Federschwingen von RhapsodosGenesis ================================================================================ „Du bist ja … in deinem Büro“, stieß Nathan verwundert aus, als er die Rothaarige auf ihrem Sessel erblickte, während sie ein Buch las. Sie schreckte kurz auf, als er gesprochen hatte und wandte sich dann zu ihm um. „Schon einmal etwas von Anklopfen gehört, Assistent?“, fragte sie ungehalten, während sie beiläufig ihr Buch zuklappte und die Hände verschränkte. „Was gibt es?“, fügte sie schnell hinzu, um ihn zu unterbrechen, bevor er angefangen hatte zu antworten. „Also: meine Schülerin kann jetzt bereits mit Magie umgehen und … sie kennt alles und weiß alles und mir gehen langsam die Ideen aus, was ich ihr noch beibringen könnte“, erklärte er ihr, wobei er lässig zu seinem eigenen Sessel schlenderte und sich ungefragt hinsetzte. Er war die Assistenz der Todsünde. Er durfte das. "Den Plan, den du mir zur Verfügung gestellt hast, habe ich auch komplett durch ..." Acedia lehnte sich gelassen zurück und seufzte. „Weißt du, Nathan …“, begann sie, pausierte dann aber kurz, ehe sie ihre Worte wieder fand. „Eigentlich … interessiert mich das gar nicht.“ Sie sah ihn mit einer hochgezogenen Augenbraue unbeeindruckt an. „Oh“, machte er überrascht. Verlegenheit überkam ihn. Wie gemein von ihr, ihm das so plump zu sagen. Aber ja … wie kam er eigentlich auf die Idee, dass er ihr das alles mitteilen müsste? „Ich hatte selbst nie einen Schützling und bin auch froh darum“, sagte sie, „Also belästige mich bitte nicht mit deiner Kreatur.“ Nathan wusste, dass sie keine Abneigung gegen Menschenengel hegte, sondern dass sie sie einfach nicht interessierten. Sie war eine Todsünde. Ihre Entscheidungen richteten den Himmel. Wie konnte sie sich unter diesen Umständen um eine Halbe sorgen? Eine, mit der sie nie etwas zu tun gehabt hatte. „Tut mir leid“, murrte er, „Ich habe bloß das Bedürfnis, über sie zu sprechen, weil …“ Weil. Warum? Plötzlich lächelte Acedia mit ihren roten Lippen besonders mitfühlend, während auch ihre Augen einen ungewohnt weichen Ausdruck annahmen. „Invidia hat mir von ihrem Schützling erzählt …“ Sie stockte kurz. „Vor wie vielen Jahrhunderten wohl? Es war ganz am Anfang … Ich bin so alt …“, stellte sie unzufrieden fest, schüttelte dann aber amüsiert den Kopf und wirkte plötzlich wieder total konzentriert, „Jedenfalls hat sie mir von ihrem Halbengel erzählt. Zu dem Zeitpunkt war der Halbengel bereits seit hundert Jahren tot. Er war einhundert Jahre alt geworden – und sie hatte alle einhundert Jahre mit ihm verbracht, weil sie Freunde geworden sind, nachdem er zum Halbengel erhoben worden war.“ Sie musterte ihn kurz. Nathan hielt seine Miene gleichgültig. „Sie vermisst ihn immer noch“, schloss Acedia, „Und genau darum bin ich froh, keinen Menschen aufwachsen gesehen zu haben. Wenn man sich mit schwachen Leuten anfreundet, erwacht ein Beschützerinstinkt – und der macht ein Vermissen noch weitaus schmerzlicher.“ In ihrer Stimme schwang ungewohnte Sanftheit mit. „Gewöhne dich besser schnell daran, sie nicht mehr bei dir zu haben – oder bleibe noch achtzig Jahre bei ihr und vergesse sie dann nie mehr. Es ist deine Entscheidung." Sie stockte, um ihren Worten Nachdruck zu verleihen. "Und dein Schmerz.“ Er nickte daraufhin langsam. Manchmal erzählte sie ihm Dinge aus ihrem Leben … Dinge, die einer Todsünde keine Freude bereiteten, Dinge, die ihn vorbereiteten. Es war nett von ihr, wie sie sich um ihn sorgte, auch wenn er nichts Privates erfuhr. Vermutlich genau aus demselben Grund, wie er sich von Kyrie fernhalten sollte. „Ich denke, Kyrie ist zäh. Sie wird sicher hundertfünf", sagte er frei heraus – grinsend. Aber sie hatte recht … Durch ihre so kurze Lebensdauer würde er sie sehr lange vermissen. Wenn sie starb würde er noch immer fünf- bis sechshundert Jahre ausharren müssen. All seine anderen Freunde würden gemeinsam mit ihm sterben. Er würde bestimmt nur ungefähr hundert Jahre nach ihnen sterben – oder eben vor ihnen. Und bei ihr war es so viel. Das war nicht gerecht. Aber … nur um ihren Tod zu vermeiden, auf ihre Gesellschaft zu verzichten? Niemals wieder. Den Fehler hatte er einmal gemacht. Er würde ihn nicht wiederholen. Moment - was dachte er da eigentlich? Konnte ... konnte es sein, dass er ihre Gesellschaft angefangen hatte zu meiden, weil ... weil er sie mochte? Weil er sogar ... Angst um sie gehabt hatte? Angst darum, dass sie das Engelsleben ablehnen würde? Dass sie dann einfach so von ihm gegangen wäre? Nein. Nein, nein, nein! So durfte er nie mehr wieder denken. Er würde die achtzig Jahre mit ihr auskosten und sie dann eben fünfhundert Jahre lang gut in Erinnerung behalten, bis er sie in Gottes Armen wieder begrüßen konnte. Ende. „Danke … aber, hey“, machte er ungerührt weiter, „Kann es eigentlich sein, dass man von Natur aus seine Kräfte zurückhält?“ Er ließ sich nichts davon anmerken. Keinen seiner Gedanken. Das war sein Leben - und wie ihm Acedias nichts anging, so brauchte sie auch nichts von ihm zu erfahren. Ganz nebenbei, wo es sie doch sowieso nicht interessierte. „Ja, es ist leicht möglich“, sagte Acedia geschäftsmäßig, „Du redest von deinem Halbengel? Ist es dir erst jetzt aufgefallen?“ Sie schüttelte enttäuscht den Kopf. „Ich muss wohl wirklich noch tausend Jahre ausharren, ehe du gut genug bist, mein Nachfolger zu werden, Stümper.“ Nathan grinste breit. „Ich hoffe doch, dass ich noch lange Assistent bleiben kann! Ach ja – Invidias Assistentin ist vorhin gekommen und hat gesagt, dass ein neues Halbengelbaby zur Welt gekommen sei. Ich denke, du musst heute Abend wieder früher aufstehen.“ Die Todsünde seufzte entnervt und murmelte irgendetwas Unverständliches. „Danke.“ „So etwas richte ich doch gerne aus“, konterte er leichthin, „Also gehe ich jetzt?“ Die Frau ihm gegenüber nickte zustimmend. Er erhob sich. "Einen Moment noch." Ihr schien spontan etwas eingefallen zu sein, das ihren Gesichtsausdruck verfinsterte. Das verlieh ihr einen sehr unheimlichen Touch. „Gibt es irgendwelche Neuigkeiten Luxurias Verschwinden betreffend?“ Er schüttelte den Kopf. „Nein, mir ist nichts zu Ohren gekommen. Keiner hat sie gesehen oder etwas von ihr gehört. Aber hör mal …“ Er zuckte mit den Schultern. „Jeder braucht einmal eine Auszeit. Vielleicht ist sie auch frisch verliebt?“ Die Rothaarige schaute unbeeindruckt drein. „Denkst du wirklich?“ Er schüttelte den Kopf. „Nein, aber ich bin kein Schwarzmaler.“ „Einen schönen Tag noch, Nathan“, verabschiedete sie ihn. Jetzt fehlte nur noch, dass sie ihn nach draußen winkte. Das Thema Luxuria zerstörte ihre Laune einfach immer wieder. Sie musste ihre Konkurrentin wirklich sehr vermissen. Oder sie hatte einfach Angst, auf das Thema zu sprechen zu kommen, wenn alle einsahen, dass es nicht nur ein langer Urlaub war – er verstand sie vollkommen. Wie Acedia es tagtäglich betonte, dass Luxuria nicht einfach so verschwand ... Nathan hoffte einfach, dass sie sich wirklich nur eine Auszeit gönnte. Der anderen Wahrheit ins Gesicht zu sehen ... Er erhob sich – wie befohlen - und verließ eiligst den Raum. „Bis später“, murmelte er, während er die Tür schloss und sich dann in den goldenen Gängen umsah. Es war leer. Hier würde auch niemand sein. Immerhin waren hier die Arbeitsräume der Todsünden. Und niemand, der zu schwach war, sie zu betreten, konnte sie betreten. Nur Assistenten, Todsünden, Sin und Gott waren dazu in der Lage. Und vielleicht ein paar starke Engel, die herumlungerten - aber die würden es nicht wagen, hier hoch zu kommen, weil sie sonst ins Visier der Todsünden gelangen könnten ... Und dann winkte ihnen eine Stelle als Assistent. Und das war nicht jedermanns Wunschtraum. „Und ich bin einer von ihnen“, murrte er unerfreut. Er erschauderte kurz. Was war er bloß für ein Weichei? Der Versuchung zu erliegen, einfach auf der Erde zu bleiben und sich im Problemherd „Himmel“ nie mehr blicken zu lassen … Er seufzte. Manchmal war es nicht so einfach. Er wollte nicht einfach so verschwinden wie Luxuria. Er musste sich seinen Problemen stellen, egal, wie viel Überwindung es ihn kostete. Wenn er jemals ein ganzes Volk anführen wollte, dann musste er mit sich selbst im Reinen sein. Stark sein. Und solange er nicht loslassen konnte, nicht selbst aufstehen konnte, weglaufen wollte ... Solange hatte er kein Recht auf den Titel Acedia. Aber zumindest wusste er, dass es möglich war, dass Kyrie sich selbst abschirmte. Gut, also hatte sie keine plötzlichen Superkräfte. Das vereinfachte alles. Er würde sie dann bald rufen müssen. Aber er wollte nicht gleich mit dem Magnet anfangen. Sonst würde sie ziemlich maulen, glaubte er. Jedoch lebte er nach dem Grundsatz: Je schneller, desto besser! Also sollten sie es ziemlich schnell hinter sich bringen. Er setzte sein Lächeln wieder auf. Wann sie es wohl am wenigsten erwarten würde? „Du siehst aus, als hättest du die ganze Nacht lang nicht geschlafen“, kommentierte Ray – sichtlich überrascht -, als Kyrie sich neben ihn setzte und ein Gähnen unterdrückte. Sie hätte doch noch im Himmel vorbeischauen sollen. Sie hätte! … nur ganz kurz … Sie lächelte ihn ruhig an. „Könnte hinkommen“, gab sie zu. Sie hatte die ganze Nacht lang über die Schöpfungsgeschichte nachgedacht, während sie versucht hatte zu schlafen. Nun wusste sie also um die wahre Entstehung des Menschen – so viel zu „in sieben Tagen voller Friedlichkeit“ – und um das Ende der Antigöttin. Zumindest etwas. Das war positiv. Hoffentlich konnte Gott die Dämonen irgendwann besiegen. Sonst würde er niemals zur Ruhe kommen … „Du wirkst, als hättest du erfahren, dass dein bester Freund umzieht …“, stellte Ray daraufhin fest, „Willst du darüber reden?“ Kyrie starrte ihn an. Warum konnte er sie so gut lesen? Als wäre sie ein Buch? Wie … gemein. Aber was sollte sie ihm jetzt sagen? Dass sie nicht wollte, dass Gott immer kämpfen musste? Sie schüttelte lächelnd den Kopf. „Nein, es ist nichts“, wehrte sie ab, „Aber danke für das Angebot. Hast du schon etwas von deiner Schwester oder Kylie gehört?“, fragte sie, um vom Thema abzulenken – und weil es sie interessierte. Er hatte ihr mitgeteilt, dass seine Mutter sehr pflegebedürftig war nach einem … Unfall. Zu dem Unfall wollte er sich einfach nicht äußern. Sie hatte nur durchgehört, dass er aufgrund dessen hier war. Dieses Mal lag es an ihm, überrascht zu sein. „Oh – nun … meine Schwester hat gestern Abend angerufen und mir gesagt, dass alles Bestens wäre“, gestand er, „Wehe, sie lügt!“ „Warum sollte sie lügen?“, wollte Kyrie wissen. Er sah auf den Boden. Seine grünen Augen nahmen einen abwesenden Ausdruck an. „Um mich davon abzuhalten, zurückzukehren … Ich würde in den nächsten Wagen steigen, um meiner Mutter zu helfen!“ Er schüttelte unbesonnen den Kopf. „Ich würde alles tun, um ...", er brach plötzlich ab, scheinbar realisierend, was er gesagt hatte. „Vergiss es“, murmelte daraufhin. Kyrie legte eine Hand auf seine Schulter, um ihn zu beruhigen. Was auch immer er erlebt hatte … es musste schrecklich gewesen sein. Sie wollte ihn nicht zwingen, es ihr zu erzählen. Aber sie würde zuhören, was auch immer er ihr sagen wollte. „Danke“, fügte er leise hinzu. Sie nahm ihre Hand wieder weg. „Keine Ursache“, murmelte sie verlegen. Egal was. „Ich glaube, du und Kylie würden euch prächtig verstehen“, sinnierte er plötzlich. Kyrie sah ihn verwirrt an. „Ach ja?“ Er nickte und lächelte sie dann an. „Ja. Dann könntet ihr euch beide ständig Sorgen um mich machen – es wäre interessant zu sehen, wer den Wettbewerb gewinnen würde.“ Sie lächelte amüsiert. „Stell sie mir vor?“, schlug sie scherzhaft vor. Es war schwer vom Roten Dorf hierher zu kommen, da es am ganzen Kontinent nur diese eine, völlig überteuerte Zugverbindung gab. Vermutlich würde Kyrie Ray nie mehr wieder sehen, falls er je zurückkehrte … wobei … wenn sie ein freier Engel wäre … Mit Teleport ... Nun! Hoffentlich blieb er einfach für immer hier … auch wenn Kylie vielleicht keine Möglichkeit hatte, zu ihm zu kommen. ... Das tat ihr leid. Ray musterte sie kurz eindringlich. Und sie sah ihm in die grünen Smaragde, die seine Augen darstellten, welche immer noch diesen traurigen Hauch an sich hatten. „Ray“, wollte sie gerade sagen, als sie plötzlich ein schreckliches Ziehen spürte. Sie krümmte sich für einen Moment. „Kyrie?“, fragte er stirnrunzelnd, „Alles in Ordnung?“ Das Ziehen kam von überallher gleichzeitig. Im Rücken. Im Bauch. Im Herz. Alles drückte sich in ihr zusammen. Aber es tat nicht weh … es zog einfach und … zog! Und hörte nicht auf … Was … was war das? „Kyrie?“ Sie drückte sich mit beiden Armen den Bauch. Es sollte verschwinden … Verschwinden sollte es … Was war … „Der Ruf“, schoss es ihr plötzlich und sie hatte das Bedürfnis, sich zu schlagen, weil sie verwundert war. Nathan rief sie gerade. Ob das der Magnet war? Nein … aber wenn das das leichte Ziehen war … Würde der Magnet ihr dann die Eingeweide zerquetschen? Als Kyrie die Welt wieder richtig und ohne Schmerzen wahrnahm, bemerkte sie, dass Ray aufgestanden war, und sich vor sie beugte, um ihr ins Gesicht sehen zu können. Er hob ihr gerade die Stirnfransen an – wollte er wissen, ob sie Fieber hatte? Sie errötete leicht, als sie das bemerkte – und er ebenso, als er sah, dass sie sich beruhigt hatte. „Tut mir leid“, entschuldigte sie sich schnell, „Ich wollte dir keine Sorgen bereiten … es ist nur, dass …“ Was sollte sie sagen? Was?! „… dass ich furchtbaren Hunger habe … Der Ruf … des Magens … und so …“ „Sollen wir etwas essen gehen?“, schlug Ray – mit besorgter Miene – vor, „Ich hole dir etwas. Um die Ecke ist gleich ein Laden …“ Sie schüttelte eilig den Kopf. „Meine Mutter kocht zuhause.“ Sie lächelte. „Mein Bauch wird es aushalten müssen. Mach dir bitte keine Sorgen … sonst kann ich mir ja keine um dich machen.“ Jetzt lächelte er wieder leicht amüsiert. „Wenn du meinst … aber bevor du in Ohnmacht fällst, hole ich dir etwas – ohne Widerrede.“ Trotz des Witzes seiner Stimme klang ein bestimmter Ernst durch. Es klang, als würde er ihr, wenn nötig, selbst etwas kochen. Seine Augen nahmen plötzlich einen anderen Ausdruck an. „Hey … woher bekommst du eigentlich immer deine Kleider? Wenn ich mich sonst so umsehe, erkenne ich immer in etwa die Mode der Woche, aber bei dir …“ Er schüttelte verwundert den Kopf. „Du bist immer einfach anders und besonders.“ Er lächelte. „Das war ein Kompliment.“ Sie kicherte kurz. „Fällt das wirklich so sehr auf?“ Sie erwiderte sein Lächeln. „Meine Mutter näht gerne … sie bearbeitet alles, was ich kaufe, oder näht gleich schon selbst etwas. Mir gefällt ihr Geschmack, darum …“ „Näherin?“, rief er überrascht aus, „Das nenne ich mal beeindruckend.“ Er grinste. „Und praktisch.“ Sie nickte. „Ja … Anfangs war es mir immer peinlich, aber jetzt … Ich finde es toll.“ Heute trug sie einen weißen Rock, der hinten den Boden berührte, vorne aber den Schnitt eines Minirocks aufwies. Dazu ein schwarzes Mieder, das ihre Mutter mit Schnüren, Schleifen und Knöpfen geschmückt hatte und dazu wieder ein schlichtes, weißes Shirt. Ihre Mutter war einfach ein Genie. Vor allem, weil sie immer wieder etwas fand, zu dem ihre weißen Stiefel passten. Sie mochte ihre weißen Stiefel. An ihrer heutigen Kleidung bevorzugte sie am allermeisten den Umstand, dass die Engel ähnliche Kleidung trugen. Ihre Mutter hatte sich über Engelskleider informiert - und Kyrie hatte beschrieben. Als dann dieses Prachtexemplar aufgetaucht war, hätte Kyrie am liebsten vor Glück geweint. „Sag deiner Mutter, dass sie Talent hat“, lobte Ray, „Arbeitet sie als Näherin?“ Kyrie schüttelte den Kopf. „Nein, es ist nur ein Hobby. Sie ist Kellnerin in einem Restaurant.“ Er nickte verstehend. „Was macht dein Vater?“ „Religionslehrer und Prediger in der Kirche.“ Sie lächelte. „Ich möchte in seine Fußstapfen treten.“ Ray nickte. „Es klingt interessant – wenn man sich für Religion interessiert.“ Er lächelte. „Ich wäre mehr der Politiklehrer.“ „Politik, Medizin und Rechtswissenschaften würdest du leicht unterrichten, Genie!“, gab Kyrie dazu. Sie fand es noch immer unglaublich, dass er drei Fächer gleichzeitig studierte. Dass sich das überhaupt ausging - und das ausgerechnet in diesen drei Fächern! Er hatte zwar erzählt, dass seine Zeiteinteilung gut war und dass er sehr viele Jahre an der Universität verbringen würde, aber dass er das wirklich durchzog ... Er hatte ihr gesagt, dass er einen wichtigen, tiefgehenden Grund hatte, sich für diese drei zu entscheiden. Er wollte die Welt verstehen und sie verändern. Er war einfach ein guter Mann. Kyrie vermutete, dass es etwas in seiner Vergangenheit war, das ihn dazu bewegte. Vielleicht der Unfall seiner Mutter? „Genau genommen vereint Religion die drei sowieso. Ihre eigenen Ränge, ihre eigenen Gesetze, ihre eigenen Vorgänge …“ Er zuckte mit den Schultern. „Die Schreiber der Heiligen Schrift waren wohl kreative Kerle.“ Sie konnte nicht umhin zu nicken. Waren sie. Immerhin stimmte kaum etwas, was man daraus las, mit der Wirklichkeit überein. Ray wirkte verwirrt. „Du … gibst mir Recht?“ „Alles nur Unfug“, stimmte sie ihm amüsierte lächelnd zu. Und ein Hupen unterbrach ihr Gespräch. „Ich muss los“, informierte sie ihn hektisch, als sie das Auto ihrer Eltern erkannte, „Bye, bis morgen, Ray!“, verabschiedete sie sich daraufhin sofort und ging winkend los. „Hey – warte!“, rief er hinter ihr her, „Meinst du das ernst?“ Sie kicherte bloß und stieg ins Auto. Er verschränkte auf der Straße die Arme und schüttelte mahnend den Kopf. Sie lachte im Auto, was ihr verwirrte Blicke ihrer Eltern einbrachte. „Er sagt, er finde deine Näharbeiten gut“, richtete sie ihrer Mutter dann aus, was ihr ein wütendes Schnauben ihres Vaters einbrachte. Warum? „Danke, Liebes“, sagte ihre Mutter dann fröhlich, „Wie war dein Tag?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)