The Girl who was forgotten von Rumiko- ================================================================================ Prolog: Der Tod des Dämons -------------------------- Es stürmte stark und der Regen prasselte beängstigend laut gegen die Fenster. Wieder ein Blitz. Ich zuckte zusammen und klammerte mich an meinen Vater. „Bleib ruhig, Amai-Hime. Ich beschütze dich.“, brummte er sanft und die sonst so kalten Zügen des Mannes, der sich mein Vater nannte, waren warm. „Für immer?“, fragte ich und lugte kurz, ehe ich mein Gesicht wieder an seiner warmen Schulter barg. >Der Dämon mit den Eisaugen<, wurde er von den anderen Huntern genannt. Ich konnte mir das nicht erklären. Mein Vater war kein Dämon, obwohl ich zugeben muss, dass er eisige Augen von der Farbe blauer Gletscher hatten. Es klopfte dreimal. Also musste ein Kollege meines Vaters sein. Vaters Kopf zuckte hoch und seine Muskeln spannten sich an. „Versteck dich! Hol Jou! Er wird dich beschützen. Und egal, was du hier hören solltest, bleib bei ihm bis ich dich hole.“, wies Vater mich an „Warum? Was ist los? Ich habe Angst!“, wimmerte ich, als der nächste Blitz zuckte und wenig später, synchron mit dem Donner, wieder das Klopfen erklang. „Geh einfach!“ Ich sprang vom Sofa und hetzte die Treppe zu Jou, meinem Halbbruder, hoch. Der Junge lag auf seinem Bett und hörte Musik. Er hatte sich in letzter Zeit stark zurückgezogen, aber ich wusste nicht warum. „Jou! Jou, komm! Vater hat Besuch bekommen!“, rief ich. Jou stöhnte genervt und öffnete die Augen. Er hatte schöne, dunkelgrüne Augen. Im selben Moment flammte seine Aura, die kurz zuvor noch ganz ruhig gewesen war, wieder auf und schmiegte sich als blauer Nebel an ihn. „Was solls?! Vater hat oft Besuch von seinen Kollegen.“, seine Stimme war rau, hart und kalt. Das war erst so, seitdem er zum Hunter ausgebildet wurde. Das hatte ihn allgemein sehr stark verändert. Das machte mir angst. Er machte mir angst, aber das war in den letzten Wochen nichts neues. „Aber diesmal ist es anders! Vater sagte, du sollst dich mit mir verstecken und mich beschützen! Wir sollen erst wieder rauskommen, wenn er und holt...“, schluchzte ich ängstlich und Tränen liefen über mein Gesicht. Jou sah mich an. Seine Aura wechselte die Farbe, wurde dunkler und wirkte besorgt „Er sagte doch, sie würden Vater nicht richten....“, murmelte Jou und sprang auf. Er ging zum Schrank, holte eine Waffe und wollte zur Tür. Ich hielt ihn auf, indem ich mich an seine Beine klammerte „Lass mich nicht allein!“, piepste ich mit verweinter Stimme. „Man, sei nicht so egoistisch! Wenn du mich nicht loslässt, stirbt Vater!“ „Ich hab angst! Lass mich nicht alleine!“, wimmerte ich. Mein Verstand war abgeschaltet und da war nur noch die blanke Angst. Ich konnte den Sinn seiner Worte gar nicht erfassen. In seinen Augen flackerte Wut, als er ausholte und mich heftig ohrfeigte: „Sei still! Wärst du nicht, wären wir gar nicht in dieser Situation! Und jetzt lass verdammt nochmal los!“ Ich weinte noch mehr und rieb mir die Wange. Jou schubste mich unsanft nach hinten und knallte die Zimmertür zu. Taumelnd stand ich wieder auf. Mir tat alles weh, aber ich riss mich zusammen und folgte Jou nach unten. Als ich unten angelangt war, ging Vater grade zu Boden. Vor ihm stand ein großer dunkel gekleideter Mann, der eine Pistole erhoben hatte „Wir haben es dir gesagt, Kirei. Dass du dich in eine Vampirfrau verliebt hast, war schon unverzeihlich, aber dass du auch ein Kind mit ihr gezeugt hast, ist das größte Verbrechen, dass du hättest begehen können. Du hast vergessen, wer du bist und für welche Seite du kämpfst. Du stellst eine Gefahr für die gesamte Organisation da. Genau wie das Kind. Wo ist es?“, die Stimme des Mannes jagte mir mehrere Schauer über den Rücken, genau wie der Anblick meines Vaters, der stark blutete und schwer atmete: „Ich werde es euch nie sagen..! Meine kleine Prinzessin werdet ihr nie bekommen..!“ „Das ist jetzt eh egal. Du stirbst sowieso und alleine wird die Kleine wohl kaum überleben. Wie alt ist sie?! 10 oder 11?!“, der Mann lachte, „Deinen Sohn nehme ich mit. Er wird uns bestimmt noch nützen.“ Jou schrie auf und wehrte sich mit Händen und Füßen gegen der Mann, der ihn mit sich zerrte „Vater! Vater hilf mir! Ich will nicht mit ihm mit! Vater!“, seine Rufe verklangen langsam. Ich lief zu Vater: „Stirb bitte nicht! Ich..“ „Meine kleine Amai-Hime...“, hauchte Vater schwach und legte zitternd eine Hand an meine Wange. Damit verteilte er sein warmes Blut in meinem Gesicht. Kurz stieg Durst in mir auf. „Ich bin hier...“, murmelte ich mit erstickter Stimme. „Hör zu.. Du bist etwas ganz Besonderes, egal, was die dir sagen. Du bist nicht weniger wert als die. Ich und deine Mutter, wir haben dich immer geliebt. Du wirst geliebt, egal, was passiert. Ich und Mutter sind immer bei dir...“ „Haben die auch Mutter getötet? Und wenn ja, warum?“ „Ja, haben sie. Sie töteten deine Mutter, weil sie etwas unverzeihliches getan hat. Genau wie ich. Amai, du bist ein Halbvampir, ein sogenannter Dampir.“ „Dampir..?“ „Ganz recht. Ein Dampir. Ein Wesen, in dem sowohl menschliches als auch vampirisches Blut vorhanden ist. Dieses Wesen ist bei den Huntern noch mehr gefürchtet als gewöhnliche Vampire, da man es nicht einfach mit Waffen töten kann. Ebenso verhasst ist es bei den Vampiren, da es weder Mensch noch Vampir ist.“ „Heißt das, alle werden mich hassen?“ „Es wird ein schwieriges Leben für dich, mein Kind, aber ich bin mir sicher, du wirst jede Prüfung meistern, die man dir auferlegt und du wirst dein Glück finden, denn gesegnet sind nur die, die den Reiz erkennt und trotzt, das Leben schätzt, denn wer besteht, dem wird die Krone aufgesetzt, kleine Amai-Hime. Ich glaube fest an dich. Meine...Tochter...Gib dich nie auf...versprich es mir...“ „Ich verspreche es.“, schwor ich. Vater lächelte gequält. Sein Blick brach wenige Sekunden später und sein Atem versiegte. Ich konnte meine Tränen nicht weiter zurückhalten, schluchzte und weinte laut. Seitdem bin ich vollkommen auf mich gestellt. Kapitel 1: Die Welt, die sie vergessen hatte -------------------------------------------- Die Sonne blendete geradezu, als ich aus dem Auto ausstieg, das mich zur berühmten Cross Academy gebracht hatte. Ich hatte viele Stunden Fahrt hinter mir und meine Beine waren fast taub. Ich war froh, wieder etwas herumlaufen zu dürfen. Ich hasse so lange Reisen, genau wie den ständigen Umgebungswechsel. Ich bin einfach kein Typ für Veränderungen. Aber das war nötig, wenn ich endlich den Hunter, der meinen Vater umgebracht hatte, finden wollte. Ich hasste die Hunter, genau wie die Vampire. Im Grunde sind sie alle nur gewissenlose Monster. Die einen haben mich gejagt und die anderen die Türen verschlossen, als ich Hilfe gebraucht hätte. Nach wenigen Jahren hatte ich mich damit abgefunden, dass ich allein war und es wohl auch immer bleiben würde. Aber es ist gut, dass ich alleine bin. Wer nichts hat, das ihm etwas bedeutet, der hat auch nichts zu verlieren und ist nicht verletzlich. Ich muss schließlich stark sein. Ich gab damals mein Wort, und ich habe noch nie ein Versprechen gebrochen. „Brauchen Sie noch etwas, werte Dame?“, fragte der Fahrer, der mich hergebracht hatte. „Nein, vielen Dank. Hier, ihr Lohn.“, ich hielt ihm ein Geldbündel hin. Er nahm es an sich und zählte es schnell: „Aber, werte Dame... Das ist viel zu viel...“ „Nehmen Sie es. Das stimmt so.“, sagte ich ruhig. Ich habe kein Interesse an Geld und der Mann sah aus, als könnte er es gut gebrauchen. „Der Herr segne Sie, werte Dame.“, bedankte sich der Mann mit einem warmen Lächeln. „Ich danke Ihnen, aber es gibt keinen Gott.“, erwiderte ich und schenkte ihm ein leichtes, aber kaltes Lächeln. Ich sah in seinen Augen, was er dachte. Was bringt ein so junges Mädchen dazu, so auf diese Welt zu schauen?!Vielleicht war es einfach die Tatsache, dass diese Welt mich aufgegeben und vergessen hat. Bei den Huntern existierte ich nur noch als Akte und bei den Vampiren wurde meine Existent hartnäckig totgeschwiegen. Nur wenige beider Seiten erinnerten sich an meinen Vater, meine Mutter oder sogar an mich. Auf gewisse Art beneide ich die Mädchen, die ganz unbeschwert und normal aufgewachsen sind, die ganz frei und unbekümmert Lachen können. Ich schüttelte den Kopf. Für solche unrealistischen Wunschträume ist keine Zeit. Ich schulterte meine kleine Reisetasche und betrat das Gelände der Akademy. Überall liefen Schüler in schwarzen Uniformen herum. Die Dayclass-Schüler, so hatte man mir erzählt. Nur weiße, menschliche Auren, alles einheitlich, genau wie die Uniformen. Menschen sehen für mich alle gleich aus, genau wie Vampire. Blicke hefteten sich an mich, als ich meinen Weg fortsetzte. Ich hasse so etwas. Immer, wenn ich irgendwo neu war, glotzten die meisten Menschen wie dumme Fische, hörten auf zu Sprechen und hielten manchmal sogar den Atem an. Ich ahnte, was sie sahen. Ein überdurchschnittlich großes Mädchen mit welligen schwarzen Haaren, in denen einige weiße Strähnen hervorblitzten und auffälligen hellblauen Augen, die nur selten wenigstens einen Hauch von Emotion erahnen ließen. Ein unheimliches Mädchen, mit dem man nichts zu tun haben wollte. Ich war immer wieder erstaunt, wie meine Aura, die die Menschen eigentlich gar nicht sehen können, sie in ihrem Denken und Handeln so beeinflussen konnte. Sie mussten spüren, dass ich kein Mensch bin und wichen mir deshalb unbewusst aus. Urinstinkt des Menschen. Alles, was fremd und anders ist, ist gefährlich. Das hatte ich oft auf schmerzhafte Art erfahren müssen. Oft genug war die Angst, die sie vor mir gehabt haben, in Aggressionen ausgeartet. Menschen besitzen das eigenartige Talent, ihren Selbsthass, den jeder von ihnen besitzt, auf andere zu übertragen. „Hey du! Du bist doch Korime-san!“, rief eine Stimme hinter mir. Ich drehte mich um und sah ein Mädchen mit braunen Harren. Sie strahlte mich geradezu an. Ich war etwas verwirrt. Mich hatte schon lange niemand mehr mit einer Anrede oder meinem Namen angesprochen. Übliche Anreden für mich waren Misch- oder Halbblut. „Ja... Ja, ich bin Amai Korime..“, murmelte ich und mied den Blickkontakt. So viel Aufmerksamkeit und Freundlichkeit kannte ich einfach nicht. „Ich bin Yuki. Freut mich, dich kennen zu lernen. Wenn du willst, bringe ich dich zum Rektor.“ „Das wäre sehr freundlich, aber mach dir meinetwegen keine Umstände.“, sagte ich, um wieder etwas Distanz aufzubauen. „Ach was! Das macht keine Umstände. Folge mir bitte.“ Ich folgte ihr schweigend, ließ sie reden. Eigentlich hätte ich mir den Weg lieber selbst gesucht, aber es wäre unhöflich, hätte ich ihr Angebot ausgeschlagen. Ich hatte es so gelernt und wollte meine Erziehung nicht über den Haufen werfen, da sie eines der wenigen Dinge war, die mein Vater mir hinterlassen hatte. Schließlich öffnete Yuki eine Tür vor mir: „Tritt bitte ein.“ Ich tat wie mir geheißen, allerdings blieb Yuki draußen. An einem Schreibtisch saß der Rektor. „Guten Tag.“, grüßte ich höflich „Guten Morgen, Amai.“, fing der Rektor an, „Ich heiße dich herzlich an der Cross Academy willkommen. Wie war deine Anreise?“ „Durchschnittlich. Ich reise nicht gerne.“, antwortete ich auf seine Frage. Der Rektor war ein Kollege meines Vaters gewesen, daher kannte ich ihn schon lange. „Genau wie dein Vater. Darf ich den Grund dafür erfahren, dass du mein Angebot, hier zur Schule zu gehen plötzlich annimmst?“ „Ich suche jemanden.“ „Wen?“ „Verzeiht, aber Ihr müsst nicht alles wissen. Es ist schon außergewöhnlich genug, dass Ihr wisst, wer ich bin und vor allem, was ich bin.“ „Gut, wie du meinst...“, seufzte der Rektor, „Jetzt stellt sich nur die Frage, in welche Klasse wir dich stecken. Day- oder Nightclass..“ „Dayclass.“, wählte ich ruhig, „Ich war noch nie nachtaktiv und würde mich unter so vielen Vampiren auch nicht wohl fühlen. Sie würden spüren, was ich bin...“ Der Rektor nickte: „Dann beeile dich. Die nächste Stunde fängt bald. Dein Zimmer wird Yuki dir zeigen.“ Er übergab mir eine Schuluniform und schickte mich damit weg. Yuki zeigte mir mein Zimmer. Wie ich erwartet hatte, hatte der Rektor mich auf ein Zimmer mit ihr und einem Mädchen namens Sayori geschickt. Er machte sich wohl Sorgen darum, dass ich nirgendwo sozialen Anschluss fand. Yuki riss mich aus meinen Gedanken: „Darf ich dich Amai-Chan nennen?“ Ich zuckte kurz zusammen. So hatte Jou mich früher immer genannt. „Amai reicht...“,murmelte ich und schaute zur Seite weg aus dem Fenster „Geht es dir nicht gut?“ „Ja, alles ok..“, log ich und baute eine Mauer um mich herum auf. Meine Aura züngelte etwas stärker und Yuki wich etwas zurück, als würde sie das spüren. Ich stand auf, zupfte den Rock der Schuluniform, die ich vorhin angezogen hatte, zurecht und fuhr mir mit einer Hand durch die Haare: „Müssen wir nicht in den Unterricht?!“ Yuki nickte leicht verwirrt: „Ja, müssen wir...“ Also führte Yuki mich in den Klassenraum. Wieder glotzende Fischblicke. Da kam der Lehrer rein und musterte mich skeptisch: „Sind Sie die neuen Schülerin?“ Ich nickte stumm. „Dann stellen Sie sich bitte der Klasse vor und suchen sich einen Platz.“, wies er mich an. Ich seufzte und ging nach vorne: „Morgen. Ich heiße Amai Korime. Ich gehe ab heute in diese Klasse.“ Dann suchte ich mir einen Platz in der letzten Reihe am Fenster. „Die ist aber groß...“, hörte ich ein Mädchen flüstern „Unheimlich ist sie auch...“, antwortete ein Junge dem Mädchen flüsternd. Wie immer. Momentan hatten sie angst. Bald würden sie mich hassen. Mental bereitete ich mich schon auf die ersten Schlägereien vor, die wohl recht bald auf mich zukommen würden, als die Tür aufging. Ein silberhaariger Junge trat ein. „Du bist zu Spät, Kiryu-kun!“, murrte der Lehrer leicht verärgert und seufzte dann, „Dir wird man das wohl eh nie abgewöhnen können. Setze dich einfach auf deinen Platz...“ Der Junge nickte stumm und setzte sich einfach neben mich. Ich hatte eigentlich darauf gehofft, alleine zu sitzen. Das hätte mir bestimmt einiges an Ärger ersparst. Ich sah kurz aus dem Fenster, dann wieder zu meinem Banknachbarn. Ich konnte seine Aura nicht einordnen. Sie war violett und nahm viel Raum ein. Ich habe in meinem Leben schon sehr viele Auren gesehen, aber keine, die violett war. Deswegen war ich bei diesem Jungen sozusagen blind. Ich sah keine Veränderungen seiner Aura, wie es bei anderen der Fall war. Ebenso erkannte ich nicht, zu welcher Art Wesen er gehörte. Die Aura, die ihn umgab, war einfach wie eine Wand, die nichts hindurch ließ. Die selbe Mauer erkannte ich in seinen Augen, als er mich ansah. „Warum starrst du mich so an?“, fragte er und sah mir direkt in die Augen. Ich war verwirrt durch diese Wand in seinen Augen. Bei jedem anderen hätte ich gemäß dem geantwortet, was seine Aura so aussagte. „Hab nur das Gefühl, ich würde dich von irgendwoher kennen...“, log ich. „Nein, ich kenne dich nicht. Daran würde ich mich erinnern.“ Ich nickte und schaute weg. Irgendwie jagte es mir mehrere Schauer über den Rücken, wenn ich ihm in die Augen sah. Ich bin eben zur Hälfte doch nur ein Mensch, ein Lebewesen, das angst vor dem Fremden hat. Und genau deswegen hatte ich auch angst vor diesem Jungen, oder war es gar keine Angst? Kapitel 2: Frau aus Glas ------------------------ „Amai!“, rief Yuki nach der Stunde und kam zu mir, „Wie es scheint, hast du Zero schon kennengelernt.“ Sie sah den silberhaarigen Jungen an und lächelte. „Mehr oder weniger.“, sagte ich und schielte kurz zu dem Jungen, den Yuki Zero nannte. Dieser sah mich ebenfalls an. Ich glaubte etwas skeptisches in seinem Blick zu sehen. Ich schaute schnell weg und ging einfach. Die nächsten Wochen vergingen recht schnell. Genau wie ich erwartet hatte, hassten mich meine Mitschüler nun, aber das war mir ziemlich egal. Was mich wirklich belastete, war, dass ich immer noch angst vor Zero hatte. Ich fühlte mich in seiner Nähe einfach nicht wohl. Das lag wohl wirklich daran, dass ich ihn und vor allem seine Aura einfach nicht einordnen und einschätzen konnte. Dazu kam, dass er mich seit wenigen Tagen ununterbrochen anstarrte. So wurde jede Unterrichtsstunde zu eine unendliche Folter, in der sich seine Blicke wie Eisspeere in mein Fleisch bohrten. Direkt nach der Stunde verschwand er dann immer. In so einer Unterrichtsstunde saß ich heute wieder und wieder starrte er mich an. Allerdings hatte ich mir heute vorgenommen, dem ein Ende zu setzen. Nach der Stunde hielt ich ihn auf. „Warum zur Hölle starrst du mich immer an?“, ich stand vor der Tür und versperrte so den Weg nach draußen. Wir waren alleine in dem riesigen Klassenraum und es war seltsam still und unbelebt. „Du gehörst nicht hier her, Vampir. Geh in die Nightclass, zu deinesgleichen.“, antwortete er kalt und die Mauer in seinen Augen schob sich wie ein Vorhang im Theater auf, gab den Blick auf blanken Hass frei. „Ich.. ich weiß nicht, wovon du sprichst...“, log ich. Natürlich wusste ich, wovon er sprach, aber ich wollte nicht in eine Klasse, wo sofort jeder mit dem Finger auf mich zeigte und >Halbblut< rief. Er packte mich an den Handgelenken, schrie fast: „Stell dich nicht dumm! Ich habe dich hier lange genug geduldet, gehofft du würdest von selbst die Klasse wechseln, aber du verstehst es scheinbar nicht. Niemand, wirklich Niemand, will dich hier haben!“ Sein Griff war bestialisch stark und seine Augen funkelten bedrohlich. Seine Aura explodierte geradezu, als er den Druck auf meine Handgelenke noch etwas verstärkte. „Au! Lass los! Du bist doch gestört!“, rief ich laut, wand mich in seinem Griff, verzweifelt nach einem Fluchtweg suchend. „Verlass diese Klasse! Am besten gleich die Gegend! Noch mehr Blutsauger kann ich hier nicht gebrauchen!“, zischte er scharf. „Wie oft noch?! Ich weiß nicht, wovon du sprichst! Ich bin kein Vampir!“, ich unterdrückte ein Fauchen, zitterte stattdessen stark. Er sollte glauben, ich hätte Angst. Gut, ich hatte Angst, aber irgendwas sagte mir, dass er mich nicht töten würde, sondern mir nur Angst einjagen wollte. Zweiteres hatte er definitiv geschafft. Er war mir viel zu nahe, als er mich an die Wand drückte und mir in die Augen sah. Er sah aus, als würde er überlegen, was er nun tun sollte, da ich immer noch hartnäckig leugnete. Endlose Sekunden des Schweigens vergingen und Zweifel zeichneten seine Züge. „Lass mich los...“, flüsterte ich leise. Ich spiegelte mich in seinen Augen. Es war seltsam mich so zu sehen. Ein kleines Mädchen, dessen Körper vor Angst bebte. Eine Frau aus Glas, die jeden Moment zu bersten drohte. Er verstärkte den Griff kurz, lies mich dann ruckartig los und schubste mich unsanft von sich weg. Die Tür fiel laut knallend hinter ihm zu und ich war allein. Kraftlos sank ich auf die Knie und rieb mir die Handgelenke, an denen blassrote Griffspuren zu sehen waren. Das würde schöne blaue Flecken geben. Meine Hände waren taub, blass und kribbelten unangenehm, als sie wieder ungehindert durchblutet wurden. Mir selbst war schwindelig und ich konnte nicht mehr aufstehen. In meinem Kopf kreisten so viele unbeantwortete Fragen. Woher wusste Zero von meiner vampirischen Hälfte? Warum wollte er unbedingt, dass ich in die Nightclass gehe? Was sollten die Zweifel in seinem Gesicht? Warum ist er einfach so abgehauen? Und was hat er wohl in mir gesehen? Ein kleines Kind, oder eine Frau, die er so verängstigt hatte, dass sie fast geweint hätte? Eine Stimme erklang: „Hey! Hey du! Geht es dir gut?“ Die Stimme schien unendlich weit weg zu sein und ich erwachte erst aus meiner Starre, als zwei kalte, blasse Hände sich auf meine Schultern legten: „Was machst du hier?“ „Geh nicht zu dicht an das Halbblut heran, Takuma! Nachher beißt es dich noch...!“, tönte eine weitere Stimme in meinen Ohren Halbblut?! Ich war wohl grade von Vampiren umgeben. Mein Blick löste sich von meinen Handgelenken und ich sah in das Gesicht eines Jungen mit blonden Haaren und grünen Augen, der mich besorgt anschaute „Geht es dir gut?“, wiederholte er seine Frage von eben. Ich schüttelte leicht verängstigt den Kopf, hatte geistig immer noch Zero vor mir. „Hast du verlernt zu sprechen, Halbblut?!“, fragte die andere Stimme verächtlich. Sie gehörte einer jungen Frau, die von oben auf mich hinab blickte. Aus ihrem Blick sprach Kälte und Hass. Ihre scharlachrote Aura waberte mit der selben Kälte um sie herum. Meine Nackenhaare stellten sich auf und ich wich fauchend zurück. „Pah! Ich sagte doch, es würde nicht mit uns reden. Tier bleibt Tier. Halbblüter sind Genau wie Level E. Wilde Tiere.“, wertete die Frau mich weiter ab. „Hör auf, Ruka. Sie versteht uns.“,stoppte der Junge ihren Beleidigungshagel und sah mich an, „Wie heißt du?“ „Amai. Amai Korime...“, antwortete ich immer noch leicht verängstigt. „Schöner Name. Ich heiße Takuma Ichijo und dieses Mädchen hier hört auf den Namen Ruka. Kannst du aufstehen?“, fragte Takuma und hielt mir eine Hand hin. „Meine Beine wollen nicht...“, ich fühlte mich auf ein mal wieder in die Nacht, in der mein Vater starb zurückversetzt. Ich war schlagartig wieder ein kleines Kind, verängstigt, allein. Ich fröstelte. „Ist nicht schlimm.“, lächelte der blonde Junge, hob mich einfach auf seinen Rücken. Ich konnte nicht anders und schmiegte mich an seinen Rücken. Er erinnerte mich an Jou. An den Jou aus glücklichen Tagen. Ich fragte mich, wie Jou wohl heute war. Wie er wohl aussah und wie seine Stimme wohl klingen würde. Ich hatte ein Bild von ihm vor Augen, ließ meine Fantasie damit spielen. Aus dem Jungen mit den rotbraunen Haaren und den dunkelgrünen Augen wurde langsam ein junger Mann mit makellosen, warmen Gesichtszügen und einer wärmenden Stimme. Ja, so würde mein Bruder heute sein. Er würde die Verbitterung , die seine gesamte Ausbildung zum Hunter begleitet hatte, abgelegt haben und würde wieder der liebevolle Jou sein, der mir so fehlte. Wir würden wieder zusammenziehen und all die Schatten der Vergangenheit hinter und lassen. Ich zehrte so viel Kraft und neuen Mut aus diesen Gedanken, dass ich nicht merkte, wie Takuma mich absetzte. Ich saß wieder auf dem Boden, allerdings standen jetzt sehr viele Vampire um mich herum. „Wer ist das?“, fragte ein blonder Vampir mit azurblauen Augen kindlich neugierig. „Sie heißt Amai Korime. Ich und Ruka haben sie vorhin gefunden.“ „Ihr Duft ist so betörend...“, hauchte der Blonde und hockte sich vor mich. Er war um einiges kleiner als ich. „Lass es lieber, Hanabusa. Wir dürfen keine Dayclass-Schüler beißen. Das weißt du genau.“, mahnte ein hochgewachsener junger Mann mit bernsteinfarbenen Augen. „Aber sie ist nicht mal ein Mensch! Das ist unfair!“, quengelte der Junge, der wohl Hanabusa hieß. „Kaname-sama wird dich bestrafen, wenn du ihr was tust.“, erwiderte der Mann von eben ruhig. „Ich will doch nur 2-3 Tropfen...!“, murmelte Hanabusa und näherte sich meinem Hals. „Aido! Geh sofort von der Dayclass-Schülerin weg!“, herrschte eine Stimme und eine wahnsinnig dominante Aura füllte den ganze Raum „Kaname-sama...“, flüsterte Hanabusa ehrfurchtsvoll, „Ich habe sie nicht angerührt!“ „Aber du wolltest. Geh jetzt weg von ihr.“ Der Kreis der Vampire öffnete sich und ein junger Mann trat zu mir. „Wer bist du?“, fragte ich und sah ihn von unten an. Irgendwie konnte ich immer noch nicht aufstehen. Es war fast so, als würde seine Aura mich auf den Boden drücken. Ruka zischte leise: „Wie kannst du es wagen, Kaname-sama einfach so anzusprechen, Halbblut?!“ „Hör auf, Ruka.“, stoppte der Mann sie. „Aber Kaname-sama... Dieses Halbblut....“ „Du sollst aufhören!“, zischte der, den sie alle Kaname-sama nannten. Seiner Aura nach zu urteilen war er ein Reinblüter und mir damit gleich unsympathisch. Er sah mich an: „Nun zu dir. Was willst du hier?“ Die vampirische Hälfte in mir war demütig unterwürfig, allerdings kochte das Hunterblut in mir. „Geht dich nichts an!“, zischte ich deswegen und blanker Hass stand in meinen Augen. „Diese Augen...“, murmelte Kaname. „Ja, ganz recht! Ich bin die Tochter des Kirei Korime, auch bekannt als >Dämon mit den Eisaugen!Stars der Schule< nichts besonderes.“ „Und was willst du dann hier?“ „Du willst mich immer noch loswerden, oder? Aber ich bin ehrlich zu dir, auch wenn es dich wahrscheinlich eh nicht interessiert. Ich suche meinen Halbbruder. Du hast unter den Leuten nicht zufällig einen Mann, etwa 19 mit dunkelgrünen Augen und rotbraunen Haaren gesehen?“ „Kann sein. Wir haben seit letzter Woche einen Neuen. Keiner weiß was genaues. Der heißt Jou Sachimoto.“ „Wo ist er?“, fragte ich schnell und suchte den Saal nach einer blauen Aura ab. Allerdings war Zero schneller. „Da hinten.“ er deutete quer durch dem Raum. „Danke!“, ich schenkte ihm ein ehrliches, strahlendes Lächeln. Das erste ehrliche Lächeln seid Jahren. Dann eilte ich durch den Saal auf den Mann zu, der vielleicht mein Bruder war „Jou!“, rief ich freudig. Er drehte sich zu mir um, musterte mich gründlich: „Amai...?“ Ich nickte: „Wo warst du all die Jahre? Geht es dir gut? Haben die dich verletzt?“ „Nein, bei mir ist alles in Ordnung. Komm, wir gehen draußen ein Stück um etwas verlorene Zeit aufzuholen.“, lächelte Jou und hielt mir seinen Arm hin, „Du bist wunderhübsch. Vater wäre so stolz auf dich...“ Ein strahlendes Lächeln hellte meine Züge auf und ich harkte mich bei meinem Halbbruder ein, während ich mich noch einmal umsah. Ich sah zu Zero, welcher Jou misstrauisch musterte. Ich lächelte Zero nur beruhigend an, was sein Misstrauen allerdings nur zu verstärken schien. Ich zuckte die Schulten und ging mit Jou. Draußen angekommen setzten wir uns an den Brunnen. Ich war berauscht von der Zeit mit Jou. Es war so perfekt und alles war genau wie in meinen Träumen. Doch schlagartig änderte Jous Stimmung sich. „Amai-Chan...“, flüsterte er, rückte näher zu mir, „Ich kann dir nicht verzeihen! Deinetwegen ist Vater gestorben. Deinetwegen wurde ich verschleppt und gequält. Stirb, du verdammte Missgeburt!“ Sekunden später steckte ein Dolch in meinem Arm. „Jou..Warum..?“, wisperte ich und sah auf die blutende Wunde. „Weil Abschaum wie du beseitigt werden muss.“, antwortete er kalt und stand auf, „Der Dolch ist mit einem sehr wirksamen Gift bestrichen. Du hast also noch etwa...“, er sah gelassen auf seine Armbanduhr, „.. Zehn Minuten zu leben, ehe das Gift dich innerlich zu Matsch geschmolzen hat. Ach ja, versuch gar nicht erst, den Dolch herauszuziehen. Er ist mit Widerharken versehen, durch die sich das Gift nur schneller verteilt. Leide in Frieden, Missgeburt.“, spottete er noch und ging einfach wieder rein. Mein ganzer Körper brannte, als ich zu Boden ging. Nun sterbe ich also. So früh war das nicht geplant... Kapitel 4: Blendung ------------------- Nein, noch nicht! Ich darf noch nicht sterben! Ich muss doch noch meinen Vater rächen... Ich riss die Augen auf, aber dort war nur Schwärze. Tiefe, bodenlose Finsternis. Wie es scheint, setzte das Gift zuerst den Sehsinn außer Gefecht. Oder war es einfach, weil mein tiefstes Inneres nicht mehr leben wollte, nicht mehr kämpfen wollte. Habe ich wirklich schon aufgegeben? Nein, das durfte nicht sein! Ich habe es versprochen! Kämpfen... Dagegen ankämpfen... gegen diesen Drang... den Drang zu sterben... gegen die Leere ankämpfen... Ich muss.. Aber....nein, ich muss.... ich will nicht mehr... zu schwach... die Dunkelheit... so leicht.. Wieder durchzuckte eine Feuerwelle meinen Körper. Stummer Schmerz. Dennoch. Es war ein befreiendes Gefühl, etwas zu spüren. Damit wusste ich, dass sich die Dunkelheit noch nicht vollständig in mir ausgebreitet hatte und dass ich noch lebte. Der Schmerz hielt mich wach, brachte mich dazu, weiter zu kämpfen. Gegen die Dunkelheit. Es ertönten eilige Schritte. Wenig später berührte mich eine kühle Hand. „Ich will nicht sterben...“, meine Stimme war heiser und brüchig. Keine Antwort. „Weißt du, dass schlimmste an dieser Situation ist nicht, dass ich sterben werde, sondern dass die Anderen aus der Klasse meinen werden, sie hätten mich in den Selbstmord getrieben und dann werden sie so tun, als hätten sie mich geliebt...“ Ein heißer Schmerz durchzuckte meinen Arm, in dem der Dolch steckte. Mein Körper krampfte, als der Dolch anfing hin und her zu wackeln. Mein unbekannter Beistand wollte ihn wohl herausziehen. „Hör auf! Wenn du den Dolch herausziehst, sterbe ich nur früher! Und ich brauche jeden Atemzug, weil ich dir noch etwas sagen will!“ Der Dolch stand still. „Ich.. bin ein Dampir, ein Wesen, halb menschlich, halb vampirisch. Meine Mutter, eine Reinblüterin, wurde nach meiner Geburt ermordet. Mein Vater wurde ermordet, als ich 10 war. Ich werde immer nur gehasst, egal, wohin ich komme. Für die Vampire bin ich Abschaum, ein wildes Tier, das kein Recht auf Leben hat. Für die Hunter bin ich eine Missgeburt. Weder Mensch noch Vampir, etwas, das einfach nicht existieren darf und eliminiert werden muss. Menschen hassen mich wegen meiner Aura und haben Angst vor mir. Ich bin ganz allein...“, etwas Heißes, Flüssiges rann über meine Wangen und wurde wenig später weggewischt. Eine fremde Aura berührte mich, verschmolz geradezu mit mir. Eine angenehme, schillernde Wärme erfüllte mich von innen. Doch Sekunden später wurde es kalt. Eiskalt. Wieder nur Dunkelheit. Dann spannte sich ein winziger, hauchdünner Faden durch die Schwärze und schillerte mir silbern entgegen. Ich stockte etwas. Dieser Faden war ein Faden aus Angst. Hatte ich angst, oder war es das Gefühl meines Beistands? Mein Kopf wurde etwas angehoben, lag wenig später etwas erhöht. Weicher Stoff strich über meine Wange, als ich mein Kopf zur Seite drehte. Der Stoff war noch warm und ein bekannter Duft haftete ihm an. Ein Bild formte sich vor meinen Augen. Ein verschwommenes Gesicht, das mir so nah war. Weitere Fäden brachen durch die Dunkelheit. Besorgnis, Hilflosigkeit und Verzweiflung. „Sag.. den anderen, dass ich keinen Selbstmord begangen habe, ja? Selbstmord ist feige und ich laufe nicht vor meinen Problemen weg. Die sollen nicht denken ich sei schwach gewesen...“ Ein weiterer Faden spannte sich durch die Schwärze. Feuerrote Entschlossenheit. Wieder durchfuhr mich eine Feuerwelle, stärker als die Vorherigen. Mein Herz stolperte einige Schläge. Mein Körper zuckte unter Krämpfen und ich fing an zu schreien und zu weinen. Eine Hand legte sich auf meinen Mund, hinderte mich so am schreien. Dennoch liefen immer weiter Tränen über meine Wangen. Ich spürte die sanfte, leicht zittrige Berührung von Lippen auf meinem Hals, dann den Druck von scharfen Vampirzähnen, die ohne auf Widerstand zu treffen durch meine Haut glitten. Also war mein Beistand ein Vampir. Die Schwärze wurde blutrot und ein einziger Faden glitzerte weit von mir entfernt. Ich wusste nicht, was dieser Faden darstellte. Er barg so viele Emotionen und ich war zu schwach, um sie alle zu entschlüsseln. Schließlich wurde wieder alles schwarz... Ein schrilles Piepsen drang an mein Ohr und verschwand wieder, um wenige Augenblicke später wieder zu ertönen. Und wieder von Vorne. Immer in einem gleichmäßigen Rhythmus. Gedämpft hörte ich Stimmen. „Wird sie bald aufwachen?“, fragte die eine Stimme. Ich erkannte sie als Stimme von Rektor Cross. „Das wissen wir nicht. Sie ist soweit stabil, aber immer noch sehr schwach...“, erwiderte eine mir fremde Stimme,welche wahrscheinlich einer Ärztin oder Krankenschwester gehörte, „Das Mädchen hatte wirklich Glück, dass man sie so schnell gefunden hat. Dennoch. Sie wird wahrscheinlich blind sein, wenn sie wieder aufwacht. Das Gift hat ihre Sehnerven stark geschädigt.“ „Ich verstehe. Dann müssen wir ihr wohl Jemanden zuteilen, der ihr im Alltag hilft...“ „Das wäre für die ersten Wochen bestimmt von Vorteil. Wir wissen ja auch nicht, wie sie überhaupt darauf reagiert, dass sie nichts mehr sehen wird. Aber ich denke, sie wird sich schnell damit abfinden und arrangieren.“ Blind?! Naja, immerhin lebe ich noch. Ich hörte die Tür aufgehen und wieder zuschnappen. Wenig später erklang eine Mädchenstimme. Es war Yuki. „Geht es Amai besser?“, fragte sie „Sie ist soweit stabil, Yuki.“, antwortete der Rektor, „Wenn sie aufwacht, erfährst du es als Erste.“ „Und der Typ, der ihr das angetan hat? Hat man den schon gefunden?“ Der Rektor zögerte etwas: „Nein, aber die Polizei tut ihr Bestes.“ Man hatte wegen mir wirklich die Polizei eingeschaltet?! Warum nur?! Liegt denen etwa was an mir?! Ich öffnete die Augen, doch da war nichts. Nur unendliche Schwärze. Tastend wanderten meine Finger über mein Gesicht, bis sie schließlich auf eine Binde über meinen Augen trafen. Der Stoff der Binde war rau. Verbandstoff. Vielleicht sah ich wegen dem Verband nichts. Diese Hoffnung wurde allerdings sehr schnell zerschlagen, da der Verband von der fremden Ärztin entfernt wurde. „Wie fühlen Sie sich? Haben sie Taubheitsgefühle oder is Ihnen schwindelig?“, fragte die Ärztin. „Wie ich mich fühle....?! Das fragen Sie noch?! Ich sehe nichts!“, schrie ich und bereute es gleich wieder. Mein Schädel dröhnte und um mich herum drehte sich alles. Ich musste noch 2 Wochen in der Klinik bleiben, ehe ich zurück an die Cross durfte. Yuki war mir als Hilfe zugeteilt worden, aber ich bemühte mich, möglichst selbstständig zu sein. Für die Anderen in meiner Klasse war meine Erblindung kein Grund, mir etwas entgegen zu kommen. Im Gegenteil. Immer wieder stellten sie mir ein Bein oder versteckten meine Sachen. Ebenso beliebt war es, mir den Stuhl wegzuziehen, sobald ich mich setzen wollte oder z B meine Federmappe wegzunehmen und stattdessen einen verfaulten Apfel oder etwas Ähnliches an die Stelle der Mappe zu legen, sodass ich immer hineingriff. Ich ertrug es, wehrte mich nicht. Yuki versuchte mir zu helfen, scheiterte aber hoffnungslos an der Meute. Grade war ich allein unterwegs. Ich hatte zu Yuki gesagt, sie solle sich mal eine Pause gönnen. Sie hatte mich nur skeptisch gefragt, ob ich mir sicher sei. Ich hatte nur genickt und war alleine losgezogen. Ich habe einen Blindenstock vom Rektor bekommen und kann mich einigermaßen orientieren. Hinter mir erklangen Schritte und lautes Gelächter. „Hey Korime! Wo is denn dein Kindermädchen?!“, rief eine Stimme, die ich sofort als Masao identifizierte. Ich ging einfach weiter, als hätte ich ihn nicht gehört. Er packte mich an den Schultern, drehte mich unsanft zu sich um: „Bist du auf einmal taub und blind?! Ich rede mit dir.“ Ich schwieg, wehrte mich nicht, als er mir meinen Stock aus der Hand riss. „Wozu ist das Ding hier gut?!“, scharfer Sarkasmus war aus seiner Stimme zu hören. Wenig später knackte es einmal laut und Masao lachte hämisch: „Na hoppala. Das Ding is ja kaputt!“ Als ich schon wieder nicht antwortete, wurde er wütend und schüttelte mich: „Jetzt reagier doch mal! Elender Freak!“ Er schubste mich nach hinten, sodass ich zu Boden stürzte. „Du bist nichts wert. Geh doch endlich sterben, Missgeburt!“, zischte er scharf. Beim Wort „Missgeburt“ zuckte ich kurz zusammen, blieb aber immer noch stumm wie ein Fisch. Manchmal frage ich mich, wer hier blind ist. Ich oder die. „Dass ihr echt gestört seid, wusste ich ja schon. Aber dass ihr so tief sinkt und eine Blinde quält, ist wirklich das Allerletzte. Haut ab, bevor ich mich vergesse!“, diese Stimme erkannte ich sofort, konnte aber gar nicht glauben, wer mich da grade verteidigte. „Halt dich da raus, Kiryu! Die kleine Missgeburt geht dich nichts an!“, blaffte Masao „Euch auch nicht.“, konterte Zero, „Und jetzt macht nen Abgang! Das ist die letzte Warnung!“ Ich hörte die leicht zittrige Stimme von einem von Masaos Anhängern: „I-ich glaub, der meints ernst! Lass uns abhauen, Masao!“ Ich spürte, wie Masaos Aura kurz aufflammte und dann zur blanken Angst wechselte. Dann erklangen sich hastig entfernende Schritte. „Warum hast du dich nicht gewehrt oder um Hilfe gerufen?! Die hätten sonst was mit dir machen können!“, Seine Stimme klang wütend. Sein zweiter Satz ließ mich schließen, dass er sich wohl um mich gesorgt hatte. „Weil ich eh nichts wert bin und hier nicht hingehöre.“, antwortete ich nüchtern, „Die werden eh nicht aufhören. Die haben Blut geleckt und wollen mich leiden sehen. Und ich bin ehrlich. Mittlerweile tut es gar nicht mehr weh. Es ist einfach nur ermüdend, jeden Tag bei Menschen zu verbringen, die einen mehr hassen als ihren schlimmsten Feind. Jou hatte recht. Ich bin Abschaum und muss eliminiert werden...“ Kapitel 5: Zerschlagene Träume ------------------------------ „Hör auf, so etwas zu sagen und fang an zu kämpfen! Wo ist dein alter Kampfgeist?!“ „Gestorben.“ „Nein! Ist er nicht. Komm schon, Amai. Steh auf.“, Zero nahm meine Hand und zog mich auf die Füße, „Lass dir von denen nichts einreden.“ „Sie haben doch recht...“, murmelte ich, „Was soll ich mir da noch einreden lassen?!“ Plötzlich lagen seine Hände auf meinen Schultern. Ich fuhr etwas zusammen und senkte den Kopf. „Komm wieder zu dir, Amai. Das bist nicht du. Merkst du das nicht?“, seine Stimme war leise aber eindringlich. „Woher willst du wissen, wer ich bin? Du kennst mich nicht. Kein bisschen. Bis jetzt war ich dir egal. Wir haben nie mehr als 2 Sätze in normaler Lautstärke gewechselt und dennoch glaubst du zu wissen, wie ich bin und vor allem WER ich bin? Du weißt gar nichts!“, sagte ich leicht wütend und wunderte mich darüber. Dieser Junge brachte mich wirklich dazu, noch wütend zu werden, auch wenn ich schon aufgegeben hatte... „Du hast recht, ich weiß nicht, wer du wirklich bist, aber ich weiß, wie ich dich sehe. Ich habe dich beobachtet. Willst du wissen, was ich gesehen habe?“ Ich nickte unsicher. Irgendwie hatte ich angst vor dem, was ich hören könne. „Ich habe eine starke junge Frau voller Stolz und Mut gesehen. In gewissen Situationen auch eine große Cholerikerin....“ „Ich bin also jähzornig und hitzköpfig?!“, unterbrach ich ihn. „Unter Anderem. Aber das sind Eigenschaften, die deinen Charakter prägen und dich zu der machen, die du bist.“, er lachte nicht, war mehr als ernst, „Außerdem wird der Charakter von Cholerikern auch durch Willensstärke und Entschlossenheit gekennzeichnet.“ „Dennoch überwiegt Jähzorn!“, zischte ich und seufzte dann. Ich hatte einfach keine Lust mehr zu Kämpfen. Weder gegen ihn noch gegen die Welt. „Momentan sehe ich ein gebrochenes Mädchen, das mit dieser Welt abgeschlossen hat und jeden Tag nur auf den Tod wartet. Deine Augen sind trüb und leer.“ „Das ist normal bei Blinden.“, antwortete ich trocken. „Ich bin aber davon überzeugt, dass dieses Feuer, das sonst immer in deinen Augen gebrannt hat und all diesen Ärschen wie Masao Respekt eingeflößt hat, immer noch da wäre, wenn du nicht aufgegeben hättest.“, ich hörte deutlich aus seiner Stimme heraus, dass er voll und ganz an die Wahrheit seiner Worte glaubte. „Nein, die hält nichts auf.“, sagte ich und löste seine Hände von meinen Schultern, „Weder damals noch heute. Egal, wie sehr meine Augen gebrannt haben oder auch nicht. Egal, wie sehr ich mich verändert habe. Ich habe keinen Platz in der Welt dieser elenden Aasgeier...“ Mir wurde schmerzlich bewusst, das auch Zero nur eine Stimme in der Dunkelheit war. Weit von mir entfernt in der Welt des Lichts und der Farben. Ich hatte keine Ahnung mehr, wie er aussah. Er war ein fremdes Wesen aus einer anderen Welt. Ich seufzte und schloss die Augen. Meine Erinnerungen nach einem noch nicht verschwommenen Bild von ihm durchsuchend, dachte ich noch einmal über seine Worte nach. Er hatte recht. Ich war dabei, mich selbst zu verlieren und das durfte nicht sein! Ich habe ein Versprechen gegeben. Ich streckte die Hände nach ihm aus: „Wo stehst du grade?“ Er hatte lange geschwiegen, während ich in meinen Gedanken gewesen war und ich wusste nicht, ob er überhaupt noch da war. „Ich bin hier.“, sagte er und führte meine Hand an seine Schulter. Ich nickte und tat einen kleinen Schritt auf ihn zu. Ich will nicht, dass er mir fremd vorkommt. Er hat mich vor Masao verteidigt und mir sinnbildlich die Augen dafür geöffnet, dass ich fast der Melancholie verfallen wäre. Blinde „sehen“ mit den Händen, so heißt es. Langsam ließ ich meine Hand über seine Schulter wandern, bis meine Finger auf seinen Hals trafen. Dort zögerte ich kurz, ließ meine Hand dann aber seinen Hals hinauf gleiten, bis sie an seiner Wange lag. Ich versuchte mich an Farben zu erinnern, was mir gar nicht so leicht fiel. Dennoch wollte ich Farben mit in dem Bild haben, das ich mir grade mühsam zusammenstückelte. Die einzige Farbe an die ich mich noch deutlich erinnerte war das Violett seiner Augen, das die Emotionen dahinter wie eine Wand versteckte und sich so selten wie ein Vorhang im Theater aufschob und den Blick in einen Teil seiner Seele freigab. Ich würde alles dafür geben, ihm jetzt in die Augen schauen zu können, sehen zu können, ob diese Wand momentan immer noch da war, oder ob sie Emotionen gewichen war. „Weißt du, das einzig gute daran blind zu sein, ist die Tatsache, dass es einem egal wird, wie man aussieht und in anderer Leute Augen dasteht.“, murmelte ich, während ich die Informationen, die ich über seine Gesichtszüge durch meine Finger bekam, zu einem Bild zusammensetzte. Ich war fasziniert von der Makellosigkeit seiner Haut. Die Stimmung in diesem Moment war wundervoll ruhig. Doch dann kippte die Stimmung. Zeros Atem war schnell und flach. „Geh...geh weg von mir...“, keuchte er. Sein Körper zitterte fiebrig. „Was hast du auf einmal? Bist du krank?“, fragte ich und drückte meine Hand gegen seine Stirn. Er glühte regelrecht. Er nahm meine Hand. Sein Griff war eisern und schmerzte, genau wie vor vielen Wochen. Allerdings ließ er diesmal nicht los und schubste mich weg. Im Gegenteil. Er festigte seinen Griff und zog mich zu sich. Unter normalen Umständen hätte ich nichts gegen eine Umarmung von ihm gehabt, aber ich wusste nicht, was mit ihm los war. Diese Unsicherheit machte mir Angst. Zero sank zu Boden, zog mich mit sich und legte den Kopf auf meiner Schulter ab. Vampir!!, schrie alles in mir. Ich war wie erstarrt. Erst, als seine Zähne sich in meine Haut bohrten und warmes Blut über meinen Hals rann, erwachte ich aus der Starre. Trommelnd schlug ich mit den Fäusten gegen seine Schultern. „Lass mich los!“, schrie ich ihn an. Schlagartig wurde mir klar, warum seine Aura Violett war. Sie bestand aus der blauen Aura eines Hunters und der roten Aura eines Vampirs. Er reagierte gar nicht. „Bist du taub?! Lass mich los, elendes Monster!“ Schließlich löste er sich ruckartig von mir. „Amai...es tut mir leid...“, Reue war deutlich in seiner Stimme zu hören, genau wie Selbsthass. Ich schüttelte langsam den Kopf, bekam meine Gedanken einfach nicht geordnet. Immer noch rann das Blut meinen Hals hinab. Zitternd hielt ich mir die Wunden am Hals zu. „Jetzt sag doch was! Geht es dir gut?“, er klang verzweifelt und hilflos. Als seine Hand sich auf meine Schulter legte wich ich zurück. „Fass mich nicht an, Blutsauger!“, da war wieder diese rohe Wut, die tief in meinem Inneren brodelte wie ein Vulkan. Es war die geballte Wut aus 7 Jahren voller Schmerz und Leid und sie würde nun über Zero hereinbrechen wie ein Tsunami. „Du bist ein Lügner! Jeden hast du belogen! Wagst es, mich zu bedrohen, ich solle in die Nightclass gehen, aber du bist selbst nichts besser! Du sagtest doch, du könntest keine weiteren Vampire hier gebrauchen. Dann geh doch! Jeder Vampir weniger ist ein Fortschritt! Und...“, so wurde aus meiner Wut eine ellenlange Hasstirade, die er stumm ertrug. „Du hast recht.“, sagte er schließlich. Seine Stimme war nüchtern und sachlich, „Ich bin ein Monster. Eine Bestie in Menschengestalt. Du tust gut darin, wenn du dich von mir fernhältst. Meine Nähe ist wirklich gefährlich. Ich könnte dich töten, wenn du mir zu nahe kommst.“ „Das ist ja nicht einmal das schlimmste!“, blaffte ich, „Ich hasse dich, weil du Vampir UND Hunter bist! Ihr Hunter tut, als seid ihr Helden, aber in Wahrheit seid ihr nur ein Haufen Mörder! Genau wie Vampire! Ihr seid keinen Deut besser als die! Wegen Leuten wie dir musste mein Vater sterben! Wegen Leuten wie dir wurde mir mein Bruder genommen! Wegen Leuten wie dir werde ich nie ein richtiges Leben haben!“, ungewollt liefen Tränen über meine Wangen. Da sieht man es mal wieder. Vertraue niemandem, sei wachsam. Alleine ist man besser dran. Wenn einem Nichts bedeutet, kann man nichts verlieren. Lässt man niemanden an sich heran, kann man nicht verletzt werden. All diese Gründe fielen mir dafür ein, einfach aufzustehen und zu gehen, dennoch ging es einfach nicht. Mir wurde klar, dass ich ihn nicht hasste. Ich hasste mich selbst. Dafür, dass ich nicht in diese Welt passte. Dafür, dass ich nie wie die anderen sein würde. Ein leises Wimmern drang aus meiner Kehle und die Tränen wollten einfach nicht versiegen. Jede der Tränen, die von meinem Gesicht perlten, war wie Salz, das in wieder aufgerissene Wunden meiner Seele rieselte. „Das mit deinem Vater tut mir leid. Ich...“, setzte Zero an „Halt die Klappe! Du kanntest ihn nicht einmal!“, schnitt ich ihm das Wort ab. Er fuhr einfach fort: „Ich habe von ihm gehört. Er soll ein guter Hunter gewesen sein...“ „Er war der Beste!“, zischte ich, allerdings verloren meine Worte durch mein Gewimmere an Druck. „Findest du allein zum Wohnheim?“, überging er mein jämmerliches Gezische einfach. „Wie denn?! Mein Blindenstock ist hinüber und sehen tu ich immer noch nichts!“, mir tat der Hals durch das viele Schreien und Weinen weh. Außerdem war mir durch den Blutverlust, den ich durch Zeros Biss erlitten hatte, schwindelig und meine Beine wollten, wie so oft, auch nicht so richtig. Dennoch quälte ich mich hoch. Schließlich stand ich mit stark zitternden Knien und drohte jeden Moment wegzuklappen. Ich hörte Zero nur seufzen und wenige Sekunden später wurde ich angehoben und getragen. Irgendwie war das ja schon süß.... Nein! Das tat er bestimmt nur, weil ich keine 2m mehr geradeaus laufen konnte, ohne über meine eigenen Beine zu stolpern. „Lass mich runter, wenn ich dir zu schwer werde.“, sagte ich genervt. Ich hasse es, durch die Gegend getragen zu werden. Noch mehr hasste ich es, dass ich mir grade sozusagen Schulden gemacht hatte. Schulden im Sinne von Hilfestellungen, die er mir gab und für die ich mich notgedrungen irgendwann bedanken musste. „Geht schon. Du bist nicht schwer.“, antwortete er knapp, „Mach mal die Tür zum Wohnheim auf. Direkt vor dir.“ Ich tat wie mir geheißen. Je eher ich in meinem Zimmer war, desto eher verschwand er und ich hatte meine Ruhe. „Ich bin mit bei Yuki uns Sayori im Zimmer. Sei bloß leise! Wenn eine der Beiden aufwacht, kriegst du ärger mit mir!“, meine Stimme war nicht mehr als ein heiseres Krächzen. „Ich bin leise. Wenn die Beiden aufwachen, liegt es an dir.“ „Hmpf.“, machte ich nur. Am Zimmer angekommen, öffnete ich wieder die Tür und Zero trug mich hinein. Er setzte mich vorsichtig auf meinem Bett ab. „Ab hier kommst du alleine Klar?“, fragte er „Nee, weißte?!“, erwiderte ich barsch. „Gut.“, murmelte er nur und wenige Sekunden Später hörte ich wie die Tür ganz leise zugezogen wurde Kapitel 6: Der Mann, der ihr alles nahm --------------------------------------- Am nächsten Morgen ging alles seinen gewohnten Gang. Ich ertrug die Schikane meiner Mitschüler wie immer stumm. Unser Ethik-Lehrer, Yagari, betrat den Raum in disziplinierten Militärschritten, die die Schüler sofort verstummen ließen. „Guten Morgen.“, begrüßte er die Klasse, welche kurz darauf mit einem weiteren „Guten Morgen“ antwortete. „Korime-kun, ich möchte dich nach dem Unterricht sprechen.“, verkündete Yagari und begann den Unterricht. Vor mir tuschelten einige meiner Mitschülerinnen. „Was wohl jetzt wieder mit Korime ist?!“, murmelte die Eine „Bestimmt wird sie von der Schule genommen, weil sie blind ist.“, mutmaßte die Andere. „Ich bin blind, aber dafür sind meine Ohren sehr gut.“, stoppte ich das Kaffeekränzchen der beiden und zog so die Aufmerksamkeit des Lehrers auf mich und die zwei Quatschtanten vor mir. „Ruhe da hinten! Ansonsten könnt ihr Freitag zum Nachsitzen bleiben.“, rief Yagari in einem sehr genervten Ton. „J-ja, Sensei...“, piepsten die Quatschtanten. Die Aura der beiden, die ich wahrnahm, sprach von großem Respekt und Angst vor den Konsequenzen, die weitere Störungen des Unterrichts nach sich ziehen könnten. Ich lachte leise, dachte aber die ganze Stunde nur darüber nach, was Yagari wohl von mir wollen könnte. Ich wusste, was er war, aber wusste er auch, was ich war? Ich wusste nicht, wie er meine Aura wahrnahm. Wahrscheinlich ordnete er sie einem Level E oder D zu. Mir fiel auf, dass ich keine Ahnung hatte, welche Farbe meine Aura hatte. Farben... Ich vermisse die Farben irgendwie. Früher habe ich mir nie Gedanken darum gemacht. Sie waren einfach da gewesen, aber jetzt.... Ich vermisse es, meine geliebten weißen Rosen zu sehen, genau wie das Blau des Himmels oder die zarte Farbe der Kirschblüten, die grade überall auf dem Schulgelände blühen. Früher war meine Welt auch dunkel gewesen, allerdings konnte ich da noch sehen. Jetzt war wirklich alles schwarz.... Ich rutsche schon wieder in die Melancholie ab... Immerhin sind meine anderen Sinne jetzt geschärft und verfeinert. Ich schloss seufzend die Augen und ließ die warme Frühlingssonne, die durch das Fenster in den Raum fiel, mein Gesicht etwas wärmen. Ich schlief fast ein und erst das schrille Klingeln der Schulglocke ließ mich hochschrecken. Lustlos packte ich meine Sachen zusammen und ging zum Pult. „Sie wollten mich sprechen, Sensei?“, fragte ich, um das Gespräch in Gang zu bringen. „Richtig.“, sagte Yagari einfach nur. „Und worüber wollen Sie mit mir sprechen?“ „Erstmal weiß ich, was du bist und auch, wer deine Eltern waren.“ „Und weiter?“, das brachte mich nicht weiter. Er weiß, wer meine Eltern sind. Na und?! Keine Antwort. Vielleicht wollte er, dass ich von selbst drauf komme. „Nein, lassen Sie mich raten! Ich wurde auf die Exikutionsliste gesetzt und soll noch heute abgeholt werden! Na dann ist ja alles gut. Ich geh sterben, Sie gehen weiter Ihrer Arbeit nach. Alle froh!“ „Darum geht es momentan nicht. Noch nicht.“, Hass schwang als Unterton in seiner Stimme mit, „Es geht um deinen Halbbruder, Jou.“ Ich wurde misstrauisch: „Was soll mit ihm sein?“ „Er hat zugegeben, dich in Tötungsabsicht angegriffen zu haben.“, Ein weiterer Unterton schlich sich in die Stimme des Hunters. Ein Unterton, der aussagte >Ich hätte ihm geholfen, dich um die Ecke zu bringen!< „Schön für ihn. Hat er großes Lob bekommen?!“ Etwas kratzte über die hölzerne Tischplatte des Pultes. „Nein.“, Yagari wurde wütend. Er wäre bestimmt dafür gewesen, hätte man Jou für den Mordanschlag auf mich einen Orden oder so verliehen. „Was wollen Sie dann von mir?“ „Ich geb dir den Tipp, so schnell wie möglich von hier zu verschwinden. Du verwirrst die Leute hier nur und hinterlässt eine Spur aus Chaos.“ „Sie müssen schon etwas präziser benennen, was Sie meinen. Ich bin des Gedankenlesens leider nicht mächtig.“ Schlagartig berührte kalter Stahl meine Kehle. „Werd nicht frech, Kleine!“, Yagaris Stimme war vor unterdrückter Wut ganz leise, allerdings presste er seine Worte mit viel Druck heraus, sodass sie zischend klangen. „Na los. Bringen Sie es zu Ende. Ein kleiner Schnitt und alles ist vorbei.“ „Glaub mir, du wärst schon längst tot, würdest du nicht unter dem Schutz des Rektors stehen!“, der Druck auf die Klinge an meiner Kehle wurde etwas verstärkt, ehe die Klinge langsam entfernt wurde, „Und du wirst auch sterben, sobald der Rektor nicht mehr so auf dich aufpasst!“ Ich zuckte unberührt die Schultern: „Kann ich jetzt gehen? Ich hab noch was zu tun.“ Ein widerwilliges „Von mir aus“ erklang und ich verließ den Raum. „Yuki?“, fragte ich, als ich auf dem Flur stand. „Ist nicht da. Der Rektor hat gemeint, sie bräuchte mal eine Pause. Heute bin ich für dich zuständig.“, meinte eine mir nur zu bekannte Stimme. Ich seufzte leise: „Meinetwegen.“ Ich war wirklich nicht sehr angetan davon, dass Zero heute meinen Aufpasser spielen sollte. Dennoch kam mir das auf eine Art und Weise recht gelegen. „Hey Zero, ich hab da mal ne Frage. Als Hunter kannst du dir doch jede Akte im Archiv der Hunterorganisation ansehen, oder?“, fragte ich. „Ja, warum fragst du?“ „Kannst du die Akten auch mitnehmen?“, überging ich seine Gegenfrage einfach. Er schaltete allerdings schnell: „Willst du etwa, dass ich eine Akte für dich mitgehen lasse?“ Ich biss mir auf die Lippe und nickte. „Warum?“ „Weil ich den Mörder meines Vaters finden will. Er wurde von einem Hunter im Auftrag der Organisation ermordet. Darüber muss es doch einen Bericht oder so etwas geben, oder?“ „Theoretisch ja. Du willst deinen Vater rächen oder?“ „Blöde Frage! Natürlich will ich ihn rächen. Dann will ich das Schwein finden, das meine Mutter auf dem Gewissen hat und dann kann ich endlich mit der Vergangenheit abschließen.“ „Hm. Da hast du nur eine Sache übersehen. Wofür lebst du, wenn du dein Ziel erreicht hast, oder willst du dich dann einfach umbringen?“ Meine Stimme war eisig, als ich ihm antwortete: „Und wenn dem so wäre?! Das wäre für die Welt doch ein Segen, wenn ich weg wäre. Was interessiert es dich dann, was ich mache?!“ „Wir sind uns ähnlich, Amai. Wir haben fast das selbe Schicksal. Du musst wissen, ich habe meine Eltern auch verloren. Und meinen Bruder...“ „Dann weißt du, wie es mir geht. Ich bitte dich, Zero. Besorg mir die Akte über Kirei Korime. Ich will den Kerl, der meinen Vater ermordet hat wenigstens einmal sehen und ihn fragen, warum er das getan hat und was er mit Jou gemacht hat, dass er mich heute so hasst...“, etwas flehendes trat in meine Stimme. Ich flehte zu Gott, oder was auch immer da oben war und mich wohl mit Vorliebe leiden ließ, es ein einziges Mal in meinem Leben gut mit mir zu meinen. „Ich kann es versuchen.“ Ich strahlte und umarmte ihn stürmisch. „Danke...“, hauchte ich. Vielleicht war er doch gar nicht so übel. Ausnahmen soll es auf beiden Seiten ja immer geben. Zwei Tage später nannte Zero mir den Namen des Hunters, der meinen Vater auf dem Gewissen hatte. „Laut Akte hieß der Kerl Raidon Higurashi. Er lebt sogar in der Stadt. Wenn du willst, begleite ich dich dorthin.“, meinte Zero. Ich nickte stumm. Bald würde es ernst werden. Ich würde dem Mann gegenüberstehen, der meinen Vater vor meinen Augen erschossen hat und dessen Stimme mich fast jede Nacht in meinen Albträumen jagte. Ich würde ihm endlich begegnen und ihm heimzahlen, was er mir angetan hatte. Als ich mit Zero aufbrach, regnete es, als würde der Himmel spüren, was in mir vorging. Ich schwieg den ganzen Weg über und erst Zeros Stimme riss mich aus meinen Gedanken. „Wir sind da. Bist du bereit?“, fragte er „Nicht wirklich...“, murmelte ich. Ich hörte eine Tür aufgehen und wieder ins Schloss fallen. „Was wollt ihr denn hier?!“, erklang die Stimme, die ich meinen Lebtag nicht vergessen werde. Wie ein Eissturm hüllte ihr Klang mich ein und ließ mich frösteln. „Erinnern Sie sich noch an Kirei Korime und seine Kinder Jou und Amai?“, fragte ich leise. Stille. Es waren unendliche Sekunden bis er antwortete: „Ja, ich erinnere mich. Kirei war einer meiner Kollegen und Jou mein Schüler. Tragische Sache, was Kirei sich da geleistet hat. Fängt was mit nem Blutsauger an. Und dann nicht mit irgendeinem, sondern mit Naomi Inochiru, der Reinblüterin schlechthin! Und dann hat der auch noch ne Tochter mit ihr! Aber warum fragst du?“ „Weil ich diese Tochter bin!“ Kapitel 7: Wer hält deine Hand in der Dunkelheit? ------------------------------------------------- „Ah ja. Und wie hast du 7 Jahre ohne Beistand oder Eltern überlebt?!“, spottete Raidon. Meine Stimme bebte vor Hass, als ich antwortete: „Wie ist doch jetzt irrelevant! Tatsache ist, ich habe es geschafft!“ Um ehrlich zu sein, habe ich die Letzten 7 Jahre fast ausschließlich bei verschiedenen Pflegefamilien verbracht. Dort war es jedes Mal das selbe Spiel gewesen. Ich bin angekommen, wurde erst ganz herzlich empfangen um dann ignoriert und gehasst zu werden. „Du hast mir alles genommen!“, schrie ich unter Tränen. Ich verfluchte mich dafür, vor diesem gefühlskalten Monster zu weinen, aber grade kam alles wieder hoch. „Nein, dein Leben habe ich dir gelassen.“, seine Antwort hallte in meinem Kopf wider, „Außerdem scheinst du ja einen Freund gefunden zu haben. Unglaublich, dass jemand was mit einem Tier wie dir zu tun haben will.“ Ich zuckte etwas zusammen, suchte instinktiv nach Zeros Hand und verschränkte die Finger mit seinen, als ich seine Hand gefunden hatte. Seine Nähe beruhigte mich irgendwie. Das entging auch Raidon nicht: „Junge Liebe! Da wirds selbst mir ganz warm ums Herz. Junge, du hast keine Ahnung, mit was für einem Mädchen du es da zu tun hast, oder?“ „Falls Sie meinen, ich wüsste nicht, dass sie ein Dampir ist: Sie liegen falsch. Dieser Tatsache bin ich mir durchaus bewusst, aber ich bin ehrlich. Es ist mir egal.“, Zero drückte meine Hand kurz. Eine Geste dafür, dass er auf jeden Fall hinter mir stand? „Wirklich mutig, mein Junge. Es gibt viele Leute, die Mut schätzen. Zu eurem Pech gehöre ich nicht zu diesen Leuten. Niemand würde mich dafür verurteilen, wenn ich dich auch mit töte, Junge.“ Zeros Aura flackerte unruhig und er spannte sich an. Ich wurde ebenfalls unruhiger und drückte seine Hand ganz fest. Ich hörte ein leises Klacken. Metall auf Holz. Das Geräusch kannte ich aus einem Film, den ich mal gesehen hatte. Es war das Geräusch, das entstand, wenn ein Schwert gezogen wurde..... Schwert?! Ein Surren durchschnitt die Luft und ich erwartete, von einer Klinge getroffen zu werden. Doch nichts geschah. Ich war wie erstarrt, bis Zero mich mit zerrte. „Komm, wir müssen weg hier!“, rief er mir im Lauf zu. Ich stolperte unbeholfen hinter ihm her, konnte sein Tempo kaum halten. Etwas Warmes, Flüssiges übertrug sich von seiner Hand auf meine, die er fest umschlossen hielt und ein betörender Duft ließ die vampirische Seite in mir erwachen. „Blut...“, hauchte ich benebelt. „Reiß dich zusammen! Dafür haben wir jetzt keine Zeit!“, fauchte Zero immer noch wahnsinnig angespannt, „Wenn der Typ uns erwischt, sind wir tot!“ Wie auf Stichwort erklang tiefes, unheimliches Lachen hinter mir und jemand zog an den Spitzen meiner Haare. Mir blieb fast das Herz stehen und ich beschleunigte meine Schritte. Zwar ließ ich mich immer noch größtenteils von Zero ziehen, aber immerhin war ich zumindest halb aus der Trance erwacht, in die mich meine vampirische Hälfte durch den Blutgeruch gestoßen hatte. Das Lachen und die Schritte unseres Verfolgers verklangen langsam. „Wo sind wir?“, fragte ich leicht ängstlich. „Im verlassenen Stadtteil. Da vorne ist ein Haus. Da verstecken wir uns.“, Zero zog mich weiter, allerdings hatte sein Griff stark an Festigkeit verloren. „Du bist verletzt...“, flüsterte ich leise „Das.. Das ist nicht der Rede wert, Amai. Mach dir um mich keine Sorgen.“, versuchte er mich zu beruhigen, aber so einfach ließ ich mich nicht ruhig stimmen. „Wo hat er ich getroffen?“ Ich bekam keine Antwort, aber ich spürte an seiner Aura, dass es Zero sehr schlecht ging. „Krepiere jetzt nicht.Wir brauchen deine Augen noch.“, murmelte ich nur, ließ seine Hand los und stützte ihn etwas, „Wo lang?“ „Geradeaus...Ca. 20 Meter...“, er war bemüht, sich nicht allzu sehr auf mich zu stützen. „Ist Raidon hinter uns?“ „Nein..“ Ich nickte und ging in die genannte Richtung. Im Haus angekommen lauschte ich kurz. Alles still, nur Zeros Atem hallte in meinen Ohren wieder. „Er wird uns finden und... das ist nur meine Schuld...“, flüsterte Zero „Quatsch. Er wird uns nicht finden.“, widersprach ich „Doch. Er wird der Blutspur folgen.“ Ich versuchte auszublenden, dass er recht hatte: „Setz dich hin. Ich will mir deine Wunden mal genauer ansehen.“ >Ansehen< war nicht ganz korrekt, aber naja. Erst weigerte er sich, aber er hatte mir ,so geschwächt, wie er war, nicht mehr viel entgegenzusetzen. So zwang ich ihn mit sanfter Gewalt zu Boden. Wider meinen Erwartungen wehrte er sich aber nicht mehr, als ich ihn untersuchte. Als ich über einen tiefen Schnitt auf seiner Brust fuhr, zuckte er zusammen. „Ja, dass ist wirklich nicht der Rede wert...“, murmelte ich leise. „Lass mich hier. Allein kannst du vielleicht noch weglaufen...“, flüsterte er. Seine Stimme hatte einen gluckernden Nachklang, als würde etwas in seine Lunge Bluten. „Ich zieh jetzt garantiert nicht den Schwanz ein und lass dich hier zurück! Du hast mir das Leben gerettet!“ „Zum zweiten Mal... Und dass in 3 Monaten...“, keuchte er „Zum zweiten Mal?“, fragte ich nach. „Ja, auf dem Ball, als dein Bruder dir den Giftdolch in den Arm gerammt hat. Ich musste dein Blut sauber saugen und du hast mir deine ganze Lebensgeschichte erzählt...“ „Das warst du?!“, mir schoss das Blut in die Wangen. Vor einigen Tagen hatte ich ihm gesagt, ich würde ihn hassen, und dabei hat er mir das Leben gerettet... „Mir ist schwindelig...“, Er schien schon halb weggetreten. Ich hatte Angst. Angst um sein Leben. „Dann leg dich hin.“, Ich half ihm und nahm seinen Kopf auf meinen Schoß. „Hab keine Angst, Amai. Ich beschütze dich...“, murmelte er. Er klang wie Jou, wenn er im Schlaf geredet hatte. „Nein, momentan muss ich auf dich aufpassen...“, ich strich Zero eine Haarsträhne aus dem Gesicht, fuhr dann noch einmal vorsichtig über die Schnittwunden, die durch unsere Flucht aufgeklafft waren. Wieder zuckte Zero kurz zusammen. Tränenberge der Angst und der Hilflosigkeit wuchsen in meinen Augen, bis ich sie nicht mehr zurückhalten konnte und sie wie Sturzbäche über meine Wangen rannen. Ich versuchte die Tränen wegzuwischen, verteilte so aber nur Zeros Blut in meinem Gesicht. Wieder weckte der Blutgeruch vampirische Gelüste in mir. Ich erinnerte mich an etwas das mein Vater mir schon früh beigebracht hatte. Blut hilft Vampiren bei der Wundheilung. Das brachte mich auf eine Idee. Zum ersten Mal in meinem Leben war ich dankbar für meine vampirische Hälfte. Obwohl ich mich nicht wohl dabei fühlte, mich selbst zu beißen, grub ich dennoch meine Zähne in mein Handgelenk. Dampire können genau wie Vampire Blut trinken und haben auch einen abgeschwächten Blutdurst. Auch tauchen die typischen Fangzähne der Vampire bei einem Dampir erst auf, wenn er Blut riecht und ich roch grade mehr als genug davon. Ich hatte damit zu kämpfen, mein Blut nicht zu schlucken. Ich schaffte es irgendwie und beugte mich zu Zero runter. Ich flößte ihm das Blut wie bei einer Mund-zu-Mund-Beatmung ein. Das kann man unter Umständen als Kuss werten. Ich hatte mir meinen ersten Kuss viel romantischer vorgestellt aber naja. Man kann nicht alles haben im Leben. Gott -oder was oder wer auch immer da oben sitzt - sei Dank schluckte Zero das Blut ohne Widerstand, begann sich dann etwas zu bewegen. Er riss den Kopf hin und her. Ich hatte wirklich Respekt vor ihm. Kämpft selbst noch gegen den Blutdurst an, wenn er halb massakriert ist. „Noch ein Mal, Zero. Das ist nur zu deinem eigenen Besten.“, meine Stimme war heiser und wurde von Schluchzern unterbrochen. Er schüttelte unruhig den Kopf und seine Aura füllte den Raum mit einer angespannten Atmosphäre. Ich setzte aber schon zum zweiten Durchgang der Prozedur an. Als er die Hände an meine Schulten legte und versuchte, mich wegzudrücken, hätte ich ihm am liebsten welche geklebt. So ein verdammter Sturkopf! Mit einigen Hindernissen schaffte ich es aber doch noch, ihm das Blut einzuflößen und seine Gegenwehr zu brechen. Dann ließ ich ihn aus meinem Handgelenk trinken. Ich lauschte kurz. Inzwischen war es wohl Nacht geworden. Ich spürte keine Sonnenstrahlen mehr auf meiner Haut. „Kagome Kagome, Kago no aka no tori wa. Itsuitsu deyaru? Yoake no ban ni, Tsuru to kame to subetta? Ushiro no shomen daare?*“, brummte eine unheimliche Stimme hinter mir und lachte wenige Sekunden später düster. Ich fuhr herum. Diese Stimme jagte mir doch wirklich immer wieder Schauer über den Rücken. „Hab ich dich, kleines Vögelchen.“, lachte Raidon, „Und wie es scheint, hat dein kleiner Freund doch überlebt. Leider stirbt der Junge jetzt genau hier, vor deinen Augen!“ „Nein...“, wieder Sturzbäche, die über meine Wangen rannen, dann unendliche Wut, „Nein! Er wird nicht sterben! Du hast mir schon einmal alles genommen!“ Ich wusste durch seine Aura, wo Raidon stand und warf ihn in einem Sprung zu Boden. Mit den Knien fixierte ich seine Arme am Boden. Er konnte sich nicht wehren, als ich immer wieder mit meiner Faust in sein Gesicht schlug. Ich war wie in Trance. Meine Knöchel schmerzten nicht. Nein, da war nur die Genugtuung, ihn endlich verletzen zu können. So merkte ich nicht, dass meine Knöchel langsam mit Blut überströmt waren und dass Raidon nicht mehr zuckte. „Amai! Amai! Es reicht! Du hast dem Typen den Schädel eingeschlagen!“, riss Zeros Stimme mich aus meiner Trance. „Er hat es verdient! Er soll leiden!“, begründete ich weitere, allerdings abgeschwächte Schläge. „Er ist tot.“, diese Worte strichen über mein Ohr, Sekunden später spürte ich eine sanfte Umarmung, „Er ist tot, Amai. Du hast ihn genug bestraft...“ Zeros Gesicht war direkt neben meinem. Er war mir ganz nah. Normalerweise meines Erachtens zu nah, aber das hier war was Anderes. Ich schluchzte leise, legte meine Hände auf seine Arme, die er von hinten um mich gelegt hatte. „Ushiro no shomen daare?**“, schluchzte ich. __________________________________________ *„ Kagome Kagome, der Vogel im Käfig wann wirst du herauskommen? Im Abend der Morgenröte, Wer steckt hinter dem Fallen der Schildkröte und des Kranichs? Wer steht nun hinter dir?“ Dies ist ein altes japanisches Kinderspiellied. ** Diese Zeile lässt sich in einer anderen Übersetzung des Kinderspielliedes mit Folgenden Übersetzungen übersetzen: 1.) „Wer hält deine Hand in der Dunkelheit?“ 2.) „ Wer umgibt dich in der Dunkelheit?“ Kapitel 8: Spiegelbild aus Eis ------------------------------ Seid dieser Nacht, in der Raidon starb, war etwas in mir zerbrochen. Irgendwas passierte mit meinem Körper und meiner Seele. In meinen Träumen konnte ich immer sehen... Ich hatte jede Nacht den selben Traum: Ich fiel von einem Hochhaus. Wind riss an meinen Haaren herum und schnitt mit eisiger Kälte in mein Gesicht. Ich riss die Augen auf und sah den Boden immer näher kommen. Ich wollte schreien, aber jeder Schrei wurde vom Wind zurück in meine Kehle gedrängt. Bevor ich auf dem Boden ankam, wurde ich aufgefangen. Mein Retter war ein junger Mann mit edlen Gesichtszüge und Augen von der Farbe dichten Nebels. Seine Haut war schneeweiß und sein schwarzes Haar schimmerte matt. „Habt ihr euch verletzt, meine geliebte Amai-Hime?“, fragte er mit warmer Stimme und das Silber seiner Augen schien sich in einem pulsierenden Tanz um seine Pupillen zu schmiegen.. Ich war fasziniert von diesen Augen, konnte den Blick gar nicht mehr abwenden. „Wer bist du?“, ich flüsterte nur, wollte die Stille nicht zerstören. „Komm, es wird Zeit...“, sagte er nur und ignorierte meine Frage komplett. „Wofür?“, fragte ich. Doch auch diese Frage ignorierte er und hielt mir einfach die Hand hin. „Vertrau mir.“, hauchte der Mann in einem unwiderstehlichen Ton. Ich konnte nicht anders und wollte nach seiner Hand greifen, doch die Umgebung löste sich in tiefer, kalter Schwärze auf. Ich hörte ein tropfendes Geräusch. Riesige Tropfen einer Flüssigkeit regneten von der Decke und sammelten sich in einer Pfütze vor mir. Dann tropfte etwas davon auf meine Wange. Es war warm und zähflüssig. Ein heißer Lufthauch blies mir die Haare aus dem Nacken und hinterließ ein unangenehmes Kribbeln. Wenige Sekunden später ließ mir ein kehliges Knurren das Blut in den Adern gefrieren. Ich traute mich nicht, mich umzudrehen. Wieder dieses Knurren, allerdings diesmal direkt neben meinem Ohr. Ein Tier?! Wenn ja, muss es ein sehr großes und hungriges Tier sein... Von hinten legte sich ein kalter, blasser Arm um meine Taille und hielt mich wie eine Kette an Ort und Stelle fest. Leichte Panik stieg in mir auf, als ich es doch schaffte mich umzudrehen. Ich sah in das Gesicht eines Vampirs. Aus seinen dunkelrot leuchtenden Augen sprach Mordlust und Blutdurst. Seine Züge waren gezeichnet von Wahnsinn und ließen kaum noch Ähnlichkeit zu einem Menschen erahnen. Der Mund des Vampirs war mit Blut verschmiert und scharfe Fangzähne blitzen mir bedrohlich entgegen. Nein, das war kein menschliches Wesen mehr. Dennoch erinnerte dieses Tier mich an jemanden. Ich sah den Vampir lange an, als plötzlich ein Bild vor meinen Augen aufblitzte und mir die Tränen in die Augen trieb. Ich sah ihm in die Augen und hoffte, dass ich mit meiner Vermutung, wer er war falsch lag. „Zero...?“, meine Stimme war leise und ängstlich. Mein Herz raste wie ein galoppierendes Pferd. Ich bekam keine Antwort, aber der Gesichtsausdruck des Vampirs reichte schon aus. Er hatte den Kopf leicht schief gelegt und musterte mich interessiert, ehe wieder reine Gier in seine Augen trat. „Dreckiges Halbblut!“, blaffte er mit unheimlich tiefer Stimme Er wollte mich grade beißen, als sich das Bild im Nichts auflöste und ich wieder fiel. Ich wurde diesmal nicht aufgefangen, doch es erklang eine so vertraute Stimme... „Amai-Hime...Geht es dir gut? Hast du dir wehgetan?“, die Stimme meines Vaters war ganz nah. „Vater, sag mir, bin ich tot?“, fragte ich leise. Er lachte sanft: „Nein, du bist nicht tot...“ Ich wollte ihn grade umarmen, als er weitersprach „Aber ich bin es! Nur deinetwegen bin ich gestorben! Dreckiges Halbblut!“, zischte er und sein warmes Gesicht wurde zu einer verzerrten, halb verwesten Fratze, die mich voller Hass ansah. Ich zuckte zusammen und zog die Knie an. „Aufhören...!“, wimmerte ich, als ich das Gesicht in meinen Händen vergrub und zu weinen begann, doch es erklangen weitere Stimmen. Rektor Cross und Yuki, die sich so um mich gesorgt hatten, reichten meinem Zombie-Vater und meinem Halbbruder Jou die Hände. Dazu kamen meine Klassenkameraden. „Halbblut! Halbblut! Verschwinde von hier!“, riefen sie im Chor. Mein Weinen wurde lauter und meine Stimme flehender: „Hört doch endlich auf! Warum quält ihr mich so?!“ Kurz darauf fiel mir auf, dass ich eine Stimme nicht hörte. Zeros Stimme. „Zero, bitte, wenn du da bist, hilf mir!“, flehte ich. Jemand legte mir eine Hand auf die Schulter. Ich schaute auf und sah in Zeros Gesicht. Er lächelte leicht und half mir auf. Ich beruhigte mich langsam. Jetzt würde alles wieder gut werden, so dachte ich zumindest. Doch er packte mich an den Schultern und schob mich auf einen Abgrund zu, der auf einmal auftauchte. „Zero, was..?“, ich sah ihn erschrocken an. „Verschwinde von hier, Blutsauger!“, seine Worte schmerzten mich sehr, „Du warst echt so blöd und hast nicht gemerkt, dass ich nur mit dir gespielt habe um an dein Blut zu kommen! Jetzt verrecke wie eine elende Misttöle, Halbblut!“ Mit diesen Worten schubste er mich in den Abgrund. Schlagartig lief alles in Zeitlupe ab. Ich hatte eine Hand nach ihm ausgestreckt, in der Hoffnung, er wurde mich doch noch festhalten. Durch den Wind lösten sich die Tränen, die ich vergoss von meinen Wangen und blieben kurz in der Luft hängen wie kleine Diamanten. Dann wurde alles Schwarz. Als ich wieder aufwachte, stand eine junge Frau vor mir. Von ihren Wangen schneite eine wunderschöne Blässe und bildete einen starken Kontrast zu ihren dunkelroten Lippen. Die Augen der Frau waren eisblau und ließen keinen Hauch von Emotion durch. Sie wirkte wie aus Eis. „Endlich bist du hier.“, sagte sie mit ruhiger Stimme. „Wer bist du?“, fragte ich heiser. „Ich bin du, so wie du gerne wärst.“, erklärte sie, „Aber um dich nicht zu verwirren, nenne mich doch bitte Asami.“ „Aber...wie kannst du ich sein?“ „Ich bin deine vampirische Hälfte. Du unterdrückst mich seid fast 17 Jahren. Ich warte schon so lange darauf, mit dir zu reden. Sieh mich jetzt einfach für den Augenblick als deine Schwester.“ „Warum willst du mit mir reden?“ „Ich will dir helfen, Schwester. Ich sehe jeden Tag, wie sehr diese elenden Menschen uns quälen. Einer von ihnen nahm dir dein Augenlicht. Ich kann dir die Kraft geben, die du brauchst, um sie alle zur Hölle zu schicken. Du musst langsam verstehen, dass wir auf dieser Welt vollkommen allein sind und uns behaupten müssen. Wir können ihnen nicht vertrauen. Ich weiß, dass du diesen Jungen, Zero, sehr magst und ihm vertraust, aber wenn du ihm vertraust, kann er dich verletzen und er wird dich verletzen. Er ist wie alle Anderen...“ „Nein, er ist anders! Er hat mir geholfen. Nur durch ihn habe ich die Kraft, das alles zu ertragen!“, verteidigte ich Zero. „Er ist wie alle anderen. Du hast doch auch gespürt, dass er nicht das Selbe für dich empfindet wie du für ihn. Er wird dir wehtun, wenn du ihm weiter so tiefe Einblicke in unsere Seele gewährst. Ich möchte dich doch nur beschützen, meine Schwester.“ Ich sah ihr in die Augen. Mir wurde bewusst, dass ich keine Ahnung hatte, was Zero für mich war. Ein guter Freund oder doch mehr? Ich hatte keine Ahnung, wusste nur, dass alles in mir sagte, dass er nie das Selbe fühlen würde, wenn er bei mir war, wie ich. „Und du kannst sie alle zur Hölle schicken?“, fragte ich nach. Asami nickte und hielt mir die Hand hin: „Allerdings schaffen wir das nur gemeinsam.“ Ich stand auf und wollte ihr die Hand reichen, als auf einmal alles bebte. „....Mai!...Amai!“, rief eine Stimme von weit her, „Komm, wach endlich auf!“ Ich riss die Augen auf und die gewohnte Schwärze meiner Blindheit begrüßte mich. „Hey! Sie ist wach!“, rief die Stimme. Sofort war da ein Meer an Geräuschen und Stimmen. Von allen Seiten wurde ich berührt und gerüttelt „Hört auf...!“, meine Stimme war nur ein kratziges Flüstern, „Wer ist da überhaupt?“ „Ich bin es, Yuki. Zu deiner Rechten stehen Yori und der Rektor und links stehen die Schulkrankenschwester und Zero“, schilderte Yuki den Standort aller Anwesenden. „Warum seid ihr alle hier?“, fragte ich schwach. „Du hast im Schlaf geschrien und geweint und Yori und ich haben dich nicht mehr wach bekommen...“ Ich erkannte Sayoris Stimme rechts neben mir: „Irgendwann haben wir uns Sorgen gemacht und haben die Schulkrankenschwester gesucht. Dabei sind wir dann auf Kiryu-kun gestoßen. Er wollte wissen, was los ist und warum Yuki nicht bei dir ist. Wir haben ihm alles erklärt und er hat uns dann suchen geholfen...“ „Richtig.“, erklang Zeros Stimme. Ich hörte am Klang, dass er etwas mit mir zu besprechen hatte. „Würdet ihr mich freundlicherweise kurz mit Zero alleine lassen?“, scheuchte ich die Anderen weg. Als die Tür zu war, fing Zero direkt an zu sprechen. „Du hast im Schlaf geredet. Warum hast du die ganze Zeit meinen Namen gerufen?“, fragte er. „Lange Geschichte..“, wich ich der Frage aus. Er wird nie das Selbe für mich empfinden... „Du hast auch was davon gesagt, ich sei wie alle anderen...“, fuhr er fort. „Es war ein Traum, okay?! Du interpretierst da zu viel hinein.“, versuchte ich ihm einzureden. „Es war eben nicht nur ein Traum. Du hast Sturzbäche geweint.“ Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte, weinte einfach wieder stumm vor mich hin. Kapitel 9: Blühende Rose ------------------------ Ich hörte ihn seufzen, dann wurde die Tür geschlossen. Seid Raidon tot war, war ein knappes Halbes Jahr vergangen. Es war mitten im Winter. Draußen fielen Flocken vom Himmel und hüllten die gesamte Landschaft in ein einheitliches Weiß, allerdings war ein Schneesturm angekündigt worden. Ich seufzte nur, als Yuki herein wirbelte. „Amai! Du weißt, was heute für ein Datum ist,oder?!“, fragte sie aufgeregt. „Nein. Was ist denn heute?“, fragte ich tonlos zurück. Yuki schien etwas geschockt: „Heute ist der 24 Dezember! Heilig Abend!“ Ich seufzte leise. Heilig Abend und mein Geburtstag, den ich schon seit Urzeiten nicht mehr gefeiert habe. „Magst du Weihnachten etwa nicht?!“, fragte dieses nervige Mädchen. „Nein. Ich hasse es wie jeden anderen Feiertag im Jahr. Das ist doch alles nur Schwachsinn. Das macht man nur, damit man Geschenke bekommt. Und bevor du fragst: Nein, ich habe keinen Wunsch.“, bremste ich sie aus und hoffte, sie würde jetzt einfach verschwinden. Letzteres meiner Worte war gelogen. Ich hatte einen Wunsch, der seit der Nacht in mir lebte, in der Raidon gestorben war. Es war der Wunsch nach Zeros Nähe. Es machte mich wahnsinnig, jeden Tag neben ihm zu sitzen und zu wissen, dass da nie etwas war und auch nie etwas sein wird. Es war die letzten Monate sogar so weit gekommen, dass es mir nicht reichte, einfach nur eine Freundin für ihn zu sein. Nein, ich wollte seine Freundin sein. Seine Stimme klang immer noch in meinen Ohren. „Hab keine Angst, Amai. Ich beschütze dich...“ Ich muss zugeben, dass ich ganz der Melancholie verfallen war. Ich verschloss mich vollends vor meinen Mitmenschen. Der Rektor und Yuki machten sich immer mehr Sorgen um mich und drängten immer mehr darauf, zu erfahren was los sei. Deswegen zog ich mich immer weiter zurück. „Kommst du wenigstens mit zur Weihnachtsfeier?“, fragte Yuki. Ich nickte widerwillig. Sie würde mich ohnehin nie in Ruhe damit lassen. So gingen wir zum Büro des Rektors. Dieser rief sogleich mit freudiger Stimme: „Meine geliebten Töchter!“ „Seit wann reden Sie von Yuki im Plural?!“, fragte ich scharf sarkastisch. Damit hatte ich den Rektor wohl sehr ausgebremst: „Ich habe von euch beiden geredet! Amai, sag >Papa< zu mir!“ „Nicht in diesem Leben.“, zischte ich und drehte mich zu Yuki, „Kann ich gehen? Ich hab jetzt schon keine Lust mehr.“ „Bleib doch noch etwas!“, bettelte Yuki, „Wenigstens bis wir gegessen haben!“ Eine Hand legte sich von hinten auf meine Schulter und jemand raunte mir von hinten ins Ohr „Ich hab auch keine Lust. Spiel einfach mit. Dann geht’s am schnellsten vorbei.“, Seine Nähe löste warme Schauer bei mir aus. Ich spürte seinen Atem auf meiner Haut und bekam sofort eine Gänsehaut. „Was machst du hier, Zero?“, fragte ich mit leicht zittriger Stimme und spürte, wie mir unangenehm warm wurde. „Wurde hergeschleppt. Genau wie du.“, antwortete er und ließ mich los. Ich atmete tief durch: „Kann ich dich gleich mal alleine Sprechen?“ Er hörte sich etwas überrascht an: „Ja...?“ Ich nickte nervös. Jetzt war es an der Zeit, ihm zu sagen, was tief in meinem Innersten verborgen lag. Ich konnte es einfach nicht länger mit mir herumtragen. Ich war das ganze Essen über Stumm. Als ich mit Zero gehen wollte, hielt mich der Rektor noch zurück. „Warte Amai. Hier, das sollte ich dir von deinem Bruder geben“, der Rektor hielt mir einen Umschlag entgegen. Ich nickte nur, konnte das, was im Umschlag war eh nicht lesen. Dann ging ich mit Zero. „Wohin?“, fragte er „Bring mich nach draußen, bitte.“, bat ich ihn. Er schien etwas skeptisch, nahm aber meine Hand und führte mich nach draußen. Ich spürte die Kälte sofort und atmete die kühle Nachtluft ein. Ein zufriedenes Lächeln spielte über meine Lippen. Dann fiel mir der Umschlag wieder ein, den ich in der Hand hatte. „Würdest du mir den Inhalt vorlesen?“, fragte ich Zero leicht verlegen. Er nahm mir den Umschlag aus der Hand. Ich hörte ein reißendes Geräusch, dann das Knistern von Papier. Dann fing Zero an, den Brief laut vorzulesen: „Meine kleine Amai-Chan, Ich schreibe dir diese Zeilen, um mich zu entschuldigen. Ich habe für den Augenblick vergessen, was es bedeutet, eine Familie zu haben. Vater würde mich für das hassen, was ich dir angetan habe. Er hat dich abgöttisch geliebt und ist gestorben, um dich zu schützen. Ich war immer neidisch darauf, wie er dich angeschaut hat, dich in den Arm genommen und getröstet hat. Ich wollte eigentlich immer nur einen Platz in deinem und seinem Herzen haben. Die Jahre bei Raidon waren hart für mich und er hat es geschafft, mir einzureden, all das Schlechte in meinem Leben wäre von dir ausgelöst worden. Er hat diesen Hass in mein Herz gestreut und mich zu dem getrieben, was ich getan habe. Wichtig für dich ist jetzt erst mal, deine Mutter zu finden. Sie lebt. Ebenso lebt noch ihre Schwester, deine Tante. Ihr Name lautet Naemi Sakiyurai. Ich hoffe, sie wird dir eine gute Tante sein. Gib auf deine Mutter nicht allzu viel. Sie ist nicht das, was sie zu sein scheint. Sei vorsichtig, wenn du die Wahrheit finden willst, denn die Wahrheit ist keine Hure, die sich denen an den Hals wirft, die ihrer nicht begehren: vielmehr ist sie eine so spröde Schöne, dass selbst wer ihr alles opfert noch nicht ihrer Gunst gewiss sein darf.* Und auch, wenn du denkst, du hättest nichts, für das du kämpfen kannst, du bist nicht allein. Ich habe den Jungen gesehen, der dich ständig begleitet. Du scheinst ihm seinen Blicken nach zu urteilen sehr wichtig zu sein. Robert Lembke hat mal gesagt >Geliebt zu werden kann eine Strafe sein. Nicht zu wissen, ob man geliebt wird, ist Folter<. Aber ich denke, dieser Junge wird dich glücklich machen. Nun finde deinen Weg und gehe ihn erhobenen Hauptes. Vielleicht kannst du mir ja eines Tages verzeihen. Jou.“ Mir standen schon wieder die Tränen in den Augen. „Der Typ scheint ein Philosophenfanatiker gewesen zu sein.“, Zero klang nachdenklich. „Mach dich nicht über ihn lustig!“, schluchzte ich. „Tu ich nicht, aber es stimmt doch...“, rechtfertigte er sich, „Du wolltest über etwas mit mir reden.“ „Ja, das wollte ich...“, jetzt gab es kein Zurück mehr, jetzt musste ich das durchziehen, „Ich...will dir etwas sagen. Schon seit fast einem halben Jahr. Du musst wissen, die erste Zeit hatte ich große Angst vor dir. Doch dann wurdest du immer wichtiger für mich. Nach einiger Zeit warst du mein bester Freund und ein Bruderersatz für mich. Aber das hat sich auch wieder geändert...“, Ich hielt den Kopf gesenkt. Bestimmt war ich rot wie eine Tomate. Ich atmete tief durch die Nase ein, atmete dabei eine Schneeflocke mit ein und musste deshalb niesen. Das wurde ja immer besser. Also einfach grade heraus. „Ich weiß einfach nicht, wie ich das weiter aushalten soll! Ich will wichtig für dich sein. So wichtig wie du für mich bist! Was ich dir damit sagen will...Zero ich....ich fürchte, ich habe mich in dich...“, das letzte Wort wollte einfach nicht so recht, „...in dich...verliebt...! Ich möchte an deiner Seite sein, egal was passiert! Ich würde alles für dich tun!“ Er schwieg lange, als er sprach war seine Stimme bitter: „Amai, es tut mir leid, aber es geht nicht. Du weißt doch, was ich bin. Ich könnte dich verletzen, vielleicht sogar töten. Ich verstehe nicht, wie du mich lieben kannst...“ Ich schluchzte und sank in den Schnee. Meine Stimme war ein ersticktes Wimmern: „Es ist mir egal, was du bist oder was nicht. Sieh mich doch mal an. Ich bin kein Mensch und kein Vampir. Ich bin etwas, das eigentlich nicht leben darf. Ich bin ein Mädchen, das Angst hat, sich anderen zu öffnen, weil sich die anderen vor dem fürchten würden was sie sehen würden.“ Das stimmte. Würde man sich meine Seele wie eine Landschaft vorstellen, würde man eine zerbombte, verfallene Kleinstadt mit heruntergekommenen, verlassenen Häusern und verdreckten, brüchigen Straßen sehen. Nirgends würde man Leben finden. Bis auf eine kleine, zerbrechliche Rose, die mitten auf einer Straße blühte, wäre alles trist. Aber selbst die Rose drohte zu verwelken. „Bitte, es ist das erste Mal seit so langer Zeit, dass es eine Person schafft, die Schwärze zu erleuchten und mich in diesem Eissturm zu wärmen. Lass mich jetzt nicht alleine. Ich sterbe sonst endgültig.“, meine Wangen schmerzten bereits durch die vielen heißen Tränen. Ich zitterte stark und spürte meinen Körper nur noch als einen riesigen Eisklotz. Ich hörte den Schnee knirschen und befürchtete, Zero sei gegangen. Doch Sekunden später spürte ich eine warme Umarmung. „Ich bin ja hier. Beruhige dich...“, flüsterte Zero. Ich schlang die Arme fest um ihn: „Bleib bei mir, bitte....“ „Schließ die Augen. Ich will dir noch etwas schenken...“, wies er mich an. Seine Stimme war immer noch nur ein Flüstern. Ich schloss die Augen, obwohl es eigentlich unsinnig für mich war. Schließlich bin ich blind. Er nahm mein Gesicht in seine Hände und legte die Lippen vorsichtig auf meine. Ich spürte, dass er leicht zitterte, allerdings wusste ich nicht, ob ihm kalt war, oder ob das Unsicherheit war. Ich bin ehrlich, es war mir momentan eigentlich auch recht egal. „Alles Gute zum Geburtstag...“, hauchte Zero, als er von mir abgelassen hatte „Woher weißt du das?“, fragte ich erstaunt „Ich informiere mich über Personen, die ich beschützen will.“, antwortete er mir leise _______________________________________________________ * Ein Zitat von Arthur Schopenhauer Kapitel 10: Zwischen Himmel und Hölle ------------------------------------- Der Winter ging und als die Blumen wieder blühten, blühte auch ich regelrecht auf. Es tat unendlich gut, zu spüren, dass ich geliebt wurde. Vieles hatte sich verändert. Masao ließ mich in Ruhe, da er wohl Angst vor Zero hatte. Ich kann mich jedes Mal von Neuem Kaputt lachen, wenn Masao mich grade ansprechen wollte, dann aber immer durch Zeros bloße Anwesenheit abgeschreckt wurde. Aber jetzt zurück zur Gegenwart: Der piepsende Ton des Weckers riss mich unsanft aus meinen Träumen von der Zukunft. Der Zukunft mit Zero. Grummelnd drehte ich mich zur Seite, bis meine Wange auf Zeros kühle Brust traf, die sich ruhig hob und senkte. Wieder schrillte der Wecker mahnend. „Hey, wir müssen aufstehen..“, flüsterte ich und wollte aufstehen, doch ich wurde zurückgezogen „Ist mir doch egal.“, antwortete Zero mir gelassen, „Die Schule kann warten. Wir können uns schließlich beide eine Entschuldigung schreiben. Wir sind schließlich beide Volljährig.“ Ich lachte: „Das ist moralisch nicht korrekt!“ Dennoch schmiegte ich mich wieder an ihn, „Ich habe wohl keinen guten Einfluss auf dich!“ „Nicht wirklich. Ich habe nur keine Lust auf Schule. Außerdem liege ich grade so gut und bin müde..“, seine Stimme war etwas heiserer als sonst. Er war also wohl noch etwas verschlafen. „Faulpelz!“, rief ich gespielt empört, „Wie spät ist es?“ Ich spürte, wie er den Kopf hob: „Knappe Acht. Wir sind eh zu spät...“ „Der Rektor schickt garantiert Yuki. Das ist mittlerweile das neunte Mal, dass wie einfach so schwänzen, nur weil du keine Lust auf Schule hast.“ „Sollen sie doch...“, schloss er das Thema. Tatsächlich klopfte es wenig später an der Tür, allerdings erklang nicht Yukis Stimme: „Guten Tag. Mein Name ist Ryo. Ist dort Amai Korime-san?“ Ich antwortete verwirrt: „Ähm..Ja, einen Moment bitte...“ Ich fiel aus dem Bett und landete mit der Hüfte zuerst auf dem Holzfußboden. Zero grummelte: „Schon wieder aufstehen...“ „Nein, bleib du nur liegen. Ich macht das schnell.“, bremste ich ihn, während ich mir eilig Rock und Bluse der Schuluniform anzog und zur Tür tapste. Ich öffnete sie. „Kann ich hereinkommen?“, fragte der Mann, der sich Ryo nannte. Seiner tiefen Stimme nach zu urteilen, war er größer als ich und älter, aber nicht viel älter. „Ungern.“, sagte ich ganz direkt und versperrte dem Kerl mit meinem Arm den Weg, „Was kann ich für Sie tun?“ „Eure Mutter, Naomi Inochiru schickt mich um Euch abzuholen, Mylady.“, antwortete Ryo ruhig, „Euch soll Euer Verlobter, der Lord Kemuri Sakiyura, vorgestellt werden. Die Hochzeit ist schließlich bald...“ „Verlobter?! Hochzeit?!“, wiederholt ich verwirrt. „Ich denke, da liegt ein Irrtum vor.“, hörte ich Zero, der von hinten an mich herantrat und mir beide Hände auf die Schultern legte, „Ich bin Amais Lebensgefährte.“ „Das kann nicht sein. Die Lady ist dem Lord schon seit ihrer Geburt versprochen, gnädiger Herr. Deswegen muss ich Sie bitten, die Lady jetzt gehen zu lassen. Der Lord ist sehr ungeduldig.“, Ryo griff nach meinem Handgelenk und gleichzeitig bohrten sich Zeros Finger in meine Schultern. Doch Ryo war stärker und entriss mich Zeros Griff. Ryo führte mich in einen Raum, der stark nach Vampir roch. Ich hatte Mühe, ruhig zu bleiben. Sogleich erklang eine Frauenstimme: „So begegnen wir uns zum ersten Mal, meine Tochter..“ „Kann ich jetzt wieder gehen?“, fragte ich genervt. Ich brauchte keine Mutter mehr. Eine starke Ohrfeige warf mich zu Boden: „Zügele deine Zunge! Wertloses Miststück! Du musst wissen, ich wollte dich nie. Ich habe der Beziehung zu deinem Vater nur zugestimmt, um vor den Huntern sicher zu sein. Du warst eigentlich nur ein Unfall. Naja, immer hin habe ich doch einen Mann für dich gefunden...“ Das machte mir schon nichts mehr. So etwas hatte ich erwartet: „Das ist nicht nötig. Ich habe bereits einen Mann gefunden.“ „Den wirst du natürlich verlassen. Kemuri wird dir ein guter Ehemann sein. Aber sag, Tochter, du hast dich diesem Jungen, von dem du eben erzältest, völlig hingegeben, oder?“ Ich lachte nur: „Willst du Details?!“ „Miststück!“, die nächste Ohrfeige, „Kemuri, es tut mir leid. Ich hoffe, dass du sie trotzdem nimmst...“ „Mache dir keine Sorgen, Naomi. Sie ist hübsch und klug. Ihre spitze Zunge gefällt mir. Genau wie das Feuer in ihren Augen. Sie ist viel interessanter als die ganzen anderen Vampirfrauen. Ich will sie. Ich heirate sie noch heute.“, eine kalte Hand berührte mich. Ich wich zurück: „Pfoten weg! Nur ein Mann auf dieser Welt darf mich berühren!“ „Und das bin ich, meine Schöne.“, lachte der Typ, mein Verlobter und berührte mich abermals. Die Schwärze vor meinen Augen lichtete sich und ich sah den Typen, der mich nach meinem Hochhaussturz immer aufgefangen hatte. „Wenn es sein muss, töte ich den Anderen...“, flüsterte er. „Das wagst du nicht!!“, zischte ich, aber leicht verzweifelt. Er nickte einigen seiner Diener zu, die kurz verschwanden und mit Zero wiederkamen. Dann ging alles ganz schnell. Kemuri machte eine kleine Handbewegung, einer der Diener entsicherte eine Waffe und feuerte sie ab. Ein dunkelroter Fleck breitete sich auf Zeros weißem Hemd aus und er selbst sank leblos zu Boden. „Nein!“, schrie ich und wollte zu ihm, doch Kemuri hielt mich fest. Seine Stimme war nur ein leises Zischen und seine Augen funkelten mordlustig: „Wenn du jetzt nicht das tust, was ich dir sage und die Klappe hältst, bringe ich die Anderen hier an der Schule auch noch um!“ Tränen liefen über meine Wangen, als ich zusammensackte und den Kopf sinken ließ. Gleichzeitig erstarb meine Gegenwehr. „Gutes Mädchen.“, hauchte Kemuri und strich mit der Nase über meine Haut, „Du gehörst mir, hast du verstanden?! Nur mir!“ Ich widersprach nicht. Mein ganzes Leben war jetzt eh sinnlos. Da war es egal, was dieses Schwein mit mir macht. Zwei Stunden später trieben mich meine neuen angeheirateten Verwandten zum Altar. „Macht hoch die Tür, Das Tor macht weit! Es kommt die Braut voll Herrlichkeit! Sie hat gehurt, sie hat geklaut! Streut Blumen für die Halbblutsbraut!*“, gröhlten sie spöttisch, ehe mein >Ehemann< mich grob an der Hüfte zu sich riss und mich fest und bestimmt küsste. Ab da begann die größte Hölle meines Lebens.... 5 Jahre später: „Der Junge ist mittlerweile vier Jahre alt und sieht ihm immer noch ähnlich! Nicht einmal richtig Kinder kriegen kannst du!“, blaffte Kemuri, hatte den Gefallen an mir schon lange verloren. Ich gefiel ihm als Frau nicht mehr und genügte ihm als Arbeitskraft nicht. Wieder eine Ohrfeige, die ich stumm ertrug. Momiji, mein kleiner Sohn, schlief schon und würde aufwachen, wenn ich schreien oder weinen würde. Er ist nicht Kemuris Sohn, da mein Mann keine Kinder zeugen kann. Nur deswegen hatte er Momiji leben lassen. Er braucht schließlich einen Erben. Da sah er sogar darüber hinweg, dass Momiji wie sein leiblicher Vater aussah. An nächsten Morgen war ich mit Momiji auf dem Spielplatz im Park. Es darf ja niemand denken, die berühmte Familie Sakiyura hätte Schwierigkeiten. „Mama, der Mann da vorne schaut die ganze Zeit zu uns rüber..“, flüsterte der Junge leicht verängstigt und deutete hinter mich. „Schau nicht hin, mein Kleiner. Der Mann schaut uns bestimmt nicht an und wenn doch kommt Papa und haut ihn.“, ich versuchte zu lächeln. „So wie er dich haut?“, fragte mein Sohn. Er war schlau für sein Alter und bekam wohl mehr mit, als mir lieb war. „Papa haut mich nicht.“, log ich Ich erntete nur ein Kopfschütteln: „Ich hab es doch gesehen. Papa hat dich angeschrien und gehauen und ist gegangen. Dann hast du geweint...“ Ich schluckte. Lügen war jetzt absolut sinnlos, da der Junge vor mir genau den selben nüchternen Ton in der Stimme hatte wie sein Vater. „Der Mann starrt uns immer noch an...“, meinte Momiji dann. Ich war froh über den Themenwechsel und schaute kurz über die Schulter in die Richtung, in die auch Momiji blickte. Ich bekam einen halben Herzinfarkt. Dort, auf der Brücke über dem kleinen Fluss, stand tatsächlich der totgeglaubte Zero. Ich glaubte erst zu träumen, doch Momiji hatte ihn ja auch gesehn. Es war Ende Herbst und die Blätter fielen langsam. Ein Windstoß wehte einige Blätter von einem alten Ahornbaum, spielte mit ihnen, genau wie mit Zeros silbernen Haarsträhnen. Ein tolles Bild! Zaghaft hob Zero die Hand, als wollte er mir zuwinken, doch er sah zu Momiji, ließ die Hand sinken und wand den Blick ab. Ich sprang auf und hastete auf meine verlorengelaubte Liebe zu: „Zero!“. In seinen Armen begann ich zu Schluchzten und zu Weinen. „Amai..“, er schlang die Arme fest um mich, „Geht es dir gut?“ Ich nickte, als Momiji dazu kam und Zero mit klaren, fliederfarbenen Augen ansah: „Wer sind Sie?“ Zero blinzelte etwas verwirrt: „Amai, ist dieser Junge mein...?“ „Ja, ist er. Zero, dies ist dein Sohn, Momiji.“, ich hockte mich neben Momiji, „Momiji, das ist dein richtiger Papa. Er heißt Zero.“ Endlose Sekunden starrten die Beiden sich an, ehe Momiji die Initiative ergriff und auf Zero zuging: „Nimm mich auf den Arm! Das macht Papa nie mit mir!“ Ich hätte fast wieder losgeheult, als Zero den Jungen wirklich auf den Arm nahm und beide mich ansahen. „Mama, du weinst schon wieder...“, meinte Momiji besorgt. „Ja, diesmal vor Freude.“, erklärte ich, als ein Anruf mein Handy klingeln ließ. Ich drückte Kemuri weg und sah Zero an: „Bring mich weg von hier, ja?“ So wurde doch noch alles Gut. Jou ist Momiji ein guter Onkel und Kemuri wurde auf die Exikutionsliste gesetzt. Und ich? Ich habe wieder geheiratet, diesmal aber freiwillig und den Mann, den ich wirklich liebe. Ich lebe in einer kleinen Wohnung zusammen mit meinem Mann und meinem Sohn. Und das soll auch erstmal so bleiben... _____________________________________________________ * Eine Stelle aus dem lied >Henkersbraut< von STS. Die letzte Zeile ist etwas umgedichtet Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)