Miqe von Sam_Linnifer ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Ein Aufschrei, gleichermaßen überrascht wie schmerzerfüllt, ließ Ishara herumfahren. Das Herz schlug ihr jäh bis zum Halse und der Griff des Elbendolches schmiegte sich kühl in ihre Handfläche, als ihre blauen Augen den Burschen fanden, der sich vom Griff in ihre Tasche wohl etwas anderes erhofft hatte, als den kräftigen Biss eines Rattenkiefers. Die aufkommende Erleichterung ging gleichermaßen mit Unwillen und Verärgerung einher. So froh sie auch war, von dem Dolch, der ihr nur ein schwaches Gefühl von Sicherheit bot, keinen Gebrauch machen zu müssen, trugen Erlebnisse wie dieses nicht gerade dazu bei, ihre Abneigung gegenüber der Stadt und ihren Bewohnern zu mildern. Unwillkürlich suchte ihre freie Hand eine andere Tasche, in der sich nach wie vor unberührt ihre mageren Münzvorräte verbargen, ehe der gescheiterte Taschendieb, der nicht viel älter sein konnte als sie selbst, erneut ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. „Wag es nicht!“, fuhr sie den dreisten Kerl an, der, anstatt fortzulaufen noch damit beschäftigt war, die graubraune Kanalratte, die sich in seinem rechten Zeigefinger verbissen hatte, abzuschütteln. Als hätte er ihre Anwesenheit vor Schreck vergessen, fuhr er zusammen - hielt demnach jedoch auch in seiner Absicht inne, das Tier kräftig gegen die nächste Hauswand zu schlagen. Stattdessen richtete sich ein paar dunkelgrüner Augen auf den schimmernden Dolch, der wie von ganz allein in Isharas Hand aufgetaucht war. „Wag es nicht, ihm auch nur ein Haar zu krümmen“, zischte die Blonde und in ihren Augen blitzte es kalt, ehe sie mit einer etwas ruhigeren Stimme fortfuhr, ohne aber den Dieb aus den Augen zu lassen: „Lass los, Tár. Du verdirbst dir nur den Magen.“ Gehorsam löste die Ratte, die sich zu einem Schläfchen in die warme Tasche verzogen hatte und dort so unerfreulich gestört worden war, ihren Biss und fiel zu Boden, wo sie einen fauchenden Laut in Richtung des Burschen ausstieß, ehe sie zu Lileths Stiefel huschte und geschickt am Bein der Schützin nach oben auf ihre Schulter kletterte - von wo sie ihn mit gesträubtem Fell und einem schimmernden Rattenauge fixierte. Das andere Auge, von einer älteren Narbe gezeichnet, wirkte trüb und blind und auch sonst war die Ratte, der ein Stück Ohr und ein paar Zehen fehlten, mit dem stellenweise kahlen und narbendurchzogenen Fell nicht gerade ein hübscher Anblick. „Das Vieh hat mich gebissen!“, entfuhr es dem Grünäugigen, der sich augenscheinlich langsam von seinem Schreck erholte, „Wer weiß, was es für Krankheiten hat!“ Anklagend hob er den blutigen Finger. „Das kommt davon, wenn man seine Finger in fremde Taschen steckt!“, fauchte die Blonde erbost, während sich ein träger Strom von Passanten unbeeindruckt an der Szenerie vorbeidrängte. Offensichtlich war niemand geneigt, sich hier irgendwelchen Ärger einzuhandeln, indem er sich einmischte. Es war schließlich viel einfacher sich taub und blind zu stellen. Menschenpack… Unschlüssig verharrte sie an Ort und Stelle, umfasste den Dolch und wünschte sich eine andere Waffe zur Hand zu haben, nur für den Fall. Aber es war ihr schlicht nicht allzu klug erschienen, mit dem Schwert eines Bellatoren oder gar einer sagenhaften Elbenklinge durch Samara zu streunen und ungewollte Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Was sollte sie jetzt tun? Offenbar war sie nicht die einzige, die sich das fragte, denn den Blick noch immer auf den Dolch gerichtet - der für die Hand, die ihn hielt, viel zu wertvoll schien - verharrte auch der Dieb reglos. Ishara entging nicht, dass sein Blick etwas Lauerndes bekam. Es war nicht schwer zu erraten, worauf er abzielte. Zum einen versuchte er sicherlich abzuschätzen, ob sie zu denen gehörte, die die Stadtwache rufen würden. Natürlich zählte das zu den letzten Dingen, die Lil wollte, aber sie gab sich redlich Mühe, so zu tun, als wäre das Gegenteil der Fall. Nicht besonders gut wohl, betrachtete man den Anflug eines Grinsens, mit dem der Fremde langsam die Hände hob. Zum anderen suchte er wohl nach einer passenden Gelegenheit, um sich aus dem Staub zu machen, ohne einen Angriff zu provozieren. „Hey schon gut, man wird doch wohl sein Glück versuchen dürfen“ lenkte der Bursche ein, ohne Lileths Unmut dadurch wesentlich zu mildern. Er war viel zu dreist. Im Grunde hätte die Halbelbe es begrüßt, wenn er verschwunden wäre und die leidige Angelegenheit damit beendet hätte - ihn jedoch einfach davon kommen zu lassen schien ihr auch nicht richtig. Also beobachtete sie stumm, wie er das Blut seines lädierten Fingers an seiner zerschlissenen Kleidung abwischte. Er war recht groß, aber sehr hager. Man sah schon, dass er, wie viele andere auch, wohl nicht genug zu essen bekam. Isharas Mitgefühl jedoch hielt sich in Grenzen. Während sie den Burschen missmutig musterte, folgte der ihrem Beispiel und plötzlich veränderte sich sein Mienenspiel zu einem wirklich überraschten Gesichtsausdruck. Er schien den Dolch zu vergessen und trat auf sie zu, ohne die Waffe, die Lileth sofort fester umklammerte, überhaupt zu beachten. Sein Blick ruhte mit beunruhigender Eindringlichkeit auf ihrem Gesicht und nur mit Mühe unterdrückte die Halbelbe den Drang, vor ihm zurück zu weichen. Es war doch nur ein dahergelaufener Taschendieb! „Du bist wie ich“, murmelte er leise und streckte eine Hand nach ihr aus, strich, als sie sich nicht regte, weil sie nicht wusste, wie mit der Situation umzugehen war, ein paar blonde Strähnen zurück, um ein spitzes Ohr aufzudecken. Tár richtete sich mit einem Fauchen auf ihrer Schulter auf und plötzlich kam wieder Leben in Lileth. Unwirsch schlug sie den Arm zur Seite. „Fass mich nicht an!“, nun wich sie doch zurück und bereute, dass sie nicht längst gegangen war. „Nein warte“, er rührte sich nicht, ließ nur die Hand sinken und bedachte sie noch immer mit einem Blick, den sie nicht deuten konnte. Dann strich er sich das eigene, braune Haar zurück und es war an Ishara überrascht zu sein. Sie war inzwischen einigen Elben begegnet, doch nie einem anderen Halbelb. Der Taschendieb lächelte: „Ich habe noch nie einen anderen getroffen. Wie heißt du? Woher kommst du?“ Das alles war mehr als seltsam. Ein wenig benommen senkte Lil ihren Dolch, behielt ihn aber genau im Auge. Sie schwieg, nicht ganz sicher, ob sie wirklich mit ihm reden wollte. „Ich bin Arden“ fuhr er fort, als sie sich in Schweigen hüllte. „Komm schon… es tut mir leid, dass ich dich bestehlen wollte. Ich hätte es nicht versucht, wenn ich gewusst hätte, was du bist und deine Schoßratte hat mir die Tour gründlich vermiest. Also sei nicht so nachtragend.“ Die Antwort war zunächst nur ein Schnauben, dann schüttelte Ishara etwas hilflos den Kopf. Sie wusste wirklich nicht, wie sie sich verhalten sollte, doch sie war trotz allem… auch neugierig. So wie er, offensichtlich. „Ishara“, murmelte sie daher etwas widerwillig. „Wie lange bist du schon in Samara?“ „Ein paar Tage.“ „Und gefällt es dir hier?“ Ihr Blick war wohl Antwort genug und Arden seufzte. „Wie lange wirst du hier sein?“ „Ich weiß nicht, eine Weile.“ Sie konnte selbst nicht sagen, ob die Fragen sie störten oder nicht. Es war irritierend, dass er so freundlich war, alarmierte sie. Unwillkürlich dachte Ishara an Talim oder wie auch immer er geheißen hatte. Der hatte auch freundlich getan und sie dann stehen lassen. Arden hatte versucht sie zu bestehlen, wer wusste, was er jetzt im Schilde führte? Ob sie auch etwas fragen sollte? Aber was? Und bei genauerer Betrachtung… wozu eigentlich? Sie mochte geglaubt haben, dass Elben von Natur aus gut waren, doch die Wirklichkeit hatte sie längst eines besseren belehrt. Warum sollte sie dann von einem Halbelb mehr erwarten können? Noch dazu einem, der ganz offensichtlich erfolgreich in der menschlichen Gesellschaft überlebte. Anders, als es ihr gelungen war. Woher der Zorn auch immer kam, er war da. Ungerechter Zorn, das war selbst Lileth bewusst, aber sie konnte wenig dagegen tun und mit einem Mal wollte sein eigentlich nur noch fort aus der Situation. Aber konnte sie das? Wenn er ihr folgen würde, dann konnte sie nicht zum Lazarett zurückgehen. Sie durfte einem dahergelaufenen Taschendieb sicher nicht dessen Standpunkt verraten… „Weswegen bist du hergekommen?“, versuchte Arden - von ihrem Schweigen nicht im mindesten abgeschreckt, wie es schien - weiter sein Glück. „Meine… Reisegefährten haben hier etwas zu erledigen“, murmelte sie schließlich mit dem Gefühl allmählich irgendetwas sagen zu müssen. „Aber das geht dich im Grunde rein gar nichts an.“ „Und du ziehst jetzt allein durch die Gegend, bis sie fertig sind? Das klingt ziemlich langweilig.“ „Und du treibst dich auf den Straßen rum und ziehst anderen das Geld aus der Tasche, um deinen Lebensunterhalt zu sichern, das klingt ziemlich erbärmlich!“, gab die Blonde gereizt zurück. Er lachte nur und verwirrte sie damit ein wenig. Gewiss auch Lileth selbst hatte schon gestohlen und vielleicht hätte sie es öfter getan, hätte sie zumindest ein wenig Talent dafür besessen. Wahrscheinlich gab es in diesem Land nicht viele, die nie auch nur in die Versuchung gekommen waren: Die Glücklichen, die Hunger und Not noch nicht kennen gelernt hatten. Doch sie hatte Arden vor den Kopf stoßen wollen, in der Hoffnung, ihn auf diese Weise abzuwimmeln. Offensichtlich ohne jeden Erfolg. „Touche“, erwiderte er mit einem gutmütigen Grinsen und betrachtete sie noch immer. „Ich könnte dir die Stadt zeigen, wenn du willst?“, bot er zu ihrer Überraschung an. Unbehaglich schüttelte Ishara den Kopf. Das konnte ja nur eine schlechte Idee sein. Wer konnte schon sagen, was er damit im Schilde führte? „Nein danke und überhaupt muss ich jetzt gehen. Meinetwegen verschwinde, aber versuch bloß kein zweites Mal, mich zu bestehlen!“, erklärte sie und auch wenn der Braunhaarige nicht allzu glücklich über ihre Worte schien, gab er doch erstaunlich leicht nach. Beunruhigend leicht. „Nun gut Mylady, wie es euch beliebt“, erwiderte er mit einem unverschämten Grinsen und einer halben Verbeugung, ehe er sie stehen ließ und in der Menge verschwand. Ishara kam sich im jenem Augenblick reichlich dumm vor und trat schließlich missmutig den Rückweg an. Sie achtete sehr genau darauf, ob sie vielleicht verfolgt wurde - so gut das an diesem Ort eben möglich war - aber sie bemerkte nichts. Was für eine merkwürdige Angelegenheit. In den folgenden Tagen dachte sie durchaus gelegentlich an die Sache zurück, doch selten lang. Wozu auch? Es gab niemanden, dem sie davon hätte erzählen wollen oder können und keine Konsequenz. Die Arbeit im Lazarett hielt sie beschäftigt und gefiel ihr dabei sogar, auch wenn immer wieder die bittere Erkenntnis auftrat, dass sie mit all diesem Wissen und den Fähigkeiten, über die sie inzwischen verfügte, ihre Mutter hätte retten können. In die Kanäle stieg sie nur hinab, wenn es sich nicht vermeiden ließ. Sie mochte die dunkle, feuchte Welt dort unten nicht, ebenso wenig die unfreundlichen Blicke, die ihr von Seiten der Rebellen zugeworfen wurden - insbesondere dann, wenn sie Thorin aufsuchte. Dabei war sie weit davon entfernt sich in irgendetwas von dem einzumischen, mit dem er und Mortimer und irgendwelche anderen Leute sich tagein, tagaus befassten, selbst wenn irgendjemand das gewollt hätte. Und das war wohl kaum der Fall. Für den Glatzkopf war es, auch wenn er sich davon eigentlich nicht viel anmerken ließ, vermutlich schlimm genug, dass sie mit schöner Regelmäßigkeit auftauchte, um die unvermeidliche Frage zu stellen, auf die sie ohnehin keine befriedigende Antwort erhielt. Wann würden sie die Stadt verlassen? Ishara wollte nicht hier sein, sie wollte weitergehen und endlich ihre Familie finden, das Zuhause, von dem sie träumte. Und nicht durch irgendwelche Katakomben kriechen. Und wenn es nichts zu tun gab, oder es vielmehr hieß, sie könnte nicht ununterbrochen arbeiten, sondern solle auch ein wenig freie Zeit verbringen, dann streute sie zumeist ziellos durch Samaras Straßen und kam sich ziemlich verloren vor. So wie auch an diesem Tag. Was sollte sie auch tun? Cyron fehlte ihr, aber für ihn würde es eine Qual sein, sich hier aufzuhalten und sie konnte schwerlich ständig durch das Tor hinein- und hinauslaufen. Selbst, wenn der Wegezoll nicht so hoch gewesen wäre. Es hätte vielleicht Aufmerksamkeit geweckt… „Du suchst einen Weg nach draußen, oder? Einen, der nicht bewacht wird.“ Vor Schreck fuhr die Blonde zusammen und wandte sich um. Auf einem flachen Gebäude am Straßenrand, dass schon deutlich bessere Zeiten gesehen hatte, saß mit baumelnden Beinen und einem frechen Grinsen der braunhaarige Halbelf. Wann war er dort aufgetaucht? Also hatte er sie doch verfolgt? Verunsichert runzelte Ishara die Stirn. Was bedeutete das dann, wie viel wusste er? Und brachte das das Lazarett und die Rebellen in Gefahr? Würde sie es Thorin sagen müssen? „Was willst du hier?“, erkundigte sie sich schließlich nicht gerade freundlich. „Ich habe dich zufällig gesehen“, erwiderte Arden mit einem Schulterzucken. „Oder vielleicht auch nicht ganz so zufällig.“ Behände wie eine Katze sprang er vom Dach, stand wieder vor ihr. In dieser Ecke des Armenviertels herrschte wenig Betrieb und niemand beachtete sie. Nervös beschleunigte sich Lileths Puls. Nach wie vor hatte sie nur den Dolch um sich zu verteidigen. „Ich kann dir einen Weg nach draußen zeigen, wenn du willst. Er ist nicht so angenehm wie das Haupttor, aber dafür umsonst. Und ich glaube nicht, dass du ihn allein finden wirst. Du machst nicht gerade den Eindruck, als hättest du dich viel in Städten herum getrieben, wenn ich das so sagen darf. Hast du unter Elben gelebt?“ „Nein.“, sie schüttelte den Kopf, musterte ihn unsicher. Am besten würde sie gar nicht darauf eingehen aber… „Hör mal, ich will dir wirklich nichts Böses. Ich habe noch nie einen anderen Halbelben getroffen und ich bin neugierig. Du denn nicht? Hast du schon andere getroffen?“ „Nein…“, wieder schüttelte sie den Kopf, hörte wie er seufzte. „In Ordnung, wie wäre es damit, ich zeige dir den Ausgang, damit du siehst, dass es mir ernst ist und dann sehen wir weiter, ganz unverbindlich.“ Aus Erfahrung misstrauisch, zögerte die Blonde noch immer, doch die Verlockung war am Ende zu groß. Cyron zu sehen, sich zu vergewissern, dass es ihm gut ging - auch wenn es keinen echten Grund gab, daran zu zweifeln. Sich für einen Augenblick nicht mehr ganz so allein fühlen. „Na gut… aber wenn das ein mieser Trick ist, wirst du es bereuen.“ „Das glaube ich dir aufs Wort.“ Doch so wie er lächelte, schien er sie schon wieder nicht ernst zu nehmen. Was Arden gesagt hatte, entpuppte sich als die Wahrheit. Nur eine knappe Stunde später konnte Lileth tatsächlich die Arme um den massigen Körper ihres Hundes schlingen und dessen nicht minder ausgeprägte Wiedersehensfreude über sich ergehen lassen. Seit sie ihn gefunden hatte, waren sie nicht so lange getrennt gewesen - nicht auf solche Weise und sie vergaß völlig, dass der fremde Halbelf noch immer anwesend war, sie aufmerksam mit seinen grünen Augen beobachtete. „Was ist?“, fragte sie, als sie sich dessen irgendwann bewusst wurde, doch deutlich freundlicher als zuvor. „Du lächelst“, gab der Bursche schlicht zurück und Lil runzelte irritiert die Stirn. Es stimmte, in Samara hatte sie das vermutlich nicht einmal getan, doch jetzt war sie schlicht glücklich, Cyron wieder zu haben und sei es nur für den Moment. „Du bist süß, wenn du lächelst“, fügte Arden hinzu, noch ehe sie etwas erwidern konnte. „Ich muss los, bleib nicht zu lange hier draußen, im Dunkeln ist das keine Gegend, in der ein Mädchen allein herumlaufen sollte, ob du nun eine Waffe hast oder nicht.“ Und fort war er, ließ sie ein bisschen empört und weiterhin verwirrt zurück. Von da an war es leichter, Samara und alles, was damit einher ging, zu ertragen. Sie fühlte sich nicht mehr so eingesperrt, konnte Cyron beinahe täglich besuchen und gewöhnte sich schließlich auch daran, dass Arden regelmäßig wieder auftauchte. Es dauerte noch ein wenig länger, aber nach und nach begann sie ihm Antworten auf seine Fragen zu geben. Nicht immer so ausführlich, wie sie hätten sein können, niemals zu persönlich, doch sicher mehr, als sie je irgendjemand anderem erzählt hatte. Natürlich hatte auch nie jemand danach gefragt. Auch er erzählte ihr, was es zu erzählen gab, doch das war tatsächlich nicht allzu viel. Ein Mensch hatte ihn aufgezogen, als Findelkind. Was mit seinen Eltern war, das wussten allein die Götter, auch wenn die Vermutung nicht fern lag, dass er nicht gerade einer glücklichen Verbindung entsprungen war. Seinen Ziehvater hatte vor Jahren ein kalter Winter dahingerafft, also hatte er auf sich selbst gestellt getan, was am nächsten gelegen hatte und sich schlicht zu nehmen begonnen, was er zum Leben brauchte. Es funktionierte gut genug. „Warum kommst du nicht mit zu den Elben?“, fragte Ishara eines Abends leise, als sie beieinander saßen. Es war spät, die Sonne längst versunken und die Nachtluft war kalt, der Himmel ungewöhnlich klar über der Stadt. „Die Menschen wollen dich hier doch sowieso nicht haben.“ „Warum sollten die Elben mich wollen?“, antwortete Arden mit einem weichen Lächeln. „Samara ist mein Zuhause, ich kenne nichts anderes. In irgendeinem Elbenwald wäre ich völlig verloren.“ Er berührte ihr Gesicht, als sie den Kopf schüttelte, hob es an, um ihr in die Augen zu blicken. „Ich weiß, du verstehst das nicht. Aber ich bin nicht unglücklich damit, wie die Dinge sind. Kein Leben ist perfekt, aber es könnte mir viel schlechter gehen. Ich denke nicht, dass es unter Elben leichter für mich wäre. Ich hoffe für dich wird es das sein“, erklärte er beinahe sanft und Schweigen kehrte zwischen ihnen ein. Lileth war sich der leichten Berührung merkwürdig bewusst, fühlte sich mit einem Mal seltsam angespannt, ohne, dass sie dafür einen Grund hätte benennen können. Sie erwiderte seinen Blick, sah den Mond, der sich in seinen Augen spiegelte und hatte kurz das Gefühl, er würde sich zu ihr herüber beugen, doch als unweit in einer Gasse eine Katze aufschrie und sie zusammenfahren ließ, zog er bloß seine Hand zurück und es war, als wäre nie irgendetwas passiert. Wie merkwürdig… und das war es auch im Folgenden manchmal. Eine eigentlich beiläufige Berührung, ein Blick, bisweilen hatte sie das Gefühl, dass da irgendetwas war, was ihr entging - doch eigentlich war alles so, wie es die ganze Zeit schon gewesen war. Und es war schön, jemanden zu haben, mit dem man reden konnte - selbst wenn es nur um Belanglosigkeiten ging. Als Thorin ihr schließlich die eigentlich ersehnte Antwort gab, da empfand Ishara nicht die Freude, die sie erwartet hatte. Es würde ihr weiterhin nicht leid tun, Samara hinter sich zu lassen. Aber jetzt bedeutete es auch einen Abschied und sie mochte es zuvor selbst nicht gewusst haben, doch stellte sie nun fest, wie sehr sie Abschiede verabscheute. Und weil Lil schlicht nicht wusste, was sie sagen sollte, wie oder wann, verrannen die Tage wie Sand zwischen ihren Fingern, ohne, dass sie das Wort ergriffen hatte. Offenbar aber schien Arden es auch so zu wissen, denn er war derjenige, der schließlich das Wort ergriff, nachdem sie lange geschwiegen hatten. „Es ist Zeit für dich zu gehen“, stellte er fest und der überraschte Blick der Halbelbe war ihm Antwort genug. Er musterte sie einen langen Augenblick und erneut fühlte Ishara sich ein wenig verunsichert. „Würde es irgendetwas nützen, wenn ich dich bäte, nicht zu gehen? Du könntest hier bleiben, weißt du?“ „Ich… ich möchte zu meinem Vater.“, antwortete sie leise obwohl sie sich dessen vielleicht gar nicht mehr ganz so sicher war. Aber in Samara bleiben? Nein, das konnte sie sich nicht vorstellen. Dann würde es gewiss doch nur so enden wie in Galieth, wie überall, wo Menschen waren. Arden nickte und Lileth senkte beklommen den Blick. „Dann werde ich dich auch nicht bitten“, er lächelte, wenn es auch kein allzu fröhliches Lächeln war. „Aber dafür musst du mich irgendwann wieder besuchen.“ Ein Versprechen, von dem wohl beide ahnten, wie leicht es gegeben würde, durchaus in ehrlicher Absicht, doch ohne eine echte Chance darauf, eingehalten zu werde. Ein merkwürdiger, unangenehmer Druck lastete auf Isharas Brust und sie spürte plötzlich, wie seine Hand leicht durch ihr Haar fuhr, ein paar Strähnen zurückstrich. Dann berührte er mit den Fingerspitzen ihr Ohr und sie erschauderte leicht, hielt jedoch still und ließ ihn gewähren, als er dem Verlauf der Ohrmuschel folgte. Nur ihr Blick wanderte wieder zu seinem schmalen Gesicht. Er wirkte ungewohnt ernst, beinahe nachdenklich. Wieder lag jene merkwürdige Spannung in der Luft, ließ etwas in ihrem Magen schwirren, ihr Herz ein wenig unruhiger schlagen, doch sie blieb wie erstarrt, auch als er sich dieses Mal ganz sicher näher zu ihr beugte, nahe genug, dass sie seinen Atem auf der Haut spüren konnte. Die blauen Augen blickten fragend, doch schließlich lehnte der Halbelb nur mit einem leisen Seufzen leicht seine Stirn an ihre. „Du wirst mir fehlen“, erklärte er ruhig und sie brachte nicht einmal eine Erwiderung hervor. Der Morgen war kühl, die Straßen für Samaras Verhältnisse noch recht leer, als die drei sich endlich auf den Weg machten, um die Stadt zu verlassen. In erster Linie empfand Ishara trotz allem Erleichterung, hielt sich einige Schritte vor Mortimer und Thorin, in dem Gedanken, dass von nun an wieder jede zurückgelegte Meile die Entfernung zu ihrem Vater verringern würde. Und sie bemühte sich, genau daran zu denken und an nichts anderes. Versuchte vielleicht auch, den Anfang etwas schneller hinter sich zu bringen. Das Stück, bis Samaras Stadttor hinter ihnen lag und die Sache endgültig abgeschlossen wäre. Es war ihr nicht vergönnt. Bis dahin hatte niemand den dreien besondere Aufmerksamkeit gewidmet, sie näherten sich gerade dem Tor, als aus einer der Seitenstraßen eine Gestalt vor sie trat, mitten in den Weg. Lileth blieb stehen, streckte unwillkürlich die Hand nach ihrem Schwert aus und hielt dann erleichtert und gleichsam ein wenig ärgerlich inne. Ärgerlich, weil er ihr einen Schrecken eingejagt hatte. Weil sie Abschied genommen hatten und es nicht leichter wurde, wenn er nun schon wieder hier auftauchte. Noch dazu unter den Augen ihrer Gefährten… vielleicht auch, weil sie trotzdem nicht anders konnte, als sich ein wenig zu freuen. „Ich dachte, du wolltest nicht mitkommen“, bemerkte sie leise und musterte ihn stirnrunzelnd, als Arden mit einem Lächeln vor sie trat. „Das will ich auch nicht“, erklärte er mit einem leichten Kopfschütteln, ohne Thorin oder Mortimer besondere Beachtung zu schenken. Er streckte eine Hand aus, berührte ihr Gesicht wie so oft zuvor und die Schützin wagte wieder nicht, sich zu rühren. Ihr Ärger wich Verwunderung, während sie sich der Wärme der Berührung merkwürdig bewusst war, mehr noch als zuvor. Was tat er denn? Er war ihr plötzlich so nahe, oder zumindest wurde es ihr jetzt bewusst. So nahe wie am Abend zuvor. Die grünen Augen blickten direkt in ihre blauen und irgendetwas lag darin, das ihr Herz aus dem Takt brachte, wieder dieses Schwirren in ihrem Inneren wachrief. Sie schluckte leicht, seltsam nervös. „Ich will nur sicher sein“, fuhr er mit leiser, weicher Stimme und ungebrochenem Lächeln fort, „dass du, falls es dir bei den Elben nicht gefällt oder langweilig wird, weißt, dass ich hier sein werde.“ Und ehe Ishara auch nur die Chance bekam, etwas zu erwidern, hatte er sich noch etwas näher zu ihr gebeugt und seine Lippen sacht über ihre gelegt, während seine Hand weiterhin auf ihrer Wange ruhte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)