dort weitermachen, wo man davor war, aber die Realität sah anders aus. Ich hatte mal einen sehr schönen Gedankengang gelesen und versuchte mich an diesen zu erinnern. "Kann man wirklich noch miteinander befreundet sein, nachdem man Schluss gemacht hat? Du gibst einer Person alles von dir. Nach und nach lernt sie alles von dir, jede noch so bedeutungslose Kleinigkeit. Aber plötzlich verschwindet das. Es gehört dir nicht mehr und du sollst irgendwie damit klar kommen. Da sind diese schrecklichen Pausen, wo das 'Ich liebe dich' hingehörte und die farbigen Unterhaltungen werden trübe und schmerzhaft. Und auch wenn die Jahre vergehen kannst du immer noch nicht normal mit ihr sprechen, weil das Reden allein dich bereits daran erinnert, warum du dich damals in sie verliebt hast..." Es war so wahr. Und davor hatte ich panische Angst. Sollte ich Jay von dieser Angst erzählen? Es würde sicher nicht falsch sein, wenn er davon wusste. "Jay?" Doch er antwortete nicht. Ich hörte den gleichmäßigen Atem neben mir. Er war bereits eingeschlafen. Ich musste schmunzeln. Genau so kannte ich meinen Sonnenschein. Ich drückte ihn einen Kuss auf die Stirn und rückte noch ein Stückchen näher, so dass kein Platz mehr zwischen uns war. Wie es morgen in der Schule wohl aussehen würde? Es war wirklich alles komplett neu... aber es war so, wie ich es immer haben wollte. Ich schloss die Augen und ungewöhnlich früh war auch ich weggenickt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)