Vom Lied des Blutes von 19Rei-Sama ================================================================================ Kapitel 2: ----------- Kapitel 2 Er schritt auf und ab, immer wieder, auf und ab, auf und ab. Das Zimmer um ihn herum nahm er kaum wahr – er hatte es zu oft gesehen, als dass es ihn noch interessierte. Er wartete – er wartete seit Stunden. Draußen war es bereits Nachmittag. Am liebsten würde er diesen Gassenkriecher allein suchen, aber bei Tageslicht war es zu gefährlich. Wenn er gesehen wurde – kaum auszumalen, was passieren konnte. Es klopfte vier mal an der Tür, Pause, weitere zwei Klopfgeräusche, wieder Pause. Er atmete kurz durch, setzte sich dann in die dunkelste Ecke des Raumes, ehe er laut sagte: „Herein!“ Langsam öffnete sich die Tür, sie knarrte leicht. Licht fiel vom Gang herein, doch es erhellte nur einen kleinen Teil des Raumes. Er sah, wie zwei Gestalten hereintraten eine von ihnen war groß, hatte breite Schultern und eine Glatze – das war George. Die zweite Gestalt war vergleichsweise klein, recht schmächtig und zeigte eine gekrümmte Haltung – die Person zitterte. „Hier ist er.“, sagte George, er nickte unscheinbar – George sah es trotzdem und ging heraus, schloss hinter sich die Tür. Die verbliebene Person sah sich nervös im Raum um, bis sie ihn entdeckte und erstarrte. Lucis wusste, dass man seine linke Gesichtshälfte sehen konnte, wenn man sich konzentrierte – er hatte ihn erkannt und das war gut so. „L-Lucis? Aber du bist tot!“, murmelte der Mann – er wollte am liebsten ausspucken. „Lange her, nicht wahr, Caleb?“, knurrte er bissig. „W-wie ist das möglich?“, wisperte der Schmächtige. „Ich habe mich dazu entschlossen, von den Toten aufzuerstehen, wie du siehst – und ich will das einfordern, was mir seit Jahren zusteht.“ Der Mann schluckte. „Ich hasse Leute wie dich, Caleb – abgrundtief. Ist dir das bewusst?“ Der Mann nickte leicht. „Und weißt du auch warum?“ Wieder ein Nicken. „Ja? Dann verrate es mir, Caleb – weshalb hasse ich Leute wie dich?“ Seine Stimme war kalt wie Eis – der Mann erzitterte stark, bevor er zu sprechen begann. „W-weil wir …“ „Weil ihr was, Caleb?“ „W-weil wir unzuverlässig sind.“ „Richtig Caleb – und du hast dich beim letzten Mal an die Spitze katapultiert. Ich könnte dich zerfetzen, dich deiner Organe berauben und sie auf dem Schwarzmarkt verscherbeln. Soll ich das tun?“ Ein Kopfschütteln, ein Schluchzen. „I-ich werde es wieder gut machen!“, versicherte er schwach. „Warum soll ich dir vertrauen? Das letzte Mal hast du mich verraten – nur wegen dir musste ich fliehen. Wegen dir ging alles den Bach runter.“ „I-ich kann dir Informationen besorgen – die brauchst du doch sicherlich? I-ich werde gut und schnell arbeiten!“ Ein Kniefall. „Diese Wort kenne ich noch vom letzten Mal. Aber gut, ich gebe dir eine Chance, Caleb. Wenn du aber versagst oder ich mitkriege, dass du mich wieder verraten willst, reiße ich dich mit in die Hölle!“ Zwei Stunden später saß er noch immer in diesem Zimmer, aber er war allein, da er den Gassenkriecher vor etwa fünfzig Minuten fortgeschickt hatte. Jetzt sah er hinaus auf die Straßen der Stadt, beobachtete das Treiben vor dem Gildenhaus. Viel zu viele Leute tummelten sich dort unten – wenn nur einer der Diener sein Schweigen brach, nur ein einziger … Ein Klopfen an der Tür ließ ihn aufhören, auf seiner Lippe zu kauen. Kurz darauf öffnete sich die Forte in das dunkle Gemach und er hörte schwere Schritte. „Du hast ihn frühzeitig wieder fortgeschickt – ich hatte erwartet, dass du ihm noch ein kleines Andenken verpasst.“ Georges Stimme bebte etwas, aber nicht vor Zorn, eher vor Sorge. Sorge um Lucis. Sorge um seine Klinge. Nein, um eine Klinge. Lucis sah auf seine Hände hinab, die Fingerspitzen der rechten waren mit Blut befleckt. „Ich habe ihm ein Andenken verpasst.“, erwiderte er ruhig, blickte ununterbrochen auf das erkaltete Rot hinab. Caleb Blackthorne – er hasste diesen Langfinger. Er hasste seine kurzen Haare, seine dunklen Augen, seine vernarbte Haut, den verdammten Dreitagebart, seine alten Messer, die zerschlissene Kleidung, sein Zittern – aber allem voran hasste er sein falsches Wimmern, wenn er Gnade erhoffte. Caleb Blackthorne – allein seinen Namen hasste er. Dieser Straßenräuber war wahrlich einer der besseren und einer von denen, die ihre Arbeit zumeist sauber erledigten. Aber Blackthorne war feige und Lucis hatte den Fehler gemacht zu glauben, dass der Gassenkriecher darüber stehen konnte. Beim letzten Mal hatte er diesem Pisser vertraut – etwas, das er nie wieder tun würde. Und das hatte er ihm gezeigt. Lucis hatte ihm eines seiner Ohrläppchen abgerissen und ins Feuer geworfen – eine kurze, schmerzhafte Geste, die seit Jahrhunderten einen Verräter kennzeichneten. Aber es war nicht annähernd das gewesen, was er diesem Hund wirklich antun wollte. Nicht annähernd … „Lucis?“ Er fuhr zusammen, drehte sich dann um und sah George in die Augen – er wirkte nervös. „Was gibt es so dringendes? Ich habe andere Dinge zu tun, als mir ständig Vorträge halten zu lassen.“ „Ich will dir keinen Vortrag halten, Lucis. Eher von einem … Problem berichten.“ Sofort musterte Lucis den Gildenherren – seine Hände schwitzten und er tänzelte leicht von einem Fuß auf den anderen. „Was ist passiert?“ Hat man mich entdeckt? Lucis schluckte leise – und atmete erleichtert auf, als George auf seine ungestellte Frage hin beruhigend seine Hand auf Lucis Schulter legte. „Es geht um ihn – er weigert sich, den Hof seiner Freundin zu verlassen.“ Er schüttelte den Kopf, wandte sich wieder dem Fenster, den Straßen hinter dem Kristall zu – wie es schien, musste er wohl selbst zur Tat schreiten. Es hatte bereits zu dämmern begonnen, als er seinen Fuß auf den kleinen Hof setzte. Rechts und links von ihm waren kleine Grasflächen, hin und wieder waren ein paar Blumen zu sehen. Knappe 40 Meter vor ihm stand das Bauernhaus, recht klein, aber ausreichend zum leben. Neben dem Haus gab es noch zwei Ställe – einer für Hühner, Enten und Gänse, der andere für Vieh. Er wusste, dass hinter dem Haus erst die Weide kam, anschließend das Feld, auf dem zu dieser Jahreszeit neben Getreide wohl ein paar Knollen und Rüben gediehen. Dieser Hof wurde seit nunmehr zweihundertneunundachtzig Jahren von der gleichen Familie geführt und seit jeher war das hier angebaute Gemüse und die anderen Erzeugnisse wie Eier oder Milch für Frische und Geschmack bekannt. Lucis ließ langsam dem Blick schweifen – seit seinem letzten Besuch auf dem Hof der Ashtrays hatte sich nichts verändert. Beinahe zumindest, denn damals war der Vater der kleinen Familie von einem Schatten ermordet worden. Lucis bedauerte, dass er dagegen nichts hatte tun können. Er trat schnellen Schrittes zum Haus hinüber, verharrte kurz vor der Tür aus dunklem Holz, ehe er kurz klopfte und den Umhang tiefer ins Gesicht zog. Dann wartete er in der Hoffnung, dass nicht Mme Ashtray öffnen würde. Kurz darauf knarrte die Tür und ein junges Gesicht blickte zu ihm hoch – es war Ben, der nun dreizehnjährige Sohn der Familie. „Was gibt’s? Wer bist'n du?“, fragte er und wischte sich unbeholfen etwas Dreck aus dem Gesicht. Lucis räusperte sich kurz. „Criss Cambridge – ist er hier?“, fragte er ruhig, der Junge nickte. „Weiß aber nicht wo. Willste reinkommen? Dann frag ich eben meine Schwester.“ Sachte nickte Lucis und trat an dem Jungen vorbei ins Haus. Es roch gut, über dem Feuer köchelte gerade eine frische Suppe, ebenso ein Kessel mit frischem Tee. Die Einrichtung im Raum war schlicht – ein Tisch für sechs Leute, sechs Stühle, eine kleine Arbeitsfläche mit Messern und einigen weiteren Gegenständen und hier und dort ein Bild von der Familie, zudem das Schwert des alten Ashtrays, welches über dem Kamin hing. „Kannst dich auch setzen.“, meinte der Junge und ging an ihm vorbei weiter ins Hausinnere, während Lucis sich dafür entschied, stehen zu bleiben. Er lehnte sich an die Haustür, damit niemand wegrennen konnte. Es dauerte nicht lange, da betrat ein junges Mädchen mit langem, braunen Haar, hellgrünen Augen und einer Bratpfanne in der Hand den Raum und musterte ihn forsch. „Wer sind Sie?“, fragte sie gezielt, doch Lucis erwiderte nichts. Magdalena Ashtray trug ein dunkles Kleid und hatte sich eine Schürze um die Hüften gebunden – für Lucis Geschmack aber war sie zu kräftig, was ein Leben als Bauerstochter nun einmal mit sich brachte. Wenn man täglich auf dem Acker half, baute man eben Muskulatur auf und beim Pflügen besonders im Rücken und in den Armen. „Reden Sie schon!“, fauchte sie nun. Lucis seufzte. „Ich suche Criss Cambridge – wo ist er?“ „Ich hatte Sie nach ihrem Namen gefragt!“ „Den wird er dir wohl früh genug verraten, wenn er mich erst einmal sieht.“ Ganz davon abgesehen dass es eine Schande ist, dass du mich nicht erkennst. Magdalena musterte ihn noch einmal, ehe sie sich murrend abwandte und den Raum wieder verließ. Lucis hörte, wie sie jemandem erzählte, dass ein Mann in schwarzem Umhang vor der Haustür stand und sie einfach übergangen war. Lucis schüttelte den Kopf – Weiber. Es folgten ein paar Minuten Stille, dann Schritte vermischt mit dem Rascheln von Stoff und schließlich ein ersticktes einatmen, als die Person vor ihm im Zimmer auftauchte und erstarrte. Natürlich erkannte er ihn – er würde ihn immer erkennen. „Lucis!“, knurrte der achtzehnjährige Junge vor ihm, seine Züge wurden grimmig und seine Hände ballten sich zu Fäusten. Criss trug sein dunkelbraunes Haar inzwischen kurz, hatte sich jedoch eine etwas längere Strähne aufgespart und sie hinter sein linkes Ohr geklemmt – etwas, das ihn als fortgeschrittenen Magieschüler kennzeichnete –, seine haselnussbraunen Augen fixierten Lucis starr und unter seiner schneeweißen Haut erbebten einige Muskelpartien. „Sie sagten, du wärst tot! Was machst du hier, Lucis? Du solltest lieber wieder verschwinden!“, fauchte er kalt und deutete kurz auf ihn, Lucis schüttelte seufzend den Kopf und entledigte sich der Kapuze, sodass man ihm in die Augen sehen konnte. „Na na na, Criss – begrüßt man so seinen älteren Bruder? Und nur weil dir etwas zu Ohren kommt, heißt es nicht, dass es wahr sein muss, schon vergessen?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)