OS Sammlung von Yuugii (Verschiedene Kurzgeschichten) ================================================================================ Kapitel 1: Reaching out for you – (Karim/Aishizu) ------------------------------------------------- Schwarze Schatten legten sich bedrohlich über die prachtvolle Wüstenstadt. Sie konnte es spüren. Eine unheimliche Aura, die ihnen von Tag zu Tag näher kam. Trotz ihrer Millenniumskette vermochte sie dieses Mal nicht in die Zukunft zu sehen. Ihr Blick war getrübt. Nichts war da. Dunkelheit und ein Hauch von Furcht. Gedankenverloren starrte sie zum Sternenhimmel hoch, der ihr die Antworten auf ihre Fragen nicht geben konnte. Zögerlich hob sie ihre Hand hoch, als wollte sie nach etwas greifen, so als wollte sie irgendetwas in ihre schlanke Finger nehmen. Niemand war auf dem Balkon, sie war sich vollkommen selbst überlassen. Die anderen Priester, der Pharao und die Bewohner des Palastes feierten vermutlich noch ihren heutigen Sieg. Immerhin hatten sie am Nachmittag eine Bande von Räubern niedergestreckt, die ihre schöne Stadt mehr als einmal bedroht hatte und nicht einmal vor Menschenleben Halt machte. Mutig hatten die sechs Priester gekämpft und verteidigt, was ihnen lieb und teuer war. Auch sie hatte mit vollem Einsatz gekämpft, ließ sich furchtlos auf die Gefahr ein. Die sechs Hohepriester des Pharaos waren ein eingespieltes Team. Sie lächelte kurz, als sie daran dachte, wie ehrenhaft sie alle gekämpft hatten. Das Jubeln der begeisterten Menge, als sie siegreich durch die Tore der Stadt streiften, hallte noch immer in ihren Ohren wider. Was war das für ein beklemmendes Gefühl? Ihr Herz schlug unregelmäßig. Warum zeigte ihr der Millenniumsgegenstand nicht die Zukunft? Vorsichtig berührte sie das kalte Gold, das sie um ihren Hals trug. Konzentriert schloss sie die Augen, versuchte die Visionen zu erzwingen. Eine kühle Brise kam auf. Krampfhaft kniff sie die Augen zu. Plötzlich sah sie etwas. Ungehörte Schreie der Verdammten, tiefrotes Blut versickerte im Boden und sie sah einen Körper der quälend langsam in die Tiefen stürzte. Wer war diese Person? Beunruhigt biss sie sich auf die Unterlippe. Ein leichter Schauer überkam sie. Sie musste mehr sehen! Schließlich wollte sie niemanden verlieren oder zulassen, dass jemand verletzt wurde. „Ist alles in Ordnung, Aishizu?“, hörte sie eine vertraute Stimme, die ihre Vision schier abbrach und sie dazu zwang sich umzudrehen. Es war einer der Hohepriester. Sein kurzes schwarzes Haar fiel ihm direkt ins Gesicht. Sie zwang sich zu einem Lächeln, wollte ihn beschwichtigen, doch ehe sie etwas sagen konnte, spürte sie seine Hand auf ihrer Schulter und erkannte seinen überaus besorgten Blick, der auf ihr ruhte. „Warum bist du gegangen? Das Fest ist noch im vollem Gange“, sagte er, legte dabei seinen Kopf leicht schief. In seinen Augen konnte sie Besorgnis sehen. Er musste gesehen haben, wie sie die große Halle verlassen hatte. Für einen Bruchteil einer Sekunde wurde sie schwach. Beinahe wollte sie ihm sagen, was sie so nachdenklich machte, aber genauso schnell fasste sie sich wieder und entschloss, dass es besser für sie beide war, wenn sie erst mal nichts sagte. Sie wollte die festliche Stimmung nicht verderben. Außerdem wusste sie nicht, was diese Bilder zu bedeuten hatten. „Es tut mir Leid, Karim“, entgegnete sie mit einem lieblichen Lächeln. Ihr glattes, langes Haar fiel über ihre schmalen Schultern, rahmten ihr schönes und reifes Gesicht ein, ließen sie wie einen Engel auf Erden wirken. Langsam zog er seine Hand zurück, blieb dennoch neben ihr stehen, so als wollte er sagen, dass er mehr erwartete. Es war nicht Aishizus Art grundlos zu gehen, also war er sich sicher, dass sie etwas verheimlichte. Doch konnte er sie dazu bringen ihre Sorgen mit ihm zu teilen? Elegant lief sie zum Gelände des großen Balkons, sah über die ruhige Stadt, hinaus in die Ferne, so als suchte sie nach etwas. Noch immer leicht besorgt stellte er sich direkt neben sie, sagte aber kein Wort. „Ist es nicht unglaublich, dass wir Priester und der ehrenwerte Pharao ganz allein den Frieden bewahren?“ Ihre Stimme war sanft, so überaus lieblich und ihre schönen Kristallblauen Augen bewegten sich hin und her. Karim konnte sofort sehen, dass sie ihren Blick über die Stadt schweifen ließ. Tatsächlich. Die Priesterin hatte recht. Natürlich lag ihre Hauptaufgabe darin, den Pharao zu beschützen, doch auch der Schutz und das Wohl der Menschen war wichtig. Konnten sie nicht stolz auf ihre Leistungen sein? Er stemmte eine Hand in die Hüfte, sah nun genau wie sie in die Ferne. Eine kurze Stille brach über sie hinein. Das Zirpen von Insekten war zu vernehmen. Erst jetzt hörte Karim, dass die heiteren Lieder ihrer Feier bis hierher drangen. „Du hast Recht, Aishizu“, bestätigte er ihre Frage, kam ihr unbemerkt etwas näher. Immer wieder schielte er zu ihr, betrachtete ihren weiblichen Körper, konnte sehen, wie sich ihre Brüste unter dem feinen Stoff abzeichneten. Manchmal fragte er sich, warum eine so schöne Frau einen solch schweren Weg gewählt hatte, jedoch konnte er nicht verleugnen, dass sie unabdingbar für den heiligen Pharao war. Ohne ihre hellseherischen Fähigkeiten, die sie durch den Millenniumsgegenstand um ihren Hals erhielt, wäre auch er bereits mehr als einmal dem Tode geweiht gewesen. Nicht jeder vermochte die Visionen zu sehen, die dieses heilige Artefakt hervorrief. Man musste eine gewisse Begabung mit sich bringen. Sie war die Stimme der Vernunft in ihrem Team. Trotzdem war sie nur eine Frau, ihr Körper schwächer und zerbrechlicher als seiner. Das wusste er nur zu gut. Vorsichtig berührte er ihren Oberarm. Sie zuckte zusammen. Überrascht drehte sie wieder den Kopf zu ihm, sah ihm direkt in die Augen. Manchmal hatte er schreckliche Angst davor sie zu verlieren. Wenn er sie ansah, wollte er sie ganz allein für sich haben und sie beschützen. Am liebsten würde er sie wie einen kleinen Vogel in seinen schützenden Händen halten, um sie somit vor all dem Übel da draußen abzuschirmen. Doch auch wusste er, dass sie so unglaublich stark und mutig war und den anderen Priestern in nichts nachstand. Aishizu war eben eine ganz besondere Frau. „Versprich mir auf dich aufzupassen. Du darfst keine Risiken mehr eingehen. Wir brauchen dich. Ich brauche dich“, hauchte er ihr entgegen, drückte sie dann an sich, legte seine Arme behutsam um sie. Der Kampf heute war äußerst gefährlich. Einer der Räuber war ungeduldig und laut brüllend auf sie zugelaufen. Sein plötzlicher Schrei hatte seine Aufmerksamkeit erregt, so dass er sich umsah, um die Quelle und den Grund dieses Geschreis herauszufinden. Obwohl sie mitten im Kampf waren, hatte Karim nach ihr Ausschau gehalten. In letzter Sekunde war sie ausgewichen. Hätte sie nur einen Moment später reagiert, hätte sie ernsthaft verletzt werden können. In diesem Augenblick hatte er pure Angst verspürt. Die Angst jemanden zu verlieren, der einem alles bedeutete. Zögerlich legte auch sie ihre Arme um ihn, genoss die Wärme des anderen Priesters, der sie immer wieder ermutigte und für sie da war, wenn sie es nötig hatte. Jedes Mal, wenn sie sich in Sorgen und Ängsten verlor und alles um sie herum finster wurde, war es seine Hand, die nach ihrer griff und sie wieder aufmunterte. Immer wenn sie resigniert zu Boden schaute, war es seine Hand, die sie dazu zwang wieder hochzusehen. Auch jetzt waren es seine Hände, die sie festhielten und ihr Kraft gaben. Es war diese unendliche Güte, diese Geduld und diese Stärke, die sie dazu veranlasst hatte, sich ihm anzuvertrauen. „Mach dir keine Sorgen, Karim. Außerdem beschützt du mich doch.“ Die letzten Worte kicherte sie, zwinkerte dabei kurz auffällig. Völlig überrumpelt zog er seine Augenbrauen hoch. Ungewollt wanderten seine Mundwinkel buchstäblich in den Keller. Es war ihm nicht anzusehen, aber er freute sich. Sie hatte also verstanden, dass er für sie da sein würde und dass er für und mit ihr kämpfen würde. Im nächsten Moment drehte er etwas beschämt den Kopf weg. Er vermied es sie anzusehen. Vor den anderen Priestern war sie immer so stark! Auch im Kampf ließ sie sich nicht unterkriegen und beherrschte ihre magischen Bestien wie eine Meisterin. Dass eine Frau wie sie, so unglaublich wundervoll und perfekt, auch eine schwache gar ängstliche Seite hatte, wussten nur die wenigsten. Dann nickte er. Egal was geschehen würde, er würde sie beschützen. „Verlass dich auf mich“, flüsterte er, küsste liebevoll ihre Stirn. Freudig schloss sie die Augen, als sie seine sanften Lippen auf ihrer Haut spürte. Nichts und niemand konnte sie trennen. Unter allen Umständen würde er sie beschützen und bis zum bitteren Ende Seite an Seite mit ihr kämpfen. Auch wenn er es nicht aussprach, er brauchte sie. Niemand wäre in der Lage sie zu ersetzen. Sie war kostbarer und bezaubernder als jedes Juwel dieser Erde. Noch immer drangen die fröhlichen Lieder des Festes zu ihnen. Die lieblichen Klänge konnten den Anschein erwecken, dass alles in Ordnung war. Die beiden Priester wussten es besser. Menschen suchten den Kampf. Zwiespalt wurde aus Hass geboren. Wie lange konnte der Frieden wahren? Allzu lang würde der nächste Kampf nicht auf sich warten lassen. Und wenn es wieder so weit war, würden sie alles geben, um die Menschen und ihren Pharao zu beschützen. Selbst dann, wenn es ihr Leben kosten würde. Denn dies war nun einmal die Aufgabe eines Hohepriesters. Dies war der Weg, für den sie sich entschieden hatten. „Karim, bitte denk immer daran, dass der ehrenvolle Pharao immer unsere erste Priorität ist. Im Ernstfall musst du die richtige Entscheidung treffen, auch dann, wenn es bedeutet, dass du mich im Stich lassen musst. Auch ich werde keine Sekunde zögern und stehe stets loyal hinter unserem Pharao“, meinte sie dann leise und warf ihm einen ernsten Blick zu. Karim nickte. „Wir sind die Werkzeuge des Pharaos, es ist unsere Pflicht und unser Wille, den Pharao – Sohn des Gottes Horus und Auserwählter der Götter – mit Leib und Seele zu beschützen und dafür zu sorgen, dass unser heiliges Land Kemet in Frieden und Glück erblühen kann. Aishizu, ich habe meinen Schwur nicht vergessen.“ „Das ist gut so. Es kommen Schatten auf uns zu. Harte Zeiten erwarten uns und wir müssen gewappnet sein. Für den Kampf. Wir müssen darauf gefasst sein, dass wir jederzeit Menschen verlieren können, die uns alles bedeuten und trotzdem dürfen wir nicht vom rechten Weg abkommen. Ich bin bereit, mein Leben für meinen geliebten König zu geben, wenn ich ihm damit von Nutzen sein kann.Karim, ich vertraue dir. Du bist der Schild des Königs.“ „Und du die Weise, die seinen Weg erleuchtet. Was immer kommen mag, wir Hohepriester werden unsere Aufgabe nicht vernachlässigen. Aber bitte sieh mir nach, dass ich trotzdem ab und an nach dir Ausschau halte“, sagte er und wandte verlegen den Kopf ab. Aishizu senkte den Blick. Sie flehte, dass Karim seinen Schwur ernst nahm. Eine Liebe zwischen Priestern war nicht erlaubt. Niemand wusste davon, dass Aishizu und Karim ineinander mehr als nur Freunde sahen und sie wollte auf keinen Fall, dass ihre Loyalität dem Pharao gegenüber hinterfragt wurde. Auch wenn sie eine Kriegerin war und die Aufgabe als Hohepriesterin viele Verantwortungen und Pflichten mit sich brachte, hatte auch sie Momente, in denen sie nur ein Mensch war. Ein Mensch, der Angst hatte und sich vor der Zukunft fürchtete. Durch ihre Fähigkeit, in die Zukunft zu sehen, sah sie die wahren Abgründe der menschlichen Seele und es gab Momente, wo sie sich einfach nur danach sehnte, von jemanden gehalten zu werden. Momente des Friedens. Momente, wo sie von einem starken Mann in den Arm genommen wurde und man ihr sagte, dass alles gut werden würde. Karim hatte die Schwäche ihrer Seele erkannt und stand hinter ihr. Aishizu fragte sich, ob die anderen Priester ihren Wunsch nach Schutz und ihre Angst vor der Zukunft als Anlass genommen hätten, ihren Willen zu hinterfragen. Hätte Akunadin oder gar Seth sie unterstützt? Oder hätten sie dies im Beisein des Pharaos angesprochen und ihre Zweifel geäußert? Ein Krieger, der nicht unentwegt nach vorne sehen konnte und Momente hatte, in denen er sich selbst und die Welt anzweifelte und sich vor den Schatten fürchtete, war ein Hindernis auf dem Schlachtfeld. Weil sie die Antwort auf diese Frage nicht kannte, schätzte sie Karim als treuen Gefährten umso mehr. Auch wenn sie Angst hatte, wollte sie nicht aufgeben und mit all ihrer Macht ihren Pharao und ihr geliebtes Kemet beschützen. Sie sah erneut in die Ferne. Ein kalter Windzug kam auf. Kemet wurde bei Nacht so unglaublich kalt. „Komm, lass uns zurückgehen. Es ist kalt hier draußen und vielleicht machen sich die anderen schon Sorgen“, waren seine liebevollen Worte. Seine Augen strahlten Wärme aus. Aishizu nickte folgsam. „Ja, lass uns gehen“, sagte sie leise. Ihre Stimme nur ein Hauch. Kapitel 2: Can't stop loving you - (Azureshipping) -------------------------------------------------- Für mich gab es nie so etwas wie Liebe. Es war ein Wort. Vergänglich. Zerbrechlich. Aber vor allem unehrlich. Ein Gefühl, das ich verleugnete. Mit jeder Zelle meines Körpers. Mein Verstand sagte, dass es falsch war. Blitz und Donner tobten außerhalb meiner Villa ihr Unwesen. Das Licht hatte ich bereits gelöscht. Müde und erschöpft lag ich in meinem Bett, versuchte endlich einzuschlafen, doch es gelang mir nicht. Waren es die Geräusche des Sturmes oder deine Abwesenheit, die mir den wertvollen Schlaf raubten? Die Antwort kannte ich nicht. Nein. Ich wollte sie nicht wahr haben. Kleine Regentropfen, scharf wie eine Messerschneide, prallten laut gegen mein eiskaltes Glas, welches das Geräusch noch verstärkte. Immer wieder erleuchtete der Blitz mein Zimmer. Hätte ich es gewollt, hätte ich die Vorhänge zuziehen können, aber etwas in mir hielt mich davon ab. So blieb ich liegen, in meinem kalten, einsamen Bett. Der nächste Morgen begann wie üblich. Wieder hatte ich mir schlaflos eine Nacht um die Ohren gehauen, hatte nicht die Möglichkeit ein Auge zu zutun. Der herbe Duft von Kaffee riss mich brutal in die Realität, welcher ich mich nun stellen musste. Schmerzen in meiner Brust waren ein Zeugnis dessen, dass es sich um keinen Traum hielt. Aber konnte das wahr sein? Das Umfeld war mir bekannt und doch fühlte es sich so unheimlich fremd an. Ich fühlte mich wie gerädert. Hektisch griff ich nach einer Tasse, schüttete mir die heiße, schwarze Flüssigkeit hinein, wobei einiges auf dem Tisch landete. In den kleinen Pfützen spiegelte sich mein Gesicht. Es wirkte anders. So verändert. Ich war nicht mehr als mein eigener Schatten. Dein Lachen, deine Tränen und deine Wärme hatten etwas in Gang gesetzt. Aber ich konnte es nicht beim Namen nennen. Mein kleiner Bruder saß ruhig am Tisch, in seiner Hand hielt er einen Brief. Nachdenklich wand er ihn mehrmals in seinen Händen ehe er ihn mir übergab. Wortlos nahm ich ihn an, traute mich aber nicht, ihn zu öffnen. Wie in Trance starrte ich den Brief an. Du hattest ihn mir geschickt. Deine schöne Handschrift erkannte ich immer, hatte doch ein Brief wie dieser, zu all dem hier geführt. ☆ •.¸¸.•☆ •.¸¸.•☆ •.¸¸.•☆ •.¸¸.•☆ •.¸¸.•☆ •.¸¸.•☆ Es war ein normaler Schultag. Der erste Schnee fiel zu Boden und bedeckte diesen erbarmungslos. So weit das Auge reichte, konnte man nur noch diese weiße Decke sehen. Prachtvoll und göttlich wirkte sie, bevor Menschen auf ihr herum trampelten und das malerische Bild zerstörten. Wie jeden Tag saßt du mit deinen lächerlichen Freunden zusammen. Deine Präsenz wurmte mich. Deine Stimme empfand ich als grässlich und störend, obwohl sie in Wirklichkeit sanft und wohltuend war. Eine Wahrheit, die ich erst später erkannte. Stolz prahltest du von deinem Vortanzen. Deine Freunde waren nebenbei mit Kartenspielen beschäftigt. Ein ganz normales Bild. Du warst daran gewohnt. Du kanntest es. Du toleriertest es. Aber heute war es anders. Es verletzte dich zutiefst, riss tiefe Wunden in dein zartes Wesen. Sie erkannten es nicht, da du deine Trauer und deine Wut sehr gut verbargst. Das war typisch für dich. Niemals würdest du jemanden schaden. Stets warst du darum bemüht sie glücklich zu machen. Ihr wart Freunde. Du warst es, die mir dies ans Herz gelegt hatte. Ständig wolltest du mich mit einbeziehen, kanntest du doch mein wahres Wesen und warst davon überzeugt, dass ich einsam war und jemanden zum Reden brauchte. Wie einfältig und kindisch von dir. Hattest du wirklich geglaubt, ich wäre so naiv und glaubte an so etwas Flüchtiges wie Freundschaft? Es war ein Wort. Ein Mensch konnte nur dann wirklich erfolgreich sein, wenn er an sich selbst glaubte. Ich vertraute niemanden und das war es, was mich so erfolgreich gemacht hatte. Du wandtest den Blick ab, verzogst eine wütende Miene und trotztest meiner Macht, ließt mich nicht zu Wort kommen. »Das ist eine Lüge und das weißt du! Jeder Mensch braucht Nähe. Du bist auch ein Mensch, warum sonst ist deine Bindung zu deinem Bruder so stark? Denk darüber nach, Kaiba-kun. Eine Bindung zu haben, macht Menschen stark, sie ist kein Hindernis, verstehst du das? Du bist stark, weil du Mokuba hast.« Du wirktest so weise, als du dies sagtest, aber deine roten Wangen, zeigten wie verlegen du um diese Worte warst. Hattest du Angst vor meiner Reaktion? Fürchtetest du, dass ich dich anschreien würde? Oder war es noch etwas anderes, was in deinem kleinen dummen Köpfchen vor sich ging? Damals kannte ich die Antwort noch nicht. Obwohl ich dich vehement ablehnte, deutetest du meine Handlungen anders, du glaubtest daran, dass ich dich und deine kleinen Zirkusäffchen mochte. Gutmütig wie ich war, ließ ich dich in diesem Glauben. Dann, eines Tages, gabst du mir einen kleinen Brief. Wir standen allein im Flur. Mit Leichtigkeit hätte ich ihn dir zurückgeben können, denn es war niemand da, der mir dieses Verhalten verübeln hätte können. Weder unsere Klassenkameraden noch deine Freunde, die wie immer in ihrer kindlichen Welt verweilten. Doch ich nahm den Brief an. Aus irgendeinem Grund wollte ich deine Gefühle nicht verletzen. Spät am Abend, als ich aus meinem Büro in meiner Firma zurückkehrte, öffnete ich den weißen Umschlag. Ein sonderbarer, süßlicher Duft haftete an ihm, den ich wider Willen in mich aufnahm und bis heute nicht vergessen konnte. Ein so unwichtiges Detail und doch hatte sich dieser nichtige Moment, der nur wenige Sekunden andauerte, in mein Gehirn gebrannt. Eine Einladungskarte? Ein handgeschriebener Zettel? Erstaunt hob ich eine Augenbraue, lockerte mit meiner freien Hand meine blaue Krawatte, nur um daraufhin auch mein Hemd zu öffnen. Du wolltest, dass ich zu deinem Vortanzen kam. Belustigt grinste ich, konnte nicht glauben, dass du ausgerechnet mir, der, der dich immer nur verletzte und demütigte, eine solche Karte gabst. Grenzenlose Güte war einer der Gründe, warum du so beliebt warst und deine Freunde dich so sehr schätzen. Doch ich empfand es als überaus dumm von dir. Hattest du je an dich selbst gedacht? Achtlos warf ich den Zettel und die Karte auf meinen Schreibtisch. Tatsächlich hatte ich nicht vor hinzugehen, wenn Mokuba nicht gewesen wäre. Mit allem, was in seiner Macht lag, überredete er mich dazu, zu kommen und dir zuzuschauen. Es war ein kühler Winterabend, der Wind peitschte schmerzhaft meine Haut, die von der ganzen Büroarbeit eindeutig verwöhnt war. Mokuba folgte mir, er freute sich, dich tanzen zu sehen und seine Begeisterung steckte mich an. Dass ich mich über deinen Tanz freute, zeigte ich nicht. Meine Gesichtsmuskeln wirkten wie eingefroren. Wie ein Engel glittest du über die Bühne, jedes Licht betonte deinen makellosen Körper, welcher sich sanft und anmutig der tönenden Musik und dem Rhythmus anpasste. War das wirklich die nervtötende Göre aus der Schule, die mich tagtäglich mit irgendwelchen kindischen und sinnlosen Moralpredigten belästigte? Erst jetzt erkannte ich wie vollkommen und lieblich du warst. Das musste der Moment gewesen sein, in dem du mir zum ersten Mal sympathisch warst, wo ich dich als Frau und nicht als hirnlose Cheerleaderin von Yuugi Mutou ansah. An diesem Abend hatte sich etwas geändert. Die Erkenntnis, dass das Mädchen, das sich mir gereizt im Cyberspace in den Weg gestellt hatte, erwachsen geworden war, veränderte etwas. Es setzte etwas in Gang, das ich nicht beim Namen nennen konnte. Während unserer Schulzeit sahen wir uns öfter, redeten miteinander und ich spürte, dass da mehr zwischen uns war, als wir beide wahrhaben wollten. Wir diskutierten oft, lachten miteinander und selbst ich musste mir eingestehen, dass zwischen uns eine seelische Bindung entstanden war, die mir immer wichtiger wurde. Allerdings war der Schulabschluss unvermeidlich. Und es sollte das Ende einer gerade aufblühenden Freundschaft sein. Wir sahen uns nicht mehr... aber vergessen konnte ich dich nicht. ☆ •.¸¸.•☆ •.¸¸.•☆ •.¸¸.•☆ •.¸¸.•☆ •.¸¸.•☆ •.¸¸.•☆ So sehr ich diesen Brief ignorieren wollte, ich konnte es nicht. Er weckte Erinnerungen, die ich mit aller Macht versuchte zu verdrängen. Mokuba musterte mich. Sein langes, schwarzes Haar, hatte er zu einem Zopf gebunden und er trug einen dünnen Pullover. Wenige Monate lag unsere Trennung zurück, die mir, auf irgendeine Art und Weise, die Brust zuschnürte. „Seto, du musst den Brief öffnen. Er ist von ihr. Er ist von Anzu.“ Mokubas Stimme drang zu mir, ich sah ihn an, erwiderte nichts. „Ich weiß das, Mokuba. Aber... es ist nicht mehr wichtig.“ „Was soll das bedeuten? Sie fliegt in zwei Tagen nach Amerika! Dann wirst du sie erst Recht nicht mehr sehen. Willst du das etwa?“ Auf einmal wirkte er aufgebracht. „Kann ich es denn ändern?!“, zornig knallte ich meine Tasse wieder auf den Tisch, Mokuba schreckte zurück. Aber nicht für lange. „Du kannst es ändern und das weißt du! Du bist ein Vollidiot, Bruder.“ „Was weißt du schon...?“, zischte ich und ließ ihn in der Küche zurück. Am besten war es, wenn ich mich mit Arbeit ablenkte. Das half immer. Gereizt tippte ich etwas in meinen Computer. Den Brief von dir hatte ich gleichgültig auf meinem Schreibtisch geschmissen. Wie konntest du es wagen, dich erst jetzt bei mir zu melden? Es war töricht von mir, aber ich verübelte es dir. Grimmig starrte ich den flimmernden Bildschirm an, der mir Zahlen entgegen schleuderte, die mir den aktuellen wirtschaftlichen Stand meines Unternehmens verrieten. Die Konkurrenz schlief nie. Der Kampf, um die Spitze war gnadenlos und unbarmherzig. Jeder konnte mir meinen Ruf streitig machen. Das wusste ich. Dennoch wanderte mein Blick hin und her. Immer wieder stahl sich der Anblick deines Briefes in mein Blickfeld, hielt mich fest und vernebelte mir die Sicht für das Wesentliche. »Kaiba-kun. Danke, dass du zu meinem Vortanzen gekommen bist. Das hat mir viel bedeutet. Schade, dass wir nicht noch mit einander reden konnten. Aber... wir könnten uns doch in der Mittagspause treffen?« Weitere E-Mails füllten mein Postfach. Ich kämpfte mit der Neugier. Doch sie galt nicht den elektronischen Nachrichten sondern deinem Schreiben. Hattest du einen Grund dich so lange nicht bei mir zu melden? War es meine Schuld? Hätte ich dir aufrichtiger zeigen sollen, was ich über dich dachte oder hatten meine harschen und kalt klingenden Worte dich verschreckt? Für mich war es nichts Neues, dass Menschen mit meiner Umgangsart nicht klar kamen. Manche Menschen ertrugen es nun einmal nicht, wenn man ihnen sagte, was man wirklich dachte. Sie fühlten sich verletzt, hatten nicht genug Mut der Wahrheit ins Gesicht zu sehen und versteckten sich hinter einem Schleier von Lügen und Illusionen. Soweit ich es beurteilen konnte, gehörtest du nicht zu dieser Sorte Mensch. »Du darfst dich nicht so verschließen, Kaiba-kun. Das Leben hat so viel zu bieten. Du verpasst alles, wenn du nicht lernst, endlich offener zu werden. Ich weiß, dass du sehr mit deiner Firma beschäftigt bist, aber es würde dir wirklich guttun, ein paar Leute kennen zu lernen und dich zu amüsieren.« Selbst jetzt hörte ich noch deine dummen Predigten, wo ich doch versuchte nicht an dich zu denken. Du verfolgtest mich, störtest mich sogar bei meiner Arbeit und doch sehnte sich ein Teil von mir nach dir und deiner Anwesenheit. Ich erinnerte mich an diesen Nachmittag. Yuugi, Jonouchi, Honda und Ryou waren draußen gewesen, spielten Basketball. Unvermeidlicherweise hatte Yuugi einen Ball abbekommen und saß den Rest des Spieles außerhalb, feuerte seine Freunde an. Warum erinnerte ich mich überhaupt daran? Wütend kamst du hoch gelaufen, wirktest gestresst und ließest dich wortlos auf deinen Platz nieder. Es war unangenehm still. Wie immer ertrugst du diese Ruhe nicht, plappertest haltlos drauf los. Die Jungs warfen immer zu dir, um dir unter den Rock zu gucken, wenn du hüpftest. Aber das hätte dir klar sein sollen. Das band ich dir nicht auf den Hals. Verständnisvoll nickte ich und wir kamen ins Gespräch. »Du sitzt immer alleine hier, wenn wir Pause haben. Möchtest du denn gar nicht wissen, was die anderen machen? Du verpasst einen Teil deiner Jugend. Vielleicht bereust du es später.« Ja, du wolltest immer nur das Beste für mich. Eigensinnig wie ich nun mal war, wurde ich ärgerlich, reagierte dementsprechend. Standhaft und mutig. Dass dies nur wenige Eigenschaften deiner komplizierten Persönlichkeit war, wusste ich schon vorher. Das hattest du mir mehr als einmal gezeigt. Sowohl im Königreich der Duellanten als auch im Cyberspace botest du mir die Stirn. Nein, jemand wie du, kannte keine Angst vor jemanden wie mich. Nur wenige sahen mich als menschliches Wesen, was durchaus in meinem Bestreben lag. Du gehörtest zu diesen wenigen. Erneut sah ich den Brief an, streckte meine Hand nach ihm aus. Wieder dieser Duft, den ich seit damals nicht vergessen konnte. Meine kindliche und unüberlegte Neugier hatte meinen Verstand besiegt. Nun konnte ich nicht mehr anders, als den Brief zu öffnen. Vorsichtig zog ich einen Zettel aus dem Umschlag, las ihn aber nicht, starrte ihn nur an. Ein sommerliches Gelb strahlte mir entgegen. Ein leichtes Schmunzeln konnte ich mir nicht weiter verkneifen, denn diese Farbe passte zu dir. Du hattest immer ein sonniges Gemüt, wolltest stets immer nur das Gute sehen und versuchtest selbst in einer ausweglosen Situation etwas Positives zu erkennen. Du warst nun einmal ein Optimist während ich ein Realist war. Natürlich würdest du mich eher als pessimistisch beschreiben, da du der Ansicht warst, dass Realismus und Pessimismus sehr dicht aneinander lagen. Langsam öffnete ich den gefalteten Zettel, betrachtete den sauber geschriebenen Text, der zum Vorschein kam. Sogar deine Schrift wirkte erwachsener. Gut konnte ich mich daran erinnern, dass du in der Schule immer nur gekritzelt hattest und dir nicht immer viel Mühe bei den Abschriften gabst. Ungewollt verzog ich eine Miene, konnte es mir nicht mehr verkneifen deinen Brief zu lesen. 'Hallo Kaiba-kun,' Ein einfaches 'Hallo' passte zu dir, knapp aber familiär, so als würdest du einen guten Freund begrüßen. 'Ich weiß selbst nicht, wie ich diese Zeilen formulieren soll. Es ist sehr viel Zeit vergangen, seit unserem Schulabschluss. Obwohl du mir unmissverständlich gezeigt hast, dass du mich nicht mehr wiedersehen möchtest, so kann ich nicht davon ablassen auf mein Herz zu hören und dir wenigstens Bescheid zu sagen, dass ich schon bald nach Amerika fliegen werde.' Geschockt starrte ich den ersten Absatz an. Wann hatte ich ihr gezeigt, dass ich sie nicht mehr sehen möchte? Egal, wie sehr ich nachdachte, ich konnte nicht verstehen, was sie damit meinte. Hatte ich sie etwa versehentlich verletzt? War meine Art zu distanziert gewesen oder hatte sie irgendwas in den falschen Hals bekommen? Grübelnd rieb ich meine Schläfen, schloss die Augen und erinnerte mich an den einen Abend, an dem wir uns zuletzt gesehen hatten. Es war unser Schulball. Was war geschehen? Nein, mein Gedächtnis wollte mir partout nicht auf die Sprünge helfen. Leichte Verzweiflung keimte in mir auf und ich spürte, dass mich Panik überkam. Zu gut konnte ich mich daran erinnern, dass du mit deinen Freunden getanzt hattest, dass das samtig rote Kleid deinen Körper zauberhaft umspielte und dass du dich bewegtest, wie ein elegant tanzender Schwan. 'Es hat mir sehr weh getan, wie du mit mir umgesprungen bist und dass du mir keine Antwort gegeben hast. Natürlich entspricht das deiner Natur, aber es war mein Wunsch dich näher kennen zu lernen, vermutlich bin ich dir mit meinem Verhalten zu Nahe getreten. Vielleicht ist es sogar meine Schuld, dass es letztendlich so gekommen ist. Tut mir Leid. Am nächsten Freitag um 18.00 Uhr nehme ich den Zug zum Flughafen. Dann beginnt mein neues Leben. Ich wünsche dir noch ein Leben voller Spaß und Augenblicken, die dich zum Lachen bringen und dass es dir auch weiterhin gut geht.' Die Grußformel am Schluss ignorierte ich, was mich viel mehr interessierte war, dass ich sie auf irgendeine Art verletzt haben musste und mir einfach nicht einfiel, was ich gesagt haben sollte, was sie so dermaßen verärgert hatte. Langsam lichtete sich der Schleier und die Erinnerungen kamen zurück. Stimmt. Sie hatte etwas gesagt, aber ich war viel zu sehr in Gedanken versunken, um ihr zuzuhören. Es war keine Absicht, aber dieser eine Moment war so wertvoll für mich, dass ich ihn in vollen Zügen auskosten wollte. Ihre Stimme erreichte mich aus weiter Ferne, obwohl sie nur wenige Meter hinter mir stand. Daraufhin wirkte sie geknickt, so als wäre sie deprimiert. Bis heute fand ich den Grund für ihr Verhalten nicht, aber nun wurde mir langsam klar, dass ich der Grund war. ☆ •.¸¸.•☆ •.¸¸.•☆ •.¸¸.•☆ •.¸¸.•☆ •.¸¸.•☆ •.¸¸.•☆ Eine Woche später hatte ich meinen Entschluss gefasst. Isono fuhr mich zum Bahnhof. In der Limousine starrte ich aus dem Fenster, betrachtete, wie die Umgebung an uns vorbei rauschte. Obgleich einiges an Zeit vergangen war, hatte ich noch immer nicht die richtigen Worte gefunden. Was sollte ich ihr sagen? Mir war noch nicht einmal klar, ob sie irgendwelche Erwartungen hatte. Für mich stand fest, dass ich sie nicht einfach so gehen lassen konnte. Zumindest 'Auf Wiedersehen' wollte ich sagen, auch, wenn es nicht ändern würde, was unvermeidlich war. Ihren Traum eine berühmte Tänzerin zu werden, verübelte ich ihr nicht und nichts auf der Welt konnte sie davon abhalten. Nicht einmal ein Seto Kaiba. Das wusste ich. Je näher wir dem Bahnhof kamen, desto schneller schlug mein Herz. Mein Blut zirkulierte rasend schnell in meinem Körper. Aufgeregt stieg ich aus, rückte noch einmal meine blaue Krawatte zurecht, sah mich suchend um. Vor dem Bahnhof war sie nicht. Vielleicht stand sie bereits am Gleis? Isono wartete wie ich es ihm angeordnet hatte, also begab ich mich hinein in die Höhle des Löwen. Erst jetzt bemerkte ich, dass meine Hände leicht feucht waren. Verlegen rieb ich sie an einem Taschentuch trocken und setzte meinen Weg fort. Leicht angestrengt sprintete ich die Treppe zum Gleis hinauf, sah mich ein weiteres Mal um. Nun war es 17:45 Uhr und ich war mir sicher, dass sie hier irgendwo sein musste. Bereits in unserer gemeinsamen Schulzeit war sie immer früher da. Pünktlichkeit war ihr zweiter Vorname. „Kaiba-kun?“, hörte ich eine angenehm vertraute und sanfte Stimme. Dieser eine Moment, obgleich er nur eine Sekunde anhielt, ließ mich erstarren. Doch innerlich schüttelte ich meinen Kopf. Schnell fand ich zur gewohnten Ruhe zurück, drehte mich zu ihr um und sah in ihre leuchtend blauen Augen. „Ah, du bist ja schon hier.“, entgegnete ich, versuchte meine Verlegenheit zu verbergen. „Ich hätte nicht damit gerechnet, dass du kommst.“ Sie legte den Kopf leicht schief, musterte mich eingehend. „Du hast mir einen Brief geschickt, vergessen?“, zog ich sie vorsichtig auf, wartete auf ihre Reaktion. „Ja, aber ich ging davon aus, dass du ihn nicht lesen würdest.“ Sie verzog keine Miene, als sie das sagte. „Warum hätte ich das tun sollen? Ich öffne meine Post immer.“ „Witzbold. Du weißt genau, wie ich das gemeint habe.“ Für einen Bruchteil der Sekunde schloss sie die Augen, öffnete sie dann wieder und vermied es mich direkt anzusehen. Sie hatte die Arme verschränkt, neben ihr stand ein großer brauner Koffer. Ihr schwarzer Mantel umspielte ihre gute Figur. Diese Frau wusste ganz genau wie sie sich zu kleiden hatte, um Männerherzen höher schlagen zu lassen. Wie konnte ich in einem Moment wie diesen, nur so etwas Albernes denken? „Was geschehen ist, tut mir leid.“ Ein Seufzer entfloh meiner Kehle. „Nein, mir tut es leid. Ich habe einfach zu viel von dir erwartet. Ich war jung und naiv.“ „Inwiefern?“, bohrte ich nach. Sie ließ einen verächtlichen Laut ertönen, so als würde sie mich hassen. „Tu nicht so unwissend, Kaiba-kun.“Sie zog ihre Augenbrauen runter, senkte den Kopf und ihr Gesicht wurde nun von ihrem Pony verdeckt. „Was willst du denn von mir hören? Ich war ein Idiot. Ich habe dich verletzt ohne es zu wollen.“ „Das sagst du jetzt doch nur, um dein Gewissen zu erleichtern. Dir geht es nicht um mich. Es geht dir doch immer nur um dich und dein Wohlergehen! Wie konnte ich nur so dumm sein zu glauben, dass dir unsere Freundschaft etwas bedeutet.“ Sie drehte sich leicht von mir weg. Diese Frau raubte mir den Atem. Für nur einen Augenblick fühlte ich mich machtlos, wusste nicht, wie ich auf ihre Vorwürfe reagieren sollte. Eines jedoch war klar: keines dieser Worte entsprach der Wahrheit. Dachte sie ernsthaft, dass ich so ein Egoist war, der nur an sich selbst dachte? Nein, ich hatte mich selbst immer zurückgestellt. Das einzige was für mich zählte, war, dass mein kleiner Bruder glücklich war und dass meine Firma gut lief. Wenn es mir nur um mich gegangen wäre, hätte ich niemals die Umstände auf mich genommen, bis hierher zu fahren, um diese Angelegenheit zu klären. Wieso begriff diese sture Frau das nicht?! „Oh nein, meine Liebe!“, zischte ich wütend, versuchte mich dennoch zurückzuhalten. Dann fuhr ich fort. „Du hörst mir jetzt mal zu! Du wirfst mir vor, dass ich nur an mich selbst denken würde und dass mir alles andere egal wäre? Was ist denn dann mit dir? Du hast mir doch diesen Brief aus einem bestimmten Grund geschickt. Weil du es nicht ertragen konntest, mich nie wieder zu sehen!“ „Das stimmt doch überhaupt nicht!“, erwiderte sie, wollte noch ansetzen, aber ich ließ ihr keine Chance. „Lüg mich nicht an und sag mir die Wahrheit. Oder bist du wirklich so feige? Warum denkst du bin ich extra bis hierhergekommen?“ Kurz verlor sie ihre Balance, neigte den Kopf zu Boden, ehe sie sprach. „Wie es scheint bist du nur hierhergekommen, um mir Vorwürfe zu machen.“ Sie wand sich zum Gehen, doch ich ergriff ihr Handgelenk, weigerte mich, sie einfach so gehen zu lassen. „Verstehst du es denn wirklich nicht? Ich bin wegen dir hier.“ „Lass mich los, Kaiba-kun.“, sagte sie förmlich, doch ich gehorchte ihr nicht. „Als sich damals unsere Wege trennten, wollte ich dich unbedingt wieder sehen.“ „Lügner. Du hättest mehr als eine Gelegenheit gehabt.“ „Das weiß ich, aber du wolltest mich doch nicht mehr sehen. Du hast mich gemieden.“ „Weil du mir keine Antwort gegeben hast!“, keifte sie und riss sich nun endgültig los, wand mir den Rücken zu. „Was meinst du? Ich verstehe dich nicht.“ Sie musste den Abend an unserem Abschluss meinen. Sie hatte etwas gefragt, nur was? „Willst du mir allen Ernstes sagen, dass du das vergessen hast? Jonouchi hatte Recht. Du wirst dich niemals ändern...“ Warum nur konnte ich mich an ihre Worte nicht erinnern? Kurz überlegte ich. An diesem Abend war es sehr windig und die laute Musik dröhnte von der Halle nach außen, so dass ich auch so Schwierigkeiten hatte sie richtig zu verstehen. Für mich war sie eine gute Freundin. Nein. Sie war mehr als das. Eine Seelenverwandte. Jemand, der mir zuhörte und über meinen schwarzen Humor lachen konnte. Jemand, der Verständnis für mich hatte und mir zeigte, dass er mich brauchte. Unsere gemeinsame Zeit war kurz, aber sie hatte ausgereicht, um mein Herz von ihr abhängig zu machen. So sehr ich es mir nicht eingestehen wollte, so wünschte ich mir nichts sehnlicher, als dass wir wieder Freunde sein konnten. Dass sie mich nicht vergaß und dass sie mich nicht hasste. „Dann frage mich noch einmal und ich gebe dir eine Antwort.“ Der Bahnhof vibrierte als der Zug einfuhr. Sie starrte mich geistesabwesend an. In ihren klaren Azurfarbenden Augen bildeten sich Tränen, die sie versuchte zurückzuhalten. Und doch konnte ich einen Hoffnungsschimmer in ihnen erkennen. „Was bedeute ich dir? Bin ich für dich nur eine Freundin oder mehr?“ „Du bist wie Luft...“, setzte ich an. Geschockt trat sie einen Schritt zurück, holte dann mit ihrer Hand aus. Gekonnt fing ich ihre Ohrfeige ab. Sanft aber bestimmt zog ich sie an mich, spürte ihre Wärme und vernahm erneut ihren Duft. „..ich brauche dich zum Leben.“, wisperte ich, spürte, wie sie ihre Hände in meinen Anzug krallte und in Tränen ausbrach. Leise schluchzte sie, zwang sich selbst dazu, sich wieder zu beruhigen. Behutsam drückte ich sie von mir. Enttäuscht hob sie den Kopf, sah mich fragend an. Meine Hand zitterte leicht, als ich sie unter ihr Kinn legte und ihr Gesicht in meine Richtung drückte. Zurückhaltend kam ich ihrem Gesicht immer näher, wartete darauf, dass sie mich von sich stieß. Doch sie ließ es geschehen. Zaghaft legte ich meine Lippen auf ihre. Ihr Mund war weich und sinnlich, verführte mich zu weiteren Taten, die ich mit meinem Verstand verdrängte. „Anzu...“, sagte ich, merkte, dass sie verwirrt war und nicht wusste, was sie tun sollte. „Du musst dich beeilen. Dein Zug fährt sonst ohne dich. Du musst deinen Traum erfüllen. Werde eine berühmte Tänzerin.“ „Aber...“ Mit sanfter Gewalt drückte ich sie von mir. Ich wusste, dass sie sich nicht mehr zwischen mir und ihrem Traum entscheiden konnte, dass sie hin und her gerissen war. „Wir sehen uns wieder.“, erklärte ich ihr, übergab ihr einen Brief und schob sie in Richtung Zug. „Kaiba-kun! Warte doch! Ich möchte bei dir bleiben.“, sagte sie, wirkte verschüchtert, aber ich schüttelte den Kopf. „Nein, du hast dein ganzes Leben hierfür gearbeitet. Gib das nicht einfach auf.“ Tief in meinem Inneren wollte ich sie nicht gehen lassen, wollte sie noch einmal in meine Arme nehmen, aber auch wusste ich, wie wichtig diese Sache für sie war. Wie käme ich dazu, sie dazu zu bringen, ihren Traum aufzugeben und bei mir zu bleiben? Irgendwann würde sie es bereuen. Das wollte ich nicht. Sie sollte glücklich und unabhängig werden. Ein neues Leben erwartete sie und ich wollte, dass sie diese Chance ergriff und berühmt wurde. Ich war mir sicher, dass wir uns wieder sehen würden. Mit einem Lächeln verabschiedete ich sie. Die Türen schlossen und wehmütig sah sie mir hinterher, presste den Umschlag, den ich ihr gegeben hatte, fest an ihre Brust, so als fürchtete sie, ihn zu verlieren. Sie würde verstehen, sobald sie den Brief las. Der Lärm, als der Zug losfuhr, störte mich nicht. Gelassen trat in den Rückweg an, wissend, dass dies nicht die letzte Begegnung war. Ende Kapitel 3: Kleines Geheimnis – (Honda/Shizuka) ---------------------------------------------- „Hey Jounouchi!“, tönte Hondas Stimme von Weitem und der Blonde drehte sich leicht genervt um. Direkt vor ihm blieb sein guter Freund stehen, ein breites Grinsen hatte sich auf seinen Lippen gebildet und argwöhnisch betrachtete er ihn. Ehe er weitersprechen konnte, stemmte der Blonde seine Hände in die Hüften und seine Augen verengten sich zu Schlitzen. Er wusste ganz genau, was sein guter Freund wollte und er würde es ihm garantiert nicht gewähren. Nur über seine Leiche! Da konnten sie noch so sehr befreundet sein. „Nein, du darfst Shizuka nicht sehen!“, sagte er laut und der Brünette schrak zurück. „Aber warum denn nicht? Mann, Alter! Ich würde ihr niemals etwas tun!“, rechtfertigte er sich und sah seinen Freund nun erbost an. Was dachte er sich eigentlich? Hatte er nicht bereits mehrmals bewiesen, dass es ihm mit Shizuka ernst war? Er liebte diese süße Brünette, seine Prinzessin. Doch immer wenn er es beinahe geschafft hatte, ihr näher zu kommen, funkte dieser Idiot dazwischen! Bereits im Cyber Space hatte er sich für sie geopfert und er würde es jeder Zeit wieder tun, wenn es keine andere Möglichkeit gab. Natürlich würde er erst versuchen solche Situationen zu verhindern, aber da sie den weltbesten Duellanten Yuugi Mutou zum Freund hatten, war es manchmal doch etwas schwer Ärger aus dem Weg zu gehen. Immer wieder kamen irgendwelche Leute an, die etwas von Yuugi wollten und zur Not griffen sie auch zu unlauteren Mitteln. Zum Teil lag dies natürlich auch an dem Pharao, der im Millenniumspuzzle lebte und sich einen Körper mit Yuugi teilte. „Ich will nicht, dass du sie triffst! Akzeptiere das endlich, klar?!“ Mit diesen Worten näherte er sich Honda und packte diesen am Kragen. Auch wenn sie Freunde waren, war es für ihn höchste Priorität seine geliebte Schwester zu beschützen, auch wenn er dafür seinem langjährigen Freund den Rücken kehren musste. Auch dieser dämliche Otogi meinte mit seiner Schwester flirten zu müssen und er konnte die Wut gar nicht beschreiben, die er verspürte, als er einen Zettel mit dessen Telefonnummer in ihrer Tasche fand. Vielleicht war es nicht richtig heimlich in die Tasche seiner Schwester zugucken, aber seit ihrer Geburt fühlte er sich dazu berufen sie zu beschützen. Er hatte doch nur seine geliebte Schwester. Sein Vater war alkoholabhängig und sie hatten seit Jahren nicht mehr das Band, das Vater und Sohn teilen sollten. Von seiner Mutter brauchte er gar nicht erst anfangen, denn auch wenn er es nicht sagte, so konnte er Gefühle des Hasses ihr gegenüber nicht unterdrücken. Immerhin hatte sie ihn bei seinem Vater gelassen und hatte Shizuka mit sich genommen. Das hatte ihn damals sehr verletzt und diese Wunde war bis heute nicht vollständig verheilt. Aber das würde er niemanden sagen, nicht einmal seiner Schwester. Auf einmal ließ er den Kragen seines Freundes los, noch immer sah ihn sein Gegenüber wild entschlossen an, doch er erwiderte nichts mehr. Ohne sich noch weiter zu äußern, drehte er sich um und trat den Nachhauseweg an. In einer Stunde würde er sich wie jeden Tag mit Yuugi treffen und mit ihm über alles Erdenkliche reden und Duel Monsters spielen. Er wollte Yuugi nicht warten lassen, vor allem weil er seine neue Strategie mit ihm besprechen musste, um sich für das nächste Turnier zu wappnen. Leicht irritiert blieb Honda zurück und sah seinem guten Freund hinterher. Er konnte ihm natürlich nicht verdenken, dass er Shizuka vor allem Bösen beschützen wollte, denn genau das war auch sein Verlangen. Aber dass er ihm derartig gegen den Kopf stieß, war ihm unerklärlich. Weder wollte er es verstehen noch konnte er es. Shizuka und er verstanden sich prima. Als sie am letzten Wochenende zu Besuch kam, hatten sie viel miteinander geredet und ihr süßes Lächeln verzauberte ihn jedes Mal aufs Neue. Bisher hatte er nicht den Mut gehabt ihr offen zu sagen, dass er sich in sie verliebt hatte, aber genau das wollte er am kommenden Wochenende nachholen. Eventuell ergab sich auch eine Möglichkeit Jounouchi aus dem Weg zu gehen und ungestraft mit Shizuka zu reden. Zumindest hoffte er dies. Er sah auf die Uhr, kratzte sich verlegen am Hinterkopf. Fast hätte er vergessen, dass er heute mit Anzu verabredet war. Eigentlich hatten sie kaum Gemeinsamkeiten, aber sie half ihm in Sachen Liebe. Wer hatte mehr Ahnung als ein Mädchen und wer könnte ihm in dieser Situation besser helfen? Anzu gab ihm hilfreiche Ratschläge. Bei Anzu angekommen, räusperte er sich, ehe er klingelte und eine ältere Frau die Tür öffnete. Sofort wurde er angewiesen hochzugehen und er tat wie ihm geheißen. Vorsichtig öffnete er die Tür und sah Anzu, die vor dem Spiegel stand und sich ihr Haar zurecht rückte. Ungewöhnlicherweise trug sie einige Spangen im Haar. Langsam näherte er sich einige Schritte, dann drehte sie sich ruckartig zu ihm um und griff blitzschnell nach seiner Hand. „Da bist du ja!“, lachte sie und zerrte ihn auf den Stuhl an ihrem Schreibtisch. Daraufhin wandte sie sich von ihm ab und suchte etwas aus einer Schublade heraus. Honda staunte über das ordentliche Zimmer und die hellen Wände. Es kam nicht oft vor, dass er Anzu besuchen kam. Wenn überhaupt waren Jounouchi, Bakura, Otogi und Yuugi dabei und sie machten dann gemeinsam Hausaufgaben, sahen Filme oder redeten einfach nur miteinander. Sie linste zu ihm und kam dann näher, hielt ihm ein kleines Kästchen vor die Nase. Fragend hob Honda die Hand und ehe er es zu fassen bekam, zog sie den Arm wieder weg. „Das sollst du Shizuka geben. Es ist eine Kette und eine kleine Schokolade drin. Zum Verständnis: Öffne es nicht selbst!“, mahnend sah sie ihn an während sie dies sagte, dann übergab sie ihm das kleine Kästchen. Mit großen und leuchtenden Augen starrte er das kleine rosa Kästchen mit dem weißem Band an. Anzu hatte sehr guten Geschmack was Schmuck und Mode anging und außerdem konnte er ihr vertrauen. Dann lächelte sie und beugte sich zu ihm. Kurz konnte Honda in ihren Ausschnitt sehen und leicht beschämt drehte er den Kopf zur Seite. „Zeig Shizuka, dass du sie gern hast und mach es dieses Mal richtig, okay?“ Ein kleines Zwinkern. Dann ein Lächeln und sie wandte sich wieder ihrem Spiegelbild zu, zerrte die Spangen heraus und legte sie auf die Kommode. So ganz konnte Honda sie nicht nachvollziehen, doch er war ihr unsagbar dankbar. Es war nicht das erste Mal, dass sie ihm in dieser Angelegenheit half. Auch hatte sie ihm Tipps gegeben, was er zu Shizuka sagen sollte, um ihr Herz zu gewinnen. Ob es geklappt hatte, konnte er leider noch nicht sagen, aber er wünschte sich, dass er sein Ziel erreichen würde. „Danke, Anzu. Du bist die Beste!“, sagte er und lief auf sie zu, umarmte sie einmal fest und verließ dann ihr Haus, ließ sie zurück mit ihrem Kamm und den Spangen. Ein Glück, dass er Anzu hatte, ansonsten wäre er längst verloren gewesen. Am Wochenende würde er einfach zu Jounouchi rüber gehen und klingeln und wenn Shizuka merkte, dass er die beiden besuchen kam, würde dem Blonden gar nichts anderes übrig bleiben als ihn herein zu lassen! Sein Plan war perfekt und ebenso war es sein Geschenk. Auch wenn er es nicht selbst ausgesucht hatte, war er sich sicher, dass Shizuka Gefallen daran finden würde. Aber nun schuldete er Anzu natürlich etwas. Zwar half sie ihm aus freien Stücken, aber manchmal plagte ihn dennoch ein schlechtes Gewissen. Die Tage vergingen und es war endlich Wochenende. Leise schlich er sich aus dem Haus, damit seine Mutter und vor allem seine Hündin nichts von seinem Spaziergang erfuhren. Wenn seine Mutter merkte, dass er rausging, würde sie ihm wahrscheinlich sagen, dass er ihre Hündin mitnehmen sollte und diese eigensinnige Lady konnte den Blonden überhaupt nicht leiden! Woran das lag, vermochte er nicht zu erklären, aber vielleicht lag es einfach daran, dass die beiden sich ähnlich waren. Jounouchi kläffte genauso gern wie ein Hund und machte keinen Hehl aus seinem überschäumenden Temperament. Draußen setzte er sich auf sein Motorrad und fuhr los, es dauerte nicht lange bis er bei ihnen ankam. Ein Blick nach oben zeigte, dass die beiden noch schliefen. Obwohl wahrscheinlich nur Jounouchi schlief, während die arme Shizuka, gebeutelt von diesem Ekelpaket (wie er fand) dazu gezwungen wurde, das Frühstück zu bereiten. Gut. Ein bisschen übertrieben ausgedrückt, aber im Großen und Ganzen drückte es schon aus, was er meinte. Die Treppen hochsteigend, klopfte er leicht an der Tür und obwohl er sich selbst einredete nicht nervös zu sein, schlug sein Herz wie wild in seiner Brust. Sein ganzer Körper war angespannt und er zuckte leicht zusammen, als die Tür endlich geöffnet wurde. Zitternd hob er die Hand und brachte nur ein leises, gekrächztes „Hi“ heraus. Das Mädchen, das die Tür geöffnet hatte, sah ihn fragend an, schenkte ihm daraufhin erneut ein freundliches Lächeln. Sie trug eine rosa Bluse und einen hübschen weißen Rock. Röcke standen ihr gut. Die Farbe Rosa stand ihr gut. Aber eigentlich war es ihm egal, was sie trug. Für ihn war sie einfach eine kleine Prinzessin. Sie war immer bezaubernd und schön! „Guten Morgen, Honda-kun.“ „G-guten M-morgen Shizuka...“, sagte er und hörte sein Herz laut schlagen. „Mein Bruder schläft noch, wenn du willst wecke ich ihn für dich, ja?“ Während sie sprach, wandte sie sich um und wollte rein gehen, doch noch bevor sie ihr Vorhaben in die Tat umsetzen konnte, fasste Honda sie am Handgelenk und hinderte sie somit am Gehen. „Ich bin wegen dir hier“, erklärte er dann und lächelte. Er wusste nicht, ob sie verstand, was er meinte, aber er hoffte es. Mit diesen Gedanken ließ er sie wieder los und wartete auf eine Reaktion. Eine leichte Röte zierte ihr Gesicht, nervös sah sie sich um und als würde sie sich vor etwas schützen wollen, hob sie die Arme und ließ diese auf Brusthöhe. Also hatte sie es endlich verstanden. Allerdings konnte Honda sich nicht lange freuen, denn nur weil sie verstand, was er für sie fühlte, bedeutete dies nicht, dass sie genauso oder ähnlich für ihn empfand. „Wir könnten eine Runde um den Block spazieren gehen“, schlug er vor und kratzte sich am Hinterkopf. Eine typische Geste für nervöse Männer. Beinahe ein Klischee und dennoch nicht zu verhindern. Noch einmal ging sie in die Wohnung, streifte sich eine dünne Jacke über und zog sich ihre Schuhe an. Ohne großartig weiter nachzudenken, verließ sie mit ihm das Haus. Aber sie würde nicht lange wegbleiben und wenn sie wieder kam, würde ihr Bruder gewiss erst aufstehen. Am Wochenende schlief er gerne mal einige Stunden länger und sie konnte ihn auch gut verstehen. Zudem hatte er gestern Nacht noch sehr lange über seine Erfolge als Duellant gesprochen und versucht Shizuka die Regeln des Spiels zu erläutern. Er war so aufgeregt gewesen, dass sie kaum etwas verstanden hatte, doch er gab nicht auf und kam ihr mit unendlicher Geduld entgegen. So langsam hatte sie den Dreh raus und sie hatte sich ihr eigenes Deck zusammengebaut. Jounouchi hatte gemeint, es wäre ein Deck wie aus einem Disneyfilm. Süße Mädchen und starke Ritter. Shizuka hatte ihre Karten nach dem Aussehen gewählt. Ein Anfängerfehler, aber Jounouchi hatte nur gelächelt und sich über ihr Interesse gefreut. Ob Honda auch so ein guter Duellant war? Gemeinsam liefen sie die Treppe wortlos hinab. Bis eben hatte er ihr tausende von Dingen erzählen wollen, aber nun viel ihm nichts ein. Außer... das Geschenk. Zum Glück hatte er es in seiner Jackentasche und wenn sie etwas weiter weg vom Haus waren, würde er es ihr geben. Anzus Mühe sollte nicht umsonst gewesen sein und er würde sich anstrengen und tun was nötig war, um ihr Herz endlich zu gewinnen. Sie gingen ruhig nebeneinander her, sprachen kaum miteinander. Doch dann setzte Shizuka sich auf eine Parkbank und sah verträumt in den blauen Himmel. Sich zurückhaltend, setzte er sich neben sie, beunruhigt blickte er auf den Boden. Wo sollte er anfangen? Sollte er ihr sagen, dass er sie seit langer Zeit so mochte? Dass er den Aprikosenduft in ihrem weichen Haar wundervoll fand? Es gab so viele Dinge, die er hätte sagen können, aber er fand einfach keinen geeigneten Anfang. „Du, Honda-kun? Warum bist du so verkrampft? Mach dich doch locker.“ Sie lächelte wieder. „T-tut mir Leid, Shizuka. Ich will dir nur so vieles sagen, aber ich weiß nicht was... eh...“ „Dann tu es doch einfach. Katsuya ist nicht hier“, sagte sie und kicherte leicht, als sie bemerkte, dass es wirklich sehr ruhig war, wenn er nicht dabei war. „Ja...“, fing er an und stoppte sofort wieder. Es hatte ihn, wie man so schön zu sagen pflegte, die Sprache verschlagen. Um sich nicht völlig vor ihr zu blamieren, zog er schnell das kleine Kästchen aus seiner Tasche und hielt es ihr hin. „Hier, nimm das!“, sagte er schnell und kniff die Augen zu. Er war sich sicher, dass sein Gesicht nun einer Tomate mit großen Ohren glich. Zögerlich nahm sie das kleine Kästchen und sie zog an dem weißen Band, die Schleife öffnete sich und dann nahm sie den Deckel ab. Erst jetzt wagte Honda es ein Auge zu öffnen und sie zu beobachten. Freute sie sich oder fühlte sie sich gar belästigt? Vielleicht empfand sie es als komisch, wenn er ihr ohne besonderen Anlass ein Geschenk machte?! Hunderte von Aspekten, die sowohl negativ als auch positiv waren, flogen durch seinen Kopf. Sein Gehirn lief auf Hochtouren und er verspürte einen kleinen Schmerz in der Schläfe. Entweder kam dies von der Furcht vor ihrer Reaktion oder aber lag es daran, dass sein Gehirn sonst nie so oft beansprucht wurde. Moment, wenn er es so betrachtete, musste er ja wirklich dämlich sein. War er das? Empfand sie ihn auch als doof? Und wieder ging das Gedankenkarussell von vorne los. „Danke, Honda-kun! Die ist so schön!“, quiekte sie voller Begeisterung. Lachend warf sie sich ihn um den Hals und seine Augen weiteten sich vor Schreck. Träumte er etwa oder umarmte sie ihn gerade wirklich? Leicht zitternd legte er seine Arme um sie und drückte sie an sich. Ein breites, triumphierendes Grinsen bildete sich auf seinem Gesicht und für einen Moment musste er an den Verlierer Otogi denken. Natürlich war das kein Wettstreit der Gefühle, denn im Gegensatz zu dem schwarzhaarigen Idioten, der nun wirklich jede abbekommen konnte, sofern er es denn wollte, meinte er es wirklich ernst. Eine einzelne Träne des Glückes suchte sich ihren Weg über seine Wange und als sie sich wieder voneinander lösten, wischte er diese energisch weg. Sie hatte sich so gefreut und wenn er es recht überlegte, würde er Anzu dafür auch etwas richtig Gutes tun! Was hätte er nur getan, wenn es diese Brünette nicht gäbe? Mit großer Wahrscheinlichkeit hätte er sich bis auf die Knochen blamiert und wäre nicht in der Lage gewesen sich ihr zu nähern. Dann beugte er sich zu ihr, betrachtete sie nur kurz, bevor er ihr einen kleinen Kuss auf die Wange gab. Etwas perplex hob sie die Hand und führte sie zu der noch kribbelnden Stelle. Sie wurde rot und auch wenn es ihr etwas peinlich war, fasste sie nach seiner Hand und drückte diese. Wieder wurde es ruhig zwischen ihnen. „Im Übrigen tut es mir leid, dass Katsuya immer so fies zu dir ist“, brach sie die Stille. „Ach... das macht nichts...“ In Wirklichkeit kotzte ihn das Verhalten seines Freundes an, aber das würde er ihr nicht erzählen. „Weißt du... mein Bruder hat Angst, dass ich ihn im Stich lassen könnte, so wie Mutter es getan hat. Daher möchte er nicht, dass sich der Abstand zwischen uns noch mehr vergrößert.“ „Dein Bruder ist tapfer, aber er muss lernen dich endlich loszulassen“, brummte er und sah sie ernst an. „Ja, ich weiß das. Aber das werde ich ihm selbst sagen. Ich weiß nur noch nicht wie, daher lasse mir etwas Zeit. Das bleibt unter uns, in Ordnung?“ „Natürlich“, sagte er und küsste sie noch einmal federleicht auf dieselbe Stelle. Es war ihr Geheimnis. Noch würden sie dem Blonden hiervon nichts erzählen und würden es für sich behalten, aber bald würden sie beide den Mut aufbringen laut auszusprechen was sie dachten. „Ich liebe dich, Shizuka“, flüsterte Honda noch einmal und sie lächelte, erwiderte leise, im selben Tonfall: „Ich dich auch.“ Kapitel 4: Hear me out - (Wishshipping) --------------------------------------- Wir hatten uns gestritten, waren wütend auseinander gegangen. So viele Emotionen, die in die falsche Richtung gelenkt worden waren, obgleich sie ein gänzlich anderes Ziel hatten. So war es doch dieses Gefühl, das uns nun verband, das was uns zerstören sollte. Immer waren wir füreinander da, gaben uns Halt und Kraft, stützten einander den Rücken und hatten nie wirklich über uns selbst nachgedacht. Es war so selbstverständlich geworden. Unsere gemeinsame Zeit, das Lachen und die Berührungen. Wirklich glauben konnten wir es beide nicht. Sollte alles vorbei sein? Unsere langjährige Freundschaft? Kennen gelernt hatte ich dich in der Schule, aber unsere Beziehung zueinander war anfangs anders, als diese, die wir später miteinander teilten. Du hattest mich gehasst und ich hatte Angst vor dir. Aber tief in mir, da wusste ich schon immer, dass du ein sensibler Mensch warst, der seine Gefühle durch Gewalt und harschen Worten unterdrückte, um so nicht in sich selbst zu verfallen. Eine Mauer hattest du um dich gebaut, schottetest jeden von dir ab, auch deine Familie und Freunde. Hattest du überhaupt richtige Freunde? Ich überlegte lange über diese Bedeutung. Was bedeutete Freundschaft überhaupt? Wann war der Zeitpunkt, wo aus Freundschaft Liebe wurde? Diese Fragen müsste ich eigentlich beantworten können, aber ich konnte es nicht. Denn ich hatte Angst vor der Wahrheit. Denn ich hatte es all die Zeit gewusst. Es war ein schöner Nachmittag, als wir uns wie jeden Tag in der Stadt trafen. Die Sommerferien hatten angebrochen und es war heiß. Ein Eis sollte uns die nötige Abkühlung verschaffen, die wir beide dringend notwendig hatten. Dass dies der Anfang eines tragischen Desasters werden würde, hätten wir beide nicht ahnen können. Wir gingen ruhig nebeneinander her. Dein dunkelblondes Haar, das sich mit jedem Schritt ruhig vor und zurück bewegte, deine bernsteinfarbenen Augen, die mich nicht immer in deine Seele blicken ließen, die aber dennoch so viel über dich verrieten, hatten mich in den Bann gezogen und es fiel mir sehr schwer den Blick abzuwenden. Für mich warst du einfach schön und vollkommen, immer wieder erwischte ich mich dabei, wie ich dich ansah. Aber dieses Sehen war anders. Irgendetwas war da in mir, dass da mehr als nur einen guten Freund sehen wollte und dir, so wusste ich, ging es auch so. Als sich unsere Hände kurz berührten, sahen wir beide erschrocken auf, lachten verlegen und taten so, als wäre nichts passiert. Aber dieses Kribbeln konnten wir beide nicht verleugnen. Deine Hand war so warm und angenehm und ich hätte sie am liebsten in meine geschlossen, aber aus Angst tat ich es nicht. Denn ich wusste, was dies bedeutete. Ich wusste es. Du hattest dir ein großes Vanille Eis bestellt und schaufeltest wortlos einen Happen nach den anderen in dich hinein. Wir sprachen kaum miteinander, zumindest heute. Die letzten Wochen vor den Ferien waren anders als sonst gewesen. Anzu hatte mir bewusst gemacht, dass wir uns anders verhielten als sonst und dass da etwas Ungreifbares zwischen uns lag, das uns imaginär gefangen nahm und uns leise umrundete. Ihre Worte gaben mir den Anstoß über unsere Beziehung nachzudenken und ich musste ihr Recht geben, denn ich hatte verstanden. Wie viele Jahre kannte ich dich nun schon? So richtig? Nicht als meinen Peiniger, sondern als guten Freund? Es mussten ungefähr drei Jahre sein, innerlich nickte ich mir selbst zu und häufte ein wenig meines Erdbeereis auf den Löffel, den ich langsam in meinen Mund schob. Ich zuckte aufgrund der Kälte kurz zusammen. „Stimmt etwas nicht, Yuugi?“, fragtest du besorgt und ich lächelte, machte dir klar, dass alles in Ordnung war. Du grinstest und aßt ruhig weiter, mein Blick schweifte zur Seite aus dem Fenster, zu der befahrenen Straße. Als der Pharao noch da war, war dieses Gefühl nicht so präsent wie nun. Es gab einfach zu viele Dinge, über die ich damals nachdenken musste. Am meisten machte mir der Pharao Sorge, denn ich wollte nicht dass er ging. Aber verhindern konnte ich es nicht, über ein Jahr war seitdem vergangen. Ich schluckte, schloss die Augen für wenige Sekunden, nur um sie wieder zu öffnen und ihn vorsichtig anzusehen. „Sollen wir gleich noch in die Spielhalle gehen? Sie haben einen neuen Virtualfighter aufgestellt.“ Du grinstest und antwortetest mir. „Na klar, was glaubst du denn?!“ Alles schien wie immer zu sein, aber das war es nicht. Unterwegs lachten wir, alberten herum und nahmen uns gegenseitig auf den Arm. Ein Tag wie jeder andere auch, so sollte man meinen. Wir betraten die Spielhalle und gingen sofort auf den neuen Automat zu, warfen einige Münzen herein und schon flimmerte der Bildschirm in verschiedenen Farben auf und eine packende Melodie ertönte. Nach ungefähr zwei Minuten hatte ich gewonnen, nicht umsonst hatte man mir den Titel König der Spiele verliehen. Aber du nahmst deine Niederlage an, lachtest und wuscheltest mir durch das Haar. Doch genauso schnell zogst du sie zurück, wurdest rot und räuspertest dich unbeholfen. Wieder merkte ich, dass wir so nicht weiter machen konnten, dass wir etwas tun mussten. Aber wir beide waren so unglaublich zurückhaltend und trauten uns nicht es auszusprechen. Noch eine Runde, zu deinem Erstaunen hattest du gewonnen, aber ich verriet nicht, dass ich mit meinen Gedanken nicht voll und ganz bei der Sache war. Wann hatte ich mich das letzte Mal so komisch gefühlt? Mein Herz schlug ungewöhnlich unruhig und ich hörte in meinen Ohren das Rauschen meines eigenen Blutes. Ein Kloß hatte sich in meinem Hals gebildet, als ich vorsichtig zu dir rüber schielte, konnte ich deutlich sehen, dass auch dir etwas durch den Kopf ging, das du vor mir verheimlichtest. Dann standst du auf und erklärtest, dass du uns etwas zu trinken holen wolltest. Unweigerlich musste ich an damals denken, denn eine ähnliche Situation hatten wir bereits einmal durchlebt. Da hatte ich noch das Puzzle. Ein Spieler, welcher immer wieder gegen mich verlor, war wütend, weil er sich selbst als Gewinner sah und er seine Niederlage nicht einsehen konnte. Da wusste ich nicht, dass dieser geheimnisvolle Spieler mir direkt gegenüber saß. Als ich seine Anfrage ablehnte, kam er auf mich zu und ohne dass ich mich hätte wehren können, schlug er auf mich ein. Als seine Trophäe stahl er mein Puzzle und verließ das Gebäude. Als du zurück kamst, hattest du deinen heißen Kaffee fallen lassen und warst zu mir gerannt. Die Sorge, die du um mich hattest, konnte ich spüren und ich fühlte mich so erbärmlich, weil ich so schwach und hilflos war. Du warst es immer, der mich aus meinen Problemen heraus boxte und auch dieses Mal hattest du nicht vor, die Sache so zu belassen wie sie war. Wutentbrannt liefst du dem Mann hinterher und hattest um mein Puzzle und meine Ehre gekämpft. Wieder hattest du dein eigenes Leben riskiert und ich konnte nichts für dich tun. Ich hatte dir niemals gesagt wie dankbar ich war, denn für dich war es selbstverständlich für mich da zu sein. Aber an diesem Abend konnte ich nicht anders als nur an dich und deinen Mut zu denken. Vielleicht warst du mir schon damals so wichtig gewesen, hattest dir einen Platz in meinem Herzen verschafft, ohne dass ich es wusste. Mit zwei Dosen Cola kamst du lächelnd zurück und überreichtest mir eine. Dankend nahm ich sie an und schlürfte die kühle Flüssigkeit, sog sie in mich ein und versuchte mich von unnötigen Gedanken abzulenken. Tatsächlich funktionierte dieser Plan genauso gut, wie ich es mir vorstellte. Einige Spielrunden später und nicht mehr ganz so gut gefüllten Taschen, verließen auch wir das Gebäude und liefen planlos umher. Plötzlich spürte ich eine Hand auf meiner Schulter und drehte mich erschrocken um. „Bakura-kun!“, brachte ich heraus und der Weißhaarige Junge lächelte, in beiden Händen trug er kleine Plastiktaschen, wahrscheinlich war er gerade einkaufen und nun auf den Rückweg. An der Sparkasse auf der gegenüber liegenden Straßenseite war ein Schild, die Temperatur und Uhrzeit anzeigte. Es war bereits nach 18 Uhr, die Zeit war einfach weitergelaufen und ich hatte gar nicht mitbekommen wie lange wir nun wieder zusammen waren. Als das Schild mit einem Mal auf die Temperatur um schwang, stöhnte ich auf. Es war zwar kühler geworden, aber noch immer zu warm! „Was macht ihr zwei denn? Geht es auch gut?“, kam es von Ryou, der immer noch lächelte und uns beide musterte. „Ach, wir waren gerade in der Spielhalle und jetzt spazieren wir nur so rum.“, kam schnell die Antwort meines blonden Freundes. „Ja, stimmt. Und du warst wohl gerade einkaufen, hm?“ Meine Frage beantwortete sich von selbst, aber auch ich wollte einen Teil zu dieser Konversation beisteuern. Er nickte, erklärte, dass er es eilig habe, weil er noch eine Fernsehsendung sehen wollte und lief dann an uns vorbei, immer noch lachend und fröhlich, so wie wir ihn kannten. Aber ich wusste, dass auch er etwas verbarg. Wir alle trugen unsere Geheimnisse wie Bürden auf unseren Rücken, nur unsere Blicke verrieten selten etwas über unser Seelenleben. Der Abschied vom Pharao selbst war für Ryou nicht so schmerzhaft wie für mich oder Anzu. Meine beste Freundin trauerte ihm immer noch etwas hinterher. Früher hatte ich Gefühle für sie, aber als ich erfuhr, dass ihre Aufmerksamkeit nicht mir sondern dem Pharao galt, nahmen auch diese schneller ab als es mir selbst lieb war. Für mich war sie einfach nur noch eine Freundin, die ich mittlerweile nicht mehr so oft sah, als wie zu den Zeiten als der Pharao noch unter uns weilte. Aber das hatte ich bereits vorausgesehen, wir hatten uns schon vorher auseinander gelebt, unsere Interessen gingen einfach zu weit auseinander und wir konnten nicht immer etwas miteinander anfangen. Sie fand mich kindisch und verspielt und das wusste ich, für sie war es komisch, aber ich fand mich in Ordnung wie ich war. Mein bester Freund Jonouchi akzeptierte das, denn mein Verhalten hatte leicht auf ihn abgefärbt. Ryou war ein guter Freund, aber mit keinem meiner damaligen Kumpanen, verbrachte ich so viel Zeit wie mit ihm. Wir sahen uns sehr oft und sprachen über alle möglichen Dinge und erlebten viel. Gemeinsam liefen wir weiter umher, bis wir uns entschieden einen ruhigeren Ort aufzusuchen, in dem wir ungestört waren. Wir steuerten den Park an und setzten uns an die Nähe des kleinen künstlichen Sees in den Rasen, betrachteten die Wasseroberfläche, die, sich aufgrund kleiner Insekten, die sich auf ihr bewegten, mit kleinen Kreisen geziert wurde. Aber wir sprachen nicht. Langsam verdunkelte sich der Himmel, aber es war noch immer hell genug um klar und deutlich zu sehen. Ich kratzte mich am Hinterkopf und wartete darauf, dass er etwas sagte, aber genau wie ich fand er einfach nicht die richtigen Worte. Sich gut auszudrücken fiel ihm schon immer schwer und ich hätte ihm gerne diese schwere Bürde abgenommen, aber ich hatte zu große Furcht vor dem, was geschehen könnte, wenn ich ihm die Wahrheit sagte. Also entschloss ich nichts zu sagen und einfach nur hier zu sitzen und den See anzustarren. Nicht, dass dieser sonderlich interessant gewesen wäre, aber mir war unwohl bei dem Gedanken ihn anzusehen. Denn ich wusste, dass ich mich womöglich wieder in ihm vergucken würde und ich es nicht schaffen würde aufzuhören ihn anzustarren. Doch dann näherte er sich mir. Wir saßen nah aneinander und sahen uns nicht an, stattdessen war unser beider Blick stur nach vorne gerichtet. Ich wusste, was dies zu bedeuten hatte. Langsam legte er seine Hand auf die meine und ich spürte einen plötzlichen Impuls, der durch meinen ganzen Körper jagte und mich dazu zwang, meinen Selbstschutz aufzugeben. Dieses Gefühl, das uns verband, musste ich einfach genießen, denn ich konnte es nicht länger mehr ignorieren. Ich wollte, dass er mich berührte. Nicht nur meine Hände, sondern meinen ganzen Körper, meine Lippen, meinen Bauch und auch meine Lenden, die allein vom Gedanken leicht erbebten. „Du, Jonouchi-kun?“, fragte ich leise und er richtete seinen Blick auf mich. „Wie lange kennen wir uns eigentlich schon?“ Er schien nachzudenken und antwortete mit einem 'Lange', seine Lippen wurden zu einem breiten Grinsen, das sein ganzes Gesicht zierte. Er war verlegen, meine Beobachtung erwies sich als richtig, als er dann noch die Hand hob, um sich am Hinterkopf zu kratzen. „Stimmt.“, sagte ich kaum hörbar und schloss die Augen, befreite meine Hand die unter seiner lag nur um eine noch engere Bindung zu schaffen und seine wie meine Finger ineinander zu legen. Ruckartig sah er mich an, senkte dann den Blick und sagte nichts. Das leichte Lächeln und diese Zufriedenheit in seinen bernsteinfarbenen Augen verrieten alles. Wir kannten uns zu lange und zu gut, um Geheimnisse voreinander zu verbergen. „Darf ich näher kommen?“, fragte ich und als er nur etwas auf zuckte, kam ich ihm noch näher und schmiegte mich an ihn, lächelte glücklich vor mich hin. Unsere Hände legten sich ineinander, völlig automatisch, ohne dass wir großartig darüber nachdachten. Mein Kopf hob sich beinahe ohne Zusteuern und wir sahen uns in die Augen, kamen einander noch näher, ich spürte seine warme Stirn auf meiner. Sein Atem war unruhig und hastig, plötzlich lagen unsere Lippen aufeinander und wir küssten uns. Dieser Moment dauerte nur wenige Sekunden, genauso schnell war er zu Ende wie er angefangen hatte und wir sahen uns wieder an. Seine Hand fuhr durch mein Haar, vorsichtig schob er mir einige Ponysträhnen aus dem Gesicht, nur um dann seine Wange an die meine zu schmiegen. Diese Berührungen waren intensiv und feurig, mein ganzer Körper bebte und ich wusste, dass es ihm genauso ging. Ich drückte ihn runter und küsste ihn noch einmal, dieses Mal länger und leidenschaftlicher. Unsere Zungen stießen aneinander, umspielten sich gegenseitig und ich hatte das Gefühl, dass die Zeit für mich stehen geblieben war, aber ich wusste, dass dies nur ein trügerisches Gefühl, hervorgerufen durch mein Verlangen, war. Bisher hatten wir mit diesen Gefühlen leben können, doch nur ein Moment der Unachtsamkeit zerstörte dieses perfekte Bild der Freundschaft. Denn wir wussten, dass es falsch war. Und dennoch fühlte es sich so unheimlich richtig an, dass wir nicht aufhören konnten und einander begehrten. Deine Hände hinterließen auf meiner Haut ein angenehmes Kribbeln und ich hatte das Gefühl, als würden hunderte Ameisen auf ihr laufen. Elektrisierende Impulse schossen erneut durch meinen Körper und meine Hände fanden deine Brust, streichelten willkürlich und ohne Halten deine Muskeln. Es fühlte sich sehr real an, obwohl unsere Kleider uns trennten. Diese Kleidung störte. Plötzlich war alles um uns weg, es fühlte sich so an, als überschritten wir die Grenze der Realität. Tief in mir glaubte ich, dass wir uns bewegten, dass wir sämtliche irdischen Fesseln hinter uns gelassen hatten. Ein geheimnisvolles Land, nur für uns Zwei und wir fühlten uns so unendlich frei von jeglichen Ängsten, die uns sonst immer festhielten, die uns aufwiesen was falsch und was richtig war. Deine kräftigen Hände strichen über meine Taille bis hin zu meiner Hüfte und ich konnte mir ein Stöhnen in den Kuss nicht verkneifen, aber wir lösten uns nicht voneinander, sondern genossen diese Nähe, diese Hitze und die Flammen, die uns umgaben. Unnatürliches Rot entzündete sich auf meinen Wangen, deine Zähne bissen in meine Unterlippe und ich legte meine Hände an deine Wangen, meine Ellbogen abgestützt im kühlen Gras, betrachtete ich dich und musste wieder feststellen wie unheimlich atemberaubend du warst. „Yuugi...“, stöhntest du und legtest deine Lippen auf meine, verlangtest mehr von mir wie ich von dir verlangte. Ein plötzlicher lauter Ton ließ uns beide hochfahren, kurz sahen wir uns an und erschraken, als wir merkten in welcher Situation wir uns befanden. Sofort ließ ich von dir ab und setzte mich neben dich, die salzige Flüssigkeit in meinen Augenwinkeln ließ sich nicht lange aufhalten und sie fiel hinab. Tränen rollten unaufhaltsam über meine Wangen, fielen zu Boden und versickerten in der Erde. Du standst auf und blicktest auf mich, sagtest kein Wort, fuhrst dir mit deinen Fingerspitzen über deine Lippen. Kurz glaubte ich dich lächeln zu sehen, im selbigen Moment schlossen sich deine Augen und du wandst dich von mir ab. Wir sagten beide keine Silbe, nichts glitt über meine und deine Lippen, wir standen unter Schock, waren atemlos. Noch immer spürte ich deine hitzigen Berührungen, konnte mir aber nicht erklären, wieso ich auf einmal dieses eigenartige Gefühl verspürt hatte. Ich wollte dir nahe sein und doch wusste ich, dass es falsch war. Die allgemeine Auffassung von falsch tat mir weh, aber ich allein konnte dieses Weltbild nicht ändern, hatte ich es selbst doch längst als richtig angesehen. Aber war es das? „Ich werde nach Hause gehen, Yuugi.“, sagtest du und verschwandst schnell, ohne dich wirklich verabschiedet zu haben. Energisch wischte ich mir die Tränen weg und rannte davon. Weg von diesem sündhaften Ort, der eine Begebenheit eingeleitet hatte, die so nicht vorgekommen wäre, wenn wir uns wo anders befunden hätten. Die Straßen auf dem Nachhauseweg durchquerend, bemerkte ich immer wieder die verhöhnenden Lichter, die wie Blitzschläge auf mich zu zeigen schienen. Die Vorstellung war eigenartig und unrealistisch, dies war mir klar, aber ich hatte schreckliche Angst vor dem, was wir getan hatten. Wozu wir uns hatten hinreißen lassen. Man sagte, dass Wollust die schlimmste Sünde von allen sei und nun verstand ich auch warum. Zu Hause angekommen, lief ich die Treppen zu meinem Zimmer hoch, warf mich auf mein Bett und weinte bittere Tränen. Auf meinem Nachtisch lag mein Handy, vorsichtig, so als könnte es zerbrechen, nahm ich es in die Hand und betrachtete den dunklen Display. Ich wollte wissen was du dachtest. Wie du über mich dachtest. Du warst doch mein bester Freund, warum warst du mir nur so wichtig geworden? Wieso musste ich ausgerechnet dich begehren und nicht eine Frau? Das Handy umfasste ich in meinen Händen, in der Hoffnung, dass wenn ich es das nächste Mal ansah eine freudige Nachricht auf mich wartete. Ich hasste mich, weil ich ihn liebte. All die Zeit hatte ich es gewusst. Und wenn ich nun an die Zeit, die wir gemeinsam verbrachten, zurückdachte, konnte ich nicht anders als so über ihn zu denken. Als Insector Haga meine Exodia Karten ins Meer warf, sprang er, ohne nachzudenken, hinterher, um sie zurückzuholen. Er riskierte sein Leben für mich, so wie ich meines für ihn riskierte. Denn ich wollte ihn nicht verlieren, schon damals nicht. Als er mich aus den wütenden Flammen des brennenden Lagerhauses rettete, war ich froh sein Gesicht sehen zu können. Da hatte ich bereits mit meinem Leben abgeschlossen, aber als er mich mit Tränen in den Augen anlächelte und hochhob, mich heldenhaft aus dem Gebäude trug, da konnte ich nicht anders als überglücklich zu sein. Ich war froh, dass ich das Milleniumspuzzle zusammensetzen und mein anderes Ich retten konnte, aber noch glücklicher war ich, dass er gekommen war, um mich zu retten. Als mir die Sinne schwanden, flüsterte ich noch 'Arigatou, Jonouchi-kun', aber ich war mir nie wirklich sicher ob er es gehört hatte. Er war mir so unglaublich wichtig, so sehr sogar, dass ich ihn mit niemanden teilen wollte. Wie egoistisch, stellte ich fest und drückte das Handy an mich. Die Tränen, die ich zurückhalten wollte, überkamen mich und ich ließ ihnen freien Lauf. „Jonouchi-kun... ich liebe dich so sehr.“, flüsterte ich und schluchzte, wartete und betete dafür, dass er mich anrief. Aber es geschah nichts. Noch nie in meinem Leben hatte ich solche Angst wie jetzt. Meine Augen fielen zu und langsam wurde alles schwarz um mich, nichts nahm ich mehr wahr und ein Teil von mir war froh, dass mein Verstand abschaltete und ich endlich einschlafen und vergessen konnte. Geplagt von Alpträumen, hervorgerufen durch meine schreckliche Verlustangst, wälzte ich mich hin und her, dennoch tief schlafend. In meinen Träumen kamen die verschiedensten Szenarien vor, wie er mich anschrie und mir die Freundschaft kündigte, Worte so eiskalt, dass ich nicht glauben konnte, dass sie von ihm stammen konnten. So kannte ich ihn nicht. Nur früher, als er mich stets aufzog und ärgerte, aber ich wollte diese Zeit vergessen. Die Wunden, die sie hinterließ, waren noch nicht geheilt, immer noch fürchtete ich ihn zu verlieren, dass er sich von mir abwenden und mich alleine zurücklassen konnte. Dass diese Gedanken unbegründet waren, wollte mir nicht in den Sinn, zu sehr hatte ich mich an die Vorstellung verbissen, dass ich wieder alleine sein könnte. Erst nachdem der Pharao mich verlassen hatte, kamen diese Gedanken wieder, aber ich wollte sie ignorieren und ein schönes Leben haben. Aber als sich Honda, Otogi und Anzu sich zunehmend von mir entfernten, bekam ich es mit der Angst zu tun. Schon immer war ich feige und konnte die Einsamkeit nicht ertragen, aber das Milleniumspuzzle hatte vieles geändert und in all der Zeit, wo er da war, hatte ich verdrängt, dass diese Menschen, die mir so wichtig wurden, nicht immer an meiner Seite gewesen waren. Trotzdem wollte ich sie nicht verlieren, vor allem Jonouchi nicht. Er bedeutete mir alles. Und ich hatte die Ahnung, dass er mich auch nicht verlieren wollte, aber genau wie ich war er feige, zumindest wenn es um Sachen Liebe ging. Wir liebten uns, aber wir fürchteten uns vor dem Gedanken schwul zu sein und dadurch eine Minderheit in der heutigen Gesellschaft zu werden. Außenseiter und verachtet. Das machte mir Angst, denn ich wusste wie es sich anfühlte ein Opfer zu sein. Am nächsten Morgen erwachte ich, mein Großvater musste im Zimmer gewesen sein, denn die Decke wurde sorgsam um mich gelegt und auf meinem Nachttisch stand eine Tasse warmer Tee, ebenso ein Brötchen belegt mit Käse. Der Duft stieg in mir in die Nase, doch als ich mich aufrichtete, spürte ich, dass ich noch immer mein Handy fest umklammert in meinen Händen hielt. Die Geschehnisse des Vortages kamen wieder hoch, ließen mich schlucken und bangen. Vorsichtig nahm ich die Finger vom Display, meine Augen weiteten sich hoffnungsvoll als ich den Satz 'Eine neue Nachricht' las. Sofort drückte ich auf den Knopf, der mir die Nachricht offenbarte und sie schien tatsächlich die zu sein, auf die ich sehnlichst gewartet hatte. „Yuugi, es tut mir Leid, dass ich einfach gegangen bin. Ich war so verwirrt und durcheinander, ich weiß einfach nicht wie ich mit dieser Situation umgehen soll. Denke bitte nicht, dass ich dich nicht mehr mag, es ist nur so, dass ich mich etwas fürchte und nicht recht weiter weiß. Ich komme morgen gegen 13 Uhr zu dir, dann können wir reden. Liebe Grüße Jonouchi.“ Ich musste lächeln, schloss meine Augen und wenn ich meine Gefühle in diesem Moment hätte beschreiben müssen, dann hätte ich nicht die richtigen Worte gefunden. Ein Schauer lief mir über den Rücken, als ich mich erhob und mir langsam verständlich wurde, dass unsere Freundschaft noch nicht ganz kaputt war und wir sogar in solchen heiklen Situationen zusammenhielten. Vielleicht hatte ich mich in Jonouchi getäuscht und meine Angst war unbegründet, doch noch war dieses schwierige Thema nicht ausgestanden. Ein Blick zur Uhr verriet mir, dass es bereits nach Elf war. In wenigen Stunden würde er hier sein und dann waren wir dazu gezwungen mit einander zu reden. Über unsere Gefühle, Gedanken und über das, was gestern geschehen war. Verdrängen konnten wir es nicht, dafür war zu viel geschehen. Sowohl er als auch ich waren noch nie gut darin unsere Gefühle in Worte zu fassen. Einen Moment lang überlegte ich was ich ihm sagen sollte, wenn er eintreffen würde. Ich musste reinen Tisch machen und ihm deutlich machen, dass ich nicht mehr sein Freund sein konnte, weil mein Verstand bereits umgeschaltet hatte und ich ihn in einer völlig anderen Sichtweise sah. Da waren Begehren und Freundschaft, die auf einander stießen und es war unklar welche Seite schwerer wog. Ein Läuten ließ mich aufschrecken, jemand war in den Laden meines Großvaters eingetreten. Im Sommer kamen immer mehr Kunden, da die meisten zu dieser Zeit Urlaub und daher viel Freizeit hatten. Aber als ich meinen Großvater so vertraut mit dem Gast reden hörte, wusste ich, dass es sich um meinen besten Freund handeln musste. Langsam stieg ich die Treppen hinab und blieb im Flur stehen, mein Herz schlug schnell und unregelmäßig, ich wusste einfach nicht wie ich ihm jetzt gegenüber treten sollte. Mein Großvater ließ ihn ohne Bedenken ins Haus und wir trafen uns im Flur, sahen einander an. Mit einem lockeren „Hi, Yuugi!“, begrüßte er mich und ich lächelte freundlich zurück, ein Außenstehender hätte wahrscheinlich nicht bemerkt was zwischen uns vorgefallen war. Wir spielten unsere Rollen perfekt und dieses Theater, in welchem wir ein Teil waren, hätte niemanden den wahren Hintergrund vermuten lassen. Vorsichtig gingen wir die Treppen herauf, in meinem Zimmer angekommen, setzte er sich auf den Bürostuhl und machte es sich bequem. Seine dünne Sommerjacke flog mit einem Mal auf mein Bett, ich lächelte und setzte mich direkt neben diese. Wir schwiegen, darauf hoffend, dass der andere etwas sagte. Scham lag in der Luft. „Ist schönes Wetter heute, oder?“, grinstest du, ich lächelte zurück. „Ja, sehr schön sogar. Wir könnten demnächst ins Schwimmbad gehen.“ „Das geht nicht.“, antwortete er ruhig und senkte den Kopf. Uns war klar warum es nicht ging, denn es würde uns beiden schwer fallen einander nicht so zu sehen, wie wir es bereits taten. Es war alles anders, nichts war mehr so wie es hätte sein sollen. Manchmal wünschte ich, dass der Pharao hier bei mir geblieben wäre, denn er hatte mich aus den kniffligsten Situationen raus gehauen und ich hatte nie etwas zu befürchten. Andererseits wusste ich, dass ich Verantwortung für mein Handeln nehmen und meine Probleme selbst lösen musste. Mit dem Pharao war es nur um einiges angenehmer. Wie sehr ich doch von ihm abhängig gewesen war, mir selbst war es nie so bewusst, aber wenn ich rückwirkend auf die Ereignisse der Vergangenheit sah, so war er es, der stets seinen Kopf hinhielt. Ich seufzte. Was sollte dieses kindische Versteckspiel eigentlich? Warum fiel es uns so schwer einzusehen, was zwischen uns war? Wieso konnten wir damit nicht umgehen wie Erwachsene? Vielleicht, weil wir es noch nicht waren? Er hob seine Hand und strich sich einige Strähnen hinter sein Ohr. „Stimmt.“, entgegnete ich lächelnd und sah ihn an. „Yuugi... ich weiß nicht wo ich anfangen soll.“ „Ich schon, ich habe mich in dich verliebt. Wir können keine Freunde mehr sein, weil da längst mehr ist.“, platzte es ungehalten aus mir und ich merkte wie Jonouchi kurz aufschrak, nur um dann wieder resigniert den Kopf zu senken. Er wollte etwas sagen, aber es schien ihm schwer über die Lippen zu kommen. „Ich möchte dich gerne noch einmal küssen.“ Ohne, dass ich auf seine Antwort wartete, kam ich auf ihn zu und legte meine Lippen auf seine, meine Hände jeweils an seinen Wangen. Wie in Zeitlupe, zumindest kam es mir so vor, hob er seine Arme und legte diese um mich, drückte mich näher an seinen Körper, umso den Kuss noch zu vertiefen. Sanft leckte er über meine Lippen, biss zärtlich an diesen und für kurze Zeit genossen wir es, ich spürte wie er sich entspannte und sich gehen ließ. Aber ich wollte mich nicht gehen lassen, mein Wunsch war es, ihn aufrichtig lieben zu dürfen, ohne mich jedes Mal fragen zu müssen, ob es richtig war, was ich tat oder ob er es auch wirklich wollte und nichts zu bereuen hatte. Plötzlich legte er seine Hände an meine Wangen und schob mich einige Zentimeter von seinem Gesicht weg, sein heißer Atem auf meinen Gesicht, verursachte ein angenehmes Gefühl in mir. Unsere Gesichter waren sich nahe, als ich meine Augen öffnete, sah ich in seine bernsteinfarbenen Augen und ich sah, dass diese vor Tränen leicht glitzerten. Ein Schlucken überkam mich, ich hatte ihn nie so wirklich weinen sehen und wenn er es tat, dann verheimlichte er es normalerweise vor mir. Es schien so als hätte er jeglichen Schutz aufgegeben. Die Mauer, die ihn einst umgab, war nun völlig abgerissen. „Ich liebe dich, Jonouchi-kun...“, flüsterte ich und mein Blick wanderte hastig hin und her. Einige Tränen rollten über seine Wangen und er schloss seine Augen, ich erkannte, dass seine Wimpern mit dieser salzigen Flüssigkeit benetzt waren. Wieder kam ich ihm näher und küsste die Tränen hinfort, wir verharrten noch einige Minuten so, regungslos und ohne ein Wort zu verlieren. „Yuugi....“, fing er an zu flüstern, ich horchte auf. „... ich will mit dir zusammen sein.“ „Mir geht es genauso.“, antwortete ich wahrheitsgemäß. „Nur ich fürchte mich vor dem was sein wird.“, erklärte er und drückte mich von sich weg, ich nickte und zeigte ihm damit, dass ich dieselben Bedenken hatte. Wie würde es mit uns weiter gehen? Ich wollte, dass er mich festhielt und für mich da war, so wie sonst auch. Aber dieses Verlangen von ihm berührt zu werden, ihn zu berühren passte einfach nicht in das Schema, was wir früher teilten. „Wir können so nicht weiter machen.“, erklärte er, rieb sich die Schläfen und daraufhin das Nasenbein. „Ich weiß.“ Meine Stimme war leise und es war herauszuhören, dass ich traurig war. „Wir können es nicht so belassen.“ „Küss mich noch einmal.“, sagte ich und sah ihn an, grob fasste er mich und drückte mir einen harten Kuss auf, weniger leidenschaftlich aber dafür dieses Mal mit mehr Gewalt und Feuer. Ein Inferno tobte in uns, dennoch fiel es uns so unheimlich schwer zuzugeben, dass wir einander brauchten und liebten. Dass diese Berührungen uns glücklich machten, sagten wir einander nicht, nein, wir verheimlichten es und verschlossen es mit einem goldenen Schlüssel in unseren Herzen. Aber immer wieder fand der Schlüssel, den wir versuchten aus den Augen zu verlieren, zu uns zurück, öffnete das geheime Kästchen und ließ Teile dessen heraus, was eigentlich eingeschlossen gehörte. Es war wie mit der Büchse der Pandora, öffnete man sie, musste man mit dem Schlimmsten rechnen. Als er den aggressiven Kuss löste, senkten wir beide die Köpfe und überlegten. Die Gesellschaft schloss Menschen wie uns aus, behandelten uns wie wertlose und abnormale Dinge, aber solange wir einander hatten, so würde uns das auch nichts ausmachen. Aber auch war da die Furcht es der eigenen Familie und den Freunden zu sagen. Seit dem Kindergarten kannte ich Anzu, mein Großvater glaubte schon seit damals, dass wir eines Tages zusammen kommen und eine Familie gründen würden. Er wünschte sich für mich ein perfektes Leben, aber war dieses Leben, das er für mich heraus plante wirklich das, was ich aus tiefstem Herzen wollte? Ein klares 'Nein' konnte ich nicht geben, für mich war die Zukunft ein unbeschriebenes Blatt, das erst durch die Entscheidungen der Gegenwart an Gestalt gewann. Was würde mein lieber Großvater darüber denken, wenn ich ihm sagte, dass ich Jonouchi liebte? Wie würden unsere Freunde reagieren? Honda würde bestimmt nicht begeistert davon sein, dass seine beiden beste Freunde eine Beziehung teilten, die über Freundschaft hinaus ging. Jonouchi hatte bestimmt dieselben Bedenken, auch wenn er immer so tat, als wären ihm seine Eltern völlig egal, so war es für jeden sichtbar, dass er sie liebte und sie niemals absichtlich verletzen würde. Obwohl sein Vater nur trank und ihr ganzes Geld zum Fenster raus warf, arbeitete er um jegliche Schulden zu begleichen und ihm ein guter Sohn zu sein. Wenn ich genauer darüber nachdachte, musste ich zugeben, dass ich seinen Vater nie wirklich getroffen hatte. Einmal ganz kurz waren Honda, Anzu und ich zu ihrer Wohnung gegangen, als Jonouchi im Unterricht fehlte. Ich hatte seine Füße, die auf dem Tisch lagen, gesehen und dann eine Bierflasche, die geradewegs auf uns zukam. Aber eigentlich wusste ich nichts über seine Familie. Seine Eltern hatten sich geschieden als er zehn Jahre alt war, seine Mutter hatte seine kleine Schwester Shizuka mitgenommen und war einfach abgehauen. Sein Vater, welcher aufgrund seiner Arbeitslosigkeit angefangen hatte zu trinken, wurde von Tag zu Tag aggressiver und abweisender. Und obwohl Jonouchi es sehr schwer mit ihm hatte, war er geblieben. Wäre ich geblieben? Vielleicht sah ich die ganze Sache zu oberflächlich und zog nicht die Gefühle in Betracht, die ein Kind für seine Eltern empfand. Mein eigener Vater, der wegen seiner Geschäftsreisen selten zu Hause war, war auch für mich nichts weiter als ein Fremder. Trotzdem nannte ich ihn Vater und behauptete ihn zu lieben. Seine Meinung war mir wichtig, obwohl ich ihn selten sah und er kaum etwas über mich wusste. Wahrscheinlich war da ein unsichtbares Band in einer Familie, der Wunsch nach einer heilen Welt und die Bedürfnisse nach Liebe, waren die Fundamente, die dieses eine Band ausmachten. Was bedeutete es eigentlich 'schwul' zu sein? Ich musste daran denken, was ich einmal im Internet gelesen hatte. Das Wort hatte eine Verbindung zum Wort 'Schwulität', das übersetzt so viel wie 'peinliche Lage' oder 'Schwierigkeit' bedeutete. Aber warum war es peinlich? Während ich darüber nachdachte, fasste Jonouchi nach meinen Händen und schloss sie in seine. Sie waren warm und ich genoss es, dass er von sich aus die Initiative ergriffen hatte und nach meiner Nähe suchte. 'Gay' bedeutete 'froh' und 'heiter'. Diese ganzen Begriffe verwirrten mich, musste ich doch einsehen, dass ich unser Problem allein mit der Definition des Wortes nicht lösen konnte. Ein Coming-Out war mit dem Bewusstsein und dem sich selbst eingestehen verbunden, aber gehörte nicht auch der Mut dazu in der Öffentlichkeit dazu zu stehen? Diese ganzen Fragen konnte ich einfach nicht beantworten und irgendwo hatte ich die Ahnung, dass Jonouchi es genauso wenig konnte. Für uns waren lediglich die Gefühle füreinander von Bedeutung und nicht das, was andere sagten oder behaupteten. Wieso also konnten wir nicht einfach dazu stehen? Warum war die Angst vor der Gesellschaft so riesig? „Yuugi, lass uns zusammen sein.“ Seine Worte, die wie aus heiterem Himmel auf mich herabfielen, holten mich aus meinen Gedanken zurück. Ich spürte eine Wärme auf meinem Gesicht, die sich langsam verbreitete, vorsichtig sah ich zur Seite und überlegte. Wir hatten Angst vor der Gesellschaft, aber wer sagte denn, dass wir uns in der Öffentlichkeit zeigen mussten? Eventuell konnten wir vor den anderen so tun als wäre nichts zwischen uns, aber anderseits würden wir sie damit nur belügen. „I- in Ordnung.“, hauchte ich und setzte mich wieder auf das Bett, faltete die Hände und betrachtete den Boden. Der Staubsauger verstaubte in der Ecke und mein Boden verdreckte, typische Kombination. Kurz hob ich den Kopf und sah zu ihm, er sah mich mit einem freundlichen Lächeln an und schien sich darüber zu freuen, dass ich einfach so zugesagt hatte. Was hätte ich denn auch anderes sagen sollen? Immerhin war dies mein Wunsch, mal ganz davon abgesehen, dass ich schon vor Wochen angefangen hatte mir auszumalen wie es wohl wäre mit ihm zusammen zu sein oder gar mit ihm zu schlafen. „Also ist es für dich in Ordnung mit mir zusammen zu sein?“ „Ja, denke schon.“, antwortete ich wahrheitsgemäß und hob meine Hand, um mit einem Finger meine Wange zu kratzen. Meine Bewegungen verrieten ausreichend was gerade mir durch den Kopf ging und wie ich mich fühlte. „Und was ist mit deinem Opa?“ „Er wird es schon akzeptieren, die Frage ist wie du damit umgehen willst.“ „Weiß nicht... ich werde das meinem Vater nicht sagen und Shizuka wird es nicht von mir erfahren. Zumindest vorerst nicht. Über Honda mache ich mir zwar Sorgen, aber ich werde ja ohnehin nicht sofort zu ihm hinrennen und ihm sagen, dass ich schwul bin.“ „Geht mir genauso.“ Ich seufzte und ließ meinen Oberkörper auf das Bett fallen, starrte die Decke an. „Weichst du meinen Blicken aus?“ „Ich, nein, gar nicht. Warum fragst du?“ „Weil du mich nicht ansiehst, vielleicht?“ Er wirkte etwas genervt, als er das sagte. Natürlich, mein Verhalten in diesem Moment war verletzend, das wusste ich, aber mir fiel es schwer mit dieser Situation umzugehen. Da waren so viele Dinge, über die ich nachdenken musste und es fiel mir schwer einen klaren Gedanken zu fassen. Schnell setzte ich mich auf und sah ihn ernst an, an seinem Adamsapfel, der sich plötzlich bewegte, erkannte ich, dass er erschrocken schluckte, wohl wissend, was ich ihm sagen musste. „Lass es uns erst einmal geheim halten vor den anderen. Ich möchte sie nicht sofort damit konfrontieren, das wäre mir unangenehm. Aber das heißt nicht, dass ich dich weniger liebe, ich habe eben nur Bedenken wie Anzu und die anderen es auffassen werden.“ „Das geht schon in Ordnung, Yuugi.“ Er nickte, stand auf und setzte sich neben mich. Die Jacke, die er eben auf das Bett geworfen hatte, wurde arg in Mitleidenschaft gezogen, als er sich einfach aus sie daraufsetzte und sie erbarmungslos zerknickt wurde. Ich sank den Kopf und wagte es nicht ihn anzusehen, als er aber seine Hand unter mein Kinn legte und mein Gesicht sanft zu sich drehte, war ich dazu gezwungen ihn anzusehen. Mein Gesicht glühte und bei genauerer Betrachtung erkannte ich, dass er ebenfalls leicht rot geworden war. Mit seiner freien Hand fasste er nach meinen und drückte sie, legte dann seine Lippen auf meine. Der Kuss dauerte nur wenige Sekunden, er nahm seine Hand von meinem Kinn weg und umarmte mich, drückte mich fest an sich. Wohlig seufzte ich und sog diese Nähe in mich ein, wollte sie mit niemanden teilen. „Ich liebe dich, Yuugi. Ich liebe dich wirklich.“ „Jonouchi-kun...“, seufzte ich auf und schloss genüsslich die Augen, legte nun auch meine Arme um ihn. „Nenne mich doch nun einfach Katsuya. Zumindest wenn wir unter uns sind, okay?“ Wir sahen uns an und ich überlegte. Nicht einmal gedanklich hatte ich es gewagt ihn bei seinem Vornamen zu nennen, nach all der Zeit, in der wir uns kannten, hatte ich mich daran gewöhnt ihn bei seinem Nachnamen zu nennen. So tat man es eben als gut erzogener Japaner und mein Großvater hatte seinen Job eben gut und ordentlich gemacht. „Ich liebe dich, K- k- k-...“ Er lachte als ich anfing beim ersten Buchstaben seines Namens zu stottern. Es war mir wirklich peinlich ihn nach so langer Zeit bei seinem Namen zu nennen, es war so ungewohnt und neu für mich. „Gut, bleiben wir erst einmal beim 'Jonouchi-kun'!“ Erst lächelte er, ehe er anfing lauthals zu lachen und mir die Haare zu verwuscheln. Ich glaubte, dass eine schöne Zeit auf uns zukommen würde, zumindest machte alles den Anschein. Die Sommerferien hatten gerade angefangen und wir hatten genügend Zeit einander näher zu kommen und uns Gedanken zu machen wie wir den anderen erklären würden, dass wir einander liebten. Aber... in erster Linie wollte ich bei ihm sein, selbst wenn es Komplikationen geben würde und wir eventuell davor fürchten mussten, unsere Freunde zu verlieren. Noch hatten wir genügend Zeit, den Kopf konnten wir uns zerbrechen wenn es so weit war. Aber wer konnte schon sagen was die Zukunft brachte? Hätte man mir gesagt, dass ich mich in meinen besten Freund verlieben würde, dann hätte ich es nicht geglaubt, aber alles kam so, wie es kommen musste. Möglicherweise hatte Isis Recht und es gab für jeden von uns ein vorbestimmtes Schicksal, das man nicht ändern konnte? Wenn es so war, dann war ich froh, dass wir gemeinsam diesen langen Weg bestreiten durften. Jede Reise begann mit dem ersten Schritt und wir würden auch diese Reise gemeinsam meistern, so wie wir es in der Vergangenheit getan hatten, als wir die Welt vor allen möglichen Gefahren retten mussten. Ich hoffte, dass auch der Pharao so glücklich war wie ich. Er hatte mich so viele Jahre begleitet und wurde ein sehr wichtiger Teil meines Lebens. Aber dieser Abschnitt war Geschichte, etwas völlig Neues würde anfangen. Mein Abenteuer würde ab jetzt beginnen und ich hoffte, dass es eines war, mit einem schönen Ende. Ende Kapitel 5: Thinking about you – (Jounouchi/Mai) ----------------------------------------------- Ich dachte lange Zeit über dich nach, kam zum Entschluss, dass du anders als die anderen warst. Dass du ein Mensch voller Güte und Naivität warst. In meinem Leben war mir nie wirklich viel Gutes widerfahren, aber immer wieder schaffte ich es mich dem Schlechten abzuwenden und meinen eigenen Weg zu gehen. Meine Eltern starben früh und viele Freunde hatte ich nie, einfach aus dem Grund, dass ich immer meine Meinung sagte. Oft verärgerte ich die Leute damit, aber ich wollte mich nicht verstellen. Ich wollte ich selbst sein und mein wahres Ich finden. Um das zu erreichen, ging ich auf die Reise und verliebte mich geradezu in ein Spiel: Duel Monsters. Es gab so viele Monster und die meisten hatten ihre eigenen kleinen Geschichten. Die Harpyie hatte es mir sofort angetan, sie war eine starke und durchsetzungsfähige Frau, die es nicht nötig hatte andere um Hilfe anzubetteln. Sie wurde mein Vorbild und lenkte meinen Werdegang. Ich beschäftigte mich mit Duel Monsters und übte jeden Tag, wurde immer besser und besser, dachte mir Tricks und Strategien aus, um meine Gegner zu verwirren und zu schlagen. Mein Geld verdiente ich mir als Croupier auf einem Luxusschiff, wirklich Spaß hatte ich nie an der Arbeit. Aber irgendwie musste man sich durchschlagen, da ich immer auf Reisen war und nie lange an einen Ort verweilen konnte, war ein Passagierschiff, welches durch die halbe Weltgeschichte schwamm, doch genau das richtige für mich. Zumindest dachte ich das damals. Als die Belästigungen der alten Männer mir zu viel wurden, gab ich den Job auf und entschloss eine Profiduellantin zu werden. Mit den Preisgeldern hatte ich tatsächlich geschafft mich durchzuschlagen, hatte mir als Duellantin einen Namen gemacht. Ich war glücklich, aber einsam. Es gab niemanden, den ich hätte meinen Freund nennen können. Dann kamst du. Im Königreich der Duellanten traf ich dich, allein dein Lachen zeigte mir, dass du ein ehrlicher Mensch warst und vielleicht war es das, warum ich dich nicht vergessen konnte? Ich duellierte mich einzig und allein für den Ruhm, aber du warst unterwegs um deine geliebte kleine Schwester Shizuka zu retten, die irgendeine Krankheit hatte. Erst spät erfuhr ich, dass sie eine schlimme Augenkrankheit hatte und erblinden sollte. Du zeigtest mir mein wahres Ich und du sahst keinen Rivalen in mir, wie die anderen Gegner, mit denen ich es zuvor zu tun hatte. Wie viele andere Männer hattest du mich nicht als Objekt betrachtet, du sahst das, was wirklich war. Mich, eine Frau, die einsam war und sich danach sehnte, sich fallen zu lassen. Du lehrtest mich, dass Ruhm nicht der richtige Beweggrund war, um sich zu duellieren und wenn, dann sollte man jemanden haben, mit denen man die Freude teilen konnte. Deine Worte brachten mich durcheinander, ich verstand dich nicht und eigentlich wollte ich dich nicht verstehen. Erst hasste ich dich, weil ich mich in deiner Gegenwart so erbärmlich fühlte. Du zeigtest mir meine schlechten Seiten, die ich versuchte mit gespieltem Selbstvertrauen zu verstecken. Schnell erkanntest du, dass die Mai, die sich zeigte nur eine Fassade war. Dass die richtige Mai von einer Maske aus Arroganz und Selbstvertrauen versteckt wurde. Du machtest mir Angst, dennoch fühlte ich mich gerade aus diesem Grund von dir angezogen, wollte dich in meiner Nähe haben. Als du dummer Schussel deine Karte für die Zulassung zum Duell gegen Keith Howard verlorst, kostete es mich viel Mut dir meine Karte zu geben. Aber als ich sah, wie verzweifelt du da saßst, konnte ich nicht anders, als Mitleid mit dir zu haben. Denn Tränen standen dir nicht. Das glückliche, naive und ausgelassene Grinsen stand dir besser und das wollte ich sehen. Da ich mich nicht traute, dir direkt meine Karte zu geben, versteckte ich sie in meinem Taschentuch, überreichte sie dir so. Es dauerte etwas bis du verstandest. Ein Glück, dass du dieses Taschentuch nicht zum Putzen deiner Nase verwendet hattest. Du warst mir wichtig geworden, auch wenn ich es mir nicht eingestehen konnte. In meiner blinden Wut auf mich selbst, zeigtest du mir, dass ich einfach nur ich selbst sein musste. Und das war es, was ich eigentlich immer wollte. Einfach ich selbst sein, ohne mich schämen zu müssen, ohne mich fragen zu müssen, ob ich nicht vielleicht etwas falsch gemacht hatte. Für diese Erkenntnis war ich dir dankbar. Deine Nähe zeigte mir, was es bedeutete ich selbst zu sein. In der heutigen Gesellschaft kostete es viel Mut selbstbewusst seinen Weg zu gehen, ohne sich von anderen beeinflussen zu lassen. Dein Licht färbte auf mich ab und ich wünschte mir, dass ich dich irgendwann wieder sehen konnte. Als das Battle City Turnier stattfinden sollte, bekam ich eine Einladung und nahm sie an, in der Hoffnung dich wieder zu sehen und dir vielleicht wieder so nah sein zu können, noch mehr von deinem Licht erhaschen zu können. Das war mein Wunsch gewesen. Wenn da nicht nur dieser nervige Magnum gewesen wäre. Eigentlich hatte ich mich nicht an ihn erinnert, aber dann sagte er mir, dass er mir einen Antrag gemacht und ich ihm versprochen hatte, diesen anzunehmen, wenn er es schaffen würde mich im Duell zu besiegen. Das kam für mich natürlich nicht in Frage und ich gab alles, um ihn zu besiegen. Du und deine lieben Freunde unterstützten mich und ich fühlte mich seit Langem geborgen, was ich größtenteils dir zu verdanken hatte. Allerdings hatte ich nicht damit gerechnet, dass dieser Kerl betrügen würde und sich einfach so holen würde, was er wollte. Plötzlich schnappte mich eines seiner Monster und es stellte sich heraus, dass es ein Handlanger war, der für ihn arbeitete. Ohne, dass ich mich hätte wehren können, fasste er mich und verschwand mit mir in die Höhe. Wütend schlug ich um mich, er verlor das Gleichgewicht und ich fiel hinab. Aber du kamst und rettetest mich, zeigtest mir, dass ich dir vielleicht genauso wichtig war, wie du für mich. Furchtlos riefst du meinen Namen und gabst mir neuen Mut. Beim Duell gegen Malik, nein Rishid, hattest du alles gegeben und ich bekam Panik, als du plötzlich bewusstlos wurdest und umkipptest. Ich wollte dir helfen, durfte es aber nicht, da dies meine und deine Disqualifikation bedeutet hätte. Aber ich wollte mir selbst beweisen, dass ich eine starke Frau war und dass ich dir ebenbürtig war, dass ich mich nicht vor dir schämen brauchte. Nachdem du aufgestanden warst, erklärtest du, dass du einen Traum hattest, wo alle deine Freunde dir beim aufstehen geholfen hätten. Aus Neugierde fragte ich dich, ob ich auch dabei gewesen wäre, du antwortest verlegen nein und auf einmal war ich wütend und wollte dich hassen. Aber ich konnte es nicht. Mir wurde klar, dass ich mich zu sehr verändert hatte, dass ich schwach wurde und anfing auf andere zu bauen. In diesem Moment erkannte ich nicht, dass es dir peinlich war zuzugeben, dass du mich mochtest. Und dennoch warst du es, der mich aus den Schatten rettete, der mich vor dem tödlichen Angriffs Raas schützen wollte. Wir dumm ich gewesen war. Ebenbürtig wollte ich mit dir sein, damit ich mich in deiner Gegenwart nicht schämen brauchte. Dabei hättest du mich so oder so angenommen, weil du ein aufrichtiger und toller Mensch warst. Für mich hättest du in diesem Moment dein Leben gegeben und mir wurde klar, dass ich dich nicht als Freund haben wollte, sondern dass ich dich lieben wollte. Jounouchi Katsuya, einen drittklassigen, naiven, tollpatschigen und vorlauten Bengel, der acht Jahre jünger war als ich. Mein Herz aber hatte sich für dich entschieden und wollte bei dir sein. Erneut hattest du mich aus der Dunkelheit gerettet und zeigtest mir, dass ich mich nicht für mich schämen brauchte, dass du mich annehmen würdest, egal wie ich war. Nun fuhr ich mit meinem Motorrad herum und erreichte langsam den Strand. Es wurde bereits dunkel, vereinzelt waren Sterne zu sehen, die uns mit ihrem hellen Schein erheiterten. Langsam kam ich zum Stehen und ging die Treppe runter, die zu dem kleinen Strand führte. Schon von Weitem konnte ich einen Schatten erkennen und wusste sofort, um wen es sich handelte. „Danke, dass du gewartet hast“, sagte ich lächelnd und kam auf dich zu. Mit offenen Armen empfingst du mich und ich spürte ein Gefühl von Geborgenheit, das ich mir schon immer gewünscht hatte. Das Rauschen des Meeres sagte mir, dass ich nicht mehr einsam war, dass ich einen guten Freund fürs Leben gefunden hatte, der mich immer unterstützen würde, wenn ich ihn brauchte. Danke, Jounouchi Katsuya. Danke, dass du da warst und mich auffingst, als ich fiel. Danke, dass du mir deine Hand gereicht hast, als ich am Boden war. Danke, dass du mir ein Lächeln schenktest, als ich es am nötigsten hatte. Ich danke dir für alles. Kapitel 6: The Beauty and the Beast – (Bakura/Kisara) ----------------------------------------------------- Es war bereits tief in der Nacht und nur die Dunkelheit schützte ihn vor eventuellen Angreifern. Vor einigen Tagen hatte er es geschafft sich in die Königsstadt zu schmuggeln und hatte in aller Ruhe die Gegend ausgekundschaftet. Dabei war ihm klar geworden, dass sein Plan einzubrechen und den Pharao zu töten, alles andere als einfach werden würde. All die Menschen dort liebten diesen Pharao. Den Sohn desjenigen, der seine Familie, Freunde und alles ausgelöscht hatte, was in seinem Leben einst von großer Bedeutung war. Nun hatte er niemanden. Nichts aus seinem alten Leben war ihm geblieben. Außer der Zorn. Unbändiger Zorn und Rachegelüste. Tatsächlich hatte er es sich zur Lebensaufgabe gemacht dem Pharao nach dem Leben zu trachten und was auch geschehen würde, er würde dieses Ziel erreichen. Um jeden Preis. Heute war er kein kleines Kind mehr. Er hatte seinen Platz gefunden und würde für seine Gerechtigkeit kämpfen. Dass der Sohn eines Mörders so bejubelt wurde, war alles andere als gerecht. Seiner Meinung nach verdiente er nichts anderes als den Tod und er würde der Todesengel sein, der ihn bringen würde. Plötzlich ein Geräusch. Waren ihm die Wachen des Pharaos gefolgt? Hatte er etwa nicht gut genug aufgepasst? Würde er nun kämpfen müssen? Murrend erhob er sich, klopfte den Sand von seiner Kleidung und bewegte sich vorwärts. Etwas schläfrig ging er eine Sanddüne entlang, sofort ermahnte er sich und suchte mit wachsamen Blick die Gegend ab. Niemand war zu sehen. Alles schien ruhig zu sein. Kalter Wind zog auf und ließ ihn kurz erschaudern. Der Sand am Boden erhob sich und bildete einen dichten Nebel. Emotionslos betrachtete er dieses Schauspiel der Natur. Dann erkannte er, dass irgendetwas oder irgendjemand im Sand lag. Da er sicher stellen wollte, dass dieses Ding keine Bedrohung darstelle, bewegte er sich auf direktem Wege zu ihr hin. Eine unbekannte Gestalt lag dort. Bakura beugte sich vor und er erkannte, dass es sich um eine junge Frau handelte. Aber sie wirkte nicht menschlich auf ihn. Ihre Haut war schneeweiß und ihr Haar leicht bläulich schimmernd. Vorsichtig streckte er die Hand nach ihr aus, fasste eine Strähne und umschloss sie mit seinen Fingern. Sie waren weich und sanft. Nun betrachtete er sie noch genauer. Anhand ihrer Kleidung stellte er fest, dass sie entweder eine entlaufende Sklavin oder eine verirrte Bäuerin war. Ihre Erscheinung hatte etwas Göttliches an sich. So sehr er es auch versuchte, so konnte er dieses aufblühende Interesse an ihr nicht verdrängen. Etwas fesselte ihn. Daraufhin ließ er die Haarsträhne los und berührte vorsichtig ihr Gesicht. Ihre Haut war unsagbar weich und ein leichtes, angenehmes Kribbeln bildete sich unter seinen Fingerkuppen. Wahrscheinlich war sie vor Erschöpfung ohnmächtig geworden. Sie musste von weit her kommen. Aber woher stammte sie? Sie war anders als die Menschen in Ägypten. Noch nie hatte er so etwas gesehen. Nachdenklich setzte er sich neben sie. Eigentlich sollte er sie so schutzlos wie sie nun war, im Sand liegen lassen und gehen. Aber er war nun einmal Dieb. Diebe interessierten sich für schöne Sachen. Und niemand konnte sagen, dass sie nicht schön war. Als Grabräuber und König der Diebe (diesen Titel hatte er sich selbst verliehen) hatte er alles andere als einen guten Ruf und das gab er voller Stolz zu. Sein Ruf eilte ihm weit voraus und die normale Bevölkerung Ägyptens sollte sich noch irgendwann ängstlich und voller Demut vor ihm verneigen. „Hm“, grummelte er laut und stand auf, drehte sich von ihr weg und betrachtete den Sternenhimmel. Was war los mit ihm? Das war doch gar nicht seine Art Interesse an anderen Lebewesen zu haben. Normalerweise würde er sie nun nach Wertgegenständen untersuchen und sie hier liegen lassen. Mitgefühl passte nicht zu ihm. Aber von wirklichem Mitgefühl konnte man nicht reden. Dieses Wesen, das etwas von einem Gott an sich hatte, faszinierte ihn und in ihm wuchs das Verlangen mehr über sie herauszufinden. Ohne großartig nachzudenken, fasste er sie an der Hüfte und warf sie über seine Schulter. Sie war federleicht und er hatte absolut keine Probleme sie mit sich zu tragen. Das erhärtete seinen Verdacht, dass sie aus armen Verhältnissen stammte. Noble Frauen, wie die Haremsdamen des Pharaos waren deutlich schwerer, was natürlich nur an der besseren Ernährung lag. Als er wieder an seinen Platz zurückgekehrt war, wo er bereits eine Decke ausgebreitet hatte, legte er sie vorsichtig ab. Noch immer hatte sie sich nicht gerührt und Bakura schoss der Gedanke durch den Kopf, dass sie eventuell tot war. Seine Hand über ihr Gesicht haltend, spürte er ihren warmen, regelmäßigen Atem. Wachend setzte er sich neben sie, behielt die Umgebung weiterhin im Auge, um sicher zu stellen, dass niemand sich ihnen unerlaubt näherte. Es waren nur noch wenige Kilometer zurück zur Stadt, von der er eigentlich gekommen war. Da das Mädchen nicht hier hier bleiben konnte, überlegte er, ob er sie zu den Stadtmauern bringen sollte. Natürlich wäre das für ihn ein gefährliches Unterfangen, aber weder konnte er sie hier lassen noch gab es für ihn die Möglichkeit sie mitzunehmen. Eine Frau wie sie, so zerbrechlich und zart, würde ihm nur ein Klotz am Bein sein. Dabei hatte er geplant den dunklen Herrscher Zorc um Rat zu bitten. Für nur eine Sekunde, so fühlte es sich zumindest für ihn an, sah er zu ihr runter, aber er konnte sie nicht an der Stelle ausmachen, wo er sie abgelegt hatte. Dann drehte er sich hektisch um, sie hatte sich aufgerichtet und sah ihn mit ihren klaren saphirfarbenen Augen an. Man sagte, dass die Augen der Spiegel der Seele wären und dass man allein durch diese etwas über seinen Gegenüber erfahren konnte. Aber ihr Blick war leer, nichts konnte er darin erkennen. „Wasser... bitte“, keuchte sie flehend und hustete daraufhin leise vor sich hin. Zögerlich hielt er ihr einen kleinen Behälter hin. Seinen Wasserbeutel. Mit zittrigen Händen ergriff sie diesen und trank einige Schlücke. Nachdem sie den Behälter von ihren Lippen entfernt hatte, sah sie ihn schüchtern und leicht ängstlich an. Sie kannten einander nicht. Waren nur Fremde füreinander. Sie verstand nicht, warum er neben ihr saß und weshalb er ihr half. In diesem fremden Land hatte ihr noch nie jemand geholfen, immer hatte sie sich alleine durchschlagen müssen. Aber er reichte ihr seine Hand und ließ sie nicht, wie viele andere zuvor, einfach liegen. Fragend sah Bakura sie an und erwartete, dass sie sich endlich vorstelle. Wenigstens ein kleines bisschen Dankbarkeit konnte er ja wohl von ihr erwarten, oder? Unscheinbar sah sie ihn an, langsam aber sicher bekam er das Gefühl, dass sie ihn musterte und etwas von ihm erwartete. Resigniert seufzte er. Dann würde er eben den ersten Schritt machen. „Wer bist du und was machst du inmitten der Wüste?“, erkundigte er sich. „Mein Name lautet Kisara“, antwortete sie, während sie den Behälter auf die Decke direkt neben ihn legte. „Das erklärt nicht, warum du dich hier herum treibst.“ „Ich bin auf der Suche“, kam es heiser von ihr und auf einmal stoppte sie. Bakura hatte das Gefühl, als hätte sie noch etwas sagen wollen, hatte es aber gelassen, um sich selbst zu schützen. „Phe. Nicht gerade gesprächig, was?“, murrte er und warf den Kopf in den Nacken, blickte in den Himmel. „T-tut mir leid“, flüsterte sie und senkte den Blick, sah beschämt zu Boden. Konnte sie dem Fremden vertrauen? In ihrer Lage durfte sie nicht unvorsichtig werden. Nirgendwo in diesem Land war es für sie sicher. Und bei diesem Mann, mit dem silbernen Haar, konnte sie nicht sagen, ob er auf ihrer Seite war oder nicht. Sie kannte so etwas wie Gastfreundschaft nicht. Obwohl sie hier schon Jahre lang lebte, war sie immer wie eine Fremde behandelt worden. Ständig musste sie um ihr Leben fürchten, was sie dazu zwang, nicht sesshaft zu werden. Erst vor wenigen Tagen hatten ihr Sklavenhändler aufgelauert. Auf ihrer Flucht musste sie ihnen entkommen sein. Genau erinnern konnte sie sich nicht. Das letzte, woran sie sich erinnerte war, dass einer sie am Oberarm gegriffen und sie um Hilfe geschrien hatte. Danach war alles dunkel und sie hatte das Gefühl, dass irgendetwas ihr zur Hilfe gekommen war. Aber sie stellte diese merkwürdige Rettung nicht in Frage. Manchmal war es einfach besser, wenn man die Dinge so akzeptierte, wie sie waren und dies galt ebenso für ihren niedrigen Stand in dieser Gesellschaft. Was würde es ihr nutzen zu revoltieren? Sich gegenüber den Mächtigen in diesem Land aufzulehnen? Das würde ihr nur noch mehr Ärger bereiten und eigentlich hatte sie ohnehin nichts in ihrem Leben mehr, für das es sich lohnte zu kämpfen. Sie war völlig auf sich allein gestellt. „Schon gut. Bin ja auch nur ein Fremder“, antwortete Bakura und senkte den Blick. Irgendetwas stimmte mit ihr nicht, sie sah nicht nur anders aus als die meisten Menschen in Ägypten, auch konnte er immer mehr eine merkwürdige Aura spüren, die von ihr ausging. Konnte es möglich sein, dass sie ebenfalls eine Ka-Bestie in sich trug? Da er oft mit diesen Bestien zu tun hatte und selber Dia Bond besaß, konnte er mittlerweile spüren, wenn sich andere Bestien in seiner Nähe befanden. Kurz linste er zu ihr. Ihre Lippen waren einen Spalt breit geöffnet und sie schien sich über irgendetwas den Kopf zu zerbrechen. Ihrer Reaktion vorher nach zu urteilen, nahm sie ihre Umgebung kaum wahr und hatte kein wirkliches Interesse sich mit ihm zu unterhalten. Nicht, dass er unbedingt mit ihr reden wollte. Es war noch nie seine Art gewesen, sich irgendwelchen dahergelaufenen Leuten zu öffnen und auch sie war da keine Ausnahme. Ohne noch etwas zu sagen, legte er sich hin und schloss die Augen. Sie schrak auf und sah ihn verwundert an, seine Handlung nicht verstehend. „Die Umgebung ist sicher. Leg dich hin und ruhe dich aus“, murrte er und drehte sich nun auf die Seite, um sie nicht mehr sehen zu müssen. Wieso geriet sein Herz so in Wallung? Hatte es nur etwas mit der Aura zu tun, die sie ausstrahlte oder war da noch etwas? Kisara zögerte, ehe sie sich mit kleinen Abstand hinlegte und sich in die entgegengesetzte Richtung drehte. Die ganze Situation war ihr etwas unangenehm. Sie hatte nicht oft mit Menschen zu tun. Nur einmal, da hatte sie ein junger Mann, in ihrem Alter, aus einem Sklavenkäfig befreit. Er hatte sie an der Hand gefasst und gerettet. Sie waren schweigend auf dem Pferd, das er von den Händlern gestohlen hatte, davon geritten, ließen das, was war, einfach hinter sich, ohne noch einmal zurückzublicken. Es war nicht ihre Art an die Vergangenheit zu denken, daher zwang sie sich selbst dazu, diese Gedanken zu unterdrücken. Dennoch. Zum zweiten Mal, in ihrem ganzen Leben, war jemand nett zu ihr gewesen und dass es Menschen gab, die sie nicht verabscheuten, machte sie unheimlich glücklich. So glücklich sogar, dass sich still und leise einige Tränen der Freude über ihre Wangen stahlen und ungeachtet in der kleinen Decke versickerten. In dieser Nacht träumte sie seit Langem wieder. Sie hatte gefunden, was sie gesucht hatte. Warmherzigkeit. Das hatte sie sich gewünscht. Bakura riss die Augen auf und erhob sich, musternd ließ er seinen Blick umher wandern. Niemand war zu sehen und die Sonne ging auf. Als er neben sich sah, lag noch immer das fremde Mädchen dort. Ihr Brustkorb hob und senkte sich regelmäßig. Vorsichtig schüttelte er sie an der Schulter, um sie zu wecken. Ein ungutes Gefühl über schlich ihn. Nur ungern wollte sie aufwachen, weswegen sie murrend mit ihrer Schulter zuckte und sich etwas zusammenkauerte. Dann wurde sie sich ihrer Lage bewusst und sie stand auf, betrachtete ihn mit leicht geröteten Wangen. Auch sie sah sich um, sie hatte das Gefühl, dass etwas passieren würde. Und tatsächlich dauerte es nicht lange, bis das Trampeln einiger Pferde zu hören war. Leicht ängstlich blickte sie zu ihm. Bisher hatte sie es immer wieder geschafft Gefahren zu entgehen oder zu flüchten, jedoch waren sie hier völlig schutzlos. Bakura stand nun auf, rückte seine Kleidung zurecht und rief sein Monster, das zur Not für ihn kämpfen sollte. Dia Bond erschien und das weißhaarige Mädchen wich zurück, aus Angst, dass dieses Ding sie attackieren würde. „W-was ist das?!“, entfloh es trocken ihrer Kehle und ihre Augen waren weit aufgerissen. „Meine Ka-Bestie. Halt dich zurück und wenn möglich, lauf so weit weg von hier wie möglich, ist das klar?!“ „Ich kann dich doch nicht einfach zurücklassen!“ „In wenigen Kilometern wirst du eine Stadt erreichen, man sieht sie bereits von hier. Versteck dich dort!“ „Nein!“ Sie stand auf und ging entschlossen auf ihn zu. Er hatte ihr geholfen und sie würde ihn nicht hier in Stich lassen. „Diskutiere gefälligst nicht mit mir und tu, was ich dir sage!“, keifte er sie an. Dann wurde das Getrampel der Pferde lauter und vier Wachen, aus dem königlichen Palast, blieben vor ihnen stehen. „Bakura, ergebe dich! Du wirst des Raubes und Verrats an dem Sohn des Horus beschuldigt!“, rief einer von ihnen laut und hielt ein Schwert in der Hand, welches er direkt auf ihn richtete. Die Spitze des Schwerts glänzte bedrohlich im Licht der aufgehenden Sonne. Nun bewegte sich Dia Bond auf sie zu. Doch die Männer blieben stur und verharrten auf der Stelle. Aufgebracht schnauften die Pferde und hoben ihre Köpfe, wollten zurück. Ihre Gebieter jedoch ließen ihnen keine Chance. Die Männer waren bereit zum Kampf und sie wussten, was sie erwartete. Ohne, dass sie hätten reagieren können, griff das Monster sie an. Zwei fielen zu Boden, schrien vor Schmerzen, doch das Monster zeigte keine Gnade. Schmerzhaft beendete es das einst blühende Leben und Bakura grinste. So war es recht. Genau das verdienten die Menschen, die es wagten diesen kaltblütigen Massenmörder von Pharao zu unterstützen. Erst jetzt erkannte er, dass das Mädchen noch immer nicht geflohen war und schockiert das Geschehen beobachtete. Er rief sie und wies sie an, sich auf eines der Pferde zu setzen und in die Stadt zu fliehen. Keine Reaktion. Dann griff er sie an den Unterarmen und zerrte sie zu einem der Pferde, hob sie hoch und setzte sie gegen ihren Willen auf das Pferd. Mit ganzer Kraft schlug er dem Tier auf den Hintern und erst jetzt rannte es los, ließ seine Kameraden zurück. Auch das andere, befreite Pferd tat es ihm gleich und galoppierte zurück in Richtung Heimat. „Pass auf dich auf!“, rief er ihr noch nach, sie drehte sich um, schrie seinen Namen so laut sie konnte, doch es war nicht in ihrer Macht dieses stolze Tier, auf welchem sie sich befand, anzuhalten. Der Grabräuber blieb zurück und grinste hämisch. Sein Plan würde aufgehen. Durch diese kleine Begegnung mit den Männern des Pharaos, hatte er nun auch die Möglichkeit, zu seinem Dorf Kul Elna zurückzureiten. Warum sollte er auch zu Fuß gehen, wenn er es doch so viel einfacher haben konnte? In nur wenigen Sekunden waren die anderen Männer tot. Sie hatten nicht mit dieser verheerenden Kraft gerechnet und hatten ihren Gegner unterschätzt. Das Selbstbewusstsein, das sie ausstrahlten, mussten sie mit ihren Tod bezahlen. Bakura empfand kein Mitleid. Ein weiteres Pferd machte sich davon, das letzte hielt er jedoch auf und setzte sich schwungvoll auf dieses. Es dauerte seine Zeit, bis das Tier sich beruhigt hatte, aber als es soweit war, machte er sich auf seinen Weg. Das Mädchen mit dem weißen, leuchtenden Haaren ging ihm, während er so durch die Wüste ritt, nicht aus dem Kopf. Sie besaß eine Bestie und er konnte nur ahnen, was für eine Macht sie in sich trug. Eines war sicher, das Monster, das sie besaß, kam einem Gott gleich. Er lächelte. Eine Göttin hatte also einen Beschützer bekommen und das arme Ding wusste noch nicht einmal etwas davon. Vielleicht hätte er ihr sagen sollen, dass auch sie so eine Kreatur in sich trug, aber er wusste, dass er ihr damit keinen Gefallen getan hätte. Sie waren sich in dem Punkt ähnlich, dass sie völlig auf sich allein gestellt waren und niemanden hatten, den sie vertrauen konnten. Sie waren Außenseiter, verstoßen von der Gesellschaft und verabscheut von vielen. Für sie gab es keinen Platz in diesem Land, doch er würde sich diesen Platz schaffen. Er hatte Rache geschworen und um diese zu bekommen, würde er alles tun. In ihm flackerte die Hoffnung auf, das Mädchen noch einmal zu sehen. Er hatte sie in die Stadt geschickt, und wenn alles gut lief, würde er sie dort sicherlich noch einmal treffen. Dies war beinahe unvermeidbar, wenn man in Betracht zog, dass er diese Stadt samt ihren Bewohnern vernichten wollte. „Kisara...“, kam es über seine Lippen und er lächelte leicht. Sie hatte verzweifelt seinen Namen geschrien und ihre Haare flogen wild umher, als sie davon ritt. Diesen Anblick würde er nicht vergessen. Vor allem weil er seit Langem das Gefühl hatte, jemanden getroffen zu haben, der ihn verstand und sich um ihn sorgte. Aber wahrscheinlich war das nur Einbildung, außerdem hatte er nun keine Zeit für solche Gedanken! Langsam kam er seinem Ziel immer näher. Der Pharao würde dieselben Schmerzen erleiden, wie er einst und wenn möglich, würde er seinen Tod so schmerzhaft und quälend lang wie möglich gestalten. Kapitel 7: Starr vor Angst – (Yami no Malik/Mai) ------------------------------------------------ Langsam öffnete sie wieder ihre Augen. Sie musste eingeschlafen sein. Wo war sie hier? Dunkler Nebel umhüllte sie und sie spürte, dass sie sich kaum bewegen konnte. Erst jetzt wurde sie sich ihrer Lage wieder bewusst. Malik hatte sie in einem Duell besiegt. Das hier war definitiv das Reich der Schatten und es gab kein Entkommen für sie. Der kalte Sand umfing sie und klebte unangenehm an ihrer Haut. Er durchdrang ihre Kleidung, sie war vollkommen eingesperrt. Es schien, als gäbe es kein Entrinnen. Mit aller Kraft hob sie die Arme und schlug gegen das Glas, das sie in Form einer Pyramide gefangen hielt. Sie wollte hier raus! Ihr Herz schlug immer schneller und schneller, panische Angst machte sich in ihr breit. Sie wollte sich bei Jounouchi entschuldigen. Nicht nur bei ihm, auch bei den anderen. Warum nur hatte sie so kindisch gehandelt? Hätte sie nicht wissen müssen, dass es unrecht war, was sie tat? Jounouchi und die anderen betrachteten sie als Freundin und sie trat diese Freundschaft aus einer Laune heraus mit Füßen.Vielleicht hatte sie das hier sogar verdient. Sie schrie laut um Hilfe, doch ihr Flehen verhallte ungehört in der Dunkelheit. Ihr langes blondes Haar fiel kraftlos über ihre Schultern und immer wieder schluchzte sie laut. Warum nur war sie so erbärmlich? Bitterlich bereute sie, was sie getan hatte. Obwohl die Situation so gefährlich war, hatte Jounouchi sich schützend vor sie gestellt und selbst wenn er keine Gefühle für sie haben sollte, so musste selbst sie zugeben, dass er ein teurer und guter Freund für sie war. Er hatte sein Leben für sie riskiert und zeigte ihr, dass sie nicht alleine war, als sie sich erneut in ihrer Angst verfangen hatte. Aber sie wollte ihm nicht glauben. Das alles war wie ein Traum für sie. Dass sie auf Jounouchi und die anderen getroffen war war das Beste, was bisher in ihrem kurzen Leben geschehen war. Ihre Eltern hatte sie sehr früh verloren und sie konnte sich auch nicht daran erinnern, jemals Freunde gehabt oder geschweige denn von irgendjemanden aufrichtig geliebt worden zu sein. Diese Vergangenheit machte sie traurig. So sehr sie die anderen auch mochte, all diese schrecklichen Ereignisse hatten sie geprägt und es machte ihr unheimliche Angst zu vertrauen. Einmal hatte sie einem Mann vertraut. In ihrer unendlichen kindlichen Naivität, hatte sie sich ihm geöffnet und hatte ihm all ihre Schwächen offenbart. Er hatte dies schamlos ausgenutzt und hatte sie nicht als Person gesehen. Viel eher als Objekt. Anderen zu vertrauen fiel ihr alles andere als leicht. Menschen fiel es so leicht zu lügen und auch ein Lächeln konnte nichts weiter als eine Täuschung sein. Es war ihr Wunsch glücklich zu sein. Sie wollte andere Menschen in ihrer Nähe haben! Niemals würde sie es laut aussprechen, aber sie wollte, dass jemand schützend seine Arme um sie legte und ihr sagte, dass alles gut war, dass sie vor nichts mehr Angst zu haben brauchte. „Aber du bist alleine, meine Liebe“, hörte sie plötzlich eine Stimme hinter ihr und sie hob ihren Kopf. Ihr Blick wanderte hin und her, aber sie konnte nicht ausmachen, wer oder was mit ihr gesprochen hatte und wo die Quelle der Stimme sich nun befand. Hart schluckend, versuchte sie sich wieder zu beruhigen. Hatte sie es sich eventuell eingebildet? War sie schon so lange hier, dass sie anfing Stimmen zu hören? „Genießt du deine Zeit in den Schatten? In der ewigen Finsternis?“ Wieder diese Stimme und erst jetzt wurde ihr klar, dass es sich um keine Einbildung handelte. Ein boshaftes Lachen erklang. Auf einmal verschwand das Glas und sie fiel hinunter auf den harten Boden. Sollte sie weglaufen? Was würde es ihr bringen? Das hier war seine Welt, sie war nur ein dumme Schachfigur, die ohne Fragen herum geschubst wurde. Vor Angst traute sie sich nicht hochzuschauen und sie spürte, dass sie am ganzen Leib zitterte. Sie war absolut hilflos und auf sich allein gestellt. So sehr sie auch um Fassung rang und sich selbst einreden wollte, dass sie stark und mutig war, diese endlose Finsternis machte ihr bewusst, wie schwach sie war. Diese vermeintliche Stärke, von der sie immer geglaubt hatte, sie zu besitzen, existierte nicht wirklich. Alle Menschen konnten lügen. Auch sie war eine Lügnerin. Sie belog andere. Sie belog jene, die sie liebte. Aber vor allem belog sie sich selbst. Tagein, tagaus. Immer dieselbe Leier. Ich brauche niemanden. Ich bin unabhängig. Ich bin stark. Ich bin stolz. Seht zu mir hoch und schenkt mir die Anerkennung, die ich verdiene, hatte sie sich gesagt. Sie war eine fähige Duellantin. Sie genoss es, wenn sie dumme Jungs mit ihren Reizen verführen konnte, nur um ihre Hoffnungen zu zerstören und ihre enttäuschten Gesichter zu sehen. Sie war nicht besser als die anderen Menschen, über die sie so schlecht dachte. In der sozialen Struktur der Menschen, in ihrer zivilisierten Gesellschaft ging es jeden nur um sich selbst und wenn man sich schützen wollte, musste man sich verstellen. Auf diese Weise hatte sie es geschafft, sich selbst davon zu überzeugen, niemanden zu brauchen. Doch es war diese Warmherzigkeit, die sie verändert hatte und sie daran erinnerte, dass sie in Wirklichkeit gar nicht einsam sein wollte. Sie hasste es, dass sie sich selbst belog. Sie machte sich nur etwas vor. Ich bin schwach. Ich bin einsam. Ich möchte nicht allein sein. Ruhm und Anerkennung interessieren mich nicht. Ich wünsche mir Freunde, waren ihre wahren Gedanken und das, was ihr Herz jeden Tag schrie. Doch sie hatte ihr verzweifeltes Herz ignoriert und wollte keine Schwächen offenbaren. Ihr falscher Stolz kam ihr bitter zu stehen. Sie hatte jene von sich gestoßen, die sie brauchte. Anzu. Shizuka. Yuugi. Honda. Bakura. Und auch Jounouchi hatte sie von sich gestoßen. Sie alle hätten Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um für sie da zu sein, doch sie war so verbittert, dass sie fürchtete, dass auch ihre Freundlichkeit nichts weiter als ein Akt war. Ihr Körper bebte und doch fühlte sie sich wie gelähmt. Immer wieder dachte er an sie. Diese Menschen, die für sie da gewesen waren und sicher auch jetzt an sie dachten. Bestimmt suchten sie nach einem Weg ihre Seele zu retten. Sie wollte nicht aufgeben. Auf keinen Fall wollte sie sich der Finsternis ergeben, doch mit jeder Minute die verstricht, fiel es ihr schwerer diesen negativen Gedanken kein Gehör zu schenken. Was wäre wenn ihre Freunde sie bereits vergessen hatten? Was wäre wenn selbst Jounouchi nun nur angewidert die Nase rümpfte, weil sie sich wie ein pubertierender Teenager verhalten hatte? Nein. Jounouchi würde mich niemals ablehnen. Er ist ein herzensguter Mensch. Er ist der beste Freund, den ich jemals hatte! Doch was ist, wenn er mich vergessen hat? Vielleicht geht es ihm besser, wenn ich nicht bei ihm bin. Ich ziehe ihn doch nur runter, weil ich so kompliziert bin. Mag er mich vielleicht gar nicht und ist nur aus Höflichkeit so nett zu mir? Zweifel. Diese elendigen Zweifel fraßen sie von innen heraus auf. „Geh! Geh weg“, flüsterte sie und konnte das Zittern in ihrer Stimme nicht verbergen. Warum war er zurückgekommen? Hatte er sie noch nicht genug gequält? Er hatte doch was er wollte, oder nicht? Innerlich wünschte sie sich immer mehr, dass ihre Freunde kamen und sie auch dieses Mal retteten. Aber niemand kam. Völlig allein gestellt konnte sie die Konfrontation mit ihrem Peiniger nicht vermeiden. Es gab keine Rettung für sie. Niemand würde kommen. Sie war wie früher alleine. Dunkelheit umfing sie und egal wie sehr sie versuchte positiv zu denken, immer wieder übermannten sie Gedanken, die ihr aufwiesen, wie hilflos und unwichtig sie war. Keiner brauchte sie. Wie schrecklich dieses Dasein war, ohne von jemanden erwünscht zu sein. Immer weiter verrannte sie sich in diesen Gedanken. Yami no Malik erschien hinter ihr, fest umklammert hielt er den Millenniumsstab in seiner linken Hand. Dieser unheilvolle Stab war die einzige Lichtquelle, aber sein Leuchten war alles andere als Segenbringend. Dann spürte sie seine eisige Hand auf ihrer Haut. Sanft strich er über ihren Körper, ein unangenehmes Kribbeln hinterlassend. Sie wollte sich winden, ihn von sich drücken, aber es war, als wäre sämtliche Kraft in ihr verschwunden. Schutzlos war sie ihm ausgeliefert. Einige Tränen liefen ihre Wangen hinab, die er wortlos mit seiner Zunge aufhielt. „Warum?“, flüsterte sie, aber er antwortete nicht. Was hatte er mit ihr vor? Sollte das hier etwa ihr Ende sein? Nun fragte sie sich, was sie in ihrem Leben falsch gemacht hatte, dass sie so bestraft wurde. Was nur hatte sie getan, dass er sie so sehr quälte? „Bitte... hör auf“ , wimmerte sie. Ihre Stimme war brüchig und ihr Körper bebte noch immer. Erbarmungslos grinste er, leckte erneut über ihre Wange und genoss ihre salzigen Tränen. Ihre Verzweiflung gab ihm Kraft. Er genoss es, sie leiden zu sehen. Seine Hand strich über ihren prallen Busen, dann über ihren straffen Bauch und langsam bewegte er sich auf ihren Oberschenkel zu. Dann kam er ihrem Gesicht von hinten näher, flüsterte etwas in ihr Ohr. Sie weitete die Augen vor Schock, sie wollte schreien, aber nichts kam über ihre Lippen. Ihr ganzer Körper war unter Strom und sie konnte die Tränen nicht aufhalten. „Hatte ich dir nicht einen niemals endenden Alptraum versprochen? Ich breche meine Versprechen nie. Du wirst dich vor mir und meiner Macht in voller Demut verneigen. Erst du, dann der Pharao.“ Die kalte Dolchspitze des Millenniumsstabs fuhr langsam über ihre Haut. Sie keuchte vor Schmerzen auf. Die Spitze des Dolchs hinterließ rote, blutige Spuren und ein schmerzhaftes Pochen, das sie daran erinnerte, dass sie nichts tun konnte. Es gab kein Entrinnen. „Jounouchi“, wisperte sie und versuchte die Hand zu heben, um ihn von sich zu stoßen. Mühelos griff er nach ihrer Hand, drückte sie beinahe fürsorglich in seiner und kam ihr erneut näher, flüsterte im sanften Tonfall zu ihr und hauchte in ihren Nacken. „Er wird dich nicht retten. Niemand kann dir helfen.“ „Ich... will das nicht“, schluchzte sie und schloss die Augen. „Genieße unsere gemeinsame Zeit“, sagte er und ließ den Milleniumsstab ihren rechten Oberschenkel hochfahren. Eine rote, dünne Linie war zu erkennen, aus der erst wenig und dann immer mehr Blut austrat. „Und? Hast du Angst? Du sagst ja gar nichts mehr“ Das Blut verteilte sich rasend. „Jounouchi“, kam es wieder über ihre Lippen. Selbst jetzt hoffte sie, dass er sie rettete. Sie war erbärmlich, ein Wurm, mehr nicht! „Du wirst immer alleine sein. Niemand mag dich. Hör auf dich an ihn zu klammern.“ Er leckte über ihren Oberarm und grinste daraufhin hämisch. „Du bist alleine. Genauso wie ich. Finde dich mit deinem Schicksal ab.“ Als er das sagte, legte er seine Hand über die großflächige Wunde auf ihrem Oberschenkel. Sie zuckte zusammen, biss sich auf die Unterlippe. So sehr sie ihm auch nicht glauben wollte, so musste sie zugeben, dass er recht hatte. Niemand würde kommen. Sie war wie immer alleine. „Ich bin... alleine...“, hauchte sie, ehe ihr die Augen zufielen und sie seiner Folter nicht mehr gewachsen war. Yami no Malik schloss sie wieder in der gläsernen Pyramide gefüllt mit Sand ein. Lachend verschwand er auch wieder und ließ sie hier in ihrer Einsamkeit zurück. Wenn sie aufwachen würde, würde sie nicht mehr dieselbe sein, die sie einst war. Er hatte es geschafft ihren Willen zu brechen. Kapitel 8: Tränen um Mitternacht - (Neutral) -------------------------------------------- Erst gestern hatte er das Video seiner geliebten Schwester gesehen. So lange Zeit hatte er keinen Kontakt mit ihr und irgendetwas in ihm gab ihm selbst die Schuld für ihren Zustand. Er wollte sie retten, aber er war nur ihr Bruder und kannte keinen Ausweg. Schon den ganzen Tag über fiel es ihm schwer nicht an sie zu denken, die Tränen zu verbergen. Seine Freunde wussten lange Zeit nichts von seiner lieblichen Schwester Shizuka, welcher seit ihrer Geburt an einem starken Augenfehler litt. Schon immer hatte sie schlecht gesehen, doch Katsuya war da, um sie aufzufangen und ihr den richtigen Weg zu zeigen. Doch als sich ihre Eltern schieden, nahm ihre Mutter Shizuka einfach mit und verschwand in eine andere Stadt, so weit weg wie möglich von ihrem Vater Kazuhito. Schnell legte sie den Ehenamen ab und nahm ihren alten Namen Kawai an, wollte somit ihre ganze Vergangenheit vergessen. All die Zeit über hatte Katsuya sich gefragt ob es seine Schuld war, weil er so unnütz war, doch irgendwann wurde dieser Gedanke mit Hass und Wut ihr gegenüber ersetzt. Kazuhito hatte seinen Arbeitsplatz verloren und wurde zum Alkoholiker, wurde immer aggressiver und irgendwann verschwand die Liebe, welche Shino und ihn verband. Die beiden Kinder hatten lange Zeit darunter gelitten, doch eines Tages, ohne jegliche Vorwarnung, hatte sich alles geändert. Diesen Tag würde Katsuya niemals vergessen können, dieser Schmerz und diese Enttäuschung damals hatten sich zu sehr in sein kleines geschundenes Herz gebrannt, würden niemals von dannen ziehen. Shizuka war sein einziger Halt, schon damals, als sie noch ganz klein waren. Sein Vater war nie wirklich mit ihm zufrieden gewesen und wurde schnell laut, doch Shizuka war da, um seine Tränen zu trocknen, die seine Wutausbrüche hinterlassen hatten. Schon da entstand ein Gefühl der Nutzlosigkeit, doch seine kleine, süße Schwester schenkte ihm ein heilendes Lächeln und alles war vergessen. Der Gedanke an ihr Lächeln machte ihn stark, doch irgendwann wurde diese Stärke von Schwäche erschüttert. Nie hatte er sich wirklich mit seinem Vater verstanden und nun lebte er alleine mit ihm. Katsuya war erst zehn Jahre alt, als ihm bewusst wurde, dass er auf seinen Vater nicht zählen konnte. Und dennoch wollte er nicht aufgeben, weder sich selbst noch seinen Vater. Lange Zeit zahlte das Sozialamt für die beiden und es ging eine Zeit lang gut, zwei Jahre später, war sein Vater so verzweifelt, dass er sich das Leben nehmen wollte. Katsuya aber hielt ihn auf und zum ersten Mal wurde dem Jungen bewusst, dass er seinen Vater zu Unrecht hasste, denn er war ein schwacher Mensch, der Hilfe brauchte und sie nicht bekam. Auch wenn es für den Blonden schwer war, so wollte er für diesen einsamen Menschen da sein und dazu kam, dass er sein Sohn war und er ihn einfach nicht im Stich lassen konnte. Etwas in ihm verbot es ihm. Der Gedanke an Shizuka war das einzige, das ihm in dieser schweren Zeit Halt gab, doch irgendwann heilte allein der Gedanke an sie nicht mehr seine Wunden und er flüchtete vor seinen aggressiven Vater, welchem öfter die Hand ausrutschte. Tagelang war er draußen herum geirrt und wusste weder ein noch aus, zu diesem Zeitpunkt war er bereits 14, hatte mehr in seinem jungen Leben erfahren müssen, als manch anderer. Verzweiflung fraß sich durch seinen Körper und irgendwann hatte er aufgegeben, kippte um und wollte einfach nur noch sterben. Immer wieder musste er an die alten Zeiten denken, die schönen Erinnerungen mit seiner lieben Schwester und seiner damals noch glücklichen Familie. Es waren die Gefühle, die er nicht vergessen konnte und diese eine schicksalshafte Begegnung mit einem Jungen, welcher sein komplettes Leben auf den Kopf stellte. Hirutani. Er war der Anführer einer Straßengang, zwei Jahre älter als er und für jegliche Lebenssituationen gewappnet. Katsuya wollte genauso sein wie er und nahm ihm zum Vorbild, wurde ein Mitglied dieser Gang und hatte endlich, seit langer Zeit, eine Familie gefunden, die ihm Halt gab und ihn immer unterstützte. Obwohl Katsuya heute nicht mehr so über Hirutani dachte, so waren diese Leute einmal die einzigen gewesen, die ihm das Gefühl gaben nicht nutzlos zu sein. Schlagartig war alles anders, immerhin war er nun nicht mehr allein. Zu lange musste er sich alleine durch sein Leben boxen. Seinen Vater jedoch konnte er niemals vergessen, er bezahlte dessen Schulden und wollte, dass es ihm so gut wie möglich ging. Und dies, obwohl dieser Mann sich nie wirklich um ihn gekümmert hatte, ihn einfach hatte liegen lassen und sich einen Dreck um ihn scherte. In der Zeit, als er in dieser Gang war, wurde er viel selbstbewusster, arroganter und auch aggressiver. Nicht nur geistig wurde er stark, auch äußerlich. Die Straßenkämpfe zwangen ihn dazu kräftiger zu werden. Denn endlich hatte er verstanden, dass Stärke das Wichtigste von allem war. Menschen, die schwach waren, verachtete er und er wollte ihnen zeigen, was es bedeutete stark zu sein. Dass er selbst Mal ein schwacher Mensch war, hatte er zu diesem Zeitpunkt völlig vergessen. Hirutani wurde sein bester Freund und Ersatzvater, der sich seiner annahm. Als er die Schule wechseln musste, hatte er sich für eine andere entschieden und der Kontakt zu Hirutani flachte ein wenig ab. Es war nicht so, dass ihn die Schule interessierte, seine Noten waren miserabel und er wurde einfach nur mitgezogen. Doch an dieser Schule begann wieder ein neuer Lebensabschnitt, welchen Katsuya nicht annehmen konnte. Sich von den anderen distanzierend, fand er aber einen Freund. Hiroto Honda, welcher ihn als Vorbild ansah. Heute könnte Katsuya gar nicht mehr nachvollziehen wie es überhaupt zu ihrer Freundschaft kam, aber er wusste, dass ihre Freundschaft etwas ganz Besonderes war. Da er selbst nie etwas mit den anderen zu tun haben wollte, wurde er schnell aggressiv und beleidigend, um den anderen damit zu zeigen, dass er kein Interesse an ihnen hatte. Hiroto kam als einziger zu ihm und sagte ihm grinsend, dass er sein Freund sein möchte. Diese Art von Glück kannte der Blonde bis dahin nicht, jedoch wollte er nicht Hirutani enttäuschen und erklärte, dass er ihn nie wieder ansprechen sollte. Daraufhin folgten ein langer Streit und eine Prügelei, die die beiden zusammenschweißte und zu besten Freunden machte. Sie erlebten viel und zum ersten Mal in seinem Leben hatte Katsuya die Möglichkeit, jemandem von seinen Problemen und Gefühlen zu erzählen. Tatsächlich fühlte er sich geborgen, aber immer noch waren da gewisse Brücken, die nicht so einfach überwunden werden konnten. So war Hirutani immer in seinen Gedanken. Die Straßengang, zu der er gehörte, verbot äußere Freundschaften, denn man hatte seine Zeit allein für diese „Familie“ zu opfern. Alles andere wäre Verrat. Im Bewusstsein, dass ihm dies nicht gefiel, beschloss Katsuya, sich von der Straßengang loszusagen und ein neues Leben anzufangen. Dieser Entschluss wurde hart bestraft, noch heute waren die Narben auf seiner Haut zu erkennen. Aber er war glücklich sich so entschieden zu haben. Dann erfolgte ein Klassenwechsel und obwohl Katsuya nichts mit den anderen zu tun haben wollte, so war ihm ein bestimmter Junge ein Dorn im Auge. Schwach und einsam, genauso, wie er es einmal war. Und dieses alte Leben, das er einst geführt hatte, hasste er. Eigentlich hasste er sich selbst dafür, dass er ohne fremde Hilfe es nicht schaffte sich wieder aufzurichten. Shizuka war schon immer seine emotionale Stütze und war immer in seinen Gedanken, als er am Ende war, musste Hirutani ihm hoch helfen und nun hatte er Hiroto, welcher ihm Halt gab. Der Hass auf sich selbst war größer als der Hass auf seine Eltern, welche ihm in Stich gelassen hatten. So wie sein Leben war, gefiel es ihm nicht und er wollte es ändern. Dieser Dorn war kein anderer als sein heutiger bester Freund Yuugi Mutou. Damals dachte er aber nicht so über ihn wie heute. Diese kindische und friedliche Natur des Jungen machte ihn rasend und er konnte nicht anders, als ihn zu tyrannisieren und ihm aufzuweisen, was Stärke bedeutete. Und obwohl dieser Junge so schwach erschien, hielt er mutig durch und ließ sich von nichts erschüttern, ging besonnen und ruhig seinen Weg und eigentlich war es das, was Katsuya sich wirklich wünschte. Er hasste ihn nicht, weil er schwach war, sondern weil er stark war und etwas hatte, dass er sich selbst wünschte. Eine liebende Familie, die ihm abends willkommen hieß und ein fröhliches Leben. Etwas, das er niemals haben könnte. Nichts hatte er von alledem. Weder eine Familie, noch ein glückliches Leben. Die Straßenkämpfe waren lange Zeit alles, wofür er lebte und dann kam noch die Sache mit seinem Vater, die ihn zusätzlich belastete. Um dessen Schulden zu bezahlen stahl er von anderem Geld und irgendwie schaffte er es durchzukommen. Hiroto hatte ihm gesagt, dass er ihn als Lieferjunge in einer Pizzeria einen Job besorgen könnte, doch Katsuya war sich nicht sicher ob er das wollte. Eines Tages aber geschah etwas, das Katsuyas Denkweise über den schwächligen Jungen änderte. Hiroto und er hatten sich immer wieder über Yuugi lustig gemacht, doch dann kam die Vergeltung. Ushio schlug die beiden zusammen und verlangte von Yuugi, dass er dies bezahlte. Doch anstatt dass sich der Kleine über den Zustand der beiden freute, schien er schockiert und empört. Dann, als Yuugi sich gegen Ushio auflehnte und die beiden auch noch als Freunde bezeichnete, realisierte Katsuya, dass es da etwas gab, dass er bisher nicht erkannt hatte. Nur weil Yuugi schwach war, hieß das nicht, dass er keinen Mut hatte. Zum ersten Mal sah er wie mutig Yuugi wirklich war und der Gedanke, dass er sich für ihn einsetzte, obwohl er ihn so hart dran genommen hatte, ließ ihm bewusst werden wie erbärmlich er eigentlich war. Das Leben, das er bisher lebte war nicht so wertvoll, wie das, was Yugi anzubieten hatte. Die beiden wurden Freunde und waren immer füreinander da. Katsuya war glücklich diesen Jungen an seiner Seite haben zu können. Yuugi war ein begnadeter Duel Monsters Spieler und er erklärte ihm dieses Spiel, zeigte ihm die Welt der Spiele und brachte ihn dazu seine Zeit nicht mit Straßenkämpfen zu vergeuden. Den Job als Lieferanten hatte er bekommen und bezahlte die Schulden seines Vaters nun ehrlich ab, mit den wenigen Sozialgeld kümmerte er sich um den Haushalt. Nun hatte er wirkliche Freunde gefunden, doch seine Schwester konnte er niemals vergessen. Immer wieder redete er im Gedanken mit ihr, wollte ihr sagen, was er alles erlebt hatte. Lange Zeit hatte er sie nicht sehen können, wünschte es sich und jetzt, als er das Video gesehen hatte, tat es ihm Leid, dass er sich nicht mehr um sie bemüht hatte. Seine Probleme waren im Gegensatz zu ihren Problemen doch ein Witz. „Lieber Bruder, wie geht es dir? Lange her, was? He he, damit du mich nicht vergisst, habe ich dieses Tape aufgenommen und dir geschickt. Schade, dass ich dein Gesicht nicht sehen kann. Ich würde dich so gerne wieder sehen. Aber du hast so viel zu tun und wohnst so weit weg. Jetzt am Ende…“ Tränen bildeten sich in seinen Augen und er biss sich auf die Unterlippe.. „…wollte ich dich noch einmal sehen. Alles Gute. Tschüss Katsuya.“ Noch immer hallten ihre Worte in seinem Kopf wieder. Auf dem Video sah sie so zerbrechlich aus, so krank und in ihren Augen konnte er Furcht, Trauer und Einsamkeit lesen. Sie alle hatten mit ihren Problemen zu kämpfen, doch dass seine geliebte Schwester so sehr leiden musste, ließ ihn nicht ruhig schlafen. Vor seinen Freunden versuchte er stark zu sein und unterdrückte die aufkommenden Tränen und die Angst um sie. Er wollte nicht, dass sie ihn so sahen, da war ihn allerdings nicht bewusst, dass seine Freunde ihm bei dieser schweren Zeit beistehen würden. Yuugi hatte eine Hand auf seinen Rücken gelegt, hatte Verständnis für seine Missmutigkeit und würde ihn nicht im Stich lassen. Lächelnd hatte er sich bei ihm bedankt und erklärte seinen Freunden die Lage, sie alle verstanden ihn und lachten nicht. Dass er zum ersten Mal in seinem Leben richtige Freunde hatte, machte ihn mehr als nur glücklich. Er wollte, dass Shizuka auch solche Freunde kennenlernte. Er wollte sie wieder in den Arm nehmen und ihr sagen, dass sie ihm sehr wichtig war. Doch wie sollte er das schaffen? Er drehte den Kopf zu Seite und blickte auf die Uhr. Es war kurz vor Zwölf und schon wieder kamen ihm die Tränen aufgrund seiner Hilflosigkeit. Wie sollte er sie retten, wenn er in all der Zeit noch nicht Mal den Mut gefunden hatte sie zu besuchen? Ihr zu sagen wie lieb er sie hatte? Wie dankbar er ihr war? Eventuell gab es eine Möglichkeit sie zu retten, er brauchte viel Geld und um dieses zu bekommen, würde er Yuugi heimlich in das Königreich der Duellanten folgen. Yuugi war ein guter Mensch und er verstand ihn, gemeinsam würden sie es schaffen. Sie würden Sugoroku Mutou und seine kleine Schwester Shizuka retten. „Shizuka…“, schluchzte er leise in die Dunkelheit und wischte sich energisch die Tränen weg. Sein Entschluss stand fest, er würde sie auf jeden Fall retten und ihr ein schönes Leben bescheren, denn er wollte ihr stolz in die Augen sehen können, um ihr zu sagen, dass er sie lieb hatte und sie brauchte. All die Zeit war sie sein ständiger Begleiter und er war ihr etwas schuldig. „…ich werde dich retten.“ Anmerkung: Shino und Kazuhito sind nicht die Originalnamen von Katsuyas und Shizukas Eltern. Beide haben sowohl in der Serie als auch im Manga nur wenige Auftritte und haben keinen offiziellen Namen. Ende Kapitel 9: Ich brauche dich, Bruder - (Neutral) ----------------------------------------------- Es ist spät in der Nacht, als ich aufwache und mich in dem dunklen Zimmer umsehe. Meine Haare sind zerzaust und stehen ab, müde wandert mein Blick umher und wieder wird mir klar, dass ich nicht zu Hause, sondern im Krankenhaus bin. Es ist nicht die Umgebung, die mir dies sagt, nein es ist dieses Gefühl und das laute Schlagen meines Herzen, das mir erneut klar macht, dass etwas schon lange nicht mehr stimmt. Ich taste mit meiner Hand die Seite meines Bettes ab und finde eine kleine Erhöhung und weiß, dass es der kleine rollbare Tisch ist, den jeder Gast in diesem Hause bekommt. Meine Hand stößt gegen hartes Glas. Eine Wasserflasche, die ich zu mir nehme und einen Schluck davon trinke. Langsam beruhigt sich mein Körper und ich lasse mich wieder in das plattgelegene Kissen fallen. Ein lautes Piepen aus dem Nebenzimmer hält mich wach, die Schritte der Menschen sind zu hören und lassen mir keine Ruhe. Obwohl ich weiß, dass ich hier bleiben muss, so wünsche ich mir nur nach Hause zu können. Mich in mein eigenes Bett zu legen und in Ruhe in meine Träume verfallen zu können. Zu lange ist mein Schlaf traumlos. Schon bald werde ich blind sein. Schon jetzt erkenne ich die Umgebung kaum mehr. Nie wieder werde ich ihn sehen können und dieser Gedanke tut mir weh, lässt mir jeden Tag aufs Neue den Atem stocken. Tränen rinnen über mein Gesicht. Niemals werde ich sein fröhliches und mich erheiterndes Lächeln vergessen, wie er mich an der Hand hielt und mich führte. Diese Wärme, die von ihm aufging, die mir zeigte, dass ich nicht ganz alleine war. Doch unsere Eltern verstanden sich immer weniger und irgendwann fasste mich meine Mutter an der Hand und riss mich fort von unserem Haus, zog mich in das Auto und das letzte, an das ich mich erinnern kann, ist das tränenreiche Gesicht meines Bruders. „Oh Katsuya…“, schluchze ich und wische energisch die Tränen weg. Mir sind nur die Erinnerungen von ihm geblieben. Einsamkeit zerfrisst mein Herz und ich fühle mich gefangen und weiß, dass es nicht nur ein Gefühl ist. Als Mutter und Vater sich trennen, erließ Mutter ein Kontaktverbot. Seit damals habe ich ihn nicht mehr gesehen und habe niemanden, der mir zuhört. Meine Mutter, Shino, arbeitet hart, umso die Behandlungskosten von mir bezahlen zu können. Selten sehen wir uns und seit nun über einem halben Jahr lebe ich im Krankenhaus. Da meine Mutter den halben Tag nicht zu Hause ist, habe ich nicht die Möglichkeit in unserer Wohnung zu verweilen. Zu gefährlich, wie sie mir alle sagen und ich weiß, dass sie im Recht sind. Doch mein Verstand lässt diesen Gedanken der völligen Hilflosigkeit nicht zu. Unter Tränen schlafe ich erschöpft ein und wünsche mir, dass es bereits vorbei wäre. Vorsichtig greife ich nach dem Hörer und schlucke hart. Heute Morgen kam der Oberarzt und gab mir zu verstehen, dass es nur noch eine Frage der Zeit bis zu meiner völligen Erblindung sei und ich schon morgen mit dem Erlernen der Blindenschrift anfangen sollte. Mit einem matten Lächeln habe ich ihn abgespeist, mein Lebensmut ist schon längst vergangen. Mit zitternden Händen drücke ich die Tasten und ein Warteton kommt mir entgegen. Schließlich geht jemand ran und ich schlucke kurz. Meine Stimme ist ängstlich und leise, dennoch gebe ich mir größte Mühe stark zu bleiben. „Mama? Ich möchte ein Video drehen.“, sage ich und mein ganzer Körper fühlt sich auf einmal schwach und zerbrechlicher als sonst an. Mein Herz rast und es scheint mir als würde jetzt gerade die Welt untergehen. „Shizuka…“, ertönt die ebenso kratzige Stimme meiner Mutter und auf einmal kommen mir die Tränen und ich schluchze laut. „Ich möchte mich von Katsuya verabschieden, bitte Mama!“, weine ich und es fällt mir schwer mich im Griff zu halten. Auch wenn es ihr nicht behagt, so gibt sie mir die Erlaubnis und wenige Stunden später erscheint sie im Krankenhaus. Mit leerem Blick starre ich aus dem Fenster und erkenne dennoch nichts. Alles ist verschwommen und es ist mir, als wäre es bereits vorbei. Noch immer trage ich den rosanen Pyjama als meine Mutter und eine Pflegerin reinkommen. Ich sammele meine Kräfte und drehe den Kopf zur Tür und versuche so gefasst wie möglich zu wirken. Denn mein großer Bruder soll mich nicht weinen sehen, ich möchte, dass er im guten Gewissen von mir Abschied nehmen kann. Wenn er mich nicht vergessen hat, aber ich glaube fest daran, dass er genauso wie ich jeden Tag an unsere schöne Zeit denkt. Die Kamera wird auf mich gerichtet, das Fenster hinter mir ist zu sehen. „Lieber Bruder, wie geht es dir? Lange her, was? He he, damit du mich nicht vergisst, habe ich dieses Tape aufgenommen und dir geschickt. Schade, dass ich dein Gesicht nicht sehen kann. Ich würde dich so gerne wieder sehen. Aber du hast so viel zu tun und wohnst so weit weg. Jetzt am Ende…“ Kurz stocke ich und erneut sammeln sich Tränen in meinen Augen, dann spreche ich weiter und versuche so glücklich wie nur möglich zu wirken. „…wollte ich dich noch einmal sehen. Alles Gute. Tschüss Katsuya.“ Sechs Jahre sind seit unseren traurigen Abschied vergangen. Sechs einsame Jahre. Sechs Jahre voller Hoffnungslosigkeit und ich weiß, dass es keinen Ausweg gibt. Die Aufnahme wird beendet. Meine Unterlippe zittert, erneut breitet sich unendliche Verzweiflung in mir aus und ich schluchze laut, verdecke mein Gesicht mit meinen Händen und versuche mich von den Blicken abzuschirmen, mich vor ihr zu verstecken. Vor dieser Hilflosigkeit. Meine Mutter kommt näher, ich höre, wie ihre Schritte in meine Richtung kommen. Ich will nicht, dass sie mich aufheitern. Ich will sie nicht hören! Ich ertrage diese Lügen nicht mehr. „Alles wird gut, Shizuka.“, höre ich die sanfte Stimmer meiner Mutter, doch ich schüttele den Kopf, weigere mich, diese Worte anzunehmen, wo ich doch ganz genau weiß, dass nichts in Ordnung ist. Alles ist verschwommen. Mein Leben ist trost- und farblos. Woran soll ich noch glauben? Der Einzige, der mir immer Hoffnung gab und mir sagte, dass es in Ordnung sei, verzweifelt zu sein, war mein Bruder. Die Menschen um mich herum sagen mir dauernd, dass alles gut werden würde, doch warum sagen sie das? Verstehen sie denn wirklich nicht? Ich verliere mein Augenlicht, ich steuere auf eine dunkle kalte Welt zu und ich kann nicht einmal das Steuer rumreißen. Machtlos rast die Umgebung an mir vorbei und ich fühle wie sie mich ansehen, mir Mitleid entgegenbringen und doch fühle ich, dass ich ganz allein bin. Verloren in meinen düsteren Gedanken springe ich vom Bett, knalle gegen den fahrbaren Tisch und keuche auf. Die schützenden Hände meiner Mutter nähern sich mir, das weiß ich, ohne, dass ich es sehen muss. Wutentbrannt schüttele ich sie von mir und laufe weg, als suchte ich nach einem Weg, dieses Schicksal abzuschütteln und einen Lichtblick zu finden. Auf wackligen Beinen erreiche ich den Klinikflur. Ich kann die Menschen um mich herum nicht sehen, doch ich höre ihre Worte und weiß, dass sie mich nicht verstehen können. Ich laufe weiter und weiter. Immer wieder stoße ich wogegen, verletze mich und doch suche ich nach einem Ausweg aus dieser Realität, die ich nicht akzeptieren kann. „Wo bist du, Katsuya?“, sage ich und breche erneut in Tränen aus, falle schwach auf meine Knie und wünsche mir nichts sehnlicher, als meinen Bruder ein letztes Mal sehen zu können und ihm zu sagen, wie lieb ich ihn habe. Doch er kommt nicht. Er ist nicht hier. Ich bin allein. Völlig allein in dieser Dunkelheit, allein mit meinen Ängsten und Problemen und ich weiß, dass es nur schlimmer werden kann. Anmerkung: Shino ist ein Fanname, da Shizukas Mutter keinen offiziellen Namen hat. Ende Kapitel 10: Time to say Goodbye - (Neutral) ------------------------------------------- Anzu Mazaki Ist es wirklich schon soweit? Müssen wir uns voneinander verabschieden? Es kommt mir vor, als hätte ich dich erst gestern getroffen, es fällt mir so unheimlich schwer zu verstehen, dass unsere gemeinsame Zeit bereits ihr Ende gefunden haben soll. Der Gedanke dich zu verlieren tut unsagbar weh und mein Herz schlägt immer lauter, wenn ich daran denke, dass du uns verlässt. Dabei verstehe ich nicht einmal warum es überhaupt so sein muss, warum du nicht einfach bei uns bleiben kannst. Gibt es denn keinen anderen Weg? Während ich über dich und unsere erlebten Abenteuer nachdenke, merke ich, wie Tränen sich in meinen Augenwinkeln sammeln und langsam meine Wangen herab laufen. Nein, ich kann nicht wahr haben, dass ich dich verlieren soll. Auch wenn ich es nie laut gesagt habe, so habe ich Gefühle für dich entwickelt, die weit über Freundschaft hinaus gehen. Du hast mir gezeigt, was es bedeutet an sich selbst zu glauben und mutig seinen Weg zu gehen. Nichts wusstest du. Von wo du herkamst, wo dein Weg dich hinführen würde, das alles waren Dinge, die du heraus finden musstest. Und wir alle waren dabei. Diese Tage werden immer in meinem Herzen bleiben, wie ein Schatz, so wertvoll und wunderbar, dass ich ihn gar nicht teilen möchte. Wir müssen auf unseren eigenen Füßen stehen und können uns nicht ewig auf dich verlassen, das weiß ich, aber warum fällt es mir so schwer? Wieso schlägt mein Herz so laut, dass ich nicht einmal mehr das Rauschen des Bootes auf dem Wasser höre, auf welchem wir uns befinden? Du hast so viel für uns getan und uns so viel gelehrt und jetzt am Ende kommt es mir vor, als hätten wir dir gar nichts geben können. Deine Augen wirken noch immer so distanziert und einsam, dabei hast du doch uns, deine Freunde. Pharao, ich möchte, dass du hier bei mir bleibst, aber ich kann es dir nicht sagen. Ich fürchte mich davor, denn ich will dich nicht mit meinem Egoismus verletzen. Es ist doch deine Bestimmung nach Hause zurückzukehren. In deine Zeit, in dein Leben, aber auch wenn uns Jahrhunderte trennen, so sind unsere Herzen verbunden. Du gehörst in mein Leben und ich werde dich niemals vergessen. Niemals. Niemals. Hiroto Honda Eigentlich habe ich dich nie wirklich kennen gelernt. Du warst einfach da, stecktest in Yuugis Puzzle und warst so unscheinbar. Wir hatten nie die Gelegenheit uns wirklich kennen zu lernen, wir haben nur selten ein Wort miteinander gesprochen, aber dennoch gefällt mir der Gedanke nicht, dass ein Freund von uns geht. Abschiede sind immer schwer, auch damals als meine Schwester auszog, wollte ich sie nicht gehen lassen. Aber das hier ist etwas ganz anderes. Wenn du gehst, gehst du für immer. Das Einzige was bleibt, sind die Erinnerungen an unsere Abenteuer, an das, was wir gemeinsam erlebt haben. Ich kann nicht verstehen warum es so sein muss. Warum du nicht einfach hier bleiben kannst. All die Zeit, die du hier warst, schien so selbstverständlich und natürlich, dass ich nie in Erwägung gezogen habe, dass es einmal nicht mehr so sein würde. Manchmal habe ich Angst vor Veränderungen und dein Abschied wird sehr viel ändern. Du hast uns Mut gegeben und den richtigen Weg geebnet und gezeigt, dass man niemals aufgeben darf. Das Leben ist wie ein Kartenspiel. Man zieht nicht immer gute Karten, aber keine Karte ist wirklich schlecht. Manchmal bekommt man den Sieg fast geschenkt, hat ein Blatt voller Asse und manchmal muss man sich den Sieg hart erarbeiten und alles geben was man hat. Du warst ein super Kumpel und wirst es immer sein. Ich werde dich niemals vergessen, Pharao. Katsuya Jonouchi Also ist es wirklich soweit. Du verlässt uns. Du bist in unser Leben getreten und hast alles auf den Kopf gestellt. Wenn du nicht wärst, hätte ich Yuugi niemals kennen gelernt und würde wahrscheinlich noch immer mit meinen Gangmitgliedern auf der Straße sitzen und wahllos Passanten zusammen schlagen. Ich würde es niemals aussprechen, aber du warst nicht nur ein Freund für mich, sondern auch ein Rivale und Lehrmeister. Du brachtest mir Duell Monsters bei und hast mich bei meinen wichtigsten Duellen unterstützt, hast mir so lange geholfen, bis ich so gut war, dass ich deine Hilfe nicht mehr benötigte. Aber das war mir nie genug. Ich wollte dich besiegen, dich überfliegen wie ein wahrer Schüler seinen Lehrmeister. Das war ich dir schuldig, zumindest dachte ich das immer. Ich wollte meinen Rotaugendrachen ehrlich zurück gewinnen und dir meine eigene Stärke zeigen. Aber jetzt wirst du von uns gehen und ich weiß nicht wie ich fühle oder ob ich überhaupt bin in der Lage zu fühlen. Mein Kopf ist leer. Noch habe ich gar nicht realisiert, dass du gehen wirst, aber ich weiß, dass es deine Bestimmung ist und keiner von uns es verhindern kann. Du warst ein toller Freund und ich bin froh dich kennen gelernt zu haben. Du hast nicht nur mir so viel gegeben, sondern auch den anderen. Durch dich sind wir zusammen gewachsen und bilden eine unzerstörbare Einheit. Anzu, Honda, Ryou und Yuugi. Du und ich. Wir gehören doch zusammen, dass du gehst, machst uns alle panisch und nervös. Wie wird unser Leben sein, wenn du nicht mehr hier bist? Werden wir uns auseinander leben und eventuell nicht mehr wieder sehen? Die Suche nach deinen Erinnerungen hat uns zusammen gehalten, aber wenn du weg bist, geht unser normales Leben weiter. Wir werden wie früher zur Schule gehen, eine Ausbildung machen und uns einen eigenen Platz in der Welt suchen. Aber ich habe Angst davor. Ich hänge an dieser Zeit und es macht mich traurig zu wissen, dass sie jetzt ihr Ende nehmen soll. Aber es ist wie es ist. Jeder hat seinen eigenen Platz auf dieser Welt. Ich habe meinen gefunden. Und deiner ist nicht in dieser Zeit, nicht bei uns, aber ich bin mir sicher, dass du uns allen eine große Hilfe warst. Keiner wird dich jemals vergessen, Pharao. Ach, was rede ich denn da? So sentimental zu sein, passt eigentlich nicht zu mir... Yuugi Mutou Ich fürchte mich davor dich zu verlieren, Pharao. Du bist in deinem Seelenraum, lässt nicht einmal mich an dich heran und willst nachdenken. Warum kann ich die Tränen nicht aufhalten? Ich dachte ich wäre stark genug, um deinen Abschied zu verkraften. Du warst wie ein Bruder für mich, einen, den ich niemals hatte. Du hast mir doch erst dieses Leben möglich gemacht! Wenn ich dich nicht befreit hätte, wäre ich noch immer derselbe einsame Junge, ohne Freunde und Selbstvertrauen. Damals habe ich mich gehasst, weil ich so schwach und zerbrechlich war. Nur das Milleniumspuzzle hat mir Halt gegeben, jeden Tag habe ich daran gearbeitet und wollte, dass mein Wunsch erfüllt wird. Acht lange Jahre saß ich an diesem goldenen Artefakt, habe darauf gewartet mein Schicksal zu treffen. Auch wenn es eine lange und harte Zeit war, so bin ich froh niemals aufgegeben zu haben. Ansonsten hätte ich dich niemals kennen gelernt. Nein, nicht nur dich. Auch Jonouchi, Honda, Otogi und Bakura nicht. Du hast mir dieses Leben geschenkt. Was bin ich ohne dich? Ich habe dir nie dafür gedankt, weil ich es irgendwo einfach als selbstverständlich angesehen habe. Aber jetzt weiß ich, dass alles nur deinetwegen entstanden ist. Ich möchte mich bei dir bedanken, aber ich kann es nicht. Furcht macht sich in mir breit. Ich kann mir nicht eingestehen, dass dies unser gemeinsames Ende sein soll. Wie wird mein Leben verlaufen, wenn du nicht mehr bist? Werde ich dieses Leben alleine leben können, ohne jegliche Hilfe? Der Gedanke macht mir Angst. Dabei weiß ich ganz genau, dass ich meine Freunde habe, auf die ich mich verlassen kann. Doch wir gehören zusammen. Ich kann, nein, ich will mich nicht daran erinnern wie es vorher war. Wie erbärmlich mein Leben ohne dich war. Die ganze Zeit über bin ich dir nachgelaufen und wollte genauso sein wie du. Bin ich dir wenigstens etwas ähnlicher geworden? Energisch wische ich die Tränen aus meinen Augenwinkeln. Du würdest nicht weinen, du würdest lächeln und mir sagen, dass dies mein Schicksal ist. Ja, es ist mein Schicksal und ich kann es nicht ändern. Das weiß ich, aber auch möchte ich dich nicht verlieren. Du bist ein Teil meiner Seele. Dieses Gefühl dich zu verlieren schnürt mir das Herz zu, warum kann es nicht anders sein? Nein, am Ende bin ich immer noch derselbe Feigling, der die Einsamkeit nicht ertragen kann. Aber ich werde versuchen stark zu sein. Für dich. Weil deine Geschichte ein Ende finden muss. Du kannst nicht ewig in meiner Seele bleiben, auch du hast einen Platz, zu dem du gehörst. Leider ist er nicht an unserer Seite, sich das einzugestehen tut weh. Es ist schrecklich... Seto Kaiba So wirklich glauben kann ich diesen Unfug immer noch nicht. Diesen ganzen altägyptischen Mist kann ich einfach nicht glauben, dass alles klingt viel zu unwirklich um wahr zu sein. Schon immer war ich ein rationaler Mensch, auch wenn ich ein Spielentwickler bin, so weiß ich Realität und Spiel voneinander zu unterscheiden und deutlich zu trennen. Aber dass das hier alles kein Traum sein soll, fällt mir schwer zu glauben. Meine Sturheit erlaubt mir nicht die Geschehnisse als Realität wahrzunehmen, aber mein Gefühl sagt mir, dass dies alles wirklich passiert ist. Yuugi soll also eine gespaltene Seele haben und ein Teil ist nicht die Seinige? Es klingt viel zu märchenhaft, als dass man das wirklich glauben könnte! Aber ich weiß, dass es stimmt. Unsere Duelle waren etwas ganz Besonderes für mich. Anfangs da habe ich den anderen Yuugi gehasst, weil er mir meine Grenzen aufwies und ich sie manchmal für unüberwindbar hielt, aber mit der Zeit fing ich an zu verstehen. Ich brauchte diese Herausforderung, um mich weiter zu entwickeln. Und das habe ich, zumindest denke ich, dass ich mich verändert habe. Vielleicht wirke ich äußerlich immer noch wie früher, aber in meinem Herzen hat sich etwas gerührt. Ich bin viel zielstrebiger geworden und das in vielerlei Hinsicht. Noch immer wünsche ich mir nichts sehnlicher als ihn, meinen Rivalen, in einem fairen Duell zu besiegen. Mann gegen Mann, mein weißer Drache gegen seinen schwarzen Magier. Auch wenn ich nicht mehr gegen ihn antreten werde und es womöglich nie wieder kann, bin ich dankbar ihn als Rivalen gehabt zu haben. Durch ihn habe ich den Spaß an diesem Spiel wieder gewonnen. Außer Mokuba habe ich niemanden wirklich gemocht, eigentlich waren mir alle zu dumm und ich konnte sie nicht ausstehen. Aber dieser Geist hat mich eines Besseren belehrt. Niemals werde ich Jonouchi oder Honda als meine Freunde bezeichnen, aber ich habe angefangen sie zu verstehen und sie zu akzeptieren. Wir waren aufgrund unseres Schicksals aneinander gebunden. Was rede ich da? Schicksal. Dieses eine Wort hat so vieles geändert, immer wollte ich meine Bestimmung selbst in die Hand nehmen und nun sitze ich hier auf diesem Schiff. Es ist zu viel passiert. Das einzige was zählt ist, dass mein ehrenhafter Rivale nun gehen wird und ich eine neue Herausforderung suchen werde. Und ich bin mir sicher, dass ich sie finden werde. Pharao Atemu Ich habe mich zurückgezogen und schaffe es nicht den anderen in die Augen zu sehen. Sie wirken enttäuscht, traurig und auch wütend. Als ich Yuugis Körper übernommen habe und Anzu ansah, hat sie den Blick angewandt und sich entschuldigt. Ich glaube, sie hat geweint. Wegen mir? Es tut mir Leid, Leute. Aber ihr wusstet doch, dass es so endet, oder? Ich habe es die ganze Zeit über gewusst. Auch wenn die Zeit mit euch sehr schön war, so war ich nur ein Geist, der nicht in diese Zeit gehörte. Die Zeit, die ich mit euch verbringen konnte, war wirklich schön und ich bin froh, dass ich euch kennen lernen durfte. Obwohl ich nur eine gefangene Seele bin, habt ihr mich behandelt wie einen echten Freund. Aber es kann nicht so weiter gehen. Mein Leben wartet auf mich. Mein eigene Geschichte. Meine Freunde aus vergangenen Zeiten. Auch sie möchte ich wieder sehen und ihnen sagen, dass ich endlich zurückkehre und bleiben kann. Vor Jahrtausenden habe ich meine Seele in diesem Milleniumspuzzle versiegelt, um somit Zork zu verbannen und seine Macht wegzuschließen. Natürlich wusste ich, dass wir eines Tages wieder gegeneinander antreten würden und als dieser Mann damals mein goldenes Kästchen mit sich nahm, wusste ich, dass die Zeit gekommen war. Yuugi befreite mich und wir machten uns auf die Suche nach meinen Erinnerungen. Dass wirklich beinahe zwei Jahre vergangen sein sollen. Die kurze Zeit mit euch kamen mir viel länger vor als die Jahrtausende Gefangenschaft in dem Milleniumsartefakt. Morgen ist es so weit, dann endet alles. Nein, das stimmt nicht. Es fängt jetzt erst an. Ich bin mir sicher, dass ihr auch ohne mich euren Weg gehen werdet. Ihr seid stark genug und seid nicht auf mich angewiesen. Ich wünsche euch allen viel Glück für eure Zukunft, auch wenn ich dann nicht mehr bei euch bin. Es ist an der Zeit, dass jeder von euch, selbst den Stift in die Hand nimmt, und seine eigen Geschichte schreibt. Yuugi. Anzu. Jonouchi. Honda. Otogi. Bakura. Kaiba. Ihr wart stetig für mich da und es gibt nichts, was ich mir mehr wünsche, als euch in eine glückliche und strahlende Zukunft gehen zu sehen. Ein zufriedenes Lächeln bildet sich auf meinen Lippen. Nicht das Ende erwartet euch, sondern der Anfang. Kapitel 11: Weiße Rosen (Kaiba/Anzu) ------------------------------------ Du hattest mich nie wirklich interessiert und doch stand ich hier. Vor deinem Grab. Der Regen fiel sanft zu Boden und mein Mantel klebte unangenehm an mir. Ich konnte mich nicht daran erinnern, dich je richtig kennen gelernt zu haben. Weiße Lilien und weiße Rosen lagen vor mir und ein Grabstein. Rosen standen dir. Nur einmal hatte ich dich mit einer weißen Rose gesehen und das war am unseren Abschlussball. Das war der Moment, an dem ich dir näher gekommen war, ohne es wirklich verhindern zu können. Du saßt einsam auf deinem Platz und nipptest frustriert an deinem Drink. Deine Freunde waren alle auf der Tanzfläche, aber du hattest niemanden. An diesem Abend hattest du mir leid getan. Nichts weiter als Mitleid, hatte ich mir gesagt. Und doch... „Mazaki? Warum sitzt du hier alleine? Solltest du nicht mit deinen Freunden tanzen?“, fragte ich sie und blickte sie unsicher an. Nur langsam hob sie ihren Kopf und beäugte mich misstrauisch. Ihre Wangen wurden rot und sie stotterte leicht. Sie hatte keinen Tanzpartner und ich glaubte, dass sie sich in diesem Moment sehr allein gelassen fühlte. Sie wollte ihre Freunde nicht stören, da jeder von ihnen mit einer Begleitung gekommen war. Jounouchi war mit einem brünetten Mädchen namens Kitamori Reiko gekommen. Sie gehörte zu den besten weiblichen Duellanten an der Spitze. Honda hatte Kawai Shizuka. Yuugi hatte Hopkins Rebecca an seiner Seite. Otogi und Bakura wie immer umzingelt von kreischenden Fangirls. Sie lächelte gequält und ich nickte vorsichtig. „So ist das also“, entgegnete ich ihr und setzte mich, zu ihren Erstaunen, neben sie. Auch mich verwunderte mein Verhalten, aber dies war der letzte Tag an dem ich sie alle sehen würde. In wenigen Monaten würde ich für lange Zeit nach Amerika reisen und vielleicht wollte sich mein Herz einfach auf diese Weise von ihr verabschieden. Mokuba hatte mich tagelang belästigt. Immer wieder hatte er erwähnt, dass man nur einen einzigen Schulabschluss in seinem Leben hatte und dass ich mich wenigstens einmal wie ein „normaler“ Mensch verhalten sollte, weil es sich um eine Erinnerung handeln würde, die ich niemals wieder nachholen könnte. Jeden Tag wiederholte er diese Worte. Irgendwann hatte ich einfach aufgegeben und ihm versprochen wenigstens ein paar Stunden hinzugehen. Und nun war ich hier. Genervt. Fehl am Platze. Die ganzen Mädchen aus meiner Klasse – nein aus dem ganzen Jahrgang – folgten mir wie aufgescheuchte Hühner. Zeitweise hatte ich das Gefühl, dass ihre Augen kleine Herzen formten, doch dies war sicherlich nur Einbildung. Ihre überschwänglichen Stimmen und ihre endloses Geschleime nervte mich unheimlich. Jede einzelne von diesen Mädchen, mit denen ich nie viel zu tun hatte, war plötzlich interessiert an mir und bezeichnete mich als ihren „Freund“. Sie waren oberflächlich und ich spürte instinktiv, dass sie das große Geld rochen. Als ich sie endlich abgeschüttelt hatte, hatten sie bereits neue Opfer gefunden. Auch der weißhaarige Freund von Yuugi hatte es ziemlich schwer. Ich hatte nie viel mit ihm zu tun gehabt, wusste aber, dass sein Name Bakura war. Ständig liefen ihm die Damen hinterher und ihre Augen glitzerten wie Sterne am Himmel. Abscheulich. Ekelerregend. Mehr dachte ich bei diesem Anblick nicht. Sie alle interessierten sich nicht für ihn, sondern für sein gutes Aussehen. Er erinnerte an einen Bishie aus dem Fernsehen, vielleicht sogar ein J-Pop Künstler. Sein weißes Haar fiel ihm über die Schultern, als er den Kopf verlegen zur Seite wandte. Ein Glück liefen diese aufgescheuchten Hühner nun ihm hinterher. So hatte ich etwas Ruhe. Mein Blick wanderte zu Anzu, die ihren Kopf sanft zur Musik wippte. Nach außen wirkte sie ruhig. Doch ich wurde das Gefühl nicht los, dass sie in Wirklichkeit vor Wut schäumte. Es war ungewöhnlich dieses Mädchen so aufgebracht zu sehen. Sie stand sonst immer neben dem König der Spiele oder feuerte ihn und den drittklassigen Duellanten Jounouchi während ihrer Duelle an. Ich kannte sie als die Cheerleaderin, die wie Gepäck hinterher geschleppt wurde und keinen bleibenden Eindruck hinterließ. Trotzdem war sie beliebt. Sie war bis zum Ende unsere Klassensprecherin. Beliebt bei den Jungen, den Mädchen und sogar dem Lehrpersonal. Die Mädchen sahen alle zu ihr auf und kamen mit ihren Problemen zu ihr. Sie war immer umringt von lachenden Gesichtern, doch heute war es anders. Aus dem Augenwinkel erkannte ich Mutou Yuugi, meinen größten Rivalen in Duel Monsters und auch ein anerkannter Gamer. Er löste jedes Rätsel und war weltweit berühmt für seine Fähigkeit kein einziges Spiel zu verlieren. Auch ich wünschte mir nichts mehr als ihn fair in einem Duell zu schlagen. Der Andere Yuugi – mein wahrer Rivale – war nicht mehr hier und so hatte ich mich an den Gedanken gewöhnen müssen, dass nicht mehr Atem, sondern Yuugi mein Rivale sein würde. Ich hörte eine quietschende Stimme. Diese schrille Stimme musste dem blonden Mädchen an seiner Seite gehören. Immer wieder nahm sie das Wort „Darling“ in den Mund und dann hängte sie sich ungefragt an seinen Arm, schmiegte ihr Gesicht an ihn. Yuugis Privatleben ging mich nichts an. Trotzdem war ich der Ansicht, dass dieses Mädchen ihre Gefühle zu sehr nach außen zeigte und dass dies an Yuugis Ansehen und seinem Ruf als ernstzunehmender Profiduellant kratzte. Doch das ging mich nun wirklich nichts an. Ich warf einen kurzen Blick auf die Brünette, die nervös auf ihrer Unterlippe herum knabberte. Ich beobachtete abwechselnd sie und dann ihre Freunde. Dann wieder meine ehemaligen Klassenkameraden, die allesamt Fremde für mich waren. Wie kam Mokuba nur auf die Idee, dass ich diese Erfahrung – diesen Abend – vermissen würde? Ich hatte nie in diese Gemeinschaft gepasst und ich war viel zu selten im Unterricht dabei gewesen, um mir auch nur ein Gesicht dieser Menschen zu merken. Ich kannte Yuugi. Zwangsweise dessen Freunde. Alle andere Menschen in diesem Raum waren Fremde. NPCs hätte ich sie bezeichnet, wenn es sich hier um ein Spiel gehandelt hätte. So sehr ich mich auch darum bemühte, ich konnte kein Interesse für diese Personen aufbringen. Trotzdem achtete ich sehr auf meine Haltung und versuchte weiterhin der seriöse Geschäftsmann zu spielen, den ich verkörpern wollte. Einige der Jungs warfen Anzu lüsterne Blicke zu. Ekelhaftes Pack. Ich hatte nie verstanden, wie man ein Mädchen so begaffen konnte. Vielleicht lag es auch nur daran, dass ich nicht häufig mit Mädchen sprach und generell kein Interesse an Beziehungen hatte. Anzu war hübsch. Beliebt. Sie wurde bewundert und auch jetzt wurde sie immer wieder angesprochen. Jeder, der an diesen Tisch kam und sie zum Tanz aufforderte, wurde jedoch weggeschickt. Ich fragte mich, wieso sie sich weigerte mit diesen Jungs zu tanzen. Ob sie diese Leute auch nur als Fremde betrachtete? Anzu seufzte. Wir saßen noch lange nebeneinander, aber ich sagte nichts mehr. Aber auch sie äußerte sich nicht, bestellte sich einen Drink nach dem nächsten und ich spürte, dass sie mit jedem Schluck immer heiterer und offener wurde. So langsam machte ich mir Sorgen um sie. Zu viel Alkohol war nicht gut. Als ich erklärte, dass sie nicht so viel trinken sollte, wurde sie leicht zickig. „Ich weiß was ich tue, Kaiba-kun. Also belehre mich nicht.“ Ihre Stimme war leicht beschwipst. Mein Blick wanderte im Saal umher, aber ich konnte ihre Freunde nicht mehr sehen. Waren sie einfach gegangen? Hatten sie sie wirklich hier gelassen? Verärgert zog ich meine Augenbrauen herunter. Das hier war Yuugis Verantwortung. Nicht meine. Es ärgerte mich, dass sie das fast betrunkene Mädchen hier zurückließen. Es war ausgeschlossen, dass ich sie hier zurückließ. Selbst für einen skrupellosen Geschäftsmann wie mich stand es außer Frage, ein hilfloses Mädchen sich selbst zu überlassen. So viel Moral und Anstand besaß ich gerade noch. Also blieb mir nichts anderes übrig, als mich weiterhin mit ihr zu befassen und einen Weg zu finden, sie unbeschadet nach Hause zu bringen. „Weißt du, Kaiba-kun?“, sagte sie mit lauter Stimme, sodass ich leicht erschrak und sie aufmerksam betrachtete. Plötzlich wirkte sie wie ausgewechselt. Aufgeregt. Ihre Augen strahlten und ihre Wangen waren leicht gerötet, während der rosa Lipgloss auf ihren Lippen leicht im Licht schimmerte und ihre feminine Seite betonte. „Eigentlich bist du ja total nett! Netter als dieser doofe Yuugi... ob du es glaubst oder nicht“, lallte sie und schnappte nach ihrem Glas und leerte es mit einem Schluck, setzte sofort wieder an. „Ich hab ihm gesagt, dass ich mit ihm tanzen möchte am unserem Abschluss! Dann kam diese blöde Kuh Rebecca und hat dazwischen gefunkt und jetzt bin ich wieder das fünfte Rad am Wagen. Weißt du, was ich meine? Weißt du, was ich meine?!“ Sie wiederholte sich und sah mich traurig an. Dann wechselte ihr Gesichtsausdruck wieder. Sie wirkte verärgert, aber vor allem enttäuscht. Ich kannte Rebecca nur vom Sehen und wusste, dass sie eine geborene Hackerin war und zumindest aufgrund ihrer Fähigkeiten meinen Respekt verdiente. Trotzdem hatte ich keinen Anlass gesehen, mich mehr mit ihr zu befassen. Sie war ungefähr so groß wie Yuugi. Aus dem Augenwinkel hatte ich bemerkt, dass sie sich Yuugi an den Hals geworfen hatte. Sie war sehr forsch und machte keinen Hehl aus ihren Gefühlen. Es interessierte mich auch nicht sonderlich, was Yuugi in seiner Freizeit tat. Wir waren immerhin nur Rivalen. Was sollte ich ihr also antworten? Bisher hatten wir nie so wirklich miteinander zu tun gehabt, aber solche Situationen lagen mir einfach nicht. Selbst jetzt noch fragte ich mich, was mich dazu geritten hatte, mich zu ihr zu setzen. Hatte ich Mitleid mit ihr? Ja. Oder hatte ich einfach nur nach einer Ablenkung gesucht? Sie wirkte sonst wie der Fels in der Brandung, der diese buntgemischte Truppe zusammenhielt. Dass ausgerechnet sie jetzt hier alleine saß, während ihre Freunde in Gesprächen vertieft waren oder auf der Tanzfläche waren, fühlte sich selbst für mich falsch an. Doch es war auch nicht ihre Art, sich zurückzuhalten. Eigenartigerweise konnte ich sie gut einschätzen und ich hatte nie das Gefühl gehabt, dass sie sonderlich schüchtern gewesen wäre. Sie sagte selbst einem reichen Firmenchef wie mir ihre Meinung direkt ins Gesicht und ließ sich nicht herumschubsen. Auf jeden Fall war sie anders als ihre gleichaltrigen, oberflächlichen Klassenkameradinnen, die bei jedem gutaussehenden und vor allem reichen Kerl anfingen zu sabbern und sich eine schöne Zukunft ausmalten. Ich war mir sicher, dass jedes Mädchen, das heute an mich herangetreten war, nur mit dem Hintergedanken zu mir kam, dass sie mit mir an ihrer Seite für den Rest ihres Lebens ausgesorgt hätten. Viele Mädchen träumten vom leicht verdienten Geld. Vermutlich lag es daran, dass Japan als Ganzes noch sehr traditionell und vor allem konservativ war und man den jungen Frauen von Kindheitsalter einprägte, wie sie zu denken, zu sprechen, handeln und sich zu bewegen hatten, um den hohen Ansprüchen der Gesellschaft gerecht zu werden. Vielleicht war mir deshalb Rebecca aufgefallen. Nicht nur ihr blondes Haar deutete daraufhin, dass sie Ausländerin war, sondern auch ihr ganzes Wesen. Sie schämte sich nicht, ihre Gefühle zu zeigen und warf sich fröhlich an den Mann, den sie mochte. Die Menschen im Westen waren generell viel offener und dieser Kulturunterschied wurde hier deutlich. Doch auch Anzu war alles andere als typisch. Sie legte nicht viel Wert auf die typische Etikette einer japanischen Dame. Sie sagte geradeheraus, wenn sie etwas störte. Sie stotterte nicht und sie wurde auch nicht rot, sobald sie mit einem Mann sprach. Zumindest mir gegenüber nicht. Ich hatte Anzu als mutiges Mädchen in Erinnerung. Aber andererseits war ich einfach nicht der Richtige, um sie einzuschätzen. Mädchen – nein, eigentlich war sie ja schon eine Frau – waren in der Hinsicht immer kompliziert. Gefühle waren wichtiger als Rationalität, also handelte es sich hierbei um ein Problem, bei dem ich ihr nicht wirklich helfen konnte. Ich suchte nach den richtigen Worten. Es wäre einfach, sie zu verletzen, sie mit Worten aufzuziehen und zu provozieren, aber ich tat es bewusst nicht. Frauen gegenüber fand ich ein solches Verhalten unpassend. Als Firmenchef war ich auch ein Gentleman und wusste, wie ich mich Frauen gegenüber zu verhalten hatte. Auch diese Art der Etikette war ein großer Bestandteil meiner Ausbildung zum Nachfolger der KC gewesen. „Dann“, fing ich an und merkte, dass sie plötzlich aufstand. So langsam bekam ich das Gefühl, dass sie selbst nicht mehr mitbekam, was sie da tat. Auf einmal trat sie näher an mich heran, zog mich auf die Beine und forderte mich dazu auf mit ihr zu tanzen. Ich lehnte höflich ab, doch sie blieb hartnäckig und als ich die Tränen in ihren Augenwinkeln sah, konnte ich einfach nicht anders. Sie tat mir leid. Vielleicht konnte ich auch einfach nicht ertragen, dass sie so verzweifelt wirkte und sich sogar an mich wandte, wobei wir nie viel miteinander zu tun hatten. Mazaki Anzu. Eine Frau, die immer lachende Gesichter um sich hatte. Eine Frau, zu der jeder hochsah. Beliebt und geschätzt. Eine stolze, mutige Frau, die immer ihren Willen durchsetzte. Doch im Moment sehnte sie sich nach einer Erinnerung, die sie auch Jahre später noch zum Lächeln bringen würde. Mokuba hatte Recht. So ein Abend war etwas Besonderes. Nicht für mich. Aber für sie und auch wenn es mir widerstrebte mit ihr zu tanzen, so hatte wenigstens sie eine schöne Erinnerung an diesen Abend, auch wenn sie sich einen anderen Tanzpartner gewünscht hätte. Ich tanzte mit ihr, führte sie und sie floss in meine Bewegungen mit ein. Obwohl sie leicht betrunken war und sich anders benahm als sonst, spürte ich, dass es ihr besser ging. Sie lächelte wieder. Der Frust darüber von ihrem besten Freund versetzt worden zu sein, verblasste mehr und mehr und sie wirkte wieder fröhlich. Die Eifersucht, dass ein anderes Mädchen wichtiger für Yuugi war als sie, löste sich langsam und ich sah ihren verträumten Gesichtsausdruck. Es war eigenartig. War sie so glücklich, weil ich mit ihr tanzte? Die Musik änderte sich. Ein Walzer. Rhythmisch führte ich sie zu den verzaubernden Klängen. „Ich hätte im Leben nicht damit gerechnet, dass du so ein guter Tänzer bist, Kaiba-kun.“ „Nun, ich bin ein Firmenleiter. Als solcher bin ich häufiger bei ähnlichen Veranstaltungen zu Gast. Es wäre doch peinlich, wenn ein Mann meines Formats eine Aufforderung zum Tanz ablehnen müsste, weil er zwei linke Füße hat.“ Sie kicherte amüsiert und schenkte mir ein warmes Lächeln. „Ich hatte noch nie einen Tanzpartner, der mich geführt hat. Sonst ist es immer andersherum.“ „Es ist die Aufgabe des Mannes beim Walzer zu führen“, entgegnete ich ihr ernst. „Yuugi und auch die anderen Jungs wären mir nur über die Füße gestolpert“, murmelte sie und senkte wieder ihren Blick. Sie war es nicht gewohnt, mit einem Tanzpartner zu tanzen. Sie lachte leise. Es klang erzwungen. „Du kannst gut tanzen und gibst dabei eine gute Figur ab. Nicht so gut wie ich, versteht sich“, sagte ich mit einem kleinen Grinsen und zog amüsiert die Augenbrauen hoch. „Eigenlob stinkt, mein Guter“, sagte sie und neigte ihren Kopf leicht zur Seite. Erst jetzt bemerkte ich, dass sie sich fein heraus geputzt hatte. Ihre Haare waren mit schönen, glitzernden Spangen hoch gesteckt und ihr Gesicht wurde von ihrem brünetten Haar eingerahmt. Während wir uns über die Tanzfläche bewegten, tanzte auch ihr Haar in unseren Bewegungen hin und her und schenkten ihr eine ganz besondere Grazie. „Es stimmt aber.“ „Zumindest hast du mehr drauf als Yuugi“, sagte sie dann. Ich drehte mich mit ihr. „Schade, dass Tanzen nicht als Spiel zählt“, grummelte ich. Sie kicherte wieder. Irgendwie fand ich ihre Stimme und ihr leises Lachen angenehm. „Aber immerhin hast du etwas gefunden, das du besser kannst als er. Es gibt bestimmt irgendein Spiel, das du besser beherrscht als er. Wie wäre es mit Schach?“ Ich verzog die Miene und schüttelte den Kopf. Ich war der Weltmeister in Schach und sicher hätte ich Yuugi in diesem Brettspiel besiegen können, doch ich verband unangenehme Erinnerungen damit und wollte nach Möglichkeit nie wieder das Muster eines Schachbretts sehen. „Nein. Schach nicht“, antwortete ich zurückhaltend. Sie musste nicht mehr erfahren als nötig. So gut kannte ich sie nicht. Schach hatte mein Leben verändert. Sowohl zum Guten als auch zum Schlechten. „Dann wird irgendwann der Tag kommen, wo du Yuugi ehrlich in einem Duell besiegst“, sagte sie aufmunternd, als hätte sie gespürt, dass ich nicht weiter darüber sprechen wollte. Ich hatte meine Gesichtsmuskeln stets unter Kontrolle und bemühte mich sehr darum, nicht zu viel von meinen wahren Gefühlen durchscheinen zu lassen und dennoch konnte ich das Gefühl nicht abschütteln, dass sie mich durchschaut hatte und das Thema wechselte, um mir einen Gefallen zu tun. Sie war wirklich anders als die meisten Frauen. Wir tanzten so lange, bis die Musik ausgeschaltet wurde. Außer uns beiden war niemand mehr im Raum und ich entschloss sie in meiner Limousine nach Hause zu bringen. Mehrmals brachte sie Argumente hervor und wollte mich davon abbringen, sie mitzunehmen, doch es war einfach unverantwortlich sie so gehen zu lassen. Noch immer waren ihre Schritte unsicher. Heute zeigte ich mich von meiner besten Seite und obwohl sie mir immer wieder nahe war, konnte ich mir ihr gegenüber nicht öffnen. Ein kleiner Teil in mir war sogar schadenfroh, denn bisher hatte ich die perfekte Mazaki Anzu nicht so erlebt. Und doch schien sich mein Herz nach all der Zeit so geändert zu haben, dass ich an diesem Abend keinen einzigen zynischen Kommentar über meine Lippen brachte. Dieser eine Abend war anders, man konnte sagen, dass er mich geprägt hatte und dass du mir sympathischer geworden warst. Ich zwang mich zu einem Lächeln, während ich den Namen auf dem Grabstein betrachtete. Du hattest mich immer als Freund angesehen und ich wollte es nie wahrhaben. Du warst mir nachgelaufen und hieltest zu mir, obwohl ich dich abgewiesen hatte. Wenn ich dir sagte, dass du mich nervtest, hattest du trotzdem ein liebevolles Lächeln für mich übrig und kamst am nächsten Tag wieder an. Ich beschimpfte dich und du lachtest bloß, nahmst meine Worte nicht ernst. Entweder warst du einfach nur dumm oder zu gut für diese Welt. Du warst immer freundlich, opfertest dich für deine Freunde auf. Sogar für Menschen, denen du egal warst. Damals hätte ich das als absolut krank und idiotisch bezeichnet, doch heute sah ich dieses Verhalten mit anderen Augen. Vielleicht lag es daran, dass ich älter geworden war? Dass ich gelernt hatte mich zu öffnen? Vor allem mein Bruder Mokuba mag den neuen Kaiba Seto, denn dieser lächelt öfter und lacht ehrlich. Für ihn hatte ich mich geändert und ich war nun glücklicher als zuvor. Mein Bruder bedeutete mir alles. Mehr als meine Firma. Mehr als mein eigenes Leben, denn er war alles, was ich noch hatte. Ich hatte bereits meinen wahren Rivalen verloren. Bis heute trauerte ich über seinen Verlust. Atem hatte mein Leben ohne ein Wort des Abschieds verlassen und ich hatte nie wirklich die Chance auf eine letzte Revanche. Es ging mir auch nicht wirklich um den Titel. Viel mehr wollte ich einfach nur mit ihm spielen und sein triumphierendes Grinsen sehen oder seine Stimme, sein arrogantes Lachen, das er mir schenkte, wenn er sich in einer guten Position wägte. Als Atem ging, blieb mir nichts anderes übrig, als mich damit abzufinden, ihn nie wieder zu sehen. Vielleicht war sein Verlust und mein Unvermögen über meine wahren Gefühle zu reden, auch der Anlass gewesen, warum ich diesen Abend widerwillig mit dir verbracht hatte. Vielleicht hatte ich in Wirklichkeit Trost und Ablenkung gesucht. Weg von diesen niederschmetternden Gedanken, eine geliebte Person verloren zu haben. Ich wollte die Trauer tief in meinem Herzen einschließen und sie mit niemanden teilen, während ich verzweifelt nach einer neuen Bestimmung suchte. Yuugi war ein großartiger Duellant und er wurde seinem Titel als König der Spiele durchaus gerecht, dennoch fehlte mir etwas. Yuugi war eben nicht Atem. Er hatte nicht dieselbe charismatische Ausstrahlung. Der Schulabschluss markierte für mich und auch für euch einen neuen Lebensabschnitt und ich hatte geglaubt, dass ich alles hinter mir lassen könnte. Dieser Abend sollte der Schlussstrich sein. Vorbei mit all den negativen Gedanken. Endlich Schluss damit über andere nachzudenken. Ich wollte mich nur noch auf meine Arbeit konzentrieren und etwas für die Ewigkeit schaffen. Mit meinem Hologrammsystem und dem neuen, ausgearbeiteten Konzept des Kaiba Parks hatte ich schließlich alle Hände voll zu tun. Und trotzdem stand ich nun hier und dachte über diese Frau nach. Über diesen Abend. Über diesen einen Moment, der mein Leben entscheidend veränderte. Diese Sekunde, die mich wachrüttelte und mir etwas klarmachte, das ich all die Zeit nicht wahrhaben wollte, obwohl mein Bruder es mir so oft gesagt hatte. Auf ihn hatte ich nicht gehört. Er war jünger und ich fühlte mich für Mokuba verantwortlich. Und trotzdem hatte ich das Gefühl, dass er auf mich Acht gab und nicht andersherum. Immer und immer wieder lag er mir in den Ohren, von wegen, ich sollte öfter unter Menschen gehen und mit Yuugi spielen. Nicht nur um den Titel. Sondern aus Spaß. Mit ihm sprechen. Freunde fürs Leben finden. Zunächst empfand ich seine Belehrungen als kindisch. Absolut lächerlich. Doch kurz nachdem wir nach Amerika gezogen waren und unsere Firma weiter ausbauten – die Kaiba Corp plante immerhin seit Jahren eine Expansion ins Ausland – musste ich feststellen, dass mein kleiner Bruder kein Kind mehr war. Einmal mehr hatte ich das Gefühl jemanden verloren zu haben. Denn er verbrachte seine Freizeit nicht mehr mit mir. Plötzlich waren seine Kumpels in seiner Altersklasse interessanter als sein älterer Bruder. Auf einmal sprach er über Mädchen und mir wurde mit jeder seiner Erzählungen bewusst, dass wir nicht für immer zusammenbleiben konnten. Ich dachte über dich nach. Über das Mädchen, das mir mehr als einmal die Stirn geboten hatte und mir offen seine Meinung sagte und über das, was du mir gesagt hattest. Über deine Vorstellung von Freundschaft. Ich hatte ein Alter erreicht, wo man über seine Zukunft nachdachte. Heirat. Kinder. Das Zahnrad der Zeit drehte sich weiter. Nur für dich nicht. Deines war stehen geblieben. Der Sand in deiner Uhr war vollständig durchgelaufen. Nicht weil deine Zeit gekommen war, sondern weil man dir dein Leben entrissen hatte. Schmerzhaft wurde mir erneut bewusst, wie schnell Menschen sterben konnten und was für ein Glück ich gehabt hatte, dass ich an diesem einen Abend mit dir gesprochen hatte. Es waren deine Worte, die mich zum Nachdenken gebracht hatten. „Mazaki, hör auf zu hibbeln! Du benimmst dich wie ein kleines Kind!“, schimpfte ich laut und drückte sie mit beiden Händen zurück auf den Sitz, ließ sie nicht entkommen. Sie kicherte amüsiert. Sie hatte sehr offensichtlich den ein oder anderen Cocktail zu viel gehabt. „Danke, Kaiba-kun“, hauchte sie, ehe ihr Gesicht mir gefährlich nahe kam. Ihre Hochsteckfrisur hatte sich bereits verabschiedet und einige Strähnen hingen schlaff herunter, wirkten fehl am Platze. Ihre Haare kitzelten mich und ich setzte mich wieder hin, rieb mir angestrengt das Nasenbein. Mit höchster Wahrscheinlichkeit würde ich es später bereuen mich ihrer angenommen zu haben, vermutlich würde sie mir noch meinen teuren Anzug vollkotzen. Ich linste zu ihr, endlich war sie ruhiger geworden und saß einfach nur da. Ihren Blick richtete sie stur aus dem Fenster, es schien als würde sie die hellen Lichter der Stadt beobachten. Diese bunten Lichter hatten sie vollends in ihren Bann gezogen. „Ich habe dir nur Umstände heute gemacht“, sagte sie dann und faltete ihre Hände, senkte letztendlich den Blick. Auf ihrem Schoß lag eine weiße Rose. Jeder von uns hatte eine bekommen, jedoch hatte ich meine gleich entsorgt. Ich brauchte keine Blumen. Für mich war dieser Abend nur ein Schlussstrich. In einer Woche würde ich in meinem Privatjet in Richtung Amerika fliegen und meinen Traum erfüllen. Das hier war lediglich eine Ablenkung. „Allerdings“, war meine knappe Antwort und ich verschränkte die Arme. Sie schuldete mir etwas, das stand schon mal fest. Aber es war nicht so, dass es irgendetwas gab, das ich von ihr erwarten würde. Nein, es gab keine Gegenleistung, die dieser Zumutung heute auch nur ansatzweise ebenbürtig war. Auf einmal lehnte sie sich zu mir und küsste mich auf die Wange. War sie nun komplett von Sinnen? Wütend schob ich sie von mir. „Was soll das?!“, schrie ich ihr entgegen, noch nie hatte mich jemand geküsst und wenn ich ehrlich war, war ich nicht gerade glücklich über dieses Ereignis. „Tut mir leid... ich weiß auch nicht, was das sollte“, flüsterte sie und wurde puterrot. Wir sahen uns die ganze Fahrt über nicht an, wechselten kein Wort miteinander. Ich musste verdauen, dass sie mir einen Kuss gegeben hatte. Gut. Es war nur ein Wangenkuss. Aber es war weitaus mehr Intimität, die ich jemals zulassen wollte. Mir wurde mulmig bei dem Gedanken, dass sie sich mir aufgedrängt hatte. Sie hätte wissen müssen, dass ich der letzte Mensch auf der Welt war, der für solche Sentimentalitäten zugängig war. Ich hatte kein Interesse an anderen Menschen, vor allem nicht an Beziehungen. Ich brauchte keine Freunde. Oder gar eine Frau, die sich brav wie ein Püppchen an meine Seite stellte, damit ich sie den Medien präsentieren konnte. Was nur hatte sie dazu geritten, meine Nähe zu suchen? Hatte sie geglaubt, dass ich ihr nun überschwänglich meine Gefühle mitteilte? Ihr gar einen leidenschaftlichen Kuss gab? Das war nun wirklich nicht meine Art. Ich erklärte mir ihr Verhalten so, dass es am Alkohol liegen musste. Wahrscheinlich würde sie am nächsten Tag, nachdem sie ihren Rausch ausgeschlafen hatte, aufwachen und sich in Grund und Boden schämen, weil sie einen dummen Fehler gemacht hatte. Nahm ich ihr den Kuss übel? Nicht wirklich. Es war unwichtig und lag bereits jetzt in der Vergangenheit. Ich vermied es, sie anzusehen. An einer Kreuzung jedoch brach sie die Stille. „Ich weiß auch nicht, was mit mir los ist. Nach all den Jahren bist du mir einfach wichtig geworden“, erklärte sie ruhig und ihre Lippen bogen sich zu einem kleinen Lächeln. „Schon gut, lassen wir das Thema.“ Meine Stimme war angesäuert und sie spürte die Wut, die ich nun in mir hatte. War ich wütend? Nicht wirklich. Überfordert. Smalltalk lag mir nun wirklich nicht. Während meiner Ausbildung zum Nachkommen der KaibaCorp hatte man mich auch diesem Fach unterrichtet, doch es war etwas komplett anderes ob man mit einer Frau sprach oder mit einem zukünftigen Geschäftspartner, den man von sich überzeugen musste. Außerdem war sie ja nur eine flüchtige Bekanntschaft. Mehr oder weniger. „Du warst in den Pausen immer alleine, ich bin immer zu dir gekommen, wollte, dass du dich mit uns anfreundest. Aber du bist wirklich... stur. Aber das mag ich an dir, du bist konsequent und ehrlich, auf deine eigene besondere Art und Weise.“ „Soll ich das als Kompliment sehen?“, fragte ich sie und sah sie herablassend an. „Nein. Es ist anmaßend von mir, aber du solltest wirklich etwas ändern, Kaiba-kun. So wirst du niemals glücklich werden.“ „Mazaki Anzu“, sagte ich bedrohlich und atmete tief ein. „Mein Privatleben geht dich nichts an. Du kannst dir deine lächerliche Freundschaftsnummer und dein gespieltes Interesse sparen. Ab heute gehen wir getrennte Wege und ich bin wirklich froh, dass mich niemand mehr stört, nur um mich zu fragen, was ich denn am Vorabend gemacht habe.“ „War es so schlimm für dich? Dass ich mit dir befreundet sein wollte? Dass ich Interesse an dir hatte? Nichts davon war gespielt. Auch jetzt wäre ich gern mit dir befreundet und ich bin mir sicher, dass wir uns eines Tages wiedersehen und du dich vielleicht sogar darüber freust, wenn ich dich frage, wie es dir geht.“ „Unwahrscheinlich.“ „Bist du dir sicher? Bist du dir sicher, dass du für den Rest deines Lebens jeden von dir stoßen willst? Selbst jene, die dich gernhaben?“ „Süß“, sagte ich spöttisch und grinste. „Du hast mich also gern? Wann genau habe ich dir Anlass gegeben, mich zu mögen oder gar zu glauben, dass wir befreundet wären?“ Sie legte den Kopf schief und schien nachzudenken. „Jetzt. In diesem Moment. Und auch vorher schon. Du hättest mich anschreien und beleidigen können, damit ich dich in Ruhe lasse. Du hättest über mich lachen können. Aber das hast du nicht gemacht, weil du im Grunde deines Herzens gar nicht so böse und fies bist, wie du anderen Glauben machen willst.“ Sie lächelte und nahm ihre Rose in die Hand, drehte sie nervös in ihren Händen hin und her. „Ich bin mir sicher, dass du in Wirklichkeit froh darüber bist, dass Yuugi und auch ich immer hinter dir stehen. Ganz egal, wie oft du uns von dir stößt. Das wird auch in Zukunft so sein. Nicht alle Menschen sind so hinterhältig wie du denkst und wenn ich sage, dass ich dich mag, dann meine ich es auch so. Ansonsten wäre ich dir nie hinterher gelaufen. Ich möchte, dass du weißt, dass ich dich als Freund ansehe, auch wenn du das nicht so siehst.“ „Du bist komplett bescheuert. Du. Und auch Yuugi. Ich brauche euer Mitleid nicht. Ich bin niemand, den man bemitleiden muss.“ „Das ist doch kein Mitleid. Eines Tages wirst du es sicher verstehen, dass Menschen Bindungen zueinander aufbauen können, die über die Logik und Verstand hinausgehen. Diese Bindungen kann man nicht wie eine Gleichung auflösen und auch nicht mithilfe von großen Computern analysieren.“ „Ich glaube, ich verliere den Verstand, wenn ich deinem irrsinnigen Geplapper weiter zuhören muss. Diese Bindungen, die Stärke, die du in deiner Macht der Freundschaft siehst, kann genauso hinderlich sein und lässt sich nicht rational erklären. Es gibt nach wie vor keinen Grund zur Annahme für dich, mich als deinen Freund zu sehen oder mich zu mögen.“ „Es gibt auch keine logische Erklärung dafür, warum Mokuba es mit dir aushält. Auch wenn du es ungern hörst: irgendwann kommt der Zeitpunkt in deinem Leben, wo du deine Entscheidung, alles und jeden von dich zu stoßen, bereuen wirst. Mokuba steht immer hinter dir, doch er ist auch nur ein Mensch. Lass nicht zu, dass du diejenigen, die dich mögen und für dich da sein wollen, durch deinen falschen Stolz gekränkt werden.“ „Ich wiederhole mich ungern, mein Privatleben geht dich nichts an.“ „Ich weiß. Ich wünsche dir trotzdem alles Gute für die Zukunft und hoffe, dass du und Mokuba eurer Projekt durchzieht. Er hat mir davon erzählt, dass ihr nach Amerika expandiert. Das ist großartig. Ich freue mich für euch“, meinte sie mit einem matten Lächeln und drückte die Rose an ihre Brust. Ein einzelnes Blütenblatt löste sich. Es war Zeit für den Abschied. Wir hatten ihr Haus erreicht. Einerseits wollte ich ihr sagen, dass ich froh wäre, sie nie wieder sehen zu müssen, doch andererseits brachte ich es nicht übers Herz. Ihr Lächeln. Ihr aufbauenden Worte. Die Art, wie sie versuchte, mir Mut zu machen und sich immer in mein Leben einmischte, würde mir vielleicht doch fehlen. Zumindest ein wenig. Aufgrund meiner Arbeit als Firmenleiter ging ich nie so oft zur Schule, wie ich sollte. Höchstens zu den Prüfungen kam ich vorbei, doch immer kam sie auf mich zu und fragte mich, wie es mir ging. Erst hatte es mich gestört, doch es steckte ein Funken Wahrheit in ihren Worten. Eigentlich hatte ich mich gefreut, dass sie zu mir kam. Nicht nur sie. Auch Yuugi. Irgendwie war diese Art der Verbindung zwischen uns etwas, das ich nicht missen wollte und der Gedanke, erneut etwas zu verlieren, was mir viel bedeutete, machte mir bewusst, wie verletzlich ich war. Ich fürchtete, sie zu verlieren. Ihre Freundlichkeit. Deshalb stieß ich sie von mir, um mich selbst von meiner Stärke und meiner Unabhängigkeit zu überzeugen. Sie hatte das durchschaut. So auch Yuugi, den ich als meinen Rivalen anerkannt hatte. Als der Wagen hielt, stieg sie aus, freundlich wie immer verabschiedete sie sich und wankte zu ihrer Haustür. Mein Chauffeur fuhr weiter und ich war mit meinen Gedanken allein. Was bildete sie sich ein? Was ging es sie an wie ich mich verhielt? Ich hatte solche Gefühle für sie nicht, für mich war sie einfach nur ein Mädchen, das zufällig mit meinen ärgsten Rivalen befreundet war. Wir diskutierten oft und kamen nie zu einem Schluss. Aber mehr war da nie. Sie nervte mich nach den Prüfungen und lobte meine gute Ergebnisse. Immerhin war ich die Nummer Eins unseres Jahrgangs und ich war sehr stolz auf meine guten Noten und insgeheim freute ich mich über diese Art der Anerkennung. Anzu und Yuugi waren beide viel zu nett. Ich konnte nicht glauben, dass du nicht mehr am Leben warst. Wie grausam das Leben sein konnte. Ein junger Mensch, gegen seinen Willen aus seinem Leben gerissen. Seit wir in Amerika lebten, um den KaibaPark hier zu etablieren, hatten Mokuba und ich aneinander vorbei gelebt. Er hatte seine neuen Freunde von der Universität. Er interessierte sich für Mädchen und blieb abends länger weg. Manchmal kam er erst am nächsten Morgen wieder. Mokuba war äußerst beliebt bei seinen Klassenkameraden und wenn er abends nach Hause kam, erzählte er viel von all den Leuten, die er kennengelernt hatte. Als Firmenleiter war ich beschäftigt mit der Planung und Ausführung des KaibaParks und war den Großteil meiner Freizeit damit beschäftigt, das Hologrammsystem für Duel Monsters aufzuwerten und mir neue Strategien für meine bevorstehende Revanche gegen Yuugi zurechtzulegen. Es war nicht so, dass wir gar nicht mehr miteinander sprachen, doch ich spürte, dass Mokuba langsam erwachsen wurde und sich nach Kontakten außerhalb seiner Familie sehnte. Ich respektierte seine Entscheidung. Doch in Wirklichkeit ärgerte ich mich darüber, dass er nun andere Menschen hatte, mit denen er nun lieber Zeit verbrachte. Es gab immerhin niemand anderen in meinem Leben, dem ich so sehr vertraute und mit dem ich sprechen konnte. Ich fühlte mich ein bisschen allein gelassen. Natürlich sprach ich diese Gedanken nie an. Es war kindisch und egoistisch von mir so zu denken. Also baute ich Interesse für ihn auf und versuchte den Abstand, der sich zwischen uns ergab, aufzuholen, indem ich von mir aus nach ihm fragte und mich nach seinen Freunden erkundigte. In den letzten Jahren hatte ich auch weitaus mehr Kontakt zu Yuugi, der als König der Spiele häufiger unterwegs war und auch in Amerika Interviews hielt und Galaabenden als Gast besuchte. Bei diesen Veranstaltungen standen wir meist nebeneinander und sprachen über unwichtige Dinge. Nun, eigentlich sprach Yuugi über sich und seine Freunde. Über seine Wünsche und Pläne für die Zukunft und wenn er nach mir fragte, antwortete ich ihm wahrheitsgemäß. Yuugi erzählte viel und irgendwie hatte ich es im Laufe der Zeit als angenehm empfunden, ihn als „Verbündeten“ an meiner Seite zu haben. Diese Veranstaltungen, wo Duellanten aus der ganzen Welt aufeinandertrafen und sich gezwungenermaßen von ihrer besten Seite zeigten, empfand ich als Zeitverschwendung. Das künstliche Lächeln. Das gespielte Interesse. Die nervigen Frauen, die nach einem Autogramm fragten und doch in Wirklichkeit nur Hintergedanken hegten. Ekelhaft. Doch es ging um meinen guten Ruf als Duellant und als Vorzeigeschild der KaibaCorp, weshalb ich diesen Veranstaltungen nicht einfach fernbleiben konnte. Ich konnte ich mir keine Fehler erlauben und den guten Namen meiner Firma gefährden. Also akzeptierte ich diese Einladungen und war froh, wenn ich ein bekanntes Gesicht sah. Mit jedem Jahr kamen neue Duellanten dazu. Immer mehr neue Gesichter, während viele andere Duellanten einfach verschwanden und man nie wieder von ihnen hörte. Insector Haga war als japanischer Champion bekannt geworden, doch nachdem er mehrmals gegen Yuugi verloren hatte, hatten auch seine treusten Fans das Interesse an ihm verloren und vermutlich hatte er irgendwann aufgegeben, erneut Berühmtheit als Duellant zu erlangen. Kajiki Ryouta. Esper Roba. So viele Duellanten, die in der Bedeutungslosigkeit verloren gingen und von denen man nie wieder hörte. Nicht jeder war dem Druck gewachsen. Nicht jeder war in der Lage sich anzupassen, denn auch Duel Monsters entwickelte sich stets weiter und wer als Duellant sich nicht weiterentwickeln konnte, wurde schnell abgehängt und vergessen. Nur die wenigsten konnten lange in dieser Branche bestehen und das Interesse der Massen wecken. Jounouchi Katsuya, Mutou Yuugi, Kujaku Mai und meine Wenigkeit waren auch nach zehn Jahren immer noch gern gesehen und in aller Munde. Ha. Wir waren die Legenden. Legendäre Duellanten, die mit allen Wassern gewaschen und einfach nicht auszurotten waren. Yuugi, mein größter Rivale, hatte nicht nur meinen Respekt verdient, sondern meine Anerkennung. Irgendwie fühlte ich mich verbunden zu ihm und war froh, dass ich ihn kennengelernt hatte. Dass Atem nicht mehr hier war, war weniger schmerzhaft, weil ich Yuugi unbemerkt als Rivalen akzeptiert hatte und ihn nicht mehr als Ersatz sah, sondern als eine Hürde, die ich unbedingt überwinden wollte. Yuugi war mir wichtig geworden und ich glaubte, dass er das auch wusste. Immer schenkte er mit ein Lächeln und erkundigte sich nach mir und nach Mokuba, wenn wir uns bei diesen Veranstaltungen sahen. Ich selbst hatte nie den Mut gefunden, ihn privat zu kontaktieren, obwohl ich durchaus die Möglichkeit gehabt hätte. Einerseits bereute ich es, andererseits fürchtete ich mich einfach zu sehr vor Ablehnung und fand es besser, wir blieben auf Abstand. Ich wollte Yuugi keine Schwäche offenbaren, freute mich dennoch darüber, wenn er meine Herausforderungen annahm und wir uns in der Duell Arena gegenüberstanden und unsere Karten das aussprachen, was wir im Herzen trugen. Mokuba hatte den Kontakt zu Yuugi und dessen Freunden auch nie abgebrochen. Einmal hatte er sogar von Mazaki Anzu gesprochen. Sie würde sich in Amerika aufhalten. Mein Atem hatte gestockt. Sie befand sich hier in Amerika? Unweigerlich musste ich an ihre Worte denken. An ihre letzte Lektion. Sie hatte mich davor gewarnt, all die Menschen, die mir etwas bedeuteten, von mir zu stoßen. Sie hatte mir gesagt, ich sollte mir Freunde neben Mokuba suchen und heute verstand ich, was sie mir sagen wollte. Sie wollte mich vor der Einsamkeit bewahren. Ich hatte sie für diesen „Rat“ ausgelacht und ihre Worte nicht ernst genommen. Sie wollte mir helfen und indirekt war es dieser Abend, der mich dazu angestachelt hatte, mehr Interesse an Mokuba zu zeigen und nicht zuzulassen, dass wir uns auseinanderlebten. Sie studierte in Amerika und lebte seit geraumer Zeit hier. Es war eigenartig. Obwohl wir uns so lange in diesem Land aufhielten, hatten sich unsere Wege kein einziges Mal gekreuzt und ich glaubte, dass es besser so war. Sie war nur eine Cheerleaderin meines Rivalen. Ich hatte kein Interesse an ihr. So sehr sie auch lächelte und den Kontakt zu mir suchte, es gab einfach nichts, das uns verband. Wir hatten keine gemeinsamen Themen, über die wir sprechen konnten. Ich liebte Spiele. Spiele waren mein Leben. Das einzige, das uns verband, war Mutou Yuugi. Für mich war sie nicht mehr als ein Zuschauer, der Yuugis Namen aus der Zuschauertribüne rief und ihm die Daumen drückte. Eine Frau, die mir ungefragt Lektionen erteilte und mich nicht aufgab. Jemand, der irgendwie da war, gleichzeitig aber auch nicht. Jemand, den ich wahrnahm, aber nicht wahrhaben wollte. Jemand, der sich stets nach mir umdrehte, während ich mich wegdrehte. Sie und Yuugi waren sich ähnlich. Ich hörte Mokuba immer nur aufmerksam zu, stellte aber nie Fragen, weil ich nicht wollte, dass er glaubte, ich wäre an ihr interessiert. „Sie ist eine talentierte Tänzerin und bekommt sehr viele Angebote“, hatte er gesagt. Ich freute mich darüber, dass sie ihre große Leidenschaft zum Beruf gemacht hatte und erfolgreich war. Doch ich zeigte dies nicht. Stattdessen antwortete ich: „Und warum sollte mich das interessieren?“, und raunte dann genervt. Doch ich hatte mir diese Information gemerkt. Auch Monate später erinnerte ich mich daran, dass sie als Tänzerin gefragt war und überlegte, ob ich sie nicht zur Eröffnung des KaibaParks für das Bühnenprogramm buchen sollte. Gerade, als ich den Entschluss gefasst hatte und weiter über die Eröffnungsfeier und mögliche Angebote nachdachte, wurde die Tür zu meinem Büro aufgerissen. Mokuba kam näher. Sein kurzes, schwarzen Haar und der weiße Anzug betonten seine charismatische Ausstrahlung. Mein kleiner Bruder war ein erwachsener Mann. Er hatte Tränen in den Augen und er kam mir näher. Vor meinem Bürotisch blieb er stehen. Ich stand auf, lief um den Tisch herum und näherte mich ihn. „Mokuba, was ist denn los?“, fragte ich ihn, während ich meine Hände behutsam auf seine Schultern legte. Er vermied es, mir in die Augen zu blicken. Er konnte es nicht. Irgendetwas hatte ihn zutiefst erschüttert und ihn so sehen zu müssen, tat mir unglaublich weh. Ich wollte Mokuba beschützen. Und ich hatte versagt. Was immer ihn beschäftigte, hatte seine Seele zutiefst verletzt und ich spürte Schuld, weil ich dies nicht verhindern konnte. „Sie ist...“, flüsterte er und schniefte laut. Noch mehr Tränen. Seine Lippen bebten. Sein Körper zitterte. „Wer ist was?“, fragte ich leise und verstärkte den Druck auf seine Schultern. „Sie ist tot. Anzu ist tot“, brachte er heraus und warf sich in meine Arme. Ich konnte seine Worte nicht verstehen. Sie kamen nicht an. Anzu. Meinte er Mazaki Anzu? Die stets gut gelaunte und lachende Tänzerin? Die Nervensäge, die sich mehr als einmal ungefragt in mein Privatleben eingemischt hatte und sich mir in den Weg gestellt hatte? Die Cheerleaderin, die irgendwie immer da war und Yuugi anfeuerte, obwohl sie selbst kein Interesse an Duel Monsters hatte? Die Frau, die mir einen schüchternen Kuss auf die Wange gegeben hatte? „Mokuba“, hauchte ich und legte meine Arme um ihn, drückte ihn so fest es ging an mich. Versuchte ich seinen Schmerz zu lindern... oder meinen? „Bei einem Bühnenauftritt kam ein Scheinwerfer runter. Sie ist erschlagen worden. Man konnte ihr nicht mehr helfen“, erklärte Mokuba und kämpfte mit sich selbst, drückte dann sein Gesicht in meine Halsbeuge und wimmerte laut. Sie war es, die mich auf meine Fehler hingewiesen hatte. Sie war es, die ein Lächeln für mich übrig hatte, wenn ich es am nötigsten brauchte. Sie hielt immer zu mir. Auch wenn ich ihr sagte, sie sollte mich in Ruhe lassen, kam sie auf mich zu und belehrte mich. Und ich hatte geglaubt, sie wäre mir nicht wichtig. Ich hatte mich selbst davon überzeugt, dass sie ein für mich unwichtiger NPC war. Was interessierte es mich, was mit ihr war? Dass sie tot war, sollte mich also eigentlich gar nicht stören und doch war diese Botschaft auch für mich niederschmetternd. Das Mädchen, das immer an mich geglaubt hatte, war nicht mehr. Und ich hatte ihre Freundlichkeit nie akzeptiert und hatte ihr stets mit Undankbarkeit geantwortet. Es war das zweite Mal, das mir ein Mensch entrissen wurde. Erst Atem. Nun sie. Warum nur schmerzte mein Herz so sehr? Warum war der Gedanke, dass sie nicht mehr da war, so unerträglich? Warum nur hatte ich sie immer nur gekränkt? Ich ärgerte mich über mein schlechtes Verhalten, wissend, dass ich nichts mehr ändern konnte. Die Vergangenheit war unwichtig. Die Vergangenheit und somit auch die eigenen Fehler mussten pulverisiert werden. Nur wer seine Vergangenheit zerstörte und sie hinter sich ließ, konnte nach vorne blicken. Diese Worte hatte ich wiederholt. Immer und immer wieder. Wie ein Mantra. Nein, sie waren ein Fluch. Diese Worte überzeugten niemanden. Sie vertuschten lediglich die Tatsache, dass ich nicht in der Lage war, meine eigenen Gefühle zu verstehen. Sie täuschten über mein Unvermögen soziale Bindungen einzugehen hinweg und so konnte ich mich vor mich selbst rechtfertigen und mir selbst meine eigene Stärke beweisen. Die Vergangenheit verschwand nicht einfach. Auch zehn Jahre später hatte ich Atems Verlust nie vollständig überwunden. Ich trauerte über ihn. Ich vermisste sein Lächeln. Ich vermisste es, wenn er mich verhöhnte und wir uns im Duell gegenüberstanden und unsere Seelen sich im Kampf begegneten und wir auf diese Weise eins wurden. Doch ich hatte ihm nie gesagt, wie sehr ich ihn schätzte. Ich wollte mit ihm befreundet sein. Ich mochte seine Arroganz. Sein Stolz war inspirierend und jede Niederlage trieb mich dazu an, mich zu verbessern. Sein Verlust wog schwer. Und auch jetzt wusste ich, dass ich ihren Tod nie wirklich überwinden würde, weil ich mich nie bei ihr bedanken konnte. Es gab noch so vieles, was ich ihr sagen wollte. Erneut hatte ich die Gelegenheit verpasst, meine Fehler gutzumachen. Der Wind tobte und riss meinen Mantel hin und her. Ich warf einen Blick nach oben. Der grau verschleierte Himmel gab mir das Gefühl, dass ich nicht der einzige war, der um deinen Verlust trauerte. Die dunklen Wolken versteckten deinen Optimismus. Dein Lachen war verstummt. Die Wolken verbargen dein Lächeln. »Mazaki... Stört es dich, wenn ich dich beim Vornamen nenne? Anzu, ich danke dir. Danke, dass du mich nie aufgegeben hast und trotz allem, was ich zu dir und deinen Freunden gesagt habe, immer zu mir kamst. Du warst anders. Du warst es, die mir die Augen geöffnet hat und ich möchte, dass du weißt, dass deine Botschaft angekommen ist. Ich bin nicht mehr der unnahbare Kaiba. Ich habe mich verändert. Weil es Menschen wie dich und Atem gab, dir mir den Mut gaben, über meinen Schatten zu springen.« Es gab noch so viele Dinge, die ich dir noch sagen wollte. Eine einzelne Träne lief meine Wange hinab und ich zog meinen Hut so weit runter, dass mein Gesicht im Halbschatten verschwand und niemand in die Spiegel meiner Seele blicken konnte. Behutsam legte ich die weiße Rose in meiner Hand auf dein Grab. Ein einzelnes Blütenblatt jedoch fällt hinab und wird davon getrieben von dem aufkommenden Wind. »Weiße Rosen stehen dir. Lebe wohl, Mazaki Anzu« , flüsterte ich dir zu und wandte mich ab. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)