Lost Future - Dark Paradise? von RaoulVegas (Same as it never was...) ================================================================================ New hope -------- Drei Monate später… Nach und nach findet sich Raphael mit der Tatsache ab, dass seine Brüder und sein Meister nicht mehr da sind. So wirklich glauben will oder kann er es zwar immer noch nicht, aber ihm bleibt nichts anderes übrig als sich die Ärmel hochzukrempeln und weiterzumachen. Noch vor ein paar Tagen jagte er die Foot-Ninja in die dunklen Fluten des East River hinunter, um nach Hinweisen zum Verbleib seiner Familie zu suchen. Unzählige Male war er auch selbst mit unten, da er den Foot noch immer misstraut. Doch sie sprachen die Wahrheit, es gibt rein gar nichts dort unten. Die Leichen seiner Familie haben sie bis jetzt nicht gefunden und Raph fürchtet, dass sie durch die starke und tückische Strömung, die in der Bucht herrscht, aufs offene Meer hinaus gesogen wurden und es damit wohl unmöglich sein dürfte jemals irgendwelche sterblichen Überreste zu finden, die er zu Grabe tragen könnte. Das Einzige, was sie dort unten gefunden haben, war eines von Leos Katana, das ihm beim Kampf ins Wasser geglitten war. Es hatte sich zwischen ein paar Steinen verkeilt und bei der Bergung ist die Spitze abgebrochen. Doch das macht nichts. Nun liegt es in Raphaels persönlichem Raum der Erinnerung auf einem dicken, blauen Samtkissen, wie so viele andere Dinge, die er aus dem Dojo geholt hat, auch. Oftmals sitzt er stundenlang in dem Raum und betrachtet diese Gegenstände. Doch sie spenden ihm keinen Trost. Nein, nicht so lange er nicht ihre Leichen begraben kann. Allerdings ist ihm mittlerweile klar, dass es dazu wohl niemals kommen wird und er hat die Suche nach ihnen schweren Herzens aufgegeben. Es gibt Wichtigeres zu tun, als etwas nachzujagen, das er doch nie finden wird. Dort draußen in der zerstörten Stadt leben noch unzählige Menschen, die sich nach Geborgenheit und Hoffnung sehnen, die nicht aufgegeben haben an die Freiheit und die Unerschütterlichkeit dieses einst so stolzen Landes zu glauben. Und genau diese Menschen will Raphael finden und mit ihnen die Welt wieder aufbauen. Sie zu einem schöneren und besseren Ort machen, als er es jemals war. Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten soll neu erstrahlen und der Rest der Welt soll diesem Beispiel folgen. Einen Moment noch streicht der rote Ninja über das zerbrochene Schwert, dann ballt er entschlossen die Fäuste, verlässt den Raum und bereitet sich auf die Rede vor, die er vor den Foot halten will. Schwer hallen seine Schritte durch den langen Flur. Die Rüstung des Shredders lastet ungewohnt und erdrückend auf seinen Schultern. Eigentlich stimmt das gar nicht. Es ist nicht die Rüstung des alten Shredders. Raphael hat sie vor gut einem Monat einschmelzen lassen. Nun ist es wahrhaftig seine Rüstung, auf seinen Körper angepasst, auch wenn die Grundelemente dieselben sind. Unter der Rüstung trägt er noch immer die schwarzen Sachen, die er bei seiner Ankunft vorgefunden hat. Darüber erstreckt sich die metallische Panzerung. Im Gegensatz zu Shredders alter Rüstung wirkt die neue etwas klobiger. Sie gibt ihm fast das Aussehen eines Roboters oder Transformers. Das liegt unteranderem daran, dass Raph gut zehn Zentimeter kleiner, dafür aber auch muskulöser und schwerer ist, als Oroku Saki es einst war. Zudem ist die Rüstung nicht mehr schwarz sondern silbern. Für seinen persönlichen Tatsch trägt er den roten Schal nun auf der Rüstung um die Hüften und einen zweiten, der sich um seinen Hals schmiegt. Und noch immer klemmen seine Sais in dem Schal an seinen Hüften, obwohl er sie wegen der Krallenrüstung ganz sicher nicht braucht. Ohne sie fühlt er sich jedoch nackt und verwundbar. Außerdem würde er das letzte bisschen seines Selbst aufgeben wenn er sie einfach in die dunkle Kammer legen würde und das will er ganz und gar nicht. Er will sich seine Persönlichkeit bewahren, trotz der Tatsache, dass er nun aussieht wie Shredder, so angesprochen wird und versucht sich auch so zu benehmen, will er doch immer Raphael bleiben, wenn nicht für den Foot-Clan, dann wenigstens für sich selbst. Zudem kennen die Foot seinen wahren Namen eh nicht, wissen nur, dass er eines der Gören von Hamato Yoshi war und so soll es auch bleiben. Das bisschen Respekt, dass sie für ihren neuen Meister haben mögen, soll nicht durch so etwas zerstört werden. Außerdem werden sie so oder so alle bald ins Gras beißen, da möchte Raph ihnen keinen Grund geben, ihm zu vorzukommen und stattdessen ihn umzubringen. Raph ist sich ganz sicher, dass er unter den Überlebenden in dieser trostlosen Stadt ein paar geeignete Leute finden wird, denen er etwas Ninjutsu beibringen und zu Foot-Ninja ausbilden kann. Leute, denen er blind vertrauen kann und die ihm wirklichen Respekt und Dankbarkeit entgegen bringen. Am Ende des Flurs erreicht er die Stahltür mit den Worten ‚Ausgang Tunnel 1‘, die ihn vor nicht allzu langer Zeit hier heraus geführt hat. Diesmal interessiert ihn der endlose Tunnel jedoch nicht. Stattdessen wendet sich Raphael der Treppe zu, die ihn eine Ebene näher zur Oberfläche bringt. Der ganze Bunkerkomplex besteht aus drei Etagen. In der untersten Ebene hat Raph sein Zimmer und es gibt einige Lagerräume und den Tunnel, der zum Festland führt, sowie den Tunnel, der die beiden Inseln miteinander verbindet. Auf der mittleren Ebene gibt es eine behelfsmäßige Krankenstation, eine Küche mit Speisesaal und die Zimmer, in denen die Foot-Ninja schlafen. Zudem sind dort auch ein paar Zimmer, die unbenutzt sind, in denen es aber Schlafmöglichkeiten gibt – fast wie eine Art Gästezimmer. Außerdem befindet sich auf dieser Ebene Baxters Labor. Da jedoch niemand etwas mit dem Zeug darin anfangen kann, hat Raphael den Raum kurzerhand verschlossen und bewahrt den Schlüssel bei sich auf. Die ganzen seltsamen Erfindungen und Geräte lösen Unbehagen in ihm aus und er will nicht, dass einer der Foot vielleicht noch auf dumme Gedanken kommt. Auf der obersten Ebene befindet sich ein riesiger Raum, der einem Thronsaal gleicht, indem auch tatsächlich eine Art Thron steht. Von diesem Saal aus kann man durch eine übergroße Glasscheibe in einen anderen Raum blicken, den die Foot als Trainingsbereich nutzen. Scheinbar fand es Shredder amüsant seinen Männern beim Schwitzen zu zusehen. Außerdem grenzt an diesen Raum eine Art Waffenkammer und es gibt einen Zugang zur Oberfläche. Schritt für Schritt nähert sich der rote Ninja nun dem Thronsaal. Die vielen Stufen erscheinen ihm endlos, erst recht wo nun das Gewicht der Rüstung und die damit verbundene Verantwortung auf seinen Schultern lasten. Schließlich erreicht er das obere Ende der Treppe und tritt durch die Stahltür. Vor ihm erstreckt sich ein kurzer Flur. Nach wenigen Schritten kommt er an einer Tür vorbei, hinter der sich die Waffenkammer befindet. Sie ignorierend geht er weiter bis zum Ende. Dort befindet sich auf der linken Seite die Tür zum Trainingsraum und auf der rechten der Thronsaal. Mit einem letzten Seufzen drückt er die Klinke und betritt den Saal. Wie sich herausstellt wird er von seinen Untergebenen schon erwartet. Als er den Saal betritt, befindet er sich etwa in der Mitte des großen Raumes und die Foot wenden ihre Blicke auf ihn. Der Anblick ihres neuen Herrn bewegt sie dazu sich ordentlich in Formation hinzustellen und ihre Gespräche zu beenden. Argwöhnisch mustert Raphael die vermummten Männer, während er langsam zum Thron hinübergeht. Er wagt es nicht sie aus den Augen zu lassen, zu sehr beunruhigt ihn die Tatsache, dass er ihre Gesichter und somit auch ihre Gedanken nicht sehen kann. Doch tief in sich spürt er, dass sie ihm nicht so loyal ergeben sind, wie sie ihm gern glauben machen. Schließlich setzt er sich auf den Thron und betrachtet die wenigen Männer, die noch von Shredders einst endlosem Heer übrig geblieben sind. Durch den Kabuto-Helm ist vom Gesicht des Roten nicht mehr als sein ihm verbliebenes Augen zu sehen. Doch dieses eine Auge, mit seiner durchdringenden gelbgrünen Farbe, löst in den Foot-Ninja ein ganz ähnliches Unbehagen aus wie ihre maskierten Gesichter bei Raph. Es ist schwer zu sagen, ob ihr Unbehagen sie dazu bringt oder ob es doch so etwas wie Respekt ist, doch nun gehen die Foot vor ihm auf die Knie und warten. Stille breitet sich in dem großen Saal aus, während sich die beiden Seiten nur weiterhin anzustarren scheinen. Raphael kann spüren wie sich allmehlig Ungeduld unter den Maskierten ausbreitet, dennoch lässt er sie noch etwas länger warten. Nach und nach tauschen die Foot unauffällige Blicke untereinander aus und ihm ist sogar so, als könnte er das eine oder andere Handzeichen sehen, mit dem sie sich zu verständigen versuchen. Schließlich genügt es dem neuen Rüstungsträger und er steht so unerwartet auf, dass die anwesenden Männer zusammenzucken. Nun hat er wieder ihre ungeteilte Aufmerksamkeit und fühlt sich bereit, seine Befehle an sie weiterzugeben. „Wie ihr wisst ist der Krieg seit einigen Monaten vorbei und nun ist es an der Zeit, das ganze Chaos zu beseitigen. Unsere Vorräte und Versorgungsgüter neigen sich rapide dem Ende und es wird nur eine Frage der Zeit sein, bis wir weder sauberes Trinkwasser noch Nahrung haben. Daher halte ich es für das Beste, wenn wir die Trümmer danach durchsuchen und sehen, ob wir auch Überlebende finden können.“ Ein Raunen geht durch die Männer und sie beginnen, noch während Raphaels Rede, miteinander zu tuscheln. Finster mustert der Rote sie dabei. Anscheinend sind die Soldaten nicht unbedingt der Meinung diesen Befehl ausführen zu wollen. Nahrung und Wasser suchen hat noch einen Nutzen für sie und daran wird es wohl auch nicht scheitern. Wozu aber nach Überlebenden suchen? Was hätte es für einen Sinn einen Haufen verwahrloster Menschen um sich zu scharen, die alle eine Todesangst vor dem Shredder haben? Zusätzliche Mäuler, die gestopft werden wollen? Die Diskussion unter den Foot wird immer lauter, sodass Raph seine Ansprache unterbricht, damit sich seine Männer wieder beruhigen können. Allerdings scheinen sie nicht der Meinung zu sein ihm wieder Gehör zu schenken. Wütend ballt der Saikämpfer die Fäuste und klammert sich an seine überstrapazierte Beherrschung. Die letzten Wochen waren für ihn mehr als anstrengend, körperlich wie geistig, sodass er absolut keine Geduld für diese Stümper hat, die seine Methoden immer wieder in Frage stellen. Nichts sehnt er sich in diesem Moment mehr herbei, als den Tag, an dem er ihnen allen den Hals umdrehen kann. „RUHE, verdammt nochmal!“, tönt seine Stimme schließlich durch den Saal, doch die Foot wenden ihm nur wiederwillig ihre Aufmerksamkeit zu. „Ich empfinde es als eine respektlose Unverschämtheit wie ihr mit eurem Altweibergeschwätz meine Rede unterbrecht! Ich bin vielleicht jung und unerfahren in dieser Position, das gebe ich gern zu. Doch ich bin und bleibe euer Meister, der Shredder! Und ihr braucht gar nicht glauben, dass ich euch mit Samthandschuhen anfasse, nur weil ihr mich hier aufgenommen habt. Wenn sich einer von euch meinen Befehlen wiedersetzen möchte, kann er das gern tun, doch dann muss er auch damit rechnen, das sein Verhalten schlimme Folgen für ihn haben wird!“ Während seiner Worte geht Raphael langsam den roten Teppich entlang, der vom Thron durch den Raum führt und auf dem die Foot vor ihm hocken. Sein Auge funkelt wild und herausfordernd, als er vor ihnen zum Stehen kommt. In der Rüstung gibt er eine furchterregende Person ab, die jeden nervös macht, der sie zu Gesicht bekommt. Doch die Foot geben sich weiterhin eher unbeeindruckt, vielleicht weil sie wissen, dass ein halbwüchsiger Bengel hinter all dem Metall steckt. „Ich bin sicher, dass euch klar ist, dass wir die Stadt wieder zu einem Ort machen müssen, an dem man ungestört leben kann. Wir müssen dafür sorgen, dass wir auch in Zukunft Essen und Wasser haben. Doch am allerwichtigsten ist es, dass wir die Menschen wieder hier ansiedeln und deren Fortbestand sichern, sonst wird es in zehn Jahren vielleicht keinen Menschen mehr geben! - Ich weiß, dass der alte Shredder die Stadt in Quadranten eingeteilt hat, um sein Vorankommen zu erleichtern. Nun werden wir diese Quadranten nutzen, um die Stadt systematisch zu durchsuchen. Ihr werdet jedes Haus, jeden Trümmerhaufen und jeden Busch umdrehen und dort nach Nahrung, Wasser, Menschen und allen Dingen suchen, die uns in irgendeiner Weise nützlich sein könnten und dann werdet ihr alles hierher bringen. Ist das klar?“ Streng mustert er die Männer, die vor ihm knien. Wieder beginnen sie miteinander zu tuscheln, diesmal lässt er es jedoch zu. Nach einer gefühlten Minute ruft er sie erneut zur Ruhe. „Gibt es noch irgendetwas, das ihr loswerden wollt, bevor ihr euch an die Arbeit macht?“ Wieder setzt kurzes Gerede unter den Foot ein, dann erhebt sich einer von ihnen. Angesicht zu Angesicht stehen sich er und Raphael gegenüber. „Versteht mich bitte nicht falsch, Euer Plan ist gut, doch wir verstehen einfach nicht, was der Sinn hinter dem Ganzen sein soll. Ihr glaubt doch nicht allen Ernstes, dass die Überlebenden dieser Stadt sich Euch einfach so anschließen werden, nur weil es hier Essen und ein Dach über dem Kopf gibt. All die Mühe, die wir uns damit machen ist völlig witzlos und…“ Der schwarze Ninja stockt auf einmal mitten im Satz und gibt erstickte Laute von sich. Nach einem Augenblick erkennen seine Kammeraden den Grund dafür. Raphael hat sein letztes bisschen Beherrschung verloren und die ewigen Wiederworte dieser Männer endgültig satt. Um ihnen zu zeigen, dass er es ernst meint, hat er nun ihrem Sprecher die Klingen seiner rechten Hand in den Leib gestoßen. Langsam bohren sie sich immer tiefer in das warme Fleisch hinein, bis sie schließlich am Rücken wieder nach draußen kommen. Blut tropft von ihnen herab und sammelt sich als dunklerer Fleck auf dem ebenso roten Teppich. Hilflos japsend hängt der Foot auf dem scharfgeschliffenen Stahl, während Raph ihm die ganze Zeit gelassen in die Augen blickt. Doch sein eigenes Auge funkelt so kalt und bedrohlich, dass dem Getroffenen allein schon davon die Luft wegbleibt. Mit einer ruckartigen Bewegung reißt Raphael die Klingen aus dem Leib des Mannes heraus und wendet sich seinen übrigen Soldaten zu. Der verwundete Ninja sinkt unter den fassungslosen Augen der anderen erst auf die Knie und kippt dann einfach um. Er lebt noch. Gurgelnd kann man seinen schwächer werdenden Atem hören. Doch ohne ärztliche Hilfe ist er dem Tode geweiht. Hier gibt es aber keinen Arzt, der ihm helfen könnte und so ist der Schreck der Foot noch weit größer. Ihr alter Meister war grausam, hat oftmals aus heiterem Himmel einen von ihnen zu Grunde gerichtet, doch sie hätten nie gedacht, dass dieses Bürschchen aus dem friedfertigen Hamato-Clan das auch tun würde und dann auch noch ganz ohne Vorwarnung. „Das war kein Plan, sondern ein Befehl! Und ihr habt dem Folge zu leisten, ob es euch gefällt oder nicht. Der Nächste, der mir wiederspricht, endet so wie euer Kumpel da!“ Fassungslos vernehmen die Foot die Worte ihres neuen Herrn und können den Blick dennoch nicht von ihrem sterbenden Kammeraden abwenden. „Jetzt verschwindet endlich und tut was ich euch gesagt hab oder ich benutz euch als Zielscheibe für meine Sais!“, donnert Raph´s Stimme durch den Saal. Ein Rucken geht durch die verbliebenen Männer. Kurz darauf springen sie auf, als hätten sie auf heißen Kohlen gesessen und begeben sich eiligst zum Ausgang. Als die schwere Tür hinter ihnen ins Schloss fällt, atmet Raphael seufzend aus. Einerseits wünscht er sich, es wäre nicht so weit gekommen und sie hätten nicht mit ansehen müssen wie er ihren Kammeraden von den Füßen holt. Andererseits war es wohl schon längst überfällig ihnen irgendwie Respekt beizubringen, wenn er nicht selbst von ihnen niedergestreckt werden will. Verloren steht der sonst so temperamentvolle Junge da und versucht sich mit seiner Tat anzufreunden. Zwar ist der Mann am Boden nicht der erste Foot, den er schwer verletzt oder sogar tötet, doch es ist der erste, der es eigentlich nicht verdient hat, da er ihn ja nicht bedroht hat. Sonst war alles immer Selbstverteidigung oder zum Schutz anderer. Doch das eben diente einzig und allein dazu, ihnen zu demonstrieren, dass er keine Witze macht und um Dampf abzulassen. Er hat einfach nur die Beherrschung verloren und war blind vor Wut. Unweigerlich fällt ihm ein wie er sich in Kindertagen oft mit Butch geprügelt hat, weil dieser Mikey geärgerte. Da hat er auch immer die Beherrschung verloren. Vielleicht hätte er dem Jungen irgendwann auch ernsthaft wehgetan, wenn Splinter ihm nicht gezeigt hätte, dass Mikey durchaus in der Lage ist sich selbst zu helfen. Doch jetzt ist Mikey nicht mehr da, keiner von ihnen ist mehr da und er kann niemanden mehr beschützen. Er fühlt sich so schrecklich nutzlos. Und er ist auch noch dazu gezwungen bei den Mördern seiner Familie zu leben. Das kann ein Mensch auf Dauer doch gar nicht aushalten ohne nicht irgendwann wahnsinnig zu werden. Ist er nicht vielleicht sogar schon verrückt? Hat er nicht eben eine unbändige Befriedigung empfunden, als er diesen Mann verletzte? JA! Es hat ihm Vergnügen bereitet und er wäre nicht abgeneigt, es zu wiederholen! Als würde der Foot am Boden ihm diesen unausgesprochenen Wunsch erfüllen wollen, beginnt er sich röchelnd und stöhnend in seinem eigenen Blut zu winden. Raph schreckt zusammen, als hätte man ihn geschlagen und wendet seinen Blick nach unten. Der schwarze Ninja hat sich schwerfällig auf den Rücken gerollt und seine Maske abgezogen, um besser atmen zu können. Das Gesicht des Mannes ist blass und sieht so gewöhnlich aus wie das jedes anderen auf der Straße. Ohne seine Verkleidung würde ihn wohl niemand für einen gefährlichen Attentäter halten. Blut läuft ihm in dicken Tropfen aus dem offenen Mund und seine Augen blicken glasig und flehend zu dem Saikämpfer empor. Abermals empfindet Raphael beim Anblick des Mannes eine Befriedigung nach der er schon sein ganzes Leben lang gesucht zu haben schien und die Splinter ihm immer wieder auszutreiben versucht hat. Doch sein Meister ist genauso wenig hier wie seine Brüder. Niemand kann ihn davon abhalten mit diesem Mann unaussprechliche Dinge zu tun! Und warum auch nicht? Immerhin ist er jetzt der Shredder. Der einzig wahre Tyrann und alleiniger Herrscher der neuen Welt! Langsam nimmt der Rote den Kabuto-Helm ab und geht neben dem Verwundeten auf die Knie. Sein sonnengebräuntes Gesicht ist vollkommen ausdruckslos. Sein zerstörtes Auge ist mittlerweile von einer Augenklappe verdeckt und sein gesundes starrt den sterbenden Mann voll perverser Faszination an. „Bitte, Meister – es tut mir – es tut mir leid. – Ich – ich werde gehorchen. – Helft mir – bitte…“, kommt es schwach von dem Foot. Zwischen den einzelnen Worten muss er immer wieder husten und feiner Blutregen verteilt sich dabei in der Luft. Zitternd hebt der Mann eine Hand und streckt sie dem Rüstungsträger entgegen. Der ehemalige Turtle ignoriert sie jedoch, setzt stattdessen aber ein seltsames Lächeln auf. „Keine Sorge, mein Freund. Ich werde dir helfen…“, kommt es sanft von dem Einäugigen. Langsam zieht er eines seiner Sais aus der Halterung und hebt es so hoch, sodass der Foot es sehen kann. Doch im Moment scheint dieser noch nicht zu begreifen, zu umnebelt ist sein Geist von den Schmerzen. Er liegt nur still da, während sein Gesicht so etwas wie Hoffnung wiederspiegelt, dass sein Meister im seinen Fehltritt verzeihen wird. „Ich werde dir helfen, so wie du den Menschen New Yorks geholfen hast, so wie du den Tieren geholfen hast und allem was hier mal existiert hat. Ich werde dir helfen, so wie du meiner Familie geholfen hast!“ Die Ruhe in Raphaels Stimme ist wahrhaft haarsträubend. Und endlich scheint auch der Foot-Ninja zu begreifen, dass der Hamato-Ninja ihm nicht helfen wird zu überleben, sondern ihm helfen wird zu sterben! Abwehrend hebt er schwach die Hände und Tränen kullern aus seinen Augen. „Bitte, Meister – tut das nicht – ich flehe Euch an…“ Doch abermals ignoriert Raph ihn. Er drückt eine Hand auf die Brust des Mannes, um ihn am Boden zu fixieren und reißt dann das Sai in die Luft. Verzweifelt versucht sich der wimmernde Mann zu befreien, doch ihm fehlt die Kraft. Alles Betteln und Flehen bleibt ungehört. Auf dem Gesicht des Rothaarigen breitet sich ein Grinsen aus, das so furchteinflößend und krank aussieht, dass einem fast das Herz stehen bleibt. Doch es fühlt sich gut an, so unglaublich gut! „Fahr zur Hölle, mein Freund und grüß Shredder von mir!“, tönt der Grünäugige mit wildem Lachen. Dann saust das scharfgeschliffene Sai hernieder. Die mittlere Zinke der Gabelwaffe bohrt sich mit grausiger Leichtigkeit in die Stirn des wehrlosen Mannes und beendet damit sein Leben. Doch die Ektase, in der der Saikämpfer gefangen ist, ist noch längst nicht verbraucht. Vielleicht merkt er gar nicht, dass der Mann unter seiner Hand schon tot ist? Doch im Endeffekt ist es ihm auch völlig egal. All die angestaute Wut und Verzweiflung der letzten zwei Jahre entlädt sich jetzt unaufhaltsam. In diesem Augenblick fühlt Raphael weder Reue noch irgendetwas anderes, als reine Mordlust. Wieder und wieder jagt er dem toten Foot-Ninja sein Sai in den Schädel, der mittlerweile große Ähnlichkeit mit einem Küchensieb hat. Sein geisteskrankes Lachen schallt in dem großen Saal und wird von den Wänden als makaberes Echo zurückgeworfen, sodass es sich anhört als wäre eine ganze Hörde Serienkiller auf einer Cocktail-Party zugange. Minuten vergehen ehe den aufgebrachten Jungen die Kräfte verlassen und er hemmungslos in Tränen ausbricht. Verzweifelt lässt er von der verstümmelten Leiche ab und lässt sich neben ihr auf den Bauch fallen. Heftig weint er und schlägt immer wieder mit den Fäusten auf den Boden. Er begreift nicht, warum es ihm so großen Spaß gemacht hat, diesen wehrlosen Mann zu töten. Solchen Spaß, dass er nicht einmal gemerkt hat wie es vollkommen ausgeartet ist. Er fühlt sich schmutzig und entehrt. Er hat seinem dahingerafften Clan nur Schande gebracht. „Vergib mir, Splinter! Wie konnte ich so etwas nur tun? – Warum hast du mich nicht aufgehalten, Vater? Warum?“, jammert er in den verlassenen Saal hinein. Dann wird ihm wieder klar, dass Splinter nicht mehr da ist, um ihn aufzuhalten, wenn er die Beherrschung verliert. Sein Geist ist vielleicht noch irgendwo und wacht über ihn, doch ausrichten kann er nichts und sein Hirn ist zu vernebelt, um die Schwingungen aufzufangen, die die Seele seines Meisters aussendet. Diese Erkenntnis trifft ihn schwer. Minuten verstreichen ehe er sich wieder unter Kontrolle hat. Schwerfällig richtet er sich in eine sitzende Position auf und wischt sich kindlich die Tränen von den Wangen. Nach Luft schnappend sitzt er da und starrt an die Decke, als würde er erwarten, dass Splinters Geist enttäuscht auf ihn herabblickt. Doch natürlich ist dort nichts. Er war nie besonders spirituell veranlagt und hat sich immer nur über Leo lustig gemacht, wenn dieser versucht hat mit Yoshi auf dieser Ebene zu kommunizieren. Jetzt jedoch wünscht er sich, er hätte sich damals etwas mehr angestrengt und könnte jetzt versuchen mit ihnen zu reden. Wenigstens ihre Gesichter sehen, um darin Trost zu finden, selbst wenn sie nach dem Ebengeschehenen maßlos enttäuscht von ihm wären. Der Gedanke an Leo, mag er auch noch so verhasst sein, löst neuen Kummer in ihm aus und einige Tränen bahnen sich erneut ihren Weg ins Freie. Nur eine von ihnen landet aber auf dem Teppich, die anderen wischt er trotzig weg. Ja, vielleicht war es falsch was er getan hat, doch immerhin fühlt er sich jetzt etwas besser. Und so schnell wird den Foot dann auch ganz sicher nicht einfallen, ihm irgendwie aufzulauern. Diese dunkle, unbeherrschte Seite in ihm, macht ihm schon irgendwie Angst. Allerdings weiß er nun wieder, dass sie da ist und nun wird es ihm auch sicher gelingen, sie besser in Zaum zu halten. Entschlossen ballt er die Fäuste und steht auf. Es gibt viel zu tun und Rumsitzen und in Selbstmitleid versinken ist keine große Hilfe. Wieder mit seinem Ziel vor Augen, setzt er sich seinen Helm auf und wirft sich dann die Leiche des Foot-Ninjas über die Schulter. Es ist wohl angebracht sie wegzuschaffen, sonst würde er die anderen Männer nur unnötig beunruhigen. Außerdem will er nicht miterleben wie sie anfängt zu verwesen. So beladen macht er sich auf den Weg an die Oberfläche. Eine Art Gullydeckel liegt auf dem Ausgang. Langsam schiebt er sich zur Seite und Raphael erscheint in dem Loch. Kurz blickt er sich um. Es gibt nichts zu sehen als endlosen Wald. Dichtes Gestrüpp bedeckt den Großteil des Bodens der gesamten Insel und macht das Vorankommen schwierig. Dort wo die Foot oft entlanggehen, sind schmale Furchen zwischen dem Gehölz entstanden. Bäume, dicht an dicht, lassen kaum Sonnenlicht nach unten durch. Nicht weit entfernt kann der Rothaarige Reiher rufen hören, die sich zum Fischen am Rand der Insel eingefunden haben. Das Klatschen der Brandung gegen den nackten Fels dort unten weckt in Raph eine traurige Melancholie. Diese Melancholie besteht aus der Erinnerung an den Kampf mit Shredder. In dem Park, in dem der Kampf stattgefunden hat, gab es zwar einen Strand, der zum Wasser hinab führte, dennoch hat das Wasser ebenso wild gegen das Geröll und die Trümmer geschlagen, die dort verteilt waren. Diese Erinnerung entfacht den Schmerz seines Verlustes für einen Augenblick neu. Dennoch mindert dieses nagende Gefühl nicht seinen Tatendrang. Er hievt die Leiche an die Oberfläche und bahnt sich mit ihr einen Weg zum Wasser. Als er sich durch die dichte Vegetation kämpft, fliegen unzählige Vögel lautstark rufend auf und verstreuen sich in alle Winde. Immer wieder verfängt sich Raph mit den Lanzen und Klingen seiner Rüstung in den Sträuchern. Unbeherrscht reißt er sich wieder davon los und flucht leise vor sich hin, als er den Stoff seiner Schals reißen hört. Diese Rüstung ist absolut nichts für einen Survival-Trip im Wald und er hätte sie vielleicht vorher ablegen sollen. Doch eigentlich ist es ganz gut, dass sie ihn so behindert, so lernt er mit ihrer Bürde umzugehen und straft sich gleichzeitig selbst für seine fehlende Beherrschung, die ihn ja erst in diese Situation gebracht hat. Nach weiteren, kräftezehrenden Minuten in diesem Dschungel aus Gestrüpp, erreicht er endlich das Wasser. Die Vegetation ist an einigen Stellen so dicht an den Rand der Insel vorgedrungen, dass man leicht den Boden unter den Füßen verlieren kann, wenn man auf die Pflanzen tritt, die ins Blau hineinragen. Doch Raphael hat Glück, er kommt an einer Stelle heraus, die die Reiher zum Schlafen benutzen. Hier ist der Großteil der Sträucher entfernt oder zur Seite gedrückt worden. Trockenes Gras erstreckt sich unter seinen schweren Stiefeln. Ein paar große Gesteinsbrocken, die am Rand aufgehäuft sind verhindern, das Wasser diese Stelle überflutet. Sie wurden von den Foot hierher gebracht, die diese Stelle gern zum Fischen benutzen. Viele Fische gibt es in der starken Strömung zwar nicht, aber als netter Zeitvertreib genügt es allemal. Beinahe vorsichtig legt Raph die Leiche ins Gras. Dieser Platz ist wirklich schön, wie ihm jetzt auffällt. Nicht nur zum Angeln, hier kann man auch einfach prima sitzen und sich die Sonne auf den Bauch scheinen lassen. Und die Aussicht, die sich einem bietet, ist auch nicht zu verachten. An klaren, sonnigen Tagen kann man bis rüber zum Festland nach Port Morris sehen. Als er seinen Blick etwas mehr zur Seite wendet, kann er im schwindenden Dunst dieses Vormittags, North Brother Island erkennen. Dort ist es ebenfalls ziemlich bewaldet, doch es gibt auch allerhand Fläche, die nur aus Gras besteht und den Foot als Trainingsbereich dient. Bis jetzt hatte der Saikämpfer noch nicht die Gelegenheit, die Nachbarinsel zu besuchen, was sich aber definitiv sehr bald ändern muss. Die Foot haben ihm nicht viel erzählt, doch er weiß inzwischen, dass sich auf der Insel einige alte Gebäude befinden. Vielleicht könnte man diese als Grundlage für die Ansiedlung der Überlebenden nehmen? Im Bunker ist nur begrenzt Platz und Raph ist sich ganz sicher, dass es die meisten Leute wohl eher vorziehen werden, Abstand zu Shredder und seinen Männern zu wahren, selbst wenn diese ihnen friedlich gesinnt sind. Die Menschen brauchen einfach Zeit, um sich an die neuen Gegebenheiten zu gewöhnen und das können sie unter Ihresgleichen sicher weit besser, als unter den Augen eines düsteren Ninjatrupps. Einen Moment verliert sich Raph noch in dem Gedanken irgendwann andere Menschen um sich herum zu haben, anstatt ewig nur die verschwiegenen Foot-Soldaten. Allerdings stimmt ihn dieser Gedanke erneut traurig, da er die Menschen, die er wirklich gern um sich haben würde, nie mehr wiedersehen wird. Der Rüstungsträger stößt einen zittrigen Seufzer aus und schluckt hart, ehe er sich wieder der Leiche zuwendet. Suchend blickt sich der Rote kurz um und fummelt dann eine Liane aus dem Gestrüpp heraus. An deren eines Ende bindet er einen der großen Steine, die am Rand aufgeschichtet sind. Das andere Ende des behelfsmäßigen Seils bindet er der Leiche um den Bauch. Das Wasser um die Inseln herum ist sehr tief und das schon direkt am Rand und die Strömung reißt einfach alles mit sich. Dennoch kann man hier durchaus Schwimmen gehen, wenn man sich nicht vor der Tiefe fürchtet und genug Kraft hat sich den wilden Fluten entgegenzustellen. Allerdings möchte Raph wenigstens verhindern, dass die Leiche wieder irgendwo angespült wird, weswegen er sie beschwert. Als das erledigt ist, wirft er die Leiche einfach über den Rand. Mit lautem Platschen taucht sie ins Wasser ein und versinkt langsam. Gedankenverloren blickt der Saikämpfer ihr nach, bis sie nicht mehr zu sehen ist, dann macht er sich auf den Rückweg. Nachdenklich steigt er wieder in den Bunker hinunter. Noch immer begreift er nicht ganz wie es ihm so eine unbändige Freude bereiten konnte diesen Mann regelrecht hinzurichten. Allerdings wird ihm klar, wie abhängig er wegen seinem Temperament sein Leben lang von Splinter gewesen ist. Dieser wusste ihn immer zu beruhigen und auch Mikey ist dies auf seine ganz eigene Weise gelungen. Mikey… Die Gedanken an seinen geliebten Bruder treiben ihm Tränen ins Auge. Ach hätte er ihm doch nur einmal sagen können, wie viel er ihm wirklich bedeutet. Er würde alles dafür geben die Zeit zurückzudrehen, den Kampf vielleicht gar nicht erst anzutreten und sich stattdessen, entgegen seiner kämpferischen Natur, einfach irgendwo mit seiner Familie zu verkriechen und Shredder die Welt zu überlassen. Alles nur damit er nicht allein sein muss. Doch das hätte keiner von ihnen zugelassen. Nicht einmal Mikey wäre so feige gewesen, obwohl er sich mehr als einmal hinter den anderen versteckt hat, wenn es heftig wurde. Im Endeffekt waren sie alle gleich. Sie hätten ohne zu Zögern ihr Leben für einander und für die Menschen um sie herum geopfert, selbst wenn es völlig aussichtslos gewesen wäre. Das magische Gefühl helfen zu wollen war stets übermächtig und zum Schluss ist es ihnen zum Verhängnis geworden und er ist als einziger übrig. Warum ausgerechnet er? Hätte es nicht Leo sein können? Nein, ganz unmöglich. Leo hätte das niemals ausgehalten. Er hätte sich für den Rest seines Lebens gewaltige Vorwürfe gemacht und wäre schließlich an gebrochenem Herzen elendig zugrunde gegangen. Ganz ähnlich Splinter. Er hätte es nie verkraftet, die Leichen seiner eigenen Kinder begraben zu müssen, selbst wenn es nichts zu begraben gibt. Und Mikey? Ihn hätte die Einsamkeit in einen endlosen Strudel des Wahnsinns gezogen, aus dem er nicht mehr herausfinden würde. Letztendlich wäre er so verrückt geworden, dass er sich nichts sehnlicher als den Tod gewünscht hätte. Donnie? Diese Frage kann Raph nicht so einfach beantworten. Klar ist sein Bruder genauso sensibel gewesen wie Mikey und hat sich nach Nähe gesehnt, doch ihm wäre sicher etwas eingefallen. Vielleicht hätte er sich einen Roboter gebaut, den er als Freund benutzt hätte? Dadurch hätte er auf jeden Fall länger mit der Einsamkeit klarkommen können als die anderen. Aber es gibt hier noch andere Menschen! Donnie wäre ganz sicher auch auf den Gedanken gekommen, sie wieder anzusiedeln. Leo und Splinter ebenfalls. Doch Raphael ist sich schmerzhaft bewusst, dass keiner dafür seine Ideale verkauft und sich den Foot angeschlossen hätte, so wie er es getan hat. Nicht mal Mikey wäre in seiner wahnsinnigen Einsamkeit auf so eine dämliche Idee gekommen! Doch was hat ihn selbst nur so weit getrieben, diesen letzten Funken Stolz in sich abzutöten? Es will ihm nicht einfallen und doch scheint es an manchen Tag so unausweichlich zu sein, genau diesen Schritt getan zu haben. Kopfschüttelnd erreicht er den Tunnel, der ihn zum Festland führt. Als er die schwere Tür öffnet, erhebt sich vor ihm auf den Gleisen die imposante Gestalt des Shellraisers. Nachdenklich betrachtet er den Wagen. Letztendlich entschließt er sich aber dagegen. Es ist zwar ein weiter Weg, doch die meisten Straßen sind nicht besonders gut zu passieren und der Motorenlärm könnte die ängstlichen Leute erst recht verschrecken. Wehmütig betrachtet er den großen Van, gleitet mit den Fingern über den zerfurchten Lack und lässt ihn dann hinter sich. Ein anderes Mal wird er ihn benutzen. Nun stellt er aber fest, dass die Draisine verschwunden ist. Die Foot haben sich damit also auf den Weg gemacht. Diese Tatsache stört den Rüstungsträger aber wenig, er ist den Weg immerhin schon einmal zu Fuß gegangen, also wird er es auch wieder tun können. Außerdem hat er nicht vor irgendetwas zu transportieren. Er will nach Menschen suchen und sie herbringen. Trotz seiner makaberen Vorstellung, ist Raphael sich sicher, dass die Foot sich nicht die Mühe machen werden nach Personen zu suchen. Sollen sie ruhig alles andere heranschaffen und er kümmert sich um die Menschen. So macht er sich auf den weiten Weg nach Port Morris. Nach einer gedankenversunkenen Ewigkeit kämpft er sich durch den zugewucherten Ausgang der U-Bahn in der 134sten Straße. Nun steht er hier, sieht sich um und weiß eigentlich nicht genau was er tun soll. Wo soll er mit seiner Suche beginnen? Grübelnd steht er da und versucht sich die Quadranten wieder ins Gedächtnis zu rufen. Nach langem Überlegen fällt ihm ein, dass sich die meisten dieser Quadranten an den Interstates und Stadtteilen orientieren. Ist ein Stadtteil ziemlich groß, wird er oftmals von einem Interstate durchzogen und so in mindestens zwei Quadranten unterteilt. Port Morris ist ein eher kleiner Bezirk, der an Hunts Point grenzt, der ebenfalls nicht sonderlich groß ist. Dies ist dann die andere Variante. Kleine Bezirke werden innerhalb eines Quadranten zusammengezogen und die Begrenzung findet dann zum Beispiel durch den Interstate statt oder durch einen angrenzenden großen Stadtteil. Port Morris und Hunts Point liegen in einem Quadranten, der durch den Interstate 895 begrenzt wird und an den anderen drei Seiten von Wasser umgeben ist. Es wäre gut hier anzufangen. Dann hat er es hinter sich. Schließlich befindet sich in diesem Quadranten auch der Park, in dem der Kampf stattfand. Würde Raph jetzt mit einem anderen Quadranten anfangen, würde er es wohl nie mehr über sich bringen, diesen Ort noch einmal aufzusuchen. Außerdem gibt es hier hauptsächlich Lagerhäuser und ähnliches, eher weniger ein Ort um sich zu verstecken. Mit schweren Schritten macht sich der rote Ninja auf den Weg. Aufmerksam und von Kummer durchzogen, schreitet er die Oak Point Avenue entlang. Sein Blickfeld wird hauptsächlich von Schutt- und Trümmerbergen dominiert. Fast nichts scheint heil geblieben zu sein. Und ist es nicht durch den Krieg selbst zerstört worden, dann durch die vielen unkontrollierten Feuer, die danach und teilweise auch jetzt noch, durch die Stadt ziehen. Langsam erreicht er den Park in dem alles endete. Den Tränen nahe blickt er über die verbrannte Wiese, die sich zum Wasser hinzieht. Sie ist genauso schwarz und tot wie sein Herz sich anfühlt. Und doch kann er einzelne, kleine Sprösslinge erkennen, die sich durch die Achse schieben. Der Beginn neuen Lebens nach einer verheerenden Katastrophe. Der Anblick dieser winzigen Pflänzchen weckt in Raph ein leises Gefühl von Hoffnung, dass auch sein Herz irgendwann wieder erblühen und tiefe Gefühle für jemanden empfinden kann. Unweigerlich fragt er sich aber wie lange dies wohl dauern wird. Eine Antwort darauf findet er leider nicht, doch er ist sich sicher, dass der Park bis dahin schon längst wieder zu seinem ursprünglichen Aussehen zurückgefunden haben wird… Raphael ist so versunken in diesem unlösbaren Problem, dass er nicht merkt wie er schon seit geraumer Zeit beobachtet wird. Zwischen Trümmerbergen und den kläglichen Resten abgebrannter Bäume versteckt, leuchtet ein graues Augenpaar auf. Finster und von Mordlust durchzogen beobachtet es den Rüstungsträger ganz genau. Wartet auf die Chance zum Angriff, um dem Tyrannen ein grausiges Ende zu bereiten. Der Besitzer dieser Augen trägt eine Skimaske, die sein Gesicht verdeckt und nur eben diese Augen sind noch zu sehen. Der Rest des Körpers ist in schwarz gehüllt, sodass die Person entfernt Ähnlichkeit mit einem Foot-Ninja hat. Diese Ähnlichkeit wird auch noch durch die vorsichtigen und äußerst sicheren Bewegungen unterstrichen und durch die Tatsache, dass die Person Waffen bei sich trägt, die auch in Ninjutsu benutzt werden. Diese Waffen, genannt Tonfa, haben große Ähnlichkeit mit den Schlagstöcken, die die Polizei benutzt, mit dem Unterschied, dass die Tonfa aus hartem Holz hergestellt sind. Angriffsbereit umklammert der stille Beobachter die Waffen und spannt alle Muskeln an. Gleich ist es soweit! In Raph´s Kopf läuft der ganze Kampf mit Shredder noch einmal ab, als er dort so verloren steht und den vernichteten Park betrachtet. Sein Geist ist mit alledem zu überlastet, um die drohende Gefahr zu spüren. Eigentlich kommt ihm nicht mal der Gedanke, dass es noch irgendjemanden in der Stadt geben könnte, der versuchen würde ihn anzugreifen. Allein schon durch die Tatsache, dass er aussieht wie Shredder. Man müsste schon reichlich lebensmüde sein, um auf so einen verrückten Einfall zu kommen. Nur den Foot würde er so etwas zutrauen und deren Auren kennt er nur zu gut, um sie auch in Zeiten vernachlässigter Konzentration zu spüren. Am Rande der Tränen scharrt er mit der Stiefelspitze in der Asche herum. Diese Geste ist für seinen Beobachter wie ein stiller Befehl zum Angriff. Blitzschnell springt der Maskierte aus seinem Versteck und stürmt mit einem lauten Kampfschrei auf den Rothaarigen zu. Durch den plötzlichen Lärm wird Raphael aus seiner Gedankenwelt gerissen. Als er sich umdreht, kann er gerade noch zur Seite springen, als ein maskierter Typ auf ihn losgeht. ‚Was zum…?‘, geht es ihm noch durch den Kopf, als sein Angreifer wie in Zeitlupe an ihm vorbei zieht. Instinktiv greift Raphael zu seinen Sais und spannt seinen Körper an. Ein tiefes Knurren dringt von dem Fremden zu ihm hinüber, als dieser sich umdreht und erneut zu Schlag ausholt. Nun kann der Einäugige erkennen, dass sein vermummter Angreifer bewaffnet ist. Diese Waffen rufen tief hinten in seinem Kopf eine Erinnerung aus seiner Kindheit ab. Splinter hatte ihm mal genau solche Tonfa zum trainieren gegeben, um die Handhabung mit den Sais besser hinzubekommen. Überrascht von dieser Tatsache weicht Raph dem nächsten Angriff aus. Doch es ist knapp. Der Typ ist verdammt schnell und wendig, aber er trägt ja auch keine schwere Rüstung, die den Roten doch ziemlich in seiner Bewegungsfreiheit einschränkt, weil er noch nicht so vertraut mit ihr ist. Diese Behinderung weckt eine deutliche Wut in dem Saikämpfer. Knurrend versucht er eine Lösung zu finden, doch das Denken fällt ihm ziemlich schwer, wenn er ständig von diesem Kerl attackiert wird. Er ist verdammt gut und an seiner Technik kann Raph ablesen, dass er wohl eine ähnliche Ausbildung wie er genossen hat. Doch wer um Himmels Willen ist dieser Typ? Diese Frage brennt geradezu auf seiner Zunge, doch er kommt kaum zum Luftholen, um sie auch nur stellen zu können. Wutentbrannt ertönt nun aber die Stimme des Maskierten. *„Shinu Shredder, shinu!“, brüllt er dem jungen Ninja entgegen. Verwundert weicht Raph seinem Angriff in letzter Sekunde aus. Hat dieser Kerl da gerade wirklich japanisch gesprochen? Raphaels Verwirrung erreicht ihr Maximum. „Was soll der Scheiß?“, faucht der Rote ihm entgegen und versucht einen eigenen Angriff. Dieser geht jedoch ins Leere, da ihm der Vermummte mit einer eleganten Drehung ausweicht. *„Shinu hinkon bōkun!“, kommt es erneut von dem Fremden. Langsam hat Raph die Nase voll von diesem Kerl. Wutschnaubend setzt er wieder zum Angriff an und diesmal scheint es zu klappen. Nicht ganz so wie geplant, aber immerhin. Der Kerl versucht wieder auszuweichen, doch diesmal erwischt ihn die Spitze eines Sais am Bauch und zerreißt den Stoff seines Oberteils. Helle Haut kommt darunter zum Vorschein und ein feiner Kratzer öffnet sich zu einer schwachblutenden Wunde. Allerdings scheint der Kerl es in Kauf zu nehmen, da es ihm bei seinem Ausweichmanöver gelingt, für einen Moment in Raph´s totem Winkel zu landen. Dieser befindet sich natürlich auf seiner rechten Seite, da ihm ja dort sein Auge fehlt. Dass weiß der Angreifer zwar nicht, aber er scheint zu spüren, dass dort ein Schwachpunkt zu sein scheint. Ehe Raph seinen Blick nach hinten fokussieren kann, der durch den klobigen Helm nur noch mehr eingeschränkt wird, spürt er auch schon einen harten Schlag auf gerade diesen. Getroffen gelingt es Raph sich einem weiteren Schlag zu entziehen, er landet aber unsicher auf den Knien und durch die Wucht des Schlags fliegt ihm der Helm vom Kopf. Mit einem metallischen Knirschen landet der Kabuto zwischen Asche und Steinen und scheint vergessen. Siegessicher richtet sich der Angreifer auf, doch es hält nur Sekunden. Als Raph sich ihm wütend zuwendet und ihn angreifen will, entgleiten dem Mann sämtliche Gesichtszüge. Ungläubig starrt er den rothaarigen Jungen an, der in Shredders Rüstung steckt. Er versteht die Welt nicht mehr. „Nani…?“, gibt er überfordert von sich. Doch Zeit zum Fragen bleibt ihm nicht mehr, da kommt Raph auch schon auf ihn zu gestürmt. „Jetzt hab ich aber die Schnauze voll!“, wirft er dem irritierten Mann entgegen. Die Verwirrung ist so groß, dass er seine Deckung vollkommen vernachlässigt und so gelingt Raph endlich ein richtiger Treffer. Allerdings will er den Mann nicht gleich töten, ohne ein paar Antworten aus ihm raus zu prügeln. Also dreht er sein Sai herum und rammt ihm den Griff fest in den Magen. Getroffen zuckt der Maskierte zusammen und sinkt auf die Knie. Außer Atem steht Raph vor ihm und richtet sein Sai direkt auf seinen Gegner. Dieser zuckt wieder zusammen, lässt die Waffen fallen und hebt die Hände, als würde er von der Polizei umzingelt sein. *„Dōzo jihi…“, kommt es vorsichtig von ihm, während er es nicht wagt Raph ins Gesicht zu sehen. Mit angewidertem Gesicht blickt Raph zu ihm hinunter. *„Hanasu kimi ga eigo?“, fragt er den Besiegten in scharfem Ton. Raphael selbst kann zwar japanisch sprechen, weil Splinter es ihnen schon in frühester Kindheit beigebracht hat, doch er ist heute weiß Gott nicht in der geistigen Verfassung, um nach irgendwelchen Worten zu grübeln. Zumal sein Gegenüber einen schweren Akzent hat und Raph daher eh nicht alles genau versteht. So etwas wie Erleichterung macht sich nun in ihm breit, als der Maskierte nach einem Moment nickt. Er ist wahrscheinlich genauso überrascht, dass Raph japanisch spricht, wie Raph es von seiner Kampftechnik war. „Hai…“, kommt es noch zusätzlich von ihm, ehe der Rothaarige wieder das Wort ergreift. „Gut! Ich werde dir jetzt die Maske abnehmen und ich rate dir keine Mätzchen zu machen, wenn dir dein Leben lieb ist!“ „Jawohl…“, kommt es in etwas brüchigem, typisch japanischem, Englisch von dem Mann in Schwarz. Überrascht beobachtet Raph, wie sich sein Gegenüber auf einmal ordentlich auf die Knie setzt, die Hände flach auf die Oberschenkel legt und den Kopf leicht nach vorn beugt. Diese Geste erinnert den Saikämpfer sehr stark an Leo, der sich respektvoll vor Splinter setzt und sich dann verbeugen will. Und dann dieser höffliche und unterwürfige Tonfall. Einen Moment kann der Grünäugige einfach nur dastehen und den anderen anstarren. Dann schüttelt er jedoch heftig den Kopf, um dieses Bild wieder loszuwerden. Leo ist nicht hier und wird es auch nie wieder sein! Der Kerl vor ihm ist einfach nur Japaner und benimmt sich deshalb so. Basta! Der Saikämpfer holt tief Luft, schiebt alle Gedanken beiseite und konzentriert sich auf das, was vor ihm liegt. Langsam aber bestimmend zieht er die Krallenhandschuhe aus und legt eine Hand auf den Kopf des Maskierten. Er greift den glatten Stoff der Skimaske und zieht sie ihm mit einer schnellen Bewegung herunter. Zum Vorschein kommt ein junger Mann von vielleicht Anfang zwanzig, mit schwarzen Haaren und grauen Augen. Seine Haut ist blass, sein Gesicht weich gezeichnet mit einem spitzen Kinn und schmalen Mandelaugen. Es hat etwas Hartes und doch Jungenhaftes an sich. Raph weiß nicht warum, aber irgendwie wirkt dieser Japaner sympathisch auf ihn. Allerdings ist der Rothaarige von Natur aus sehr misstrauisch Fremden gegenüber, also wird sich zeigen, ob er so etwas wie Vertrauen zu ihm aufbauen kann. „Also, sprich! Wer bist du und was sollte der ganze Scheiß?“, fordert Raphael ihn schließlich auf. Einen Moment sehen sie sich nur an, dann verbeugt sich der Schwarzhaarige kurz vor ihm, was in Raph wieder die Erinnerung an Leonardo wachruft. Seine Gesichtszüge verhärten sich und er mustert den jungen Mann vor sich noch genauer. „Mein Name ist Chen Lee und ich bin hier, um Shredder zu töten.“, erläutert der Japaner ganz offen heraus und doch kann Raph Unsicherheit und Verwirrung in seinen Augen sehen. Belustigt von seiner Antwort schnaubt Raph kurz und setzt sich dann im Schneidersitz vor ihm hin. „Netter Versuch, Kleiner. Aber das kannst du ganz schnell wieder vergessen.“, erwidert er ihm schon fast lachend. Misstrauisch mustert Chen ihn. „Warum? Wo ist Oroku Saki?“ Überrascht weitet sich Raph´s verbliebenes Auge. „Halt! Bevor ich dir das sage, verrätst du mir erst mal, woher du weißt, dass Saki Shredder ist!“, fordert Raphael zu wissen. „Bevor der Krieg losbrach, habe ich ihn oft im Fernsehen gesehen. Irgendwas an dem Kerl kam mir verdächtig vor und ich habe ein bisschen recherchiert. Dabei bin ich dann auf alte Aufzeichnungen gestoßen, die besagten, dass der Führer des Foot-Clans in Japan ein gewisser Oroku Saki sein soll. Als der Krieg dann losging, habe ich Shredder immer wieder beobachtet, um einen Schwachpunkt auszumachen, damit ich ihn vernichten kann. Eines Tages konnte ich dann sehen wie er seinen Helm abnahm und darunter war Saki.“ „Ich muss sagen, du bist ein schlaues Kerlchen, Chen.“, kommt es etwas neidisch von dem Roten. Damals haben er und seine Brüder Saki auch oft im Fernsehen gesehen, doch erst Splinter erzählte ihnen, dass er Shredder ist. „Kann schon sein, aber ich verstehe nicht, warum du Shredders Rüstung trägst.“ „Ganz einfach: ich habe Shredder getötet und bin jetzt der neue Shredder!“, erläutert der Saikämpfer lässig. Finster blickt Chen ihn an. „Du lügst!“, platzt es schließlich aus ihm heraus. Raph vergeht sein Lächeln. „Hör mal, Kleiner! Ich wünschte es wäre so, aber Shredder ist keine fünfzig Meter von dieser Stelle hier gefallen. Und bevor du jetzt nach Beweisen schreist, lass dir gesagt sein, dass seine Leiche im Feuersturm verbrannt und seine Asche auf den East River hinaus geweht wurde. Nur seine Rüstung ist geblieben. Entweder du glaubst mir oder du kannst mich mal. Denkst du etwa ich finde es lustig mich als Shredder auszugeben, sodass alle Menschen Angst vor mir haben und mich umbringen wollen?“ Perplex mustert Chen Lee den Halbwüchsigen mit der schweren Rüstung vor sich. Dann senkt er betrübt den Kopf. „Nein, dass denke ich natürlich nicht…“ „Na dann kann ich ja beruhigt sein…“, kommt es sarkastisch von Raph. Nach einer bedrückenden Pause räuspert sich der Schwarzhaarige vorsichtig. „Wann?“, kommt es knapp von ihm. Raphael wendet ihm wieder den Blick zu und mustert ihn. Ihm kommt es inzwischen so vor, als könnte er diesem Kerl alles sagen, als würden sie sich schon ewig kennen. Dieses Gefühl löst ein gewisses Unbehagen in ihm aus und doch kann er nicht leugnen, dass er sich zum ersten Mal seit dem Tod seiner Familie wieder wie ein normaler Mensch fühlt. Wahrscheinlich weil er endlich einem normalen Menschen begegnet ist. „Vor gut drei Monaten. Der Krieg ist also vorbei und ich versuche jetzt, den Schaden meines Vorgängers in Ordnung zu bringen und die Stadt wieder aufzubauen. Ich suche nach Überlebenden, um sie an einem sicheren Ort wieder anzusiedeln. Du bist der erste, den ich finde oder eher der mich gefunden hat.“, kommt es mit einem Schulterzucken von dem Rüstungsträger. Nachdenklich blickt Chen auf seine Hände. „Du bist also der neue Shredder, doch du willst sein Erbe nicht fortführen und die Welt beherrschen?“, fragt er etwas skeptisch. „So sieht es aus. Außerdem könnte ich die Welt auch friedlich beherrschen, wenn mir der Sinn danach stehen würde, was es nicht tut. Des Weiteren habe ich in diesem verfluchten Krieg alles verloren, was mir je etwas bedeutet hat. Meine Stadt, mein Zuhause, meine Familie und Freunde, mein Auge und meine Ehre als Ninja, indem ich mich dem feindlichen Clan angeschlossen hab…“ Traurigkeit huscht über sein Gesicht und er schluckt hart, um die Tränen zu vertreiben. Diese Blöße will er sich auf keinen Fall vor diesen Jungen geben. „Du bist ein richtiger Ninja?“, platzt es plötzlich aus dem Japaner heraus, sodass Raph überrascht zusammenzuckt. „Ja, oder dachtest du, ich hab zu viele Kung-Fu-Filme gesehen, um das Kämpfen so zu erlernen?“, verwundert mustert er ihn. „Keine Ahnung. Hätte ja auch sein können, dass du nur Kampfsport machst oder so. Du bist ziemlich kräftig, soweit ich das beurteilen kann.“ „Da liegst du gar nicht so falsch. Ich hab vor dem Krieg tatsächlich an Tournieren teilgenommen. Doch meine Hauptaufgabe war es mich von meinem Sensei zum Ninja ausbilden zu lassen, um das Verbrechen in der Stadt zu bekämpfen und Shredder unter Kontrolle zu halten.“ „Echt? Du hast das Verbrechen bekämpft? Beeindruckend! Darf ich fragen, wer dein Sensei ist?“ „Darfst du schon, aber du sollest es anders formulieren. Nämlich wer mein Sensei war. Er hieß Hamato Yoshi…“, betrübt senkt Raph den Blick, wird jedoch kurz darauf von Chens begeisterter Stimme wieder aus seinen Gedanken gerissen. „Dein Sensei war der berühmte Hamato Yoshi persönlich?! Mein Vater war ein begeisterter Kämpfer und hat viele Jahre mit Yoshi trainiert, bevor dieser Japan so eilig verlassen hat. Mein Vater hat mir alles beigebracht, was er von ihm gelernt hat.“, sprudelt es voll ehrlicher Bewunderung aus dem Schwarzhaarigen heraus. Ein kleines Lächeln legt sich auf Raphaels Züge. „Ich wusste gleich, dass mir dein Stil bekannt vorkommt. – Aber das alles gehört der Vergangenheit an. Yoshi und der Rest des Hamato-Clans sind im Kampf gegen Shredder gefallen. Ich hab als Einziger überlebt. Und ich bin sicher, dass Meister Splinter nicht gerade besonders stolz darauf wäre, zu wissen, dass sein einig überlebender Sohn nun den Foot-Clan führt…“ Die Vorwürfe, die sich Raph macht, kommen wieder an dich Oberfläche. Allerdings lässt ihm Chen nicht die Gelegenheit darin zu versinken. „Moment mal! Hamato Yoshi ist tot? – Und die Turtles ebenfalls? Das kann ich einfach nicht glauben! – Warte, hast du gerade gesagt, dass du Yoshis Sohn bist? Einer der berühmten Ninja Turtles?“, fassungslos blickt Chen sein Gegenüber an. Raph ringt sichtlich nach Beherrschung. Diese Ausfragerei macht ihn langsam ziemlich fertig und wühlt alles wieder auf, was er in den letzten Monaten versucht hat zu verdrängen. „Ja, verdammt noch mal! Ich bin Raphael! Ich bin einer der verfluchten Turtles und ich bin Hamato Yoshis gottverdammter Sohn!“, platzt es zornig aus ihm heraus. Wütend springt er auf und wendet sich von dem anderen ab. Er ballt die Hände zu Fäusten, atmet angestrengt und versucht sich wieder unter Kontrolle zu bekommen. Heiße Tränen rinnen über seine Wangen, doch er bleibt stumm. Überrascht und betroffen beobachtet Chen diesen Gefühlsausbruch. Nun tut es ihm schrecklich leid, dass er so hartnäckig nachgefragt hat, doch er konnte ja nicht ahnen, was alles passiert ist. Mitfühlend steht er auf und legt Raph vorsichtig die Hände auf die krallenbesetzen Schultern. „Fass mich nicht an!“, brüllt Raph ihm unbeherrscht entgegen und stößt ihn von sich. „Es ist alles meine Schuld…“, wimmert der Rote hilflos und nun weint er seinen Kummer laut heraus, ohne sich an Chens Gegenwart zu stören. Soll er ihn doch für schwach und weinerlich halten, im Moment ist ihm alles egal. Doch der junge Japaner hält ihn überhaupt nicht für schwach. Im Gegenteil, er bewundert es zu tiefst, dass Raph alles verloren hat und dennoch den Mut und den innigen Wunsch hat, alles wieder aufzubauen und den Menschen um sich herum wieder neue Hoffnung zu geben. Er kannte Raphael vorher nur aus dem Fernsehen, doch er hat immer bewundert was er und seine Brüder alles für diese verdorbene Stadt geleistet haben. Und nun, nach alledem, bewundert er ihn noch viel mehr und er ist unendlich dankbar, dass sein versuchtes Attentat nach hinten losgegangen ist und er jetzt mit ihm sprechen kann. Furchtlos stellt er sich schließlich vor Raph und zieht den aufgelösten Ninja fest in seine Arme. Verwirrt und wütend versucht Raphael sich loszureißen, doch Chen lässt es nicht zu. „Was soll der Scheiß?“, schreit der Rote ihm entgegen. Chen legt seinen Kopf vorsichtig auf der Schulter des Rüstungsträgers ab und schließt ihn noch fester in die Arme. „Danke, dass du all diese Opfer gebracht hast und immer noch weiter machst. - Danke, dass du mich vor einem schlimmen Fehler bewahrt hast. – Alles wird wieder gut. Ich bin hier, um dir zu helfen, Meister…“, haucht der Schwarzhaarige ihm mit sanfter Stimme ins Ohr. Völlig perplex hängt Raph in der Umarmung dieses Mannes, der ihn noch vor wenigen Minuten versucht hat zu töten, und versteht die Welt nicht mehr. Doch etwas tief in seinem Herzen sagt ihm, dass er Chen blind vertrauen kann, so wie er einst seiner Familie vertraut hat. Es ist fast so, als hätte er endlich jemanden gefunden, der sein gebrochenes Herz wieder zusammenfügen kann. Unmengen Tränen bahnen sich ungehindert ihren Weg ins Freie und Raph wirft zum ersten Mal all seinen Stolz über Bord. Wie ein Ertrinkender klammert er sich an Chen fest und lässt all den Kummer der letzten Zeit von ihm aufsaugen. „Bitte, verlass mich nicht!“, wimmert er verzweifelt und klammert sich noch fester. „Das würde ich niemals tun, Meister!“ Und das meint Chen vollkommen ernst. Eine Woche später… Gedankenverloren steht Raphael an der Wasserkante, wo er vor einer Woche die Leiche des aufmüpfigen Foot-Soldaten versenkt hat und blickt mit einem leeren Auge hinüber nach North Brother Island. Der Tag ist dunkel und kalt, die Nachbarinsel in dichten Nebel gehüllt. Ihre Anwesenheit fast nur zu erahnen. Dennoch ist sie da und es scheint fast so, als würde sie nach ihm rufen. Seit er hier ein neues Zuhause gefunden hat, hat er diese Insel noch kein einziges Mal betreten. Der Drang das Ungewisse zu erforschen schreit jedoch laut in ihm und er denkt, dass heute der richtige Tag dafür wäre. Langsam und bedenklich nähert sich ihm eine Gestalt durch das dichte Unterholz. Er kann ihre Anwesenheit spüren, ist darüber aber nicht in Sorge. Er weiß, wem diese Aura gehört und er hat ihn bereits erwartet. Wenige Momente später steht Chen hinter ihm und verbeugt sich stumm. Aus dem Augenwinkel kann Raph ihn sehen, aber auch nur, weil er den Kabuto abgenommen hat. Der Helm behindert ihn und daher setzt er ihn so oft es ihm möglich ist ab. „Sind sie weg?“, fragt er den jungen Mann, ohne sich umzudrehen. „Ja, Meister. Gruppe eins ist zur 27sten Zone unterwegs und durchkämmt das Industriegebiet. Sie suchen nach Werkzeugen und Baumaterial. Gruppe zwei ist auf dem Weg in die 43ste Zone, dem Einkaufsviertel. Sie werden unsere Vorräte aufstocken, sowie Kleidung und Arzteimittel mitbringen. Soweit zumindest der Befehl. Was sie wirklich machen, kann ich natürlich nicht mit Bestimmtheit sagen. Sie scheinen aber froh darüber zu sein, nicht wieder den Befehl erhalten zu haben, nach Überlebenden zu suchen. Allerdings hab ich sie angewiesen, sollten ihnen Menschen begegnen, sollen sie diese unverzüglich hierher bringen.“, berichtet der Japaner sachlich, während er die Informationen aus einem kleinen Notizbuch abliest, das er immer bei sich trägt. Scheinbar zufrieden nickt der Rüstungsträger, dreht sich aber immer noch nicht um. Es war eine gute Idee Chen in den Clan aufzunehmen. Nicht nur, weil er die Kampfkunst beherrscht und so das Training der Foot überwachen kann, sie scheinen ihm auch wohlgesinnter zu sein, wenn es um die Ausführung der Befehle geht. Der Schwarzhaarige hat eine sanfte und doch durchdringend überzeugende Art an sich, die ihnen weit lieber ist, als Raphaels klägliche Führungsversuche. So teilt er all seine Befehle Chen mit und dieser gibt sich an die Foot weiter und hat damit anscheinend ganz guten Erfolg. Schmerzlich wird sich Raph bewusst, dass er nun versteht wie sich Leo all die Jahre gefühlt haben muss, wenn sie ihm den Gehorsam verweigert haben und ihn ärgerten, was für ein lausiger Anführer er doch wäre. Allen voran natürlich Raphael selbst. Innerlich hat er Leonardo immer bewundert, wie er in jeder Situation Ruhe bewahren und sich einen Plan zu Recht legen konnte. Nun begreift er, was für eine enorme Belastung das für den Schwertkämpfer gewesen sein muss. Gern würde er seinem Bruder jetzt sagen wie leid ihm das alles tut, was er ihm ständig an den Kopf geworfen hat und was für ein wunderbarer Anführer er doch stets gewesen ist. Doch das geht nicht mehr und dieser Gedanke wird ihn wohl für den Rest seines Lebens verfolgen. Erst recht weil er zu feige ist, sich der Herausforderung mit den Foot zu stellen und sie weiterhin zum Gehorsam zu zwingen. Aber was soll´s? Dann ist er eben feige und überträgt Chen die ganze Arbeit. Doch seine Angst, erneut so kopflos die Beherrschung zu verlieren und sich am Leid und Tod der Foot zu laben, ist einfach zu groß, als dass er es riskieren kann. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis alle Foot vom Antlitz dieser Erde verschwinden werden und durch neue ersetzt sind. Dann wird Raphael es wieder versuchen und sich seiner Angst stellen. Bis dahin ist es besser sich zurückzuhalten und sich um andere Dinge zu kümmern, um einen klaren Kopf zu bekommen. „Das hast du gut gemacht, Chen.“, lobt er seinen neuen Freund, ehe er sich endlich zu ihm umdreht. Erwartungsvoll blicken ihn die grauen Augen des Mannes an. Ein zaghafter Sonnenstrahl bahnt sich seinen Weg durch die Wolken und erhellt einen Teil des Waldes um sie herum. Es ist etwas seltsam, den arbeitssamen Japaner vor sich nun in einer Uniform der Foot zu sehen. Doch wie Raphael selbst nutzt auch Chen jede Minute die er ungestört ist, um seine Maske fallen zu lassen. Und es ist ein gutes Gefühl ihm in die Augen sehen zu können. Mit der Maske ist er nur ein Gesicht unter vielen, eine namenlose Gestalt im Schatten. Die Tatsache ständig von ihm Meister genannt zu werden, selbst wenn sie allein sind, stört Raph schon ein wenig, denn immerhin sieht er Chen als Freund an und nicht als einen seiner nichtsnutzigen Untergebenen. Allerdings hat sich der junge Mann das ganz von selbst ausgesucht und Raph möchte ihm da auch nicht unbedingt reinreden. Nur manchmal, wenn sie sich ganz privat unterhalten, wäre es ihm doch lieber, wenn der Schwarzhaarige diese Höflichkeit ablegen und ihn einfach Raph nennen würde. Doch das tut er nicht. Vielleicht hat er Angst, es könnte ihm einmal vor den Foot herausrutschen. Doch eigentlich ist es auch egal, solang Raph einfach nur mit ihm reden kann. Ein schwaches Lächeln huscht über die Züge des Rüstungsträgers. „Dann lass uns gehen. Es ist so weit!“, verkündet der Rothaarige schließlich und bahnt sich langsam einen Weg durch die Büsche zum Eingang des Bunkers. „Sehr wohl, Meister.“ Ohne zu zögern folgt Chen ihm und Raph kann förmlich den Tatendrang des anderen auf seinem Rücken spüren. Es ist irgendwie verrückt, doch der Einäugige hat manchmal echt das Gefühl, als würden die Seelen seiner Familie in Chen weiterleben. Er ist respektvoll und angergiert wie Leo, schlau und geduldig wie Donnie, voller Tatendrang und ausgefallenen Idee wie Mikey und trotz seines jungen Alters schon äußerst erfahren im Kampf und er kennt viele Weisheiten, sodass Raph oft schon das Gefühl hatte mit Splinter zu reden. Einerseits sind diese Eigenschaften für Raph ein Segen, gaukeln sie ihm doch vor, seine Familie nicht ganz verloren zu haben. Andererseits sind sie ein Fluch, gerade weil sie ihn an seine Familie erinnern, die doch nicht hier ist. Größtenteils schweigend gehen die beiden Ninja den Tunnel entlang, der die zwei Inseln miteinander verbindet. Schon vor ein paar Tage hatten sie sich über Raph´s Wunsch die Insel zu erforschen unterhalten, von daher gibt es jetzt nichts mehr zu sagen. Eine Art Gullydeckel verschließt den Ausgang. Melancholisch betrachtet der Saikämpfer ihn einen Moment. In seinem Kopf formen sich die Erinnerungen an frühere Zeiten. Wie oft war er mit seinen Brüdern in der Kanalisation gewesen und hat dort Splinters Rätsel gelöst oder die Durchgänge kartographiert? Er kann sich nicht erinnern, doch es waren unzählige, unvergessene Male. Leichte Sorge ziert Chens Gesicht, weiß er doch nie genau, was Raph in solchen Momenten so traurig aussehen lässt. Er kann sich jedoch sehr gut vorstellen, dass es etwas mit seiner verstorbenen Familie zu tun hat. Mitfühlend nähert er sich die jungen Führer und möchte ihn tröstend in die Arme schließen. Doch noch bevor er ihn erreicht, verschwindet der Ausdruck auf Raphaels Gesicht. Wortlos steigt der Jüngere die Sprossen nach oben und schiebt den Deckel zur Seite. Klar, Raph versucht irgendwie damit klarzukommen, doch Chen wünschte, er könnte mehr für ihn tun. Oftmals lässt der Einäugige es aber einfach nicht zu, versucht seine schwachen Momente zu verstecken. Mit einem tonlosen Seufzen folgt er seinem Meister nach draußen. Sie befinden sich mitten in einem dichten Wald, der sich nicht sonderlich von dem auf der anderen Insel unterscheidet. Als sie sich umsehen, entdecken sie jedoch einige Gebäude. Doch das ist vollkommen übertrieben. Eigentlich ist es nur ein Gebäude und die zertrümmerten und verfallenen Überreste kleinerer Bauten, die sich um das einzig intakte scharen. Schweigend betrachten sie einen Moment das große, rote Backsteingebäude. Vor ihnen erstreckt sich ein runder Turm, etwa vier Stockwerke hoch, der mit einem ebenso hohen Anbau verbunden ist. Der Anbau reicht weit in den Wald hinein. So gut wie alle sichtbaren Fenster an dem Gebäude sind zertrümmert und nur wenige, matte Scheibenstücke sind noch zu erkennen. Der Großteil des Anbaus ist meterhoch von Kletterpflanzen bedeckt, sodass nur das oberste Stockwerk noch sichtbar ist und die Ausmaße des Komplexes wiedergibt. Bis auf die kaputten Fenster wirkt es allerdings von außen noch ziemlich intakt, fast so als wäre es noch bewohnt und ein paar Jugendliche hätten sich des Nachts einen Streich erlaubt und alle Scheiben eingeworfen. Die kleineren Bauten ringsum sind allerdings völlig zerstört und lassen einen nicht einmal vermuten, welchen Zweck sie einst erfüllt haben könnten. Da Raph jedoch ein bisschen etwas über die Geschichte der Insel weiß, vermutet er, dass die kleinen Bauten einst die Schlafhäuser der Studenten oder Ähnliches waren. Nachdenklich reibt er sich das Kinn, während Chen ihn erwartungsvoll mustert. Schließlich beginnt Raphael zu sprechen. „Die Foot haben mir erzählt, dass dieses Gebäude vor langer Zeit mal ein Krankenhaus gewesen ist. Später haben hier auch Studenten gewohnt. – Ich denke, wir sollten uns das Krankenhaus mal genauer ansehen. Wenn es nicht gerade zusammenbricht, würde ich es gern versuchen wieder aufzubauen, um hier die nächsten Flüchtlinge unterzubringen. Das wird eine schwierige und langfristige Arbeit werden und die Foot werden davon ganz und gar nicht begeistert sein. Doch im Hauptquartier haben wir einfach keinen Platz, um endlos viele Leute unterzubringen und sie wollen auch ganz sicher nicht so nah bei den Leuten sein, die ihre Stadt zerstört haben. – Die Barracken ringsum können wir abreißen. Von denen ist eh nicht viel übrig. Doch vielleicht kann man hier Gemüse anpflanzen und ein paar Tiere halten. Schließlich werden wir nicht ewig irgendwelches Essen finden und ich möchte nicht den Rest meines Lebens irgendetwas Undefinierbares aus jahrzehntealten Dosen essen.“ Abwartend sieht er zu seinem Berater hinüber. Argwöhnisch mustert dieser das Gebäude. „Die Idee ist wirklich gut. Wir können nur hoffen, dass das Krankenhaus noch halbwegs benutzbar ist. Wenn alles einsturzgefährdet ist, müssen wir die ganze Sache vergessen, da wir keinesfalls das Wissen haben, das Gebäude wieder aufzubauen und sicher zu sein, dass die Statik auch korrekt ist…“, erwidert der Japaner vorsichtig. Die verfluchte Statik! Daran hat Raph nicht wirklich gedacht und es nimmt ihm etwas den Wind aus den Segeln. Seine schöne Idee hängt an einem seidenen Faden und er weiß nicht, was er stattdessen tun soll, wenn es misslingt. Diese aufkeimende Verzweiflung schlägt sich langsam in seinem Gesicht nieder. Leo und Donnie hätten an so etwas Offensichtliches sofort gedacht, nur er ist zu blauäugig dafür. Nicht zum ersten Mal verflucht er sich selbst dafür, dass er sich nicht mehr mit den Interessen und Fähigkeiten seiner Brüder beschäftigt hat. Dem Schwarzhaarigen entgeht nicht wie sein Meister mit sich zu ringen scheint, weswegen er sich schnell räuspert. „Doch wir sollten das Ganze positiv betrachten. Es könnte weit besser in Takt sein, als wir denken und wenn nicht, fällt uns sicher etwas anderes ein!“ Argwöhnisch betrachtet der Saikämpfer den jungen Mann vor sich einen Augenblick. Er kann sich nicht vorstellen, was sie tun sollen, wenn das Gebäude einsturzgefährdet ist. Schließlich hat Chen selbst gesagt, dass ihnen das nötige Wissen fehlt es wieder aufzubauen. Hilflos sieht er zu dem Krankenhaus hinüber und wünschte, er hätte nur etwas von Mikey´s Enthusiasmus. Könnte er nur alles positiv sehen, dass alles so sein wird wie er es sich wünscht und der Gedanke erst dahin ist, wenn wirklich alles zusammenbricht. Doch das kann er nicht. Er hat schon immer alles negativ betrachtet und ist stets vom Schlimmsten ausgegangen. Warum sollte es jetzt auch anders sein? Als er sich wieder umdreht, sieht Chen ihn hoffnungsvoll an. Dieser strahlende Ausdruck in seinen Augen ist wie ein heißes Messer in Raph´s Herz. Es scheint wirklich so, als stünde Mikey hier vor ihm. Rasch wendet er den Blick wieder ab, bevor das Gefühl ihn endgültig übermannt. Verwundert legt der Grauäugige den Kopf schief. Der Blick seines Meisters ist für ihn nicht zu deuten und doch scheint er es wieder geschafft zu haben, Raph durch seine bloße Anwesenheit Kummer zu bereiten. Innerlich schämt er sich dafür, doch er weiß ja nicht einmal wie es ihm ständig gelingt, den Rothaarigen unbewusst aus der Fassung zu bringen. Darüber reden möchte der Rüstungsträger nicht und Chen respektiert das natürlich. Doch er ist der Ansicht, dass es viel einfacher wäre ihm zu helfen, wenn Raph sich mal richtig aussprechen würde und ihm alles erzählt, was ihm auf der Seele liegt. Aber er kann ihn dazu ja nicht zwingen. Allerdings hat er schon viel von ihm erfahren, doch über sein Verhältnis zu seiner Familie schweigt sich der Führer aus und dabei scheint ihn gerade das besonders zu belasten. Jedoch hegt der Schwarzhaarige die leise Hoffnung, dass Raph sich ihm irgendwann anvertrauen wird, wenn er den gröbsten Kummer hinter sich hat. Die Stimme des Saikämpfers weckt ihn aus seinen Gedanken. „Lass uns endlich reingehen und sehen was noch zu retten ist. Diese Ungewissheit macht mich ganz krank…“ Wieder voll konzentriert verbeugt sich der Japaner vor ihm und kurz darauf begeben sie sich zum Eingang des Krankenhauses. Der Eingang besteht aus zwei riesigen Holztüren, von der eine schief an der unteren Angel hängt, da die obere durchgerostet ist. Pflanzen haben sich ebenfalls daran zu schaffen gemacht und so gelingt es den beiden Männern nur mit erheblichem Kraftaufwand, sich Einlass zu verschaffen. Die Sonne hat sich in der Zwischenzeit ihren Platz am Himmel zurück erobert und die Wolken vertrieben. So breitet sich nun ein angenehmes und doch irgendwie unheimliches Licht in dem verlassenen Gebäude aus. Geisterhafte Schatten huschen über die Wände, von denen die Farbe in dicken Brocken herabhängt. Schutt verteilt sich auf dem Boden und wird überwuchert von hunderten Pflanzen. Die Luft ist abgestanden und riecht feucht. Vorsichtig gleiten sie mit den Fingern über die Wände. Die Farbe blättert ab und rieselt zu Boden. Dennoch ist die Wand trocken und zeigt keinerlei Anzeichen von Schimmel. Scheinbar riecht es hier nur feucht, weil es letzte Nacht geregnet hat. Da das Gebäude ja auf einer Insel nahe am Wasser steht, wurden sicher Maßnahmen getroffen, es trocken zu halten und diese scheinen noch immer intakt zu sein. Prüfend schlägt Raph mit der Faust mehrmals gegen verschiedene Stellen der Wand. Chen tut es ihm auf der anderen Seite gleich. Zu ihrer Freude blättert nur noch mehr lose Farbe ab, doch die Wände scheinen stabil zu sein. Aber das muss ja nicht überall der Fall sein. Langsam gehen sie weiter. Sie finden viele Zimmer in unterschiedlichen Größen vor. Einige dienten als Schlafräume. In manchen davon stehen noch die verrosteten Gestelle der Krankenhausbetten. Andere sind Wasch- oder Behandlungsräume. Einige Möbelstücke sind noch da. Zu ihrer Überraschung sind auch sie frei von Schimmel. Dafür zerfallen viele bei Berührung, da sie völlig von Holzwürmern zerfressen sind. In allen Räumen blättert die Farbe von Wänden und Decken. Das Linoleum auf den Böden beult sich und ist mittlerweile so hart, dass es beim Drauftreten laut knackend zerbricht. In anderen Räumen sind sämtlich Kacheln und Fliesen von den Wänden gefallen. Alles liegt voller Trümmer. Trotz der vielen Räume entdecken die beiden so gut wie keine Habseligkeiten. Bevor die Insel verlassen wurde, hat man wohl fast alles eingepackt und mitgenommen, außer eben dem, was eh schon kaputt war. Einige alte Bücher und Akten sind alles was an den Krankenhausbetrieb erinnert. Erstaunlicherweise sind viele Dinge noch intakt. Es gibt überall Waschbecken, von denen nur wenige durch herabfallende Trümmer zerstört sind. Die Armaturen sind völlig hinüber und undicht, doch als Raph einige ausprobiert, kommt immer noch Wasser heraus. Es spritzt dreckig braun in alle Richtungen und sämtliche Leitungen müssen ersetzt werden, doch die Tatsache, dass das Wasser noch immer emsig fließt und abläuft, macht Raph große Hoffnung. Mit den Stromleitungen sieht es ähnlich aus. Die meisten sind völlig korrodiert und müssen ersetzt werden, doch mit einem wasserbetriebenen Generator wie auf der Nachbarinsel dürfte es bald wieder Strom geben. Böden, Decken und Wände sehen stabil und belastbar aus, Treppen begehbar. Eine schmale Wendeltreppe aus Metall führt nach oben. Sie ist dick überwuchert mit Pflanzen und knarzt verdächtig unter den Füßen. Wie es aussieht wird sie nur noch von den Pflanzen am Zusammenbrechen gehindert, aber das ist wohl das kleinste Problem. Die kaputten Fenster machen ihnen mehr Sorgen. Wenn der Winter vor der Tür steht und ihnen dafür keine Lösung eingefallen ist, werden die Menschen hier drin armselig erfrieren, selbst wenn die Heizungen wieder funktionieren. Doch die Besichtigung hat ihnen gezeigt, dass sie auch dafür eine Lösung finden werden. Das Gebäude ist weit besser in Schuss als sie es jemals für möglich gehalten haben. Gut, es gibt sehr viel zu tun, erst recht wenn sämtliche Leitungen ausgetauscht werden müssen, aber es scheint immerhin machbar. Raph ist tatsächlich auch ganz zuversichtlich, dass sie früher oder später jemanden aufnehmen werden, der sich mit solchen Dingen etwas besser auskennt und dann ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis es wieder vollkommen bewohnbar ist! Zwei Tage später… Raphael dachte eigentlich, dass die Arbeit an dem alten Krankenhaus eine willkommene Abwechslung für die Foot-Ninja sein würde. Aber da hat er sich wohl geirrt. Zwar scheinen sie etwas motivierter an die Sache heranzugehen, als bei ihrer Suche in den Trümmern New Yorks, dennoch meckern und zetern sie fast die ganze Zeit vor sich hin. Das Durchsuchen der Zonen in der Stadt ist im Vergleich zu dieser Arbeit viel einfacher. Dort müssen sie nicht die Trümmer beiseiteschaffen und sich durch die Vegetation kämpfen wie hier. Dennoch schienen sie von dem Gedanken, die Flüchtlinge hier unterzubringen, doch weit mehr angetan als Raph es sich vorgestellt hat. Schließlich wollen sie im Hauptquartier ihre Ruhe haben und nicht ständig von verängstigten Leuten umgeben sein, die die wildesten Fantasien haben, was die Foot mit ihnen anstellen könnten. Trotz der ungewohnten Arbeitsbereitschaft kommen sie nur sehr langsam voran. Sie sind einfach zu wenige. Und die Hälfte der Foot ist auch weiterhin in New York unterwegs, was es noch schwieriger macht. Dennoch ist Raphael so zuversichtlich wie schon lange nicht mehr. Aufmerksam überwacht Chen die Arbeiten an dem Krankenhaus und packt nicht selten selbst mit an. Das gibt dem Saikämpfer etwas Zeit zum Nachdenken. Da die Leichen seiner Familie ja nie gefunden wurden, hat er sich etwas anderes überlegt, um einen Platz zu haben ihrer zu gedenken. Hinter dem Krankenhaus und den anderen Ruinen, tief im Wald, will er eine Art Schrein errichten. So macht auch er sich an die Arbeit, während Chen und die Foot beschäftigt sind. Aus den vielen Trümmern der eingestürzten Bauten um das Krankenhaus herum, hat er sich einen großen, glatten Stein herausgesucht. Es war ein echter Kraftakt diesen Brocken in den Wald zu rollen, doch schließlich hat der Saikämpfer einen idealen Platz gefunden. Es ist eine kleine Lichtung, die stets von einem wunderschönen Spiel aus Licht und Schatten durchflutet wird. Der Anblick erscheint wie aus einem Märchen und allein der Gedanke hier etwas zu haben, das ihn an seine Familie erinnert, treibt dem sonst so harten Ninja die Tränen ins Auge. Seit dem Kampf mit Shredder fühlt er sich kein bisschen mehr hart und unnahbar. Raph kann sich nicht erinnern, dass er jemals zuvor so oft geweint hat und irgendwie macht ihm das angst. Vielleicht verliert er ja langsam den Verstand? Nie hätte er gedacht, dass die Einsamkeit ihm so zu schaffen machen würde, selbst jetzt wo er Chen an seiner Seite hat. Verzweifelt klammert er sich an die letzten Fünkchen seines alten Egos. Irgendwann wird er darüber hinwegkommen und dann wird er seine Aufgabe als Führer dieser neuen Welt genauso ernst nehmen, wie Shredder es einst getan hat. Ja, er wird wieder zu sich selbst finden und dann wird ihn niemand mehr für schwach halten und es wagen ihm zu widersprechen! Schwer atmend rollt er die Steinbrocken in eine vorbereitete Kuhle, sodass er doch schon ziemliche Ähnlichkeit mit einem Grabstein bekommt. Langsam nimmt er ein Stück Kreide zur Hand und zeichnet so genau wie möglich vor, was einmal den Stein zieren soll. Raph war nie sonderlich künstlerisch begabt, dennoch ist er mit seiner Skizze ganz zufrieden. Allerdings war das ja auch der leichteste Teil der Arbeit. Mit einem langen, nahezu verzweifelten, Seufzen nimmt er nun Hammer und Meißel zur Hand. Raph braucht eine ganze Weile, ehe er sich durchringen kann, den ersten Schlag zu setzen. Während er versucht, die Linien seiner Skizze so genau wie möglich herauszuschlagen, muss er unweigerlich an Donnie denken. Sein Bruder hatte ein unglaubliches Geschick im Umgang mit allen erdenklichen Werkzeugen. Wäre er jetzt hier, würde er Raph ganz sicher belustigt zeigen, wie man diesen verdammten Meißel richtig halten muss, damit nicht gleich der halbe Stein unter seinem Schlag zerspringt. Wie so oft in diesen Tagen schnürt sich ihm die Kehle zu und heiße Tränen brennen hinter seinem Auge. Wütend versucht er sie weg zu blinzeln und mit seiner Arbeit fortzufahren. Doch wie so oft in letzter Zeit gelingt es ihm nicht wirklich. Hilflos fängt er an zu weinen, dennoch legt er das Werkzeug nicht zur Seite. Nahezu zornig schlägt er weiterhin auf den Stein ein und versucht das Muster herauszulösen. Stunden vergehen, ehe er völlig erschöpft und am Rande des Wahnsinns, sein Werkzeug fallen lässt und betrachtet, was er geschaffen hat. Auf dem oberen Teil des Steins erstreckt sich das Wappen seines gefallenen Clans. Das Symbol, das ihn immer an die Form einer Blüte erinnert. Diese Blüte hat fünf Blütenblätter, für jedes Mitglied seiner Familie eines. So schien es ihm jedenfalls früher. Das Symbol ist zwar immer noch dasselbe, dennoch ist heute nur noch ein Blütenblatt übrig – er selbst. Das Herausmeißeln des Wappens war furchtbar schwierig und es ist auch nicht mal ansatzweise so schön geworden, wie Raphael es sich vorgestellt hat. Aber immerhin ist er ja auch nicht Donnie. Unter dem Clanwappen sind Kanji zu sehen, die zusammen das Wort ‚Hamato‘ bilden. Es war vor langer Zeit einmal der Name seiner Familie, sein eigner Name. Ein längst vergessenes Wort. Die einzelnen Schriftzeichen sind verwackelt und kaum richtig zu lesen. Schon früher hatte Raph nie ein besonders gutes Händchen zum Schreiben von Kanji. Allein schon die Reihenfolge, in der die einzelnen Linien gezogen werden müssen, damit sie im Gesamtbild ein leserliches Muster ergeben, war für den Saikämpfer immer etwas Unverständliches. Schon seine normale Handschrift gleicht einem Krausen, was will man da schon erwarten? Unweigerlich fällt ihm Leo an, der so wunderschöne Kanji malen konnte, dass es kaum auszuhalten war. Der Blaue war immer der folgsame Schüler, der alles bis zur Perfektion wiederholt hat. Damals hat Raph ihn immer aufgezogen, wie er seine Zeit nur mit so etwas sinnfreiem wie dem Malen von Kanji verschwenden kann. Jetzt jedoch wünscht er sich, er hätte sich damals selbst mehr Mühe gegeben. Tränen rinnen an seiner Wange hinab und er schämt sich dafür, so ein sturen Bock gewesen und Splinter ständig nur Kummer bereitet zu haben. Wie viele endlose Stunden hat ihr Meister versucht, ihm die hohe Kunst der Kanji nahezubringen? Er weiß es nicht mehr. Er weiß nur noch, dass es ihm schon mehr als gereicht hat, diese unendlichen Ansammlungen wilder Striche lesen zu können. Schluchzend betrachtet er den Stein. Die Muster, die er herausgearbeitet hat, heben sich als zartes Weiß aus dem grauen Stein hervor. Sie scheinen kaum sichtbar zu sein. Als könnte man sie nur entdecken, wenn man sie mit den Fingern berührt. Verloren blickt sich der Rothaarige um. Er denkt an Mikey, der immer ein Händchen für Farben und Dekoration hatte. Raph war schon früh der Meinung, dass sein Bruder daher vom anderen Ufer sein muss. Diese böswillig erscheinende Tatsache hat er dennoch immer bewundert, wenn er es auch nie zugegeben hat. Die Vorstellung, dass sein Bruder schwul sein könnte, hat ihn schließlich oft genug in den Wahnsinn getrieben und ihn dazu gebracht des Nachts Unfug mit ihm anstellen zu wollen. Vor seinem geistigen Auge taucht ein Bild auf. Es zeigt seinen schlafenden Bruder, wie er sich unter ihm im Traum zu winden beginnt. Raph wird ganz heiß, wenn er daran denkt und es zieht verräterisch in seinem Unterleib. Ein weinerliches Keuchen verlässt seine Lippen und für einen Moment ist ihm so, als könne er Mikey´s weiche Haut unter seinen Fingern spüren. Erneut laufen Tränen über seine Wange. Die Sehnsucht nach diesem geliebten Wesen wird unerträglich. Schließlich beißt sich Raphael so schlagartig und fest auf die Unterlippe, dass der Schmerz ihn augenblicklich wieder in die Wirklichkeit zurückholt. Er kann sein eigenes Blut schmecken, doch es ist ihm völlig egal. Keuchend versucht er sich zu beruhigen und seine Gedanken zu ordnen. Nach einer Weile löst sich auch seine Erregung auf und er hat wieder einen klaren Kopf. Dass der Blonde noch immer eine so heftige Wirkung auf ihn hat, macht ihm regelrecht angst. Wie lange es wohl dauern wird, bis er ihn vergessen hat und sein Herz einer anderen Person schenken kann? Eine Frage, die er nicht wagt zu beantworten. Erst einmal müsste es so eine Person geben. Bis jetzt jedoch ist keine hier und Chen ist einfach nicht sein Typ. Zudem bezweifelt er, dass der Japaner mit seiner Unterwürfigkeit so weit gehen würde. Außerdem hätte das nichts mit Liebe zu tun. Es wäre nur zur reinen Befriedigung. Und so lange er zwei gesunde Hände hat, würde er niemanden dazu zwingen wollen, ihm nahe zu sein, so widerlich er Selbstbefriedigung auch finden mag. Mit dem Gedanken an seinen kleinen Bruder ist es doch irgendwie auszuhalten. Wenn er sich wirklich mal wieder verlieben sollte, dann würde er sich eh lieber eine Frau wünschen, mit der er eine Familie gründen und all seinen Verlust vergessen kann. Dafür hat er aber noch viel Zeit. Erst mal eine Frau finden, die es in seiner Nähe aushält und die er nicht schon nach einer Nacht satt hat wie früher. Wieder betrachtet er den schmucklosen Stein und schaut sich dann suchend um. Ja, Mikey würde sofort etwas einfallen, um ihn zu verschönern, doch Raph ist für so etwas einfach nicht gemacht. Nach langem Nachdenken entdeckt er nicht weit von sich einen Strauch mit Beeren. Sie erinnern an wilde Brombeeren. Als er eine davon zwischen seinen Fingern zerdrückt, färbt der Saft sie rotbraun ein. Ein kleines Lächeln schleicht über seine Züge, als er mit einer Handvoll zu dem Schrein zurückkehrt. Vorsichtig zerdrückt er die Beeren in seiner Handfläche und taucht den Finger in den Saft. Mit zitternden Händen zieht er die Linien und Muster auf dem Stein mit dem rotbraunen Saft nach. Als er fertig ist, kann er vor lauter Tränen kaum mehr etwas sehen. Nun scheint der Stein so schrecklich lebendig zu sein, als würde er das Blut seiner toten Familie ausstoßen. Kraftlos bricht Raph vor dem Stein zusammen und weint ungehalten in den Wald hinein. Er legt sich auf den Boden und vergräbt seine rotgefärbten Hände in dem trocknen Laub unter sich, klammert sich wie ein Ertrinkender daran. Zum ersten Mal fühlt es sich gut an zu weinen, weil er jetzt endlich einen Ort gefunden hat, an dem er seine Tränen lassen kann. In seinem aufgelösten Zustand merkt er nicht, wie sich Chen leise durch das Gestrüpp kämpft. Als er das Weinen seines Meisters hört, verharrt er vor der Lichtung und beobachtet ihn. Er hat sich schon gewundert, wo er steckt und was er mit dem riesigen Stein vorhat und nun kennt er die Antwort. Als er die blutroten Muster auf dem Stein entdeckt, schnürt es auch ihm die Kehle zu. Er schluckt sehr hart, um das erdrückende Gefühl loszuwerden. Chen kannte Raph´s Familie hauptsächlich aus dem Fernsehen und dort wirkte der Rothaarige immer so kalt und abweisend ihnen gegenüber, als würden sie sich nur streiten können. Es ist schrecklich mit anzusehen, wie verzweifelt er jetzt ist und das von diesem stolzen Kämpfer nichts geblieben scheint. Vorsichtig entfernt sich der junge Mann. Doch wie sehr wünscht er sich, er könnte Raphael irgendwie helfen seinen Schmerz zu vergessen, aber er weiß einfach nicht, wie er das machen soll, wenn der Rote es nicht zulässt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)