One last Dance von Runya ================================================================================ Kapitel 1: Der Weihnachtsball ----------------------------- Die Lichter der Beauxbatons Akademie leuchteten um die Wette, doch Gabrielle hatte keinen Blick dafür. Ziellos lief sie durch die Gänge, den Brief ihrer Schwester in der Hand. Nur weit, weit weg von dem ganzen Trubel, der in der Haupthalle stattfand. Ausgerechnet heute, der Tag, auf den sie sich seit Anfang des Schuljahrs gefreut hatte, bekam sie solche Neuigkeiten. Heute, der Tag des großen und berühmten Weihnachtsballs auf Beuxbatons. Er war weit über die Grenzen der Schule hinaus bekannt und ab und an schauten auch einige Absolventen oder Familien aus der Oberschicht vorbei. Es war das Highlight des Schuljahres und Gabrielle hatte ihr Kleid bereits seit den Sommerferien und sie hatte sich schon königlich darauf gefreut es zu tragen und die neidischen Blicke auf sich zu spüren. Schließlich war sie eine Delacour und damit hatte sie Veelablut in sich. Dessen war sie sich sehr wohl bewusst, ebenso wie sie die bewundernden Blicke genoss. Meistens zumindest. Heute wollte sie nichts, außer, dass die anderen sie nicht bemerkten, in der Masse verschwinden. Einmal nicht angeschaut werden, nicht das perfekte Mädchen, zu dem alle aufschauten, sein zu müssen. Natürlich war es ihre Schwester, von der sie es erfuhr, ihre Eltern schoben solche Dinge immer Fleur zu, nutzten die Bindung aus, die zwischen den beiden bestand. Es war weithin bekannt, dass Fleur und Gabrielle eine sehr tiefen Beziehung hatten, und das obwohl Fleur neun Jahre älter war als sie. Aber es war schon immer so gewesen. Schon als Kinder waren sie beide unzertrennlich gewesen. Als Fleur auf die Schule gegangen war, wäre Gabrielle am liebsten hinterher gefahren. Sie hingen immer aneinander sobald Fleur wieder zuhause war. Seit Fleur in England wohnte war es nicht mehr ganz so eng, aber trotzdem würde ihre Schwester wohl immer die bleiben, die immer an ihrer Seite stand. So war es auch jetzt. Natürlich war Gabrielle klar gewesen, dass sie wahrscheinlich nicht so viel Glück haben würde, wie ihre Schwester, sich ihren Ehemann selbst aussuchen zu können. Bill war ja glücklicherweise auch ein Reinblut. Aber dass ihr Schicksal bereits feststand, das verwunderte selbst Fleur. Anscheinend hatten ihre Eltern bereits alles geregelt. In drei Jahren würde sie heiraten. Sie war verlobt. Ihre Schritte wurden langsamer und sie lehnte sich gegen eine Wand, gegenüber von einem der großen Fensterwände, die hinaus in die weiße Landschaft um die Schule herum führten. Gedankenverloren starrte sie hinaus und ließ sich langsam an der Wand herabsinken. Selbst die versucht verborgene Wut in Fleurs Worten halfen ihr diesmal nicht weiter. Ihre Pläne, ihre Träume, sie waren plötzlich zerplatzt wie Seifenblasen. Er würde ihr sicher nicht erlauben, eine Ausbildung zur Medimagierin zu machen, sicher erwartete er eine brave Frau, die daheim die Bediensteten anleitete und ihn erwartete, wenn er von der Arbeit kam, ganz wie es die Herrin eines reinblütigen Hauses sollte. Bei ihrem Glück kam er heute Abend auch noch auf den Ball. Schließlich war er Absolvent und gehörte zur Oberschicht der französischen Magierfamilien. Sie sah ihn schon vor ihrem inneren Auge vor sich. Groß, muskulös, arrogant. Philippe Lacroix. Wie würde er sie wohl behandeln? Wenigstens eine Frist von drei Jahren hatten ihre Eltern ihr gegeben. „Damit sie sich besser an ihn gewöhnen konnte“. Ein Schnauben entfuhr ihr. Was brachte das schon? Selbst wenn sie sich nicht an ihn gewöhnte, ihn vielleicht hasste, heiraten musste sie ihn doch letztendlich. Draußen setzte ein leiser Schneefall ein. Eine Weile saß Gabrielle noch so da und langsam wurde es dunkel. Was brachte es, wenn sie sich jetzt selbst bemitleidete? Sie war eine Delacour, in ihren Adern floss Veelablut, eine Delacour weinte nicht, sie lief mit erhobenem Kopf durch die Welt, egal was kam. Und genau das hatte Gabrielle auch vor. Sie würde nicht in Selbstmitleid übe eine Sache, die sie doch nicht ändern konnte, versinken. Das lag nicht in ihrer Natur. Sie reckte das Kinn und erhob sich mit der ihr angeborenen Veela-Eleganz. Sie musste das Beste aus der Situation machen. Und im Moment hieß das: sich für den bevorstehenden Weihnachtsball schön machen. Mit erhobenem Kopf lief sie zurück in ihr Zimmer, das sie sich mit ihrer besten Freundin, Chloé Marceau, teilte. Die Schwarzhaarige kannte sie gut genug, um nichts zu ihrem wortlosen Abgang vom Mittagessen, nachdem sie den Brief erhalten hatte, zu sagen. Ein mitfühlender Blick und die Freundinnen verstanden sich. Chloé dachte sich wahrscheinlich schon, was das alles zu bedeuten hatte, schließlich hatten ihre Eltern ursprünglich auch vorgehabt, sie nach althergebrachter Reinblüter-Tradition zu verheiraten, aber irgendwie hatte sie Monsier Marceau, den bekanntesten Zauberstabmacher Frankreichs, davon überzeigen können, dass diese Tradition veraltet war. Tja, das hatte bei Gabrielles Eltern nicht funktioniert. In einvernehmlichem Schweigen machten sich die beiden Mädchen für den Ball fertig. Irgendwann hatte Gabrielle keine Lust mehr auf die Stille und so drehte sie mit einem Schwenk ihres Zauberstabs das magische Radio auf und schon schallte Gute-Laune-Musik durch das Zimmer der beiden Siebzehnjährigen. ♦♦○♦♦ Zwanzig Minuten später waren sie beide fertig. Bewundernd schaute Gabrielle ihre Freundin an. Chloé trug ein blutrotes, knielanges Kleid, das ihre Blässe und ihre schwarzen Haare hervorhob. „Mann, Chloé, du siehst aus wie Schneewittchen!“ Kicherte Gabrielle. Ihre gute Laune war doch zurückgekehrt, angesichts des großen Abends. „Und du siehst aus wie eine Fee!“ Gabrielle drehte sich zum Spiegel und betrachtete sich. Ihre Freundin hatte Recht. Ihre silberblonden Haare fielen ihr in weichen Wellen über den Rücken und die rechte Schulte. Das schlichte schwarze Kleid, das ihr, ebenso wie das ihrer Freundin bis zu den Knien reichte, hatte nur an den Rändern und um die Taille eine silberne Borte. Es unterstrich ihre zierliche Figur wirklich und ließ sie beinahe zerbrechlich wirken. Plötzlich fühlte sie sich unwohl, ‚zerbrechlich‘ war nicht das, wonach ihr momentan der Sinn stand. Doch Chloé ließ ihre keine Zeit, sich noch mehr Gedanken darüber zu machen, ob die Wahl ihres Kleides richtig war. „Komm Elle, lass uns gehen. Ich bin schon so gespannt, wie sie den Hauptsaal geschmückt haben. Und wer wohl dieses Jahr die Musik spielt? Hoffentlich kommen ein paar der letztjährigen Absolventen!“ Plapperte ihre Freundin munter drauf los, während sie Gabrielle aus dem Zimmer und Richtung Atrium zog. Dort würden sie warten müssen, bis die ihnen zugeteilten Tanzpartner auftauchten, da die Abschlussklasse den Ball eröffnen würde. Kaum waren sie angekommen verschwand Chloé mit einem „Oh, ich glaube dort vorn ist Nicolas. Wir sehn uns später.“ Und weg war sie. Natürlich. Chloé war seit dem fünften Schuljahr unsterblich in Nicolas Bourbon verliebt. Nur hatte er sich immer recht wenig für sie interessiert. Aber sie hatte das Glück gehabt, dass sie einander als Tanzpartner zugeteilt worden waren, deshalb schwebte Chloé auch schon seit der Bekanntmachung der Paare auf Wolke sieben. Gabrielle war auch nicht unzufrieden mit ihrem Tanzpartner. Luc war gutaussehend und beliebt. Und ein ziemlich guter Freund von ihr, sie kannten sich schon seit sie klein waren, denn Monsieur de la Fayette war gut mit ihrem Vater befreundet. Außerdem war Luc ein wirklich angenehmer Junge, wenn auch, wenn es nach Gabrielle ging, etwas sehr ruhig. Sie tauchte aus ihren Gedanken auf, als besagter Tanzpartner vor ihr eine elegante Verbeugung machte und sie mit einem schiefen Lächeln und einem „Bonsoir Mademoiselle. Sie sehen heute Abend wunderschön aus.“ Automatisch legte sich ein Lächeln auf ihre Lippen. Er war eben doch ein Charmeur. Doch sie beschloss mitzuspielen und machte einen Knicks. „Sie aber auch Monsieur.“ Lachend stellten sie sich nebeneinander in die Reihe der Tanzpaare und warteten auf das Zeichen. Langsam legte sich Stille über das Atrium, als ob die ganze obere Klasse den Atem anhielt vor Aufregung. Eine leise Glocke klingelte und die Tanzpaare setzten sich in Bewegung und schritten in den großen Saal hinein. In vollkommener Stille stellten sie sich auf der Tanzfläche auf und als die Musik einsetzte begannen sie alle synchron einen Wiener Walzer zu tanzen, genau so, wie sie es in unzähligen Tanzstunden gelernt hatten. Gabrielle konzentrierte sich voll auf den Tanz, vergaß alles um sie herum und vergas, dass er das sein könnte heute Abend, sie in diesem Moment anschauen könnte. Nach drei weiteren Tänzen führte sie Luc an einen Tisch, an dem auch schon Chloé und Nicolas saßen. Die beiden plauderten locker miteinander und Chloé konnte ihre Augen kaum von Nic lassen, selbst als Luc und sie sich setzten. Die Waldnymphen liefen umher und verteilten Elfenwein. Fragend sah Luc sie an. „Willst du einen? Oder lieber ein Quellwasser?“ „Ich nehme ein Quellwasser. Danke.“ Luc war wirklich äußerst zuvorkommend. Da tat es ihr beinahe Leid, dass sie an diesem Abend keine besonders gesprächige Begleitung war. Aber anscheinend hatte er damit kein Problem, er schien bester Laune zu sein. Er ging, um ihnen etwas zu trinken zu besorgen und Gabrielle blieb alleine mit Chloé und Nicolas zurück, die jedoch völlig mit sich selbst beschäftigt waren. Also ließ sie ihre Augen schweifen. Der Saal war prächtig geschmückt, mit Elfenbeinfarbenen Vorhängen, die an den Wänden drapiert waren, kleinen blauen Feuern, die in der Luft schwebten und ein angenehmes Licht verbreiteten und einigen Eisskulpturen, die das Buffet schmückten. Ihr Blick wanderte weiter zu den anwesenden Gästen. Natürlich die Lehrer und die jüngeren Schüler, die während dem Tanz des Abschlussjahrgangs mit glänzenden Augen zugesehen hatten. Sie erinnerte sich daran, wie sie die letzten drei Jahre dort gesessen und geträumt hatte, wie wunderschön dieser Tag für sie werden würde. Und nun saß sie hier, der Tag war gekommen und doch so ganz anders, als sie es sich vorgestellt hatte. Und natürlich waren auch noch die Mäzene der Schule da, die Upper Class der französischen Zauberergesellschaft. Gabrielle wagte es nicht, die einzelnen Tische genauer anzusehen. Sie wollte lieber gar nicht so genau wissen, ob die Familie Lacroix anwesend war, und wenn ja mit ihrem vorbildlichen Nachwuchs. Kurz darauf kam Luc zurück, zwei Gläser Quellwasser in der Hand. Er gab eines davon Gabrielle und setzte sich. „Gehst du über die Ferien nach Hause?“ Sie schaute ihn an und dachte nach. Sie hatte nicht besonders viel Lust, alleine nach Hause zu fahren, mit ihren Eltern zwei lange Wochen lang, auf dem großen verschneiten Anwesen in der Provence. Sie konnte sich schon bildlich ausmalen, wie das werden würde: sie würden bei den Mahlzeiten schweigend beieinander sitzen und sonst würden ihre Eltern ihr und sie ihnen aus dem Weg gehen. So war es meistens. Und dieser unterkühlten Bezieung hatte ihre Zwangsverlobung bestimmt nicht geholfen. Gabrielle ließ ihren Blick zu ihrer besten Freundin wandern. Chloés Eltern waren über die Feiertage in Russland, ihre Schwester und deren Familie besuchen und so würde Chloé im Schloss bleiben müssen. Aber was wenn Gabrielle sie einfach mit zu sich nach Hause nahm? Dann hätte sie zwei Doxys mit einer Klappe geschlagen: sie fuhr nicht alleine nach Hause und Chloé war nicht alleine im leeren Schloss. Das war die perfekte Lösung! „Ja, ich fahre mit Chloé nach Hause. Und du?“ Luc öffnete gerade den Mund, um ihr zu antworten, als sie unterbrochen wurden. „Würden sie mir ihre reizende Tanzpartnerin für den nächsten Tanz ausleihen?“ Verwundert, wer sie aufforderte wanderte Chloés Blick nach oben. Ihre Augen wurden groß. Vor ihnen stand niemand anderes als Philippe Lacroix. Selbst Nicolas und Chloé waren verstummt und sahen zu ihnen herüber, verwundert, warum einer der Absolventen ausgerechnet mit Gabrielle tanzen wollte. Philippe sah unverschämt gut aus in seinem Festumhang und sah ihr mit festem Blick in die Augen. Für Luc hatte er nur einen kurzen Blick übrig, obwohl die Frage an ihn gerichtet war. Gabrielle blieb nichts anderes übrig, als Luc einen höflich fragenden Blick zuzuwerfen, betend, dass er dem Älteren versagen würde, mit seiner Tanzpartnerin zu tanzen. Doch ihre Gebete wurden nicht erhört. Luc nickte. „Natürlich, geh nur.“ Ganz der höfliche Junge, der er immer war. Und so musste Gabrielle wohl aufstehen, den ihr angebotenen Arm nehmen und sich zur Tanzfläche führen lassen, an den anwesenden Gästen und Schülern vorbei, die alle leise anfingen zu tuscheln. War ja wieder klar, dass die Veela etwas Besonderes war. Gabrielle reckte das Kinn und versuchte, das alles auszublenden. Sie war Neid und Eifersucht gewohnt. Philippe stellte sich mitten auf die Tanzfläche und ging in Tanzhaltung, ohne ein Wort zu sagen. Ein langsamer Walzer war der nächste Tanz. Wortlos nahmen sie beiden Aufstellung und warteten darauf, dass die Musik einsetzte. Sie schaute ihm nicht ins Gesicht, sondern starr geradeaus auf seine Brust. Ihre rechte Hand, die in seiner lag, zitterte leicht. Reiß dich zusammen!, herrschte sie sich in Gedanken selbst an. Das war nur ein Tanz, nichts weiter. Die Musik setzte ein und sie setzten sich in Bewegung, immer noch schweigend. Irgendwann hielt die Blondine es nicht mehr aus. „Warum tanzt du mit mir?“ fragte sie in nicht gerade freundlichem Ton. Ihre Mutter wäre vor Entsetzten, wie sie denn mit einem Mitglied einer so hohen Familie wie Philippes nur so reden konnte, in Ohnmacht gefallen. Aber Gabrielle konnte sich wirklich nicht erklären, warum er ausgerechnet heute mit ihr tanzte. Sie hatten kaum jemals miteinander geredet, ganz zu schweigen davon, dass sie je miteinander getanzt hätten. Verwundert, warum sie diese Frage stellte, schaute er sie an und legte den Kopf schief. Gleichzeitig ließ er sich nicht aus dem Takt bringen, führte sie geschmeidig übers Parkett ohne auch nur einen Fehler zu machen. „Weil mich meine Mutter darum gebeten hat, dass ich es tue.“ Sagte er schließlich schlicht, als ob damit alles klar wäre. Also hatte es nichts mit ihr zu tun, damit, dass sie verlobt waren, oder damit, dass er sie quälen wollte. Ein neuer Gedanke kam ihr: Was, wenn er auch noch nichts von ihrer glücklichen Verbindung wusste? Wenn er hier völlig ahnungslos mit ihr tanzte, nur weil seine Mutter ihn darum gebeten hatte, ohne zu wissen, dass sie seine Verlobte war? Vorsichtig tastete Gabrielle sich an. „Warum sollte deine Mutter dich um so etwas bitten?“ Inzwischen schaute er wieder geradeaus, nicht mehr auf sie. Weiterhin den Blick in den Raum gerichtet, konzentriert antwortete er: „Ich weiß es nicht. Aber als Gentleman muss man den Wünschen seiner Mutter doch entsprechen, oder?“ sagte er. Und in seinem sonst so gefühllosen Ausdruck glaubte Gabrielle tatsächlich, bei diesen Worten ein leichtes Schmunzeln zu sehen. Sie hätte sich auch getäuscht haben können, aber seine Lippe hatte gezuckt! „Außerdem kommst du ja aus gutem Hause, das ist für sie schon Grund genug.“ Er schien offensichtlich wirklich völlig ahnungslos zu sein. Und außerdem nicht besonders gesprächig. Man musste ihm ja alles aus der Nase ziehen! Also setzte sie im Geiste gefühllos und schweigsam auf die Liste der Attribute, die sie an Philippe Lacroix nicht leiden konnte. Schweigend tanzten sie diesen Tanz zu Ende, Gabrielle versuchte, sich ihren Ärger nicht anmerken zu lassen. Wenn er nichts von ihrer Verlobung wusste, dann würde sie einen Grindelwald tun und es ihm auf den Zauberstab binden! Das sollten schön seine Eltern erledigen, denn sie hatte gewiss nicht vor, nur deswegen von ihm angeschrien zu werden, weil sie ihm die glückliche Nachricht ihrer Verlobung mitteilte. Darauf konnte sie gut verzichten. Als die Musik verklang, knickste sie artig vor ihm, während er sich geschmeidig verbeugte. Dann ließ sie sich wieder zu Luc führen und zwang sich dazu, ihn anzulächeln. „Danke für den Tanz. Du bist wirklich ein außergewöhnlich guter Tänzer.“ An den Worten biss sie sich fast die Zunge ab, aber es war ihre Pflicht, ihm ein Kompliment zu machen und freundlich zu sein. Er lächelte sie ebenfalls an, doch die Wärme erreichte seine Augen nicht. „Und mit war es ein Vergnügen, mit einer so schönen Frau zu tanzen.“ Symbolisch hob er ihre Hand zum Mund, ehe er sich umdrehte und wieder in der Menge verschwand. Gabrielle ließ sich äußerst undamenhaft auf ihren Platz plumpsen und atmete laut auf. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, dass Luc sie anschaute. „Was ist los?“ „Nun ja, ich habe mich- wie jeder andere hier im Raum- gefragt, warum Philippe Lacroix mit dir tanzt.“ Fragend schaute er sie an. „Ist es denn so abwegig, dass er nur mit mir getanzt hat, weil ich ihm gefalle?!“ herrschte sie ihren Freund an. Im nächsten Moment bereute sie es jedoch bereits. Luc sah sie erschrocken aus großen Augen an. Gabrielle war ebenfalls schockiert. Sie wusste nicht, warum sie das gesagt hatte, irgendwie war das wohl heute alles zu viel für sie und ihre Nerven gewesen und da war ihr Temperament, das eben das einer Veela war, wohl mit ihr durchgegangen. „Es tut mir leid“, sie legte Luc die Hand auf den Arm. „Ich wollte nicht so grob sein. Ich weiß, dass du es nicht so gemeint hast. Heute war ein anstrengender Tag für mich.“ Sie sah ihn an und wartete darauf, dass er etwas sagte. Und Luc wäre nicht Luc, wenn er nicht so gutmütig wäre. „Ist schon in Ordnung. Außerdem habe ich dir doch gesagt, du siehst toll aus!“ Er grinste sie schief an. „Also, hast du eine Erklärung warum der Eisklotz mit dir spricht?“ Und damit hatte er gekonnt die angespannte Atmosphäre gelöst. Elle lachte. „Ich habe keine Ahnung. Als ich ihn gefragt habe hat er gemeint, seine Mutter hätte ihn darum gebeten.“ Luc nahm das so hin. Also blieb es wohl weiter ein allgemeines Rätsel, warum Philippe Lacroix mit ihr getanzt hatte. Und genau so sollte es auch noch eine Weile bleiben, wenn es nach der Viertel-Veela ging, denn sie hatte absolut keine Lust, morgen das Gesprächs- und Tratschthema der Schule zu sein. Kurz darauf gab es das Essen, das verkündete, dass der Abend bereits halb vorüber war. Luc, Chloé, Nicolas und Gabrielle teilten sich einen Tisch und so war das Essen eine lustige Angelegenheit. Für Gabrielles Geschmack schmachtete Chloé Nic zwar etwas zu sehr an, aber das war nur ihre Meinung. Ihre Schwarzhaarige Freundin hing an den Lippen ihre Tanzpartners, während der mit Luc witzelte. Gabrielle stand nicht der Sinn nach einer Unterhaltung, doch die beiden Jungs unterhielten den Tisch ausreichend. Das Essen war natürlich fantastisch, die Hauselfen hatten sich selbst übertroffen. Während des Nachtisches- ein Schokoladen-Kürbis-Eis mit Lebkuchen- ließ Gabrielle ihren Blick schweifen. Luc war ebenfalls in Gedanken versunken, während Nicolas mit seinem Nebenmann redete und Chloé verträumt in ihre Eis starrte. Sie sah auf die Reihen der Lehrer, die wohlwollend das gesittete Treiben im großen Saal beobachteten, Madame Maxime, die sich mit Monsieur Maraud, dem Kräuterkundelehrer, unterhielt, die anderen Schüler, die fröhlich schnatternd über ihrem Nachtisch saßen, lachten und sich genauso verhielten, wie Gabrielle ebenfalls erwartet hatte, dass sie heute sein würde. Doch dann hatte ihre Zukunft und ihre Pflicht als Reinblüterin sie eingeholt. Sie hatte das Gefühl, als ob sie mit einem Mal alle jugendliche Freude hinter sich gelassen hatte. Als ihr Blick weiter schweifte, fühlte sie einen anderen auf sich liegen. Sie suchte den Saal ab, nur um in die eisblauen Augen einer Frau mittleren Alters zu schauen, die sie mit starrem Blick anschaute, unverhohlen musterte und ihr dann zunickte. Gabrielle erwiderte das Nicken höflich, aber verwirrt. Wer war die Frau? Doch dann fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Sie hatte sie zum letzten Mal gesehen, als sie elf gewesen war, doch sie kannte sie. Es war Madame Lacroix, Philippes Mutter und ihre Schwiegermutter in spe. Steif wendete Gabrielle den Blick wieder auf ihr Eis, doch der Appetit war ihr vergangen. ♦♦○♦♦ Vier Stunden später lag Gabrielle in ihrem Bett, das zwei Meter neben Chloés stand. Das Zimmer der beiden Siebtklässlerinnen lag im Dunkeln, nur der Vollmond schien durch das Fenster herein und malte eine silberne Fläche an die Wand. „Duuhuu, Elle?“ hörte Gabrielle es von der Seite her fragen. „Hm?“ „Tut mir leid, dass wir heute Abend nicht so viel Zeit füreinander hatten. Aber Nic…“ Gabrielle unterbrach sie. „Ist schon gut. Du hast es verdient, ein wenig auf deiner Wolke zu schweben. Er ist wirklich nett.“ „Danke. Ich mag ihn sehr. Ich weiß nur nicht, ob er das merkt. Ich meine, wir kennen uns kaum.“ „Dann lernt euch doch kennen. Sonst krigst du doch auch jeden Kerl dazu, mit dir auszugehen. Also, dann mach ihm doch so lange schöne Augen, bis er dich nach einem Date fragt.“ „Jaa, aber die waren alle nicht so wie Nic…“ kam es darauf zögerlich vom Nachbarbett. „Ach komm stell dich doch nicht so an. Probiers einfach mal, es kann doch nicht viel schiefgehen, oder?“ „Hmhm…“ hörte Gabrielle es nachdenklich aus der Dunkelheit grummeln. Einige Zeit später hob Chloé wieder zum Sprechen an: „Was war das eigentlich mit dem heißen Absolventen, der dich zum Tanzen aufgefordert hat? Das war doch Philippe Lacroix, oder?“ wollte ihre beste Freundin neugierig wie eh und je wissen. Gabrielle zögerte. Sollte sie Chloé schon davon erzählen? Nein, noch nicht. Sie hatte keinen Zweifel, dass sie sie verstehen würde, das nicht, aber sie war schlicht noch nicht bereit dafür, es ihrer Freundin zu erzählen. „Ja. Ich weiß aber auch nicht, was er wollte. Er war nicht besonders gesprächig.“ Und damit war das Thema für sie abgeschlossen. „Also, ist er wohl nicht interessant für uns?“ Eine letzte Gelegenheit, es ihr zu erzählen. „Nein, ich glaube nicht.“ „Na dann.“ Chloés Neugier schien gestillt zu sein, denn sie schwieg ebenfalls. Das Thema war also erledigt. „Übrigens, ich habe beschlossen, dass du mit mir heimfährst. Ich will nicht, dass du alleine hier bleibst und noch viel weniger will ich alleine zuhause mit meinen Eltern sein. Also wirst du wohl morgen auch früh…“ Gabrielle bekam keine Gelegenheit dazu, weiterzureden, denn plötzlich landete etwas, oder besser jemand, auf ihrem Bett und knuddelte sie. „Danke, Elle! Ich dachte schon ich müsste hier versauern.“ Das entlockte der Viertel-Veela nun doch ein Lachen, das war wieder ihre Chloé, wie sie sie kannte. „Niemals!“ „Also geht’s morgen in das Delacour’sche Anwesen für uns beide?“ „Ja. Und wir müssen früh aufstehen, du weißt doch, der Zug kommt um neun.“ Es lag immernoch ein Schmunzeln in Gabrielles Stimme. Schön, wenn sie damit nicht nur sich, sondern auch ihrer Freundin einen Gefallen tun konnte. „Und du musst noch packen! Also, um fünf aus dem Bett“ lachte sie. „Och nee!“ Chloé war der schlimmste Morgenmuffel aller Zeiten. „Okay, sechs.“ Gabrielle knuffte die Schwarzhaarige in die Seite. Einige Zeit lagen die Mädchen still nebeneinander. Gabrielle hatte eigentlich gedacht, Chloé schliefe schon, doch dann setzte diese doch nochmal zum Sprechen an. „Ich bin froh, dass es dich gibt, Elle.“ Sie lächelte. „Ich bin auch froh, dass es dich gibt.“ Gabrielles böse Gedanken waren für den Moment verschwunden. Sie freute sich einfach darauf, die Weihnachtsferien mit ihrer besten Freundin zu verbringen. Und kurze Zeit später waren die beiden Mädchen eingeschlafen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)