You're second to none von Ryo (NaNoWriMo 2012) ================================================================================ Kapitel 19: Kapitel neunzehn ---------------------------- Ich gab Chris am nächsten Tag in der Schule den Schlüssel zurück und bedankte mich noch einmal, dass sie uns ihre Wohnung geliehen hat. „Kein Problem, Dem. Solange das nicht zur Gewohnheit wird.“ „Keine Sorge. Auf Dauer werden wir uns etwas anderes einfallen lassen. Ich weiß zwar noch nicht was, aber uns wird schon was einfallen. So selten ist es auch nicht, dass wir mal sturmfrei haben.“ Sie lächelte und versuchte der Aufgabe, die an der Tafel vorgerechnet wurde, zu folgen. Ich schaute gelangweilt aus dem Fenster. Mittwoch, die ersten beide Stunden. Mathe im Leistungsgrundkurs. Ich langweilte mich zu Tode. Wer kam noch mal auf die Idee? Ich hoffte echt, dass sich diese beiden quasi verlorenen Stunden nicht in den Endprüfungen bemerkbar machten. Sehnsüchtig wartete ich auf die Pause. Der Schultag ging schnell vorbei. In den beiden Stunden Englisch sahen wir einen Film und in Physik machten wir mit den Übungen für Montag weiter. Ich hatte fast alle Aufgaben, die ich zu Hause bearbeitet hatte, richtig, aber bemerkte, dass ich trotzdem noch ein bisschen was tun musste. Dafür waren die Lösungswege einfach zu lang und manchmal zu unübersichtlich. Ich schloss die Haustür auf, entledigte mich Jacke und Schuhe und machte mich auf den Weg in die Küche, um mir eine Pizza in den Ofen zu schieben. Jay wollte nach der Schule noch zu Lucas um für einen Test morgen zu lernen und würde dort auch essen. Warum mussten die Lehrer die Tests und Klausuren immer kurz vor die Ferien legen und dann alle auf einmal? Ich grummelte. Nachdem ich gegessen hatte, ging es zurück an den Schreibtisch, erst Hausaufgaben machen und dann weiter lernen. So war zumindest der Plan. Ich war gerade bei meinen Geschichtshausaufgaben als es an der Tür klopfe. Ich schaute überrascht auf. „Herein.“ Grace öffnete die Tür und trat ins Zimmer, setzte sich auf Jays Bett. Ich schaute sie verwirrt an. „Ich brauch deinen Rat, Demian.“ Was bitte...? Seit wann brauchte sie meinen Rat? Sie hatte genug Freundinnen, die sie fragen konnte. Wir lebten normalerweise nebeneinander her und redeten nicht allzu viel miteinander. „Schieß los.“ Nun war ich doch schon neugierig. „Ich... weiß nicht so recht, wie ich das sagen soll.“ Ich zog eine Augenbraue nach oben. „So wie es ist und klar heraus würde ich sagen.“ „...okay.“ Sie atmete einmal tief durch. „Ich bin schwanger.“ „...“ Ich brauchte ein paar Sekunden um diesen Satz zu begreifen und zu verdauen. „...du bist WAS?“ „Hast schon richtig verstanden. Ich bekomm ein Baby.“ „Gewollt?“ „Nein, das ist es ja. Und ich... ich weiß nicht, was ich machen soll.“ Tränen stiegen ihr in die Augen, sie vergrub das Gesicht in den Händen. „Erst einmal ruhig bleiben. In welchen Monat bist du?“ „Ende des Zweiten meint der Frauenarzt. Ich habs auch heute erst erfahren, als ich da war. Eigentlich nur zur Routineuntersuchung und weil meine Periode schon zum zweiten Mal ausblieb.“ Zu viele Informationen, danke. „Weiß dein Freund schon davon?“ „Nein... ich wollt ihm das später noch sagen.“ „Und warum fragst du mich um Rat und nicht später ihn?“ „Weil...“ Noch einmal holte sie tief Luft. „Ich weiß nicht ob ich es behalten will. Aber eigentlich kann doch das Kind nichts dafür, dass wir nicht aufgepasst haben. Ich will es zumindest zur Welt bringen, ob ich es aufziehen kann ist die andere Frage. Aber so oder so werd ich es Ma und Richard sagen müssen. Und ich dachte vll. kannst du mir helfen.“ „Es den beiden beizubringen? Hmmm...“ Ich wusste wirklich nicht, wie beide reagieren würden. Im Grunde waren sie recht locker, aber ein Kind ist eine große Verantwortung. Und die Beiden würden diese mit tragen müssen, immerhin ist Grace erst 18 und wird auf jeden Fall Erziehungsbeistand brauchen. „Traust du dir ein Kind denn zu?“ „Ich... weiß es ehrlich gesagt nicht. Ich hab mir darüber nie Gedanken gemacht. Wer konnte denn auch ahnen, dass es so früh passiert?“ „Das sind halt die Risiken beim Sex.“ Zumindest bei dem zwischen Mann und Frau. Sie fing an zu schluchzen, Tränen rannen ihr über die Wangen. „Hey...“ Ich setzte mich neben ihr aufs Bett, legte einen Arm um sie und versuchte meine Schwester zu beruhigen. „Mach dir mal keinen Stress. Dass du schwanger bist ist nicht der Untergang der Welt. Wir werden das Ma und Richard heute Abend in aller Ruhe erklären und dann könnt ihr zusammen entscheiden, was die beste Entscheidung ist. Wenn du das Kind auf jeden Fall austragen möchtest hast du immer noch... sieben Monate Zeit um dir zu überlegen ob du es selbst behältst oder zur Adoption frei gibst. Das Wichtigste ist du und das Kind sind gesund.“ Sie hörte auf zu weinen, sah mich durch ihre Hände hindurch an. „Seit wann bist du so vernünftig geworden?“ „Hey. Ich werde auch nicht jünger, weißt du?“ Sie lächelte leicht. „Danke, Dem.“ „Wenn du es selbst aufziehen möchtest gibt es auch genug Beratungsstellung für junge Mütter an denen du dich wenden kannst.“ „Und meine Ausbildung?“ „Deine Prüfung ist Anfang April, oder? Dann bist du im 7. Monat, also denke ich mal, dass du die noch ablegen kannst. Und dann gehst du in Mutterschutz.“ „Stimmt. Das hab ich noch gar nicht bedacht. Ich hab vorhin einfach nur Schwarz gesehen.“ „Verständlich. Wann sind die Beiden denn zu Hause?“ „Gegen Acht schätze ich.“ Ich schaute auf die Uhr. Das waren noch etwa zwei Stunden. „Willst du hier bleiben oder wieder rüber?“ „Ich geh zurück in mein Zimmer. Du lernst gerade, oder?“ Ich nickte. „Wäre aber auch nicht dramatisch gewesen. Dann bis später.“ Grace verließ mein Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Ich konnte mich nicht mehr wirklich auf meine Aufgaben konzentrieren, da mich der Gedanke nicht los ließ. Ein Kind bekommen. Das bedeutete wahnsinnig viel Verantwortung. Man war für ein kleines, hilfloses Lebewesen verantwortlich, welches sich voll und ganz auf einen verließ. Das war wirklich keine leichte Entscheidung und ich wollte nicht mit ihr tauschen. Sie würde ihr ganzes Leben umkrempeln müssen, keine Partys mehr jedes Wochenende, keinen Schlaf für die erste Zeit... das musste gut überlegt werden. Erst jetzt erreichte mich die Erkenntnis, dass ich dadurch ja Onkel werden würde. Ein merkwürdiger Gedanke. Was Jay wohl dazu sagen würde? Sollte ich ihn anrufen oder warten, bis er nach Hause kommt? Ich entschloss mich für letzteres, immerhin wollte ich ihn nicht beim Lernen stören. Nur weil ich mich nicht mehr konzentrieren konnte, hieß das nicht, dass ich ihm das wünschte. Meine Gedanken flogen nur so umher, dass ich ganz die Zeit vergaß. Erst als es erneut an der Tür klopfte sah ich von meinem Blatt Papier auf. Ich hatte sage und schreibe zwei ganze Sätze geschrieben. „Ja?“ Grace schaute durch den Türspalt. „Sie sind jetzt zu Hause. Kommst du?“ Ich stand auf und ging mit ihr nach unten. Das Gespräch verlief eigentlich ganz gut. Ma wäre Anfangs wohl am liebsten in Ohnmacht gefallen und musste sich erst einmal setzen. Richard starrte Grace die ganze Zeit überrascht an. Grace schaute nur zum Boden. Dann aber fing sich zumindest Ma wieder, nahm sie auf ihren Schoß und erklärte, dass es okay sei und dass sie in jeder Entscheidung ihre volle Unterstützung bekommen würde. Was anderes hätte ich von unserer Mutter eigentlich auch nicht erwartet. Grace fing abermals an zu weinen, diesmal aber mehr vor Erleichterung und Freude. Sie hatte auch bereits David angerufen und ihm davon erzählt. Ihr 20-jähriger Freund war zwar zuerst geschockt, stand aber ebenfalls hinter ihr. Da hatte meine Schwester wirklich Glück gehabt in einer so verständnisvollen Umgebung zu leben. Ich bat Grace an jederzeit zu mir kommen zu können, wenn sie wieder einmal Rat brauchte. Irgendwie war es schon ein schönes Gefühl, für sie als Bruder agieren zu können. Jay kam gegen zehn zurück nach Hause. In unseren Zimmer schmiss er sich als erstes aufs Bett. „Ich will heute nicht eine Jahreszahl mehr sehen. Zu viele Informationen an Geschichte für einen Tag.“ Ich grinste und stand von meinem Schreibtisch auf. Eigentlich war meine Hoffnung nach dem Duschen und Umziehen noch etwas zu schaffen, doch die löste sich auch beim zweiten Versuch in Luft auf. Ich legte mich neben Jay aufs Bett. „Soll ich dich mal schocken?“ Er sah auf. „Hm? Was haste jetzt wieder verbockt?“ „Du wirst Onkel.“ Ich grinste breit. Man konnte Jays Kopf quasi rattern hören, seine Augen wurden immer großer und nach einigen Sekunden sprang er geschockt auf und saß kerzengerade im Bett. „Bitte was?? Wie jetzt? Im Ernst? Wen hast du geschwängert??“ Ich konnte nicht anders und fing lauthals an zu lachen. „Das ist nicht lustig, klär mich mal bitte auf.“ „Ist es auch nicht aber deine Reaktion... die ist klasse. Nein, ich hab nichts gemacht, Grace ist schwanger.“ „... ... ... Grace ist schwanger??“ „Ja.“ „Im Ernst??“ „Jaah. Denkst du ich lüg dich an in solchen Sachen?“ „Und was sagen Susan und Dad dazu? Wissen die das schon?“ „Ja, sie hat es ihr vorhin erzählt. Die stehen hinter ihr.“ „Das ist schön...“ Ein Lächeln schlich sich auf seine Lippen, aber ein wenig Verbitterung schwang mit. „Alles okay?“ „Ja...“ Er seufzte, legte sich zurück aufs Bett. „Ich dachte nur gerade an etwas.“ Ich rappelte mich auf, ging zum Lichtschalter und löschte das Licht bevor ich zurück ins Bett kroch und die Decke über uns Beide zog. „An was?“ „Nun ja. Sie hat es eigentlich gut. Sie ist zwar schwanger aber das ist in der Gesellschaft nichts verwerfliches. Weil es einfach so passieren kann. Würden wir unseren Eltern erzählen, dass wir zusammen sind würden sie wahrscheinlich ganz anders reagieren. Immerhin sind wir Geschwister. Aber wir haben es uns doch auch nicht ausgesucht, als wir uns verliebt haben.“ Ich zog ihn näher an mich. Ich konnte seine Ansicht gut verstehen. „Als Teenager schwanger zu sein ist immer noch mehr angesehen als schwul zu sein fürchte ich. Das ist ganz schön lächerlich, oder?“ „Ist es. Aber daran kann man nichts ändern. Nicht alleine zumindest.“ „Mhm...“ Er schloss die Augen und war wenig später eingeschlafen. Am nächsten Tag hatte ich nur fünf Stunden Schule. Glücklicherweise ließ Chris mich die Fächer, die ich mit ihr zusammen hatte, abschreiben. Meine Hausaufgaben hab ich nämlich nicht mehr fertig bekommen. Mitten in der fünften Stunde erreichte mich eine SMS. Zum Glück war mein Handy nur auf Vibration und diese war so leise, dass nur ich es in meiner Hosentasche merkte. Ich schaute heimlich drauf. Sie war von Jay. ‚Du, ich, Kino heut Abend? Lad dich ein. xxx’ Ich grinste. Konnte man da nein sagen? ‚Okay!’, schreib ich zurück. Es war lange her, dass ich das letzte Mal mit Jay im Kino war. Bestimmt zwei Jahre. Darum war die Vorfreude nur noch größer. Das Grinsen wollte nicht aus meinem Gesicht verschwinden und als die Schulglocke schellte war ich der Erste aus dem Kursraum. Auch wenn unsere Verabredung erst heute Abend war. Unser... Date. Jay hatte länger Schule und ich ging ohne ihn nach Hause. Im Kühlschrank war noch ein Rest des gestrigen Essens, welches ich mir schnell warm machte. Ich fragte mich welchen Film sich Jay wohl ausgesucht hatte. War das wirklich ein Date oder wollte er einfach nur einen neuen Film sehen? Andererseits... er lud mich ein. Also war es ein Date. Ich wurde leicht rot. Das war irgendwie wahnsinnig süß. Den Rest des Nachmittags saß ich wie auf heißen Kohlen und wartete im Wohnzimmer vor dem Fernseher auf Jays Rückkehr. Ich sprang auf als ich die Haustür hörte und kam auf ihn zu. „Hey Dem.“ Er zog sich seine Jacke aus, ließ die Schuhe aber an. „Ich geh nur eben nach oben, dauert nicht lange. Können wir dann los?“ „Klar. Ich hab nur auf dich gewartet.“ „Die ganzen Tag? Gar nicht am Lernen?“ „Nein... zu nervös.“ Jay grinste und ging die Treppen hoch. Ich zog mir währenddessen Jacke und Schuhe an. Etwa eine Viertelstunde später waren wir auf den Weg in die Stadt. Von uns zu Hause bis zum Kino lief man etwa 25 Minuten. Aber es war heute nicht so kalt und vor allem war es windstill, darum war es schon okay. „Welchen Film möchtest du denn sehen?“ Ich sah ihn fragend an. „Keine Ahnung. Ich dachte wir entscheiden spontan.“ „Ach so. Dann wolltest du gar keinen Bestimmten sehen?“ „Nein. Ich wollte nur mit dir ins Kino. Keine Ahnung... mich überkam plötzlich dieses Verlangen.“ „Du bist echt süß.“ „Hey...“ „Ich meins erst. Gut, dann suchen wir uns gleich einfach einen schönen aus. Wie wärs ganz kitschig mit ner Liebesromanze?“ „...schauen wir dann mal.“ Ich lachte. „Okay.“ Wir entschieden uns für The Avengers. Ich war etwas überrascht, dass Jay mit mir in diesen Film ging, aber ich beschwerte mich auch nicht. Nachdem wir uns Popcorn und Cola gekauft hatten, suchten wir uns einen Platz relativ weit oben in der Mitte. Da der Film schon eine Weile lief war das Kino nur milde besucht und wir hatten fast die ganze Reihe für uns. Das Licht wurde gedämmt und die Kinowerbung begann. Jay kuschelte sich an mich. Eigentlich wäre es praktischer gewesen einen dieser Pärchenplätze zu belegen, aber die waren immer ganz am Rande und die Chance, dass jemand einen dort sehen konnte war um einiges größer. Sich auf den Film zu konzentrieren erwies sich als schwerer als gedacht mit Jay so dicht neben mir. Trotzdem konnte ich am Ende behaupten, dass ich verstand, warum dieser Film so viele Millionen bereits eingespielt hatte. Er war wirklich gut gewesen. Als wir auf dem Rückweg waren, war es bereits stockdunkel. Der Wind wehte kalt und kräftig, ich zog mir meinen Kragen höher um gegen ihn zu bestehen. Wir unterhielten uns über den Film, diskutieren verschiedene Szenen und Handlungen der Charaktere und erzählten uns unsere Lieblingsstellen. Jay hielt den ganzen Weg über meine Hand, die dadurch angenehm warm blieb. Es war dunkel, also konnte man uns nicht sehen. Etwas Gutes hatte der Winter also doch. Wir konnten ruhig öfter zusammen ins Kino gehen. Es ist ein schönes Gefühl eng neben Jay gekuschelt einen guten Film zu sehen. Als wir zu Hause ankamen war es bereits recht spät. Wir hatten noch einen kleinen Umweg eingeschlagen und uns einen heißen Kakao beim Kiosk gekauft, den wir gemütlich im Park tranken. Es war zwar arschkalt auf der Parkbank aber das ignorierten wir beide gekonnt. Die Sterne schimmerten heute besonders hell. Man sagt ja je kälter es ist, desto heller ist der Nachthimmel. Es war ruhig und außer uns war niemand dort. Ein schöner Ausklang nach dem actionreichen Film. Ich stieg schnell unter die Dusche, dessen Wärme ich heute besonders begrüßte und krabbelte dann zu Jay ins Bett nachdem ich das Licht ausgemacht hatte. Erst als ich auf der Matratze lag fiel mir ein, dass ich heute schon wieder nichts für Physik tun konnte. Es wurmte mich. Mittlerweile lag ich mit dem Lernen nämlich wirklich zurück. Mir fiel eine Möglichkeit ein, wie ich es aufholen konnte. Doch die gefiel mir eigentlich selbst nicht wirklich. „Jay?“ „Mhm?“ Mein Sonnenschein bewegte sich, so dass er mich ansehen konnte. „...ach nichts. Danke für den schönen Abend.“ Er lächelte. „Gerne. Immer wieder.“ Dann schloss er die Augen. Ich konnte es ihm jetzt nicht sagen, er würde sich die Nacht nur den Kopf darüber zerbrechen. Morgen beim Frühstück wäre auch noch genug Zeit. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)