Der Anführer saß in einem gemütlichen Sessel und rauchte eine Zigarette. Er nahm einen Zug, inhalierte tief und atmete langsam wieder aus. Dann griff er nach seinem Glas und nahm einen ausgiebigen Schluck Cognac. Im Raum war es dunkel, nur das schwache Licht einer allmählich erlöschenden Kerze beleuchtete hier und da einen Teil der Szenerie.
»Billy«, sagte der Anführer in einem leicht tadelnden Tonfall, als spräche er mit einem Kind das etwas kaputt gemacht hatte, »Kannst du mir erklären wie das passieren konnte?« Die Stimme war freundlich und sanft, wie die eines herzensguten Menschen, der einem bei jedem Problem zur Seite steht.
Der Angesprochene, welcher auf einem Stuhl gegenüber seines Bosses Platz genommen hatte, rutschte unruhig hin und her und sah sich verstohlen nach den zwei Männern hinter sich um. Die beiden hatten vor der Tür Aufstellung bezogen und sahen aus, als wären sie nicht einmal bereit ein Staubkorn passieren zu lassen, soweit man ihnen nicht ausdrücklich den Befehl dazu erteilte. Die schiere Präsens dieser beiden Kolosse schien sogar die Luft dermaßen abzuschrecken, dass sie sich in die hinterste Ecke des Zimmers verkroch. Zumindest wäre dies eine Erklärung dafür gewesen, dass Billy nur schwer atmen konnte.
Als nach einiger Zeit noch immer keine Antwort erfolgt war, beugte sich der Anführer ein wenig vor, sodass sein Gesicht vom flackernden Kerzenschein erhellt wurde.
»Wir können doch über alles reden, Billy. Es gibt nicht den geringsten Grund sich zu fürchten, nicht wahr? Wenn du mir erklären kannst, was vorgefallen ist, finden wir schon eine Lösung. Du weißt, ich bin ein sehr verständnisvoller Mensch.« Hätte er diese Worte nicht mit einem breiten Lächeln unterstrichen, so hätte Billy sie womöglich geglaubt, doch das Grinsen offenbarte den wahren Charakter dieses Mannes. Er zog das Lächeln so breit, dass sich jede Faser seines Gesichtes spannte und offenbarte dabei eine Reihe brüchiger und irgendwie spitz wirkender Zähne. Die Augen waren weit aufgerissen und zeigten ganz deutlich, was den Verstand hinter ihnen beherrschte: Wahnsinn. Und es war Wahnsinn in seiner reinsten und unbarmherzigsten Form. Eine unvorstellbare Verrücktheit, nach innen hin geschlossen und logisch, doch nach außen bloß ein einziges Chaos, dem mit nichts beizukommen war.
Billy wurde sofort blass, das gesamte Blut schien durch seine Füße entkommen zu wollen und er hätte es ihm gern gleichgetan, denn er wusste, dass das Lächeln seines Anführers keinesfalls ein gutes Zeichen war. Es war sogar ein ganz schlechtes Omen. Der Vorbote der Hölle, wie es die Leute auch gern nannten, -soweit sie überhaupt noch Gelegenheit dazu hatten es irgendwie zu bezeichnen, da der Großteil der so Belächelten im Anschluss auf tragische Weise von dieser Welt schied- denn es zeigte wie verdorben und durchtrieben dieser Mensch wirklich war. Kein Wunder also, dass ihm eben dieses Lächeln den Namen Demon eingebracht hatte, denn genau das war er: Der Dämon dieser Stadt.
Da dem armen Billy noch immer nichts Gescheites eingefallen war, was er zu seiner Verteidigung hätte vorbringen können, sah der Dämon sich wohl oder übel gezwungen, sich aus dem gemütlichen Sessel zu erheben, was ihm so gar nicht gefiel. Langsam drückte er sich hoch, als wären seine Muskeln einige Tonnen schwer, dabei war er, im Vergleich zu den beiden Türstehern, recht dürr und das Aufrichten zu seiner vollen Größe wäre wohl ohne seine Aura des Wahnsinns, welche er schon aus Gewohnheit immer bei sich trug, weitaus weniger beeindruckend gewesen. Doch Demon verstand sich darauf, allein mit seinem Auftreten, jedem noch so hartgesottenen Menschen das Fürchten zu lehren. Der Anführer setzte sich nun in Bewegung, während Billy in seiner aufkeimenden Panik versuchte, irgendwie mit dem Stuhl zu verschmelzen. Mit bedachten und seltsam abgehackten Schritten kam der Dämon auf Billy zu und bleckte dabei die Zähne.
»Billy, Billy«, Demon schüttelte enttäuscht den Kopf während er sprach. »Du hast doch nicht ernsthaft erwartet damit davonzukommen, oder?« Nun stand er direkt vor Billy und starrte auf ihn hinab.
»Du weißt, dass ich dich immer gemocht habe. Herrgott du warst wie ein Bruder für mich« Natürlich war das gelogen, doch der Dämon schätze solch dramatische Worte, »Du hast mich zutiefst verletzt. Du hast meine Freundschaft und mein Vertrauen ausgenutzt und meinen... unseren Feinden geholfen. Einer meiner Leute ist tot, weil du ihn verraten hast. Du hast einen deiner Freunde getötet. Sag mir: Wie willst du das nur je wieder gutmachen?« Billys Augen füllten sich mit Tränen, er war außerstande sie zurückzuhalten, was in Anbetracht seiner Lage nur allzu verständlich war.
»Du willst also mein Feind sein, ja?«, zischte der Dämon, auf eine Art und Weise wie sie nur der Hölle entstammen konnte. Panisch schüttelte Billy den Kopf, unfähig ein Wort hervorzubringen. »Ach«, entfuhr es Demon und es klang ehrlich überrascht. »Du willst also doch lieber mein Freund sein, nicht wahr?«
Mit einem heftigen Nicken bestätige Billy den Verdacht.
»Armer, armer Billy«, fuhr der Anführer fort. »Weißt du, ich würd dir ja wirklich gerne helfen, aber… naja, du hast mich hintergangen und...«, ein wahnsinniges Lachen entfuhr seiner Kehle und donnerte auf Billy herab, »...leider kann ich das nicht tolerieren.«
Das Lachen schwoll an und es fiel dem Dämon offensichtlich schwer die nächsten Worte hervorzubringen: »Du bist jetzt mein Feind und du weißt doch...«, er wischte sich einige Lachtränen aus den Augen und hielt sich den Bauch, als eine weitere Welle seinen Körper durchschüttelte. Schlagartig erstarb das Gelächter und Demon packte Billy an der Gurgel, um ihn zu sich heranzuziehen. »Gegen meine Feinde führe ich Krieg!«
Dann schleuderte er Billy mit einem Ruck durch den Raum. Obwohl man es ihm, seiner Größe und Statur wegen, nicht unbedingt zugetraut hätte, gelang es dem Dämon doch, sein Opfer Anderthalbmeter durch den Raum zu schleudern, bis dessen Flug von einer ziemlich störrischen Wand gestoppt wurde.
Als Billy sich röchelnd auf dem Boden Wand und versuchte sich nicht zu übergeben, hopste Demon freudig auf ihn zu. Aus irgendeinem Grund hatte der Anführer plötzlich ein Messer in der Hand, doch Billy wunderte sich nicht weiter darüber. Solche Dinge schienen einfach zu Demons Persönlichkeit zu passen und es hätte wohl niemanden, der ja Bekanntschaft mit dem Dämon gemacht hatte, weiter gewundert, wenn sich aus dem Nichts ein Morgenstern in seiner Hand materialisiert hätte.
Es sah beinahe so aus, als vollführte Demon einen aberwitzigen Tanz auf seinem Weg zu dem am Boden liegenden. Er ließ das Messer von einer Hand in die andere gleiten und stampfte gelegentlich mit dem Fuß zu einem nur für ihn hörbaren Takt. Mit einem abrupten Sprung überbrückte er die restliche Entfernung zu Billy und landete mit dem rechten Fuß direkt auf dessen Brustkorb, was dazu führte, dass auf einen Schlag drei Rippen brachen. Billy schrie schmerzerfüllt auf und versuchte sich unter Demons Fuß hervorzuwinden, das einzige was er dadurch jedoch erreichte war, dass sich die gebrochenen Rippen auf sehr unangenehme Weise in seine Organe bohrten.
Demon verlagerte sein ganzes Gewicht auf das rechte Bein, indem er sich mit den Armen auf sein Knie stützte und blickte zu Billy hinab.
»Ich will nur wissen wer ihn getötet hat«, sagte er und unterstrich diese Aussage dadurch, dass er seinen Fuß noch weiter in Billys Brustkorb drückte.
Billy war gerade dabei in eine barmherzige Bewusstlosigkeit hinüberzugleiten, als ihn die Faust des Dämons im Gesicht traf. Sein Kopf wurde zur Seite geschleudert und langsam dämmerte ihm, dass er dieses Zimmer nicht mehr lebend verlassen würde. Vor Schreck über den heftigen Schlag ins Gesicht verschluckte Billy ein großes Stück eines frisch abgebrochenen Zahnes, welches sich gleich darauf freudig daran machte, ihm seine Speiseröhre aufzuschlitzen.
»Der Name, Billy!«, schrie Demon ihm ins Ohr.
»Deahhhn«, presste Billy unter Schmerzen hervor und sah sich hilfesuchend um.
»Geht doch.« In einer fließenden Bewegung ließ Demon das Messer von der rechten in die linke Hand gleiten, holte aus und durchstieß die Schulter des Verräters. Sofort zog er es wieder heraus und rammte es Billy ins Bein. Der Dämon stieß noch fünf weitere Male zu, bis er glaubte, es sei genug. Anschließend wies er einen der beiden Kolosse an, das Fenster zu öffnen. Dann umfasste er Billys Knöchel und schleifte ihn zum geöffneten Fenster. Obwohl Billy schon eine Menge Blut verloren hatte war er zu seinem Leidwesen noch nicht tot, als der Anführer ihn auf seine Schultern hievte. Demon hielt kurz inne und beobachtete seine Stadt. Alle Fenster waren Dunkel, Vorhänge und Jalousien herunter gelassen. Natürlich hatte jeder die Schreie gehört, doch es wäre niemanden auch nur im Traum eingefallen, etwas dagegen zu unternehmen. Der Dämon holte tief Luft, er konnte die Angst der Menschen hinter den verschlossenen Türen nahezu riechen und das beflügelte seine Sinne. Man fürchtete ihn. Auch wenn niemand wusste wer er war, so wussten sie doch alle, was er war und dass man ihm besser niemals begegnen sollte. Die Bewohner der Stadt waren wie Schafe für Demon und er war der böse Wolf der sie auseinander trieb, um sie alle nacheinander zu verspeisen. Sie konnten die Türen schließen, die Fenster vernageln und sich in ihren Kellern verkriechen, doch wenn er wollte, würde er sie trotzdem kriegen.
»Lasst euch das eine Lehre sein«, schrie Demon seiner Stadt entgegen und umfasste Billys Körper fester. »Niemand legt sich mit den Devils Heroes an!« Damit ließ er Billy von seiner Schulter gleiten und stieß ihn aus dem geöffneten Fenster.
Das letzte was Billy noch wahrnahm, war das grausame Lachen des Dämons, bevor sein Kopf auf dem kalten Asphalt der Straße zerplatzte.
Demon saß Zuhause an seinem Schreibtisch und tippte mit den Fingern auf das dunkle Holz des Tisches.
»Dean«, flüsterte er. »Du dachtest wohl ich finde nicht raus, dass du es warst.« Er kicherte leise und freute sich auf das was bald kommen würde. »Ich krieg dich. Und weißt du was? Für dich habe ich eine ganz besondere Überraschung.«
Der Dämon öffnete eine Schublade an seinem Schreibtisch und holte ein kleines Döschen hervor. Er schüttelte es direkt neben seinem Ohr und erfreute sich an dem wunderbaren Rascheln des Innenlebens. Anschließend hebelte er die Dose auf und nahm eine der darin verstauten Pillen heraus. Seine Augen verfolgten die Tablette, während er sie zwischen Daumen- und Zeigefinger hin und her drehte. Den Mund hatte er zu einem schiefen Grinsen verzogen, was ihn etwas beschränkt aussehen ließ.
Vorsichtig, beinahe liebevoll legte Demon die Tablette auf seine Zunge, wo sie einige Sekunden verblieb. Dann schob er sie zwischen seine Zähne, um sie zu zerbeißen. Der bittere Geschmack des Amphetamins ließ ihn schwer atmen, doch er hatte es unter Kontrolle. Mit weit aufgerissenen Augen lehnte er sich in seinem Schreibtischstuhl zurück und starrte an die Decke. Sein Hals war überdehnt, so dass sein Adamsapfel weit hervorstach und man hätte glauben können jemand habe ihm das Genick gebrochen, wäre da nicht diese unablässige Bewegung seines Mundes gewesen, die es aussehen ließ, als flüsterte er jemandem etwas zu.
Schlagartig richteten sich Demons Augen aufs Fenster, als hätte er dort jemanden gesehen.
»Ich komme Dean.« Lächelnd drehte er sich mit seinem Stuhl in die Runde »Warts nur ab.«
[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]
Sie nippte an ihrem Martini.
»Von dem Gentleman dort drüben«, hatte der Barkeeper gesagt. Von dem Gentleman mit den braunen Haaren und dem freundlichen Lächeln, war der Drink gekommen. Er war genau ihr Typ: Elegant, aufmerksam und irgendwie geheimnisvoll. Bis jetzt hatte er jedoch noch keine Anstalten gemacht zu ihr herüberzukommen, hatte ihr bloß zugelächelt, als sie sich mit einem Winken für ihr Getränk bedankt hatte. Vielleicht war er ein wenig schüchtern.
Sie lächelte.
Heute war kein guter Tag gewesen. Auf der Arbeit hatte sie Streit mit einem Kollegen gehabt und war daraufhin in die Bar gekommen, um sich zu betrinken. Doch jetzt war sie sich sicher, dass dieser Abend die Strapazen des Tages wieder wettmachen würde.
Wenn er nicht zu ihr kam, würde sie eben die Initiative ergreifen. Es kümmerte sie wenig, dass er scheinbar nicht den Mut besaß sie von allein anzusprechen: Zurückhaltung war etwas, das sie bei ihren bisherigen Freunden immer vermisst hatte.
Entschlossen setzte sie ihr Glas an den Mund, trank den Rest des Martinis und erhob sich.
Aufgrund des nicht mehr ganz so niedrigen Alkoholpegels, ging sie ihrem Gentleman leicht schwankend entgegen und setzte sich neben ihn. Langsam drehte er den Kopf und sah sie an. Seine Augen waren so blau wie der Himmel im Sommer und glitzerten wie das Meer. Die Frau glaubte sich in ihnen zu verlieren. Der Gentleman lächelte sanft und streckte ihr die Hand entgegen.
»Mein Name ist Andrew, sehr erfreut Ihre Bekanntschaft zu machen.«
»Melinda«, erwiderte die Frau und ergriff seine Hand. »Vielen Dank für den…«, setzte sie an, doch Andrew winkte ab.
»Eine schöne Frau wie du sollte an einem Samstagabend nicht allein in einer Bar sitzen. Und vor allem sollte sie nicht so furchtbar traurig aussehen, denn ich bin mir sicher, ein Lächeln stünde ihr viel besser.«
Melinda zögerte kurz, doch heute war sie einsam und verletzt, also erzählte sie ihm von ihren Sorgen. Es sprudelte geradezu ihr heraus und nur mit Mühe hielt sie die Tränen zurück. Andrew hörte ihr aufmerksam zu und nahm sie in den Arm, als sie geendet hatte. Die ganze Zeit über sprach er kein Wort.
»Können wir bitte gehen?«, fragte Melinda. »Ich fühle mich nicht wohl hier.«
Andrew nickte nur, nahm sie bei der Hand und führte sie hinaus auf die Straße. Die Nacht war kalt und Andrew legte Melinda, die nur ein dünnes Kleid an hatte, seine Jacke um, bevor er ein Taxi herbeiwinkte. Die beiden stiegen ein und schwiegen eine Weile.
Plötzlich zog Andrew eine Art Taschentuch aus seiner Hosentasche, welches sich in einer Plastiktüte befand und fragte: »Ich weiß wir kennen uns noch nicht besonders Lange aber sag mal: Meinst du nicht auch dieser Lumpen hier riecht nach Chloroform?« Er deutete auf das Tuch in seiner Hand.
Einen Moment sahen sie sich an, bis beide gleichzeitig in schallendes Gelächter ausbrachen.
»Ich wusste doch, dass dir ein Lächeln viel besser steht«, kam es von Andrew, der sich wieder beruhigt hatte. Melinda wischte sich die Augen und wollte etwas erwidern, als ihr ein seltsamer Geruch in die Nase stieg. Sie hatte kaum eine Sekunde Zeit den Geruch einzuordnen, da fühlte sie, wie ihr etwas auf Mund und Nase gedrückt wurde. Melinda schlug hektisch um sich, doch Andrew hielt sie fest.
»Mal ganz im Ernst…«, sagte der Dämon und zeigte ihr sein wahnsinnigstes Grinsen, »…das riecht doch wirklich noch Chloroform, oder?«
Dann begann er zu lachen. Er lachte während Melinda das Bewusstsein verlor, er lachte als er sie fesselte und er lachte noch immer, als sie aus der Stadt rausfuhren. Er lachte, weil es ihm gut ging, weil er glücklich war.
»Jonny, bring uns irgendwohin wo es schön ist«, rief er seinem Fahrer zu. »Heute feiern wir mal so richtig.«
Der Dämon lachte wieder. Das Leben war schön! Demon liebte das Leben und heute, ja heute war er am Leben, mit jeder Faser seines Körpers. Und das, so war er sich sicher, würde noch sehr lange so bleiben.